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afrika süd Nr. 4, Juli/August 2008 südafrika: fremdenfeindlichkeit Die Politik der Angst und die Angst der Politik Fremdenfeindlichkeit muss als politischer Diskurs gelesen werden, als Resultat politischer Ideologien und Überzeugungen, die nach der Apartheid entstanden und zugelassen wurden, nicht zuletzt als ein Produkt einer Politik der Angst, die in Staat und Gesellschaft virulent ist. Um dieser Politik entgegen zu steuern, ist eine aktive Friedenspolitik von Nöten. Doch dazu muss man sich zunächst dieser Politik der Angst und der Angst der Politik klar werden, wie sie heute in Südafrika gang und gäbe ist. In manchen Punkten ist die Auseinandersetzung in Südafrika vergleichbar mit der Debatte um die Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik. Michael Neocosmos Reflektiert man die jüngsten fremdenfeindlichen Pogrome in Südafrika, ist man verblüfft, dass die meisten Kommentatoren Armut und Verelendung als Ursachen benennen. Doch es bedarf nicht viel Nachdenkens, um zu sehen, dass der ökonomische Faktor, der durchaus vorhanden ist, unmöglich dafür ausschlaggebend sein kann, dass im Mittelpunkt der Übergriffe Nicht- Südafrikaner stehen. Armut kann und war historische Quelle mancher politischer Ideologie, vom Kommunismus bis zum Faschismus und allen möglichen Schattierungen. Tatsächlich kann Armut nur für Machtlosigkeit verantwortlich gemacht werden, für Frustration und Verzweiflung der Täter, aber nicht für die Wahl ihrer Opfer. Warum wurden keine Weißen oder Reiche oder weiße Ausländer angegriffen? Sicher – Machtlose reagieren ihre Frustration in der Regel an den Schwächsten ab, an Frauen, Kindern, Alten und Außenseitern. Doch das reicht nicht zur Erklärung. Die systematischen und konzertierten Übergriffe auf jene, die man verbreiteten Stereotypen zufolge für Ausländer hält, bedürfen einer tieferen Erklärung, als sie der Hinweis auf die Machtlosigkeit bietet, so wichtig dieser Faktor auch sein mag. Dazu beziehe ich mich zunächst einmal auf eine Bobachtung von Frantz Fanon, die der ersten Periode Afrikas nach der Unabhängigkeit gilt: „Das Proletariat der Städte, die Masse der Arbeitslosen, die kleinen Handwerker, die so genannten kleinen Berufe schließen sich ihrerseits dieser nationalistischen Haltung an, aber – seien wir ihnen gegenüber gerecht - sie ahmen nur das Verhalten der Bourgeoisie nach. Während die nationale Bourgeoisie in einen Wettstreit mit den Europäern tritt, beginnen die Handwerker und die kleineren Berufe einen Kampf gegen die nicht nationalen Afrikaner .... Vom Nationalismus sind wir zum Ultra-Nationalismus, zum Chauvinismus, zum Rassismus übergegangen. Man verlangt die Ausweisung dieser Ausländer, man verbrennt ihre Läden, man demoliert ihre Verkaufsstände, man lyncht sie.“ (Fanon: Die Verdammten dieser Erde) Diese Wandlung des Nationalismus in Chauvinismus wurde im Grunde dadurch veranlasst, dass die neuen Eliten nach der Unabhängigkeit sich die Posten und das Kapital der abziehenden Europäer aneigneten. Die untereren Klassen folgten ihrem Beispiel, indem sie sich gegen ausländische Afrikaner wandten. Diese Beobachtung legt nahe, dass eine nationalistische Politik, die ausdrücklich auf Indigenität besteht, den Grundstein für Fremdenfeindlichkeit in der Nachkolonialzeit legt. Inwieweit trifft diese Begründung Fanons auf Südafrika zu? Es gibt kaum Zweifel daran, dass die Post-Apartheid-Eliten sich schamlos bereichert und sich in breitem Umfang Posten unter den Nagel gerissen haben. Die so genannte Black Economic Empowerment (BEE) hat die Entwicklung einer neuen Klasse so genannter „schwarzer Diamanten“ zugelassen, deren neuer Reichtum nicht einer nationalen Akkumulation und Entwicklung zugute kommt, sondern in erster Linie auf raschen Profit ausgerichtet ist, und das in einem Lande, wo die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt.

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afrika süd Nr. 4, Juli/August 2008

südafrika: fremdenfeindlichkeit

Die Politik der Angst und die Angst der PolitikFremdenfeindlichkeit muss als politischer Diskurs gelesen werden, als Resultat politischer Ideologien und Überzeugungen, die nach der Apartheid entstanden und zugelassen wurden, nicht zuletzt als ein Produkt einer Politik der Angst, die in Staat und Gesellschaft virulent ist. Um dieser Politik entgegen zu steuern, ist eine aktive Friedenspolitik von Nöten. Doch dazu muss man sich zunächst dieser Politik der Angst und der Angst der Politik klar werden, wie sie heute in Südafrika gang und gäbe ist. In manchen Punkten ist die Auseinandersetzung in Südafrika vergleichbar mit der Debatte um die Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik.

Michael Neocosmos

Reflektiert man die jüngsten fremdenfeindlichen Pogrome in Südafrika, ist man verblüfft, dass die meisten Kommentatoren Armut und Verelendung als Ursachen benennen. Doch es bedarf nicht viel Nachdenkens, um zu sehen, dass der ökonomische Faktor, der durchaus vorhanden ist, unmöglich dafür ausschlaggebend sein kann, dass im Mittelpunkt der Übergriffe Nicht-Südafrikaner stehen. Armut kann und war historische Quelle mancher politischer Ideologie, vom Kommunismus bis zum Faschismus und allen möglichen Schattierungen. Tatsächlich kann Armut nur für Machtlosigkeit verantwortlich gemacht werden, für Frustration und Verzweiflung der Täter, aber nicht für die Wahl ihrer Opfer. Warum wurden keine Weißen oder Reiche oder weiße Ausländer angegriffen? Sicher – Machtlose reagieren ihre Frustration in der Regel an den Schwächsten ab, an Frauen, Kindern, Alten und Außenseitern. Doch das reicht nicht zur Erklärung. Die systematischen und konzertierten Übergriffe auf jene, die man verbreiteten Stereotypen zufolge für Ausländer hält, bedürfen einer tieferen Erklärung, als sie der Hinweis auf die Machtlosigkeit bietet, so wichtig dieser Faktor auch sein mag.

Dazu beziehe ich mich zunächst einmal auf eine Bobachtung von Frantz Fanon, die der ersten Periode Afrikas nach der Unabhängigkeit gilt: „Das Proletariat der Städte, die Masse der Arbeitslosen, die kleinen Handwerker, die so genannten kleinen Berufe schließen sich ihrerseits dieser nationalistischen Haltung an, aber – seien wir ihnen gegenüber gerecht - sie ahmen nur das Verhalten der Bourgeoisie nach. Während die nationale Bourgeoisie in einen Wettstreit mit den Europäern tritt, beginnen die Handwerker und die kleineren Berufe einen Kampf gegen die nicht nationalen Afrikaner.... Vom Nationalismus sind wir zum Ultra-Nationalismus, zum Chauvinismus, zum Rassismus übergegangen. Man verlangt die Ausweisung dieser Ausländer, man verbrennt ihre Läden, man demoliert ihre Verkaufsstände, man lyncht sie.“ (Fanon: Die Verdammten dieser Erde)

Diese Wandlung des Nationalismus in Chauvinismus wurde im Grunde dadurch veranlasst, dass die neuen Eliten nach der Unabhängigkeit sich die Posten und das Kapital der abziehenden Europäer aneigneten. Die untereren Klassen folgten ihrem Beispiel, indem sie sich gegen ausländische Afrikaner wandten. Diese Beobachtung legt nahe, dass eine nationalistische Politik, die ausdrücklich auf Indigenität besteht, den Grundstein für Fremdenfeindlichkeit in der Nachkolonialzeit legt. Inwieweit trifft diese Begründung Fanons auf Südafrika zu?

Es gibt kaum Zweifel daran, dass die Post-Apartheid-Eliten sich schamlos bereichert und sich in breitem Umfang Posten unter den Nagel gerissen haben. Die so genannte Black Economic Empowerment (BEE) hat die Entwicklung einer neuen Klasse so genannter „schwarzer Diamanten“ zugelassen, deren neuer Reichtum nicht einer nationalen Akkumulation und Entwicklung zugute kommt, sondern in erster Linie auf raschen Profit ausgerichtet ist, und das in einem Lande, wo die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt.

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Ethnische SäuberungBerichte über Korruption im staatlichen Dienst von der nationalen bis zur lokalen Ebene gibt es zuhauf. Sie ist überall zu sehen. Nur wenige wurden angeklagt, noch weniger verurteilt in dieser Herrschaftskultur, die das „Hohe Lied“ des Freien Marktes singt, in der private Bereicherung mit öffentlicher Wohlfahrt und rascher Profit mit Entwicklung gleichgesetzt werden. Korruption im öffentlichen Dienst – so sagte uns ein hoher Beamter – lässt sich nicht ausrotten; sie kann nur verwaltet werden. Wo besteht nun die logische Verbindung zu der Sündenbockrolle, die den Ausländern auferlegt wird?

Meiner Ansicht nach muss Fremdenfeindlichkeit als ein politischer Diskurs gelesen werden, als Ergebnis politischer Ideologien und Überzeugungen – kurz, der subjektiven Auffassungen -, die in Südafrika nach der Apartheid als Resultat einer Politik der Angst entstanden und zugelassen wurden, wie sie die staatliche und gesellschaftliche Szene beherrscht. Diese Politik der Angst hat drei Grundmerkmale: einen staatlichen Diskurs der Fremdenfeindlichkeit, einen Diskurs über den südafrikanischen Sonderweg und einen Staatsbürgerbegriff, der ausschließlich auf Indigenität gründet. Zu dieser Politik der Angst, die íhre Ursprünge im Machtapparat hat, gesellt sich seit den 1990er Jahren eine Angst der Politik. Das heißt: Die Politik ist nicht Willens oder unfähig, mit dieser Politik der Angst systematisch zu brechen – von ein paar Ausnahmen abgesehen.

Es gibt einen Namen für diese Art politischer Aktivitäten, deren Zeugen wir in den letzten Wochen geworden sind: Ethnische Säuberung, wie sie im Ex-Jugoslawien der 1990er Jahre berüchtigt war und die sich dann in verschiedenen Teilen des afrikanischen Kontinents wiederholte, in Ruanda und jüngst erst in Kenia. Dieser Begriff der Säuberung mit all seinen entwürdigenden Konnotationen von Schmutz und Reinigung ist ein allgemeines Leitmotiv dieser Politik jenseits ihrer historischen Eigenarten. Der Begriff der Säuberung wurde auch von den Tätern der jüngsten Pogrome in Südafrika verwandt. Es liegt auf der Hand, dass dieser Begriff die Bezeichnung für die Politik der Angst ist, der Gewalt, einer Politik des Krieges gegen jene, die – aus welchen Gründen auch immer – als anders angesehen werden. Um dieser Politik entgegen zu steuern, ist eine aktive Friedenspolitik nötig. Doch um eine solche zu entwickeln, müssen zuvorderst die Politik der Angst und die Angst der Politik verstanden werden.

Staatlicher Diskurs der FremdenfeindlichkeitDie Ministerien, die Parlamentarier, die Polizei, das Sammellager Lindela, selbst die Gesetze haben seit den 1990er Jahren eine einzige Botschaft immer wieder verstärkt: Wir werden überflutet von einer Welle illegaler Einwanderer, die die Stabilität des Landes, das Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm (RDP), die Entwicklung, unsere sozialen Dienste, ja den gesamten Bau unserer Gesellschaft gefährdet. Mehr noch, afrikanische Migranten wurden zum Freiwild aller, die über Macht verfügen (Polizei, Bürokraten, Bedienstete in Lindela). Beispiele gibt es zur Genüge. Doch vor dem Hintergrund von Interviews mit Migranten aus Westafrika aus dem Jahre 2003 ergibt sich ein interessanter Hinweis: Während Fremdenfeindlichkeit von staatlicher Seite konsistent geblieben ist, ist das Verhalten von Südafrikanern gegenüber Fremden widersprüchlich. Man kann daran sehen, dass viele Südafrikaner den bedrängten Ausländern zur Seite sprangen.

Zur Erinnerung: Der ehemalige Innenminister Mangosuthu Buthelezi, der heute Krokodilstränen über die Opfer der Fremdenfeindlichkeit vergießt, sagte 1998: „Wenn wir Südafrikaner mit Millionen Fremder, die Südafrika überschwemmen, in Konkurrenz um knappe Ressourcen kommen, dann können wir unserem Aufbau- und Entwicklungsprogramm Lebewohl sagen.“

Buthelezi wurde geradezu berüchtigt für seine infamen fremdenfeindlichen Äußerungen, in denen er unter anderem Migranten aus Nigeria pauschal unterstellte, kriminell zu sein und mit Drogen zu handeln. Doch nicht nur Buthelezi, sondern Politiker aller Schattierungen trugen zu dieser Politik der Angst bei. Ein Bericht von Human Rights Watch von 1998 kam zu dem Schluss: „Die öffentliche Kultur in Südafrika wird zunehmend fremdenfeindlich. Politiker halten oft unbegründete Brandreden, in denen die 'Überflutung' durch Zuwanderer für die aktuelle Kriminalitätswelle, die steigende Arbeitslosigkeit und sogar für die Ausbreitung von Krankheiten verantwortlich gemacht wird.“

Diese politische Rhetorik wurde von regelmäßigen Polizeirazzien gegen „illegale Immigranten“

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ebenso begleitet wie von ausgesprochener Erpressung und Abzocke durch die Polizei an Orten wie die Esselen Street in Pretoria. Als im Jahre 2000 die Menschenrechtskommission (HRC) vorsichtig ihre „Besorgnis über die schlechte Behandlung illegaler Einwanderer bei den jüngsten Blitzrazzien der Polizei in Gauteng“ andeutete, wurde ein Regierungssprecher mit den Worten zitiert, die HRC „vermittelt den Eindruck, Sympathien mit den illegalen Einwanderern zu haben“. Er fuhr fort, seine Regierung wünsche regelmäßige Treffen mit der Kommission, um sicher zu stellen, dass man nicht „einander entgegenarbeitet“.

Die Polizei ist besonders berüchtigt dafür, wegzusehen, wenn Ausländer von tsotsis angegriffen werden, und dafür, sie selbst in Zufluchtstätten aufzugreifen und zu schlagen oder ihre Papiere zu zerreißen. All das ist ausführlich dokumentiert. Es gibt Zeugenaussagen darüber, dass Polizei und Beamte anderer Behörden verschiedentlich schon Stadtteilbewohner ermuntert haben, „illegale“ Migranten „rauszuschmeißen“ oder „aufzumischen“. Auch das hat zu systematischer Gewalt gegen Fremde beigetragen. Man müsste mal aufarbeiten, in welchem Ausmaß solche Vorkommnisse auch heute eine Rolle spielten. Anders gesagt: Staatliche Institutionen haben in der Vergangenheit den Grundstein für das Verhalten gelegt, das wir heute beobachten.

Auch wenn diese staatlichen Institutionen nie Gewalt gegen Fremde angeordnet haben und sie regelmäßig verurteilen, so haben sie doch eine Umgebung geschaffen, in der fremdenfeindliche Gewalt als staatlich legitimiert gesehen wird. Nicht von ungefähr hörte ich in der Woche nach den schwersten Ausschreitungen, die Johannesburger Polizei nehme vermeintliche „Illegale“ fest und schikaniere fremd aussehende Menschen, indem sie nach deren Papieren frage.

Abschiebelager Lindela in VerrufDas Abschiebelager Lindela ist kein Gefängnis, wo die Menschen wegen begangener Verbrechen einsitzen. Die Menschenrechtskommission stellte 1999 fest, dass „Mitarbeiter des privaten Dyambu Trust (der Lindela leitet) bei verschiedenen Gelegenheiten Geld von den Insassen erpressen. So verlangen sie Geld bei Fingerabdrücken, fürs Telefonieren oder wenn sie Familienangehörigen und Freunden Besuch erlauben.“ Außerdem erpresst die Leitung Geld für die abschließenden Formalitäten für jene, die abgeschoben werden sollen. „In Lindela wurde von uns die Zahlung von 50.000 Rand gefordert, bevor wir nach Simbabwe abgeschoben würden. Gestern sollten wir nach Hause gehen, doch sie verlangten Geld, um uns dorthin zu bringen. Das hatten wir nicht und so gingen wir nicht.“

Anders gesagt, die Leute blieben in Gewahrsam unter Bedingungen, die viel schlechter sind als in den Gefängnissen; solange sie die Lagerverantwortlichen nicht geschmiert haben, werden sie auch nicht nach Hause entlassen. Den Lagerinsassen werden systematisch die Rechte vorenthalten und sie werden regelmäßig unter Druck gesetzt. Um sie besser unter Kontrolle zu halten, sind sie oft auch physischer Gewalt ausgesetzt. Sie dürfen nicht frei telefonieren, wie es ihnen rechtlich zusteht. Sie werden nicht über ihre Rechte aufgeklärt und in der Regel über die gesetzlich festgelegte Zeit von höchstens 30 Tagen festgehalten.

Ein Opfer klagte: „Die Wachen missbrauchen uns nach Lust und Laune. Sie greifen uns tätlich an. Sie stellen uns an die Wand, und wir dürfen nur mit ihrer Erlaubnis aufs Klo gehen. Da sie aber nicht regelmäßig kontrollieren kommen, gehen viele ohne zu fragen. Wenn jemand dabei aufgegriffen wird, wird er von der Wache verprügelt.“

Bei vielen Gelegenheiten zeigt sich, dass die Einwanderungsgesetzgebung von Begriffen des Ausschlusses und der Kontrolle gespickt ist. Sie geht von der Annahme aus, dass die Menschen die Einwanderungsgesetze missbrauchen und nach Südafrika kommen, um zu nehmen ohne zu geben. Der Grundgedanke dahinter ist – wie es in einer Studie heißt -, die „Festung Südafrika“ gegen „Horden von Immigranten“ zu verteidigen. Aus diesem Grunde sind Polizei und Beamte des Innenministeriums mit so exzessiver Macht über extrem verwundbare Menschen ausgestattet worden, dass Bestechung, Erpressung und Korruption Tür und Tor geöffnet und sie zur alltäglichen Praxis geworden sind.

Auch die Presse hat zu diesem Klima der Angst unter den Immigranten beigetragen. Eine ganze Reihe von Presseanalysen merkt an: „In den Reportagen der englischsprachigen Medien zum Zuzug von Ausländern ist der allgemeine Tenor negativ, ohne analytische Tiefe und eher

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unkritisch.“ Die Presse wiederholt die ewige Leier, „Migranten nehmen Arbeit weg“, sie seien überwiegend „illegal“ im Land und „überfluten das Land auf der Suche nach Arbeit“. Typisch die Aussage: „Ausländer missbrauchen in nicht hinnehmbarer Weise den informellen Sektor und damit die Lebensgrundlage für einen Großteil unserer Arbeitslosen.“ Andere fremdenfeindliche Stereotype sorgen sich um den finanziellen Mittelabfluss durch die Ausländer, behaupten Zusammenhänge (in 38 Prozent der analysierten Artikel) zwischen Illegalität und Migration. So heißt es bereits in einem Bericht der Financial Mail vom 9. September 1994: „Die hohe Rate von Kriminalität und Gewalt ist direkt mit der wachsenden Zahl von Illegalen in Südafrika verbunden.“ Eine Analystin hielt die Fakten dagegen: „Von allen Festgenommenen im Jahr 1998 waren 98 Prozent Südafrikaner.“

Angesichts solcher Bedingungen überrascht es nicht, das der Diskurs der Angst und Fremdenfeindlichkeit in der Öffentlichkeit die Oberhand gewonnen hat. Die damit einhergehende Politik unterstellt den Migranten aus Afrika, sich hier nur zu bedienen. Sie ist damit noch rückwärts gewandter als wir selbst! Es soll nicht verschwiegen werden, dass auch intellektuelle Kreise solche fremdenfeindlichen Ansichten hegen. Ein Gesprächspartner, der eine hohe Position im Gesundheitsministerium von Gauteng bekleidet, sagte mir, jedes Mal, wenn eine neue Berufung anstehe, erhalte er von seinen südafrikanischen Kollegen eine Kopie der Einwanderungsgesetze, um im zu verstehen zu geben, dass nur die Berufung schwarzer Südafrikaner genehm sei.

Der Diskurs des SonderwegesDer Begriff des Sonderweges ist in der südafrikanischen Kultur – und bei weitem nicht nur unter Weißen – weit verbreitet. Dahinter steckt die Idee, dass unser Land nicht wirklich in Afrika liegt und dass unser intellektueller und kultureller Bezugsrahmen die Vereinigten Staaten und Europa sind. Afrika ist der Ort der anderen. Südafrika ist industrialisiert, demokratisch, fortgeschritten im Vergleich zu anderen Ländern des Kontinents und überdies ein Muster an Versöhnung und Liberalität. Bis vor kurzem galt, was sich in Ruanda 1994 oder unlängst in Kenia ereignet hat, hier als undenkbar. Aus dieser Perspektive – hohe Industrialisierung mit zunehmend liberaler Demokratie - ist Südafrika eher vergleichbar einem Land in Südeuropa oder Lateinamerika.

Hinzu kommt, dass man Südafrika nicht ohne Neid feiert als ein Land, dass einen erfolgreichen Versöhnungsprozess durchlaufen hat. Aus dieser Perspektive gesehen steht Südafrika ein rückständiges Afrika gegenüber, das von Primitivismus, Korruption, autoritären Systemen, Armut und versagenden Staaten gekennzeichnet ist, so dass deren Einwohner nichts sehnlicher wünschen, als an Südafrikas Ressourcen und Reichtum zu Lasten seiner Bewohner zu partizipieren. Afrika ist danach ein Kontinent, der angeleitet, beraten und entwickelt werden muss, bereist von Touristen, die authentische Ursprünglichkeit und wilde Tiere sehen wollen. Es ist kein Kontinent, zu dem wir gehören, lediglich ein geographischer Ort, auf dem wir agieren. Dieses Bild wird von den Medien gepflegt, deren Richtschnur völlig unkritisch der Neoliberalismus Europas ist.

Diese Ansichten sind vielleicht nicht allgegenwärtig, aber mit Sicherheit prägend. Ihre Dominanz rührt sicherlich auch von der schizophrenen Haltung der neuen schwarzen Herrschaftsklasse her, die auf der einen Seite ihr Afrikanertum gegenüber der alten weißen Elite herausstellt, aber gleichzeitig ihre Zugehörigkeit zur westlichen Kultur neoliberaler Wirtschaft und Politik betont. Vermutlich besteht ihre Fähigkeit, zu den Superreichen aufzusteigen, genau in ihrer Aufnahme in die globale Welt der neuen kapitalistischen Ordnung.

Afrika ist eine Bedrohung für die neuen Eliten, es erinnert sie an das, was sie vergessen möchten, an die armen Verwandten. Gleichzeitig jedoch wird Afrika als Ort gesehen, wo man sein Glück machen kann, etwa bei der Rohstoffförderung. Der dominante Diskurs in Südafrika ist im Kern unzweifelhaft neoliberal.

Der Diskurs der IndigenitätDie Vorstellung, wir seien keine Afrikaner, geht einher mit der ebenfalls vorherrschenden Idee, dass Indigenität der einzige Weg sei, an Ressourcen, Arbeit und all die anderen Güter zu kommen, die ausschließlich für „uns“ reserviert sein sollten. Das führt unvermeidlich zu einer Debatte darüber, wer mehr indigen ist, und zur Frage nach der ursprünglichen Herkunft, des

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Nativismus, zur Auffassung, dass es etwas essenziell Südafrikanisches gebe, das in den natives zu finden ist. Diese Betonung der Herkunft führt dazu, die Doppelidee von Geburt und Phänotyp („Rasse“) als Essenz der Indigenität in den Vordergrund zu stellen. Das ist äußerst gefährlich.

In einem Leserbrief an die Mail&Guardian wird argumentiert, BEE sollte den Indigenen vorbehalten bleiben; der Schreiber war der Ansicht, „Inder“ und „Farbige“ seien weniger indigen und sollten deshalb von solchen Fördermaßnahmen ausgeschlossen werden. Das ist ein in der Öffentlichkeit weit verbreiteter Standpunkt.

Historisch gesehen sind die wahren Indigenen in Südafrika die San, alle anderen Gruppen sind später zugewandert. Indigenität ist nun mal weder ein historischer noch ein natürlicher Fakt, sie ist stets politisch definiert, und zwar von jenen, die die Macht haben. Das Apartheidsystem hat viel intellektuellen Aufwand betrieben um nachzuweisen, dass Südafrika vor der Ankunft der weißen Kolonialisten unbewohnt gewesen sei, um ihr Erstgeburtsrecht zu behaupten und alle anderen auszugrenzen. Die meisten Eliten auf dem Kontinent und anderswo haben den gleichen Weg eingeschlagen, wenn sie die Zugehörigkeit über die Herkunft definieren. Vor kurzem hörte ich, dass in Angola lebende Kongolesen brutal aus dem Lande geworfen wurden, nur weil sie Ausländer waren. Diese Frage betrifft nicht Südafrika allein, sie ist auf dem gesamten Kontinent vorhanden, wo der postkoloniale Staat die Staatsbürgerschaft über die Herkunft definiert.

In Südafrika werden die Menschen immer noch nach den Apartheidgruppierungen klassifiziert. Das ist ein fundamentales Problem, da das politische Denken dadurch durch die Linse rassischer und nationaler Stereotypen geprägt wird. Schwarz grenzt sich gegenüber Weiß ab, nicht in Bezug auf andere Afrikaner. Doch der südafrikanische Staat nach Apartheid hat es versäumt, einen Nationalismus zu konstruieren, der seine Grundlage in Afrika hat. Nepad – die Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung – ist nichts mehr als ein Tor für den neoliberalen Westen zum Kontinent. Weder die Idee der Afrikanischen Wiedergeburt noch von Ubuntu sind über bloße staatliche Schlagworte hinausgekommen.

Jenseits der Angst der PolitikFremdenfeindlichkeit ist also ein politischer Diskurs, ein Komplex ideologischer Parameter, in dem die Lösung unser drängenden Probleme gesucht werden muss. Das Dumme ist nur, dass – abgesehen von wenigen Fällen – dieser Diskurs nicht ernsthaft einer Prüfung unterzogen wurde und so hohes Gewicht erhielt. Ohne Zweifel gibt es manchen gerade im ANC, der sich in der Vergangenheit gegen fremdenfeindliche Wortwahl ausgesprochen hat, doch das waren isolierte Stimmen. Sie mündeten nicht in einem alternativen politischen Diskurs. Sie selbst waren oft doppeldeutig. Wir mögen zwar die Fremdenfeindlichkeit nicht, aber stehen unsere sozialen Dienste nicht in der Tat unter dem Druck von Migranten? Deshalb war die Welle fremdenfeindlicher Pogrome angesichts des geschilderten Diskurses voraussehbar. Dass eine quasi faschistische Politik (ein starkes Wort, aber ich finde zur Zeit keinen passenderen Begriff) sich bei weiten Kreisen der Armen eingenistet hat, ist alles andere als überraschend. In den Worten von Malcom X: „Die Hühner sind auf ihre Stange geklettert.“

Abschließend ist deshalb zu fragen, wie Angst und Passivität angegangen werden können, wie ein quer dazu stehenden Diskurs eingeleitet werden kann. Passive Bürgerschaft, die Erwartung, der Staat wird’s schon richten, die Furcht vor Kritik, Selbstzensur, die Kultur unkritischen Beifalls, all das steht, wie man längst weiß, politischem Denken im Wege. Eine Angst, die Regierenden der Kritik zu unterziehen, der Kotau vor der Macht, eine Politik, die „unsere Leute“ in Positionen hineinschiebt, all das hat nicht nur zu einer Unterscheidung von ethnischen und anderen Macht ausübenden Identitäten geführt, sondern auch zum Ausschluss anderer. Die Angst, auf diese Politik der Angst kritisch und organisiert zu antworten, nein zu sagen zur unterschiedlichen Behandlung von Menschen und standhaft ja zu sagen zu einer Gleichbehandlung von Seiten der Macht, der Mangel an solchen Standpunkten hat der Politik der Angst Vorschub geleistet, unser aller Angst, politisch zu agieren. Deshalb gebührt allen Südafrikanern unser Dank, die in zahlreichen Fällen ihr Leben riskiert haben, den angegriffenen Ausländern beizuspringen.

Politik ist zu wichtig, um sie den Politikern zu überlassen. Es gilt, systematisch eine konsistente politische Friedenspraxis zu entwickeln und angesichts von Übergriffen durchzuhalten. Wenn das die Konsequenz aus den derzeitigen Ereignissen ist, dann wäre das eine positive Wende. Die

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Demonstrationen in Johannesburg und anderswo waren hoffnungsvolle Anfänge. An sie muss angeknüpft werden. Alles andere würde ein weiteres Abgleiten in ethnisierte Gewalt bedeuten.

Wir können nicht auf Wahlen warten, um uns in der Politik zu engagieren. Wir müssen durchsetzen, was der französische Philosoph Badiou das „Axiom der Gleichheit“ genannt hat, nämlich das Prinzip, dass jede einzelne Person in diesem Land als gleich gilt und gleich zu behandeln ist.

Erinnern wir uns an die Freiheitscharta: „Südafrika gehört allen, die darin leben.“ Der einzige Weg, der aus der Fremdenfeindlichkeit herausführt, ist der couragierte Kampf gegen die Angst der Politik und das Eintreten für Ideen, die der Politik der Angst und Diskriminierung die Stirn bieten. Deshalb sind Beispiele wie die Erklärung der Bewegung der Armenviertel von Durban, Abahlali baseMjondolo, so wichtig (s. afrika süd Nr. 3, Juli 2008). Eine der wichtigsten Aussagen dort lautet: „Im Gegensatz zu einer Handlung kann ein Mensch nicht illegal sein.“ Meines Erachtens ist ein konsequentes Festhalten an diesem Axiom der Anfang einer alternativen Politik des Friedens und der Gleichheit.

Der Autor lehrt Soziologie an der Universität von Pretoria