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Dossier: Asmara Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne e1ns I 2-3-2007 Foto: Edward Denison Kann der Superlativ „Asmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der modernen Architektur“ noch getoppt werden? Durchaus. Architekturhistoriker zögern zwar. Denn ihnen war bisher der Architekturschatz der eritreischen Metropole entgangen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass in den Stilformen der frühen Moderne zwar Stadtteile und größere Wohnsiedlungen gebaut wurden, aber kein geschlosse- nes Architekturensemble einer Haupt- oder größeren Stadt, das sich mit Asmara messen könnte. Eine Wanderausstellung möchte dazu beitragen, dieses Weltkulturerbe zu bewahren. Vor allem ein für Eritrea entwicklungsförderlicher Tourismus könnte davon profitieren, wenn endlich stabiler Friede in der Region einkehrt und die Menschenrechte respektiert werden. Redaktion

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AsmaraAfrikas heimliche Hauptstadt der Moderne

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Kann der Superlativ „Asmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der modernen Architektur“ noch getopptwerden? Durchaus. Architekturhistoriker zögern zwar. Denn ihnen war bisher der Architekturschatz dereritreischen Metropole entgangen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass in den Stilformen derfrühen Moderne zwar Stadtteile und größere Wohnsiedlungen gebaut wurden, aber kein geschlosse-nes Architekturensemble einer Haupt- oder größeren Stadt, das sich mit Asmara messen könnte. EineWanderausstellung möchte dazu beitragen, dieses Weltkulturerbe zu bewahren. Vor allem ein für Eritrea entwicklungsförderlicher Tourismus könnte davon profitieren, wenn endlich stabiler Friede in derRegion einkehrt und die Menschenrechte respektiert werden. Redaktion

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„Solche Gebäude haben wir auch in Asmara“, entfuhres spontan Naigzy Gebremedhin, als er im Frühjahr2000 die Ausstellung über Erich Mendelsohn in der Tü-binger Kunsthalle sah. Mendelsohn gehört neben Wal-ter Gropius und Mies van der Rohe zu den bedeutend-sten deutschen Architekten der frühen Moderne. DieIdee einer Ausstellung in Deutschland über die Asma-ra Architektur war geboren.

Erste Versuche, kompetente Träger und Sponsoren zugewinnen, schlugen fehl. Das Institut für Auslandsbe-ziehungen, das die Mendelsohn Ausstellung kuratierthatte, und das Bauhaus Archiv in Berlin winkten ab:Italienische Kolonialarchitektur sei Sache der Italiener.Als dann 2003 Naigzy zusammen mit den Architek-turhistorikern und Fotografen Edward Denison undGuang Yu Ren das grundlegende Buch „Asmara – Afri-ca’s Secret Modernist City“ beim Merrill Verlag in Lon-don herausbrachten , änderte sich die Lage. Öffentli-ches Interesse weckten Rezensionen in eins Entwick-lungspolitik (3-2004) und Architekturzeitschriften.

Mit dem Standardwerk der Asmara Architektur gelanges dem Architekten Christoph Melchers, Kolleginnenund Kollegen von der Bedeutung der Asmara Archi-tektur zu überzeugen, die das Projekt auch finanziellunterstützten, allen voran Nina Nedeylkov, Prof. ArnoSighart Schmid, Konstantin Kleffel und Wolfgang Rieh-le. Die Direktorin des Deutschen Architektur Zentrums(DAZ) des Bundes Deutscher Architekten (BDA), Kris-tien Ring konnte für die erste Ausstellung im DAZ ge-wonnen werden. Prof. Omar Akbar, Direktor der Stif-tung Bauhaus Dessau, war zuerst skeptisch. Als ihndann aber Christoph Melchers und der äthiopische Ar-chitekt Dawit Shanko, der die Künstler- und Architek-ten-Initiative für Schuhputzer, Listros e.V., gegründethat, in Dessau aufsuchten und ihm das Asmara Buchzeigten, war der Gralshüter der Bauhaus-Architekturso fasziniert, dass er spontan anbot, die Ausstellung zu-sammen mit Naigzy Gebremedhin zu kuratieren.

Die Detailarbeit für die Herstellung der 24 Panels derAusstellung übernahm der Mitarbeiter von Omar Ak-bar, Rainer Weisbach, der sich in wenigen Monatenzum Experten für Asmara Architektur einarbeitete.Auch der Spezialist für computergestützte Rekon-struktionen und Modellgestaltung, Prof. WolfgangKnoll, Universität Stuttgart, war von der Asmara Ar-chitektur so begeistert, dass er Modelle von sechs her-ausragenden Gebäuden zum Selbstkostenpreis her-stellte.

Asmara-Liebhaberin Uschi Eid, ehemalige G8-Afrika-sherpa des Bundeskanzlers, gelang es, die wichtigstenSponsoren zu gewinnen: Wilfried Grolig, Leiter der Kul-turabteilung des Auswärtigen Amts, WolfgangSchmitt, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaftfür Technische Zusammenarbeit (GTZ), Wolfgang Kroh,Vorstand der KfW-Bankengruppe und den Geschäfts-führer des Afrikavereins, Hans W. Meier-Ewert. Eid undder eritreische Botschafter, Petros Tseggai Asghedom,waren zuerst bereit, die Schirmherrschaft zu überneh-men. Ihnen folgten der BDA, der Weltverband der Ar-chitekten (UIA) und schließlich auch die UNESCO nacheinem Treffen von Uschi Eid mit dem Generalsekretär

Koichiro Matsuura. Für die Ausstellung beim DeutschenArchitekturmuseum in Frankfurt stieß noch die italieni-sche Konsulin, Rosa-Maria Chicco-Ferraro hinzu. DieSchirmherrschaft der UNESCO ist von besonderer Be-deutung,ist es doch eines der Hauptziele der Ausstellung,dass Asmara in die Welterbeliste der UNESCO aufge-nommen wird.

Den Kern der Asmara-Ausstellungs-Initiative bildet diedeutsch-eritreische „Asmara-Ausstellung Projektgruppe“.Als Partner für die Trägerschaft stellten sich der „Vereinzur Förderung von Bildung und Publizistik zu Umweltund Entwicklung e.V.“ zur Verfügung. Weitere Koopera-tionspartner sind: das Projekt zum Erhalt des Kulturerbesvon Eritrea (CARP) in Asmara mit seinem derzeitigen Di-rektor Gabriel Tseggai, die Zeitschrift eins Entwicklungs-politik und Listros e.V.. Die ersten Mitglieder der Projekt-gruppe sind:Girma Biru,Alem Hoffmann,Anna Latz,Me-konnen Mesghena (Sprecher), Christoph Melchers (Koor-dinator),Konrad und Nina Melchers,Nina Nedeylkov,Ma-nuel Schupp, Dawit Shanko, Selam Tzeggai und WintaYohannes. Bei der Vorbereitung der Ausstellung in Frank-furt sind noch hinzugestoßen: Bisrat Kiefle, Bahlbi Ku-brom, Judith Melzer und Michael Tesfai.

Nach der ersten Station der Wanderausstellung im DAZ inBerlin folgt von Februar bis April 2007 das Deutsche Ar-chitekturmuseum (DAM) in Frankfurt. Im April-Mai wirdsie in Kassel und im Herbst 2007 in Stuttgart gezeigt. Hiersind jeweils Zentren der eritreischen Diaspora inDeutschland, der beim Erhalt des Kulturschatzes von Er-itrea eine herausragende Rolle zukommt. Aus weiterenStädten ist Interesse an der Ausstellung signalisiert wor-den, besonders wichtig, Tel Aviv mit dem bedeutendenBauhaus-Architekturerbe. Die UIA hat die Ausstellung zuihrem nächsten Weltkongress 2008 in Turin eingeladen.Die afrikanischen Architekten Gaetan Siew, Mauritius,Präsident der UIA, und Charles Majoroh, Nigeria, ehema-liger Präsident der African Union of Architects (AUA), set-zen sich auch dafür ein, dass die Ausstellung durch Afri-ka wandert.

Dieses „Dossier“ der Asmara Ausstellung dient als ein-führende Information in die Architektur Asmaras, überihre Bedeutung im Weltmaßstab und die bisherige Re-sonanz der Ausstellung. Die Ausstellung soll weiter durchdie Welt wandern, um die Bemühungen zum Erhalt As-maras als Weltkulturerbe zu verstärken. Dafür brauchtsie weitere Unterstützer, Spenden und Mitarbeit.

Mekonnen Mesghena, Vorstand Verein zur Förderung von Bildung und Publizistik

zu Umwelt und Entwicklung e.V.,

Konrad Melchers

Spendenkonto: KtoNr. 104001265, Evangelische Kreditgenossenschaft Kassel in Frankfurt, BLZ 52060410

Konrad Melchers

Dossier Editorial

Mekonnen Mesghena

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Eine der schönsten Städte Afrikas

Grußwort von Dr. Uschi Eid (MdB, Schirmherrin der Ausstellung)

Asmara ist für mich eine der schönstenStädte Afrikas. Das Flanieren auf derHauptstraße mit kleinen Abstechern indie Seitenstraßen ist ein Ausflug in dieklassische Moderne mit atemberauben-den Gebäuden wie z.B. der Tankstelle Ta-gliero, harmonisch verbunden mit dem

Treiben auf einem ostafrikanischen Obst-, Gemüse- und Gewürz-markt und dem Verweilen mit einem „Latte Macchiato“ auf demBürgersteig vor einem Café des „Art déco“. Es ist das Verdienst derArchitekturausstellung „Asmara – heimliche Hauptstadt der Mo-derne“, einen anderen Blick auf das Land am Roten Meer zu wer-fen, als es die politischen und wirtschaftlichen Umstände der ver-gangenen 100 Jahre nahe legen.

Die kolonialhistorisch komplexe Form, in der sich hier Architektur-sprachen zusammenfinden und als vollständig erhaltenes Gebäu-deensemble im Stadtkern von Asmara nicht nur eine leidvolle Ge-schichte, sondern auch von spannungsreichen ästhetischen Verbin-dungen erzählen, ist einmalig in Afrika. Es ist etwas, auf das die Er-itreer zu recht stolz sein können und das erhalten werden sollte. DieBedeutung der Architektur Asmaras reicht auch weit über Afrika hin-aus.

Dieses architektonische Erbe Asmaras in Afrika und darüber hinausbekannt zu machen, ist nicht zuletzt dem Buch von Naigzy Ge-bremdhin, Edward Denison und Guang Yu Ren zu verdanken. Sein Er-halt und seine Renovierung aber bedürfen vielfältiger Unterstützung.Ein wichtiger Schritt hierfür ist die Bewerbung für die Aufnahme desStadtkerns von Asmara in die Weltkulturerbeliste der UNESCO. Wirsind dank des Engagements des „Vereins zur Förderung von Bildungund Publizistik zu Umwelt und Entwicklung e.V.“ diesem Ziel einStück näher gekommen. Nun geht die Ausstellung auf internationa-le Wanderschaft und es ist zu wünschen, dass sie das Interesse vielerMenschen in europäischen und afrikanischen Ländern weckt und dieWelt bald um ein einzigartiges städtebauliches UNESCO-Kulturerbereicher ist.

Ganz anderer Blickwinkel auf Eritrea

Grußwort des Leiters der Kulturabteilungdes Auswärtigen Amtes, MinisterialdirektorWilfried Grolig, zur Eröffnung der Asmara-Ausstellung am 2.10.06 im Deutschen Architektur Zentrum Berlin

Diese Ausstellung über das reiche archi-tektonische Erbe Asmaras bietet die ein-zigartige Möglichkeit, das in Deutschlandwenig bekannte Kulturerbe Eritreas einerbreiten Öffentlichkeit in Deutschland be-kannt zu machen.

Die lange und leidvolle Auseinandersetzung um die Unabhängig-keit von Äthiopien hat dazu geführt, dass der Blick der Öffentlich-keit auf den kulturellen Reichtum und die architektonische Schön-heit Asmaras verstellt ist. Wir hoffen, dass Eritrea mit dieser Aus-stellung aus der Isolation heraustreten kann, in der es sich noch im-mer befindet.

Kultur jeder Art besitzt die Fähigkeit, Brücken zwischen Menschenunterschiedlicher Nationen zu bauen. Eine Ausstellung wie die, diewir heute hier gemeinsam eröffnen, bietet uns die Möglichkeit, einLand, nämlich Eritrea, einmal aus einem ganz anderen Blickwinkelkennen zu lernen, ein Blickwinkel, der es jenseits von politischen Kon-flikten erlaubt zu erkennen, dass es weit mehr Perspektiven und Fa-cetten gibt als die, die uns die Medien tagtäglich präsentieren.

Wir hoffen, dass die Asmara-Ausstellung das Interesse des deutschenund internationalen Publikums an Eritrea und seiner schönen Haupt-stadt wecken bzw. vertiefen wird. Wir würden es auch begrüßen,wenn mit der Ausstellung finanzielle und ideelle Unterstützung fürden Erhalt dieses einzigartigen Stadtkerns Asmaras’ mobilisiert wer-den könnte, um auch das touristische Potenzial und damit die wirt-schaftliche Entwicklung Eritreas zu stärken.

In diesem Sinne freue ich mich, dass die UNESCO die Schirmherr-schaft für die Ausstellung mit übernommen hat und nun die Auf-nahme Asmaras in die Liste des Weltkulturerbes prüft.

Gute Aussichten für Aufnahme in Weltliste

Grußwort der UNESCO von BotschafterHans-Heinrich Wrede, Ständiger VertreterDeutschlands bei der UNESCO

Der Generaldirektor der UNESCO, KoichiroMatsuura, hat gerne dem Wunsch entspro-chen, diese beeindruckende Ausstellung dieSchirmherrschaft der UNESCO zu gewäh-ren. Damit, so meine ich, wird ein Beitragdazu geleistet, eine breitere Öffentlichkeit

auf das ungewöhnlich reiche und vielseitige architektonische Erbevon Asmara aufmerksam zu machen. Das hervorragende Ensemblemoderner Architektur in Eritreas Hauptstadt verdient uneinge-schränkt die positiven Multiplikationseffekte, die dank der so wir-kungsvollen Präsentation ausgelöst werden – zunächst hier in Berlinund später sicherlich auch in Frankfurt, Kassel, Stuttgart und schließ-lich in Turin. Darf ich fragen: Warum nicht auch in Paris, am Sitz derUNESCO ?

Die UNESCO ist zuständig für den Schutz des Kultur- und Naturerbesder Welt. Asmaras Architektur besitzt gute Aussichten, in die Welt-erbeliste aufgenommen zu werden. Nach meinen letzten Informa-tionen könnte der gegenwärtig ausgearbeitete Antrag auf Aufnah-me möglicherweise schon im Sommer 2007 behandelt werden. Las-sen Sie uns also alle zusammen die Daumen drücken!

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IV Dossier Architektur in Asmara

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Ein WeltkulturerbeAsmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne

Omar Akbar undNaigzy

Gebremedhin

Asmara, die Hauptstadt Eritreas, beherbergt eine der größten Kollektionen modernistischer Architektur weltweit. Im Rahmen der Stadterweiterung in den1930er Jahren entstand ein einmaliges Ensemble an Bauten, das als italienischeInterpretation des „International Style“ in seiner Bedeutung mit Städten wie TelAviv, Miami South Beach oder dem neuseeländischen Napier vergleichbar ist.Mit der Befreiung Eritreas 1991 begann auch die Wiederentdeckung der selbst inExpertenkreisen kaum bekannten räumlichen und baulichen Qualitäten Asma-ras als ein eindrucksvolles Beispiel des Städtebaus des 20. Jahrhunderts. DieseWiederentdeckung der Moderne in Asmara bietet nicht nur die Chance, die ur-banen und architektonischen Qualitäten und Potenziale der europäischen Stadtder Moderne im internationalen Raum zu betrachten. Ihre Besonderheit fordertgeradezu auf, die Rezeption der europäisch geprägten Moderne und ihre Entfal-tung in der Welt genauer zu erforschen.

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VDossier Architektur in Asmara

Die Stadt Asmara in ihrer heutigen Form ent-stand aus einer Ansammlung von Dörfern.Mit der Besetzung Eritreas durch Italien

1889 entwickelte sie sich zur Hauptstadt des Landes.Die Planungsprinzipien und Baustile waren europä-ischen Tendenzen um die Jahrhundertwende ver-pflichtet. Um den noch bescheidenen Stadtkern er-folgte ab 1935 eine gewaltige Erweiterung, ausgelöstdurch das imperialistische Engagement Mussolinisin Ostafrika. Asmara sollte zu einem neuen Rom des„Africa Orientale Italiana“ werden.

Bis 1941 verwandelte sich Asmara von einer relativprovinziellen Stadt europäischen Stils in eine Me-tropole und eine der modernsten Städte Afrikas. Dasheutige Erscheinungsbild wurde in diesem Zeitraumgeprägt. Italienische Architekten entwarfen undbauten für den Bedarf der wachsenden Stadt. Es ent-stand ein Spektrum an Bauten der Moderne, das imStadtzentrum auf einer Fläche von rund vier Qua-dratkilometern die verschiedensten architektoni-schen Bewegungen und Besonderheiten jener Zeitvereint: die meisten von ihnen in der Architektur-sprache der Architettura Razionale, der italienischenModerne der 1920er und 1930er Jahre.

Diesen besonderen Teil des historischen Erbes derStadt Asmara stellte 2001 die eritreische Regierungauf Initiative des CARP (Cultural Assets Rehabilita-tion Project) unter Denkmalschutz. Zurzeit laufen Be-mühungen um die Aufnahme des Stadtkerns von As-mara in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO.

Internationale Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sagten vor allem jun-ge europäische Architekten dem Historismus denKampf an, um eine neue internationale Architekturzu entwickeln, die dem Wesen des weltweit fort-schreitenden Industriezeitalters Ausdruck verleihensollte. Die Lösungsvorschläge waren sehr heterogen,vom radikal revolutionären Bruch mit der Vergan-genheit bis hin zu gemäßigten Reformen.

Ab Mitte der 1920er Jahre begannen sich in den ver-schiedenen Strömungen des Neuen Bauens zuneh-mend verbindende Merkmale in der Gestaltung derGebäude heraus zu kristallisieren, die 1932 von Hen-ry-Russell Hitchcock und Philip Johnson in ihrem le-gendären Buch „The International Style“ zu-sammengefasst und zum weltweit anerkannten Ka-non der klassischen Moderne wurden.

Die italienische Architektur blieb bis Mitte der1920er Jahre unbeeinflusst von der europäischenavantgardistischen Moderne, die vor allem in Hol-land (De Stijl), Deutschland (Bauhaus) und Frank-reich (Le Corbusier) ihre Zentren hatte. Erst 1926 ent-wickelten junge Mailänder Architekten, bekannt alsGruppo 7, mit zunächst an Walter Gropius (Interna-tionale Architektur, 1925) und Le Corbusier (Vers unearchitecture, 1922) geschulten Manifesten und dann1927 mit Entwürfen auf der Dritten Internationalen

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Ausstellung der dekorativen Kunst in Monza die ita-lienische Variante der avantgardistischen modernenArchitektur, die man in Italien Razionalismo nannte.

Zur Zeit des größten Wachstums Asmaras ab Mitteder 1930er Jahre sahen sich die italienischen Archi-tekten vor einer Fülle von neuen, sehr umfangrei-chen Bauaufgaben. Durch das Neue Bauen versuch-ten sie sich ganz bewusst von der Tradition der klas-sischen italienischen Bauweise, aber auch von der lo-kalen afrikanischen Architektur zu lösen.

Stadtplanung

Zu Beginn der 1930er Jahre war die Stadtplanungzum zentralen Thema der modernen Architektur ge-worden. Aus Sicht internationaler Vertreter des Neu-en Bauens hatten die Städte noch nicht die notwen-dige Anpassung an die Erfordernisse des Maschi-nenzeitalters vollzogen. Weltweit konstatierten siefür die Städte Ordnungslosigkeit und sahen die ele-mentaren biologischen, psychologischen und hygie-

nischen Bedürfnisse der Einwohner gefährdet. Vordiesem Hintergrund wurde 1933 bei dem legendärenIV. Internationalen Kongress der Modernen Archi-tektur (CIAM) an Bord des Passagierdampfers Patriswährend einer Kreuzfahrt durch das Mittelmeer die„Charta von Athen“ für die „funktionale Stadt“ for-muliert. Den Kern der Erklärung bildete die Auftei-lung der Stadt in Zonen nach den vier Schlüssel-funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholung und Ver-kehr. Das Verkehrsnetz sollte die Verbindung undden reibungslosen Austausch zwischen den Zonenund dem Umland ermöglichen.

Unter italienischer Herrschaft wurde zwischen 1913und 1938 eine Anzahl von städtischen Erweite-rungsplänen vorbereitet. Die wichtigsten Stadtpla-ner von Asmara waren Odoardo Cavagnari (1916),Vittorio Cafiero (1938) und Guido Ferraza. Die frühen

Eines der elegantesten Gebäude

Asmaras im Stil des Art Déco und

zugleich ein außergewöhnliches

Beispiel für die Kinoarchitektur

der 1930er Jahre ist das Cinema

Impero. Architekt: Mario Messina,

Baujahr: 1937.

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Grußwort von Gaetan Siew, Mauritius, Präsidentdes Weltverbands der Architekten (UIA), zur Er-öffnung der Asmara-Architekturausstellung am2. Oktober 2006 in Berlin, vorgetragen von derdeutschen UIA-Delegierten Nina Nedeylkov

„Vergangenheit ist Vergangenheit, ob sie uns anSchmerzliches erinnert oder nicht. Man kann inder Vergangenheit das Schlechteste und das Beste sehen. Wir, heute, sind nicht verantwortlichfür unsere Vergangenheit, aber dafür, wie wir unsihrer erinnern. Und wir sind gewiss verantwort-lich für unsere Zukunft und die Zukunft unsererKinder. Für einige Leute ist das Architektur-Erbein Monumenten oder Objekten repräsentiert, diegewisse politische Systeme verherrlichen – in die-sem Fall das Kolonialzeitalter. Das trifft für As-mara ebenso zu wie für jedes Kolonialerbe, ob inIndien, Lateinamerika oder anderswo. Es war vonanderen ausgedacht. Aber für uns, die dort leben,ist es auch Teil unserer Geschichte und es ist einZeugnis, das nicht vergessen werden sollte im Gu-ten oder Schlechten. Jetzt gehört es zu uns mehrals zu seinen Initiatoren. Als Architekten habenwir eine Pflicht, der Regierung und Gesellschaftden Wert des Erbes klar zu machen. Lasst uns dar-in einen Anlass für kulturelle Versöhnung sehen.Versöhnung zwischen der Vergangenheit und derZukunft, Versöhnung zwischen Menschen.“

Grußwort von Charles Majoroh, Nigeria, ehemaliger Präsident der Afrikanischen Architekten-Union (AUA)

„Vorkoloniale Städte in Afrika wurden mit Mate-rialien gebaut, die sich biologisch abbauen. Folg-lich sind viele durch den Einfluss von Zeit, Regen,Sonne und Wind verschwunden. Einige solcherStädte lagen entlang der Kamel-Routen durch dieSahara, die über den Nil zum Zusammenfluss vonNiger mit Benue und bis zum Atlantik führten.Andere Zeitalter folgten. Das Thema der Ausstel-lung ist bezeichnend für eine urbane Kollage vonAltem und Neuem, arm und reich, Krieg und Frie-den. In unserer Zeit ist es eine Freude, eine Stadtzu feiern, die die Verwüstungen durch Kriege undZerstörungen durch Menschen unversehrt wieAsmara überdauert hat. Asmara bekannt zu ma-chen, sollte deshalb sehr aufschlussreich sein! Fürmich als Afrikaner ist diese Bemühung ein gro-ßes Ereignis angesichts der globalen Tendenz, dasErbe und die Kreativität des Kontinents negativdarzustellen. Es ist zu hoffen, dass das nur der An-fang ist, heute Asmara, morgen Kinshasa, Braz-zaville, Harare, Mogadischu and andere, die fol-gen, werden in einer Reihe von über afrikanischeStädte. Eine riesige Truhe mit Architekturschät-zen erwartet die, die sich bemühen – wie Sie – umAsmara.“

VI Dossier Architektur in Asmara

Pläne von Cavagnari zeigten erste Ansätze einerEinteilung nach Rassenkategorien. 1930 war dieStadt schließlich in vier Zonen geteilt: das Wohn-viertel der Einheimischen im Norden mit hoherDichte und unregelmäßiger Struktur, die diago-nalen Blocks der Industriezone, das Villenviertelder Europäer und die Mischzone um den Markt. Inihr waren die für beide Bevölkerungsgruppengleichermaßen bedeutsamen administrativenund gewerblichen Funktionen angesiedelt. DesWeiteren beherbergte diese Zone die zentralenkulturellen Einrichtungen und war mit Wohnun-gen durchsetzt.

Als das faschistische Italien 1937 begann, einestrikte und doktrinäre Rassenpolitik zu verfolgen,wurde die Stadtplanung modifiziert. Wohnsitzund Arbeitsplatz der eritreischen Bevölkerungwurden auf dafür vorgesehene Gebiete be-

schränkt. Bereits bestehende Siedlungen der eritreischen Mittelklasse wurden abgebaut unddie Einwohner in ein kleineres Gebiet nordwest-lich des heutigen Geschäftsviertels umgesiedelt.Der 1938 von Cafiero vorgelegte Entwicklungsplanverdeutlicht die Philosophie der Rassentrennung.Er sieht ein Viertel für die Einheimischen etwasentfernt vom Quartier der Italiener vor, das durcheine kommerzielle und industrielle Mischzone ab-getrennt ist. In dieser war es nur den gebildetenEinheimischen erlaubt, Umgang mit den Italie-nern zu pflegen. Das Viertel der Einheimischenwurde außerdem durch einen Grüngürtel abge-trennt.

Obwohl bis zur Niederlage der Italiener 1941 nichtgenug Zeit blieb, den Cafiero-Plan vollständig um-zusetzen, ist er heute noch im Stadtbild Asmarasdeutlich zu erkennen. Das übervölkerte „Eingebo-renenviertel“ existiert noch heute, wenn auchnicht mehr unter dieser Bezeichnung. Es gibt dortseitdem unverändert keine Grünflächen oder öf-fentlichen Raum.

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Für mich als Afrikaner istdie Ausstellung ein großes Ereignis

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Ehemaliger Gouverneurs-

palast im historistischen

neoklassischen Stil.

Architekt: unbekannt,

Baujahr: zwischen

1889 und 1921.

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VIIDossier Architektur in Asmara

Architektur

Mit dem Ausbau zur Hauptstadt und zum Verwal-tungs- und Repräsentationszentrum der italieni-schen Kolonie seit 1900 stellte sich den Architektenin Asmara eine Vielzahl an Bauaufgaben. Verwal-tung und Banken, Schulen und Kirchen, Post, Thea-ter und Justiz verlangten nach repräsentativen Ge-bäuden.

Es entstand eine Architektur, die auf bewährte Form-elemente vergangener Stilepochen wie die italieni-sche Gotik, die Renaissance, den Barock, die Romanikund den Klassizismus zurückgriff. Die Architekturblieb zunächst weitgehend historisierend und dabeian den Vorbildern des italienischen Mutterlandesorientiert.

In den meisten repräsentativen Gebäuden Asmaras,die vor 1935 gebaut wurden, ist dieser Histo-rismus sichtbar. So entstand beispielsweise dieBank von Eritrea im Stil der Neugotik, der Gou-verneurspalast und das Postgebäude im Stildes Neoklassizismus, die Universität von As-mara im Stil des Neobarock und das Theatervon Asmara im Stil der Renaissance.

Über Jahrhunderte wurde Eritrea von den Kul-turen und Religionen der unterschiedlichenMachthaber wie Ägypter, Osmanen bis hin zuden Europäern beeinflusst. Sie hinterließen imLauf der Geschichte Spuren, die die Kultur undArchitektur des Landes mit geprägt haben. Bisheute wirkt sich dieses Nebeneinander der ver-schiedenen Kulturen und Religionen auf die Le-bendigkeit der Stadt aus.

Die synkretistischen Vermischungen undNachbarschaften unterschiedlicher Formen-sprachen und Stile in Verbindung mit lokalenBauweisen beeinflussten ab 1900 die Archi-tektur der neuen Hauptstadt Asmara, vor al-lem in den sakralen Bauten. Ein besonderes Beispielfür die Verschmelzung von Stilen und Techniken istdie 1938/39 gebaute orthodoxe Kathedrale Enda Ma-riam. Elemente lokaler, afrikanischer Bautraditionwurden bei der Gestaltung der Turmdächer aufge-nommen und kamen beim Tor- und Hauptgebäudezur Anwendung.

Stile

Über die Ausstellung „Exposition Internationale desArts Décoratifs“ 1925 in Paris fand der Art Déco seineVerbreitung. Beim Art Déco handelt es sich um einegestalterische Verbindung von eleganten, oft geo-metrischen Formen, neuen Werkstoffen, leuchten-den Farben und sinnlichen Themen. Nach dem über-ladenen Jugendstil entsprach der Art Déco mit sei-nen klaren, linearen, funktionalen Linien dem Geistder Moderne.

Eines der elegantesten Gebäude Asmaras im Stil desArt Déco und ein zugleich außergewöhnliches Bei-spiel für die Kinoarchitektur der 1930er Jahre ist das

Cinema Impero. Der Rang im Innenraum istschwungvoll organisch geformt. Säulenreihen, dievon Löwenköpfen gekrönt werden, trennen den Zu-schauerraum von der Leinwand. Die Wände zierenStuckmotive mit afrikanischen Szenen, Tänzern, Pal-men und Antilopen, die entfernt an den Art Déco er-innern. Die Außenfassade hingegen nimmt in ihremDekor Elemente technischer Ästhetik auf.

In Gestalt des Novecento hatte sich bis 1921 mit Gio-vanni Muzio als führendem Vertreter ein eigener ita-lienischer, moderner Stil entwickelt. Sein „Ca’ Brut-ta“, (hässliches Haus), errichtet 1922 in Mailand, dashierdurch zum Zentrum der Novecento-Architekturwurde, war unbestreitbar das erste Zeichen einesmodernen architektonischen Geschmacks. Als Be-kenntnis zu einer italienischen Identität berief sichNovecento in einem neuerlichen Bezug auf das For-menvokabular der italienischen Klassik und des Ne-

oklassizismus und benutzte vereinfachte klassischeund neoklassizistische Formen sowie Ornamente,modulierte Oberflächendekoration, erhöhte oder ver-senkte Wandverkleidung, um traditionelle italieni-sche Architektur nachzuahmen.

Asymmetrischer Aufbau und bewusst fragmentari-sche Komposition unterscheiden das Novecento vombis dato bekannten Eklektizismus. Fenster, Nischen,Paneele und andere Gliederungen der Fassade er-scheinen als exakt und scharf herausgeschnitteneFormen. Die Fassaden weisen zwar vertraute klassi-zistische Dekorationen auf, diese sind jedoch starkabstrahiert.

In der Wachstumsphase Asmaras entstanden Endeder 1930er Jahre einige typische Gebäude mit Stil-merkmalen des Novecento. Beispielsweise wurde dieBauform der mittelalterlichen Burg, die Fassaden-gliederungen des Klassizismus oder, wie im Fall desPalazzo Gheresadik, die umgebende Bebauung ausden Arkaden und Bogenfenstern des Marktes undder Moschee adaptiert.

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Ein besonderes Beispiel für die

Verschmelzung von Stilen und

Techniken ist die 1938/39

gebaute orthodoxe Kathedrale

Enda Mariam. Elemente

axumitischer Bautradition

(so genannte „Affenköpfe“)

werden verwandt.

Architekten: E. Gallo und

Odoardo Cavagnari,

Baujahr: 1920,

Erweiterung: 1938-39.

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VIII Dossier Architektur in Asmara

Von den Einflüssen dieser Bewegung zeugt in Asma-ra am eindrucksvollsten die 1938 gebaute Fiat-Ta-gliero- Tankstelle von Giuseppe Pettazzi. Mit ihren 30Meter langen, freiauskragenden Betonschwingen hatsie nicht nur die Gestalt eines Flugzeugs, jener vonden Futuristen am meisten bewunderten Maschine,sie symbolisiert auch das innovative Selbstverständ-nis italienischer Technologien und Unternehmen iminternationalen Kontext.

In den 1920er Jahren war die italienische Architek-turszene äußerst gespalten. Die bedeutendsten Strö-mungen des Futurismo,Razionalismo,Novecento undder Scuola Romana prägten divergierende Formen-sprachen. Aber in unterschiedlichen Gradierungenverfocht jede Gruppe auf ihre Weise unter Bezug aufdas antike Rom immer den Anspruch, einen neuennationalen Stil ins Leben zu rufen. Mit der Machter-greifung Mussolinis 1922 erhielt das Bedürfnis des

Staates nach einem signifikanten Abbild für einglorreiches Italien eine neue Dimension. Erst inder zweiten Hälfte der 1930er Jahre kam es indieser Frage zu einer Entscheidung. Unter Fe-derführung der traditionalistischen Scuola Ro-mana flossen Aspekte der einzelnen Strömun-gen in den so genannten Monumentalismo ein.

Das anschaulichste Beispiel dieses Wandels inder italienischen Architektur ist in Asmara dasGebäude der Casa del Fascio. Die Straßenfrontwurde 1940 als Ergänzung zu dem dahinter lie-genden, eher bescheidenen Hauptquartier derfaschistischen Partei aus dem Jahr 1928 errich-tet – eine Planung, die eher von politisch de-monstrativer Motivation als von praktischerNotwendigkeit zeugt.

Risiken für die Architektur Asmaras

Das Ende der italienischen Herrschaft brachtedas schnelle Wachstum Asmaras zum Still-stand. Mit der Invasion der vereinten britischenund äthiopischen Streitkräfte im April 1941 zo-gen sich die italienischen Ingenieure und Ar-chitekten zurück. Sie hinterließen, wie das bri-

tische Informationsministerium meldete, „eine eu-ropäische Stadt mit ausgedehnten Boulevards, fan-tastischen Kinos, herausragenden faschistischen Ge-bäuden, Cafés, Läden, zweispurigen Straßen und ei-nem erstklassigen Hotel“.

Als die britische Militärregierung 1941 die Machtübernahm, war ihre Hauptsorge der Krieg in Europa.Architektur und Stadtplanung in Eritrea waren nichtso dringend wie der Kampf gegen Nazideutschland.Aus der architektonischen Perspektive bedeutete diePhase britischer Verwaltung in erster Linie die Rück-kehr zu traditionelleren Stilen und damit eine Abkehrvon dem kühnen Rationalismus, der für die späten30er Jahre charakteristisch war.

Eritrea wurde auf der Grundlage eines UN-Beschlus-ses im Jahr 1952 mit Äthiopien in einer Föderationvereinigt. 1962 annektierte Äthiopien Eritrea. SeinStatus als föderaler Bundesstaat wurde aufgehoben

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Mit dem Ende der 1920er Jahre in Italien entwickel-ten Razionalismo entstand eine Gegenbewegungzum Novecento und den Traditionalisten der ScuolaRomana. Der Razionalismo verband ein vor allem inseinem Raumverständnis neues künstlerisches Kon-zept mit der Anwendung aktueller wissenschaft-licher Erkenntnisse, unter anderem hinsichtlichTechnik und Hygiene. Architektur sollte von der Ana-lyse ihrer Funktionen, ihrem alltäglichen Gebrauchher entwickelt werden. Die Formensprache bezogsich dabei auf geometrische Grundelemente wie Ku-gel, Quader, Zylinder, Würfel oder Pyramide.

In Asmara findet sich eine ganze Reihe von Gebäu-den, die dieser architektonischen Grundhaltung fol-gen: Der Palazzo Mutton – ursprünglich sechsge-schossig geplant – wirkt mit seiner Formverschrän-kung von Zylinder und Kubus fast modernistischskurril. Ebenso erwähnenswert ist das City Sanita-

tion Office als Verwaltungsgebäude der städtischenVer- und Entsorgung, bei dem sich im Eingangsbe-reich vertikale und horizontale Bewegungsrichtun-gen mit dem kreisförmigen Vordach eindrucksvollverbinden. Mit seiner klaren Gliederung, Plastizitätund Farbgebung zählt das Selam Hotel zu den her-ausragenden Beispielen rationalistischer Architek-tur in Asmara.

Eine der radikalsten künstlerischen Positionen bezogder Futurismus mit seinen euphorischen Bezügenauf die von moderner Industrie und Technik hervor-gebrachten Veränderungen. Die Geschwindigkeitmaschinengetriebener Fahrzeuge, Gewalt, Zerstö-rung und Krieg wurden als Traditionsbruch ver-herrlicht. In der Architektur entfalteten vor allem dieEntwürfe von Antonio Sant’Elia eine über Italien hin-ausgehende Wirkung. Sie widmeten sich Fabrikenund Wohnhochhäusern, deren Formensprache di-rekt aus der Welt der Maschinen entwickelt ist.

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Der Palazzo Gheresadik, ein

Beispiel für den Novecento-

Baustil. Architekt: Carlo Marchi,

Baujahr: 1938.

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IX

und Eritrea als eine von 14 Provinzen Äthiopiens ein-gegliedert. Asmara verlor die Rolle der Hauptstadtund erhielt sie erst am 24. Mai 1991 mit der BefreiungEritreas von der äthiopischen Annexion wieder.

Dazwischen lag ein 30-jähriger Befreiungskrieg. Die-ser Krieg hinterließ in Eritrea und Äthiopien schwe-re Schäden und Zerstörungen. Asmara allerdingsüberstand diese Zeit beinahe unbeschadet. Trotz brö-ckelnder Farbe und loser Fensterläden verbreitet dieStadt noch immer das Flair von Modernität.

Seit der Unabhängigkeit ist Asmara rasch gewach-sen. Migration, neue Hauptstadtfunktionen und In-vestitionen haben die Stadt verändert, die sich heu-te bis weit in das frühere Hinterland ausdehnt. EineAusdehnung, die glücklicherweise nicht dem Mus-

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Dossier Architektur in Asmara

ter anderer afrikanischer Städte gefolgt ist, woElendsviertel und illegale Siedlungen vorherrschen,sondern die relativ kontrolliert verlief. Dennoch blei-ben bedeutende Herausforderungen wie die flä-chendeckende Trinkwasserversorgung und Abwas-serbeseitigung bis heute bestehen.

Die Unabhängigkeit nach jahrzehntelanger Fremd-herrschaft hat bei allen Eritreern den unbändigenWunsch nach Entwicklung ausgelöst, was jedochauch zu städtebaulichen Problemen führte. Mittler-weile herrscht ein wachsendes Interesse daran, die-ses Ensemble der Moderne des frühen 20. Jahrhun-derts unter allen Umständen zu erhalten.

Ein Ereignis von 1996 veranschaulicht dieses ge-wachsenen Problembewusstsein der Eritreer: Ein

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Ein Kultobjekt ist die futuristische

Tankstelle Fiat Tagliero geworden.

Der Bau des Nakfa House 1995,

das die Tankstelle optisch

erdrückt, hat die eritreische

Öffentlichkeit wachgerufen, das

Architekturerbe zu bewahren.

Architekt: Guiseppe Petazzi,

Baujahr: 1938.

Das Selam Hotel (lks.) zählt zu den

herausragenden Beispielen

rationalistischer Architektur.

Architekt: Rinaldo Borgnino,

Baujahr: 1937

Modernistische Villa (re.), heute

das Büro der Weltbank. Architekt

und Baujahr unbekannt.

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An dem Ort, an dem Asmära gegründet wurde,befanden sich vier Dörfer. Es wird erzählt, dassdiese Dörfer um das Jahr 982 v. Chr. gegründetwurden. Sie durchschritten die Zeit des AltenTestaments (tigrinnisch zämänä orit) und emp-fingen die Zeit Christi (zämänä krßtos). Zur Zeitder Gründung von Asmära bestand die Gefahr,dass Kinder und Vieh von Eindringlingen, dieüber das Rote Meer kamen, geraubt wurden. Da-her versammelten sich die Frauen der vier Dör-fer, um zu beratschlagen. Sie sprachen: „Damitwir uns selbst verteidigen können, müssen wirunsere Männer darum bitten, uns an ein unddemselben Ort zusammen wohnen zu lassen.Damit sie uns ernst nehmen, weigern wir uns,ihnen das Abendessen zu servieren. Und wennsie uns deshalb schlagen sollten, schreien wirlaut. Wenn wir eine von uns schreien hören, ge-hen wir alle zu ihr und helfen ihr beim Schreien.Falls sie unsere Forderungen immer noch nichtakzeptieren, bekommen sie nächsten Tag eben-falls kein Mittagessen.“

Schließlich hielten die Männer am 28./29 De-zember 1508 eine Konferenz ab, um die Forde-rungen ihrer Frauen zu diskutieren. Die Frauensprachen:„Der Grund, weshalb unsere Kinder ent-führt, unsere Männer von Dieben getötet und un-ser Vieh gestohlen wird, liegt darin, dass wir soverstreut an verschiedenen Orten leben. Um unsvor unseren Feinden schützen zu können, müs-sen wir ein großes Dorf bauen und beieinanderleben“. Die Konferenz dauerte einen ganzen Tag.Schließlich akzeptierten alle Männer die Forde-rung der Frauen einstimmig und einigten sich aufeinen Namen für die neue vereinigte Stadt: „Daunsere Frauen erfolgreich unsere vier Dörfer ver-eint haben, soll der Name dieser Stadt ein Denk-mal ihres Erfolges sein. Aus diesem Grund habenwir uns entschieden unsere neue Stadt Arba’täAsmära zu nennen.“ Das bedeutet, sie (die Frau-en) haben die vier Dörfer vereint.

Yisehak Yosief

Aus: Yisehak Yosief, „Die Geschichte Asmäras“. Asmara,1993. Aus dem Tigrinnischen übersetzt von Freweyni Habtemariam, Dipl. Germanistin und Anglistin, Dozentinfür Tigrinnisch an der Freien Universität Berlin, freie Dol-metscherin und Übersetzerin. © [email protected]

Asmara – eine Geschichte mutiger Frauen

X

deutsches Architekturbüro, das beauftragt wordenwar, den neuen Hauptsitz der Nationalbank vonEritrea zu entwerfen, schlug als prestigevollstenStandort für das Gebäude den Platz vor der katho-lischen Kathedrale vor. Der Entwurf sah ein gro-teskes vierzehnstöckiges Glasgebäude mit zahl-reichen kleineren Anbauten vor, das vier Blocksdes historischen Asmara einschließlich des stadt-bekannten ehemaligen Gefängnisses „CasernaMussolini“ in Anspruch nahm. Das zentrale Ge-bäude sollte das höchste der Stadt sein und sogarden Glockenturm der Kathedrale überragen. Alsdie Pläne für dieses Vorhaben publik wurden, pro-testierte eine Gruppe von Eritreern vehement underfolgreich gegen die Zerstörung des Gefängnis-gebäudes.

Ein anderes Gebäude wurde allerdings gebaut: dasNakfa House. Erst als es in seiner vollen Größesichtbar wurde und damit eines der bekanntestenWahrzeichen modernistischen Architektur Asma-ras, die Fiat-Tagliero-Tankstelle, in den Schattenstellte, begannen die Einwohner von Asmara zuverstehen, dass diese Entwicklung in eine falscheRichtung geht. Das Nakfa House entweihte nichtnur die Fiat-Tagliero-Tankstelle, es machte auchseine Umgebung zu einem bedeutungslosen, klei-nen Platz. Zwar beeinträchtigen einige weitere Ge-bäude wie das Nyala Hotel und das „Red Sea Cor-poration Building“ ebenfalls das ErscheinungsbildAsmaras, aber der Bau des Nakfa House wirkte alsWeckruf.

Bestrebungen zur Erhaltung

Die Regierung und die Menschen von Eritrea ha-ben den speziellen Charakter von Asmara erkanntund sind entschlossen, dieses außerordentliche Er-be zum Nutzen der eigenen Bevölkerung und vonBesuchern zu bewahren. Gleichzeitig ist man sichüber die Notwendigkeit im Klaren, dass eineWeiterentwicklung stattfinden muss. 1997 lud des-halb der Staat Eritrea die Weltbank ein, gemein-sam eine Strategie zum Erhalt von Asmaras Ar-chitektur-Erbe zu formulieren. In diesem Zu-sammenhang wurde das „Cultural Assets Rehabi-litation Project“ (CARP) geschaffen, das den Erhaltund die Sanierung kultureller Güter, insbesondereder Architektur koordiniert. CARP initiierte eineumfangreiche Bestandsaufnahme der ArchitekturAsmaras. Darüber hinaus wurde das Verfahren zurAufnahme Asmaras in die Weltkulturerbe-Listeder UNESCO in Gang gesetzt.

2001 wurde der historische Stadtkern, ein Gebietvon ungefähr vier Quadratkilometern, etwa 4 Pro-zent des gesamten Stadtgebietes, unter Schutz ge-stellt. Die Regierung erließ ein Moratorium fürNeubauten oder Modifikationen an Altbauten indiesem Gebiet bis zu dem Zeitpunkt, an dem neueRichtlinien und Regelungen erlassen werden. Die-se Richtlinien und Regelungen werden bindendeKriterien festlegen, die darauf abzielen, die Voll-ständigkeit, Harmonie und den Umfang von As-maras einzigartigem Stadtgebiet zu erhalten.

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Dr. Omar Akbar, geboren in Kabul, Direktor undVorstand der Stiftung Bauhaus,Dessau, Professor für Architek-turtheorie und Städtebau ander Hochschule Anhalt in Dessau.

Naigzy Gebremedhin, geboren in Addis Abeba, Grün-dungsdirektor (1998-2004) derOrganisation zum Erhalt desKulturerbes von Eritrea (CARP),1994-1998 erster Direktor desUmweltamtes von Eritrea,1976-1994 Direktor der Abtei-lung für die gebaute Umwelt,United Nations EnvironmentProgram (UNEP), Nairobi-Kenia,1957-1965 Professor für Archi-tektur und Bauwissenschaften,Dekan der Fakultät für Bauwe-sen, Haile Selassie I Universität,Addis Abeba, Äthiopien.

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eins: Der Architektur der Moder-ne zu Beginn des 20. Jahrhun-derts lag die Annahme zu Grun-de, dass Modernisierung undFortschritt eine bessere Welt her-vorbringen würden. Unterschei-det sie sich darin von vorange-gangenen Architektur-Epochen?

Peter C. Schmal: „Wir sind Zwer-ge, die auf den Schultern von Gi-ganten sitzen. Wir können wei-ter sehen als unsere Ahnen undin dem Maß ist unser Wissengrößer als das ihrige und dochwären wir nichts, würde uns dieSumme ihres Wissens nicht denWeg weisen.“ Bernhard vonChartres (um 1130)

Die Architekten der Modernebehaupteten, alles neu zu er-finden – gar den „Neuen Men-schen“ in neuen Städten, in ei-ner neuen Welt entstehen zulassen. Doch das Revolutionärean der Moderne ist weder so re-volutionär wie behauptet, nochstimmt die Idee des Neuen oh-ne Vorläufer oder Vorbilder. Al-lein die asiatischen, besondersdie chinesischen und japani-schen Einflüsse auf die europä-ische Gesellschaft sind er-staunlich. Ähnliches gilt fürEinflüsse anonymer regionalerBauten auf die Architektur derModerne.

eins: Wie wichtig im globalenMaßstab ist das Architekturen-semble von Asmara als Denkmalfür die Architekturepoche derklassischen Moderne?

Peter C. Schmal: Sehr wichtig, dasie kaum verändert zu seinscheint seit den 1940er Jahren.Der jahrzehntelange Krieg unddie damit ausbleibende Erneue-rung und Entwicklung scheinteinen authentisch modernenZustand italienischer Kolonial-architektur konserviert zu ha-ben, der – im spezifisch italieni-schen Fall – sehr viel mit der

Ein sehr wichtiges Denkmal

XIDossier Architektur in Asmara

Von Omar Akbar

Asmara ist ein einzigartigesBeispiel für die imperiale Ver-wendung der ursprünglichemanzipatorisch angelegtenArchitektur der klassischen Mo-derne und ihre Re-Interpreta-tion in den modernen Kontextdes unabhängigen Eritreas.

Viele Künstler und Architektender klassischen Moderne warendavon überzeugt, dass Kulturnur etwas Internationales –Weltweites – sein könne. Einezentrale Ambition und Motiva-tion der modernen Kunst- undArchitekturavantgarde warstets die Überwindung und Dis-ziplinierung chaotischer Ver-hältnisse. Zielhorizont war eineuniversale Neuordnung allerFormen und Strukturen. Siemusste den Rationalitäts- undEffizienzprinzipien der Indus-triegesellschaft entsprechenund beanspruchte internationa-le, globale Gültigkeit. Zugleichsollte die neue, modern gepräg-te Welt aber auch sozial gerech-ter sein und auf der Basis indus-trieller Massenproduktion einenhöheren Lebensstandard er-möglichen.

„Tauglich für die ganze Welt“

Mit dieser imaginierten univer-sal neuen Welt verband sich zu-gleich die Negation lokaler Kon-texte zu Gunsten einer reinen,überzeitlichen und prinzipiellenOrtslosigkeit. Der Zerfall in na-tionale Formtraditionen solltedeshalb überwunden werdenund in einem neuen zeitlosenUniversalismus aufgehoben wer-den. Die neue, radikal moderneGestaltung in ihrem globalenGültigkeitsanspruch nahm aufnationale, regionale oder lokaleKontexte keine Rücksicht undließ sich auch nicht durch diesebeeinflussen.

Vor allem in der europäischenKunst der Avantgarde war dieseHaltung prägend. Viele Künstlerwie zum Beispiel Wassily Kan-dinsky oder Paul Klee, die in den1920er Jahren auch am Bauhausunterrichteten, arbeiteten in ih-ren Bildern an der Überwin-dung der natürlichen und indi-viduellen Realität, um so allge-meingültige elementare Form-gesetze zu entdecken. Die Visionwar eine Kunst, die als Totalge-staltung vollständig in das Le-ben der Menschen übergeht.

Dieses Streben nach einem Uni-versalismus der bildnerischenMittel und nach einer Kunst undGestaltung, die „tauglich für dieganze Welt“ (Piet Mondrian) seinsollte, prägte schließlich auch dieArchitekten. Im Sinne einer radi-kalen architektonischen Modernesollten nicht nur Gebäude, derenRäume und Inneneinrichtungen,sondern auch ganze Städte nacheinheitlichen Gestaltungsprinzi-pien entworfen werden. Das ferneZiel war nichts Geringeres als eineneu gestaltete Welt. Auch wenndiese Utopie von emanzipatori-schen Hoffnungen begleitet wur-de,trägt diese Vision zweifellos ty-rannische und imperiale Züge.

Der klassische architektonischeund städtebauliche Moder-nismus hat dort, wo ihm dieBauherren die Gelegenheit ga-ben, d.h. dort, wo es ihm dieMachtverhältnisse erlaubten,die existierenden urbanen Kon-texte ignoriert. Er hat ignoriert,dass jede Stadt zunächst durchihre geografische Lage, ihre kli-matischen Verhältnisse, abervor allem durch bestimmte kul-turelle und soziale Muster derräumlichen Organisation einenspezifischen Kontext bildet.

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Im modernen KontextZur Adaption der Kolonialarchitektur in Asmara

Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums, zur Architektur Asamaras

Peter C. SchmalDirektor des Deutschen

Architekturmuseums

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Fortsetzung auf Seite XII

Shell Tankstelle

Architekt: unbekannt

Baujahr: 1937

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XII Dossier Architektur in Asmara

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Dieses Gefüge bestimmt die ur-bane Entwicklung, die lokaleund regionale Identität, ohne je-doch statisch zu sein. Städtesind per se Orte des Austau-sches. Sie sind Knotenpunktevielfältiger Beziehungen undNetzwerke. Die Wechselwirkun-gen mit nahen und fernen Ein-flüssen, die Fähigkeit zur Auf-nahme fremder Menschen, dieOffenheit zur Verarbeitungfremder Ideen und eben auchfremder Bilder- und Formvor-stellungen, konstituieren aufentscheidende Weise das Wesendes Städtischen. Als Idealfallgilt, dass die Stadt selbst die In-tegration und Transformationvon fremden Einflüssen voran-treibt, steuert und fördert. Dochdass dies nicht der Regelfall ist,zeigt z.B. ein Blick auf die jahr-hundertealte Geschichte der Ko-lonisierung.

Im Dienst des Kolonialismus

Kolonisatoren achteten wenigerauf den urbanen Kontext, den sieeroberten, sondern vielmehr dar-auf, wie sie ihre Herrschaft reali-sieren und manifestieren konn-ten. Sie bauten sich ihre eigeneWelt, die ihren Lebensvorstellun-gen, ihren Ansprüchen und Wer-ten entsprach. Dies gilt auch fürdas in den 1930er Jahren entstan-dene Stadtzentrum von Asmara,das unter der italienischen Kolo-

nialmacht entstanden ist. DiesesStadtzentrum ist merkwürdig.Denn hier trat eine faschistischeGesellschaft, die auch eine Politikder Rassentrennung einführte, inder Architektursprache der klassi-schen und europäischen Moderneauf.

Während die architektonischeModerne in Europa meist als eineemanzipatorische Bewegung undals Aufbruch in eine sozial ge-rechte Industriegesellschaft gele-sen wird, bedeutete die moderneArchitektur in Asmara vielmehrein Modell und ein Instrumentfür die Modernisierung der Kolo-nie im Sinne einer Unterwerfung.

Das in Asmara als koloniale Stad-terweiterung entstandene En-semble moderner Bauten stelltedeshalb eine massive Herausfor-derung an den vorhandenenstädtischen Kontext dar. Dieseöffentlichen und privaten Bau-ten in den verschiedenen Stilender architektonischen Modernewaren wesentlich eine Antithe-se zu den bislang existierendenSiedlungsstrukturen. Diese Formder Moderne war ein Angriff aufeinen in Jahrhunderten gewach-senen urbanen Kontext, mit demnicht nur der Ordnungsanspruchder Kolonialmacht räumlich ma-nifestiert wurde, sondern zu-gleich auch deren Überlegenheit

über die lokale Kultur repräsen-tiert werden sollte.

Dass dieser massive kolonialeUmbau des Stadtkörpers nachdem Ende der Kolonialzeit nichtmit einer Zerstörung der moder-nen Architektur beantwortetwurde, ist eine weitere Merk-würdigkeit bzw. BesonderheitAsmaras. Indem sich die eritrei-sche Bevölkerung im Laufe derZeit diese Bauten angeeignet hatund als Teil ihres architektoni-schen Erbes annahm, konntehier eine einzigartige Stadt derModerne entstehen, in der heuteverschiedene Kulturen, Religio-nen, Bevölkerungsgruppen undEthnien zusammenleben.

Emanzipatorische Überwindung

Durch die selbstbewusste Aneig-nung und die eigenständige Re-Interpretation der Bewohner sinddie Bauten der Moderne in denKontext der Stadt integriert wor-den. Dies bedeutete eine emanzi-patorische Überschreitung bezie-hungsweise Überwindung der ein-stigen kolonialen Herrschaftsma-nifestationen zu Gunsten eines ei-genen Fortschritts- und Entwick-lungsdenkens, und ohne diesenachkoloniale Re-Kontextualisie-rung wäre die gegenwärtige De-batte um den Erhalt und die Pflegedieser Bauten kaum denkbar.

Indem sich Asmara diese Moder-ne „einverleibt“ hat, erhielten dieBauten einen Kontext, den sie imKanon der klassischen Modernenicht kannten. Eben damit bie-ten sie die Chance für einen Dis-kurs der Moderne, der einenKontrapunkt zu der bisher im-mer noch dominanten eurozen-tristischen Lesart eröffnet.

Diese Bauten der Moderne sindnicht mehr nur Zeugnisse derAmbivalenzen im europäischenModernismus, sondern ebensoZeugnisse einer interkulturellenTransformationsgeschichte, diesehr viel mit dem kritischen undproduktiven Aushandeln vonDifferenz zu tun hat. Nicht zu-letzt auch deshalb ist die spezifi-sche Konfiguration der Modernein Asmara als unschätzbares ur-banes Entwicklungspotenzial ge-staltbar.

In Asmara ist der klassische eu-ropäische Modernismus letzt-endlich außerhalb seiner ur-sprünglichen programmatischenund Repräsentationssysteme aufeine sehr pragmatische Weisekontextualisiert, relativiert undschließlich lokal verankert wor-den. In diesem Sinne ist die klas-sische Moderne dann nicht mehr„out of modern context“.

westlichen Moderne zu tun hat,wie wir sie kennen und schät-zen. Der italienische Faschismusnutzte die radikale Formenspra-che der modernen Architekturfür seine Zwecke, im Gegensatzzu den deutschen Nationalsozi-alisten, die ihre Entsprechung ineinem Klassizismus fanden, dersich wiederum auf das klassi-sche Rom berief. Seit dem Endedes Krieges gegen Äthiopienund des weltweiten, aufkei-menden Interesses an Asmaramag dieser quasi-unschuldigeZustand möglicherweise nundurch seinen eigenen Erfolg ge-fährdet werden. Renovierungenund Instandsetzungen führennicht nur zur gewünschten

Denkmalisierung, sondern im-mer auch zum Verlust des Au-thentischen, wie wir es in denrenovierten Altstädten der neu-en deutschen Bundesländer ge-sehen haben.

eins: Welche Bedeutung hat As-mara für die Architektur in Afrika?

Peter C. Schmal: Das kann ichnicht beurteilen, dafür kenne ichAfrika zu wenig. Doch von demwas ich lese, hat die Architektur(kann man in diesen Städten vonArchitektur reden?) – oder besserdie gebaute Umwelt in Afrikaheute Probleme ganz anderer Artund Dimension. Afrika sollte sei-nen Blick auf die asiatischen Me-

gastädte lenken – und auf Lösun-gen, die dort eventuell gefundenoder probiert werden. Viele sindnatürlich von der tabula-rasa-Mentalität des modernen Urba-nismus eines Ludwig Hilberhei-mer oder eines Le Corbusier starkbeeinflusst, was in einer Schleifewieder zum Rationalizmo und zuAsmara führt.

Für die westliche Architektur undForschung hat Asmara eine großeBedeutung, wird dieses Ensembledoch in einem Atemzug mit denBauhausvierteln Tel Avivs undden Art-Déco-Bauten von MiamiSouth Beach und dem neuseelän-dischen Napier genannt. Die vi-suelle Wucht der Asmara-Fotos

von Edward Denison hat zumgroßen Interesse an dieser Aus-stellung geführt, so dass sich be-reits vor der UIA-Präsentation2008 in Turin mehrere Stationenin Deutschland ergeben haben.Auch wir im Deutschen Architek-turmuseum haben uns durch dengrandiosen Bildband spontan ver-führen lassen, die Ausstellung inFrankfurt zu zeigen.

Die Fragen stellten Judith Melzer undKonrad Melchers.

Asmara. Afrikas heimliche Hauptstadtder Moderne, Architektur der Modernein Eritrea. DAM Deutsches Architektur-museum, 09.02.07-15.04.07, Eröffnungam 08. Februar 2007 um 19:00.

Fortsetzung von Seite XI

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XIIIDossier Kontroverse

Seit dem äthiopisch-eritreischen Grenzkrieg von 1998 bis 2000, der mehrMenschenleben gekostet hat als der 30-jährige Befreiungskampf Eritre-as, besteht trotz eines Friedensabkommens und einer UN-Friedenstrup-pe, die die Grenze überwacht, ein Zustand des „weder Krieg noch Frie-den“. Wesentlicher Grund ist die Weigerung der äthiopischen Regierung,die Entscheidung einer unabhängigen Schiedskommission über denGrenzverlauf anzuerkennen, obgleich sie sich ebenso wie die eritreischeRegierung im Friedensabkommen von Algier verpflichtet hatte, denSchiedsspruch bedingungslos anzuerkennen. Mit dieser Situation recht-fertigt die eritreische Regierung ihre Weigerung, die schon ausgearbei-tete demokratische Verfassung umzusetzen und ihre drakonischen Maß-nahmen, die zu einer Militarisierung der Gesellschaftgeführt haben. Jegliche Kritik wird schon im Keim er-stickt und die Zahl der politischen Gefangenen undFlüchtlinge wächst. Die Wirtschaft liegt danieder.

Diese Rechtfertigung der eritreischen Regierung für Menschenrechts-verletzungen genügt auch alten Sympathisanten Eritreas nicht. Ein her-ausragendes Beispiel, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen,ist ein 2005 erschienenes Buch von Michela Wrong. Sie versucht, dieParalyse des politischen Prozesses in Eritrea mit den kultur-psycholo-gischen Auswirkungen eines 30-jährigen Befreiungskriegs zu deuten,der weitgehend isoliert, ohne internationale Unterstützung im We-sentlichen aus eigener Kraft geführt wurde. Bei Regierungsanhängernstößt dieser Erklärungsversuch auf massive Kritik, in der Wrong mitRassisten der Kolonialzeit vom Schlage Joseph Conrad („Im Herzen derFinsternis“) gleichgesetzt wird. Nachstehend ein Auszug der Rezension

des Buchs von der langjährigen Eritrea-KennerinEva-Maria Bruchhaus in Zeitschrift Entwicklungspo-litik 15/2005. Danach übersetzte Auszüge einer Kri-tik von Prof. Ghidewon Abay-Asmerom. Redaktion

Von Ghidewon Abay-Asmerom

In seiner auf der Website der erit-reischen Regierung (www.shae-bia.com) veröffentlichten Kritik zi-tiert der eritreische Mathematik-professor an der „Virginia Com-monwealth University“ in Rich-mond, USA, Ghidewon Abay-Asmerom, ([email protected])zuerst aus Werken von „Klassi-kern“ des Kolonialismus, um zu zei-gen, dass Michela Wrong in derenTradition stehe: „Es ist traurig,dass ein Jahrhundert nach die-sen frühen europäischen Mis-sionaren und Verherrlichern der‘Bürde des weißen Mannes’ (ge-meint sind Joseph Conrad, Hen-ry Stanley u.a.; Red.) heutige Au-toren wie Michela Wrong (...) dieConrads als Champions widerdie ‘Unmenschlichkeit des wei-ßen Mannes gegenüber demschwarzen Mann’ präsentieren,während demgegenüber der ak-tuelle Kampf von Führern wieIsaias Afewerki und deren Be-mühung, afrikanische Probleme

auf organische Weise zu lösen,als Fiasko abgetan wird. “

Danach befasst sich Abay-As-merom mit einem vermeintlichenSinneswandel von Wrong: „Wrong,die bei ihrer ersten Reise (1996) einLoblied auf Eritrea sang, gibt mitihrem Buch jetzt zu, dass ihre Zu-neigung für Eritrea nicht ehrlichwar. (...) Jetzt teilt sie mit, dass sie‘wichtige Spuren nicht beachtet,naive Schlussfolgerungen gezo-gen und Schlüsselereignisse falschinterpretiert habe’. Inzwischen hatsie entdeckt, dass alle Qualitäten,die sie ‘bewundert habe, eine un-heilvolle Kehrseite offenbaren’. (...)Ihr Hurra auf Eritrea kam zu früh,gesteht sie nun ein. Indirekt be-klagt sie, dass ‘Afrika immer Afri-ka bleibt’und dass sie naiv war,et-was anderes von einem Kontinentvon ‘Wilden’ zu erwarten, die im-mer noch ‘Ihresgleichen essen’.Viel, was Frau Wrong im erstenund in den letzten beiden Kapitelnihres Buchs über Eritrea und Prä-sident Isaias schreibt, liest sich wie

ein Aufguss dessen, womit Meles(Zenawi, der äthiopische Premier-minister, Red.) begonnen hat undwas jetzt von einigen eritreischenQuislingen und ihren Hundefüh-rern nachgeplappert wird.“

Bei der inhaltlichen Kritik be-schränkt sich Abay-Asmerom aufdie Begründungsversuche vonWrong für einen eritreischen„Volkscharakter“: „Als Fachpsy-chologin, die sie geworden ist, istes für sie nur natürlich, das ‘dun-kle, verborgene und sehr mysteri-öse’ eritreische Herz zu entschlüs-seln (S. 308) und wie ein Jahrhun-dert des einsamen Kampfs gegenäußere Kräfte ‘das intellektuelleWachstum gehemmt hat’.“ (S. 306)

Zusammenfassend erklärt Abay-Asmerom: „(Wrongs) oberfläch-licher Anspruch ist, dass Eritreaein Opfer geworden ist. Aber ihrewahre Botschaft ist, dass Eritreaes verdient hat, das Opfer zu sein.“

Quelle: www.shaebia.com, 25. Juli 2005.

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Kontroverse um die politische Entwicklung Eritreas

–> <–Kontroverse

Von Eva-Maria Bruchhaus

Michela Wrong, I Didn’t Do It ForYou? How the World Betrayed aSmall African Nation. FourthEstate, London und New York2005, 448 Seiten, 24,50 Euro

Die eritreische Unabhängigkeits-bewegung wurde – im Gegensatzzu anderen afrikanischen Befrei-ungsarmeen – weder vom West-en, noch vom Osten und schongar nicht von afrikanischen Län-dern unterstützt. Wie das Be-wusstsein, allein gelassen, alsSpielball benutzt, manipuliert,nicht verstanden und – vielleichtnoch schlimmer – ganz einfachnicht zur Kenntnis genommen zuwerden, die Psyche eines Volkesprägen kann, zieht sich wie ein ro-ter Faden durch das Buch.

Das Buch behandelt wie erwartetdie einzelnen Phasen – die Kolo-nisierung durch Italien, das Völ-kerbundmandat Großbritan-niens, die Föderation mit und an-schließende Annexion durchÄthiopien, den dreißigjährigenBefreiungskampf und die kurzeZeit als unabhängiges Land von1991 bzw. 1993 bis 2004, ein-schließlich des unseligen so ge-nannten Grenzkrieges mit Äthio-pien. Das geschieht gleichzeitig sokenntnisreich und sorgfältig re-cherchiert, so eingebettet in dieweltgeschichtlichen Ereignisse, sobemüht darum, die Zusammen-hänge verständlich zu machen,

dass Ereignisse, die als bekanntvorausgesetzt werden können,auf einmal in einem neuen, klare-ren Licht erscheinen. (...)

Die Spannung trägt bis hin zumletzten der 18 Kapitel, in dem es umden derzeitigen desolaten Zustand

eines ehemaligen Utopias geht,wosich die Tugenden der Befreiungs-bewegung in Arroganz, Grausam-keit und Verbohrtheit der Füh-rungselite, allen voran des Präsi-denten, verwandeln, die sich zu-nehmend gegen das eigene Volkrichten. Es erzählt aber auch vondem sowohl im Lande selbst alsauch in der eritreischen Diaspora

wachsenden Widerstand gegendiese Entwicklung. Bleibt zu hof-fen, dass das Buch dazu beiträgt,bei den verantwortlichen Politike-rInnen der westlichen Welt, wel-che die Geschichte des kleinen Lan-des am Horn von Afrika entschei-dend und meistens zu seinemSchaden geprägt haben, einenähnlichen Denkprozess auslöst.

Desolater Zustand eines ehemaligen Utopia

„Michela Wrong liegt bei Eritrea und Afrika vollständig falsch“

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XIV Dossier Architektur in Asmara

Zu den Sehenswürdigkeiten gehören be-sonders das vielfältige Spektrum an Natur-landschaften auf engstem Raum („three

seasons in two hours“), die unberührte Festlands-küste und Inselwelt sowie die reiche Meeresfloraund -fauna. Aus historischer Sicht verfügt dasLand über Zeugnisse aus der Antike (vgl. Beitragvon Steffen Wenig), die arabisch-osmanische Ar-chitektur der Küstenorte Massawa und Assab so-wie eine sehr stark ausgebildete kulturelle Iden-tität der meisten Ethnien innerhalb des Landes.

Aber bis heute ist die touristische Infrastrukturvon enormen Defiziten geprägt, und es gibt bis-lang nur wenige Hotels und Restaurants, die inter-nationalem Standard entsprechen. Zudem

herrscht ein Mangel an qualifiziertem Personal.Als weitere Limitierungsfaktoren sind vor allemdie unzureichende allgemeine Infrastruktur, dieökologische Degradierung der Naturlandschaften,das extreme Klima in der Küstenebene und derMangel an legislativen Grundlagen zu betrachten.

Der Grenzkrieg mit Äthiopien von 1998-2000 unddie anhaltenden Grenzspannungen haben, bezo-gen auf den Tourismus, einen lang anhaltendenSchaden verursacht. Der Prozess des wirtschaft-lichen Aufbaus in Eritrea muss das zweite Malinnerhalb eines Jahrzehnts ganz vorne beginnen.Tourismus in Eritrea erscheint gegenwärtig wieein Widerspruch in sich. Noch vor zehn Jahren be-obachtete die Weltgemeinschaft einen der aufge-henden afrikanischen Sterne dabei, wie er seinehoffnungsvolle Entwicklung vollzog. Eritrea standnach einem dreißigjährigen Befreiungskrieg vordem aussichtsreichen wirtschaftspolitischen Neu-beginn. Der Krieg hat jedoch das Image des Hornsvon Afrika als Krisen- und Kriegsregion aufge-frischt. Insgesamt muss Eritrea jetzt sehr großeAnstrengungen unternehmen, um sich im inter-nationalen Tourismus zu rehabilitieren und dieVerluste der letzten acht Jahre wieder aufzuholen.Die gegenwärtige Situation nach dem brutalenKrieg und seinen Bildern, die um die ganze Weltgingen, ist eine sehr schwere Bürde.

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Rainer Hartmann Asmara eine touristische „Unique Selling Proposition“

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Dr. Rainer Hartmannist Professor für Freizeit- und

Tourismusmanagement an derHochschule Bremen.

Mit der Asmara-Architektur hat Eritrea einespektakuläre „Unique Selling Proposition“(USP). Darüber hinaus besitzt das gebirgigeLand am Roten Meer weitere Attraktionen vonbesondere Bedeutung für die zukünftige Ent-wicklung des Urlaubstourismus.

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Page 15: Dossier: Asmara - oasereisen.de · Dossier: Asmara Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne e1ns I2-3-2007 Foto: Edward Denison Kann der Superlativ „Asmara – Afrikas heimliche

XVDossier Architektur in Asmara

Man glaubt es kaum – Eritrea ein Eldoradoder Archäologie? Nie davon gehört. Unddoch: Dieses kleine Land am Horn von

Afrika mit seinen weniger als 125.000 Quadratkilo-metern ist archäologisch unglaublich reich. Manspricht von wenigstens 20.000 sites. Aber dieseSchätze müssen noch gehoben werden. Der Grundfür diesen Reichtum: In den letzten dreitausendJahren lag hier eine Drehscheibe für die Begegnungvon Menschen und für den Austausch von Waren,der zugleich ein kultureller Austausch war.

Sicher waren die alten Ägypter seit dem 3. Jahrtau-send an seinen Gestaden, auch wenn wir dies ar-chäologisch noch nicht nachweisen können. Späterdann trafen sich hier Händler aus Innerafrika, ausdem fernen Griechenland und aus Alexandria, umam lukrativen Fernhandel teilzunehmen, der bis inden Persischen Golf, nach Indien und vielleicht so-gar bis nach China reichte. Ende des 3. Jh. u. Ztr. solldas Reich von Aksum neben Rom, Persien und Chi-na zu den vier Weltreichen gehört haben, wie derpersische Religionsstifter Mani schrieb. Um 340 u.Ztr. nahm es das Christentum als Staatsreligion an,das bis heute vorherrschend ist.

Ab dem 8./9. Jahrhundert dringen Muslime in die-se Welt. Auf der Insel Dahlak Kebir zeugen nochheute ausgedehnte Ruinen von dieser islamischenPhase. Später dann waren Türken, Ägypter undschließlich die Italiener präsent, auch deren Zeug-nisse sind vielerorts zu finden und gehören heutezum Erbe der Vergangenheit. Besonders die Ha-fenstadt Massawa, einst „Perle am Roten Meer“, istdafür beredtes Zeugnis.

Noch ist Eritrea kein Touristenland, aber es hat einunglaubliches Potenzial. Es wird zwar kein Landdes Massentourismus, dazu fehlen alle Vorausset-zungen, aber ein „sanfter Tourismus“, systema-tisch geplant und aufgebaut, kann dennoch dazubeitragen, Eritrea bekannt zu machen und demLand zu helfen, dringend benötigte Einnahmen zusichern. Was Ausgrabungen anlangt, so wird es si-cher in den nächsten Jahren nur begrenzt Lizen-zen vergeben, eines Tages aber – wenn sich dasLand öffnet – werden Archäologen nahezu unbe-grenzte Möglichkeiten haben, den verschieden-sten historischen Fragen nachzugehen.

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Dr. Steffen Wenig war bis zu seiner EmeritierungProfessor für Archäologie ander Humboldt Universität inBerlin mit dem SpezialgebietSudan und Horn von Afrika. Erist der Gründer der Sudan-archäologischen Gesellschaftund leitete die Deutsche Archä-ologische Mission nach Eritrea1996/97. Seine jüngste Veröf-fentlichung: Steffen Wenig(Hg.), Im Kaiserlichen Auftrag:Die deutsche Aksum Expedition1906 unter Enno Littman. Bd. 1,Linden Soft Verlag, Aichwald2006, 400 Seiten, 49,80 Euro

Homepage: www.meroitica.de

Ein Eldorado der Archäologie Steffen Wenig

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Villa in Matara

Grab des Sheik Durbush

in Massawa

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Einzigartiges

„Gäbe es einen Preis für Entde-ckungen auf dem Gebiet der Ar-chitektur, in diesem Jahr hättenihn die Organisatoren der Aus-stellung über Asmara verdient. Ineiner Zeit, in der jeder Quadratki-lometer Erdoberfläche durch-kämmt scheint, machen sie unsmit dem Schatz einer Stadt be-kannt, bei dem selbst Fachleutender Mund offen bleibt: Asmara,die Hauptstadt des ostafrikani-schen Staates Eritrea, ist so etwaswie eine Freiluftausstellung. Hierfindet man die wohl höchste Kon-zentration von Bauten der Mo-derne weltweit, allenfalls ver-gleichbar mit der Weißen Stadt inTel Aviv oder den Art-Déco-Vier-teln in Miami und dem neusee-ländischen Napier. Nirgendwosonst sind die Bewegungen derModerne noch heute so kompaktnachvollziehbar. (...) Die Ausstel-lung verkündet in erster Linie ei-ne kulturpolitische Botschaft:Spendet für den Erhalt dieserStadt und nehmt ihr Zentrum indie Welterbeliste der Unesco auf!Ex-Umweltminister Jürgen Trit-tin, der Eritrea zweimal bereiste,war es denn auch, der zur Eröff-nung von einem ‘einzigartigen ar-chitektonischen Juwel’ sprachund den deutschen Vertreter beider Unesco, Hans-Heinrich Wre-de, zur Lobbyarbeit aufrief.“

Friederike Meyer, TAZ vom 10.10.2006

Unerforschtes Gebiet

„Die Kolonialgeschichte Afrikashat viele, manche mehr, mancheweniger ausführlich beschriebe-ne Kapitel – das der Architekturist hier zu Lande so gut wie un-bekannt. Umso verdienstvollerist die Schau, die sich Asmarawidmet. (...) Dass die eritreischeBevölkerung die Stadt im Laufeder Zeit angenommen und einekulturelle Versöhnung in Formeiner nicht von Zerstörung be-gleiteten Adaption stattgefun-den hat, beweist auch die Tatsa-che, dass das Stadtzentrum imJahr 2001 unter Denkmalschutzgestellt wurde. (...) Die Ausstel-lung wirft nicht nur Licht auf einbislang unerforschtes Gebiet, siesoll auch die Bemühungen unter-

stützen, Asmara in die Unesco-Welterbeliste aufzunehmen.“

Dagmar Hoetzel, Bauwelt 40-41/2006

Geheimfavorit„Wer Asmara als Hauptstadt Er-itreas identifiziert, weiß schonmehr als der durchschnittliche Eu-ropäer. Die weitgehend unbe-kannte Stadt besitzt jedoch eineerstaunlich reiche architektoni-sche Tradition, die nun erstmaligin einer Ausstellung gezeigt wird.“

AIT Forum 9-2006

Afrikas Rom auf „asmarablau“„Licht,Luft,tollkühne Formen:Auseinem Dorf in Eritrea wollten dieItaliener die Stadt der Zukunft ma-chen. 70 Jahre später wird Asmaraals afrikanische Hauptstadt derModerne gefeiert. (...) Ihr Nameklingt wie aus einem orientali-schen Märchen.Dass sie noch exis-tiert, gleicht einem Wunder. IhreWiederentdeckung ist eine Sensa-tion. Mit offenem Mund steht dieArchitekturwelt vor einer Stadt,dieein Ensemble moderner Bautenaus den 30er Jahren beherbergt,deren verwegene Schönheit ihres-gleichen sucht.Doch sie liegt nichtetwa in Europa oder Nordamerika,sondern auf einer fahlen Hochebe-ne im Nordosten Afrikas. (...) Vonden Widerständen und Konventio-nen befreit, mit denen sie in Euro-pa zu kämpfen hatten,experimen-tierten die italienischen Architek-ten mit den Spielarten der Moder-ne. (...) Die Architekten verpasstenAsmara ein großzügiges Straßen-muster, bauten Piazzas und Cam-paniles – genau wie sie es von zuHause kannten. Für den Bau derMoschee ließen sie sogar Marmoraus Carrara anliefern. UnzähligeCafés entstanden, wie das vonLicht durchflutete Odeon, an des-sen ovaler Bar der Kaffee besserschmecken soll als auf der PiazzaNavona. (...) Zur Versorgung derStadt errichteten die Italiener dielängste Seilbahn der Welt, 75 Kilo-meter bis zum Hafen von Massa-wa.Sie planten eins der ersten Par-khäuser Afrikas und stellten mehrAmpeln auf als in Rom. Mehrereder für die faschistische Propagan-

da so wichtigen Kinos wurden ge-baut.Die Häuser strich man in denErdfarben rot, braun, gelb. Sieleuchten noch heute vor dem Him-mel, der so tief und blau über As-mara spannt,dass man ihn asmar-ablau nennt“.

Philipp Lichterbeck, Tagespiegel vom8.10.2006

Asmara-Ausstellungscheut die Analyse

„Rücksichtslos errichteten die Fa-schisten ihr ‘Africa orientale ita-liana’, ließen die Bevölkerung inBaumwollplantagen und Minenarbeiten, installierten die Apar-theid. Als Zeichen überragenderMacht bauten sie Idealstädte. (...)Asmara ist eine der italienischenPlanstädte des ehemaligen Abes-sinien, damit also – anders alsder Titel suggeriert – ein durchund durch europäisches Artefaktauf afrikanischem Boden. (...) DieAusstellung (hätte) von Interes-se sein können, hätte sie nur ver-sucht, zum Wesentlichen vorzu-dringen: zur Gesamtkonzeptiondes kolonialistischen Städtebil-des, seinen politischen Intentio-nen, Vorbildern, Parallelerschei-nungen, dazu, wie hier Moderneinszeniert und instrumentali-siert wird. Dass man aber, wie esauf einer Tafel heißt, Asmara ‘los-gelöst von Ideologien’betrachtenwill, ist die offenkundige Kapitu-lation vor der Geschichte.“

Christian Welzbacher, FAZ vom17.11.2006

Bilderbuch der Moderne

„Asmara, die Hauptstadt Eritreas,(vereint) die ganze Schönheit deritalienischen Moderne des 20.Jahrhunderts wie im Bilderbuch.(...) Die Wiederentdeckung derstädtebaulichen und architekto-nischen Qualitäten von Asmarahat vor nicht allzu langer Zeit ein-gesetzt, nachdem Eritrea zu Be-ginn der neunziger Jahre seineUnabhängigkeit erlangt hatte. (...)Die Ausstellung blickt nicht nurauf die Baugeschichte der eritrei-schen Hauptstadt, sondern reflek-tiert die Ambivalenz der Moderneauf dem afrikanischen Kontinent.Denn Asmaras urbane Blüte steht

in engem Zusammenhang mitItaliens kolonialistischer Herr-schaftspolitik. Städteplanungdiente auch als ein Mittel zurDurchsetzung von Rassegesetzenund sozialer Segregation. Die Aus-stellung blickt nicht nur auf dieBaugeschichte der eritreischenHauptstadt, sondern reflektiertdie Ambivalenz der Moderne aufdem afrikanischen Kontinent.“

Claudia Schwartz, Neue Zürcher Zeitungvom 11.10.2006

Vergessene Zukunft

„Pettazzis Zukunftszapfstationsteht nicht etwa in Turin oderMailand. Sie gehört zu einem derweltweit größten Ensemblesmoderner Architektur, (...) als ei-ne heitere Gesellschaft verwit-terter, pastellfarbener Gebäude,die zuerst an Miami oder Tel Avivdenken lassen. (...) Ein Erbe vonWeltrang, das in Vergessenheitgeraten ist, weshalb das Deut-sche Architekturzentrum ihm ei-ne Ausstellung widmet.“

Frank Thinus, Süddeutsche Zeitung vom21.11.2006

Design-Juwel in der Savanne

„Wer gelegentlich denkt, in un-serer Welt gebe es nichts mehr zuentdecken, der sollte sich ein Ti-cket nach Eritrea kaufen. Dort, inder Hauptstadt Asmara, findet erein Ensemble von klassisch-mo-dernen und Art-Déco-Bauten,das Fachleute sogar noch höhereinschätzen als Vergleichbares inMiami Beach oder Tel Aviv. “

Häuser, Heft 4/06

Presseschau

Impressum

Dieses Dossier erscheint zusam-men mit der Ausgabe 2-3-2007von eins Entwicklungspolitik.

Schutzgebühr: 3 Euro

Herausgeber:Verein zur Förderung der entwick-lungspolitischen Publizistik e.V.

Redaktion:Konrad Melchers (Chefredakteur),Charlotte Schmitz, Klaus Seitz.

Anschrift: Postfach 50 05 50,D-60394 Frankfurt/Main,Tel. 069/58098-138.

www.entwicklungspolitik.org

An der Erstellung dieses Dossiershat mitgewirkt: Judith Melzer.

Gestaltung: Angelika Fritsch,Silke Jarick,