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Die Methode des freien Einfalles in der Technik der Psychoanalyse. Von Dr. Aug. Richter, Sanatorium Punkersdorf. (Eingegangen am 20. April 1933.) In der i~rztlich, zumal nerven~rztlich angewandten Seelenkunde (und nur diese ist Gegenstand der vorliegenden Studie) wird bedauerlich viel mit Begriffen und beziiglichen Fachausdrticken gearbeitet, denen unklare und teilweise unerforschte Vorg~nge entsprechen, und im einschl~gigen Schrifttum findet man eine fippig wuchernde Terminologie, die fast Selbst- zweck geworden ist. Ganz besonders ist dies in den VerSffentliehungen psychoanalytischer und psychotherapeutischer Gattung der Fall. Aber selbst bei der Anwendung scheinbar eindeutiger, oft gebrauchter Bezeichnung seelischer Vorg~nge finder genauere l~berlegung und gewissenhaftere Analyse fiberraschende Schwierigkeiten und entdeckt Unklarheiten, die der Auseinandersetzung zu bedfirfen scheinen. Ein solcher kl~rungsbedfirftiger Fachausdruck scheint auch der in der psycho- analytischen Teehnik verwendete Begri~f des ,,freien Einfalles" zu sein. In Freuds eigenen Schriften finder sich darfiber nicht viel Aufkl~trendes. Hingegen hat H. Hartmann in seinen ,,Grundlagen der Psychoanalyse" 1 diesem Begriffe eine etwas eingehendere Wfirdigung zuteil werden lassen, ohne meines Erachtens alien Seiten des Problems gereeht zu werden. Die Psychoanalyse verwendet die )~ethode des freien Einfalles bei zwei Gelegenheiten: Einmal bei der Erz~thlung der Erlebnisse des zu analy- sierenden Patienten, ein andermal bei der Aufsuehung des latenten Traumgehaltes ausgehend vom manifesten Trauminhalt bei der Traum- analyse. Wie der freie Einfali in Erscheinung tritt, ergibt sich aus den Anweisungen des Psychoanalytikers an den Analysanden. Freud gibt diese Anweisung in ,,Zur Einleitung der psychoanalytischen Behandlung 1913". Ausffihrlicher noch formuliert Hartmann 2 im Sinne Freuds die Bedingungen fiir die psychoanalytische Behandlung folgendermaBen: ,,Versuchen Sie nicht, wie Sie es sonst gewohnt sind, bei Ihren Er- z~hlungen einem Gedankengang ordentlich zu folgen und alles auszu- schliel~en, was nach Ihrer )Seinung nicht zur Saehe gehSrt. Diese Art zu denken besteht fiberall zu Recht, nut nicht w~hrend der psychoana- lytischen Behandlung. Hier miissen Sie sich daran gewShnen, sich ganz 1 Leipzig: Georg Thieme 1927. ~ Hartmann: a. a. O. S. 61.

Die Methode des freien Einfalles in der Technik der Psychoanalyse

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Die Methode des freien Einfalles in der Technik der Psychoanalyse.

Von

Dr. Aug. Richter, Sanatorium Punkersdorf.

(Eingegangen am 20. April 1933.)

In der i~rztlich, zumal nerven~rztlich angewandten Seelenkunde (und nur diese ist Gegenstand der vorliegenden Studie) wird bedauerlich viel mit Begriffen und beziiglichen Fachausdrticken gearbeitet, denen unklare und teilweise unerforschte Vorg~nge entsprechen, und im einschl~gigen Schrifttum findet man eine fippig wuchernde Terminologie, die fast Selbst- zweck geworden ist. Ganz besonders ist dies in den VerSffentliehungen psychoanalytischer und psychotherapeutischer Gattung der Fall.

Aber selbst bei der Anwendung scheinbar eindeutiger, oft gebrauchter Bezeichnung seelischer Vorg~nge finder genauere l~berlegung und gewissenhaftere Analyse fiberraschende Schwierigkeiten und entdeckt Unklarheiten, die der Auseinandersetzung zu bedfirfen scheinen. Ein solcher kl~rungsbedfirftiger Fachausdruck scheint auch der in der psycho- analytischen Teehnik verwendete Begri~f des ,,freien Einfalles" zu sein.

In Freuds eigenen Schriften finder sich darfiber nicht viel Aufkl~trendes. Hingegen hat H. Hartmann in seinen ,,Grundlagen der Psychoanalyse" 1 diesem Begriffe eine etwas eingehendere Wfirdigung zuteil werden lassen, ohne meines Erachtens alien Seiten des Problems gereeht zu werden.

Die Psychoanalyse verwendet die )~ethode des freien Einfalles bei zwei Gelegenheiten: Einmal bei der Erz~thlung der Erlebnisse des zu analy- sierenden Patienten, ein andermal bei der Aufsuehung des latenten Traumgehaltes ausgehend vom manifesten Trauminhalt bei der Traum- analyse. Wie der freie Einfali in Erscheinung tritt, ergibt sich aus den Anweisungen des Psychoanalytikers an den Analysanden. Freud gibt diese Anweisung in ,,Zur Einleitung der psychoanalytischen Behandlung 1913". Ausffihrlicher noch formuliert Hartmann 2 im Sinne Freuds die Bedingungen fiir die psychoanalytische Behandlung folgendermaBen:

,,Versuchen Sie nicht, wie Sie es sonst gewohnt sind, bei Ihren Er- z~hlungen einem Gedankengang ordentlich zu folgen und alles auszu- schliel~en, was nach Ihrer )Seinung nicht zur Saehe gehSrt. Diese Art zu denken besteht fiberall zu Recht, nut nicht w~hrend der psychoana- lytischen Behandlung. Hier miissen Sie sich daran gewShnen, sich ganz

1 Leipzig: Georg Thieme 1927. ~ Hartmann: a. a. O. S. 61.

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passiv Ihren Einf/~llen zu fiberlassen, auch wenn Sie dadurch vom Thema Ihrer Erz/ihlungen abkommen, und alle Nebenwege des Denkens so zu beschreiten, wie sie sich Ihnen bieten. All die Einfi~lle, die Ihnen auf diese Art zustrSmen, miissen Sie ohne Unterschied aussprechen. Sie verpflich- ten sich mir gegeniiber zur vollkommenen Aufrichtigkeit. Die Psycho- analyse gesteht Ihnen keine Ausnahme yon dieser Forderung zu: Sie miissen also Ihren Gedanken auch dann Ausdruck geben, wenn sie Ihnen Unsinniges, Unwichtiges oder nicht zur Sache GehSriges zu enthalten scheinen, und auch wenn Ihnen das Aussprechen aus irgendeinem Grunde peinlich ist oder wenn Sie damit etwas begehen, was man im gewShnliehen Leben eine Indiskretion nennt."

So also lautet die Belehrung fiir den Novizen, der sich in psycho- analytische Behandlung begibt, und die hier vorgeschriebene 5~ethodik soll nach der Meinung der Psychoanalytiker eine besonders aufschlul~- und ergebnisreiche ,,Methode des freien Einfalles" sein, welche den Zu- gang zum ,,Unbewu6ten" des Kranken und zumal zu den psychotrau- matischen unbewu6ten Ursachen der Neurose bahnt.

Zuni~chst ist wohl nicht zu leugnen, da$ die Befolgung der obenan- gefiihrten ,,psychoanalytischen Grundregel"keine geringen Anforderungen an die geistigen Fi~higkeiten und das Versti~ndnis des Analysanden stellt. Dessen sind sich ja wohl auch die Psychoanalytiker bewuSt und bei Hartmann liest man (S. 65): ,,Das Erlernen der Methode des freien Ein- falles macht den meisten Menschen zun/~chst einige Sehwierigkeiten."

An anderer Stelle meint er, ,,da$ der Patient wohl einige Wochen t/~glich etwa eine Stunde dem Erlernen der Methodik werde widmen miissen".

In Parenthese nur sei hier bemerkt, dab dies yon einem Patienten, dem nicht an der Analyse als solcher, sondern an seiner Heilung gelegen ist, viel verlangt scheint. Selbstversti~ndlich auch, da$ eine Reihe akuter Neurosen, bei denen eine rasehe Abstellung aktueller Krankheitserschei- nungen nottut, yon der Behandlung yon vornherein ausscheiden miissen, dab aber auch eine groSe Gruppe yon Kranken wegen ihrer nicht geniigen- den Intelligenz, eine andere aus konstitutionellen und somatischen Griinden (ErschSpfungsneurosen) sich dieser Behandlungsform entzieht. Ebensowenig wird schlielMich yon depressiv-gehemmten Kranken die fiir die Methode des freien Einfalles notwendige geistige Unbeeinflul~theit einerseits, die entsprechende Reproduktionsf/~higkeit andererseits er- wartet werdeu dfirfen.

Doch dies nut nebenbei: Denn es ist zuzugeben, dab immer noch eine genfigende Anzahl mehr chronisch verlaufender Psychoneurosen die seelischen Voraussetzungen und die gfinstigen /~uBeren Bedingungen (Zeit und Geld) ffir die geforderte Erlernung der psychoanalytischen Grundregel und die dann folgende Behandiung beibringen mag.

Was geschieht nun abet tats/dchlich bei der Durchffihrung der Methode des freien Einfalles? Zun/~chst, von der Seite des Objektes, des zu

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anaIysierenden Patienten betrachtet, Folgendes: Der Analysand soll seinen Einfs welcher Art immer sic seien, Erinnerungen an Erlebnisse, Gedanken, Urteile, Gefiihls~u~erungen s~a~hlichen Ausdruck geben, soil sozusagen ,,frei yon der Leber weg" ohne Beeinflussung s~rechen. Und hier schon beginnen kritische Bedenken: Nach der technischen Vorschrift Freuds liegt der zu Analysierende auf einem Ruhebette, der Arzt yon ihm ungesehen an seinem Kopfende hinter ihm. Freud selbst spricht von einem ,,Zeremoniell der Situation" und hat damit sicher eher recht als Hartmann, der im Gegensatze hiezu eine ,,Natiirlichkeit der analytischen Situation" vorfindet. Schon dutch die gegebene s Aufmachung erscheint die Unbefangenheit und Freiheit des Gedanken- ablaufes, die unbefangene Reproduktion der Einf~lle wesentlich bedroht.

Aber diese Unbefangenheit ist schon yon vornherein nicht gegeben. Der Kranke, der entweder freiwillig zum Psychoanalytiker in Behandlung kommt oder von einem Arzte an diesen gewiesen wird, steht der Methodik und der Einstellung der Psychoanalyse heute doch nScht mehr unvor- bereitet und voraussetzungslos gegenfiber. Er wei~ doch aus aUem m5glichen Gelesenen und GehSrten, worum es der Psychoanalyse zu tun ist, und ob er dabei auch eine ganz schiefe und falsche Vorstellung gewonnen habe, jedenfalls ist er nicht unvoreingenommen und seine Einf~lle darum nicht frei. Wie ja fibrigens die Gegebenheit einer ~rzt- lichen Beratung an sich sehon eine bedingte Einstellung mit sich bringt.

Grunds~tzlich aber wird dutch die yon der Psychoanalyse in der besprochenen Methodik geforderte Aufgabe des Aussprechens aller Ein- f~lle (wie bei jeder ~hnlichen, trotz allem als psychologisches Experiment wirkenden Gegeniiberstellung eines frei Reproduzierenden und eines kritisch ZuhSrenden) der freie Flul~ der Gedanken eben dutch diese Not- wendigkeit, das ins Bewul~tsein Tretende in Worte zu fassen, gehemmt und gestSrt. Das kann man durch Beobachtung an sich se]bst leicht erfahren. Solange man in einer dem Wachtr~umen ~lmlichen Weise alle seine Einf~lle vorfibergleiten l ~ t , fliel~t dieser Strom reichlich, von allen Seiten her strSmen Erinnerungsbflder und Gedanken. Sobald

m a n aber all das, was an Gedanken, Erinnerungen, Bildern usw. ins BewuBtsein tritt, in Worte fassen will, s sich sofort die Art und der Ablauf der Einf~Ue. Um einen, natfirlich nut relativ passenden, Ver- gleich zu gebrauchen: Wenn im ersten Falle die Bilder wie in einem Kaleidoskop yon allen Seiten herzukommen, aus einander zu entstehen und ineinander fiberzugehen scheinen, ziehen sie im zweiten Falle wie auf einem Filmstreifen aneinandergereiht, nicht gleichm~Big ablaufend, sondern hie und da stockend vorfiber, die dazugehSrig e Legende, das Aussprechen des inneren Geschehens, zu gestatten.

Aueh die Psychoanalyse ist sich wohl bewuBt, ,,dal~ die einzige Auf- gabe, welche dem Patienten gestellt ist . . . seine Einf~lle unterschiedios dem AnaIysierenden mitzuteilen, freilich eine Beeinflussung des natiirlichen

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Gedankenablaufes bedeutet ''1. Aber nicht die Umsetzung der Einf~lle in die Sprache wertet die Psychoanalyse als Moment der Beeinflussung, sondern das Zuh6ren des Analytikers und aus dem gewiB nicht zu leugnen- den EinfluB der kritischen Begutachtung der produzierten Einf~l]e, die zur Lfickenbfldung in der Erz~hlung des Analysanden ffihrt, konstruiert die Psychoanalyse dann ihre Hypothese von der dynamischen Wirkung eines Widerstandes.

Demgegenfiber ist zu betonen, dab die bloBe Umsetzung der freien Einfiille in sprachliche Darstellung allein bereits eine ganz wesentliche Ver~nderung im EinfaUsablaufe bedeutet, wie sieh im Selbstversuche eindeutig ergibt, wo die Gegenwart und EinfluBnahme eines kritischen Zeugen wegf~llt. (Siehe hiezu fibrigens auch Hartmann: ,,Die getreue Wiedergabe l~ngerer Erlebnisreihen auf Grund der Introspektion ist ein kaum 16shares Problem", S.63.) Es erseheint psychologisch und physiseh undurchfiihrbar ein Gesamtbild der im Augenblicke gegebenen Erlebnisse sprachlich wiederzugeben, eine Tatsache, die fibrigens auch Hartmann feststellt, ,,dab die Verpflichtung die Gesamtheit der Erlebnisse wieder- zugeben streng genommen natfirlich undurehfiihrbar bleibt" (S. 63). Es sei demnach festgehalten, dab der geforderte ,,freie Einfall" einmal dureh die ~iuflere Situation bei der Technik der Analyse, dann durch die Notwendigkeit die Einf~lle zu erziihlen beeintr~chtigt werden muB.

Dazu kommt als weitere Behinderung, dab ffir die Einf~lle des Ana- lysanden seine jeweilige ,,Gesamtsituation", die Summe vorhandener r~umlicher, zeitlicher, affektiver Assoziationen ,,latente Einstellungen" und aktuelle Beziehungen richtunggebenden und zielsetzenden EinfluB auf den Ablauf seiner Einfiille haben miissen. DaB ferner auch k6rper- liehe Bedingungen (Ermtidung usw.) in das seelisehe Kri~ftespiel ein- greifen. Und so lieBe sich leieht annehmen, dab dank wechselnder ver- schiedener Voraussetzungen der gleiehe Analysand zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenem Orte und vor verschiedenen Analysierenden ganz versehiedene ,,freie Einf~Ue" produziert.

Wenn andererseits der Analytiker, wie das ja die Absicht der Behand- lung ist, Komplexe ,,das sind im psychoanalytischen Sinne Gruppen yon Vorstenungen und Gedanken, welche durch affektive und triebhafte Einstellungen zusammengefaBt sind" durch die Methode des freien Einfalles zerlegen will, so l~uft er nach dem Dargestellten Gefahr, die Voraussetzungen der erz/~hlten Einfs zu miBdeuten.

Und an diesem Punkte ergibt sich die Betrachtung des Problems von der Seite des Subjektes, des Analysierenden. Auch ffir ihn, das sei zungehst betont, fordert Freud die strenge Beobachtung des psychoanalytischen Grundprinzips. Er fordert, ,,dab der Arzt sigh v611ig dem unbewuBten Geds fiberlasse". ,,Man h6re zu und kiimmere sich nicht darum, ob man sich etwas merke." Und er lehnt z.B. jede schriftliche

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Aufzeichnung w/ihrend tier analytischen Sprechstunde zur Wahrung der UnbeeinfluSbarkeit sowohl des Patienten als des Analytikers ab. Diese Forderungen Freuds an die psychische Einstellung des Analysierenden sind aber in der Durehfiihrung nicht erreiehbare Ideale. - - Was im voran- gegangenen yon der Konstellation des Patienten gesagt wurde, gilt mutatis mutandis selbstversti~ndiich fiir den analysierenden Arz t . Seine Empf/~nglichkeit, seine Aufnahmef~higkeit fiir die EinfMle des Patienten wird yon unzi~hlbaren, unmerkbaren, unsichtbaren Bedingungen be- stimmt sein, aueh seine latenten Einstelluagen werden yon Person zu Person, yon Stunde zu Stunde, yon Fall zu Fall andere sein. Die Summe friiherer Erfahrungen, seine praktische Routine, seine eigenen Erlebnisse, kurz seine augenblickliehe Konstellation werden sich niemals ausschalten lassen. Seine grSSere oder geringere Aktiviti~t und innere Betefligung werden sich auswirken. Und Hartmann gibt (S. 73) zu: ,,Die Frage bleibt bestehen, inwieweit denn veto Analytiker selbst durch Fragen, Antwortea, Befehle oder Deutungen der Gedankengang des Patienten beeinflugt und verf~lscht wird."

Die ungeheuere Subjektivitgt der Methodik wird hier offenbar. H/~ngt es doch ganz veto analysierenden Arzte ab, was aus den produzierten Einf/~llen des Patienten verwertet wird, an welchen Eirrfall sich seine weiteren Fragen anschlieBen, yon welchen vorgefaSten ~einungen er ausgeht. Und hier ermangelt wohl gerade der Psychoanalytiker a priori der Objektivit/~t. Dean hat er sich einmal zu den Grundlagea der Psycho- analyse (Annahme unbewuBter seelischer Vorg/~nge, Lehre yon Wider- stand und Verdr/~ngung, Wertung der Sexualit/~t mit den beziiglichen Komplexen usw.) bekannt, so ist er eben dem produzierten Einfalls- material des Patienten gegenfiber voreingenommen und ,,verf/~hrt", um mit Isserlin 1 zu sprechen ,,mit einem verstehenden oder miBverstehenden Gutdfinken, welches sieh der Voraussetzungen, unter denen es arbeitet, nicht bewul~t wird", ja er riskiert, wie Trygve Braatog 2 kiirz]ich schrieb, ,,dab die Erinnerung und Deutung des Psychoanalytikers yon seinen eigenen und nicht yon den Problemea des Patienten bestimmt werden".

Bei der Psychoanalyse des freien Einfalles spielt nun allerdings durch- aus nicht allein der Einfall selbst die maBgebende Rolle ffir den Ana- lytiker. Wie oben sehon angedeutet sell oft gerade die Hemmung, welche der freie Einfall durch die Mitteilung vor dem Analytiker erfi~hrt, die Lfickenbildung und der yon der Psychoanalyse daraus konstruierte Widerstand der Sehliissel zur Psychologie des Einzelfalles sein. Aber auch hier ist der Subjektivit/~t der Methodik Tfir uad Tor geSffaet. Wenn Schilder a sagt, ,,dab Liicken im Verlaufe der Einf/~lle auf bestimmte Einstellungen schlieBen lassen", so wird man ibm unter Umst/mden zustimmen diirfen; dab diese Einstellungen abet Trieb und Willens-

1 Isserlii,, Max: Psychotherapie. 2 Trygve Braatog: Z. Neur. 1982. Schilder: Uber Psychoanalyse, S. 48. Berlin: S. Karger 1922.

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einstellungen sein miissen, darf ffiglich bezweifelt werden. Isserlin 1 hat schon die l~eproduktionsst5rung der Liickenbildung und die daraus entwickelte Lehre yore Widerstand als fragwfirdig bezeichnet und meint, dab Lfickenbildung und Widerstand sehr verschiedene Ursachen haben kSnnen und durchaus nicht im Unbewul~ten begriindet sein miissen. (Siehe hiezu auch Mittenzwey: Psychologie und Psychoanalyse in ,,die Krisis der Psychoanalyse". Neuer Geist Verlag 1928).

In den vorstehenden Ausffihrungen dfirfte dargetan sein, welch mannigfaltige Hemmungen und StSrungen des freien Ablaufes der Einf~lJe in der seelischen Struktur der ganzen Methode gelegen sind, ohne dal~ dabei UnbewuBtes wirksam ist.

Im fibrigen ist auch dem logischen Psychoanalytiker die Problematik der Methode des freien Einfalles nicht fremd und auch hiezu kann Hart- mann angefiihrt werden, welcher die ,,Fehlerquellen als nicht unbetr/icht- lich" bezeichnet und ,,eine qualitative Auswertung der Ergebnisse bei der Methode des freien Einfalles fiir nicht durchffihrbar" h/ilt, ebenso- wenig wie ,,ffir ihre Sicherheit einen zahlenm/~13igen Ausdruck zu linden" 2.

Dies hat die orthodoxe Psychoanalyse nicht gehindert und wird sit woh[ auch welter nicht hindern, die ~ethodik in der Behandlung zu ver- wenden. Im iibrigen hat doch Freud, als gegen die sp/~ter nach dem gehabten Traumerlebnis erfolgten Traumerz/~hlungen eingewendet wurde, dab diese ungenau, entstellt und usuriert seien, diese Einwendungen damit abgetan, ,,dab die getreue Erhaltung des Traumtextes ffir die Traumdeutung irrelevant sei". Und analog wiirde er wohl auch den freien Einfall des Patienten nicht als relevant werten. Die Haup~sache bleibt ja fiir die Psychoanalyse nicht der reproduzierte Einfall, sondern seine Deutung sowie die Deutung der Liiekenbildung, die a[s Wider- standssymptom dekretiert, wenn auch nicht bewiesen wird.

Ffir den Psychotherapeuten, der nicht au[ die psychoanalytische Methodik Freuds eingeschworen ist, bleibt aber die Frage erlaubt, ob eine individuelle PersSnlichkeitsanalyse und damit eine Erfassung einer kranken Pers5nlichkeit ohne die det.erminierenden Voraussetzungen der Psychoanalyst bei Arzt und Patien~ nicht freiere Einfs des Kranken und objektivere diagnostische und therapeutische Erkenntnisse des Arztes vermitteln wfirde, und ob nicht eine ffir den Patienten weni~er kompli- zierte Methodik wie die des freien Einfalles, die er erst durch l~ngere Bemiihung erlernen muB, denkbar w~re. (Obzwar andererseits zuge- standen sei, dal~ das Erlernen der Methodik bereits eine Art psychischer Besch~iftigungstherapie seia mag, dig unter Umst~nden dem Kranken und seiner Behandlung zugute kommen kann.)

Indessen war die Frage der Zweckmi~Bigkeit und Wirksamkeit psycho- analytischer Therapie night Gegenstand der vorliegenden Studie. Hier sollte nur die Problemati]c der Methode des freienEinfalles aufgezeigt werden.

1 Isserlin, Max: Psychotherapie. 2 A. a. O. S. 74.