4
Für die Berechnung des Drehim- pulses ist also die Kenntnis des Träg- heitsmoments notwendig: I hängt we- sentlich von der Form des Körpers und seiner Dichtever- teilung ab. Für einfache homogene Körper wie Kugel, Zylinder, Quader findet man die entsprechenden Formeln in Physiklehrbüchern. Der menschliche Körper hat aber keine einfache Form, außerdem kann der Sportler während der Bewegung seine Körperhaltung und damit auch sein Trägheitsmoment än- dern. Um diese verschiedenen Trägheitsmomente in den Griff zu bekommen, wurden zunächst viele Messungen an Leichen, sowohl ganzen Körpern als auch Körperteilen, vor- genommen. Der russische Biomechaniker Vladimir Zatsior- sky durchleuchtete dagegen lebende Probanden mit schwa- cher Gammastrahlung und maß so die Massenverteilung [1]. Tabelle 1 zeigt ausgewählte Beispiele. Aus der Fülle der bisher gemessenen Daten kann man mit einfachen Modellen die individuellen Trägheitsmomente einzelner Personen abschätzen. Man muss zum Beispiel nur Länge und Umfang eines Unterschenkels wissen und erhält Rotation im Sport Die Sache mit dem Dreh S IGRID T HALLER | L EOPOLD MATHELITSCH Perfekte Drehungen sind beim Geräteturnen, Trampolin- und Turmspringen ein Muss. Für manche Techniken liefern fallende Katzen ein gutes Vorbild. 236 Phys. Unserer Zeit 5/2013 (44) © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI: 10.1002/piuz.201301332 S chwungvolle Übungen im Geräteturnen, auf dem Tram- polin oder beim Turmspringen enthalten meist mehrfa- che Drehungen. Dabei kommt es auf ein geschicktes Aus- nützen der Physik und eine ideale zeitliche Koordination an. Viele Drehbewegungen erfolgen in der Luft, also ohne Kon- takt mit dem Sportgerät, und scheinen den physikalischen Gesetzen zu widersprechen. In der letzten Folge haben wir die beim Geräteturnen auftretenden Kräfte vorgestellt (Physik in unserer Zeit 2013, 44(1), 40). Es zeigte sich, dass diese sehr oft zum Steuern von Drehbewegungen eingesetzt werden. Die auf das Sport- gerät ausgeübten Kräfte bewirken dabei Drehmomente, die den Drehimpuls des Athleten verändern. Bei der Riesenfel- ge im Reckturnen zum Beispiel steigen die Kräfte bis etwa 2600 N an. Setzt der Sportler sie zeitlich richtig ein, dann erzeugt er dadurch erst den nötigen Drehimpuls und die nö- tige Drehgeschwindigkeit – wobei er diese durch die rich- tige Körperhaltung verstärkt. Trägheitsmoment, stabile Achsen Ein Sportler kann sich „im Flug“ drehen, obwohl er keinen Kontakt zum Sportgerät hat. Wie geht das? Befindet er sich in der Luft, zum Beispiel beim Abgang vom Reck oder bei einem Pferdsprung, so wirkt auf ihn nur die Schwerkraft, wenn man den Luftwiderstand vernachlässigt. Da die Ge- wichtskraft in seinem Schwerpunkt angreift, entsteht in Be- zug auf diesen Punkt kein Drehmoment, und der Drehim- puls bleibt konstant. Anders ausgedrückt bewegt sich der Schwerpunkt in der Luft auf einer Wurfparabel, und der Sportler hätte eine konstante Winkelgeschwindigkeit, so- fern er physikalisch gesehen ein starrer Körper wäre. Der Drehimpuls L um eine Achse durch den Schwer- punkt ist ein Vektor in Achsenrichtung. Er hängt von der Form und Massenverteilung des Körpers, ausgedrückt durch das Trägheitsmoment I, und von der Winkelgeschwindig- keit ω ab: L = I · ω. Online-Ausgabe unter: wileyonlinelibrary.com ABB. 1 SCHEINDREHUNG Im Uhrzeigersinn v. l. unten n. r. unten: Simulierter Bewe- gungsablauf einer Scheindrehung in die Rückenlage [8].

Die Sache mit dem Dreh

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Page 1: Die Sache mit dem Dreh

Für die Berechnung des Drehim-pulses ist also die Kenntnis des Träg-

heitsmoments notwendig: I hängt we-sentlich von der Form des Körpers und seiner Dichtever-teilung ab. Für einfache homogene Körper wie Kugel,Zylinder, Quader findet man die entsprechenden Formelnin Physiklehrbüchern.

Der menschliche Körper hat aber keine einfache Form,außerdem kann der Sportler während der Bewegung seineKörperhaltung und damit auch sein Trägheitsmoment än-dern. Um diese verschiedenen Trägheitsmomente in denGriff zu bekommen, wurden zunächst viele Messungen anLeichen, sowohl ganzen Körpern als auch Körperteilen, vor-genommen. Der russische Biomechaniker Vladimir Zatsior-sky durchleuchtete dagegen lebende Probanden mit schwa-cher Gammastrahlung und maß so die Massenverteilung[1]. Tabelle 1 zeigt ausgewählte Beispiele.

Aus der Fülle der bisher gemessenen Daten kann manmit einfachen Modellen die individuellen Trägheitsmomenteeinzelner Personen abschätzen. Man muss zum Beispiel nurLänge und Umfang eines Unterschenkels wissen und erhält

Rotation im Sport

Die Sache mitdem DrehSIGRID THALLER | LEOPOLD MATHELITSCH

Perfekte Drehungen sind beim Geräteturnen, Trampolin- undTurmspringen ein Muss. Für manche Techniken liefern fallendeKatzen ein gutes Vorbild.

236 Phys. Unserer Zeit 5/2013 (44) © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI: 10.1002/ piuz.201301332

Schwungvolle Übungen im Geräteturnen, auf dem Tram-polin oder beim Turmspringen enthalten meist mehrfa-

che Drehungen. Dabei kommt es auf ein geschicktes Aus-nützen der Physik und eine ideale zeitliche Koordination an.Viele Drehbewegungen erfolgen in der Luft, also ohne Kon-takt mit dem Sportgerät, und scheinen den physikalischenGesetzen zu widersprechen.

In der letzten Folge haben wir die beim Geräteturnenauftretenden Kräfte vorgestellt (Physik in unserer Zeit 2013,44(1), 40). Es zeigte sich, dass diese sehr oft zum Steuernvon Drehbewegungen eingesetzt werden. Die auf das Sport-gerät ausgeübten Kräfte bewirken dabei Drehmomente, dieden Drehimpuls des Athleten verändern. Bei der Riesenfel-ge im Reckturnen zum Beispiel steigen die Kräfte bis etwa2600 N an. Setzt der Sportler sie zeitlich richtig ein, dannerzeugt er dadurch erst den nötigen Drehimpuls und die nö-tige Drehgeschwindigkeit – wobei er diese durch die rich-tige Körperhaltung verstärkt.

Trägheitsmoment, stabile Achsen Ein Sportler kann sich „im Flug“ drehen, obwohl er keinenKontakt zum Sportgerät hat. Wie geht das? Befindet er sichin der Luft, zum Beispiel beim Abgang vom Reck oder beieinem Pferdsprung, so wirkt auf ihn nur die Schwerkraft,wenn man den Luftwiderstand vernachlässigt. Da die Ge-wichtskraft in seinem Schwerpunkt angreift, entsteht in Be-zug auf diesen Punkt kein Drehmoment, und der Drehim-puls bleibt konstant. Anders ausgedrückt bewegt sich derSchwerpunkt in der Luft auf einer Wurfparabel, und derSportler hätte eine konstante Winkelgeschwindigkeit, so-fern er physikalisch gesehen ein starrer Körper wäre.

Der Drehimpuls L um eine Achse durch den Schwer-punkt ist ein Vektor in Achsenrichtung. Er hängt von derForm und Massenverteilung des Körpers, ausgedrückt durchdas Trägheitsmoment I, und von der Winkelgeschwindig-keit ω ab:

L = I · ω.

Online-Ausgabe unter:wileyonlinelibrary.com

A B B . 1 S C H E I N D R E H U N G

Im Uhrzeigersinn v. l. unten n. r. unten: Simulierter Bewe-gungsablauf einer Scheindrehung in die Rückenlage [8].

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mit dem Rücken voraus fallen lässt, kann sich in der Luft oh-ne Probleme so drehen, dass sie sicher auf ihren Beinen lan-det [2-7]. Ursprünglich wurde dieses Phänomen damit er-klärt, dass die Katze mit dem Schwanz eine heftige Kreis-bewegung vollführt. Damit sollte sich der Drehimpuls desmassearmen Schwanzes, der sich mehrfach dreht, mit dem-jenigen des restlichen Körpers aufheben, der wegen hoherMasse dann nur eine halbe entgegengesetzte Drehung voll-führt.

Experimente mit schwanzlosen Manxkatzen und Ka-ninchen [7] haben aber gezeigt, dass eine Drehung auch oh-ne diese ausgleichende Schwanzbewegung möglich ist. Ge-naue Videoanalysen enthüllen, dass das Tier zuerst seinenVorderkörper nach vorne beugt. Mit den vorderen und hin-teren Extremitäten macht es gleichsinnige Drehbewegun-gen, ohne den Körper in sich zu verwinden. Dadurch drehtes sich insgesamt um 180°, so dass sein Körper nach hin-ten überstreckt ist. Nun krümmt es seinen Rücken nachvorne und schafft es, richtig herum zu landen. Sein Ge-

R O T A T I O N S P O R T P H Y S I K

dann anhand solcher Tabellen [1] dessen Trägheitsmoment.Die Trägheitsmomente der Körperteile kann man nun nachdem Steinerschen Satz zusammensetzen. Hat ein Körperteilder Masse m das Trägheitsmoment IS um eine Achse durchseinen Schwerpunkt, so ergibt sich sein TrägheitsmomentIA um eine dazu parallele Achse im Abstand d durch

IA = IS + m · d.

Betrachtet man den ganzen menschlichen Körper, so än-dert sich das Gesamtträgheitsmoment je nach Körperhal-tung und Drehachse: Bei einem Salto erfolgt die Drehungum die Breitenachse (frontale Achse). In gestreckter Haltungbeträgt hier das Trägheitsmoment 10,5 bis 13 kg · m2, in ge-hockter Haltung etwa 4 bis 5 kg · m2. Bei einer Schraubeoder Pirouette, also einer Drehung um die Längs- oder Trans-versalachse, liegt das Trägheitsmoment zwischen 1 und 1,4kg · m2 bei angezogenen Armen sowie 2 und 2,5 kg · m2 beigestreckten Armen. Eine Drehung um die sogenannte sa-gittale Achse, wie zum Beispiel beim Radschlagen, ergibtein Trägheitsmoment zwischen 12 und 14 kg · m2. Die An-gaben unterscheiden sich mitunter beträchtlich in der Li-teratur [1–4].

Im freien Flug sind nur die Drehungen um Achsen mitminimalem oder maximalem Trägheitsmoment, die soge-nannten Hauptträgheitsachsen, stabil. Bei einem Salto kannes daher zu Torkelbewegungen kommen.

Salto und SchraubeBeim Absprung zu einem Salto wird eine Vorwärtsrotationdurch das Abstoßen am Boden erzeugt. Der Sportler hat al-so zu Beginn bereits einen Drehimpuls. Im Flug kann er dieDrehgeschwindigkeit durch das Anziehen der Arme undBeine steigern, weil er dadurch das Trägheitsmoment ver-ringert. Knapp vor der Landung streckt er Arme und Beinewieder aus, das Trägheitsmoment wird größer und die Win-kelgeschwindigkeit sinkt für eine sichere Landung. BeimBodenturnen werden mehrfache Salti, oft noch mit zusätz-lichen Schrauben, gesprungen. Eine Abschätzung des dafürbenötigten Drehimpulses, der Drehgeschwindigkeit und derSprunghöhe wird in „Salto und Schraube“ auf S. 238 prä-sentiert.

Scheinrotation Nun stellt sich die Frage, ob Drehungen auch möglich sind,wenn man mit Drehimpuls Null abspringt. Kann etwa einTurmspringer dann noch eine Drehung beginnen? Oderkann man seine Drehrichtung sogar während des Flugesändern? Bei einer Translationsbewegung ist ja bei ImpulsNull ohne äußere Kraft keine Ortsänderung möglich. Nunfragen wir uns, ob das Analoge auch für Rotationsbewe-gungen gilt. Ist bei Drehimpuls Null eine Winkeländerungohne von außen wirkendes Drehmoment möglich?

Bei einem starren Körper lautet die Antwort nein. Einwohlbekanntes Beispiel zeigt jedoch, dass ein in sich be-weglicher Körper dies sehr wohl kann: Eine Katze, die man

© 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 5/2013 (44) Phys. Unserer Zeit 237

TA B . 1 T R Ä G H E I T S M O M E N T E VO N K Ö R PE R T E I L E N

Fuß 10,3 ± 3,2 40,0 ± 9,0Unterschenkel 64,6 ± 25,0 371,0 ± 90,6Oberschenkel 413,4 ± 106,9 1999,4 ± 453,0Hals und Kopf 202,4 ± 38,9 293,9 ± 44,8Rumpf (oberer Teil) 1454,5 ± 359,0 705,2 ± 224,2Beispiele für Trägheitsmomente einzelner Körperteile, bezogen auf dieLängsachse (longitudinal, lg) und eine Querachse (mediolateral, ml,von der Mitte zur Seite) der Körperteile. Mittelwerte ± Standardabwei-chung gemessen an hundert männlichen Probanden [1].

Körperteil Ilg / 10–4 kg · m2 Iml / 10–4 kg · m2

A B B . 2 S C H U LT E RG E L E N K

Gesamtmoment, Muskelmoment und Winkelgeschwindigkeit im Schultergelenkwährend der Scheindrehung in die Rückenlage [8].

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samtdrehimpuls war zu jedem Zeitpunkt Null, dennoch hates seinen Körper gedreht. Der Drehwinkel war also am En-de der Bewegung anders als zu Beginn [7]. Solche Dre-hungen werden auch Scheinrotationen genannt.

Ähnlich funktioniert die sogenannte Hulabewegung ei-nes Turners an den Ringen: Hängt er in Ruhe senkrecht anden Ringen, kann er seine Blickrichtung um 180° drehen,ohne ein dazu nötiges äußeres Drehmoment über die Rin-ge zu erhalten. Er beugt die Hüfte bei gestreckten Kniege-lenken, danach dreht er Oberkörper und Beine entlang ih-rer jeweiligen Längsachsen in dieselbe Drehrichtung undbewegt dabei die Hüfte entlang eines Kreises. Der deutscheSportwissenschaftler Falk Hildebrand [4] berechnete dieAnzahl der nötigen Kreisbewegungen für verschiedeneHüftwinkel, um den Gesamtkörper um 180° zu drehen.Beugt der Turner seine Hüfte um 20° gegen den Körper, sobenötigt er etwa neun Hulabewegungen. Bei einem stärke-ren Abwinkeln von 30° sind es 4,5, bei 40° nur noch 2,9 Be-wegungen.

Eine Drehung ohne Drehmoment kann man sich auchauf einem möglichst reibungsarmen Drehstuhl veran-schaulichen: Verdreht man seinen Oberkörper ein Stück imUhrzeigersinn, dann drehen sich Unterkörper und Stuhl-kissen in die entgegengesetzte Richtung, so dass der Ge-samtdrehimpuls Null bleibt. Nun kann man das Trägheits-moment des Oberkörpers durch Ausstrecken der Arme ver-

größern. Damit rotiert der Oberkörper beim Zurückdrehenum einen kleineren Winkel als vorher, und am Ende hatman seine Blickrichtung im Uhrzeigersinn verschoben.

Drehmomente in den GelenkenBei jeder sportlichen Bewegung treten Drehungen in denGelenken auf. Auch hier muss wieder ein Drehmoment wir-ken. Solche Drehmomente kann man per Video erfassenund aus den Positionen von angebrachten Markern Win-kelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung errechnen.In erster Linie erzeugt die Muskulatur, die über das Gelenkzieht, diese Drehmomente.

Hinzu kommen die Drehmomente von äußeren Kräftenwie der Schwerkraft oder von Kräften, die durch die Be-wegung angrenzender Gelenke entstehen. Auch die Mas-severteilung der involvierten Körperglieder spielt mit. Stelltman sich zum Beispiel gerade hin und beugt den Unterarmum 90°, dann befindet sich das Ellbogengelenk nicht mehrsenkrecht unter der Schulter. Lässt man nun den Unterarmherunterfallen, verschiebt sich der Schwerpunkt im Arm so,dass sich der Ellbogen nach vorne bewegt. Das bewirkt ei-ne Drehung im Schultergelenk, an der aber keine Schulter-muskeln beteiligt sind. Man spricht hier von „Nichtmus-kelkräften“.

In der Sportpraxis ist die Unterscheidung, wodurch dieDrehmomente in den Gelenken verursacht werden, sehrwichtig. Der Trainer sieht die Bewegung des Gelenks vonaußen, nur der Sportler weiß, welche Muskeln er bewegt.Will der Trainer zum Beispiel den Sportler anweisen, dasser ein bestimmtes Gelenk beugen soll, so kann es sein, dassder Sportler nur die Streckmuskulatur etwas weniger ein-setzen muss. Oft ist sogar Muskelkraft nötig, um ein Gelenkruhig zu halten.

Damit kommen wir nochmals zur Riesenfelge am Reckzurück. In der letzten Folge dieser Reihe haben wir festge-stellt, dass die Kraft, die diese Drehung beschleunigt, durchAnziehen der Beine erzeugt wird. Der Athlet verringert sosein Trägheitsmoment. Dieses Anziehen erfolgt aber entge-gen physikalischen Prinzipien nicht am untersten Punkt un-ter der Reckstange, sondern knapp danach. Der Grund da-für sind wieder Drehmomente, die nicht durch die Hüft-beugemuskulatur erzeugt werden und die daher dieBewegung für den Sportler einfacher machen.

Die Unterscheidung von Trainersicht und Sportlersichtenthält physikalisch gesehen noch eine weitere Schwierig-keit: Der Trainer befindet sich (fast) in einem Inertialsystem,im drehenden System des Sportlers treten dagegen Schein-kräfte auf. Die Sportwissenschaftler Martin Sust und GongBing Shan [8, 9] untersuchten den Zusammenhang von Au-ßen- und Innensicht und der beobachteten Drehmomenteanhand einer Scheindrehung im Trampolinsprung. Dabeispringt der Sportler gerade in die Höhe und leitet in der Lufteine geeignete Bewegung ein, um auf dem Rücken zu lan-den (Abbildung 1). Er hat also am Anfang Drehimpuls Null,und das bleibt in der Luft auch so. Er führt also wie eineKatze eine Scheindrehung durch.

238 Phys. Unserer Zeit 5/2013 (44) www.phiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

SA LTO U N D S C H R AU B E |Bei einem senkrechten Sprung lässtsich die Flugzeit aus der Sprunghöheberechnen:

Springt der Turner einen einfachenSalto, so muss er sich in dieser Zeit Tum nur etwa 300° oder im Bogenmaß5π/3 drehen, weil er jeweils schrägabspringt und landet. Den dazu nöti -gen Drehimpuls

erzeugt er durch Abstoßen vom Boden.Nimmt man als Sprunghöhe 80 cm an,so beträgt die Flugzeit etwa T = 0,81 s.Bei einem gestreckten Salto rückwärtsmit dem Trägheitsmoment I1 = 12 kg ·m2 ergibt sich ein benötigtes Drehmo-ment von L = 77,5 kg · m2 · s–1.

Bei konstantem Drehimpuls L undzeitabhängigem Trägheitsmoment I(t)ist die Winkeländerung in rad gegebendurch

Zieht der Turner nach t = 0,2 s dieBeine an, verringert sich das Trägheits-moment auf I2 = 4,5 kg · m2, und erkann mit dem oben berechnetenDrehimpuls einen Doppelsalto um den Winkel

oder 676° durchführen. Eine Schraube wird oft durch das

einseitige Anlegen eines Armeseingeleitet und bewirkt eine Drehungdes Körpers um etwa α = 10° um diesagittale Achse (selbe Achse wie beimRadschlagen). Der GesamtdrehimpulsL ist nicht mehr parallel zur Salto-Achse, er kann in Drehimpulskompo-nenten in die drei Hauptachsen zerlegtwerden. Die Komponente in RichtungKörperlängsachse ist L1 = L · sin α undmit Il = 1 kg · m2 ergibt sich für dieDauer einer Schraubendrehung:

22

.Thg= ⋅

53L I T= ⋅ π

d ( ) d .L

I t t∫ϕ =

d ( ) 11,8 rad1 2

LI t

LI T tϕ = ⋅ + ⋅ − =

T2

0,47 s.ll

l

IL=π ⋅

=

Page 4: Die Sache mit dem Dreh

R O T A T I O N S P O R T P H Y S I K

Aus der gemessenen Bewegung wurden das Gesamt-drehmoment und das von den Muskeln erzeugte Drehmo-ment in einzelnen Gelenken berechnet. Betrachtet man zumBeispiel die Summe der wirkenden Drehmomente im Schul-tergelenk und die dazugehörigen Winkelgeschwindigkeiten(Abbildung 2), so fällt auf, dass bei den Maxima der Ge-schwindigkeiten die Drehmomente nicht null sind. Da sichin den Gelenkdrehungen das Trägheitsmoment nicht än-dert, ist das scheinbar ein Widerspruch zur Physik. Die Auf-lösung liegt wieder im gewählten Bezugssystem. Es ist keinInertialsystem und daher wirken Scheinkräfte.

Solche Simulationen können auch Auskunft über kriti-sche Phasen in der Bewegung geben: Ändert man die An-fangsposition der Hüfte ein wenig, so dass sie nicht über-streckt ist, lässt sich diese Drehung in die Rückenlage nichtmehr durchführen [8, 9].

ZusammenfassungPerfekte Drehungen sind beim Geräteturnen, Trampolin- undTurmspringen ein Muss. Besonders interessant sind Schein-drehungen, für die fallende Katzen ein gutes Vorbild sind. Da-bei bewegen sich Sportler mit einem Gesamtdrehimpuls Nulldurch die Luft. Durch bestimmte Bewegungen können sietrotzdem ihren Körper drehen. Aus physikalischer Sicht inter-essant ist zudem, dass Sportler sich bei Drehungen nicht inInertialsystemen befinden. Es treten Scheinkräfte auf, die siegezielt nutzen können, um Muskelkraft zu sparen.

StichworteDrehungen, Scheindrehungen, Nichtmuskelkräfte, Geräte-turnen, Trampolin, Turmspringen.

Literatur[1] V. M. Zatsiorsky, Kinetics of Human Motion, Human Kinetics Pub

Inc., Champaign (Illinois) 2002.[2] C. Frohlich, Am. J. Phys. 1979, 47(7), 583.[3] C. Frohlich, Scientific American 1980, 242 (3),113.[4] F. Hildebrand, Eine Analyse der Drehbewegungen des menschlichen

Körpers, Meyer&Meyer, Aachen 1997.[5] K. Wiemann, Sportunterricht 1987, 36, 409.[6] J. R. Galli, The Physics Teacher 1995, 33, 404.[7] J. E. Fredrickson, The Physics Teacher 1989, 27, 620.[8] M. Sust et al., Spectrum der Sportwissenschaften 2003, 15, 34.[9] G. Shan et al, Kinesiology 2004, 36, 5.

Die Autoren

Sigrid Thaller und Leopold Mathelitsch verfassen seit 2006 die Reihe „Sportphysik“.

AnschriftAo. Univ.Prof. Dr. Sigrid Thaller, Institut für Sportwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz, Mozartgasse 14/I, A-8010 Graz, Ö[email protected], [email protected]

© 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 5/2013 (44) Phys. Unserer Zeit 239