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Ein Fall von Leberkrebs beim Kaninchen auf experimenteller Basis1). Voll Dr. v. Niessen~ Drcsden. Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen ara 27. Oktober 1926.) Auf der zweiten Konferenz zur Bek/impfung der Krebskrankheit im Oktober 1910 in Paris wurde die These aufgestellt, dab die Krebs- ursache zwar parasit/~ren, aber nicht einheitlich parasiti~ren Ursprungs Abb. 1. Erste Exanthemstene am Rumpf 6 Wochen naeh Infektion am Ohr. sei, und daft Syphilis eine gewisse Disposition dazu schaffe. In einer wert- vollen Arbeit, im Arehiv fiir klinische Chirurgie 1878, benannt ,,Aphoris- men iiber Krebs", wies schon v. Esmarch an der Hand yon instruktiven Abbildungen auf die h~iufige Krebsgenese auf lup6ser und syphilitischer Basis hin. Solche Beobuchtungen werden immer wieder gemaeht und angesiehts des h~ufigen Hervorgehens von Careinomen aus Syphilomen 1) Vortrag, gehaltcn auf der Konferenz des Deutschen Zentralkomitees zur Erforsehung und Bekgmpfung der Krebskrankheit am 24. und 25. September 1926 in Diisseldorf.

Ein Fall von Leberkrebs beim Kaninchen auf experimenteller Basis

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Page 1: Ein Fall von Leberkrebs beim Kaninchen auf experimenteller Basis

Ein Fall von Leberkrebs beim Kaninchen auf experimenteller Basis1).

V o l l

Dr. v. Niessen~ Drcsden.

Mit 9 Textabbildungen.

(Eingegangen ara 27. Oktober 1926.)

Auf der zweiten Konferenz zur Bek/impfung der Krebskrankheit im Oktober 1910 in Paris wurde die These aufgestellt, dab die Krebs- ursache zwar parasit/~ren, aber nicht einheitlich parasiti~ren Ursprungs

Abb. 1. E r s t e E x a n t h e m s t e n e a m R u m p f 6 Wochen naeh I n f e k t i o n a m Ohr.

sei, und daft Syphilis eine gewisse Disposition dazu schaffe. In einer wert- vollen Arbeit, im Arehiv fiir klinische Chirurgie 1878, benannt ,,Aphoris- men iiber Krebs", wies schon v. Esmarch an der Hand yon instruktiven Abbildungen auf die h~iufige Krebsgenese auf lup6ser und syphilitischer Basis hin. Solche Beobuchtungen werden immer wieder gemaeht und angesiehts des h~ufigen Hervorgehens von Careinomen aus Syphilomen

1) Vortrag, gehaltcn auf der Konferenz des Deutschen Zentralkomitees zur Erforsehung und Bekgmpfung der Krebskrankheit am 24. und 25. September 1926 in Diisseldorf.

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v. Niessen : Ein Fall yon Leberkrebs beim Kal~inehe~ auf experiment. Basis. 273

bei gew6hnlich vermiBtem Nebene inander liegt die A n n a h m e einer venerogenen Krebsgenese durch prim~re cancroide Metaplasie syphili- t ischen Gewebes nahe genugl) . Es diirfte n u n angesichts dieser A n n a h m e von al lgcmcinem Interesse sein, hier auf e inen recht merkwiirdigen solchen Fal l yon Krebsen twick lung auf syphil i t ischer Grundlagc hinzu- weisen. I s t die hier zu ber ichtende Beobach tung auch ein mehr zufiilliger Befund und nicht das Ergebnis eines speziell auf Krebserzeugung ge- r ichtet gewesenen Tierversuchs, so ist er doch vor al lem deshalb besouders bemerkenswert , weil genuiner Krebs beim K a n i n c h e n wohl k~um bisher i iberhaupt beobachte t worden ist.

Ge]egentlich von Syphi|isiiber~ragung auf Tiere dureh Reinkultur des Kon- tagiums infiziertc ich mit einer solchen der Eruptionsperiode unbehande]ter menschlicher Syphilis ein gesundes, kraftiges, ausgewaehsenes Kaninchenweibchcn subcutan unter die Ohrrfickenhaut. Es wurde dazu 1/2 ccm Aufschwemmung ver- wendct. Nach 6wOchiger Inkubation zeigte sich am Riicken die erste spezifische Eruption (Abb. 1). Ihr folgten im Verlauf mehrerer Monate andere solche, tells solit~r, teils multipel-grnppenf6rmig angeordnet, cndlich sogar eine typisch-zirzin~ir- serpigin6ser Natur (Abb. 2--4). Naeh protrahiertem Verlauf und spontaner Ab- heilung der exanthematischen Hautsyphilide unter Verschorfung der exsudativen Stellen blieb das Tier, abgesehen von einigen weniger markanten Rezidiven mit Haarschwund und abgesetztem Fell, ohne Erscheinungen nnd offenbare Gesund- heitsst6rungen. Von irgendweleher therapcutischen Beeinflussung wurde ab- gesehen. Nach 3 Jahrcn ring es irides trotz guter Pflege und Nahrungsaufnahme �9 n, abzumagern, bekam Blutharnen und Ascites und ging, fiber 4 Jahre nach der lnfektion, tin. Die SekLion ergab ein riesiges .4denocarcinom der Leber mit mul- tiplen Knotenbildungen, bis zu Pflaumengr6Be, zahlreichen Metastasen in die poliaden'iir vcrgr6Berten Lymphdriisen, in Darmserosa und Nicrcnkapsel (Abb. 5 bis 8). Die Lebertumorengruppe war in eine netzartige Bindegewebswucherung mit vielen eingelagerten Drfisen eingebettet. Der Leberkrebs ging aus yon der Gallenblase bzw. den Galleng~ngen. Die Leber war cirrhotisch und zeigte sehwar- tige Narben. Es fand sieh Anasarka und Ascites. Im Herzpunktatblut konnte das zur Infektion verwendete Kontagium in Reinkultur nachgewiesen werden. Die histologische Untersuchung der Tumoren ergab carcinomat6ses Gewebc (Abb. 9). Es handelt sich um typische Carcinose, der gegeniiber dic Residucn syphilitischer Organver~nderungen zuriicktraten. Um indes ein m6gliehst unvor- eingenommencs, autoritatives Urteil fiber die Natur der Neubildungen zu er- halten, wurde das Prhparat an 2 namhafte Pathologen mit der Bitte um Bcgut- achtung geschickt. Der eine gab dleselbe dahingehend ab: ,,Die Beurteilung des Tumors an der Kaninchenlcbcr hat mir einige Sehwierigkeiten gemacht, well ieh im allgemeinen dem Vorkommen yon carcinomat6scn Geschwii|sten beim Kanin- then skeptisch gegenfiberstehe. Ich babe dcmnach untcr m6glichster Schonung des Priiparates wiederholt untersucht. Als ich nun aber in einer stark vergr6Berten Lymphdrfise der Porta hepatica dieselbe Wucherung fand, wie im Lebergewebc, konnte ich fiber die Diagnose ,,Adenocarcinoma hepatis" nicht mehr im Zweifel sein." Dementsprechcnd urteilt einer unserer angesehensten Tierpathologen wic folgt: ,,Die fibersandte Kaninchenleber ist Sitz eincs Krebses, der an der (]allen- blase begonnen und sich durch die Whnde derselben bis auf die Leber und ferner

1) Siehe hierzu u. a.: tJbcr Kombination von Syphilis und Carcinose. Inaug.- Diss. yon Lekisch, Miinchen 1900.

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Abb. 2. Abb. 2--4. Vier weitere solche Erupti(meti all verschiedenen Stclleu, cine dawm (4) deut l ich zirzin~re Syphilisform.

Abb. 3.

Abb. 3 a.

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Ein F a l l ~:on b e b e r k r e b s h(,im Kan in r auf eXl~erim(mh,lh,r Basis. 275

Abb. 4.

Abb. 5. Abb. 5 u. 6. Leber mit fieschwulstmasse ill toto. Abb. 5 yon unten mit dem die Tumorengruppe einbettendcn, gewucherten Bimle- gewebe. Abb. 6 nach Abpr~tpa~rierung dcr Bindegewebshtillen VOl~ obcn.

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2 7 6 v. N i c s s e n :

Abb. 6.

Abb. 7. Schnitt dutch Leber an der Inscrtionsstelle des Carcinoms.

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Ein Fall yon Leberkrebs beim Kaninchen au[ cxper[menteller Basis. 277

auf die portalen Lymphknoten fortgesetzt hat. Die Parcnchymzclicn des Kr(d)ses haben einc gallcrtartigc Substanz abgcsondcrt, die zwischen den Epithelzellcn ]iegt. In jedem Falle muB der Krebs der Kaninchenleber als Carcinoma gcl~ltino- sum bezeichnet wcrdcn." Dicscr Bcfund crinncrt unwillkiir]ich an die Gummi- produktion des Syphiloms.

W e n n m a n nach diesen Fes t s te l lungen durch drei unabh~ingig von- e inander vorgenommene Un te r suchungen von Fach leu ten und bei Erwhgung der cigcnti im- lichen Krebsgenese auf, um n ich t zu sagen aus einem syphi l i t i sch-diathet ischcn Sul)strat im vorl iegcnden Fall bedenkt , wie h~ufig in der Anamnese CarcinomatSser cine venerische ]nfekt ion zu verzeichnen ist, so ist m a n meiner Ansicht nach berechtigt, in der syphi- l i t ischen Diathese n icht nu r ,,eine gewisse allgemeine Disposition" fiir (tle Krebsent - wicklung anzuerkennen , sonderh dar in ge- radezu ein kausales Moment zur spezifischen Metaplasie derar t zu sehen und zu suchen. Mag dieser Fal l eine Anregung in dieser R ieh tung ffir die experimentel le und sonstige Abb. S. Krebsforsehung sein! Krebsmetastaseu der Nierc.

Abb. 9. Mikroskopischer $chnitt durch einen der Krebsknotcn.