1
258 | Phys. Unserer Zeit | 5/2008 (39) www.phiuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim MAGAZIN | Tatsächlich hat das Öl in den Pom- mes wenig zu suchen, denn es dient lediglich als effektive Wärmequelle, um die Kartoffelstäbchen gleicherma- ßen zu bräunen und zu garen – und das in kürzester Zeit. Gar nicht so einfach, denn Kartoffeln sind hoch komplizierte Gebilde. Vereinfacht gesprochen bestehen sie aus drei Komponenten: Stärke, Proteine und Wasser,das zum Großteil an die Proteinmoleküle gebunden ist. Werden die rohen Kartoffeln ins zu heiße Fett geworfen, so finden viele Prozesse in kurzer Zeit statt. Die Proteine an und direkt unter der Kartoffeloberfläche verändern bei dem Hitzeschock schnell ihre Struk- tur und geben das gebundene Wasser frei, das explosionsartig verdampft. Dabei werden große Krater in die Oberfläche gerissen, die sich sofort mit heißem Öl füllen. Schon findet dort die nächste Explosion statt. Der Krater vergrößert sich und füllt sich weiter. Das Ergebnis ist also schon vorprogrammiert: Die Pommes sind nicht richtig gar und lappig mit Öl getränkt. Offenbar darf die Öltempe- ratur nicht zu hoch sein. Bei etwas niedrigeren Temperatu- ren kann das Aufreißen der Ober- fläche durch die Dampfexplosionen verhindert werden. Die Proteine geben ihr Wasser langsamer frei, die ersten Krater bleiben daher kleiner. Gleichzeitig diffundiert die Hitze in die Kartoffelstäbchen, und denatu- riert dort Proteine, die ebenfalls Wasser freigeben. Dieses wandert zum Teil nach außen an die Oberfläche und ver- dampft dabei. So wird die Tempera- tur an der Oberfläche kaum über 103 bis 105 °C steigen. Dieser gleich- mäßige Dampfstrom verhindert ein weiteres, übermäßiges Eindringen von Öl. MOL-GASTRONOMIE | Die Frau unter dem Grasgrund Es ist bekannt, dass Vincent van Gogh häufig seine älteren Werke übermalt hat. Mit einer neuen Methode haben Physiker vom DESY in Hamburg in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Antwerpen und dem Kröller-Müller-Museum unter van Goghs Gemälde Grasgrond (1887) das Porträt einer Frau sichtbar gemacht. Bei der erstmals angewandten Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie wurde das Gemälde mit einem intensiven und sehr feinen Röntgenstrahl aus der Synchrotronstrahlungs- quelle DORIS abgerastert und die Fluoreszenz der einzelnen Farbschichten gemes- sen. Damit lassen sich chemische Elemente und auch bestimmte Farbpigmente identifizieren. Zwei Tage lang musste dieses 17,5 x 17,5 Zentimeter große Gemälde durchleuchtet werden, damit das darunter befindliche Porträt sichtbar wurde (J. Dik et al., Anal. Chem., im Druck, zms.desy.de/e548/e550/e6026/e422/ index_ger.html). PHYSIK IM BILD | Gleichzeitig verändert sich aber auch die Stärke in den Kartoffeln. Die kristallinen, hyperverzweigten Stärkemoleküle schmelzen und können dann zwischen ihren ge- streckten Armen Wasser binden. Das ist von Vorteil, denn durch die länge- re Verweilzeit des Wassers im Inne- ren der Frites werden sie sanft „gedämpft“. Dadurch schwächt sich aber auch der Dampfstrom nach außen ab. Die Temperatur an der Pommesoberfläche steigt daher langsam über 120 °C, was eine dezente Bräunungsreaktion hervor- ruft. Schon werden die Pommes außen knusprig und bleiben innen saftig. Gastronomen frittieren daher in zwei Stufen. Im ersten Schritt wer- den sie bei 130 °C im Öl vorgegart und anschließend bei 60 °C warm gehalten. Dabei kann kaum eine Bräunung erreicht werden. Allerdings entweicht das Wasser,ohne tiefe Krater in die Oberfläche zu reißen. Die Bräunung wird erst im zweiten Schritt erreicht. Bei 160 bis 180 °C erhalten die vorgegarten Pommes bereits nach kurzen Eintauchzeiten ihre perfekte Kruste. Thomas Vilgis, MPI für Polymerforschung, Mainz Frittierphysik für perfekte Pommes Der Ruf von Pommes Frites ist nicht gerade der beste. Mitunter sind sie von Fett durchtränkt, was nicht nur Ernährungsfachleute in Rage versetzt, sondern auch den Genuss deutlich beeinträchtigt. Das einge- drungene Frittierfett verhindert nämlich die wichtigste mechanische Eigenschaft der Fritten: die krachende Knusprigkeit der Hülle und das kartoffelige Innenleben. Mit physikalischer Frittiertheorie lassen sich derartige Unwägbarkeiten verhindern.

Die Frau unter dem Grasgrund

  • View
    214

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Frau unter dem Grasgrund

258 | Phys. Unserer Zeit | 5/2008 (39) www.phiuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

M AG A Z I N |

Tatsächlich hat das Öl in den Pom-mes wenig zu suchen, denn es dientlediglich als effektive Wärmequelle,um die Kartoffelstäbchen gleicherma-ßen zu bräunen und zu garen – unddas in kürzester Zeit. Gar nicht soeinfach, denn Kartoffeln sind hochkomplizierte Gebilde. Vereinfachtgesprochen bestehen sie aus dreiKomponenten: Stärke, Proteine undWasser, das zum Großteil an dieProteinmoleküle gebunden ist.

Werden die rohen Kartoffeln inszu heiße Fett geworfen, so findenviele Prozesse in kurzer Zeit statt.Die Proteine an und direkt unter derKartoffeloberfläche verändern beidem Hitzeschock schnell ihre Struk-tur und geben das gebundene Wasserfrei, das explosionsartig verdampft.Dabei werden große Krater in dieOberfläche gerissen, die sich sofortmit heißem Öl füllen. Schon findetdort die nächste Explosion statt. Der

Krater vergrößert sich und füllt sichweiter. Das Ergebnis ist also schonvorprogrammiert: Die Pommes sindnicht richtig gar und lappig mit Ölgetränkt. Offenbar darf die Öltempe-ratur nicht zu hoch sein.

Bei etwas niedrigeren Temperatu-ren kann das Aufreißen der Ober-fläche durch die Dampfexplosionenverhindert werden. Die Proteinegeben ihr Wasser langsamer frei, dieersten Krater bleiben daher kleiner.Gleichzeitig diffundiert die Hitze indie Kartoffelstäbchen, und denatu-riert dort Proteine, die ebenfallsWasser freigeben.

Dieses wandert zum Teil nachaußen an die Oberfläche und ver-dampft dabei. So wird die Tempera-tur an der Oberfläche kaum über 103 bis 105 °C steigen. Dieser gleich-mäßige Dampfstrom verhindert einweiteres, übermäßiges Eindringenvon Öl.

M O L- G A S T RO N O M I E |

Die Frau unter dem GrasgrundEs ist bekannt, dass Vincent van Gogh häufig seine älteren Werke übermalt hat. Miteiner neuen Methode haben Physiker vom DESY in Hamburg in Zusammenarbeitmit Kollegen der Universität Antwerpen und dem Kröller-Müller-Museum unter vanGoghs Gemälde Grasgrond (1887) das Porträt einer Frau sichtbar gemacht. Bei dererstmals angewandten Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie wurde das Gemälde miteinem intensiven und sehr feinen Röntgenstrahl aus der Synchrotronstrahlungs-quelle DORIS abgerastert und die Fluoreszenz der einzelnen Farbschichten gemes-sen. Damit lassen sich chemische Elemente und auch bestimmte Farbpigmenteidentifizieren. Zwei Tage lang musste dieses 17,5 x 17,5 Zentimeter große Gemäldedurchleuchtet werden, damit das darunter befindliche Porträt sichtbar wurde (J. Dik et al., Anal. Chem., im Druck, zms.desy.de/e548/e550/e6026/e422/index_ger.html).

PH YS I K I M B I L D |

Gleichzeitig verändert sich aberauch die Stärke in den Kartoffeln.Die kristallinen, hyperverzweigtenStärkemoleküle schmelzen undkönnen dann zwischen ihren ge-streckten Armen Wasser binden. Dasist von Vorteil, denn durch die länge-re Verweilzeit des Wassers im Inne-ren der Frites werden sie sanft„gedämpft“. Dadurch schwächt sichaber auch der Dampfstrom nachaußen ab. Die Temperatur an derPommesoberfläche steigt daherlangsam über 120 °C, was einedezente Bräunungsreaktion hervor-ruft. Schon werden die Pommesaußen knusprig und bleiben innensaftig.

Gastronomen frittieren daher inzwei Stufen. Im ersten Schritt wer-den sie bei 130 °C im Öl vorgegartund anschließend bei 60 °C warmgehalten. Dabei kann kaum eineBräunung erreicht werden. Allerdingsentweicht das Wasser, ohne tiefeKrater in die Oberfläche zu reißen.Die Bräunung wird erst im zweitenSchritt erreicht. Bei 160 bis 180 °Cerhalten die vorgegarten Pommesbereits nach kurzen Eintauchzeitenihre perfekte Kruste.

Thomas Vilgis,MPI für Polymerforschung, Mainz

Frittierphysik für perfekte PommesDer Ruf von Pommes Frites ist nicht gerade der beste. Mitunter sind sievon Fett durchtränkt, was nicht nur Ernährungsfachleute in Rage versetzt, sondern auch den Genuss deutlich beeinträchtigt. Das einge-drungene Frittierfett verhindert nämlich die wichtigste mechanischeEigenschaft der Fritten: die krachende Knusprigkeit der Hülle und daskartoffelige Innenleben. Mit physikalischer Frittiertheorie lassen sichderartige Unwägbarkeiten verhindern.