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STALIN Dimitri Wolkogonow Triumph und Tragödie

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Triumph und Tragödie

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Mit der ersten sowjetischen Stalin-Biographie nach dem Tod des Diktators von Dimitri Wolkogonow wurden die Quellen der jüngeren sowjetischen Geschichte endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zum ersten Mal war es einem Autor möglich, alle vorhandenen Zeug-nisse über die Stalin-Zeit auszuwerten. Auf sie gestützt, gelang ihm ein atemberaubendes Porträt. Alle bisherigen Versuche, den »Generalissimus« zu charakterisieren, verblassen angesichts der Tatsachen: Die Dokumente aus dem Politbüro, aus dem Exekutivkomitee der Kommunis-tischen Internationale, aus den Sicherheitsorganen oder aus dem Volkskommissariat für Äußeres sprechen eine erschütternde Sprache. Dimitri Wolkogonows voluminöse Biographie ist ein Schlüsselwerk, das nun endlich wieder zugänglich ist!

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Dimitri Wolkogonow (1928–1995) war Professor für Philoso-phie, Historiker und sowjetischer Generaloberst. Seit 1950 Mit-glied der KPdSU, lehrte er ab 1970 Philosophie an der Militäraka-demie „Lenin“. Danach arbeitete er in der Politischen Hauptver-waltung der sowjetischen Streitkräfte und war Leiter des Instituts für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der UdSSR. Als solcher hatte er die Möglichkeit, die Geheimarchive der Partei zu studieren.

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Dimitri Wolkogonow (1928–1995) war Professor für Philoso-phie, Historiker und sowjetischer Generaloberst. Seit 1950 Mit-glied der KPdSU, lehrte er ab 1970 Philosophie an der Militäraka-demie „Lenin“. Danach arbeitete er in der Politischen Hauptver-waltung der sowjetischen Streitkräfte und war Leiter des Instituts für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der UdSSR. Als solcher hatte er die Möglichkeit, die Geheimarchive der Partei zu studieren.

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Dimitri Wolkogonow

STALIN

Triumph und Tragödie

Ein politisches Porträt

Aus dem Russischen vonVesna Jovanoska

edition berolina

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ISBN 978-3-95841-028-21. Auflage dieser AusgabeAlexanderstraße 110178 BerlinTel. 01805/30 99 99FAX 01805/35 35 42(0,14 €/Min., Mobil max. 0,42 €/Min.)

© 2015 by BEBUG mbH / edition berolina, BerlinDie Originalausgabe erschien 1989 by APN, Moskau, eine deutsche Ausgabe im selben Jahr im Claassen Verlag, Düsseldorf.Umschlaggestaltung: BEBUG mbH, BerlinDruck und Bindung: GGP Medie GmbH, Pößneck

www.buchredaktion.de

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Inhalt

Einleitung 9

Der Feuerschein des Oktobers 25En face und im Profil 28Der Februarprolog 41In Nebenrollen 50Der bewaffnete Aufstand 59Die rettende Chance 73Die russische Vendée 77

Die Warnung des Führers 97Lenins Kampfgenossen 98Der Generalsekretär 117Der Brief an den Parteitag 130Stalin oder Trotzki 142Die frühen Quellen der Tragödie 153

Wahl und Kampf 160Wie baut man den Sozialismus auf? 162Der Popularisator des Leninismus 181Die intellektuelle Verwirrung 194Trotzkis Niederlage 207Stalins »Privatleben« 224

Diktatur oder Diktator? 244Das Schicksal der Bauern 246Bucharins Drama 264Über Diktatur und Demokratie 283Der Parteitag des Siegers 297Stalin und Kirow 306

In der Toga des »Führers« 326In Stalins Schatten 350Das Phantom Trotzki 367Die Popularität des Triumphators 374

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Das Epizentrum der Tragödie 383Die »Volksfeinde« 384Die Schauprozesse 395Tuchatschewskis »Verschwörung« 419Das Stalinsche Monster 443

An der Schwelle des Kriegs 464Politische Manöver 468Die dramatische Wende 484Stalin und die Armee 504Das Verteidigungsarsenal 511Die Ermordung des Vertriebenen 519Geheimdiplomatie 535Verhängnisvolle Rechenfehler 552

Der katastrophale Anfang 567Ein paralysierender Schock 568Harte Zeiten 580Furchtbare Verluste 593Katastrophen und Hoffnungen 601Kriegsgefangenschaft und Wlassow 611

Der Oberste Befehlshaber 624Stalin und die Stawka 625Die Stalingrader Erleuchtung 633Der Oberste Befehlshaber und die Militärführer 643Das Denken des Strategen 653Stalin und die Verbündeten 667

Der Höhepunkt des Kultes 684Die Früchte und der Preis des Sieges 689Das Leichentuch der Stalinschen »Geheimnisse« 701Der Paroxysmus der Gewalt 710Der alternde »Führer« 723Eiswinde 729

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Relikte des Cäsarismus 745Mumien des Dogmatismus 756Die totale Bürokratie 767Irdische Götter sind sterblich 784Das Stalinsche Erbe 792Die historische Niederlage 794

Personenverzeichnis 799

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Einleitung

Wenn man es genau nimmt, begann das Jahr 1937 am 1. Dezem-ber 1934. An diesem Tag wurde Sergej Mironowitsch Kirow er-mordet. Aber schon die späten zwanziger Jahre hatten die Kontu-ren der folgenden grausamen Jahrzehnte erkennen lassen. Für die Schuldigen dieser Zeit gibt es keine Rechtfertigung.Wir erinnern uns jedoch, dass damals die Staudämme und die Hüttenwerke aus dem Boden schossen, dass Papanin, Angelina, Stachanow und Bussygin hart arbeiteten. In diesen Jahren er-reichte der Patriotismus seinen Höhepunkt, und wir errangen den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Es wäre falsch, bei der Verurteilung der Verbrechen Stalins die Errungenschaften des Sozialismus und seine prinzipielle Überlegenheit als Gesell-schaftssystem zu bestreiten. Trotz der Verbrechen Stalins wurde viel erreicht. Aber unter demokratischen Verhältnissen wären die Erfolge größer gewesen.Es wäre falsch, die Verurteilung Stalins oder der Personen in sei-ner Umgebung auszuweiten auf die Partei und auf Millionen von einfachen Menschen, deren Glaube an die Wahrhaftigkeit der re-volutionären Ideale nicht erschüttert worden ist.Es wäre falsch, die Erfolge und die Verbrechen unserer Vergan-genheit miteinander zu verrechnen: Was überwog bei Stalin? Ver-dienste oder Verbrechen? Die Frage ist unmoralisch. Kein Ver-dienst rechtfertigt die Missachtung der Menschenrechte. Kann von Verdiensten eines Menschen überhaupt die Rede sein, wenn durch seine Schuld viele Millionen starben?Heute wissen wir, dass Stalin ein grausamer Despot war, der das Volk gewaltsam von seiner politischen Führung entfremdete. Er schuf eine Symbiose von Bürokratie und Dogmatismus. Es liegen Quellen vor, anhand deren wir die Ursachen der Deformation des politischen Systems ergründen können. Unser Wissenshun-ger lässt sich am besten durch die Wahrheit stillen, wie bitter sie auch sein mag. Lenin schrieb: Besonders »schrecklich sind Illusi-onen und Selbstlüge, schlimm und zerstörerisch ist die Angst vor der Wahrheit«.

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Um das Phänomen Stalin zu analysieren, muss man die Rolle von Persönlichkeiten in der Geschichte auf marxistisch-leninistischer Grundlage betrachten. Dabei werden wir auch Arbeiten Lenins he-ranziehen und auswerten. Vor allem die als sein »Testament« be-kannten Dokumente sind von unschätzbarem Wert.Stalin hat sein Leben lang nicht vergessen, dass Lenin in seinem »Testament«, dem »Brief an den Parteitag« vom Dezember 1922, ihn und Trotzki als »herausragende Führer« bezeichnet hat. Er vergaß aber ebenso wenig die offene und schmerzhafte Charak-terisierung seiner Person. Er konnte sich auch nicht damit ab-finden, dass Lenin Bucharin »Liebling der Partei« genannt hat-te. Immer wieder hat Stalin versucht, Lenins Worten eine andere Bedeutung zu geben. In einer seiner Reden sagte er zum Beispiel: »Wir alle lieben Bucharin, aber die Wahrheit, die Partei und die Komintern lieben wir noch mehr.« In diesem Satz findet sich fast schon der ganze Stalin: der Idee ergeben – so, wie er sie verstand –, aber schlau und listig. Lenins Bemerkung, dass »Stalin zu grob« sei, kommentierte der Generalsekretär mit der Entgegnung, er sei »nur grob zu seinen Feinden«. In den letzten Jahren sind bei uns viele Biographien erschienen: über Cäsar, Napoleon, Charles de Gaulle, Mao Tse-tung und andere, die für immer in der Geschich-te verewigt sind. Es wurde sogar ein Buch über Hitler herausge-geben. Aber es gibt keine politische Biographie Stalins in der So-wjetunion, wohingegen im Ausland einige Dutzend Bücher über ihn veröffentlicht worden sind. Die Lücke in unserer Geschichts-schreibung versuchen bislang zahlreiche belletristische und his-torische Publikationen zu schließen, die sich mit verschiedenen Aspekten der Stalin-Zeit befassen. Diese Publikationen sind wie ein Regen nach einer langen Dürre. Ohne Zweifel werden bald auch wissenschaftliche Untersuchungen erscheinen. Historiker werden über Stalin wie über Chruschtschow, Breschnew und an-dere wichtige Personen in der Geschichte unserer Partei und un-seres Staats schreiben. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, nur ein politisches Porträt Stalins zu entwerfen und keine Biographie.Die hitzigen Diskussionen über Stalin verstummen nicht. Einer der Gründe für das große Interesse an seiner Person ist, dass seine Zeit, legt man historische Maßstäbe zugrunde, erst vor kurzem zu Ende gegangen ist: vor etwa vier Jahrzehnten. Das Schicksal Sta-

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lins ist noch verwoben mit den Schicksalen heute lebender Men-schen und ihrer nächsten Verwandten. Viele von uns sind in der Stalin-Ära aufgewachsen, und jeder von uns ist mit seiner Zeit verbunden. Die Wunden unserer Geschichte sind nicht verheilt, und wir werden sie noch lange spüren.Ein weiterer Grund für das anhaltende Interesse an Stalin ist die Erneuerung des Sozialismus, des Humanismus, der Gerechtig-keit, der historischen Wahrheit und der moralischen Ideale. Die Stalin-Ära hat gezeigt, dass der Dogmatismus in der Lage ist, einen Tempel der ehernen und ewigen Werte zu errichten. Au-ßer der Veränderung gibt es jedoch nichts Ewiges. Dogmatische Blindheit ist gefährlich, sie kann eine Ideologie in eine Religion verwandeln. Der Dogmatismus überträgt alle irdischen Freuden auf morgen und morgen auf übermorgen. Die revolutionäre Er-neuerung unserer Gesellschaft betrifft vor allem das gesellschaftli-che Bewusstsein. Nicht zufällig sind Dogmatismus und Bürokra-tie zum zentralen Gegenstand unserer Kritik geworden. Beides verbinden wir in hohem Maß mit den Jahren der autokratischen Herrschaft Stalins.Schließlich will ich noch auf einen Grund unter vielen hinweisen für das große Interesse am Leben dieses Menschen. Dieser Mann erschien seinem Volk nicht als Mensch, wie Lenin, sondern er stellte sich gottähnlich über die sowjetischen Bürger. Die sowje-tischen Menschen wussten nichts über Stalin, abgesehen von den zahllosen Lobeshymnen auf ihn wie von den Statuen und Bil-dern. Die knappe Biographie von ihm, die kurz nach dem Krieg erschienen ist, hat keine Autoren, obwohl in der Titelei G. f. Al-exandrow, M. B. Mitin, P. N. Pospelow und andere aufgeführt sind. Stalin selbst hat diese Biographie bearbeitet. Sie verherrlicht den Staatsmann und Parteiführer, aber der Mensch kommt nicht vor in ihr.1936 wurde ein Buch von Henri Barbusse herausgegeben: »Sta-lin«. Es genügt, ein paar Sätze darin zu lesen, um die Qualität dieser Arbeit bewerten zu können. Zum Beispiel: »Die Geschich-te seines Lebens ist eine Reihe ungezählter Siege über gewaltige Schwierigkeiten. Es verging kein Jahr seit 1917, in dem er nicht große Taten vollbrachte, von denen eine einzige genügt hätte, um ewigen Ruhm zu ernten. Stalin, das ist ein eiserner Mensch. Er

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macht seinem Namen alle Ehre: Stalin, der Stählerne.« Das Aka-demiemitglied Jemeljan Michajlowitsch Jaroslawski hat 1939 das Buch »Über den Genossen Stalin« veröffentlicht. Jaroslawski be-merkte zu Recht, über Stalin zu schreiben bedeute, über alle Akti-onen der Partei im Kampf für den Aufbau des Sozialismus in un-serem Land zu berichten. Aber dann finden wir darin Sätze nach dem Muster der folgenden:

»In den Volksliedern besingen und vergleichen die Sänger den Genossen Stalin mit einem gewissenhaften Gärtner, der seinen Garten liebt; und dieser Garten ist die Menschheit. Das Teuerste, das wir haben, sind die Menschen, sind die Kader. Die Fürsorge, die der Genosse Stalin den Kadern, dem Menschen, dem leben-den Menschen, zuteil werden lässt, das ist das, was das Volk am Genossen Stalin schätzt, das ist das, was wir vom Genossen Stalin lernen können.«

Der Kominternfunktionär Karl Radek widmete Stalin in seinem 1934 erschienenen Buch »Porträts und Pamphlete« ein langes Ka-pitel. Es liest sich wie die Lobpreisung eines Messias. Die Hym-ne auf den Führer, mit der Radek sich erniedrigte, bewahrte ihn nicht vor einem tragischen Schicksal.Der wissenschaftliche Wert solcher und ähnlicher Werke sowie der Mengen von geschönter Erinnerungsliteratur, die die Sta-lin-Zeit behandelt, ist gering. In ihnen zeigt sich das Klima der Unterwürfigkeit und Speichelleckerei, das Stalin und seine Gesin-nungsgenossen unter Einsatz von Gewalt erzeugt haben, beson-ders nach dem 17. Parteitag (1934).Stalin hat hart daran gearbeitet, dass die Menschen nach seinem Tod so über ihn dachten, wie er es wollte. Er und seine Mitstreiter waren dabei nicht ohne Erfolg, wie sich in unserer Literatur zeigt. Viele Seiten der Chronik unseres Landes sind unbeschrieben, vie-le sind entstellt, und manche wurden herausgerissen. Dieser Um-stand hat dem Autor die Arbeit schwer gemacht.Eine andere Schwierigkeit ist mehr allgemeiner Art. Jeder Mensch birgt in sich einen Mikrokosmos unerklärlicher Welten. Alle die-se Geheimnisse nimmt er mit ins Grab. Wir werden niemals al-les über einen Verstorbenen erfahren, aber es gibt verschiedene

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Möglichkeiten, vieles über das zu erfahren, was ein Mensch ge-dacht hat. Über die Gedankenwelt Stalins geben nicht nur seine Berichte, Briefe und Aufzeichnungen Aufschluss, sondern auch sein Handeln, wie es sich in der sozialen Wirklichkeit niederge-schlagen hat. Dazu gehören seine Verbrechen. Die Stalinsche Ge-dankenwelt ist nicht mehr gänzlich geheimnisvoll, wenn man be-trachtet, wovon sie sich nährte und worin sie sich ausdrückte. Dennoch wird unser Versuch, Stalins Taten zu erklären, in eini-gen Fällen in einer Sackgasse enden.Menschen, die außerhalb einer demokratischen Kontrolle ste-hen, die mit uneingeschränkter Macht ausgestattet sind, gewöh-nen sich an das Gefühl der Unfehlbarkeit. Solche Menschen sind meist von vielen anderen Menschen umgeben, aber sie sind im-mer einsam. Bei Stalin hielten sich in der Regel Molotow, Kag-anowitsch, Woroschilow, Malenkow und Berija auf. Stalin hat-te niemanden, mit dem er sich vergleichen konnte, niemanden, mit dem er diskutieren konnte, niemanden, dem er etwas bewei-sen musste, niemanden, vor dem er sich zu rechtfertigen brauch-te. Die Einsamkeit auf dem Gipfel, die uneingeschränkte Macht stumpften seine Gefühle ab, verwandelten sein Denken in kal-te Berechnung. Jeder Schritt, der immer gleich zu einem »histo-rischen«, »schicksalhaften«, »entscheidenden« wurde, tötete fast unmerklich das Menschliche im Menschen.

Als Grundlagen für meine Analyse dienten Lenins Arbeiten, Par-teidokumente, Materialien vieler Archive: des Zentralen Partei-archivs, des Obersten Gerichtsarchivs der UdSSR, des Zentralen Staatsarchivs der Sowjetischen Armee, des Archivs des Vertei-digungsministeriums der UdSSR, des Archivs des Generalstabs der Streitkräfte der UdSSR und andere Archive und Museen. Im Archiv des Verteidigungsministeriums der UdSSR hatte ich bei-spielsweise Gelegenheit, viele interessante, einzigartige, nie veröf-fentlichte Dokumente einzusehen. Sie beziehen sich im Wesentli-chen auf die militärischen Aspekte von Stalins Tätigkeit.Schon die erste Bekanntschaft mit den Erklärungen Stalins zu mi-litärischen Fragen zeigt, dass Stalin ganz und gar nicht immer das glaubte, was er proklamierte. Um dies zu belegen, ziehe ich auch Erinnerungen von Zeitgenossen Stalins heran. Hier ein Beispiel:

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Stalin liest den Urteilsentwurf des militärischen Kollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR gegen die Generäle D. G. Apol-los, W. J. Klimowskich, A. T. Grigorjew, A. A. Korotkow, denen unter anderem »antisowjetische Verschwörung und vorsätzliche Wehrkraftzersetzung an der Westfront« zur Last gelegt wurden. Ohne zu Ende zu lesen, stieß der »Führer« hervor: »Reden Sie keinen Blödsinn!«Daraufhin strich man »antisowjetische Verschwörung«, »verschwö-rerische Ziele« und »feindliche Tätigkeit« und schrieb stattdessen: »(…) offenbarten ihre Feigheit, die Unfähigkeit, ihre Befehlsgewalt anzuwenden; sie zeigten organisatorisches Unvermögen und ließen einen Verfall der militärischen Führung zu (…).« Obwohl die Be-schuldigungen nach wie vor ungerechtfertigt waren und das Urteil, welches am 22. Juli 1941 vollstreckt wurde, hart war, zeigt diese Episode, dass der »Führer« im Angesicht der Gefahr, die ihn und das Land bedrohte, nicht mehr das alte »Verschwörerspiel« spielen wollte. Wo liegen die Ursachen für die Irrationalität, Grausamkeit und Hinterlistigkeit dieses Menschen? Etwa in der religiös-dog-matischen Nahrung, die er während seiner Jugendjahre in großen Mengen verschlang? Oder in der eigenartigen Eifersucht, die er ge-genüber anderen Politikern wegen deren intellektuellen Formats empfand? Liegen die Ursachen in seiner Verbitterung, die schon vor der Oktoberrevolution entstanden war?Stalins Biographie vor der Oktoberrevolution besteht im wesent-lichen aus sieben Verhaftungen und fünf Fluchten. Seit seinem neunzehnten Lebensjahr erfüllte er illegal Aufträge von Parteikomi-tees. Er wurde immer wieder verhaftet, wechselte häufig seinen Na-men, beschaffte gefälschte Pässe, befasste sich mit der »Expropriati-on« von Geld zugunsten der Parteikasse und wechselte häufig den Wohnsitz. In den Verbannungsorten und Gefängnissen hielt er sich nicht lange auf, er floh und versteckte sich von neuem. Der Gedan-ke, ins Ausland zu gehen, ist ihm nicht in den Sinn gekommen.

Eine große Hilfe für dieses Buch stellten viele Zeitungen und Zeit-schriften dar, zum Beispiel Ausgaben der »Prawda« aus über dreißig Jahren, des »Bolschewik«, des »Politrabotnik« und viele andere. Ich konnte auch auf Zeitungen und Zeitschriften zurückgreifen, die nur in den zwanziger Jahren erschienen sind.

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Es ist bekannt, dass im Ausland eine umfangreiche Literatur über Stalin existiert. Es werden jährlich auch Dutzende und aber Dut-zende von Büchern veröffentlicht, die das Ziel haben, mit »Hilfe Stalins« die Idee des Sozialismus zu diskreditieren. Aber Stalins Pra-xis, den Sozialismus in Misskredit zu bringen, war weitaus gefährli-cher als die Werke bürgerlicher Sowjetologen.Ferner sind Aufzeichnungen von ausländischen Politikern, die seinerzeit Stalin begegnet sind, als Zeugnisse nicht uninteressant; wie zum Beispiel von Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill, Charles de Gaulle, Mao Tse-tung, Enver Hodscha. Das gilt auch für einige kleinere Arbeiten von Stalins Tochter Swetlana Alliluje-wa, die sie in der Emigration herausgegeben hat.Ich machte mich ferner mit den Argumenten politischer und ideologischer Gegner Stalins innerhalb des Landes vertraut, mit Arbeiten Leo Trotzkis, Grigorij Sinowjews, Lew Kamenews, Ni-kolaj Bucharins, Alexej Rykows, Michail Tomskis und anderer. Sie alle waren sowohl Mitstreiter als auch Schüler Lenins. Niemand von ihnen hat sich für einen Schüler Stalins gehalten. Sosehr auch später Lasar Kaganowitsch, Wjatscheslaw Molotow, Kliment Wo-roschilow, Georgij Malenkow, Andrej Schdanow und andere, die ihre Plätze einnahmen, versuchten, den Eindruck zu vertuschen: Stalin handelte nach dem alten Gesetz der Diktatoren. Die Men-schen, die er einsetzte, zeichneten sich durch Unterwürfigkeit aus und konnten ihm seinen Rang nicht streitig machen.Trotzki, Sinowjew, Kamenew, Bucharin und andere waren An-fang der zwanziger Jahre wesentlich bekannter als Stalin. Trotzki und Stalin waren in den Jahren der Revolution und des Bürger-kriegs nicht einmal vergleichbar, was ihre Popularität in Partei und Volk betrifft. Trotzki ging in die Geschichte ein als ein an-erkannter Führer der Oktoberrevolution, als einer der Gründer der Roten Armee und als bedeutender Theoretiker. Vor dem Jahr 1927 hatte er schon 21 Bände seiner Werke veröffentlicht! Die-ser energische Politiker, dem es beim Verfassen seiner Arbeiten an literarischem Talent nicht mangelte, kokettierte nicht selten vor dem Spiegel der Geschichte und versuchte, seine Ansprüche auf einen Platz an der Parteispitze zu rechtfertigen. Wahrscheinlich liebte er sich in der Revolution mehr als die Revolution selbst.Als ich mich mit den Bänden seiner Werke vertraut machte, war ich

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erstaunt darüber, dass Trotzki bereits in den Jahren des Bürgerkriegs sorgfältig darauf achtete, was später über ihn geschrieben werden sollte. Briefe und alle möglichen Schriftstücke, die er erhielt, be-wahrte er sorgsam auf. So sammelte er auch Anfragen von Dip-lomaten, die ihn um Audienz baten, und er archivierte Zeitungs-ausschnitte, die über ihn und seine Arbeit berichteten. Trotzki war davon überzeugt, dass nach dem Tod Lenins die Führung der Partei auf ihn übergehen müsste. Und das nicht ohne Grund.Häufiger als alle anderen war Stalin das Hauptziel von Trotzkis Attacken. Allerdings hat er den Großteil seiner antistalinschen Literatur erst nach seiner Verbannung aus der UdSSR verfasst. Trotzki charakterisierte Stalin als den »Herausragendsten in der Partei an Mittelmäßigkeit«. Im Übrigen hat Trotzki es kaum ver-borgen, dass er sich für ein intellektuelles Genie hielt. Trotzki versuchte häufig, seine Gegner als minderwertig darzustellen. So sagte er zum Beispiel 1924 über Sinowjew, er sei »von einer auf-dringlichen Mittelmäßigkeit«, dem belgischen Sozialistenführer Emile Vandervelde bescheinigte er »glänzende Mittelmäßigkeit« und dem Menschewiken Irakli Zereteli »begnadete und ehrliche Mittelmäßigkeit« usw.Nach der Verbannung aus der UdSSR blieb Trotzki eine nie nachlassende Leidenschaft: der Hass auf Stalin. Besonders deut-lich tritt dies in seinem letzten, unvollendeten Buch »Stalin« her-vor. Obwohl Trotzki darin versichert, persönliche Motive spielten keine Rolle: »Unsere Wege sind vor so langer Zeit und so weit auseinandergegangen, und er ist für mich in solch einem Maße Geschütz historischer und feindlicher Kräfte, sodass meine per-sönlichen Gefühle für ihn sich nicht von jenen unterscheiden, die ich für Hitler oder für den japanischen Mikado empfinde; das Persönliche zwischen uns ist schon lange verglüht.« Niemand auf der Welt hat so viel Vernichtendes, Böses, Polemisches über Stalin geschrieben wie Trotzki, und es hat niemand so viel zur Entlar-vung Stalins beigetragen wie er.Stalin erwiderte die Angriffe Trotzkis mit ebensolchem Hass. Be-sonders deutlich zeigte sich dies bei ihren Auseinandersetzungen in der Zeit der Schlacht um Zarizyn und während des Bürger-kriegs. Am tragischen 21. Januar 1924 schickte Stalin folgendes Telegramm in den Süden:

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»Man übermittle dem Genossen Trotzki, dass am 21. Januar 1924 um 6.50 Uhr der Genosse Lenin unerwartet verstarb. Der Tod erfolgte durch eine Atemlähmung. Beerdigung am Samstag, den 26. Januar. Stalin«

Als er das Telegramm schrieb, wusste Stalin sicher: Jetzt steht ihm ein erbitterter und schonungsloser Kampf gegen Trotzki um die Führung in der Partei bevor. Stalin dürfte allerdings kaum geahnt haben, dass er Trotzki zwar besiegen, aber niemals von ihm los-kommen würde. Die bürokratischen Befehlsmethoden, die Ge-walt, das »Anziehen der Schrauben«, deren Verfechter Trotzki ge-wesen war, wurden zu Stalins Rüstzeug. Liegt vielleicht hierin ein Ursprung der künftigen Tragödie? Bis zur Ermordung Trotzkis im August 1940 hinterließ der Kampf zwischen Stalin und Trotzki Spuren im Denken des Generalsekretärs. Um die tiefen Schichten von Stalins Innenwelt zu verstehen, habe ich den Kampf studiert zwischen dem Generalsekretär und dem Mann, den er für seinen größten Feind hielt.

Ich hatte die Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die Stalin begegnet waren. Sie waren so oder so in den Strudel der Ereignisse geraten, die durch Stalin hervorgerufen wurden. Ergiebig waren auch die Gespräche mit einer Reihe von Menschen aus der enge-ren Umgebung Stalins: mit ehemaligen Mitarbeitern des Zentral-komitees der Kommunistischen Partei, des Rats der Volkskom-missare und des NKWD; mit ehemaligen höchsten sowjetischen Militärführern, mit Menschen aus politischen und gesellschaft-lichen Institutionen – mit den Menschen also, deren Leben auf diese oder auf jene Weise durch die Handlungen oder Entschei-dungen des »Führers« bestimmt wurden.Ich habe diesem Buch den Titel »Stalin. Triumph und Tragödie« gegeben, weil ich versuchen will zu zeigen, wie der Triumph eines Menschen sich in die Tragödie eines Volks verwandelte. Nikita S. Chruschtschow setzte auf dem 20. Parteitag in seinem Bericht die Akzente auf seine Art. Er sagte über Stalin unter anderem Folgendes:»Wir können nicht sagen, dass es sich hier um die Taten eines machttrunkenen Despoten handelte. Er war zu dem Schluss ge-langt, dass dies im Interesse der Partei, der arbeitenden Massen,

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im Namen der Verteidigung der Ziele der Revolution getan wer-den müsse. Hierin liegt die ganze Tragödie!«

Ich glaube, dass diese Betrachtungsweise nicht richtig ist. Sie rechtfertigt Stalin. Der »Führer« liebte mehr als andere auf der Welt seine persönliche Macht. Er benutzte seine uneingeschränk-te Macht zu ungeheuerlichen Repressalien, und darin sah er keine Tragödie.Stalin gewöhnte sich schnell an die Gewalt als Attribut der ab-soluten Macht. Die Verfolgungsmaschine, die Stalin in den drei-ßiger Jahren mit voller Kraft wüten ließ, machte nicht nur die Funktionäre der unteren Ränge besessen, sondern auch Stalin selbst. Es ist denkbar, dass das Abgleiten zur Idee der Gewalt eine Reihe von Etappen durchlief: Zunächst war es ein Kampf gegen wirkliche Feinde, dann folgte die Vernichtung von persönlichen Gegnern, und schließlich wurde die Gewalt angewendet als De-monstration der Ergebenheit vor dem »Führer«. Im Schatten der Bedrohung von außen wurde eine Atmosphäre der geistigen Be-lagerung geschaffen. Dies war der spezifische Zustand des gesell-schaftlichen Bewusstseins, der im Jahr 1937 seinen Höhepunkt erreichte: Die Gewalt triumphierte über das Recht und der Perso-nenkult über die Volksmacht.Konnte man denn wirklich glauben, dass von den sieben Polit-büromitgliedern, die im Mai 1924 auf dem ersten Parteitag nach Lenins Tod gewählt wurden, alle außer Stalin plötzlich zu »Fein-den« wurden? Sogar in den Zeiten der mittelalterlichen Inquisiti-on hatte niemand auf solch einer »Sauberkeit« bestanden. Stalin vernichtete die »Feinde«, und die Wellen gingen weiter und wei-ter. Das war der tragische Triumph einer bösen Macht.Manchmal ist es schwer, zu erklären, warum Stalin, der doch schon alle seine Gegner vernichtet hatte, es für nötig befand, die Verfolgung der besten Leute der Partei und des Staats fortzuset-zen. Und dies am Vorabend des drohenden Kriegs.In den Organen des Innenministeriums (NKWD) hatten einige Bolschewiki früh die Gefahr des Systems der allgemeinen Ver-dächtigungen und Repressionen erkannt. Allein aus ihrer Mitte wurden mehr als 23 000 zu Opfern der barbarischen Gesetzlo-sigkeit.

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Nicht einmal die schlimmsten Grimassen der Geschichte aber konnten letzten Endes das sowjetische Volk daran hindern, sich der Verwirklichung von hohen Idealen zu nähern. Sogar die tra-gischsten Jahre haben es nicht vermocht, in Millionen von sowje-tischen Menschen den Glauben an humanistische Werte auszulö-schen. In der Dialektik des Triumphes und der Tragödie verbirgt sich die unendliche Komplexität des Seins. Auch wenn die Volks-massen die entscheidende Rolle spielen, so hängt von den Persön-lichkeiten in der Geschichte doch viel ab. Das Tragische bestand hier darin, dass Stalin von Millionen nicht ans Mensch aus Fleisch und Blut, sondern als ein Symbol des Sozialismus, ja als seine In-karnation empfunden wurde. Die häufig wiederholte Lüge kann einem als Wahrheit erscheinen. Die Vergötterung des »Führers« rechtfertigte, unter Berufung auf die Umtriebe der »Feinde«, in den Augen der Menschen die Verletzung des Rechts und schrieb alle Erfolge einem einzigen Menschen zu. Umso mehr, als Stalin es verstand, grandiose Vorhaben zu propagieren.Stalin liebte es, besonders vor großem Publikum, sich bei der Ver-kündung wichtiger Entschlüsse auf die Klassiker des Marxismus- Leninismus zu berufen. Hier offenbarte er eine allgemeine mensch-liche Schwäche. Die Menschen suchen die Sicherheit. Selbst solch ein mächtiger Mann wie Stalin zog es vor, sich hinter ideologischen Klischees, hinter der Autorität einer Theorie, hinter den unvergäng-lichen Ideen seines großen Vorgängers zu verstecken.

Viel gaben mir die Erinnerungsbücher berühmter sowjetischer Militärführer: Iwan Bagramjan, Alexander Wassilewski, Arsenij Golowko, Andrej Jeremenko, Georgij Schukow, Iwan Konew, Ni-kolaj Kusnetzow, K. A. Meretzkow, Kirill Moskalenko, Konstan-tin Rokossowski, S. M. Stemenko und anderer. Selbstverständ-lich habe ich berücksichtigt, dass die Zeugnisse dieser verdienten Personen in einer Zeit geschrieben wurden, da über Stalin noch nicht viel bekannt war. Und kurz nach dem 20. und 22. Parteitag war es nicht möglich, das Thema des Personenkults völlig offen zu analysieren. Soldaten, besonders auf höheren Kommandoebenen, haben die erbarmungslose und ungerechte Hand Stalins am eige-nen Leib zu spüren bekommen.Aber außer A. W. Gorbatow und wenigen anderen Militärführern