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~422 KLINISCHE WOCHENSCHIRIFT. 5- JAHRGANG. Nr. 31 3o. JULI I926 DIE VERANDERUNGEN DES ROTEN BLUTBILDES IN DER SCHWANGERSCHAFT. VoI1 Dr. GEORG HEINRICH SCHNEIDER. Aus der Hessischen HebarnmeMehranstalt in Mainz (Direktor: lVfedizinalrat Dr. KUPFERBERG). Die Diathese zu Toxikosen in der Schwangerschaft hat in der letzten Zeit in ihren einzelnen Komponenten mit den verschiedenen Symptomenkomplexen auf Grund der Analyse der verschiedenwertigen Teilkonstitutionen des Einzelindi- vidiums, je nach der Reaktionsbreite, die normalerweise vorhanden ist, eine genaue Erforschung erfahren. Aber auch die Befunde der normalen Schwangerschaft sind in frucht- bringender Weise dadurch in vielen Einzelfragen aufgekl~irt und gedeutet worden, so dab die ]3iologie der normalen und pathologischen Gravidit~tt durch die neue Humoralphysiologie und -pathologie in ganz anderem Lichte dargestellt werden konnte. Die Schwangerschaft mit ihrem ver~inderten Stoffwechsel hat mich w/~hrend meiner h~imatologischen Studien seit Jahren eingehend besch~ftigt dutch die Verfolgung des Krankheitsbildes der H~imatopathia gravidarum. Die genaue 13eriicksichtigung des Stoffwechsels w~ihrend der Sehwanger- sehaft und der ]3efunde der t31utbilder geben schon deutlieh Anhaltspnnkte zum i)bergang ins Pathologische, der in graduell verschiedenen Befunden zum Ausdruck kommt, die, erst in schwerstem Grade zur Ausbildung gekommen, die Zust~inde hervorbringen, die wir als Toxikose des myelogenen roten Blutapparates ansehen und als H~imatopathia gravi- darum bezeichnen. Soweit ein Einflul3 der Schwangerschaft auf das rote Blutbild statt hat, sell er nun Gegenstand der Untersuchungen sein. Als erste Anderung gegentiber der Norm ergibt sich eine Verschiebung der Ionenkonzentration in der Schwangerschaft. Die normalerweise in der Gewebsflfissigkeit und im Blutserum vorhandene leichte Alkalescenz macht einer amphoteren Reaktion bis zur leichten Acidose Platz, wie ]3OKELMANN und !ROTHER in mehreren eingehenden Studien an normalen und pathologischen Schwangersehaiten ausffihrlich dar- getan haben. Als Beweis daftir dient die erh6hte Ammoniak- bildung und -ausscheidung im Urin; die zur Abs~ittigung der erh6hten S/iurebildung im ]31ute n6tigen Pufiersysteme al- kalischen Charakters sind aufgebraucht, so dab fiir die weiter im I)bermage vorhandenen sauren Ionen die niedrigen Abbau- stotfe des EiweiBstoifweehsels herangezogen werden, eben der Ammoniak, da das Endprodukt, der Harnstoff, nicht dazu geeignet ist. So wird die neutrale l%aktion oder eine ganz niedrige Acidose aufrecht erhalten. Schon vet l~ingerer Zeit hat P. ZWEIFEL mitgeteilt, dab auch die Fleischmilchs~iure w~thrend der Schwangerschaft bei nephropathischen und eMamptischen Zust~inden vermehrt ist. Diese Befunde wurden eindeutig des 6tteren best~itigt. Die Verminderung der Ausscheidung des Harnstoffes auf die H/itfte und das abnorme Ansteigen des Ammoniakes zeigen, dab das EiweiB nicht bis zur physiologischen Menge und Grenze abgebaut wird, sondern im intermedi~iren Stadium der gr6Bten Alkales- cenz als Puffersystem zur Abs~ittigung der fiberschfissigen S~iuren verbraucht wird. Die viel st~rkere Atemfrequenz und Atemvertiefung sind auch im Sinne einer erh6hten Aus- scheidung yon KohIens~iure ents~iuernd ffitig, so dab da- dutch w~ihrend der Gravidit~it der Sguretiter des Blutes und der Gewebe vermindert wird. Das Gleichgewicht der sauren H-Ionen nnd ihrer basischen antagonistischen OH-Ionen, die AquimolekulareL6sung im tibereinstimmenden Verh~iltnis aller molekular gel6sten Be- standteile im normalen isosmotischen Drucke und die normale Struktur der kolloidal gel6sten und durch die normale Ober- fl~ichenspannung erhaltenen Emulsionen und Suspensionen erleiden durch die Verschiebungen eine St6rung. Einen deut- lichen Beweis dafiir~sehen wir schon bei der Betrachtung des ]31utbildes in der ]3eschleunigung der/31utk6rperchensenkungs- geschwindigkeit. Wir sehen darin deutlich den Ausdruck der ver~nderten Kolloidstabilit~t der protoplasmatischen cellu- l~ren und humoralen serologischen EiweiBsysteme, die in der Schwangerschaft durch die Anderung der normalen Be- dingungen der 3 Arten yon chemisch-physikalischen L6sungs- mSglichkeiten bedingt sind. Speziell studiert sind die Wasser- stoffionenkonzentration und die Hydroxylionenmenge, in ihrer wechselseitigen Beeinflussung, die gerade aui das Blur und das Blutbild yon groger Bedeutung sind. Das Verh~ltnis des Natriums zu dem Kalium und dem Calcium mit IOO : 2 : 2 konnte aufgestMlt werden als Normall6sungsverh~ltnis; die einzelnen Partialkomponenten und deren Gesamtresultate aller im Serum vorhandenen Salze, der Jod-, Chlor- 1Rhodan- verbindungen, machen die Isoionie, die Isoosmie und den Isotonus aus, nm nut einige weitere zu nennen. Gerade die antagonistische Wirkung des Kaliums und des Calciums sind iiir das Blur yon ausschlaggebender ]3edeutung. Ich konnte schon friiher an anderer Stelle mitteilen (1. c.), welch groBen EinfluB die giftige Wirkung des Natriumcitrates ffir das Blut bei der Transfusion hat, dadurch dab sich eine Calcium- hypoionie und eine Kaliumhyperionie geltend macht; denn es verbindet sich yon dem Natriumcitrat sofort die Citronen- s~iure mit dem Blutcalcium zu citronensaurem Kalk, wodurch Hypocale~imie und Kaliumhyper~imie zustande kommt. Ich babe gleiehzeitig angegeben, dab dieser Wirkung begegnet werden kann, wenn man Adrenalin der Transfusionsfliissigkeit zusetzt, die man sieh aus dem ]31ut und dem Natriumeitrat hergestellt hat. Das Calcium und das Adrenalin wirken syn- ergetisch, das Calcium hat aber auch eine kolloidfestigende, nach der Koagulation der Kolloide hin wirkende Eigenschaft und verkittet Iest die Zellen dutch diesen EinfluB. Das Kalium hingegen hat auf die Blutk6rperchen eine toxische, h~imolytische Wirknng. Die Wirkung auf die inkretorischen Drfisen und das vegetative Nervensystem ~nBert sich Iolgen- dermaBen: Kalium steigert l~hmt (hemmt) das Thyreotoxin, den Tonus der das Adrenalin und denTonus glatten Uterusmuskulatur des Myokards l~hmt steigert r Calcium- ' - - r Die lokalen Anh/iufungen yon Kalkinkrustationen in der letzten Zeit der Schwangerschaft werden ja anch yon SEITZ so erkl~irt, dab dadurch eine Verminderung des Kalkspiegels im Blute zustande k~me, damit die Sen- sibilisierung des Uterus fiir die Wehenbereitschaft gr6ger sei, weil dann die Erregbarkeit des vegetativen Nerven- systems gr6t3er sei. Immerhin isr der feine Ausgleichsmecha- nismus der Steuerung der L6sungsverh~iltnisse so in T~itigkeit, dab die kleinen Schwankungen immer m6glichst ausgeglichen werden und, dab eine schwerere und liinger dauernde St6rung des Gleichgewichtes nur sehr schwer vorstellbar ist. Die neu- eren Ergebnisse der Untersuehungen K~HRERS fiber den Blut- kalkgehalt w~thrend der Schwangerschait ergeben doch deutlich eine geringgradige Verminderung des Blutkalkspiegels in der letzten Zeit der Schwangerschaft und in der Geburt. Bei Schwangerschaitstoxonosen (I-Iydropathia, Nephropathia, Eklampsia) waren die Werte noch erheblicher vermindert, auf etwa 5--6 rag%. 1RISSMANN konnte die gleichen ]3elunde erheben. Die Calciumhypoionie zieht iniolge des dauernd vorhandenen Gleichgewiehtes der Konzentration mit dem Kalium unbedingt eine Kaliumhyperionie nach sich mit der Wirkung und Folge eines h~imolytisehen Zustandes. ]3ei konstitutionell vollwertigen Individuen werden alle diese Regulationsmechanismen durch die Puliersysteme ausge- glichen infolge der Mobilisierung yon fiberschfissigen und ge- bundenen Alkalien bzw. Anionen nnd Kationen, wie die Unter- suchungen yon HASSELBALCH und GAMMELTOFT bewiesen haben. Die Wasserstoffionenkonzentration ist in der Schwanger- schaft erhSht, das Kohlens~iurebindungsverm6gen erh6ht, die Kohlens/iurespannung der Gewebe und der Ausatmungs- luft vermehrt, die Ammoniakausscheidung gesteigert. ]3ei der ganz gesunden Schwangeren mit einer Konstitution yon

Die Veränderungen des Roten Blutbildes in der Schwangerschaft

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~422 K L I N I S C H E W O C H E N S C H I R I F T . 5- J A H R G A N G . Nr . 31 3o. JULI I926

DIE VERANDERUNGEN DES ROTEN BLUTBILDES IN DER SCHWANGERSCHAFT.

VoI1

Dr. GEORG HEINRICH SCHNEIDER. Aus der Hessischen HebarnmeMehranstalt in Mainz

(Direktor: lVfedizinalrat Dr. KUPFERBERG).

Die Diathese zu Toxikosen in der Schwangerschaft ha t in der letzten Zeit in ihren einzelnen Komponenten mi t den verschiedenen Symptomenkomplexen auf Grund der Analyse der verschiedenwertigen Teilkonsti tut ionen des Einzelindi- vidiums, je nach der Reaktionsbreite, die normalerweise vorhanden ist, eine genaue Erforschung erfahren. Aber auch die Befunde der normalen Schwangerschaft sind in frucht- bringender Weise dadurch in vielen Einzelfragen aufgekl~irt und gedeute t worden, so dab die ]3iologie der normalen und pathologischen Gravidit~tt durch die neue Humoralphysiologie und -pathologie in ganz anderem Lichte dargestel l t werden konnte.

Die Schwangerschaft mi t ihrem ver~inderten Stoffwechsel ha t mich w/~hrend meiner h~imatologischen Studien seit Jahren eingehend besch~ftigt dutch die Verfolgung des Krankhei tsbi ldes der H~imatopathia gravidarum. Die genaue 13eriicksichtigung des Stoffwechsels w~ihrend der Sehwanger- sehaft und der ]3efunde der t31utbilder geben schon deutlieh Anhal t spnnkte zum i)bergang ins Pathologische, der in graduell verschiedenen Befunden zum Ausdruck kommt, die, erst in schwerstem Grade zur Ausbildung gekommen, die Zust~inde hervorbringen, die wir als Toxikose des myelogenen roten Blu tappara tes ansehen und als H~imatopathia gravi- darum bezeichnen. Soweit ein Einflul3 der Schwangerschaft auf das rote Blutbi ld s t a t t hat , sell er nun Gegenstand der Untersuchungen sein.

Als erste Anderung gegentiber der Norm ergibt sich eine Verschiebung der Ionenkonzentrat ion in der Schwangerschaft. Die normalerweise in der Gewebsflfissigkeit und im Blutserum vorhandene leichte Alkalescenz macht einer amphoteren Reakt ion bis zur leichten Acidose Platz, wie ]3OKELMANN und !ROTHER in mehreren eingehenden Studien an normalen und pathologischen Schwangersehaiten ausffihrlich dar- getan haben. Als Beweis daftir dient die erh6hte Ammoniak- bi ldung und -ausscheidung im Urin; die zur Abs~ittigung der erh6hten S/iurebildung im ]31ute n6tigen Pufiersysteme al- kalischen Charakters sind aufgebraucht, so dab fiir die weiter im I )bermage vorhandenen sauren Ionen die niedrigen Abbau- stotfe des EiweiBstoifweehsels herangezogen werden, eben der Ammoniak, da das Endprodukt , der Harnstoff, nicht dazu geeignet ist. So wird die neutrale l%akt ion oder eine ganz niedrige Acidose aufrecht erhalten. Schon ve t l~ingerer Zeit ha t P. ZWEIFEL mitgeteil t , dab auch die Fleischmilchs~iure w~thrend der Schwangerschaft bei nephropathischen und eMamptischen Zust~inden vermehr t ist. Diese Befunde wurden eindeutig des 6tteren best~itigt. Die Verminderung der Ausscheidung des Harnstoffes auf die H/itfte und das abnorme Ansteigen des Ammoniakes zeigen, dab das EiweiB nicht bis zur physiologischen Menge und Grenze abgebaut wird, sondern im intermedi~iren Stadium der gr6Bten Alkales- cenz als Puffersystem zur Abs~ittigung der fiberschfissigen S~iuren verbraucht wird. Die viel st~rkere Atemfrequenz und Atemvert iefung sind auch im Sinne einer erh6hten Aus- scheidung yon KohIens~iure ents~iuernd ffitig, so dab da- dutch w~ihrend der Gravidit~it der Sgureti ter des Blutes und der Gewebe verminder t wird.

Das Gleichgewicht der sauren H-Ionen nnd ihrer basischen antagonist ischen OH-Ionen, die AquimolekulareL6sung im t ibereinst immenden Verh~iltnis aller molekular gel6sten Be- standtei le im normalen isosmotischen Drucke und die normale S t ruk tu r der kolloidal gel6sten und durch die normale Ober- fl~ichenspannung erhaltenen Emulsionen und Suspensionen erleiden durch die Verschiebungen eine St6rung. Einen deut- lichen Beweis dafiir~sehen wir schon bei der Betrachtung des ]31utbildes in der ]3eschleunigung der/31utk6rperchensenkungs- geschwindigkeit. Wir sehen darin deutlich den Ausdruck der

ver~nderten Kolloidstabi l i t~t der protoplasmatischen cellu- l~ren und humoralen serologischen EiweiBsysteme, die in der Schwangerschaft durch die Anderung der normalen Be- dingungen der 3 Arten yon chemisch-physikalischen L6sungs- mSglichkeiten bedingt sind. Speziell s tudier t sind die Wasser- stoffionenkonzentration und die Hydroxylionenmenge, in ihrer wechselseitigen Beeinflussung, die gerade aui das Blur und das Blutbi ld yon groger Bedeutung sind. Das Verh~ltnis des Natr iums zu dem Kalium und dem Calcium mi t IOO : 2 : 2 konnte aufgestMlt werden als Normall6sungsverh~ltnis; die einzelnen Par t ia lkomponenten und deren Gesamtresul tate aller im Serum vorhandenen Salze, der Jod-, Chlor- 1Rhodan- verbindungen, machen die Isoionie, die Isoosmie und den Isotonus aus, nm nut einige weitere zu nennen. Gerade die antagonistische Wirkung des Kaliums und des Calciums sind ii ir das Blur yon ausschlaggebender ]3edeutung. Ich konnte schon friiher an anderer Stelle mit tei len (1. c.), welch groBen EinfluB die giftige Wirkung des Natr iumci t ra tes ffir das Blut bei der Transfusion hat , dadurch dab sich eine Calcium- hypoionie und eine Kaliumhyperionie geltend macht ; denn es verbindet sich yon dem Nat r iumci t ra t sofort die Citronen- s~iure mi t dem Blutcalcium zu citronensaurem Kalk, wodurch Hypocale~imie und Kaliumhyper~imie zustande kommt. Ich babe gleiehzeitig angegeben, dab dieser Wirkung begegnet werden kann, wenn man Adrenalin der Transfusionsfliissigkeit zusetzt, die man sieh aus dem ]31ut und dem Nat r iumei t ra t hergestell t hat. Das Calcium und das Adrenal in wirken syn- ergetisch, das Calcium ha t aber auch eine kolloidfestigende, nach der Koagulat ion der Kolloide hin wirkende Eigenschaft und verk i t te t Iest die Zellen dutch diesen EinfluB. Das Kal ium hingegen ha t auf die Blutk6rperchen eine toxische, h~imolytische Wirknng. Die Wirkung auf die inkretorischen Drfisen und das vegetat ive Nervensystem ~nBert sich Iolgen- dermaBen:

Kalium steigert l~hmt (hemmt)

das Thyreotoxin, den Tonus der das Adrenalin und denTonus glat ten Uterusmuskulatur des Myokards

l~hmt steigert r Calcium- ' - - r

Die lokalen Anh/iufungen yon Kalkinkrusta t ionen in der letzten Zeit der Schwangerschaft werden ja anch yon SEITZ so erkl~irt, dab dadurch eine Verminderung des Kalkspiegels im Blute zustande k~me, damit die Sen- sibilisierung des Uterus fiir die Wehenberei tschaft gr6ger sei, weil dann die Erregbarkei t des vegetat iven Nerven- systems gr6t3er sei. Immerhin isr der feine Ausgleichsmecha- nismus der Steuerung der L6sungsverh~iltnisse so in T~itigkeit, dab die kleinen Schwankungen immer m6glichst ausgeglichen werden und, dab eine schwerere und liinger dauernde St6rung des Gleichgewichtes nur sehr schwer vorstel lbar ist. Die neu- eren Ergebnisse der Untersuehungen K~HRERS fiber den Blut- kalkgehal t w~thrend der Schwangerschait ergeben doch deutlich eine geringgradige Verminderung des Blutkalkspiegels in der letzten Zeit der Schwangerschaft und in der Geburt. Bei Schwangerschaitstoxonosen (I-Iydropathia, Nephropathia, Eklampsia) waren die Werte noch erheblicher vermindert , auf etwa 5 - -6 rag%. 1RISSMANN konnte die gleichen ]3elunde erheben. Die Calciumhypoionie zieht iniolge des dauernd vorhandenen Gleichgewiehtes der Konzentrat ion mi t dem Kalium unbedingt eine Kaliumhyperionie nach sich mi t der Wirkung und Folge eines h~imolytisehen Zustandes. ]3ei konsti tut ionell vollwertigen Individuen werden alle diese Regulationsmechanismen durch die Pul iersys teme ausge- glichen infolge der Mobilisierung yon fiberschfissigen und ge- bundenen Alkalien bzw. Anionen nnd Kationen, wie die Unter- suchungen yon H A S S E L B A L C H u n d GAMMELTOFT bewiesen haben.

Die Wasserstoffionenkonzentration ist in der Schwanger- schaft erhSht, das Kohlens~iurebindungsverm6gen erh6ht, die Kohlens/iurespannung der Gewebe und der Ausatmungs- luft vermehrt, die Ammoniakausscheidung gesteigert. ]3ei der ganz gesunden Schwangeren mit einer Konstitution yon

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grol?er Toleranzbreite, mifl s tabi lem Regulationsmechanismus, mit ausreichend alkalischen, molekularen und kolloidalen Ionensystemen, wird dieser Zustand ganz allsgeglichell, bei kleinen Unregelm~Bigkeiten kommt es zu eillem Zustande leichter Subacidit~t, der seinerseits im Fal le schweren lViallgels mancher Par t ia lkonst i tu t ion die Grllndlage flit das Zustande- kommen eines Symptomenkomplexes der Schwallgerschafts- toxikosen abgibt. Gerade zllr Zeit der Umstellung der Ver- hAltnisse, also im Beginne des graviden Zustandes, zur Zeit der Anpassllng all die ver~nderten Reaktiollen yon Blur llnd Geweben macht sich eine erh6hte Erregbarkei t llnd Labil i t~t des Nervensystems bemerkbar. Der Vomitus mafufinus entsteht nicht nut allein.psychogen, wie es namhafte Alltoren angegeben haben (AI-ILFELD, KALTENBACH, WALTHARD), sondern er ist ausgel6st durch den viel labileren und schw~cheren Sehwellenwert der Reizbarkei t des vegetat iven Nervensystems. Alldererseits die Erscheinungen auf die toxische Wirkung allein zurfiekffihren zu wollen, tr iff t eben so wenig den Mechanismus der Ausl6sullg. Schon die geringe Wirknng der Herabsetzung des Kalillmspiegels um ein weniges stell t an ein Nervensystem mit sehr niedrigem Schwellenwert und psychogen anf~lliger Konst i tu t ion An- forderllngen, denen es nichf gewachsen ist. Allch in der Innervat ion der Blutgef~Be, insbesondere der Capillaren,. sehen wir eine VerXnderung des Tonus der Lebensnerven; in der H~lfte der Zahl der Schwangeren konnte H. Freund den Dermographismus nachweisen, der also eine normale Reakt ion der Gravidi t~t darsfellt , w~hrend er sonst Ms pathologisches Symptom etwa im Sinne einer Vergiftullg aufzufassen ist. Auch hier sehen wir eine Parallele zur Hypokalz~mie. Der Dermographismus wie die Urt ikar ia werden mit Erfolg durch die intraven6se Kalkinjekt ion, als deren erfolgreichste und schonendste Medikation sich mir das A/enil bew~hrt hat, bek~mpft. Der s tarke Speichel- flul3 in der Schwangersehaft biete t auch deuflich die Wechselwirknng dllrch psychische Vorstellung und autonome Innervat ion der Drfisenfunktion. Je nachdem die toxische oder neurotische Komponente des Erbrechens vorherrschtj erscheint die Schwere und der Ausgang der Erkrankung ver- schieden: Erstere geht oft in Zust~nde des eklamptischen oder hepatopathischen Symptomenkomplexes fiber t rotz rationeller somafischer Therapie, letztere verschwindet allein auf Grlllld psychischer Beeinilussung. Die Untersuchungen yon KEHR~R ulld ALBRECHT wiesell ver~nderte Erregbarkei t des Nerven- systems in der Schwangerschaft nach, so dab ich, yon einer spasmophilen Diathese zu sprechen Ifir richtig halte. Auch diese Folge der Calciumhypoionie wird erfolgreich durch Afenilgabell beeinflugt, dessen regulierender EinfluB auf die Nebenschilddrfisen, das Ovarinm (Osteomalacie) und das vegetat ive Nervensystem yon groBer Bedeutung ist. Ich muB jedoch betonen, dab die Schgdlichkeit nicht allein auf das Sinken des Kalkspiegels zllrfickzuffihren ist, sondern, dab das antagonistische Kal ium lllld Nat r ium ein Ubergewicht be- kommen. Auch die Gesamtionenkonzentrat ion wird gest6rt llnd der synergetisch wirkende Adrellalinspiegel wird ver- mindert . Lediglich die eingehende Erforschung des Kalk- stoffwechsels, der auch mit einfacherer Appara tur im klini- schen Betriebe vertolgt werden kann, ha t dazu geffihrt, dab in zahlreichen Arbeiten fast immer nut yon dem. Calcium- hallshalte die Rede ist. Prakt isch wird dies llnterstfitzt dadllrch, dab der tatsgchlich vorhandene I~alkmangel dutch Zufuhr gebessert werden kann und so die anderell Salze nicht Gegenstand solchen Interesses sind. Die Vergr6Berllllg der Schilddrfise in der Schwangerschaft lgBt auch auf einen er- h6hten Jodbedarf schlieBen, der so gedeckt wird. Die St6- rungen im Knochenwachstum im Sinne der Rachitis in den Jahren der Ell twicklung haben in der Schwangerschaft die Erkrankung der Osteomalacie zur Folge. Experimentel l kanll die Rachitis durch Fehlen des Vitamins A erzellgt werden, die Osteomalacie ents teht dllrch Ovarialst6rungen. Nun ist im Vitamin A der Jodgehalt hoch und das Ovarillm nach FELLE~B~Ra ngchst der Schilddrfise das jodhalt igste Organ. Wir sehen also durct~ 'den Mangel an Jod illfolge der Avitami- nose A die Rachitis und die Osteomalacie durch Joddefizit

in der Schwangerschaft illfolge Hypothyreose und Hypovar ie entstehen.

Die ver~inderte Ionenkonzentrat ion der K6rperfliissigkeits- 16sungen in der Schwangerschaft beeinfluBt auch ihrerseits den kolloidalen Zustand der EiweiBsysteme im Organismus. Die bei den Toxikosen vorgefundenen EiweiBspaltprodukte, wie das Leucin, das Tyrosin, die manchmal bei akuter gelber Leberatrophie gefunden werden und jedenfalls ffir einen hepatopathischen Zustand sprechen, und das Tryptophan, die Aminos~iuren, profeogene Amine, zeigen deutlich die Sch~digung des intermedi~kren EiweiBstoffwechsels an, der auf krankhafter Ver~inderung der kolloidalen Strukturen beruht.

Gerade das uns bier spezieller interessierende Blur zeigt deutlich eine Ver~nderung zun~chst funktioneller Art, wie sie sonst, auBerhalb der Sehwangerschaff, nieht ohne erheb- liche pathologische Dignit~t angetroffen wird. Zur ge- naueren Analyse der Ver~inderungen des Blutes, der Hiima- topath ia gravidarum, deren Stellung ilI1 System der Aniimien an anderer Stelle dargelegt wird, geh6rt zun~chst die genaue Kl~irung jener Ver~nderungen. des normalen t31utes in der Schwangerschaft, die als Reakfionsvariat ionen einer normalen vollwertigen h~matologischen Konst i tut ion in physiologischer Toleranzbreite angesehen werden mfissen. Gerade diesen Ver~nderungen wird nur geringe Beachtung geschenkt, well sie nie Gegenstand einer praktischen Therapie sind. Sie bilden aber die Voraussetzung ffir die Wtirdigung der krankhaf ten Zust~nde des 131utapparates. Ich habe dahinzielende ein- gehende Untersuchungen h~matologischer Ar t gemacht und m6gliehst das vorliegende Material aus der Li tera tur ge- sammelt, da diese Mitteilungen bisher nur vereinzelt und sp~rlich vorhanden sind, so dab sich eine Zusarnmenfassung wohl lohnt.

Die Ver~nderungen am Blu tappara t umfassen alle die Anderung der Kolloidstabilit~it der EiweiBsysteme, des Plasmas und der corpuscul~ren Elemente. Wi t sehen die verschiedenen Reaktionen der FlocknI~g, der Komplement- bindung und Ablenkung, der Pr~ieipitation yon EiweiB, auftreten, die sonst nur bei ~rankhat ten Ver~nderungen eharakterist isch auitreten. Auch die Abderhaldensehe Re- aktion kann nicht mehr als spezifische Schwangerschatts- reaktion gelten, die Freund-Kaminersche nicht mehr ffir eine spezifische Carcinomreaktion, aber beide Realctionen sind ffir die Gravidit~it bzw. das Carcinom charakteristisch. Alle serologischen Reaktionen zeigen, dab in der Schwangerschait die gleichen Ver~nderungen Platz greifen k6nnen wie bei infekti6sen oder malignen blastomat6sen Prozessen, dab diese Veriinderungen physicoehemischer und mikroelektrischer Ar t offenbar all diesen Zust~inden gemeinsam sind. Als eine be- sonders sinnf~llig darstellbare Ar t dieser Labil i t i i tsreaktionen m6chte ich die Blntk6rperchensenkungsgeschwindigkeit an- fiihren. Auf diesem Gebiete steht mir auch eine Erfahrung yon fiber iooo F~kllen zu Gebote, die jeweils Schwangerschait, entzfindliche Erkrankungen lind Carcinome umfaBt. Auf die Ergebnisse meiner Untersuchungell yon frfiher an Carcinomen, die ieh all fiber 300 F~llen gewonnen habe, und worfiber ich Bericht zusammen mit GUTHMANN an anderer Stelle ers ta t te t babe, weise ich hill (Arch. I. Gyn~kol.). Meine Erfahrung bei entzfindlichen Prozessen geht dahin, dab die Blutk6rperchen- senkungsgeschwilldigkeit bei frischer, akuter Erkrankung stark besehleunigt ist. Bei berllhigten, ~lteren Prozessen n~thern sich die anfiinglich beschlellnigten Werte wieder der Norm. Is t der ProzeB jedoch scheinbar beruhigt (nach dem klinischen Verlaufe llnd der Fieberkurve zll schlieBen), aber noch virulent oder aggressiv, so haben wir noch s tark be- schleunigte Werte. In vielen FMlen subchronischen Verlaufes, nach dem Abklingen der starken Entzfindungserscheinungen, aber vor der bleibenden endgiiltigen Beruhigullg, erscheint die ffir die Entzi indung charakteristischere Leukocytose wichtiger als die relat iv viel unspezifischere Sedimentierung. Von groBer Bedeutung f fir den Ausfall der Blutk6rperchen- senkungsgeschwindigkeit ist ferner das Blutbild. Ieh verweise nur kllrz auf meine Ausffihrungen (Klin. Wochenschr. 4, Nr. 3 o. I925), worin ich die veriillderte t31utk6rperchen- senkungsgeschwindigkeit bei A_nderung des Blutbildes genaller

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besprochen habe. Chlorotisches Blutbi ld und pernizi6s- an~misches Blutbi ld mi t vieliacher Beschleunigung bei letzterem, mit den morphologisch-hyperehromatischen Riesen- zellen, bilden einen wichtigen Gegensatz. Die Dichte der Suspensionsfltissigkeit des Serums, die Ver~nderung des Kalkgehal tes , die Anderung der Ionenkonzentrat ion in der Schwangerschaft ergeben alle wichtige Ursachen der beschleu- nigten Blutk6rperchensenkungsgeschwindigkeit , die auch in hohem MaBe yon der ver~nderten EiweiBfraktionierung, insbesondere yon der Zunahme des Fibrinogens (DIE,ST) abh~ngig ist, das ebenso wie die Globuline vermehrt gefunden wird im Gegensatz zu der verringerten Menge der feindispersen Albumine.

Die Befunde, die im Blute yon dem nichtschwangeren Zustande als abweichend angesehen werden mfissen, beziehen sich jedoch dfirchaus nicht allein auf das t31utserum, dessert Ver~nderungen-gerade in der neuesten Zeit fast ausschlieB- lich Gegenstand eingehender Wiirdigung iniolge der Humoral- pathologie im neuen Gewande sind, sondern kommen auch insbesondere in den cellul~ren Elementen qual i ta t iv und quant i t a t iv zum Ausdruck.

Entsprechend der yon K. GERHARDT zuers~c sicher fest- gestellten Herzhypertrophie, die die Folge der vermehrten Arbei t des zentralen Pumpwerkes in der Gravidi tg t darstell t , sehen wit neben der Plethora, einer Vermehrung des Serums, ein Ansteigen der Zahl der roten Blutk6rperchen auftreten, die durchschnit t l ich 5oo ooo betr~gt. Auch bei v611ig nor- maler Schwangerschaft zeigt sich deutlich die erh6hte Zahl und -produktion an den fast regelmgl3ig, aber in geringem Grade beobachteten, hyperchromatischen 1Kakrocyten (MoRAWlTZ, SCHA~F~R). Durch deren Anwesenheit wird eine in erh6htem MaBe s ta t t f indende Blutbi ldung in dem myeloischen blut- bereitenden System nachgewiesen. ZA~EMEISTER wies auch e i n e schon in der friiheren Zeit der Schwangerschaft einsetzende Hydr/~mie des Blutes nach, da das Blutserum eine Vermehrung gleichfal.ls erf~hrt; unter Unlst~tnden k6nnte dieser Zustand das Bild einer leichten An~mie vort/~uschen, wenn er nicht bald dem der echten Ple thora Platz machen wfirde, mi t gleiehm~Big vermehrter Masse des Gesamtblutes an Suspensionsfltissigkeit und Blutk6rperchen.

Das Verhalten des H~moglobins weicht in mancher Be- ziehung yon dem des nichtschwangeren Zustandes ab. Bei Hochs.chwangeren wurde v0n BLUMENTHAL und DENECKE ein wesentlich erh6hter H~mogtobingehalt der roten Blut- kSrperchen festgestellt. Dabei handel t es sich meistens um morphologisch normale Blutk6rperchen, nicht etwa um Jugendformen oder kernhalt ige Zellen oder deren Vorstufen, denen e ine pathologische Dignit~t zukommen wfirde. PAYER und LEBED~FI; konnten die gleichen Befunde erheben, n~mlich den hyperchromatischen Index der Ery th rocy ten w~hrend der Schwangerschaft. CoI~S~EI~ ha t diese Frage aueh an trgch- tigen Schafen im Tierexperiment best~tigt gefunden. RECK- LIN~HAUSEN konnte sogar den auBerordentlich wertvollen und wiel~tigen Befund erheben, dab in der Gravidi t~t an Stelle yon verfet tetem, also nicht mehr blutberei tend t~tigem gelben Knochenmark wieder rotes myelogenes Mark aufgetreten ist. Dieses ist mi t der sicherste Beweis der erh6hten H,,tmoglobin- und Ery throcytenbi ldung w~hrend der Schwangerschaft. Die gesteigerte Erythrocytenbi ldung l~Bt die Frage naeh der urs~chlichen iReizung stellen, die in dem ad~quaten, physio- logischen 1Reize der gesteigerten Zellzerst6rung zu" suchen ist. Trotz der gesteigerten Ersatzbi ldung erreicht jedoch die Zunahme nicht st~trkere Werte als knapp lO% der Norm, da auch der Verbrauch starker ist. Der Bilirubinspiegel im Blute ist auch nach den Untersuchungen yon EVVlN~R wXhrend der Schwangerschaft deutlich erh6ht dutch die geringgradige physiologischerweise auftretende H~moglobin- ~tmie; die Ergebnisse LEI~EHNES sprechen im gleichen Sinne.

In dieses Gebiet geh6rt auch die physiologische Vergr6Be- rung der Milz in der Schwangerschaft, jenes ,,Kirchhofes der roten Blutk6rperchen" nach K6LLIKER; die Bildung des h~tmolytischen Stoffes in der Milz ist in der Schwangerschaft gesteigert und verursacht den erh6hten Zerfall der Erythro- cyten.

Im weiBen Blutbilde sehen wir eine deutliche Trennung des myelogenen und lympbadenoiden Systems. Ersteres befindet sich, wie analog aus den eben niedergelegten ]3efunden des roten Blutbildes hervorgeht, in einem Zustande erh6hter Funkt ion der Zellbereitung. BLUME~THAL stellte die Ver- mehrnng der polymorphkernigen neutrophilen Leukocyten eindeutig test, die ich best~tigen kann; auch hierbei l inden wit gelegentlich die Zeichen erh6hter Produktion, die jugend- licheren Vorstufen der Leukocyten. Im GegensatZ zu diesem, dem Knochenmark ents tammenden Teile des weiBen Blut- bildes zeigt der lymphogene durchaus keine Anderung gegen- fiber dem Zustande der Norm. Wit k6nnen so in der Schwanger- schaft yon einer relat iven Lymphopenie sprechen.

DE~ECKE sprieht sich zusammenfassend vom Blutbilde in der Schwangerschaft in dem Sinne aus, dab auf Sch~digungen und Reize der verschiedensten Ar t der h~tmatopoetische Appara t in der Gestationszeit leichter reagiert als sonst, dal3 er also als in einem vim labileren Zustande befindlich angesehen werden mug.

Ich habe im vorgehenden dargetan, dab der iKanon des Blutes (P. EHRLICH) schon in der normalen Schwangerschaft eine deutliche Labil i t~t zu der Grenze des Pathologischen&in zeigt, einerseits in humoralen, serologischen Ver~nderungen und andererseits in dem morphologischen Blutbild. Schon lange, ehe der ~tiologisch zusammenfassende BegrifI der Schwangerschaftstoxikose Einffihrung gefunden hat, lange be- vor ich in dem System der verschiedenen gleichwertigen Sym- ptomenkomplexe die Toxikose des Blutes als H~matopath ia gravidarum zu bezeichnen vorgeschlagen habe, ist der Schwa~- gerseha]tshdimolyse gebfihrende Aufmerksamkei t geschenkt worden. Schon 19o 3 machten SCI~OLTE~ und VEIT Mitteilung yon einer H~molyse im /~lute w~hrend der Schwangerschaft, die durch die Verschleppung syncytialer Chorionelemente zustande kommt. Der Zweck bestehe zum Tell im Anfbau des Embryo, dadurch dab das Eisen des Blutfarbstoffes gel6st werden mfisse, um durch die Scheidewand der Placenta auf den Fetus iiberzugehen (FnTzER). Sparer gelang es dann ,~IoFBAUER ill seinen eingehenden Studien fiber die Physiologie der Placenta ein syncytiales, serologisches H~mo!ysin nach- zuweisen, das ein charakteristisches Produkt der-Chorion- epithelien in der fetalen Placenta darstell t .

Inwieweit nun die Schwangerschaftstoxikosen im all- gemeinen mit einem pathologischen t31utbilde einhergehen, ist Gegenstand weiterer Untersuchungen. Nach den Fest- stellungen yon VOLHARD bleibt bei jeder l~nger einwirkenden Nierensch~digung, von denen uns hier die Nephropathia gravi- darum interessiert, eine sekund~re Blutsch~dignng hie aus. DENECKE konnte, im Gegensatz zu den Befunden bei der ungest6rten Gravidit~t, bei Nephropathien h~ufig den Befund einer richtigen sekund~ren An~mie m~tBigen Grades erheben, die deutlich mit einem hypochromatischen Index einher- gegangen ist. Der Einflul3 der degenerativen Sch~digung der Niere ha t den oben beschriebenen Zustand der Plethora in eine An~mie verkehr t mi t Sch~digung der Erythrocytenzahl dutch Zerfall und des H~moglobingehaltes durch ttfimolyse. H~moglobin~mie und H~moglobinurie konnten DENECKE und I-IEYNEMANN bei der Eklampsie als charakterist ischen t~efund erheben. MO~IR und FI~U?CD machten darauf auf- merksam, dab der wichtigste Fak to r in der Ents tehung der h~molytischen Schwangerschaftstoxikose die anatomische und funktionelle Milzhypertrophie sei. Sie konnten ferner in der Placenta das Vorhandensein yon 01s~ure nachweisen, die als h~molytisches Blutgift wirkend den Blu tappara t sch~Ldigt. EPPINGt~R machte auf das reticuloendotheliale System auch aul3erhalb der Milz aufmerksam und auf die Kupferschen Sternzellen in der Leber, die im Zusammenhange mit den h~molytischen Ver~nderungen stehen. HELLMIJTH best~tigte die frfiheren t3efunde yon Bilirubinurie und Uro- bilinurie bei Eklamptischen ebenso wie H~moglobin~tmie und - - -urie. Des weiteren wird bei der Eklampsie eine Leuko- cytose beobachtet , die auch ich konstant feststellen konnte, was einen Gegensatz zu den Befunden der reinen An~imien deutl ich vor Augen fiihrt. DENECKE verdanken wit die wich- tige Feststellung, dab das weiBe Blutbild bei den eklamptischen

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30. JULI 1926 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 5. J A H R G A N G . Nr. 3I 1425

Toxikosen durchwegs eine Leukocytose aufweist, die nut m/~13igen Grad erreicht, aber das lymphadenoide Gewebe unbe- teiligt lXGt. Der im Urin bei den 6demo-nephropathischeii und eklamptischen Symptomenkomplexen oft erhobene Be- fund von st~trkerem Gehalt an Harns/~uren zeigt die Oberladung des Blutes mit Abbauprodukten des EiweiBstoffwechsels, die n i c h t ganz his zur amphoteren Reakt ion abgebaut sind, in gleiehem Sinne wie die Indicanurie (Rt~BSAMEN, ttELLMUTH). Dieser Bestandtei l des komplexen Begriffes des 1Reststick- stoffes konnte in pathologischer Menge festgestellt werden. Solch giftige intermedi/~re Zwischenstufen im Eiweeil3abbau wirken blutsch~digend, ~hnlich den unges~ttigten Ols/~uren, wie sie auch bei der Bothriocephalusan~mie beschrieben sind.

Analysieren wir die Pathogenese der Hepatopath ia gra- vidarum, so k6nnen wit gleichfalls Sch~tdigungen des Blut- apparates aufdecken, deneI1 bisher in diesem Zusammenhange noch nicht die n6tige Beachtung geschenkt worden ist. Zn- n/ichst m6chte ich die Feststellungen FAH~S erw~.hnen, der beim Auftreten yon Gallenfarbstoffen im Urin (unter Aus- schluB der Gallenrfickstauung auf mechanischer Basis) eine H~Lmolyse als Blntsch/~digung unbedingt annimmt. Wit wissen, weelchen For tschr i t t hier die Untersuchungen HIJMA?C~S w ~ BErtHS gebracht haben, der seine Analysen fiber die Gallenfarbstoffe im Blur vom internen Staiidpunk~ce so syste- matisch ausgebaut hat, daG zwei klassische Proben anf den Bilirubinspiegel im Serum IIach ibm benannt sind. Die direkte Probe, deren Ansfall ftir s tarke ErhShung spricht, s teht im Gegensatz zu der indirekten, die als Grenze des normalen o,5 Einheiten in der Verdtinnung I :2oo ooo be- tr/~gt und Itir eine h~matogene Entstehung der Bilirubin/~mie spricht. Die direkte Probe spricht ftir eine StaUung der Galle. Schon in der normalen Schwangerschaft tinden wir gering- gradige ErhShungen des Bilirubinspiegels, die deutlich immer bei Toxikosen nachwei sba r sind (LEPEt~E). HELLNUTI~ land bei letalen F~llen yon Eklampsie erh6hten Bilirubin- gehalt im Serum, bei Genesenen ziemlich der Norm sich n~- hernde Werte. Eine weitere Tatsache ffir den Beweis der Auffassung eines flieBenden l~berganges yon Leber- and Blutsch/~digung ineinander im Verlaufe der Toxonose bringt CE~LEN in der Feststellung, dab die im ]31ut kreisenden Gift- stoffe nicht nut eine parenchymat6se albuminoide uiid fettige Degeneration der Leberzellen im Gefolge haben. Er weies nach, dab die Erythrocyten, ohne dab eine Seh~digung der Gef/~/3wand oder eine Thrombose vorauszugehen braucht, dutch die Toxine h/~molytisch ver/~ndert und abgebaut werden. Auch ich konnte reich bei der VerIolgung der Blntbilder davon tiberzengen, dab man teils ganz blasse Blutschatten, teils yon H/~moglobin verarmte Bilder sieht. Damit geht eine Hfimoglobin/~mie und dutch Reduktion eine Bilirubin~mie einher. Auch zu dieser Frage nimmt der Pathologe FAiR eingehend Stellung insoferne, als er die Beziehungen and Bertihrungspunkte zwischen Eklampsie und Ikterus belenchtet. ,,Der Giftstoff bei der Eklampsie erzeugt eine Alteration. des Blutes nicht nut in dem Siiine, dab er gerinnend wirkt lind zum Auftreten yon Thrombosen ftihrt, er wirkt auch h/imolytisch, wenn auch die H~tmolyse nieht in allen F/~llen zu beobachten ist. Ich glaube, dab man in erster Linie diese t-IS~molyse ftir das Auftreten des Ik terus verantwortl ich machen mug." Und daftir haben wit ja die deutliche Probe des Bilirubin- spiegels nach HIJMANNS VA~ DE~ BEt~GI~. l~berraschend kann man voraussagen, dab in den n/~chsten Tagen bei der Pat ient in eine Gelbsucht auftreten wird, wenii nach normalen Werten oder anf~nglich geringen Werten der indirekten Probe (Grenze o, 5 Einheiten bei der Verdfinnung l:2O0OOO) plStzlich die direkte Probe positiven Ausschlag gibt, wovon ich mich selbst wiederholt ohne Versager tiberzeugeii konnte. Auch umgekehrt verr~t sich die demn~chst einsetzende Besse- rung dutch den Ausfall der Reaktioii. F~H~ spricht sich auch deutlieh tiber die t{~matopathia gravidarum als konstitutio- neller Gestose des Blutapparates aus, da Formen der hXmo- lytischen An~mie beobachtet werden, ohne jede ]3etonung eines anderen Symptomenkomplexes der Toxikosen mit Aus= nahme des an~tmischeii Blutbildes.

Auf das ]31utbild ha t ferner insbesondere die Ver~tnderung des Gleichgewichtsz~lstandes der Kolloide einen grogen Ein- Ilul3, der in der Schwangerschaft s ta t t hat. Diese wird ihrer- seits dutch die andere Isotonie, Isosmie und ~quimolekul~re L6sungsverhXltnisse bedingt. Zun/ichst ist die Eiweil3fraktio- nierullg im Sinne der im Gleichgewicht stehenden grob- dispersen und feindispersen Kolloide im Blutserum gestSrt. Wir linden gegentiber dem nichtschwangeren Zustande ein Oberwiegen der grobdispersen fiber die teindispersen Kom- ponenten infolge der Vermehrung der Globuline und des Fibrinogens im Gegensatz zur Verminderung der Albumine. Die Emulsion der Eiwei/3k6rper in dem Medium der molekular und ionendispers-gel6sten organischen und anorganischen Verbindungen wird also etwas dichter. Eine besondere Stel- lung in den kolloidal gel6sten Substanzen n immt das Chole- sterin ein, jenes lipoidt6sliche Suspensionskolloid, das gerade das ]glut s tark beeinfluGt. Zur Kl~trung der Frage, wie weft einerseits die Anreicherung des Cholesterins in der Sehwanger- schaft und andererseits die Zunahme der roten Blutk6rperchen in urs~chlichem Zusammenhang stehen, ha t BENDA wichtige Ergebnisse geboten. Die Erh6hung des Cholesterinspiegels in der Schwangerschaft ist seit langem festgestellt, ohne dab man andere Grtinde als die mechanischen Stabil i t~tsver- ~nderungen des Serums verantwortl ich gemacht hat. BENDA konnte nun einen Zusammenhang der u der roten Blutk6rperchen und das Ansteigen des Cholesterinspiegels Ieststellen. Da die roten Blutk6rperchen im Zerfall dutch das Cholesterin gehemmt werden, so konnte er den Beweis ftihren, dab die PolycythXmie bzw. die Plethora vera der normalen Schwangerschait in der Hemmung des Erythrocytenzerfal les dutch das vermehrte Cholesterin hewirkt wird. Der Durch- schnitt des Gehaltes des Gesamtcholesterins im Serum~ der sich aus freiem Cholesterin und Cholesterinestern ziisammen- setzt, betr/~gt ungef/ihr o, i5%. Der Gehalt in der Schwanger- schaft betr/~gt durchschnitt l ich o,3 %. Diese Erh6hung des Cholesterinspiegels s teht in direkter Beziehung zur T/~tigkeit der Nebennierenrinde, die in dem Lipoidstoffwechsel eine bedeutende Rolle spielt. Die Unterfunktion der Nebennieren- rinde bei der An/~mie ist eine konstante Tatsache, der beson- ders yon LANDAU grofle Beachtung geschenkt wird. Also sehen weir einen verst~rkten Erythrocytei ischutz durch erh6hte Cholesterin/~mie als weitere GegenmaBregel in der Gravidi t~t gegen die h/imolysierenden Sch/idigungen infolge TS.tigkeit der Milz und Nebenniere. BENDA konnte auch einen abnorm niedrigen Cholesterin~piegel im Blur bei H/~matopathia gravi-. darum feststellen. So kann auch der Gegenbeweis geftihft werden, dab die Unterprodiaktion an Cholesterin Zu d e n aus- 16senden Ursachen der An/~mie als Gestose fiihrt, da der physiologische Schutz in der kritischen, humoraI-labilen Zeit versagt hat, and die AnpassungsfS~higkeit der I(oiist i tut ion des Blutapparates keine genfigende Variations- and Toleraiiz- breite hesitzt.

Zusammeniasser~l kann festgestellt werden, dab in der Schwangerschaft weitgehende humorale Umstellungeii im K6rper vorhanden sind, die einen grolgen EinfluB auf das gesamte Blutsystem austiben. Es besteht ein flieBender l~bergang zwischen den noch als normal zu bezeichnenden Blutbefunden and denen, die schon in das Gebiet der Toxikose des Blutes, der H~matopath ia gravidarum, geh6ren. Die Ursachen der VerXnderungen, die auBerhalb der Gravidit/~t schon als krankhaf t anzusehen w~ren; in dem schwangeren Zustande jedoch noch keine pathologische Dignit~t haben,. sind in einer h~molytischen Ver/~nderung zu sehen.

Ergebnis: In der Schwangerschaft veranlassen die Anderungen des

bestehenden Gleichgewichtes der ionendispers, molecular und kolloidal gel6sten Substanzen eine anfangliehe Hydr~mie des Blutes, sparer eine Plethora.

.Die charakterist isehe Schwxngerschaftspolycyth~mie geht gleichm~Gig mit der gesteigerten Cholesterin/~mie einher als Zeichen der konsti tutionellen Anpassungsf~higkeit des Blut- apparates. Der charakterist ische hyperchromat ische Index zeigt eine lebhaftere T/~tigkeit des blutberei tenden Systems an.

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Versagen des Ausgle iches de r h u m o r a l e n V e r i i n d e r u n g e n e r g i b t s chon in ge r ingem Grade u n d u n t e r v611ig n o r m a l e m k l in i schen Ver lau fe e inen h~imolyt ischen Z u s t a n d in der Gravidi t~i t , dessen S t e i g e r u n g den l~be rgang zu de r Toxikose, de r H ~ m a t o p a t h i a g r a v i d a r u m , b i lden .

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U B E R D E N M A M I L L E N R E F L E X .

V o n

D r . C O N S T A N T I N V. B R A M A N N . Aus der Chirurgischen Universit~tsklinik Berlin (Direktor: Geheimrat BIER).

Das V o r h a n d e n s e i n eines Mami l l en re f l exes be im Manne , yon d e m m a n wegen de r N i c h t i n a n s p r u c h n a h m e de r m ~ n n - l ichen Mami l le eine frf ihzei t ige V e r k i i m m e r u n g e r w a r t e n sollte, i s t e ine b e m e r k e n s w e r t e T a t s a c h e . Die Anlage dieses Ref lexes wie d e r - M a m m a f i b e r h a u p t erkl~irt s ich aus de r E / ih igke i t j ede r Keimzel le , sowohl die E n t f a l t u n g de r m ~ n n - l i chen wie de r we ib l i chen M e r k m a l e zu e rm6gl ichen .

N a c h A n s i c h t von GOLDSCI~MID~ e n t h a l t e n sowohl Ei- zellen wie S p e r m a t o z o e n die A n l a g e n ffir be ide Gesch lech te r , w~ihrend TAI~DLER n n d v. LENHOSSEK glauben , d a b das Ge- s ch l ech t a b ovo b e s t i m m t ist, u n d d a b die B e f r u c h t u n g n u t als aus l6sendes M o m e n t ffir den B e g i n n de r E n t w i c k l u n g an- zusehen ist. Die y o n KROSCHELT a n D i n o p h i l n s apa t r i s , e i n e m k le inen S t r u d e l w u r m , g e m a c h t e n B e o b a c h t u n g e n s ch i enen zu beweisen, d a b h ie r das Gesch lech t s chon im E i fes tge leg t sei, u n d zwar vo r de r B e f r u c h t u n g . Das weib l iche Tier b r i n g t n~imlich m~innliche u n d weib l iche E ie r he rvor , die in i h r e r Gr6i3e e twas v o n e i n a n d e r ve r s ch i eden sind. D e r bef ruchten .de S a m e n f a d e n sol l te n u t den E n t w i ck lungsp rozeB

in G a n g br ingen , ohne noch Einflul3 au f die Gesch lech t s - b e s t i m m u n g zu h a b e n .

Diese E rgebn i s se yon KROSC~tELT w e r d e n a l l e rd ings d u r c h neue re U n t e r s u c h u n g e n i n F r a g e gestel l t , weil s ich die Gr6Ben- d i f fe renz e r s t n a c h der B e f r u c h t u n g e ins te l len soll, also e r s t n a c h de r E n t s c h e i d u n g des Geschlech tes .

Es lag n u n nahe , a n z u n e h m e n , d a b de r oben be sch r i ebene V o r g a n g ein Gese tz yon a l lgemeiner G e l t u n g wen igs tens in bezug auf das T ie r re i ch sein k6nn t e , t 3 e o b a c h t n n g e n yon v. LENI~OSSEK a n m e n s c h l i c h e n Zwi l l ingen zeJgten a u c h die M6gl i chke i t de r Gfi l t igkei t dieses Gese tzes b e i m Menschen . W l i h r e n d die zweiei igen Zwil l inge s ich in de r G e M i r m u t t e r yon g e t r e n n t e n E m b r y o n M h f i l l e n umsch lossen en twicke ln , s ind die s e l t ene ren e inei igen Zwil l inge s te t s yon e iner gemein- s a m e n Chor ionb lase u m g e b e n . E r s t e r e e n t s t e h e n d a d u r c h , d a b zu gle icher Zei t zwei Eize l len zur R e i f u n g k o m m e n u n d b e f r u c h t e t werden , W~hrend die e inei igen aus e iner e inz igen b e f r u c h t e t e n Eizel le he rvo rgehen , woraus sich auch die A h n - l i chke i t in k6 rpe r l i chen E i g e n s e h a f t e n u n d geis t iger V e r a n - l agung bei e inei igen Zwi l l ingen erkl~irt, sowie ihre Gleich- gesch lech t l ichke i t , weil sie eben v o n de r se lben Eizel le s t a m m e n u n d d a h e r den gle ichen G e s c h l e c h t s c h a r a k t e r h a b e n , t t i e r b l e i b t a b e t die M6gl ichke i t bes tehen , d a b die Gesch lech t s - b e s t i m m u n g e r s t d u r c h die E i n w i r k u n g des S a m e n f a d e n s he rbe ige f f ih r t wi rd u n d dieser also g e s c h l e c h t s b e s t i n u n e n d ist.

I m m e r h i n geh t aus de r Gle ichgesch lech t l i chke i t de r e inei igen Zwil l inge hervor , dab das Gesch lech t des E m b r y o s sp i i t es tens yon d e m A u g e n b l i c k de r B e f r u c h t u n g a b u n v e r - ~inderlich f e s t s t e h t u n d d a b die Di f fe renz ie rung de r Geschlech- t e r n i c h t e r s t n a c h d e m I. M o n a t erfolgt . De r m e n s c h l i c h e E m b r y o i s t also au f de r e r s t en Stufe se iner E n t w i c k l u n g n i c h t h e r m a p h r o d i t i s c h , das A n f a n g s s t a d i u m der E n t w i c k l u n g des G e s c h l e c h t s a p p a r a t e s e n t z i e h t s ich n u r unse re r W a h r n e h m u n g . Der E m b r y o i s t w~ihrend dieser E p o c h e n i c h t geschlechts los . v. LENI~OSSEK sp r i ch t also d e m m ~ n n l i c h e n Gesch lech t die d i r ek t e Bee in f lu s sung auf die B e s t i m m u n g des Geseh lech te s a b u n d b e t o n t den U n t e r s c h i e d zwischen der V e r e r b u n g des Gesch lech te s e inerse i t s u n d de r de r sons t igen E i g e n s c h a f t e n andere r se i t s .

CORRENS bezweife l t die B e s t i m m u n g des Gesch lech tes ab ovo. N a c h se iner A n s i c h t b e s i t z t jede Keimzel le die F~hig- kei t , sowohl ffir die E n t f a l t u n g des m/ inn l i chen wie des weib- l i chen M e r k m a l k o m p l e x e s zu sorgen. E r f f ihr t die Gesch lech ts - b e s t i m m u n g au f die U n t e r d r f i c k u n g des e inen M e r k m a l k o m - plexes z u g u n s t e n des a n d e r e n zurfick. A u c h die Keimzel len h a b e n schon eine b e s t i m m t e geschlecht l iche T e n d e n z d u r c h U n t e r d r f i c k u n g eines A n l a g e n k o m p l e x e s , doch is t diese Ten- denz n i c h t in den Eize l len unab~inder l ich festgelegt , s o n d e r n das G e s c h l e c h t des N a c h k o m m e n wird e rs t n a c h de r Be f ruch - t u n g de f in i t i v en t sch ieden . Es f eh l t b e i m Z n s a m m e n t r e f f e n ung le iche r T e n d e n z e n n i c h t e twa eine Zufa l l sen t sche idung , s o n d e r n ein v o r h e r fes tge leg ter U n t e r s c h i e d in de r S t~ rke tier T e n d e n z e n b e s t i m m t das Gesch lech t des N a c h k o m m e n .

A u c h I4AMM~R~R is t de r Ans ich t , d a b sowohl O v u l u m wie S p e r m i u m die E l e m e n t e fiir das m ~ n n l i c h e u n d ffir das weib l iche Gesch lech t e n t h a l t e n u n d d a b diese Ke imze l l en im a l lgemeinen die T e n d e n z bes i tzen , v o n ih r e r d o p p e l t e n An lage n u t die e ine we i t e r zu en twicke ln . Bei E n t w i c k l u n g be ide r A n l a g e n e n t s t e h t ein m e h r oder m i n d e r v o l l k o m m e n e r H e r m a p h r o d i t i s m u s . Als l e t z t en Ter ra in de r U m s c h a l t u n g s i eh t er den B e f r u c h t u n g s m o m e n t an.

Es i s t n u n eine Ta t sache , d a b jedes Gesch lech t auBer den e igenen p r imi i ren u n d sekund~iren G e s c h l e c h t s m e r k m a l e n a u c h die M e r k m a l e des a n d e r e n Gesch lech tes h e r v o r b r i n g e n k a n n . Es f i nden s ich b e k a n n t l i c h a u c h b e i m E r w a c h s e n e n in bezug auf inne re u n d ~iul3ere Gen i t a l i en alle d e n k b a r e n Obe rg~nge zwischen den be iden Gesch lech te rn , u n d e s b le iben a u c h no rma le rwe i se Res t e de r Anlage des a n d e r e n Gesch lech te s e r h a l t e n .

Die An lage e iner M a m m a b e i m M a n n e m i t e inem deu t - l ich ausgeb i lde t en Mami l l en re f l ex s che in t die A n n a h m e be- st~irken zu k6nnen , d a b das Gesch lech t n i c h t a b ovo b e s t i m m t ist, d e n n bei e iner schon im E i fes tge leg ten Gesch lech t s - anlage, bei der d e m m ~ n n l i c h e n Gesch lech t ke ine d i r ek t e Be-