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(Aus dem Sibirischen psychiatrischen Krankenhaus Tomsk [Direktor: N. A. Donskow].) Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei Geistesstiirungen. Von Dr. N. P, Wolochow-Tomsk. (Eingegangen am 8. Mtirz 1930.) Die Senkungsreaktion der Erythrocyten ist, yon zwei Forschern Fahr~ius und Plaut in die klinische Praktik fast zur gleichen Zeit und unabh~ngig voneinander, eingefiihrt worden. Fahr~ius vermerkte 1918 eine Beschleunigung der Senkungsreaktion w~hrend der Schwanger- schaft, Plaut entdeckte dasselbe Ph~nomen und stellte einige Ver- schiedenheiten der Senkungsreaktion bei einzelnen Nerven- und Geistes- erkrankungen lest. Von dieser Zeit an erk~mpft sich die Senkungsreaktion feste Biirgerrechte und beginnt immer weitere Anwendung in verschie- denen Gebieten der Medizin zu erwerben, indem sie zum Gegenstand vielseitiger Studien und Untersuchungen diente, Natiirlich l~l]t es sich nicht behaupten, da$ die Senkungsreaktion zuerst im Jahre 1918 ent- deckt worden ist ; wie es oft in solchen FAllen passiert, war die Senkungs- reaktion schon im Altertum bekannt und im Verlaufe yon Jahrhunderten von einzelnen Autoren vielmals entdeckt worden, wurde jedoch sehr bald vergessen und verlor ihre Bedeutung. Die Gerechtigkeit verlangt es, wenigstens die zu Fahrdus nachststehenden Namen der Autoren zu nennen, welche die Senkungsreaktion studiert habem Im 18. Jahr- hundert kannte Hunter die Senkungsreaktion; im 19. Jahrhundert studierten sie J. Miiller, Dawy, Nasse, Lehmann, Biernacki, Luxemburg u.a.; nicht lange vor den Arbeiten von Fahr~ius, 1917 wies Hirz/eld auf die Geschwindigkeit der Senkungsreaktion der Erythrocyten bei Malaria hin. Wie es bekannt ist, stellt die Senkungsreaktion eine Erscheinung allm~hlichen Versenkens der Erythrocyten im Blutplasma dar, was bisher keine geniigende und volle Erkl~rung gefunden hat, ungeachtet der vielf~ltigen Arbeiten in betreffender Frage. Das Verhaltnis der Senkungsreaktion zu verschiedenen physiologischen und pathologischen Momenten ist vielseitigem Studium unterzogen worden, doch bleibt das Bild immerhin in vielen Einzelheiten unklar. Im ganzen lal3t sich die Senkungs- reaktion als eine sehr empfindliche und subtfl auf die allerverschiedensten Einfliisse

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei Geistesstörungen

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(Aus dem Sibirischen psychiatrischen Krankenhaus Tomsk [Direktor: N. A. Donskow].)

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei Geistesstiirungen.

Von Dr. N. P, Wolochow-Tomsk.

(Eingegangen am 8. Mtirz 1930.)

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten ist, yon zwei Forschern Fahr~ius und Plaut in die klinische Praktik fast zur gleichen Zeit und unabh~ngig voneinander, eingefiihrt worden. Fahr~ius vermerkte 1918 eine Beschleunigung der Senkungsreaktion w~hrend der Schwanger- schaft, Plaut entdeckte dasselbe Ph~nomen und stellte einige Ver- schiedenheiten der Senkungsreaktion bei einzelnen Nerven- und Geistes- erkrankungen lest. Von dieser Zeit an erk~mpft sich die Senkungsreaktion feste Biirgerrechte und beginnt immer weitere Anwendung in verschie- denen Gebieten der Medizin zu erwerben, indem sie zum Gegenstand vielseitiger Studien und Untersuchungen diente, Natiirlich l~l]t es sich nicht behaupten, da$ die Senkungsreaktion zuerst im Jahre 1918 ent- deckt worden ist ; wie es oft in solchen FAllen passiert, war die Senkungs- reaktion schon im Al ter tum bekannt und im Verlaufe yon Jahrhunder ten von einzelnen Autoren vielmals entdeckt worden, wurde jedoch sehr bald vergessen und verlor ihre Bedeutung. Die Gerechtigkeit verlangt es, wenigstens die zu Fahrdus nachststehenden Namen der Autoren zu nennen, welche die Senkungsreaktion studiert habem I m 18. Jahr- hundert kannte Hunter die Senkungsreaktion; im 19. Jahrhunder t studierten sie J. Miiller, Dawy, Nasse, Lehmann, Biernacki, Luxemburg u .a . ; nicht lange vor den Arbeiten von Fahr~ius, 1917 wies Hirz/eld auf die Geschwindigkeit der Senkungsreaktion der Ery throcy ten bei Malaria hin.

Wie es bekannt ist, stellt die Senkungsreaktion eine Erscheinung allm~hlichen Versenkens der Erythrocyten im Blutplasma dar, was bisher keine geniigende und volle Erkl~rung gefunden hat, ungeachtet der vielf~ltigen Arbeiten in betreffender Frage.

Das Verhaltnis der Senkungsreaktion zu verschiedenen physiologischen und pathologischen Momenten ist vielseitigem Studium unterzogen worden, doch bleibt das Bild immerhin in vielen Einzelheiten unklar. Im ganzen lal3t sich die Senkungs- reaktion als eine sehr empfindliche und subtfl auf die allerverschiedensten Einfliisse

390 N . P . Woloehow:

reagierende, charakterisieren. Hierin schlie6t sich die wertvolle Eigenschaft und gleiehzeitig der Mangel dieser Reaktion ffir den klinischen Gebrauch. Die Senkungs- reaktion ist eine vielf~ltige GrSBe und gibt immer viele Momente im Zustand des Organismus wieder, warum es auch schwer f~llt und kompliziert ist, die bestimmte Kolleration zwischen der Senkungsreaktion und dem einzelnen Moment im Zustand des Subjektes zu bestimmen; andererseits ist die Senkungsreaktion, dank ihrer Empfindliehkeit imstande, in einigen Fallen solehe Wirkungen, welche wenig bemerkbar und objektiv sehwer zu fangen sind, widerzuspiegeln.

Eben deshalb hat die Senkungsreaktion einerseits eine weite klinische Anwen- dung gefunden, andererseits jedoch wird ihre Bedeutung in vielen F~llen bestritten und dient sic als Gegenstand des Streites. Man kann eine Reihe ansehnlicher Autoren neunen, welehe den hohen Wert der Senkungsreaktion anerkeunen. Linzenmeyer, Rump/, L6hr, Ka/ka, Goldw'yn, Linz, Friedmann, Boye, Bengt, Balachowsky, Westergren u. a. legen der Senkungsreaktion eine gro6e Bedeutung ffir die Diagnostik und Prognose bei, vemerken eine groBe Empfindlichkeit der Senkungsreaktion in bezug auf biochemisehe Ver~nderungen im Organismus in toto. Die Senkungs- reaktion ist oft empfindlieher als die Temperaturreaktion. Ka/ka, Adler, Stryver, Horosch und Dubrowina weisen auf den Gebraueh der Senkungsreaktion als Zweck zur Kontrolle der Kur und Prognose hin. Gleichzeitig mit diesen Autoren sehen andere, im Gegenteil, in der Empfindliehkeit und Ver~nderliehkeit der Senkungs- reaktion ihren groBen Mangel und erkennen ihre begrenzte Verwendung an. Lojacono glaubt, dab die Senkungsreaktion den Allgemeinzustand des Organismus wieder- gibt, nicht eharakteristisch fiir einzelne Formen ist und nieht als Prognose dienen kann. Katz, Georg, Le//kowitsch erkennen ebenfalls die begrenzte Bedeutung der Senkungsreaktion an. Wenden wir uns zur Bedeutung und Wertbestimmung der Senkungsreaktion bei einzelnen Formen, so wird hier die Meinungsversehiedenheit noeh seh~rfer sein, worfiber wit welter spreehen werden.

Die Anwendung und Technil~ der Senkungsreaktion hat vorl~ufig aueh noch keine allgemein iibliche Form. Eine einmalige Untersuehung der Senkungsreaktion ffir genaue Beurteilung und Wertbestimmung dieser Reaktion muB als falsch angesehen werden; die physiologische Ver~nderung der Senkungsreaktion zwingt sie mehrere Male zu priifen und nur best~ndigeren und seh~rferen Abweichungen eine besondere Bedeutung beizulegen.

Einige Verfasser rieten, diese Ver~nderungen der Senkungsreaktion nach ihrer Stufe und St~rke in einer Reihe bestimmter Gradationen abzusehatzen (Friedmann u.a.). Jedoeh hat man in dieser Hinsicht keinerlei Normen festgestellt und einzelne Autoren halten sieh an selbst~ndige Meinungen bei der Wertbestimmung der Sen- kungsreaktion. Es versteht sieh, dab diese Ver~nderung der Senkungsreaktion eine unumg~ngliche Priifung gr56erer Mengen yon F~llen irgendwelcher Resultate bedingt. Die Technik der Reaktion selbst hat mehrere Modifikationen. Man muB drei fundamentale Grundlagen dieser Technik neunen. Fahrgus-Westergren boten an, die Senkung der Erythroeyten in der Einheit der Zeit zu messen. In der Modi- fikation yon Linzenmeyer wird die Senkungszeit der Erythrocyten nach der L~nge bestimmter Entfernung gemessen. Endlich, die dritte, die Capillar- oder Mikro- methode, welehe in Deutschland durch Mi~ller-Stewen und in U. d. S. S. R. durch Pantschenkow eingeffihrt worden ist. Hier berechnet man die Entfernung in Milli- metern, auf welehe die Erythrocyten im Verlaufe einer Stunde fallen. Indem wir nicht ausffihrlicher fiber die einzelnen Methoden spreehen werden, sei es gesagt, dab ihr Weft vorlaufig noch einen Gegenstand des Streites bildet. Die Methodik Pant- schenkows ist die allerpraktisehste und einfachste, aber gegen sie erhebt man die Einwendung, dab sie nut den Zustand des peripherischen Blutes wiedergibt.

Indem wir uns unserem Thema zuwenden, miissen wit bemerken, dab der Ge- brauch der Senkungsreaktion im Bereiche der Psychiatric noch keine weite Ver- breitung gefunden hat und die Bedeutung dieser Reaktion ffir die Diagnose, Pro-

Die Senkungsreaktion der Erythroeyten bei GeistesstSrungen. 891

gnose, Dffferentialdiagnose und der Kontrolle der Kur hier bei weitem noch nicht aufgeklart ist. Es mud hingewiesen werden, dab die Anwendung der Senkungs- reaktion in der psychiatrischen Praktik besondere Vorsicht und Strenge in Betreff der Verordnung der Korrelation der Senkungsreaktion und des psychisehen Zu- standes verlangt, da hier eine vollstandige AusschlieBung rein somatischer Faktoren n6tig ist, welche auf die Senkungsreaktion wirken. Resultate der Bedeutung der Senkungsreaktion mtissen bier besonders sorgfMtig begriindet sein und auf grol3em Materiale gepriift werden. Arbeiten, diese Frage betreffend, gibt es wenig, bei weitem befriedigen nicht alle Arbeiten den vorgeschriebenen Anspriiehen, in einzelnen Fragen trifft man Meinungsverschiedenheiten der Veffasser an; das die Arbeiten umfassende Material, nach Zahl der FMle, ist nicht grol3; die Senkungsreaktion ist in vielen Hinsichten noch nicht ausgenutzt, die ganze Frage in vielen Beziehungen noeh nicht gentigend studiert. Hier wollen wir uns nur mit allgemeinen Hinweisungen grSBerer Arbeiten in der betreffenden Frage begntigen, da speziellere Hinweizungen bei Er- 6rterungen unseres Materials in einzeinen nosologisehen Formen angefiihrt sein werden. Einen mehr oder weniger ausgedehnten Umfang des Themas linden wir bei solchen Veffassern, wie Plaut, GStz, Katz, Georg, Le//k~witsch, Goldw' yn, Stri~ver und Herzberger, Boye, Bengt, Siwlnslci, Benvenuti, Ka/ka, Runge, Paulian et Tomo- vici, Biischer, Wuth, Loewenberg, Obregia, Lo]acono, Tschalisow, Friedmann u. a.

Plaut entdeekte dieses Phanomen als erster und bestimmte die grundlegenden Fest- stelIungen betreff Verhaltens dieser Reaktion bei Nerven- und C-eisteserkrankungen. Er hat die Senkungsreaktion in 220 Fallen bei Mannern und in 122 Fallen bei Frauen untersucht. In den ersten Fallen (Manner) waran: 48 Falle Paral. progr., 4 Lues cerebri, 6 Tabes, 19 somatischer Lues (latens), 9 Arteriosklerosis, 7 seniler Demenz, 2 yon Alzheimerscher Krankheit, 3 Idiotie, 15 Epflepsie, 45 Dementia praeeox, 24 Melancholie, 34 Psychopathie und Hysterie; 4 Alkoholismus. Bei Frauen: 20 Fallen Paral, progr., 2 Lues eerebro-spinalis, 12 somatisehe Lues, 1 Arterioslderosis, 3 Falle yon Geistesschwaehe im Alter, 3 Idiotie, 6 Epilepsie, 34 Dementia praecox, 16 Melan- cholie, 19 Psychopathie, 3 Alkoholismus, 3 Manie. Plaut vermerkte eine scharfe Beschleunigung der Senkungsreaktion bei Paral. progr., Lues und bei altersschwaehen und arterioslderosen Formen, welehe mehrfach die Senkung der Erythrocyten bei anderen Formen, iibertraf. Bei Frauen fand dieser Veffasser eine labile Sedimen- tierung und iiberhaupt eine grSl3ere Besehleunigung der Reaktion im Vergleieh zu der Senkungsreaktion bei Mannern. Der Besehleunigung der Senkungsreaktion legt Plaut ein pathologisches Zeiehen bei.

G6tz untersuchte nach der Methode Westergrens 74 Falle und vermerkte eine sehnellere Reaktion bei Paral. progr, und Parkinsonismus. Katz, (Teorg und Le//ko- witsch konnten keine besonders wiehtige Bedeutung der Senkungsreaktion bei Nerven- und GeistesstSrungen feststellen, obgleich sie auch einige Verandertmgen der Reaktion bei verschiedenen nosologischen Formen vermerkten. Goldw'yn legt der Senkungsreaktion eine grol3e Bedeutung bei und stellt, auf einem Material yon 228 Fallen, eine sehr wiehtige Lage einer feinen Wiederspiegelung der Sehwankung dieser Reaktion im Atlgemeinzustand des Organismus lest, so dal3 man die Senkungs- reaktion als Zeiger der Intoxikationsstufe oder der GrSl3e des organischen Prozesses zahlen kann. Stri]ver und S. Herzberger fiihren Material in 189 Fallen an und geben Prozentmessungen der Reaktionsver~nderungen bei Sehizophrenie und Oligophrenie. Boye und Bengt fiihrten Untersuehungen in 138 Fallen naeh Westergren dureh, er- hielten den Prozentsatz der Ver~nderung der Senkungsreaktion bei Alkoholformen und stellten die wichtige Bedeutung der Reaktion als Veranderungsanzeiger im Zustand eines Kranken im Verlaufe der Krankheit lest. Siwin~ki untersuehte die Senkungsreaktion bei vielen Formen und land Reaktionsveranderungen bei einigen Krankheiten. Benvenuti fiihrte 133 Fi~lle mit verschiedener Diagnose dureh, stellte Veranderungen der Senkungsreaktion bei einigen Formen lest und unter- strieh die differentialdiagnostische Bedeutung fiir Paral. progr. Obregia et Tomovici

892 N. I ). Wolochow:

fiihren Material in 150 Fallen an, vermerken Reaktionsver~nderung bei Infek- tionsformen. Lo]acono untersuchte 240 F~lle nach JLinzenmeier; dieser Verfasser vermerkt einen grol~en Mangel an Stabiliti~t der Senkungsreaktion, Abhi~ngigkeit vom Allgemeinzustand des Organismus, was sie fiir einzelne Formen nicht charakte- ristisch macht, und was ihr die Bedeutung fiir Prognosestellung entzieht. Ka/ka legt der Senkungsreaktion im Gegenteil eine sehr gro~e Bedeutung bei, als Bestim- mung fiir Permeabilit~t, Prognose und einer Kontrolle der Kur bei Epilepsie, Schizophrenie und Paral. progr. Eine ganze Reihe yon Verfassern, welche oben genannt worden sind, berichtet fiber eine bestimmte Geschwindigkeitslage der Senkungsreaktion bei luetischen und organisehen Formen. Von russischen Autoren stellte Tschalisow sogar bei einzelnen Formen ein ganzes Gradationsschnelligkeits~ system, der Senkungsreaktion lest, was jedoch nieht als normal angesehen werden kann, da das Material des Verfassers sp~rlieh ist, in Wirklichkeit keine so strenge Gradation vorhanden ist, die Untersuchungen Tschalisows waren einmalige und fingen die Undulation der Reaktion im Laufe ein- und derselben Krankheit nicht auf. Die Arbeit Friedmanns (nach der Methode Linzez~meiers) bleibt yon russisehen Autoren vorlaufig die umfangreiehste dem Material naeh und die tiefste nach der Bearbeitung des Themas, sie bertihrt aber hauptsi~chlich rein nerv0se Erkrankungen. Friedmann land eine normale Gr6~e der Senkungsreaktion in 207 Fallen funk- tioneller Erkrankungen und in einer Reihe mit diesem bemerkte er diese oder jene Reaktionsveri~nderungen in 16 F~,llen yon Epilepsie, unbedeutende Schwankungen bei peripherischen Erkrankungen bei 45 Kranken, bedeutende Reaktionsgesehwindig- keit in 123 Fallen yon 2~eurolues; unbestimmte Reaktionsveri~nderungen in 8 Fallen yon Syringomyelie, 24 Fi~lle Sclerosis multiplex, 6 F~lle Sclerosis later, amyotroph,, 60 F~lle yon vascul6sen Affektionen des ZentralnerVensystems. Bei postencepha- litischem Parkinsonismus konnte dieser Autor in 34 Fallen eine allm~hlich6 Ver- zSgerung der Senkungsreaktion wahrend des Krankheitsverlaufes, nach scharfer Beschleunigung im Anfangsstadium bemerken, was diese Form v0n Parkinsonismus yon derjenigen der Parkinson verum unterscheidet, welcher immer eine Reaktions- beschleunigung gibt (6 Falle); mehrere F~lle yon Hyperkynesen gaben charakte- ristische Verz6gerungen der Senkungsreaktion. Friedmann gibt eine hohe Wert- bestimmung der Senkungsreaktion, als empfindlichen Indicator biochemischer Ver~nderungen des Organismus in toto, als differentialdiagnostisches Merkmal funktionaler und organischer Formen, besonders bei Neurolues und als Vorweiser des Ver~nderungszustandes des Kranken im Laufe der Krankheit, was der Reaktion auch eine prognostische Bedeutung beilegt.

I n d e m wir h i e rmi t e inen k u r z e n U b e r b l i e k der L i t e r a t u r in be t r e f f ende r F r a g e beenden , k6nnen wir nu r d a s f r i ihe r Gesag te fiber die ungen i igende u n d u n v o l l k o m m e n e B e a r b e i t u n g de r F r a g e der S e n k u n g s r e a k t i o n be i N e r v e n - und G e i s t e s e r k r a n k u n g e n bes t~ t igen ; was die U n u m g ~ n g l i c h k e i t e iner mehr sy s t ema t i s ehen u n d e r w e i t e r t e n F o r s c h u n g e r forder t . I n die A u g e n f~llt h ier eine grSBere B e a r b e i t u n g de r F rage , in Bet re f f v o n N e r v e n s t 6 r u n g e n u n d die Ger ingf i ig igke i t re in p s y c h i a t r i s c h e n Mater ia l s .

Al les oben Beschr iebene d i e n t e uns als G r u n d l a g e zur U n t e r s u c h u n g des S e n k u n g s r e a k t i o n bei Ge i s t e sk r anken , welche nach MSgl ichke i t e ine b e d e u t e n d e Zahl yon F~l len f u n d a m e n t a l e r nosologischer F o r m e n u m f i n g u n d zur v ie lse i t igen B e l e u c h t u n g der F r a g e der B e s t i m m u n g dieser R e a k t i o n fiir Diagnos t ik , B e g r i i n d u n g u n d K o n t r o l l e ve r sch iedene r t h e m - pe u t i s che r Me thoden bei G e i s t e s s t 6 r u n g e n s t r eb te . W i r b e n u t z t e n Pant- schenkows Methode als eine m e h r p r a k t i s e h e u n d b e q u e m e u n d d ie er-

Die Senkungsreaktion der Ery~hrocyten bei GeistesstSrungen. 893

haltenen Resul ta te er lauben diese Methodik als geniigend zuverlgssig und normal anzuerkennen. I m ganzen sind 700 F~lle untersucht worden, wobei immer die Regel einer doppelten Untersuchung, die Ausschlieflung somatischer Faktoren, die EinfSrmigkeit der Untersuchungsbedingungen (Tageszeit u. a.), die groBen Mengen des" Materials in einzelnen Formen beobachtet wurden. Wie es sich in der Prozedur der A r b e i t und im Einklang mi t l i terarischen Hinweisungen offenbarte, zeigte sich die Senkungsreaktion unbests abhgngig yon den Gange der Krankhe i t und wurde yon uns d ieser Reaktionsbeweglichkeit besondere Aufmerk- samkeit geschenkt. Wi t bemiihten uns, in der Senkungsreaktion einen yon den Stf i tzpunkten ffir die Begrfindung und Kontrol le dieser oder jener therapeut ischen Methoden zu finden, wozu eine s y s t e m a t i s c h e Untersuchung der Senkungsreaktion wiihrend des Heilungsprozesses und in der folgenden Periode mit einer Vergleichung der Reaktions- vergnderung und des Krankhei tszustandes durchgefiihrt worden ist. Auf diesem Wege ist yon uns der Wert verschiedener therapeut ischer Methoden geprfift worden: spezifische antiluetische Behandlung, Malaria- behandlung, Schwefeltherapie, Autoh~motherapie, Organotherapie und andere. In Hinsicht der Wirkung luetiseher Infekt ion auf die Senkungs- reaktion wurde bei allen Kranken eine Untersuchung mi t Wassermann 's Reakt ion wie im Blur, so auch im Liquor vollbracht. Die Reinheit des Materials im Sinne vollstgndiger Ausschliei3ung somatischer Wirkungen konnte natfirlich nieht eine ideale Alleinherrschaft erringen, da in einigen Fgllen diese somatischen Erkrankungen - - Tuberkulose, Lues - - sich in solch einem Grade im klinischen Bride bargen, dad sie sich nur spi~ter offenbarten, zuweilen durch Autopsie best~tigt wurden. Deshalb waren yon uns alle, in diesem Sinne verdgchtigen F~lle aus der Bearbei tung ausgesehlossen. Die psyehiatrische Diagnostik war in vielen Fallen durch Autopsie geprfift worden.

Nun gehen wir zur Auslegung unseres Materials in einzelne Krank- heitsgruppen und nosologisehe Formen fiber, indem wir zugleich die entsprechende Li te ra tu r anffihren.

Der aufgestellten Methodik gem~B wird die WertgrSi~e der Senkungs- reaktion yon uns in einer weiteren Darstellung in folgender Form dar- gestellt.

Normal -- 5-- 8 mm in der Stunde; geringe Senkung: 8--15ram in der Stunde; mittlere Senkung: 15---30 mm in der Stunde; iibermittlere Senkung: 30--40 mm in der Stunde; ausgesprochene Senkung: 40--50 mm in der Stiunde; scharf ausgeprggte Senkung: 50--60ram in der Stunde; sehr scharf ausgepr~gte Senkung: 60 mm und mehr. Technischer Einfachhei t wegen kSnnen wit die Gradat ion der Sen,

kungsreaktion stufenweise anfiihren: geringe Senkung - - 1. Stufe der Beschleunigung; mit t lere Senkung - - 2. Stufe usw.

394 N.P. Wolochow:

Nach nosologischen Formcn wird unser Material so eingeteilt: Psy- chosis nach der Geburt 1 Fall; Psychosis malarica 1 Fall; Atetose 1 Fall; Chorea 2 Fs Encephalitis epidemica 20 Falle; Encephalitis post- typhosa 2 F~tlle; Sclerosis multiplex 1 Fall; Lues cerebri 20 F~lle; Para- lysis progressiva 50 F~lle; Tabo paralysis 10 F~lle; Neurosis traumatica 3 F~lle; Porencephalia 1 Fall; Pseudosklerosis 1 Fall; Alkoholzerriit- tungen 25 F~lle; Narcomania 10 F~lle; Psychosis involutionis 1 Fall; Psychosis des Greisenalters 10 F~lle; Psychosis praesenilis 5 F~lle; Arteriosclerosis cerebri 3 F~lle; Epflepsia l l0 F~lle; Schizophrenie 280 F~lle; Psychosis maniaco-depressiva 16 F~lle; Paraphrenia 7 F~lle; induzierter Irrsinn 1 Fall; Psychosisreaktiva 4 Fs degenerative ttysterie 17 F~lle; Psychopathia luetica 12 F~lle; Psychopathia 9 Fi~lle; Psyehasthenia 1 Fall; Neuropathia 2 F~lle; Taubstummheit 2 F~lle; Oligophrenia 60 Fitlle; Paralysis infantflis 10 F~lle; Ataxia Friedreich 2 F~lle.

Sehen wir uns das Material nach nosologischen Gruppen an.

1. Die diagnostische Bedeutung der Senkungsreaktion. 1. Symptomatische Psychosen.

Aus dieser Gruppe begegnete uns nur ein Fall yon Psychosis nach der Geburt, welcher am Anfang eine normale Senkung, im weiteren Verlauf und in der Genesungsperiode die 2. Stufe der Beschleunigung und amEnde wieder normale Senkung gab. Hier bewies sich die Senkungs- reaktion als feiner Wegweiser des Krankheitsprozesses.

2. In/ektionspsychosen.

Aus dieser Gruppe untersuchten wir einen Fall Psychosis malarica, welcher in akuter Periode die 2. Stufe der Beschleunigung der Senkungs- reaktion und eine allmi~hliche Ausgleichurig bis zur Norm gab. Unsere Angaben stimmen mit denen yon (Benvenuti, Obregia et Tomovici) iiberein, welche die Beschleunigung der Reaktion bei Infektionen an- merkten.

3. Psychosen bei chronischen In/ektionen. Wir untersuchten die Senkungsreaktion in 3 Fallen yon posttyphSser

Encephalitis, welche das Bfld yon Athetosis und Chorea gaben. In allen Fallen gab die Senkungsreaktion ldeine Zahlen (2--6 mm), wie es auch Friedmann angemerkt hat. Encephalitis epidemica gab ein buntes Bild, was der Vielfaltigkeit und Unbestandigkeit des Zustandes im Verlaufe dieser Krankheit entspricht. Wie Friedmann, so haben auch wit eine geringe Beschleunigung und sogar eine Verz6gerung in chronischen, verspateten Stadien bei ausgesprochenem Parkinsonismus oder psychi- scher Degeneration beobachtet. In einzelnen F~llen begegnete man

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei GeistesstSrungen. 895

der 2., 3. und sogar der 5. Beschleunigungsstufe. Hier diorite die Sen- kungsreakt ion als Weiser der Intensit~t und hauptss der Sch~rfe des Prozesses. I n 2 F~llen post typh6ser Encephalitis gab die Senkungs- reaktion die N o r m und die 2. Beschleunigungsstufe, was dem Bflde bei Encephalitis epidemica entspricht.

In einem Falle von Sclerosis disseminata gab die Senkungsreaktion die 1. Beschleunigungsstufe. Wie es scheint, ist hier die Reakt ion sehr ver~nderlich, abh~ngig vom Zustand des Kranken.

Bei Lues cerebri erhielten wir verschiedene Angaben, abh~ngig von der Schwere des Prozesses, der Behandlung u. a. Als die a m meisten charakterist ische kann man die 2. Beschleunigungsstufe nennen (13 F~lle aus 20), selten die 1. und nur in einem, sehr schweren Falle, begegnete man der 3. Stufe; geheflte F~lle gaben die Norm. Analogische An- gaben finden wir bei anderen Verfassern (Friedmann, Runge, Biischer, Siwinski u. a.).

4. Paralysis progressiva.

Es sind 50 Fiflle yon Paralysis progressiva untersucht worden, wobei der Form, dem Stadium, der durchgefiihrten Behandlung und anderem, Aufmerksamkei t gewidmet ward. Es sind verschiedene An- gaben, yon diesen Momenten abh~ngig, erhalten worden. I m Anfangs- stadium, bei gu ta r t igem Verlaufe und nach der Behandlung in stat ion~rem Zustande, konnte m a n in einzelnen F~llen eine verz6gerte und normale Senkungsreaktion vermerken, auch traf man die 1. Beschleunigungsstufe an. Bei Paralysis progressiva mi t kata tonischem Syndrom, hielt sich hartn~ckig eine VerzSgerung der Reaktion, nachher jedoch bei Sehw~che- entwicklung die 1. Besch]eunigungsstufe. Bei depressiver und agitierter Form, auch im Stad ium yon Irrsinn demente Form, war haupts~chlich die 2. Beschleunigungsstufe vermerkt . Bei dementem Stadium dementer Form, begegnete man haupts~chlich der 2., 3. und 4. Beschleunigungsstufe, Eine Beschleunigung der 5. und 6. Stufe wies schon auf das nahe Ende des Kranken und auf den schweren Zustand hin. Bei expansiver Form t raf man eine Beschleunigung der 3. Stufe an.

Tabo-paralysis gab ein vollstiindig analoges Bfld, ebenso von den Momenten abh~ngig, wie bei reiner Paralysis progressiva.

Auf diese Weise dient die Senkungsreaktion bei Paralysis progressiva als Weiser der Schwere des Prozesses, und tr iff t man hier schon eine bedeutendere Senkungsbeschleunigung an, was zur Differentialdia- gnostik fiir Lues cerebri und Paralysis progressiva dienen kann.

Unsere Angaben fallen zum Tell mit denjenigen anderer Verfasser zusammen, welche gewShnlich eine grol]e Senkungsgeschwindigkeit be- merkten, eine grS~ere als bei Lues cerebri; die Ver~nderlichkeit der Reaktion, abh~ngig yon der Schwere des Prozesses, die MSglichkeit einer VerzSgerung und die Norm der Senkung wird jedoch nur bei Adler vermerkt .

896 N .P . Wolochow:

5. Traumatische und endogene Erkrankungen des Gehirns.

Aus dieser Gruppe waren 3 F~lle Neurosis t raumat ica untersucht, bei welcher die Senkungsreaktion vermindert erschien, in einem Falle jedoch ein wenig beschleunigt. Solche Angaben st immen mit literarischen Hindeutungen fiberein.

Weiter begegneten wir einem Falle yon Porencephalia, welcher eine Senkungsbeschleunigung der 2. Stufe gab, und einem Falle yon Pseudo- sklerosis, in welchem die Senkungsreaktion normal war.

6. Intoxikationen. Es sind 25 F~lle verschiedener Zerrfi t tungen alkoholischen Ursprungs

untersucht worden. GewShnlich war die Senkungsreaktion bei chroni- schem-Alkoholismus normal; bedeutend seltener und vorwiegend in akutem Zustande bei Hallucynosis und Delirium tremens, gab die Sen- kungsreaktion Beschleunigung 6fter der 1., selten der 2. Stufe. Die Besserung des Krankheitszustandes wurde stets durch eine Verz6gerung der Reaktion bis zur Norm begleitet, welche sehon in kurzer Zeit erfolgte.

Narkomanien gaben ein analoges Bild. In akutem Zustande und in schweren F~llen war die Senkungsreaktion eine beschleunigte, sogar bis zur 2. Stufe (Heroinismus, Morphinismus). In leichteren F~llen, sogar im akuten Zustande war die Senkungsreaktion normal. Je nach der He ihng verlangsamte sich die Reakt ion (in F~llen mit Beschleuni- gung im Anfang).

Unsere Angaben treffen mit t t inweisungen anderer Autoren zu- sammen, wie: Boye, Bengt, Katz, Georg, Le//kowitz, Suchow, Benvenuti.

7. Psychosen im Alter zuriickgehender Entwicklung. Im Falle einer Psychosis involutionis zeigte sich die Senkungsreaktion

an der normalen Grenze. In F~llen yon Arteriosclerosis cerebri erhielten wit eine bedeutende

Beschleunigung der Reaktion bis zur 4. Stufe. Psychosis praesenilis gab ebenfaUs eine Beschleunigung, 6fter der 2., seltener der 1. und 3. Stufe.

Unsere Angaben stimmen mit den Beobachtungen einiger Verfasser, wie: Boye, Bencfl, Plaut, Runge, obgleich es auch entgegengesetzte Beobachtungen gibt.

8. Epilepsie.

Wir untersuchten eine gro~e Anzahl (110) Epileptiker, wobei ein Tell der F~lle (40) parasyphflitischer Na tu r waren (nach Fournier). Bei Epileptikern ohne Syphilis gab die Senkungsreaktion in 50~ die Norm, in 250/0 der F~lle die 1. Beschleunigungsstufe und in 250/0 der F~lle die 2. Stufe.

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei Geistesst0rungen. B97

Bei parasyphilitischer Epriepsie erhielt man ein analoges Bfld. Die Senkungsreaktion erwies sich als feines Reagens auf solche

Verscharfungen der Zustande, wie ~'~quivalent, Anfalle, Status epilepticus. Man kann es als Bedingung in allen diesen Zustanden der Senkungs- beschleunigung ansehen, zuwerien bis zur 3. und 4. Stufe, in einzelnen Fallen jedoch ver~nderte sich die Reaktion nicht, sie verzSgerte sogar, was sich, wie Siewinski anbietet, durch Cyanose der Extremitaten erklaren laBt. Unseren Beobachtungen nach ist die Senkungsbeschleuni- gung eine zeitweriige und der ][ntensitat naeh eine unbesti~ndige Erschei- nung. Wie es scheint verandert der Aquivalent die Senkung weniger als die Anfalle.

In betreff der Frage der Senkungsreaktion bei Epriepsia und ihre Ver&nderung wahrend des Anfalles, trifft man in der Literatur verschie- dene Aussagen an. Vorherrschend ist die Meinung (Friedmann, Ben- venuti, G6tz, Wuth u. a.) einer normalen Senkungsreaktion bei Epriepsia und ihre Beschleunigung wahrend der Anfalle.

~)ieser Meinung widerspricht Ptochow, welcher die Senkungsreaktion nach Linzenmeier untersucht hat. Ka/ka halt die Veranderung der Senkungsreaktion wahrend der Anfalle nicht ftir obligatorisch.

9. Schizophrenia. Wit haben ein umfangreiches Material, 280 Falle yon Schizophrenia,

untersucht, yon ihnen sind 80 Falle luetischer Form (mit entsprechenden serologischen und neurologischen Angaben). Die F~ille sind soviel als mSglich yon verschiedener Form, in verschiedenen Erkrankungsstadien, im Ausgangsstadium, in der Rimesseperiode u. a. genommen worden. Die auBerste Mannigfaltigkeit des klinischen Brides in gegebener Erkrankung, die Kompliziertheit der Atiologie, der Pathogenesis, die Eigenheiten des Verlaufs in einzelnen Fallen, alles dies land einen Widerschein in der Lage der Senkungsreaktion bei dieser Erkrankung. Bei keiner anderen Psychose offenbarte die Senkungsreaktion solch eine Variation und solch einen Mangel an Stabilitat, wie bei Schizophrenia. Ungeachtet eines umfangreichen Materials fiel es sehr schwer, feste und bestimmte Rosul- tare zu konstruieren und oinige normale Ziffern festzustellen, welche die Lage der Senkungsreaktion bei Schizophrenia ausdriickten, Wenn wir immerhin untenstehend einige GrSBen der Senkungsreaktion an- fiihren, mehr bestandige und charakteristischo fiir die eine oder andere Form odor Stadien der Schizophrenic, so miissen diese Resultate als relativ abgeseh~tzt werden, indem man mit der oben angegebenen Variation und dem Mangel an Stabilit~t der Senkungsreaktion bei dieser Psychose rechnen muB: Man hat stets noch mit einem patho- logischen Faktor zu reehnen, welcher oft die Schizophrenia begleitet - - die Tuberkulose, welcher, indem er l~l~uisch wenig bemerkbar ist, seine Wirkung auf die Senkungsreaktion ~ul3ern kann.

398 N . P . Wolochow:

I n d e m wit diese vorliiufigen Erl~uterungen gemacht haben, legen wir unsere Beobachtungen, vor allem in bezug auf katatonische und paranoische Form, in solcher Zusammensetzung vor :

Tabelle 1. Katatonische Form.

Nichtluetische Scharfe ] Remission I Chronisehe

lil 131Nr. '12131Nr. 111213 I . Luetische

Scharfe ] Chronische

26 38 24 12 15 15 70 - - 35 25 25 1 5 [ - - 55 30 15 25 30 30 15

Tabelle 2. Paranoische Form.

Nichtluetisehe Seharfe ] Remission I Chronische

r-1112131 r.li12131Nr. lil 13

I Luetisehe _ Scharfe I Remission I Chronische

INr. ll 1 131 r.11t 13 INr.!l I 2 I

35 30 30 5 -- 25 50 25 35 30 28 7] 40 20 30 10 -- - - 50 50 43 25 32 m

Das 5ftere Vorkommen der einen oder anderen Lage der Senkungsreaktion Nr. l, 2, 3 der Beschleunigungsstufe) is~ in Prozenten ausgedriickt.

Aus angefiihrter Tabelle ersieht man, dab die Senkungsre~ktion haupts~chlich die Progredienz und Akt iv i t~t des Prozesses widerspiegelt ; eine Normalsenkung l~Bt sich 5fter im Anfangs- und besonders im Ausgangsstadiumvermerken, die Remission wird yon einer Beschleunigung der Reakt ion begleitet, welche, bei Genesung odor in einem Toil der F~lle, beim ~bergang in Schwachsinn, durch VerzSgerung bis zur Norm abgelSst wird.

Ein scharfer Unterschied zwischen der kata tonischen und der para- noiden Form in bezug auf die Senkungsreakt ion l ~ t sich nicht machen.

Die nichtluetische und luetische Fo rm der Ka ta ton ia gabon einen Unterschied: bei luetischer Form, wie im akuten, so auch im chronischen Stadium, zeigte sich die Reakt ion beschleunigter, als bei nichtluetischer Form, luetische Ka ta ton ia gab im akuten Zus tand gar keine Normal- re~ktion. Die Beziehungen zwischen luetischer und nichtluetischer, paranoischer Form sind verwickelter und weniger klar, man kann zugeben, da~ die nichtluetische Form eine grSl3ere Senkungsbeschleunigung gibt.

Eine geringe Zahl yon F~llen anderer Schizophreniaformen gaben solche Resultate: die nichtluetische Hebephrenia im akuten Zustand gab eine Beschleunigung der 1. und 2. Stufe, in chronischem Zustand - - die Norm odor Beschleunigung der 1. Stufe, die einfache Form bei chronischem Verlauf - - die Norm; die cyclische Form gab gewShnlich

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei GeistesstSrungen. 899

die Norm und nur selten eine Beschleunigung der 1. und 2. Stufe. Die luetische Hebephrenia im akuten Zustand, besonders im Anfang des Prozesses, gab in der H~lfte der Fi~]]e die Norm, in der H~lfte der F~lle Beschleunigung der 2. Stufe. Die einfachc luetische Form gab wie Norm, so auch Beschleunigung.

Die Literatur der Senkungsreaktion bei Schizophrenia gibt sich widersprechende Hinweisungen und die gegebene Frage erscheint un- bestimmt und unklar; bis hierher ist keine systematische und vertiefte Untersuchung des reichlichen Materials in diescr Frage durchgefiihrt worden. Man kann auf unzus.ammenh~tngende Meinungen einzelner Verfasser in betreff dieser Frage hinweisen. G6tz, Wuth fanden 5fter die Norm, Stri]ver und Herzberger eine VerzSgerung in 11~ und die Norm in 51~ Benvenuti vermerktc einc VerzSgerung im Anfang einer Schizophrenia, Goldwyn beobachtete die Norm bei paranoischer und einfacher Form yon Schizophrenia. Mis weist ~uf eine kleine Senkungs- beschleunigung im Ausgangsstadium hin; Runge, L6wenberg weisen auf eine Senkungsbeschleunigung bei Schizophrenia hin. Katz, Georg, Le]/- kowitz fanden eine Beschleunigung bei katatonischer und organischer Form, Benvenuti bei katatonischcn Ausgangsstadien, Goldwyn vermerkte eine Beschleunigung bei Katatonie und Hebephrenia, Stryver und Herz- berger beobachteten eine Beschleunigung in 31~ der F&lle bei Dementia paran. Siwinslci land eine Beschleunigung bei Katatonia.

Solch eine unbestimmte Lage diescr Frage erkl~rt sich durch jene Berechnungen, welche wir am Anfang auf Grund der eigentlichen Natur gegebener Erkrankung anfiihrten.

10. Psychosis maniaco-depressiva. Bei Psychosis maniaco-depressiva traf man in der H/flfte der F/ille

eine Beschleunigung der 1. und in einem Drittel der 2. Stufe an, eine normale Reaktion, wie auch eine Beschleunigung dcr 3. Stufe sind in einem Falle vermerkt. Ein besonderer Unterschied zwischen Manie und Melancholie ist nicht beobachtet worden. Die Beobachtungen in gegebener Frage sind nicht zahlreich und widersprechen sich. G6tz, Goldwyn vermerkten die Norm, Benvenuti land eine Beschleunigung bei Manie, eine VerzSgerung bei Melancholie, Siwinski deutet auf eine Beschleunigung bei Manie hin, Wuth vermerkte die Norm bei Melancholie. Katz, Georg, Le/]kowitz sehen die Ver/inderung der Senkungsreaktion als eine unbest/~ndige an.

11. Paraphrenia. Bei Paraphrenia traf man gewShnlich die Norm, in einem Drittel

der F/ille vermerkte man jedoch eine Beschleunigung der 2. Stufe, in einem Falle aber (mit luetischer _~tiologie) sogar eine Beschleunigung der 4. Stufe.

400 ST. P. Wolochow:

In der Li teratur gibt es nur einen Hinweis von Goldwyn, der eine normale Reaktion bei Paraphrenia beobaehtet hat.

12. Psychogene Realction.

Die degenerative t tysterie gab nur in 250/0 der Fitlle die Norm, in der H~lfte der F~lle war eine Beschleunigung der 1. Stufe vermerkt , es t raf sich auch eine gr61~ere Beschleunigung. In scharfem psyehotischen Zustand mit Anfs gab die Senkungsreaktion eine Beschleunigung der 2. Stufe. Ein Fall yon induzierter GeistesstSrung gab eine Be- schleunigung der 1. Stufe, reaktive Psychose gab die Norm und Be- schleunigung der 1. Stufe.

Unsere Beobachtungen st immen nicht ganz mit den gew6hrdiehen Hinweisungen der Autoren, in Betreff einer normalen Senkungsreaktion bei Hysterie und Psyehoneurosen, hier mul3 man jedoch mit einer be- deutenden Degeneration unserer Kranken reehnen, welehe womSglich mit Lues verbunden sein kann, was auch eine geniigende Erkl~rung fiir eine beschleunigte Senkung gibt.

13. Grenzstadien.

Bei Neuropathie und Psychasthenie t rafen wir eine normale Reaktion. Bei Psychopathie fanden wir in 2/a der F~lle die Norm und in 1/3 eine

Besehleunigung der 1. Stufe. Bei luetischer Psychopathie wurde die normale Reaktion fast gar nicht

angetroffen, eine Beschleunigung der 1. Stufe war fast in der Hi~lfte der F~lle vermerkt, oft land man eine Beschleunigung der 2. Stufe. In F~llen yon Taubstummheit t raf man die Norm und eine Beschleunigung der 2. Stufe.

In der Li teratur weist man gewShnlich auf eine Normalsenkungsreak- t ion bei gegebenen Zusts hin, eine spezielle Untersuchung der Psyehopathie in dieser Hinsieht ist aber nieht gemacht worden. Man kann es zugeben, dab die Reaktionsvergnderung sich durch die Schwere des Zustandes in einzelnen F~llen erklgren lgl~t.

14~ Oligophrenia.

Wir unterschieden die luetische Oligophrenia und FgUe anderer Abstammung; es sind yon den ersten 30 ~ l l e untersucht worden.

Die nichtluetische Oligophrenia gab nach Formen folgende Resultate : Debflitas zeigte normale Senkung, Imbecillitas gab in der Hiilfte der Falle Beschleunigung der 1. Stufe, in 1/a Beschleunigung der 2. Stufe, in den fibrigen Fgllen Beschleunigung der 3. Stufe; Idiotismus gab in U/a Beschleunigung der 2. Stufe und in 1/a der 1. Stufe.

Bei luetischer Oligophrenia t rafen wir auf solche Veriinderungen der Senkungsreaktion: Debflitas gab Beschleunigung der 2. Stufe,

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei GeistesstSrungen. 401

Imbecfllitas Besehleunigung der 1. und 2. Stufe (zu je einer Hglfte der F~lle), Idiotismus gab Beschleunigung der 2. Stufe in 2/a der Fglle, in dem iibrigen Tefle der F/~lle beobachtete man Besehleunigung der 1. und 3. Stufe. Hier muB der Unterschied in der Senkungsreaktion bei luetischer und niehtluetischer Oligophrenia vermerkt werden, wie auch die Analogie der Schwere der Erkrankungen und der Vergnderungen der Senkungsreaktion.

In der Literatur gibt es keine spezieUen und umfangreichen Unter- suchungen in betreffender Frage. Tschalisow fand eine bedeutende Beschleunigung der Reaktion bei Oligophrenia. Stri]ver und Herzberger fanden in 690/0 die Norm, in 2~ Verz6gerung und in 200/0 Besehleunigung. Siwinski, Boye, Bengt, Benvenuti vermerkten eine Beschleunigung.

15. Nervenerkrankungen.

Hierher stellen wir Paralysis infantilis mit psychischen Symptomen und Ataxie Friedreich, ebenfalls mit psyehischen Erscheinungen.

Bei Paralysis infantilis traf man die normale Reaktion in 200/0, Beschleunigung der 1. Stufe in 600/0 und der 2. Stufe in 200/0 . Die lue- tische Form gab gar keinen Unterschied.

Literatur, diese Frage betreffend, haben wir nieht angetroffen. Die Ataxie Friedreich gab eine Beschleunigung der 1. und 2. Stufe. Indem wir hiermit die Erl/~uterung des Materials, die Frage der

diagnostischen Anwendung der Senkungsreaktion betreffend, beenden, miissen wir vor allen Dingen auf ein Resultat unserer Angaben hinweisen; dieses ist, dab die Senkungsreaktion als feinfiihlender Weiser des bio- chemischen Zustandes des Organismus im allgemeinen erscheint, nicht aber als irgendein bestimmtes Kennzeichen dieser oder jener Erkrankung; bei ein- und derselben Krankheit, trafen wir versehiedene Lagen der Senkungsreaktion, abh/~ngig yon biochemischen Ver~nderungen im Orga- nismus. Mit dieser Variabilit/~t und Labilit/~t der Senkungsreaktion mtissen wir in erster Linie bei diagnostischer Wertbestimmung rechnen. Immerhin haben wir gesehen, dab fiir einige Erkrankungsgruppen und einzelne Formen die eine oder die andere Reaktionssenkungslage als eine am meisten best/~ndige und charakteristische berechnet werden kann, was der Reaktion eine bestimmte diagnostische und differentialdiagnosti- sche Bedeutung hinzuf/igt. So lgflt sich, als charakteristisch fiir In- fektionspsychosen in akutem Zustand, eine bedoutende Besehleunigung der Senkungsreaktion, eine geringere bei Lues cerebri und eine gr6Bere bei Paralysis progressiva bereehnen, was zur Differentialdiagnose dienen kann; bei Intoxikationen ist am charakteristisehen entweder eine normale Lage der Reaktion oder eine gewisse Beschleunigung in akutem Stadium; fiir Psyehosen des Alters zuriickgehender Entwicklung muB man, als am meisten charakteristisch, eine bedeutende Beschleunigung der

Z. f. d. g . N e u r . u. P s y c h . 127. 26

40"2 N.P. Wolochow:

Senkungsreaktion (der 2. Stufe und mehr) anerkennen; bei Epilepsia kann man, als die best/indigste, die Normalreaktion oder eine kleine Beschleunigung vermerken; hierbei ist die Beschleunigung der Reaktion ein differentiales und charakteristisches Anzeichen yon epileptischem Aquivalents und besonders von Anfallszustanden; bei Schizophrenia ist die Senkungsreaktion gr6Btcntefls unbest/~ndig, jedoch auch hier vermerkten wir diesen oder jenen Zustand der Reaktion bei einer be- stimmten Form oder einem bestimmten Stadium des Prozesses; fiir Psychosis maniaco-depressiva muB man als charakteristisch eine Be- schleunigung der 1. und zum Teil der 2. Stufe anerkennen; Paraphrenia gibt gewShnlich die Norm, Psychoneurosen, bei namhafter konstitu- tioneller ~berladung, haben eine beschleunigte Reaktion, geben aber gew6hnlich die Norm, fiir Neuropathien, Psychasthenia und Psycho- pathien nicht luetischer Herkunft, k6nnen wir als die am meisten be- st/~ndige die normale Reaktion rechnen, bei luetischer Psychopathia ist jedoch eine Beschleunigung der 1. und 2. Stufe charakteristisch, das als Differentialdiagnose dienen kann; die Senkungsreaktion bei Oligophrenia ist sehr charakteristisch; der luetischen Form ist eine nam- hafte Beschleunigung, analogisch der Schwere der Affektion, eigen, nichtluetische Debflitas gibt die Norm, Imbecfllitas und Idiotismus geben ebenfalls eine bedeutende Beschleunigung; endlich, charakteri- sieren sich haupts/~chlich durch Beschleunigung der 1. Stufe Paralysis infantflis und die Ataxie Friedrcich.

Die angefiihrten Daten skizzieren den diagnostischen Wcrt der Senkungsreaktion bei GeistesstSrungen, sie erlauben diese Reaktion als einen der Stfitzpunkte fiir Diagnostik und Differentialdiagnostik bei Psychosen zu gebrauchen.

2. Die Kontrollbedeutung der Senkungsreaktion bei Psychosenbehandlung.

Auf die feinen Ver/~nderungen der Biochemie des kranken Organismus feinfiihlig widerhallend, reagiert die Senkungsrcaktion, wie es sich von selbst versteht, auch auf therapeutische Gegenwirkungen verschiedener Natur, welche Vers zur Besserung oder Verschlechterung des Krankheitszustandes nach sich ziehen. Dieser Umstand gibt uns die M6glichkeit, die Senkungsreaktion als Qualit/~t ffir Kontrollmethode bei der Therapie yon Geisteserkrankungen zu benutzen.

Ahnliche Anwendung der Senkungsrcaktion finden wir nur bei Adler, welcher bei Paralysis progressiva auf solchem Wege eine Kontrolle der Malariabehandlung durchfiihrte und bemerkte, dab die normale Reaktion bis zur Behandlung als guter Vorweiser einer erfolgreichen Behandlung dient. Horosch und Dubrowina fiihrten interessante Beob- achtungen der SenkungsreaktionsverKnderung, w/~hrend der Physio- therapie bei Nervenerkrankungen durch, indem sie zwei Typen solchcr

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei GeistesstSrungen. 408

Ver/~nderungen feststellten: eine allm/~hlicho Verz6gerung oder, am Anfang eine Beschleunigung - - dann Verz6gerung. Wir ffihrten Beob- achtungen der Senkungsreaktion auf dem Wege systematischer und vielf/tltiger Messungen durch, vor der Periode, in der Periode und nach der Periode der Behandlung, mit dem einen odor anderen Mittel ver- schiedener Psychosen.

Halten wir uns b e i d e r spezifischen Behandlung yon Neurolues Bi und Neo auf. Die Behandlung mit Bi wurde bei Epflepsia, Schizo- phrenia, Paralysis progressiva, luetische Psychopathic, Oligophrenia und Paralysis infantflis angewandt. In allen F/~llen ging die Veritnderung der Senkungsreaktion yon Beschleunigung zur Verz6gerung fiber, wie die erste, so fiberschritt auch die zweite gew6hnlich nicht 10--15 mm und dauerte verschiodene Zeit: zuweflen begann die Reaktionsver- /~nderung nach der Kur und hielt sich 2--3 Monate. Die Behandiung mit Neo gab analogische Senkungsver/inderungen, mit ein wenig gr6Berem Spielraum, jedoch kiirzerem nach jeder EingieBung.

Die Malariabehandlung rief immer eine bedeutende Beschleunigung der Senkungsreaktion hervor, auf mehrere Zehntel mm (bis 50), wobei bald nach der Kupierung der Malaria die Senkungsreaktion anfing sich zu verz6gern und nach Verlauf yon einigen Monaten odor Wochen sich mehr der Norm ni~hern konnte, als vor der Behandlung.

Indem wh" in Betracht ziehen, dab die Beschleunigung der Senkungs- reaktion nach Angaben yon Kant und Mann auf Erh6hung der Por- meabilit~t hinweist, erhalten wir die M6glichkeit durch Vermittlung der Senkungsreaktion dora Barrierezustande zu folgen. Hier muB bemerkt werdon, dab ein raseher und anhaltendes Sinken der Senkungs- reaktion bis zur 5.--6. Stufe als Signal einer Gefahr dienen kann und eine Unterbrechung der Kur verlangen muB.

Die Schwefeltherapie ist auch einer Kontrolle vermittels der Senkungs- reaktion unterzogen worden. Die Reaktionsver~nderungen waren hier stets ansehnlich, anfangs zur Besehleunigung neigend, darauf, bald nach der Kur - - zur Verz6gerung; die Undulationen der Reaktion erlangten mehrere Zehntel von mm wie auch bei Malaria, die Dauer der Ver- ~nderungen war ebenfalls betr~chtlich. Nur in seltenen F~llen, bei bedeutender Anfangsbesehleunigung der Reaktion, rief der Schwefel kein weiteres Fallen hervor, sondern verzSgerte sich sogar. Das Fallen der Reaktion bis zur 5.--6. Stufe wies auf einen schweren Zustand hin und forderte Vorsiehtigkeit. Die Schwefeltherapie wurde bei Paralysis progressiva, Schizophrenia, Encephalitis, Chorea, luetischer Psychopathic angewandt. Die Wirkung der Schwefeltherapie auf den Grenzzustand steht fibereinstimmend mit den Angaben der Senkungreaktion der Malaria nicht nach.

Von anderen Arten der Reiztherapie untersuchten wir, in bezug auf die Wirkung auf die Senkungsreaktion, noeh die Lactotherapie

26*

404 N.P. Wolochow:

bei Schizophrenia. Bei dieser Methode wurde gew6hnlich eine Beschleuni- gung der Reaktion beobachtet, welche zuweilen bis 20--30 mm reichte, was klinisch mit einem Besserungszustand des Kranken begleitet war, solch eine Senkung nach einem bestimmten Zeitraum wurde durch eine Verz6gerung der Reaktion, zuweflen bis zur Norm, ersetzt, was einem stationi~ren Zustand - - Ausgang in B16dsinn oder Genesung gleich- kam. Die Lactotherapie, nach ihrer Wirkungskraft auf die Senkungs- reaktion, muB als schw~tchere Gegenwirkung, als die Schwefeltherapie betrachtet werden. Die Autoh~motherapie gab in unseren F~llen bei Schizophrenia ein analoges Bild, die Intensit~t der Senkungsreaktions- ver~nderung aber war hier noch schw~cher ausgodriickt als in der Lactotherapie. Und auch bier waren die klinischen Zustandsver~nde- rungen des Kranken analogisch der Ver&nderungsintensivit~t der Sen- kungsreaktion.

Endlich wurde yon uns die Wirkung der Organotherapie auf die Senkungsreaktion in Form yon Sperminkursen bei Schizophrenia und Psychosis praesinflis untersucht. In einigen Fallen ~ul~erte sich diese Wirkung bedeutend, sie gab zuweilen eine Beschleunigung der Reaktion auf mehrere Zehntel ram, wobei die klinisehen Ver~nderungen den Reaktionsver~nderungen analogisch waren; die Beschleunigung wechselte mit der VerzSgerung je nach dem Stillewerden eines akuten Krank- heitsprozesses.

Auf diese Weise fiberzeugte uns die Anwendung der Senkungsreaktion bei verschiedenen therapeutischen Methoden yon dem Wert dieses technisch so einfachen Verfahrens einer Kontrolle der Behandlung. Die Senkungsreaktion client als feinfiihlender Weiser eines Kampfes des Organismus mit den Krankheitsfaktoren und seiner Erwiderungs- reaktion auf unsere therapeutischen Einwirkungen. Wir k6nnen die Wirkung unserer Behandlung auf die Biochemie des kranken Organismus sehen und objektiv berechnen, k6nnen seine Reaktion auf diese Behand- lung ausmessen, was die M6glichkeit einer korrekteren Absch~tzung der verschiedenen Behandlungsmethoden, den Nutzen oder die Gefahr unserer Einwirkungen vorauszusehen, gibt.

3. Die prognostische Bedeutung der Senkungsreaktion.

W~hrend der Auslegung des Materials, welche die diagnostische - - und die Kontrollanwendung der Senkungsreaktion betraf, sahen wir best~ndig, dab die Senkungsreaktion auf den Verlauf des Krankheits- prozesses zart reagiert, indem sie seine Intensivit~t, den Grad der Schwere des Leidens und der Gefahr ffir den Kranken, den giinstigen Charakter der Rimesse oder den Ausgang in station~ren Zustand mit residualen Erseheinungen vermerkt, sowie auch die Wirkung der Kur reflektiert. Um eine Wiederholung zu vermeiden, sagen wit hier nur, dal~ die Kampf-

Die Senkungsreaktion der Erythrocyten bei Geistesst6rungen. 405

aktivitgt des Organismus mit den Krankheitsfaktoren immer eine Be- schleunigung der Senkungsreaktion darstellt, wobei eine gute pro- gnostische Bedeutung die mittlere Stufe im Sinne von Langwierigkeit und Intensi tgt der Reakt ion des Organismus hat, welche auch mittlere Beschleunigungsstufen gibt. Wie allzu schwache Reaktionen des Orga- nismus, so auch allzu scharfe und schwere, welche yon dauerndem und sehr schnellem Fallen der Senkungsreaktion begleitet sind, geben eine schlechte Prognose im Slime yon Heilung oder Leben, in letzter Be- ziehung ist besonders die starke Beschleunigung der 5. und 6. Stufe maBgebend. Zur Prognose der Behandlungsmethode miissen wir dieselben Prinzipien als Richtschnur nehmen. Hier weist die schwache oder allzu tiefe und scharfe Reakt ion des Organismus auf Behandlung, indem sie in analogischen Vergnderungen der Senkungsreaktion sich ~uBert, auf Erfolglosigkeit, Insuffizienz der Behandlung oder, im Gegenteil, auf ihre Schwere und Gefahr fiir den Kranken hin. Wir miissen auch hier zur mittleren Reakt ion des Organismus streben, indem wit mit seinen I/:r~ften rechnen. Je nach dem Erl6schungskampfe des Organismus mit den Krankhei tsfaktoren verliert die Senkungsreaktion in diesem oder jenem MaBe ihre Beschleunigung. GewiI~ mul3 man bei einer prognostischen Absch~tzung der Senkungsreaktion besonders die Schs des ]~rank- heitsprozesses und die Korrelation der Kri~fte des Krankheitsfaktors und des Organismus berechnen, warum kann z. B. eine normale Senkung Gesundheit oder einen stationgren, wenig aktiven Krankheitszustand bezeichnen, eine Verz6gerung yon Heilung oder station~ren Ausgang sprechen.

Und so ha t t en wir aus unserem geniigend umfangreichen Material die M6glichkeit, die Bedeutung der Senkungsreaktion fiir die Diagnostik yon Psychosen, fiir Prognosestellung und Kontrolle der Kur, festzustellen und zu erl~utern.

Auf Grund des angefiihrten Materials kann man solche Grundlagen angeben:

1. Die Senkungsreaktion der Erythrocyten, ihrer Technik nach einfach und zuggnglich, stellt eine sehr wertvolle Methode in der psychiatrischen Prakt ik dar, indem sie zu diagnostischen - - differential- diagnostischen - - prognostischen Zwecken und zur Kontrolle der Be- handlung dient.

2. Die Korrek the i t der Anwendung dieser Methode verlangt jeden- falls gewisse Bedingungen: Planm~Bigkeit der Untersuchungen, Aus- schliel]ung somatischer Einwirkungen u. a.

3. Die Senkungsreaktion der Ery throcyten dient als feines Reagens fiir den biochemisehen Zustand des Organismus, indem sie die Intensitgt seines Kampfes mit den Krankheitsfaktoren, seine Reaktion auf Ein- wirkung der Behandlung wiedergibt, den ganzen Verlauf des Krankheits- prozesses registriert.

406 N . P . Wolochow: Die Senkungsreakt ion der E r y t h r o c y t e n usw.

4. E s w s w i i n s c h e n s w e r t a l l e t h e r a p e u t i s c h e n M e t h o d e n d u r c h d ie S e n k u n g s r e a k t i o n d e r E r y t h r o c y t e n z u p r i i f e n .

5. B e i r i c h t i g e r A b s c h ~ t z u n g u n d A n w e n d u n g k a n n u n d m u B d ie

S e n k u n g s r e a k t i o n d e r E r y t h r o c y t e n a l s o b j e k t i v e s M o m e n t f i i r P r o g n o s e b e i G e i s t e s e r k r a n k u n g e n d i e n e n .

6. D ie S e n k u n g s r e a k t i o n d e r E r y t h r o c y t e n k a n n a l s e i n f a c h e M e t h o d e

z u r U n t e r s u c h u n g des Z u s t a n d e s d e r h ~ m a t o - e n c e p h a l i t i s c h e n B a r r i e r e d i e n e n .

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