14
Ein Fall yon Aderhautgeschwulst nebst ana- tomischen Bemerkungen. Yon J. Hirschberg. (Aus dem histologischen Institut yon Dr. L. Loewe aus Berlin)+). (Hierzu Tafel IV und V.) Wenn ich mir erlaube, einen einzelnen Fall yon Ader- hauttumor den Lesern dieses Archivs vorzuftihren, so geschieht es darum, weil der Fall, in klinischer wie in anatomischer. Hinsicht interessant und selten, unsere diagnostischen Kenntnisse zu erweitern im Stande ist; well er ferner einen bedeutenden Fortschritt tier histologischen Technik klarlegt, niimlich die Anfer- tigung vollkommen durchsichtiger, zur mikroscopischen Untersuchung geeigneter Totalschnitte durch den menschlichen Augapfel**); weil er endlich wegen der guten Conservirung des vollkommen frisch eingelegten Pr/iparates mehrere wichtige Punkte der normalen und pathologischen hnatomie des menschlichen Auges er- liiutern hilft. *) Fig. 6 ist unter Aufsicht des Herrn Dr. Loewe yon einem Maler angefertigt. **) G u d d e n schreibt Arch. f. O, XXI~ 3, 204:: ,S. 435 der Extra- Beilage zum Correspondenzblatt fiir schweizerische Aerzte, 1875, No. 14~ finde ich~ dass Pro£ Dor in Bern mit dem yon mir an- gegebenen I~Iikrotom schSne totale Bulbusabschnitte angefertigt ha~." Genaueres ist an der angeftihrten Stelle nicht zu finden.

Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

Ein Fall yon Aderhautgeschwulst nebst ana- tomischen Bemerkungen.

Yon

J. H i r s c h b e r g .

(Aus dem histologischen Institut yon Dr. L. Loewe aus Berlin)+).

(Hierzu Tafel IV und V.)

W e n n ich mir erlaube, einen einzelnen Fall yon Ader-

hauttumor den Lesern dieses Archivs vorzuftihren, so

geschieht es darum, weil der Fall, in klinischer wie in

anatomischer. Hinsicht interessant und selten, unsere diagnostischen Kenntnisse zu erweitern im Stande ist;

well er ferner einen bedeutenden F o r t s c h r i t t t ie r h i s t o l o g i s c h e n T e c h n i k klarlegt, niimlich die Anfer-

tigung vollkommen durchsichtiger, zur mikroscopischen

Untersuchung geeigneter T o t a l s c h n i t t e d u r c h den m e n s c h l i c h e n A u g a p f e l * * ) ; weil er endlich wegen der

guten Conservirung des vollkommen frisch eingelegten Pr/iparates mehrere wichtige Punkte der normalen und

pathologischen hnatomie des menschlichen Auges er-

liiutern hilft.

*) Fig. 6 ist unter Aufsicht des Herrn Dr. Loewe yon einem Maler angefertigt.

**) G u d d e n schreibt Arch. f. O, XXI~ 3, 204:: ,S. 435 der Extra- Beilage zum Correspondenzblatt fiir schweizerische Aerzte, 1875, No. 14~ finde ich~ dass Pro£ Dor in Bern mit dem yon mir an- gegebenen I~Iikrotom schSne totale Bulbusabschnitte angefertigt ha~." Genaueres ist an der angeftihrten Stelle nicht zu finden.

Page 2: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

136

Es ist nothwendig, die bereits yon mir (Central- zeitung 1875, No. 42) kurz mitgetheilte Krankengeschichte hier zu reproduciren.

.Am 24. April 1875 gelangte ein 2j~ihriges Miid- cben vo~ ausw~rts in meine Klinik. Vier Wochen v o r h e r war zuerst eine leichte Entzfindung des linken Auges beobaehtet worden. Das Kind ist wohlgebildet, bliihend und munter; sein rechtes Auge normal und sehtfichtig, sein l i nkes abe r vSl l ig b l ind , wie nach sorgf~ltigem Verbinden des rechten leicht festgestellt werden kann. Es besteht l inks das Krankheitsbild e i n e r I r i t i s , niinllich Lidkneifen, RSthung rings um die Hornhaut, Gefassentwicklung in der Iris, feste und breite ¥erwaehsungen des Randes tier mittelweiten Pu- pille mit der vorderen Linsenkapsel. Bei der ophthal- moscopischen Durcbleuchtung erkennt man einen w e i s s e n R e f l e x aus tier T ie fe , abet keine weiteren Details. Die S p a n n u n g des h u g a p f e l s i s t erhSht. Dutch Atropineintraufelungen wird die Pupille nicht weiter.

Die Untersuchung war dureh Unruhe des Kindes sehr erschwert, hls am folgenden Tage die in der Chloroformnarcose wiederholte Untersuchung zwar keine neuen Daten brachte, aber die S p a n n u n g s v e r m e h - r u n g bestiitigte, stellte ich die Diagnose eines in t r a - o c u l a r e n T u m o r mit Sicherheit und schritt sofblt zur Enucleation des hugapfels.

Dureh die gleich naeh der Operation vorgenommene Durchschneidung des Pr~parates wurde die Diagnose bestatigt. Gerade nach aussen yon der Papilla optica sitzt eiue grauliche weicbe Geschwulst yon der GrSsse eines starken Haselnusskernes (9 Mm. breit, 9 Mm. bocA); sie stellt eine umschriebene W u c h e r u n g der A d e r h a u t dar und hebt die :Netzhaut in die HShe, ist mit dieser wie mit der Sclera lest verwacbsen. Ja die i n n e r e n Scb i ch t en der S c l e r a ~ind b e r e i t s zer-

Page 3: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

137

s t S r t , die i i u s s e r e n l e i c h t b u c k e l f i i r m i g her- v o r g e t r i e b e n ! " (siehe Fig. 1).

,,Vier Wochen bestanden erst geringfiigige Symptome; man sieht, wie friihzeitig die Operation gemacht werden muss! Die m i k r o s k o p i s c h e U n t e r s u c h u n g zeigte in der Neubildung ein kleinzelliges Sarcomgewebe.

Der Fall ist noch datum yon Iuteresse, well er ffir den Satz, class der Markschwamm der Netzhaut bei Kindern mit dem Bilde des amaurotischen Katzenauges beginnt, eine indirecte Best~ttigung darsteltt. Hier fehlte jenes typische Krankheitsbild; die Untersuchung wies auch ein h d e r h a u t s a r c o m hath, ebenso wie in einem andera yon mir und Dr. H a p p e publicirten Falle. (Vgl. dieses Arch. XVI., 302 fgd.). Somit wird alas bestatigt, was ich bereits 1869 fiber die Differentialdiagnose zwischen Markschwamm der Netzhant und ungefarbtem Sarcom der Aderhaut mitgetheilt habe. (Vgl. Markschwamm der Netzhaut~, 1869, pag. 326.)"

Die genauere Untersuchung nahm ich im Institut des Herrn Dr. Loewe vor, dem ich zn grossem Danke verpfiichtet bin. Das Praparat wurde, nachdem es mehrere Monate in Mti l ler ' scher Flfissigkeit gelegen, erst in toto mit Carmin gefarbt, dann geleimt, endlich mit Dr. L o e w e ' s Mikrotom, nach Einbettung ia eine Paraffinmischung, in feine Totalschnitte zerspalten. Fig. 2 stelliG bei schwacher Vergriisserung einen solchen Total- schnitt dar, welcher, der Horizontalebene einigermaassen parallel, bereits dutch die Peripherie der Vorderkammer geffihrt ist, so dass der Raum der letzteren spaltfOrmig, das Hornhautsegment klein, die Iris ohne Pupille und der Sehnerv ohne Centralgef~isse sich darstellt. 1 be- deutet Sclera, 2 Aderhaut, 3 Netzhaut, 4 Aderhauttumor, 5 Netzhauttumor. Fig. 1 ist bei auffallendem, Fig. 2 bei d u r c h f a l l e n d e m L i c h t mit~ Uilfe eil~er einfaehen Lupe (Prfiparirmicroscop yon Zeiss) gezeichnet; schon

Page 4: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

138

bei oberfliichlicher Betrachtung erkennt man den bedeu- tenden Unterschied: die C~)ntouren der einzelnen hugen- h~tute and ihrer Schichten lassen sich ungemein viel besser auf Fig. 2 verfolgen; die topographischen Ver- h~ltnisse, welche ftir die klinische huffassung noch wich- tiger sind, als der histologische Befund, springen klar ins huge. Wenn man nun erw~igt, dass dasselbe Pr~t- parat auch noch bei starkeu VergrSsserungen (300:1) in allen Details deutliche Bilder giebt: so wird wohl mit mir jeder Ophthalmologe diese Verbesserang tier Technik als einen miichtigen Hebel des Fortschritts der auf klinische Beobachtung gestiitzten anatomischen Unter- suchang fi'eudig begrtissen.

Fig. 2 zeigt die Sclera intact; nur da, wo der Ader- hauttumor sitzt, ~erdtinnt. Die hderhaut ist in ihrer medialen H~lfte (2) fast nnveriiMert, (de~ subchorioidale Raum wohl artificiell), bach der grSssere Theil ihrer lateralen H~lfte ist diinn; nut dicht vor dem Sehnerven- eintritt schwillt sie zu einem ansehnlichen Knoten an, weleher einerseits mit der hierselbst (iu der Gegend des hinteren hugenpoles) verdiinnten Sclera eine hreite Ver- wachsung eingegangen ist, andererseits convex ins hugen- inhere vorspringend auch mit der emporgehobenen, partiell verdickten (geschwulstartig infiltrirten) Netzhaut innig verwachsen ist. Das Pigmentepithel, welches allenthalben nicht an der Aussenfi~che der Netzhaut, sondern an der Innenfl~che tier hderhaut haf~et, fiber- zieht auch als eine deutlich verfolgbare wiewohl schtittere Schicht die ganze convexe Oberfliiche der hderhaut- geschwulst mit husnahme einer kleinen Partie auf der Kuppe, ~o die Wucherung das Pigmeutblatt durch- brochen hat m~d in die Netzhaut eingedru~gen ist. Ebenso zieht an der fiusseren flach convexen Grenzlinic der hderhautgeschwulst auf langere Strecken eine ziem- lich wohl erhattene pigmentirte lamina fusca als Scheid¢

Page 5: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

139

zwischen Tumor und Sclera: nur dicht vor dem Seh- nerveneintritt wird auch die Fusca durchbrochen und die innerste Schicht der Sclera in den Be~:eich der Ge- schwulst hineinbezogen. Die Netzhaut ist, soweit sie nicht dem Aderhauttumor auf- oder anliegt, zwar diffus aber gleichfSrmig und unbedeutend verdickt, wie b~i ein- facher Reizung; der Sehnerv mit seinen Scheiden nor- mal; ebenso zeigt der vordere Bulbusabschnitt nut ent- zfindliche (iritische) Ver~tnderungen.

Nach dem Anblick der Fig. 2 kann kein Zweifel bestehen, dass die •eubildung aus der Aderhaut und zwar aus dem eigentlichen Stroma derselbeu hervor- gegangen. Dem entsprechend erscheint die Geschwulst viillig pigmentlos und ziemlich homogen: nur erkennt man in ihrem Gewebe rundliche und liingliehe Zfige, welche st~irker mit Carmin imbibirt sind als die fibrige Masse, sowohl im chorioidalen wie auch im retinalen An- theil. Weisse Sarcome der Aderhaut*) kommen nicht bloss im kindlichen Alter vor. Vergleicht man typisehe Abbildungen, z. B. unsere Fig. 2 (oder unsere Fig. 1 in Z e h e n d e r ' s Monatsbl. VII, p. 90) mit solchen you me- lanotischem Sarcom der hderhaut, wo die Convexit~it des Tumor yon einer diinnen continuirlichen weisslichen Kapselschicht tiberzogen wird: so gelangt mau zu der Vcrmuthung, dass die yon dem eigentlichen gef~tsshaltigen Stroma der Aderhaut ausgehenden Tumoren ungefarbt, die aus der lamina fusca hervorgehenden melanotiseh sind. Die Anschauung, dass nur in solchen Fallen, wo ein Aderhauttumor in der Aequatorialgegend sitzt und

*) ¥ i r c h o w , Onkologie, II. , 284: u. A. v. G r a e f e , Arch. f. Ophth., IV, 2, 223.

Hulke , Ophth. Hospital Reports IlI, 283 u. IV, p. 85. K n a p p , Die intraocularen Geschwiilste, 126 fgd. (2 F~ille). H i r s c h b e r g , Z e h e n d e r ' s Monatsbl., VII, 77 (2 Fglle). O. B e c k e t , K n a p p ' s Arch.~ I s 2, 214. Vgl. auch Nage l ' s

Jahresberichte.

Page 6: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

140

yon w)rn herein den ven~sen Abfluss aus den vasa vor- ticosa beeintri~chtigt, fl'fihzei~ig )cetzhautabhebung hinzu- tritt, gewinnt auch in der vorliegenden Beobachtung eine Stiitze. Endlich erkennt man bier noch deutlicher als in dem yon mir und Dr. H a p p e mitgetheilten Fall (dies. Arch. XVI, 309), wie ein primitrer Aderhauttumor duvch locale Infection das Gewebe der Netzhaut in Mitleiden- schaft zieht.

Die m i c r o s c o p i s c h e U n t e r s u c h u n g desjenigen Pri~parates, yon dem Fig. 2 und auch die bei 15facher YergrSsserung gezeichnete Abbildung des Tumor auf Fig. 4 entnommen sind, und zahlreicher anderer zeigt den normalen Bau tier Selera mit ihren durchtretenden Ciliargefassen und )cerven; nur an der Verwachsungs- stelle sind ihre inneren Lamellen durch eine kleinzellige Wueherung auseinandergedriingt, welche auf dem Durch- schnitte in langliehen spaltf0rmigen Lficken zwischen den Scleralfaserbiindeln auftritt. Die lamina fusca ist an der Grenze zwischen Sclera und Aderhauttumor zusammen- gedriickt, ihre Liicken geschwunden, ihre Pigmentzellen sparsam und unregelmiissig, zum Theil der Fortsfitze beraubt. Auf einigen Schnitten erkennt man, wie in der Mitte der Verwachsungsstelle die Fasca durch die Ge- schwulstzellenwucherung durchbrochen und dabei zum Theil naeh vorn in das Gewebe des Aderhautknotens

hineingedrangt wird. 1Nach innen yon der Fusca sieht man im Gewebe

der Aderhautgeschwulst zun~chst eine mit Carmin stark gef~irbte kleinzellige Granulationsschicht mit zahlreichen weiten liings-und quergetroffenen Blutgefii, ssen, die noch entfernt an die Architektur der normalen Aderhaut erinnern. Der Hauptantheil des Aderhauttumor besteht aus einem gleic'hfalls kleinzelligen Gewebe in einem ausserst feinen Reticulum. )Cur spiirlich sind st~trkere Faserziige zu treffen, welche i. A. in convexen Linien

Page 7: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

14i

nach vorn gegen die Kuppe der Geschwulst ziehen. Be- sonders deutlich sind solche da, wo (nach einer im Durch- schnitt dreieckigen Verdickung) die mediale H~ilfte tier Aderhaut ia die convexe Geschwulst tibergeht (6, in Fig. 2).

Hierselbst sind wenigsteus mikroskopiseh einzelne pigmentirte Stromazellen und aueh einzelne starkert Arterien und Venen nachweisbar. Eine i~hnliehe eonvexe Fasersehieht findet mall auch da, wo die laterale Ader- hauthi~Ifte in den Tumor iibergeht (7, Fig. 2): so dass diescr bei genauerer Betrachtung gewissermassen gegen das gesunde Aderhautgewebe abgekapselt erscheint; doch ist die Trennung keine scharfe, namentlich nicht l~teralwiirts.

Inmitten des Geschwulstgewebes sind dtinnwandige Blutgefiisse nachweisbar, aber nicht viele. Das merk- wiirdigste sind jene rundlichen, intensiv roth gefarbten Flecke und Ztige, welche in den untersten Lagen der Gcschwulst ebenso wie in den mittleren und obaran vorkommen, aber auch in der secund~iren ~Netzhaut- vardickung nicht fehlen. Diese Figuren, schon auf Fig. 2, noch dautlicher auf Fig. 4 sichtbar, sind bedingt durch die Anwesenheit sehr wohl au~gebildeter, sogananntcr g i a s e n z e l l e n . Ihre GrSssa ist sehr verschiedan; ich finda solche yon 0,060 Mm. L~nga und 0,030 Mm. Breite, aber auch andert yon dar doppeltan GrSssa und dariibar. Schon bei 15facher VargrSsserung erktnnt man sehr bequam die einzelnen Riesenzallan. Ihr Contour is~ scharf und zackig, mit spitz ausgezoganeu Fortsatztn, sit tnthaltan zu 20--30 Kernen und mehr und tin granulirtes gelbliches Protoplasma. Nirgends abtr liegen sic frei in deal Geschwulstgawebt; immer sind sie, ant- wader einzeln odar zu mehreren, umgtben yon einem rundliehen odtr l~nglichen Tarrit0rium rtticulirttr, rund- zellenhaltiger Substanz: kurz, man findet, eingespreagt

Page 8: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

142

in das kleinzellige Sarcomgewebe, allenthalben dasjenige Bild, welches neuerdings als bistiologischer Tuberkel yon W a g n e r , Sch t ippe l , F r i e d l i i n d e r , E~ister , P e r l u. A. beschrieben ist. (Vgl. Fig. 3, welche ich bei schwacher VergrSsserung gezeichnet babe.)

Inwieweit diese Anschaming berechtigt ist, babe ich hier nicht zu erSrtern. Sicher kommen Riesenzellen in den echten Tuberkela V i r c h o w ' s * ) v o r , auch u. A. in denen der Aderhaut (Busch) ; aber nicht ausnahmslos (Bro- dowski ) . Nach R ind f l e i s ch sind die Riesenzellen ftir den Tuberkel ohne pathognomonische Bedeutung. Hat man doch in den Producten von Rotz, Lupus, Syphilis ebenso wie in krebsigen Geschwtilsten, in alten Fuss- geschwfiren wie im Granulationsgewebe ganz analoge Bilder gefunden ( B r o d o w s k i ) ! Will man das alles ftir locale Tuberculose ansehen, so gelangen wir zu der alten Anschauung "qon L e b e r t zuriick, weleher Tuberkel im Krebs annahm, wenn er inmitten einer carcinomatSsen Geschwulst k~sige Massen antraf.

Charakteristisch fiir den Tuberkel ist, dass hie ein Tuber aus ibm wird**); die sogenannten apfelgrossen Tuberkel des Gehirns sind aus Tausenden yon wirklichen Tuberkeln zusammengesetzt. Dass der vorliegende Fall etwa znr Aderhauttuberculose bezogen werden kiinne, muss ich ebenso entscbieden zurfickweisen, wie ich den yon P e r l s in diesem Arch. XIX, 1, 221 als Tuberculose der Iris besehriebenen Fall nut als Granulom betrachten kann. (Vgl. V i r c h o w ' s Arch. LX.)

Riesenzellen kommen im wachsenden Knochen nor- maler Weise vor; in der normalen Aderhaut sind sie noch nicht nachgewiesen worden, wohl aber in der ent-

*) Vgl. Cellularpathol., p. 560. **) ¥ i r c h o w , I. c.

Page 9: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

143

ztindlich ver~inderteni*), wobei vielleieht zu beriicksich- tigen ist, dass die formative Reizung der Chorioides auch gelegentlich zur Knochenbildung Veranlassung giebt. Riesenzellen sind in den ~erschiedensten granulirenden Geweben und namentlich auch in den Granulations- geschwfilsten der h-is yon Y i r c h o w , B i l l r o tb , Rosow und mir**), in einem ,,Netzhauttumor" yon S t e u d a e r nachgewiesen. Jetzt Iernen wir sie als Bestandtheil eines kleinzelligen Aderhautsarcoms kennen und haben keine Veranlassung, anzunehmen, dass hier eine sarcomatiise Geschwulst mit localer Tubereulose complicirt sei.

Was den retinalen Antheil der Geschwulst in unserem Falle betrifft, ~o ist derselbe (vergl. Fig. 4) am miich- tigsten (fast 2 Mm. dick) auf dem lateralen Abhang tier Geschwulstkuppe (bei a) und besteht hierselbst aus einem durehaus feinzelligen Gewebe; eine diinne Zellen- schicht (b) schiebt sich yon dort aus oberhalb des Pig- mentepithe]s bis zu der Grenze des normalen hderhaut- gewebes vor. In den innersten Lagen der verdickten Netzhaut sind die vorher beshriebenen Riesenzellennester nachweisbar. Auf dem Gipfel tier Aderhautgeschwulst, wo die Grenzlinie gegen den Netzhautantheil immer deutlich bleibt, sind in der iiusseren Lage der retinalen Anschwellung (bei c) m~tchtige starre radi~tre Fasern entwickelt. Auf dem medialen Abhang abet hat sich die immer noch gesehwulstartig verdiekte Netzhaut.von dem Aderhautknoten ein wenig abgehoben; auf der con- vexen Oberfliiche tier |etzteren ist die ko iossa l h y p e r - t r o p h i r t e S t abchen s c h i c h t (d) haften geblieben.

*) I w a n o f f , Arch. f. O., XV, 2, 27. Das Auge war in Folge einer Verletzung und beginnendem sympathischen Leiden des anderen enucleirt worden, die Aderhaut war gleichf5rmig auf 1--2 Mm. ver- dickt, weisslich; 'bestand aus Bindegewebe mit Myeloplaxen; die 1Netzhaut abgelSst. I w a n o f f sieht den Fall als Sarcom an.

**) v. G r a e f e ' s Archiv~ VII, 2, 37; XII~ 2, 231. K n a p p ' s Archiv~ I, 2. ¥ i r c h o w ' s Arch, LX.

Page 10: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

144

hTachdem ich so die Beschreibung der Geschwulst vollendet, habe ich noch kurz die Beschaffenheit des tibrigen Ader- und Netzhauttractus zu beriicksichtigen. Dabei stellt sich das merkwilrdige Verh~tltniss heraus, dass die Netzhaut, deren Betheiligung an der Neubildung nur eine geringe und secuadi~re scheint, doch eine weit diffusere Ver/~nderung ihrer histologischen Structur er- fahren hat, als die Aderhaut; es mag dies in der gr6sseren Zartheit und geringereu Widerstandsfahigkeit der ersteren liegen. In dem vorderen Bulbasabschnitt erkennt man deutlich eine Entzfindung der Iris und des Ciliark6rpers, die als Epiph~nomen intraocularer Gesch~'ulstbildung ja gentigend bekannt ist.

Unsere Fig. 2 zeigt auf der Vorderfl/iche der Iris eine diinne continuirliche E x s u d a t s c h i c h t , eine ge- ronnene~ netzf6rmig-fibrill~tre lymphzellenhaltige Masse; diese ist auf allen Schnitten anzutr~ffen, auf den durch die Pupille gehenden dicker und deutlicher; ich werde darauf gleich zurtickkommen. Die entztindlich verdickte Iris enth/i, lt zahlreiche erweiterte Blutgef/isse und/iusserst zahlreiche Lymphzellen in dem eigentlichen. Stroma zwischen der vorderen pigmentzellenhaltigen Schicht und der hinteren Uvealschicht. Ebenso ist tier Ciliar- kSrper sowohl in dem Stroma als auch im intermuscu- laren Gewebe yon Lymphzellen reichlich durchsetzt. Die Zahl der Lymphzellen diirfte wohl auch iu tier medialen Aderhauth/ilfte vermehrt sein ; sonst aber ist ihre Structur sogar dicht vor dem Sehnerveneintritt noch recht wohl erhalten.

In der lateralen Hfi.lfte der Aderhaut sieht man lediglich eine vermehrte Zahl der Lymphzellen in der inneren Schicht, sonst keine Structurver/~nderung; da- gegen hat die auf dem Durchschnitt dreieckige An- schwellung der Chorioides dicht vor dem Tumor ihre normale Structur ganz eingebtisst i sie ist in eine dicht-

Page 11: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

145

zellige gef~sshaltige Wuchcrung tibergegangen mit ein- gestreuten Pigmentstromazellen, welche bereits aus ihrer zur Bulbusoberfl~che parallelen L~ngsriehtung in eine mehr und mehr radiale Riehtung iibergehen.

Die Netzhaut ist schon auf dem Ciliark6rper ver- ~ndert; alas einsehiehtige Cylinderepithel auf der Uveal- schicht, welches sie hier darstellt, ist in Riehtung der L~ngsaehse der Zellen vergr6ssert. In der Peripherie der eigentlichen Netzhaut sind alle Schiehten, auch die der StAbchen, noch deutlieh nachweisbar, abet das binde- gewebige Radialfasergerfist stark hypertrophirt. Je nhher man an die Geschwulst herankommt, desto mehr ver- wisehen sich die Grenzen zwischen den einzelnen Schichten, ohne abet ganz zu versehwinden; desto deut- lieher und massenhafter wird in den hinteren Netzhaut- lagen eine Rundzellenwueherung, wahrend an der Vorder- fl~ehe bier und da relativ zellenarme Auswfichse tier Radi~rfasergeflechte wie mikroscopisehe Papillarwuche- rangen frei hervol:treten.

Der Glask6rper ist yon der Netzhaut zum grSssten Theil abgelSst. Allerdings ist die innere Grenzsehieht tier Netzhaut, da wo die beschriebene Papillome fehlen, grSsstentheils glatt und scharf gezeiehnet und ebenso seharf die entspreehende convexe Grenz- schicht des abgehobenen GlaskSrpers. Die letztere zeigt eine continuirliche Zellenlage, fast wie ein einschichtiges Eioithel, wiihrend im Innern des amo'rphen geronnenen GlaskSrpers die Zellen Sl0~rlicher vertheilt sind. hber an der Grenze der Abhebung sieht man, (Fig. 5)*) fiber die yon den zusammenstossenden Endkegeln der Radiiir- fasern gebildete sogenannte limitans interna zahlreiche fcine Fhserchen ia den subvitrinalen Raum hervortreten

*1 1 bedeutet die ~ussere, 2 die innere Schicht der Netzhaut, 3 bedeutet den subvitrinalen Raam, 4¢ die Orenzschicht des Glas- kSrpers, 5 den GlaskSrper.

v. Graef~'s Ar~hiv fiir Ophthalmologi% XXII . 1, ]_0

Page 12: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

146

und frei endigen. Zu der alten Streitfrage, ob zwischen GlaskSrper und Iqetzhaut zwei oder eine Grenzmembran vorhanden, mSchte man hiernach die Vermuthung hinzu- ftigen, dass die bindegewebige Grundlage der bTetzhaut und des GlaskSrpers in continuirlichem Zusammenhang stehen, womit die Untersuchungen fiber die Entwick- lung des Kaninchenauges von Wf i r zburg gut iiberein- stimmen.

Werfen wir noch einen Blick auf diejenigen Pr~t- parate, welche durch den pupillenhaltigen Theil der Iris gehen (vergl. Fig. 6); so haben wit alas klarste Bild der e x s u d a t i v e n ] r i t i s vor hugen. Als hauptsachliehes Product derselben erkennen wir das auf dem Durch- schnitt fast keulenfSrmige Exsudat, das der ganzen Vorderfi~tche der Iris, yore ligamentum pectinatum an bis zum Pupillarrande, aufgelegen, ja ein Continuum mit ihr gebildet, nut durch die Pr~iparation ein wenig yon der Iris abgehobcn wordem und aueh mit der Linsenkapsel (3) verwachsen ist. Er besteht aus einem ,,fibrinSsen" 5~etz mit Lymphzellen, aber in den dicken Partien (4 und 5) lediglich aus einer Anhaufung rother Blutk(irperchen. Lymphzellen bedecken auch die Vorderfl~tche tier hyper- :hiimischen Iris und durchsetzen ihr lockeres Stroma, das offenbar yon einer ~hnlichen Fibrinmasse infiltrirt ist. Die Vorderfiiiche des Hornhautepithels ist leicht wellig bei mikroscopiseber Betrachtung; die Epithelzellen voll- stiindig, aber succulent, einzelne in den mittleren und oberon Lagen fSrmlich hydropisch. Die Hornhaut- parenchymlticken sind deutliche, langliche ,,Tubes" ohne Inhalt; das Endothel der Descemetis ist regelmassig und corpulent. Das klinische Bild der acuten plastischen Iritis wird durch diesen Befund genfigend erl~utert.

Das n~tmliche Pri~parat zeigt noch eine bedeutsame histo- logische Thatsuche, welche Dr. L o e w e sowohl an embryo- nalen wie an entwicke]ten Thieraugen gefunden : d a s s ni~m-

Page 13: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

147

l ich die b e i d e n B l i i t t e r der s e c u n d ~ r e n A u g e n - b l a s e nach v orn b is zum P u p i l l a r r a n d r e i c h e n and e r s t d o r t in e i n a n d e r umbiegen . Bekannter- massen wird das ~tussere Blatt zum Pigmentepithel; dass dieses zur Netzhaut gehiirt, diirfte den Ophthalmologen, selbst abgesehen yon den Resultaten der Entwicklungs- geschichte, scbon aus dem ophthalmoscopischen Studium der Retinitis hinreicbend klar sein. Das innere Blatt der secund~iren Augenblase wird zur eigentlicben 1%tz- haut, welcbe vorn die Ciliarfirsten als eine einschichtige farblose ZelIenlage tiberzieht. Unsere Figur 6 lehrt uns, dass an der Hinterflache der Iris 2 P i g m e n t l a g e n vor- handen sind, eine ~ordere zartere, und eine hintere machtigere. Am Pupillarrand biegen beide ineinander urn. Verfolgt man die vordere Pigmentschicht der Iris bis zum Ursprung der Ciliarfirste~, so geht sie in die dicke Uvealschicht des Ciliark5rpers fiber; die hintere Pigmentschicht tier Iris aber geht am Ursprung der Ciliarfirsten in das ungef~rbte Epithel, also in die eigent- liche bletzhaut, fiber.

Diese anatomische Continuit~t wirft neues Licht auf den klinischen Zusammenhang zwischen Iritis und Re- tinitis.

Die histologische Charakterisirung einer Geschwulst kann uns zwar nicht sofort ihre pathologische Bedeutung kundthun; dazu sind klinische Specialerfahrungen erfor- derlich: aber sie allein giebt uns doch die MSglichkeit, wirklich verwandte Geschwulstformen, die derselben Matrix entsprossen sind, zusammenzufassen. Fragen wir nach hnalogien unseres Fa]les, so liegt meines Wissens erst eine Beobachtung vor. S t e u d n e r hat im Februar 1874 ( ¥ i r c h o w ' s Arch. LIX, 421)i in dem exstirpirten Augapfel eines Kindes ein a lveol i~res Sarcom der R e t i n a gefunden. ,,Die Retina ist ziemlich gleichmiissig in eine Geschwulst umgewandelt, welche etwa 0,5 Cm.

lO*

Page 14: Ein Fall von Aderhautgeschwulst nebst anatomischen Bemerkungen

148

dick der inneren Oberfliiche der Sclera lest anliegt und um den verengten G]askCirperraum eine leicht h(ickerige Abgrenzung zeigt. Die Linse ist mit der Iris gegen die Hornhaut gedr~ingt, die C h o r i o i d e s bis auf e inze lne Spuren ve r schwunden . Aaf der inneren Seite der Hornhaut hat die Geschwulst die Sclera perforirt und sich tiber derselben in Gestalt einer pilzfSrmigen, you der Conjunctiva tiberzogenen Anschwellung ausgebreitet." Die ,qorztigliche Beschreibung und Abbildung der histo- logischen Structur ergeben eine vSllige Identitat mit meinem Fall.

Offenbar war S t e u d n e r ' s Fall, der nach den spar- lichen klinischen Notizen schon sehr tange bestanden, soweit vorgeschritten, dass der Ausgangspunkt der ]Neu- bildung nicht mehr so klar erkannt ~erden konnte, wie in meiner Beobachtung. Es ist wichtig hervorzuheben, dass in S t e u d n e r ' s Fall ein locales Recid iv erfolgte, welches dutch Exstirpation des Orbitalinhaltes erfolgreich beseifigt wurde.

Ich kann nieht schliessea, ohne noch einmal die Wichtigkeit des Mikrotoms far das Stadium der Anatomic des Auges und namezltlich der topographischen Verhalt- nisse, z.B. des Sehneryeneintritts oder der Irisinsertion, besonders hervorzuheben.