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Albrecht von Graefes Arch Klin Ophthalmol (1981) 216:245-251 Graefes Archiv f(Jr klinische und experimentelM Ophthalrnologie Springer-Verlag I981 Die Ver inderungen des Zellbesatzes der Netzhaut beim Diabetiker U. Fuchs 1, A. Reichenbach a, H. Siwula 1, G. Taubert 1 und P. Winiecki 3 1 Pathologisches Institut, 2 Carl-Ludwig-Institutftir Physiologie 3 Lehrstuhl ffir Medizinische Statistik und Dokumentation der Karl-Marx-UniversitfitLeipzig Changed Retinal Cell Content in Diabetics Abstract. A quantitative exploration of retinal cell content was carried out in diabetics and metabolically healthy controls of the same age and sex distribution. After diabetes of 6 years duration there was a drastic diminution of cells in the ganglion cell layer of the central retinal area, while the number of cells of the inner nuclear layer was slightly reduced and that of the outer nuclear layer was still unchanged. The periphery of short dura- tion diabetic retinae showed a normal cell content in all nuclear layers. In long-term diabetes (about 10 years), significant diminutions in cell num- bers were found in all layers of both the retinal center and periphery. The described cell deficits are accounted for by disturbances of retinal microcircu- lation. After a relatively short duration of diabetes, blood flow interruptions in the area supplied by the central retinal artery occur; in long-term diabetics the chorioidal vessels are also affected. Connexions between the cell-deficit pattern and functional (electrophysiological) findings are discussed. Zusammenfassung. Quantitative Untersuchungen des Zellbesatzes der Netz- haut von Diabetikern und Stoffwechselgesunden gleicher Alters- und Ge- schlechtsverteilung werden vorgelegt. Bereits bei einer Diabetesdauer bis zu 6 Jahren finden sich im zentralen Netzhautbereich drastische Verminderungen der Zellzahlcn in der Ganglien- zellschicht. Zu diesem Zeitpunkt sind die Zellzahlen in der inneren K~Srner- schicht der zentralen Retina gering und in der fiul3eren K6rnerschicht gar nicht vermindert. Die periphere Netzhaut yon Diabetikern mit kurzer Krank- heitsdauer weist einen unver/inderten Zellbesatz aller Schichten auf. Bei lgngerer Diabetesdauer (fiber 10 Jahre) finden sich signifikante Ver- minderungen der Zellzahlen in allen Schichten sowohl zentral als auch peri- pher. Die beobachteten Zellausffille werden auf St6rungen der retinalen Mikro- zirkulation zuriickgeffihrt. Bei relativ geringer Diabetesdauer sind St6rungen Adresse ftir Sonderdruckanforderungen:Doz. Dr. sc. reed. U. Fuchs, Pathologisches Institut der KMU, DDR-7010 Leipzig, Liebigstral3e26, Deutsche Demokratische Republik 006 5/6100/81/0216/0245/$01.40

Die Veränderungen des Zellbesatzes der Netzhaut beim Diabetiker

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Page 1: Die Veränderungen des Zellbesatzes der Netzhaut beim Diabetiker

Albrecht von Graefes Arch Klin Ophthalmol (1981) 216:245-251

Graefes Archiv f(Jr klinische und experimentelM

Ophthalrnologie �9 Springer-Verlag I981

Die Ver inderungen des Zellbesatzes der Netzhaut beim Diabetiker

U. Fuchs 1, A. Reichenbach a, H. Siwula 1, G. Taubert 1 und P. Winiecki 3 1 Pathologisches Institut, 2 Carl-Ludwig-Institut ftir Physiologie 3 Lehrstuhl ffir Medizinische Statistik und Dokumentation der Karl-Marx-Universitfit Leipzig

Changed Retinal Cell Content in Diabetics

Abstract. A quantitative exploration of retinal cell content was carried out in diabetics and metabolically healthy controls of the same age and sex distribution. After diabetes of 6 years duration there was a drastic diminution of cells in the ganglion cell layer of the central retinal area, while the number of cells of the inner nuclear layer was slightly reduced and that of the outer nuclear layer was still unchanged. The periphery of short dura- tion diabetic retinae showed a normal cell content in all nuclear layers. In long-term diabetes (about 10 years), significant diminutions in cell num- bers were found in all layers of both the retinal center and periphery. The described cell deficits are accounted for by disturbances of retinal microcircu- lation. After a relatively short duration of diabetes, blood flow interruptions in the area supplied by the central retinal artery occur; in long-term diabetics the chorioidal vessels are also affected. Connexions between the cell-deficit pattern and functional (electrophysiological) findings are discussed.

Zusammenfassung. Quantitative Untersuchungen des Zellbesatzes der Netz- haut von Diabetikern und Stoffwechselgesunden gleicher Alters- und Ge- schlechtsverteilung werden vorgelegt.

Bereits bei einer Diabetesdauer bis zu 6 Jahren finden sich im zentralen Netzhautbereich drastische Verminderungen der Zellzahlcn in der Ganglien- zellschicht. Zu diesem Zeitpunkt sind die Zellzahlen in der inneren K~Srner- schicht der zentralen Retina gering und in der fiul3eren K6rnerschicht gar nicht vermindert. Die periphere Netzhaut yon Diabetikern mit kurzer Krank- heitsdauer weist einen unver/inderten Zellbesatz aller Schichten auf.

Bei lgngerer Diabetesdauer (fiber 10 Jahre) finden sich signifikante Ver- minderungen der Zellzahlen in allen Schichten sowohl zentral als auch peri- pher.

Die beobachteten Zellausffille werden auf St6rungen der retinalen Mikro- zirkulation zuriickgeffihrt. Bei relativ geringer Diabetesdauer sind St6rungen

Adresse ftir Sonderdruckanforderungen: Doz. Dr. sc. reed. U. Fuchs, Pathologisches Institut der KMU, DDR-7010 Leipzig, Liebigstral3e 26, Deutsche Demokratische Republik

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im Bereich der A. centralis retinae bekannt, bei Langzeitdiabetes wird auch die Choriocapillaris betroffen.

Es werden Zusammenhfinge zwischen dem Muster der Zellaust'~tlle und den funktionellen (elektroretinographischen) Befunden diskutiert.

In der Netzhaut von Patienten mit 1/ingerdauerndem Diabetes mellitus sind die Zellzahlen der Ganglienzellschicht und der inneren K6rnerschicht vermin- dert; seltener ist die Schicht der Photorezeptoren betroffen (Wolter 1961 ; Blood- worth 1962, 1968). Diese Aussagen sind bisher nicht genau quantitativ-morpho- metrisch ftberpriift worden. Bei der vorliegenden Untersuchung wurde daher die Zahl der Zellen in den verschiedenen Schichten der NetzMute yon gleichaltri- gen stoffwechselgesunden Kontrollpersonen und yon Patienten mit einem Diabe- tes mellitus ermittelt. Es wird diskutiert, inwieweit sich die erhobenen Befunde mit den bekannten Stadien der diabetischen okulfiren Angiopathie erkl/iren las- sen und welche Zusammenhfinge zu den beschriebenen ERG-Ver~inderungen bei Diabetes. mellitus gefunden werden k6nnen.

Material und Methode

l. Untersuchungsmaterial

Untersucht wurden die NetzMute von 38 Patienten; nach den klinischen Befunden waren davon 13 stoffwechselgesund und 25 hatten einen Maturity-onset-Diabetes mellitus. Die Alters- und Ge- schlechtsverteilung war bei Stoffwechselgesunden und Diabetikern gleich: Die Patienten waren 56 bis 81 Jahre alt, das Durchschnittsalter betrug bei den Stoffwechselgesunden 68,5 Jahre und bei den Diabetikern 68,1 Jahre. In beiden Gruppen war etwa die Hglfte der Patienten mfinnlich. Das Vorhandensein eines Diabetes mellitus war bei den untersuchten Patienten seit durchschnittlich 6,7 Jahren bekannt; das Untersuchungsmaterial enthielt Ffille von neuentdecktem Diabetes und Langzeitdiabetes mit einer Dauer bis zu 16 Jahren. Zur gesonderten statistischen Auswertung der NetzhSmte diabetischer Patienten wurden zwei Gruppen ausgew/ihlt - a) mit einer Diabetesdauer yon 5 bis 6 Jahren und b) Langzeitdiabetes mit einer Krankheitsdauer von 10 bis 15 Jahren.

Jeder zweite Diabetiker wies eine Retinopathie der Stadien I u n d II nach Janert, Mohnike und Giinther (1956) auf. Fast die H~ilfte der Diabetiker war auf Insulin eingestellt, die fibrigen hatten Digit und zum Teil orale Antidiabetika erhalten. Schwere Arteriosklerosen und Hypertonien waren bei den diabetischen Patienten h/iufiger als in der Kontrollgruppe diagnostiziert worden.

2. Methode

Die sagittal durch die Papille halbierten Bulbi wurden langsam eingebettet. Die Schnitte wurden mit Wasserblau-Orcein-Eosin nach Unna und Hfimatoxylin~Eosin nach B6hmer geffirbt.

Mit Hilfe eines Netzokulars wurden je ein Quadrant links und rechts der Papilla N. optici - aber nicht unmittelbar die Makula - und je ein Quadrant 8 Netzokularquadranten peripher davon ausgezfihlt. Die Bestimmung der Schnittdicken erfolgte mit dem Zeiss-Durchlichtinterferenz- mikroskop Interphako nach der Zwei-Medien-Metbode. Als Einbettungsmedien wurden Glycerin und Gummi arabicum mit einer Brechzahldifferenz yon 0,003 verwendet. Der Gangunterschied wurde mit Shearing-Verfahreu mit totaler Bildaufspaltung und homogenem Umfeld in polychromati- schem Licht bestimmt. Zur Messung wurden die Paraffinschnitte entf~irbt. Es wurden pro Schnitt 40 Einzelmessungen durchgef~ihrt. Auf Grand der Gr6ge des Netzokularmikrometers, der Vergr613e- rung und der Schnittdicke ergab sich ein Volumen von 55 p.m ~, auf das die Zellzahlen bezogen wurden.

Die Signifikanzen wurden mit dem parameterfreien U-Test nach Mann und Whitney berechnet.

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Zellbesatz der Diabetikernetzhaut 247

Ergebnisse

1. Der Zellbesatz der Retina beim Vergleich aller Diabetiker mit allen Kontrollpatienten

Im zentralen Areal der Netzhaut liel3 sich bei den Diabetikern eine Abnahme der Zahl der retinalen Ganglienzellen - also des III. Neurons - auf etwa 60% gegenfiber den Kontrollwerten sichern. Eine etwa gleich starke Verminderung des Zellbesatzes in der Ganglienzellschicht lieB sich auch beim Vergleich stoff- wechselgesunder und diabetischer Patienten mit schwerer allgemeiner Arterio- sklerose nachweisen. Eine besonders schwerwiegende Reduktion der Zahl der Ganglienzellen wurde bei Patienten, deren Erkrankung eine Insulintherapie er- forderte, und bei Patienten mit nodulfirer Glomerulosklerose der Nieren festge- stellt; die Ganglienzellschicht dieser Netzhfiute wies nut 52 beziehungsweise 46% der Zellen auf, die bei Stoffwechselgesunden gezfihlt wurden. Alle bisher angeffihrten Differenzen sind mit 1 bis 5% Irrtumswahrscheinlichkeit signifikant.

Eine Verminderung der Zellzahlen in der inneren K6rnerschicht der Netz- Mute diabetischer Patienten urn 6 % lieB sich statistisch nicht sichern. Allerdings ergab sich ffir die NetzMute der Patienten mit Diabetes mellitus eine Verschie- bung der Hfiufigkeitspolygone nach geringeren Zellzahlen, so dab die Zellvermin- derung m6glicherweise nicht zufiillig ist.

Der Zellbesatz der guBeren K6rnerschicht der Netzhfiute diabetischer Patien- ten war nicht signifikant von dem der Netzhfiute stoffwechselgesunder Patienten verschieden.

In den peripheren Abschnitten der Netzhaut liel3en sich keine Ver~inderungen der Zellzahlen sichern; wfihrend in innerer und/iul3erer K6rnerschicht f~r Diabe- tiker und Stoffwechselgesunde nahezu gleiche Zellzahlen ermittelt wurden, war die Verminderung der Ganglienzellzahlen um 6 % in den Netzh/iuten der diabe- tischen Patienten statistisch nicht signifikant.

2. Der Zellbesatz der Retina bei unterschiedlicher Diabetesdauer

Um Anhaltspunkte ffir den Verlauf der diabetischen Netzhautdegeneration zu erhalten, wurden Netzhfiute von Patienten mit unterschiedlicher Diabetesdauer gesondert untersucht: Im folgenden werden die Ergebnisse einer Gruppe mit einer bekannten Diabetesdauer yon 5 bis 6 Jahren den Befunden an Netzhguten von Langzeitdiabetikern mit 10 bis 15 Jahre bestehendem Diabetes mellitus gegenfibergestellt (vgl. Abb. 1).

In der zentralen Netzhaut war die Zahl der Zellen in der Ganglienzellschicht bereits nach 5 bis 6 Jahren hochsignifikant auf ca. 52% der bei den Stoffwechsel- gesunden ermittelten Werte reduziert. Zu diesem Zeitpunkt war auch die Zahl der Zellen in der inneren K6rnerschicht schon um etwa 10% vermindert, wenn auch noch keine Signifikanz nachweisbar ist. Demgegentiber war nach 5 bis 6 Jahre andauerndem Diabetes der Zellbesatz der fiul3eren K6rnerschicht noch v611ig unver~indert.

Bei lfinger bestehendem Diabetes nahm die Zahl der Ganglienzellen in den zentralen Netzhautgebieten weiter ab; nach 10 bis 15 Jahren Diabetesdauer wurden durchschnittlich noch 41% der Kontrollwerte gezfihlt. Jetzt waren auch

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Zel lzahl=Z

10

zentrall

~ N L

~ I N L

2,

1,5 -

1-

0,5 -

0

Z

16

14

12

1C

8

15

4

2.

1,5

1

0,5

p e r._jph e..__r

~ONL

~""~GCL 0 I

{} I 5}6 10115 O[] ; ', 5}6 10/15 DD=Diobetes- KontroUe I I Diobetes mel I i tus Kontrolte I Diabetes mel l i tus dauerI'Johre'l

Abb. 1. Arithmetische Mittelwerte und Standardfehler der Zell-Zahlen (Z) in zentralen (links) und peripheren (rechts) Netzhautbezirken bei stoffwechselgesunden Kontrollpersonen (= Kontrolle) und Diabetikern einer Diabetesdauer (DD) von 5 bis 6 beziehungsweise 10 bis 15 Jahren. Die Zahlen sind bezogen auf ein Volumen yon 55 ym 3. ONL )kul3ere K6rnerschicht, INL Innere K6rnerschicht; GCL Ganglienzellschicht

die Zellzahlen der inneren K6rnerschicht hochsignifikant auf 57 % der Normal- werte reduziert. Nunmehr war auch eine starke Verminderung der Zellen in der/iul3eren K6rnerschicht zu beobachten; gegenfiber den Werten bei Stoffwech- selgesunden und Diabetikern mit 5 bis 6 Jahre bestehender Erkrankung waren die Zellzahlen auf 55% signifikant reduziert.

In den peripheren Netzhautabschnitten fand sich interessanterweise bei einer Diabetesdauer bis zu 6 Jahren keinerlei signifikante Verminderung des Zellbesat- zes aller drei K6rnerschichten. In den Netzhfiuten der Langzeitdiabetiker waren die Zellzahlen yon Ganglienzellschicht (auf 74%), innerer K6rnerschicht (auf 69%) und fiul3erer K6rnerschicht (auf 76%) nahezu gleichmfil3ig signifikant reduziert.

Diskussion

Die vorgestellten Ergebnisse sichern quantitativ morphometrisch die eingangs zitierten Befunde vo n Wo lter ( 1961) und Blo o dwo rth ( 1962, 1968) und erbrachten neue Kenntnisse tiber das zeitliche und rfiumliche Muster der diabetischen Netz- hautdegeneration: Bei Maturity-onset-Diabetikern nimmt innerhalb weniger Jahre zunfichst der Zellbesatz der Ganglienzellschicht und - weniger deutlich - d e r inneren K6rnerschicht der zentralen Netzhautbezirke ab. Nach fiber 10 Jahre bestehender Erkrankung sind die Zellzahlen in allen Schichten sowohl der zentralen als auch der peripheren Netzhautabschnitte vermindert.

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Zellbesatz der Diabetikernetzhaut 249

Wie die Gegenfiberstellung der Befunde an diabetischen und normoglykfimi- schen Patienten mit schwerer Arteriosklerose zeigt, k6nnen die beschriebenen Zellzahlverminderungen nicht allein durch die allgemeine Arteriosklerose verur- sacht werden. Dessen ungeachtet wird eine vaskulfire Genese der diabetischen Netzhautdegeneration als wahrscheinlich angesehen. GeffiBverfinderungen mit Zirkulationsst6rungen treten im Bereich der Arteria centralis retinae bereits in wesentlich fr/iheren Diabetesstadien als im Bereich der Choriokapillaris auf (vgl. Yonemura 1977). Es ist bekannt, dab die inneren Netzhautschichten vom Kapillarnetz der A. centralis retinae versorgt werden und die fiul3eren von der Chorioidea (Alto und Bill 1972, 1973; Bill 1975; Collier 1967; Dollery et al. 1966, 1969; Gay et al. 1964; Niesel 1976). Dabei haben die in der fiul3eren Netzhaut liegenden Photorezeptoren einen h6heren relativen und absoluten Sauerstoffbedarf als alle anderen retinalen Elemente (Drujan und Svaetichin 1972; Jaffe, Pautler und Russ 1975; Santamaria et al. 1971; Zuckerman und Welter 1980). Nach einer Diabetesdauer von 6 Jahren war die Zahl der Photore- zeptorzellen trotz ihres hohen Sauerstoffbedarfs nicht ver/indert; dieser Befund korreliert mit der Tatsache, dal3 die ffir deren Versorgung verantwortliche Chorioidea zu diesem Zeitpunkt noch keine pathologischen Verfinderungen auf- weist. Demgegenfiber entspricht die Zirkulationsbehinderung der A. centralis retinae den Zellausf/illen in den yon ihr versorgten inneren Netzhautschichten. Dies gilt ffir die zentralen Netzhautareale. Ffir die Netzhautperipherie kann angenommen werden, daf3 dort notfalls eine Versorgung aller retinalen Schichten fiber die Choriokapillaris m6glich ist, wie sie auch bei niederen Sfiugern mit anangiotischen Netzhauttypen stattfindet. Die Dicke der Netzhaut liegt zentral bei etwa 400 Fm, peripher nur noch bei ca. 200 gm. Die maximale Sauerstoffdif- fusionsstrecke im Gewebe betrfigt nach Warburg etwa 300 gin. Demzufolge k6nnten die inneren Netzhautschichten der peripheren Gebiete fiber die Chorio- idea versorgt werden, die der zentralen Areale jedoch nicht.

Bei langdauerndem Diabetes mellitus ist auch die Zirkulation in der Chorio- kapillaris eingeschrfinkt (vgl. Yonemura 1977; Yonemura und Kawasaki 1979). Wie nach der vorgestellten Hypothese zu erwarten, fallen Zellen in allen Netz- hautschichten sowohl zentral als auch peripher aus.

Im Anschlul3 soll noch ein Vergleich mit funktionellen Befunden versucht werden. Es ist bekannt, dal3 sich bei Diabetikern die Amplitude der b-Welle des ERG vermindert, wfihrend sich noch lange Zeit eine fast normale a-Welle ableiten l~il3t (vgl. Straub 1961; Babel et al. 1977; Dodt 1978). Die a-Welle entsteht in den ~iul3eren Netzhautschichten (Noell 1954), zum Teil in den Photo- rezeptoren (Murakami und Kaneko 1966; Hanitzsch und Trifonow 1968). Die b-Welle hat nach weitgehend fibereinstimmenden Ansichten ihren Ursprung in den Mfillerschen Gliazellen der Netzhaut (Faber 1969; Miller und Dowling 1970, 1972) und stellt wahrscheinlich eine Reaktion auf die durch die Aktivitfit der Neuronen in den inneren Netzhautschichten verfinderte Kaliumkonzentra- tion dar (Miller 1973; Mori, Miller und Tomita 1976; Miller et al. 1977; Dick und Miller 1978; Karwoski und Proenza 1978, 1980; Tomita 1978; Fujimoto und Tomita 1980). Ein Ausfall von Zellen in den inneren K6rnerschichten oder eine vorausgehende Funktionsst6rung dieser Zellen k6nnte daher die be- kannte b-Wellen-Reduktion zur Folge haben.

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Leider lassen sich mit der verwendeten Me thod ik die Zellausffille in der

inneren K6rnersch ich t nicht differenzieren; die Schicht enth/ilt b ipolare und

amakr ine Neurone , Hor izonta lze l len und die Mti l lerschen Gliazellen. Diese ver-

schiedenen Zel l typen mfissen nicht gleichartig auf die z i rkulator ischen VerS, nde-

rungen reagieren. Die yon Yonemura , Aok i und Tsuzuki (1962) beschriebene

und seitdem von vielen Au to ren bestfitigte Reduk t ion der wavelets im E R G

der Diabet iker (vgl. Babel et al. 1977; D o d t 1978) k6nnte nach Befunden von

Y o n e m u r a und Ha t t a (1966), Y o n e m u r a (1977) und Y o n e m u r a und Kawasak i

(1979) au f eine Funkt ionss t6 rung oder Verminderung von amakr inen Zellen

zurt ickzuf/ ihren sein. Obwoh l nach Rein6 und Niemeyer (1975) am perfundier ten

Auge die Mfil lerschen Gliazel len gegeniiber aku tem Sauers toffmangel sehr emp- findlich sind, wurde andererseits bei chronischer Malz i rku la t ion eine Prolifera-

t ion gli6ser Zellen zumindes t in spS, ten Stadien beobachte t (vgl. Kre ib ig 1961).

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Eingegangen am 4. Oktober 1980