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323 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 35 (2013), Heft 5 Fachthemen DOI: 10.1002/bapi.201310075 Für die Planung von Instandsetzungsmaßnahmen nach einem Brand stellt sich die Frage, welche maximale Temperatur erreicht wurde. Die bisher praktizierten Untersuchungen beschränkten sich auf röntgenographische Messungen oder thermoanalytische Unter- suchungen bzw. Porositätsmessungen. Diese Methoden haben den Nachteil, dass die erfahrene Brandtemperatur nicht kontinu- ierlich nachgewiesen werden kann. Sie decken lediglich enge Temperaturbereiche ab. Im Rahmen der hier vorgestellten Unter- suchungen wurde erstmals die Infrarot-Spektroskopie eingesetzt. Der große Vorteil hierbei ist, dass auch nicht-kristalline (amorphe) Anteile erfasst werden können. Es konnte gezeigt werden, dass die Temperatur die Lage der Si-O-Streckschwingungsbande der fes- tigkeitsbestimmenden Calciumsilikathydrat-Phasen (CSH-Phasen) beeinflusst, wobei diese sich irreversibel mit zunehmender Tempe- ratur zu niedrigeren Wellenzahlen verschiebt. Die Verschiebung ist vermutlich auf eine Depolymerisation der kettenförmigen Si-O-Si- Ketten der CSH-Phasen bis hin zum Monosilikat b-C 2 S zu erklären. A new approach to determine the maximum temperature of fire damaged reinforced concrete building elements. When a fire has damaged a reinforced concrete structure, an engineer has to work out a proper and efficient repair strategy. Because of the effect of the fire on the structural properties of the concrete and the steel, it is important to know the maximum temperature reached. Actually, methods like x‑ray diffraction, thermogravimetry and mercury in‑ trusion are used for this investigation. These methods can only de‑ termine a few temperature steps and can’t provide a stepless ther‑ mometer. From these methods no step‑less heat exposure can be drawn. For the first time the FTIR spectroscopy was used to deter‑ mine the maximum temperature. This method has the advantage that the amorphous structures can be examined. It is shown that the wavenumber of the Si‑O‑stretching mode is a function of the temperature. The wavenumber decreases with increasing temper‑ ature. It should be noted that this correlation is independent from the time the sample is exposed to temperature. The decreases of the wavenumber is probably due to the fact that the Si‑O‑Si‑chains of the CSH phases do depolymerise until monosilicate b‑C 2 S. 1 Einleitung Bei der Planung von Instandsetzungsmaßnahmen nach einem Brand muss die Frage geklärt werden, welche maxi- male Temperatur während des Schadensfeuers, insbeson- dere an der Bewehrung bzw. am Spannstahl, erreicht wurde. Hinweise dazu geben z. B. Beobachtungen wäh- rend des Brandes, der Zustand des Baustoffs nach dem Brand sowie rechnerische Simulationen des Brandverlaufs. Bei Brandeinwirkung ändern sich nicht nur die me- chanischen Eigenschaften des Stahlbetons (Druckfestig- keit des Betons oder Streckgrenze des Stahls), sondern auch die chemisch/mineralogische Zusammensetzung des Zementsteins im Beton. Diese kann für eine Klärung der Brandtemperatur herangezogen werden. Im Fall des Zementsteins kommt es zur Dehydratisie- rung, zu chemischen Reaktionen und zu Phasenumwand- lungen. Untersucht wurden diese Phänomene bislang mit- tels der Röntgendiffraktometrie, der Thermogravimetrie, gekoppelt mit der Differentialthermoanalyse, der Infrarot- Spektroskopie (FTIR) und der Kernmagnetischen Reso- nanz-Spektroskopie (NMR) [1] bis [4] an reinen Klinker- phasen, hydratisierten Klinkerphasen und Zementstein. Die Änderung der mineralogischen Eigenschaften von Beton während einer Temperatureinwirkung stand selten im Fokus der Forschung [5], [6]. Die Temperaturen, bei denen die chemischen Reaktio- nen ablaufen, können quasi als Indikator oder „Thermome- ter“ genutzt werden. Jedoch ergeben sich aus unterschiedli- chen Untersuchungsmethoden nur Temperaturbereiche. Trotz umfangreicher Erkenntnisse und Untersuchungen klafft eine Lücke zwischen 150 °C bis 700 °C. Gerade dieser Be- reich ist für die Abschätzung der Restfestigkeiten von erhebli- cher Bedeutung. Im Rahmen unserer Untersuchung wurde erstmals die FTIR-Spektroskopie zur nachträglichen Bestimmung der Brandtemperatur angewendet. Die FTIR-Spektroskopie als klassische Molekülspektroskopie beruht auf der Wechsel- wirkung von Infrarotstrahlung mit molekularen Dipolmo- menten einer Probe und ergibt für jede Substanz ein cha- rakteristisches Infrarot-Spektrum. Sie ist eine sehr schnelle und unkomplizierte Methode zur Beobachtung von Pha- senumwandlungen, Veränderungen der Struktur oder che- mischen Reaktionen. Ein großer Vorteil der Methode ist, dass auch nicht-kristalline (amorphe) Anteile, die mittels der anderen Methoden (z. B. Röntgendiffraktometrie) kaum zugänglich sind, detektiert werden können. Daraus ergibt sich ein experimenteller Zugang zu den festigkeits- bestimmenden Calciumsilikathydrat-Phasen (CSH-Phasen) des Betons. Strukturelle Veränderungen im interessanten Bereich von 150 °C bis 700 °C sind mit dieser Methode beobachtbar. Ein neuer Ansatz zur nachträglichen Bestimmung der Brandtemperatur von Stahlbetonbauteilen Klaus Unterderweide Ellen Rigo

Ein neuer Ansatz zur nachträglichen Bestimmung der Brandtemperatur von Stahlbetonbauteilen

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Page 1: Ein neuer Ansatz zur nachträglichen Bestimmung der Brandtemperatur von Stahlbetonbauteilen

323© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 35 (2013), Heft 5

Fachthemen

DOI: 10.1002/bapi.201310075

Für die Planung von Instandsetzungsmaßnahmen nach einem Brand stellt sich die Frage, welche maximale Temperatur erreicht wurde. Die bisher praktizierten Untersuchungen beschränkten sich auf röntgenographische Messungen oder thermoanalytische Unter­suchungen bzw. Porositätsmessungen. Diese Methoden haben den Nachteil, dass die erfahrene Brandtemperatur nicht kontinu­ierlich nachgewiesen werden kann. Sie decken lediglich enge Temperaturbereiche ab. Im Rahmen der hier vorgestellten Unter­suchungen wurde erstmals die Infrarot­Spektroskopie eingesetzt. Der große Vorteil hierbei ist, dass auch nicht­kristalline (amorphe) Anteile erfasst werden können. Es konnte gezeigt werden, dass die Temperatur die Lage der Si­O­Streckschwingungsbande der fes­tigkeitsbestimmenden Calciumsilikathydrat­Phasen (CSH­Phasen) beeinflusst, wobei diese sich irreversibel mit zunehmender Tempe­ratur zu niedrigeren Wellenzahlen verschiebt. Die Verschiebung ist vermutlich auf eine Depolymerisation der kettenförmigen Si­O­Si­Ketten der CSH­Phasen bis hin zum Monosilikat b­C2S zu erklären.

A new approach to determine the maximum temperature of fire damaged reinforced concrete building elements. When a fire has damaged a reinforced concrete structure, an engineer has to work out a proper and efficient repair strategy. Because of the effect of the fire on the structural properties of the concrete and the steel, it is important to know the maximum temperature reached. Actually, methods like x‑ray diffraction, thermogravimetry and mercury in‑trusion are used for this investigation. These methods can only de‑termine a few temperature steps and can’t provide a stepless ther‑mometer. From these methods no step‑less heat exposure can be drawn. For the first time the FTIR spectroscopy was used to deter‑mine the maximum temperature. This method has the advantage that the amorphous structures can be examined. It is shown that the wavenumber of the Si‑O‑stretching mode is a function of the temperature. The wavenumber decreases with increasing temper‑ature. It should be noted that this correlation is independent from the time the sample is exposed to temperature. The decreases of the wavenumber is probably due to the fact that the Si‑O‑Si‑chains of the CSH phases do depolymerise until monosilicate b‑C2S.

1 Einleitung

Bei der Planung von Instandsetzungsmaßnahmen nach einem Brand muss die Frage geklärt werden, welche maxi-male Temperatur während des Schadensfeuers, insbeson-dere an der Bewehrung bzw. am Spannstahl, erreicht wurde. Hinweise dazu geben z. B. Beobachtungen wäh-

rend des Brandes, der Zustand des Baustoffs nach dem Brand sowie rechnerische Simulationen des Brandverlaufs.

Bei Brandeinwirkung ändern sich nicht nur die me-chanischen Eigenschaften des Stahlbetons (Druckfestig-keit des Betons oder Streckgrenze des Stahls), sondern auch die chemisch/mineralogische Zusammensetzung des Zementsteins im Beton. Diese kann für eine Klärung der Brandtemperatur herangezogen werden.

Im Fall des Zementsteins kommt es zur Dehydratisie-rung, zu chemischen Reaktionen und zu Phasenumwand-lungen. Untersucht wurden diese Phänomene bislang mit-tels der Röntgendiffraktometrie, der Thermogravimetrie, gekoppelt mit der Differentialthermoanalyse, der Infrarot-Spektroskopie (FTIR) und der Kernmagnetischen Reso-nanz-Spektroskopie (NMR) [1] bis [4] an reinen Klinker-phasen, hydratisierten Klinkerphasen und Zementstein. Die Änderung der mineralogischen Eigenschaften von Beton während einer Temperatureinwirkung stand selten im Fokus der Forschung [5], [6].

Die Temperaturen, bei denen die chemischen Reaktio-nen ablaufen, können quasi als Indikator oder „Thermome-ter“ genutzt werden. Jedoch ergeben sich aus unterschiedli-chen Untersuchungsmethoden nur Temperaturbereiche. Trotz umfangreicher Erkenntnisse und Untersuchungen klafft eine Lücke zwischen 150 °C bis 700 °C. Gerade dieser Be-reich ist für die Abschätzung der Restfestigkeiten von erhebli-cher Bedeutung.

Im Rahmen unserer Untersuchung wurde erstmals die FTIR-Spektroskopie zur nachträglichen Bestimmung der Brandtemperatur angewendet. Die FTIR-Spektroskopie als klassische Molekülspektroskopie beruht auf der Wechsel-wirkung von Infrarotstrahlung mit molekularen Dipolmo-menten einer Probe und ergibt für jede Substanz ein cha-rakteristisches Infrarot-Spektrum. Sie ist eine sehr schnelle und unkomplizierte Methode zur Beobachtung von Pha-senumwandlungen, Veränderungen der Struktur oder che-mischen Reaktionen. Ein großer Vorteil der Methode ist, dass auch nicht-kristalline (amorphe) Anteile, die mittels der anderen Methoden (z. B. Röntgendiffraktometrie) kaum zugänglich sind, detektiert werden können. Daraus ergibt sich ein experimenteller Zugang zu den festigkeits-bestimmenden Calciumsilikathydrat-Phasen (CSH-Phasen) des Betons. Strukturelle Veränderungen im interessanten Bereich von 150 °C bis 700 °C sind mit dieser Methode beobachtbar.

Ein neuer Ansatz zur nachträglichen Bestimmung der Brandtemperatur von Stahlbetonbauteilen

Klaus UnterderweideEllen Rigo

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Die bisherigen FTIR-spektroskopischen Untersuchun-gen an synthetisch hergestellten CSH-Phasen [2], [3] zei-gen, dass sich mit zunehmender Temperatur die Lage der Si-O-Streckschwingungsbande (< 1000 cm–1) kontinuier-lich zu kleineren Wellenzahlen verschiebt. Oberhalb von 800 °C zeigen die Spektren die für b-C2S-typischen Absorp-tionsbanden.

In diesem Artikel wird die Möglichkeit diskutiert, die Lage der Si-O-Streckschwingungsbande als Indikator zur nachträglichen Ermittlung der Brandtemperatur zu nut-zen. Dabei werden nicht nur Ergebnisse für Zementsteine unterschiedlichster Zusammensetzung, sondern auch pra-xisnah Betone betrachtet.

2 Vorgänge im Zementstein bei Temperaturbeanspruchung und bisherige Untersuchungsmethoden

Die Strukturveränderung des Zementsteins bei Tempera-turerhöhung ist ein kontinuierlicher Vorgang, der mittels Thermoanalyse (TG/DTA) (Bild 1) und teilweise auch mit röntgenographischen Methoden beobachtet werden kann.

Die Thermoanalyse stellt eine besonders empfindliche Nachweismethode auch für nichtkristalline Stoffe wie den gelartig aufgebauten Zementstein dar. Bei diesem Verfah-ren wird die Probe mit einer Inertprobe gleichzeitig in einem Ofen erhitzt und die durch Umwandlungsreaktio-nen zwischen den beiden Proben auftretenden Temperatu-runterschiede registriert. Es ergeben sich je nach Charakter einer ablaufenden Reaktion endotherme oder exotherme Peaks, die den Zersetzungen bestimmter Verbindungen oder Kristallstrukturumwandlungen zugeordnet werden können. Gleichzeitig wird über den Temperaturverlauf der Masseverlust aufgezeichnet.

Temperaturbelastungen führen im Zementstein bereits ab ca. 50 °C zur Umwandlung hydratisierter Phasen. Diese lassen sich wie folgt beschreiben: Bis 100 °C ent-weicht physikalisch gebundenes Wasser. Ettringit gibt sein Kristallwasser kontinuierlich im Temperaturbereich von 50 °C bis 130 °C ab [1], [6]. Im Temperaturbereich oberhalb von 100 °C dehydratisieren die bei der Hydratation des Ze-mentsteins entstandenen mineralischen Phasen Monocar-bonat (140 °C) und Monosulfat (180 °C) [1], [6]. Die Ent-wässerungsprodukte sind röntgenographisch nachweisbar.

Die Identifizierung der einzelnen Phasen (z. B. Gips oder Monosulfat) wird mittels Röntgenbeugungsanalyse durchgeführt. Hierbei wird die Beugung eines Röntgen-strahls am Kristallgitter zur qualitativen oder quantitativen Analyse einer kristallinen Substanz oder eines Substanzge-misches mit kristallinen Anteilen genutzt. In Abhängigkeit vom Beugungswinkel 2J bzw. vom Netzebenenabstand d entsteht dabei ein substanzspezifisches Muster von Beu-gungsintensitäten (Reflexe, Peaks).

Von Nachteil ist zum einen, dass nur eine geringe Zahl von Phasenumwandlungstemperaturen vorliegt, zum anderen liegen diese Substanzen (z. B. Ettringit, Monocar-bonat) im Beton gewöhnlich nur in sehr kleinen Mengen vor, so dass sie mittels der Röntgenbeugungsanalyse nur sehr schwer detektierbar sind. Außerdem sind bei ausrei-chendem Feuchteangebot die Entwässerungsreaktionen im Falle des Ettringits und des Gipses reversibel und damit für die nachträgliche Temperaturbestimmung unbrauch-bar. Für Monocarbonat und Monosulfat wird ebenfalls eine reversible Reaktion vermutet [5], [6].

Im Temperaturbereich von 450 °C bis 550 °C zersetzt sich Ca(OH)2 (Portlandit) zu CaO und Wasser. Innerhalb weniger Minuten hydratisiert das CaO mit der umgeben-den Feuchte oder, wenn vorhanden, mit Löschwasser wie-der zu Portlandit. Dieser Portlandit hat eine geringere Kris-tallinität als der ursprüngliche Portlandit. Eine Unterschei-dung ist im Röntgenbeugungsdiagramm durch Vergleich der Halbwertsbreiten der Reflexe und mittels Differenz-thermoanalyse aufgrund einer Aufspaltung des Portlandit-Peaks bei etwa 500 °C möglich [6].

Calcit entsäuert im Temperaturbereich von 700 °C bis 900 °C. Dabei entsteht CaO, welches wiederum innerhalb weniger Minuten unter Wasseraufnahme zu Portlandit mit geringerer Kristallinität reagiert. Mittels Röntgenbeugungs-analyse kann auch sehr gut die beginnende Zersetzung der festigkeitsbestimmenden CSH-Phasen ab 700 C bis 800 °C zu b-C2S untersucht werden [1], [3].

Das Auftreten von Rissen in der Zementsteinmatrix wird ab 150 °C beobachtet. Mittels der Quecksilberporosi-metrie lassen sich systematische Veränderungen in Abhän-gigkeit der Temperatur zeigen [6].

Allen Methoden ist also gemein, dass sie sich nicht als kontinuierliches Thermometer für die nachträgliche Be-stimmung der Brandtemperatur eignen, sondern lediglich enge Temperaturbereiche abdecken.

3 Experimentelles

Untersucht wurden Zementstein- sowie Betonproben. Die Zementsteinproben wurden mit CEM I 42,5 R und einem Wasser/Bindemittel-Wert (w/b-Wert) von 0,3 und 0,5 her-gestellt. Teilweise wurde den Proben 10 % Silicastaub, Kalksteinmehl bzw. sehr feines Quarzmehl zugesetzt. Die Hydratationszeiten variierten zwischen 8 Stunden und 365 Tagen. Die Zusammensetzung und das Versuchspro-gramm werden in Tabelle 1 wiedergegeben.

Die Proben wurden im thermischen Analysegerät TG 209 F1 Iris der Firma Netzsch von 100 °C bis 800 °C mit einer Geschwindigkeit von 1 K/min aufgeheizt, abge-kühlt und anschließend untersucht. Einige Proben wurden bis zu 10 Stunden im Muffelofen bei 200 °C bzw. 500 °C geglüht, abgekühlt und untersucht (s. Tabelle 1).

Bild 1. Ergebnisse einer thermogravimetrischen Untersu-chung eines ZementsteinsFig. 1. Thermogravimetric curve of cement lime

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K. Unterderweide/E. Rigo · Ein neuer Ansatz zur nachträglichen Bestimmung der Brandtemperatur von Stahlbetonbauteilen

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Die Betonproben wurden aus einem Bestandsbauwerk mit unbekannter Zusammensetzung entnommen, jeweils zwei Stunden bei Temperaturen von 100 °C bis 800 °C (100 °C-Schritte) getempert und anschließend untersucht.

Die FTIR-Untersuchungen wurden mit Hilfe des Ge-rätes Frontier von Perkin-Elmer durchgeführt. Die Proben wurden erst nach mindestens zweistündiger Abkühlung an der Luft untersucht.

Im Fall des Zementsteins wurde nach dem Pulverisie-ren der Probe die ATR-Abgeschwächte Totalreflexion-Auf-nahmetechnik im Bereich von 600 cm–1 bis 4000 cm–1 an-gewendet. Beim Beton wurde nach jedem Glühen eine dünne Schicht des Materials in einer Diamantzelle unter-sucht. Verwendet wurde das IR-Mikroskop Spotlight 200 der Fa. Perkin-Elmer. Bild 2 zeigt beispielhaft den dünnen Film eines präparierten Zementsteins auf dem Diamanten der Diamantpresszelle. Rot eingezeichnet sind einige durchstrahlte Messbereiche. Für jede temperierte Beton-probe wurden etwa 15 Transmissionsspektren von 550 cm–1 bis 4000 cm–1 aufgenommen.

4 Ergebnisse der infrarotspektroskopischen Untersuchungen4.1 Zementstein

Typische FTIR-Spektren von auf unterschiedliche Tempe-raturen aufgeheizten und wieder abgekühlten Proben zeigt

Bild 3. Die erste scharfe Bande bei 3640 cm–1 ist der OH-Streckschwingung des Portlandits zuzuordnen. Diese Bande ist auch bei Proben zu erkennen, die bei Tempera-turen oberhalb von 400 °C geglüht wurden, da während der zweistündigen Probenlagerung an Luft CaO wieder zu Ca(OH)2 zurückreagierte. Auch bei Proben aus realen Bauwerken taucht diese Bande nach Brandeinwirkung oberhalb von 500 °C auf.

Die breite Bande im Bereich 3000 cm–1 ist den OH-Streckschwingungsbanden des chemisch gebundenen Wassers der CSH-Phasen zuzuordnen. Bei 1460 cm–1 liegt die Streckschwingungsbande des Carbonats (aus Kalk-steinmehl bzw. carbonatisiertem Zementstein). Hervorzu-heben ist der Bereich < 1000 cm–1 (s. Bild 4). Hier liegen unter anderem die Si-O-Streckschwingungen der silikati-schen Phasen. Diese Bande verschiebt sich kontinuierlich mit zunehmender Temperatur (200 °C bis 800 °C) zu nied-rigeren Wellenzahlen (955 cm–1 bis 890 cm–1). Ab 800 °C ist das gemessene Spektrum mit dem von b-C2S identisch.

Die kontinuierliche Veränderung der Bandenlage der Si-O-Streckschwingung zeigen die Bilder 5 und 6. Es wurde festgestellt, dass unabhängig von der Zusammensetzung oder der Hydratationsdauer bei Temperaturzunahme eine Verschiebung der Si-O-Streckschwingungsbande zu tiefe-ren Wellenzahlen erfolgt. Bild 5 zeigt die kontinuierliche

Serien-Nr. Zusatzstoffe und w/b-Wert Hydratationszeit Temperaturprogramm

1 10 % Silicastaub,w/b = 0,5

8 Stunden 1 K/min, 100 °C bis 800 °C

2 10 % Silicastaub,w/b = 0,5

24 Stunden 1 K/min, 100 °C bis 800 °C

3 10 % Kalksteinmehl,w/b = 0,5

28 Tage 1 K/min, 100 °C bis 800 °C

4 10 % sehr feines Quarzmehl, w/b = 0,5

28 Tage 1 K/min, 100 °C bis 800 °C

5 w/b = 0,3 365 Tage 1 K/min, 100 °C bis 800 °C

6 w/b = 0,5 28 Tage 2 Stunden bei 200 °C bzw. 500 °C

7 w/b = 0,5 28 Tage 10 Stunden bei 200 °C bzw. 500 °C

Tabelle 1. Zusammensetzung, Hydratationszeiten und Temperaturbehandlung der untersuchten ZementsteinprobenTable 1. Composition, hydratation time and heat treatment of cement lime samples

Bild 3. FTIR-Spektren der Probe 4 nach unterschiedlichen Temperaturbehandlungen (ATR-Technik)Fig. 3. FTIR spectra of sample 4 exposed to different tempe-ratures (ATR technique)

Bild 2. Aufnahme mit dem IR-Mikroskop, eingezeichnet sind die Messbereiche auf dem dünnen FilmFig. 2. IR microscope visual image showing a thin film of concrete; the measuring ranges are marked

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Abnahme der Bande < 1000 cm–1 mit zunehmender Tem-peratur für einen 8 Stunden bzw. 24 Stunden hydratisier-ten Zementstein (Probe 1 und 2, s. Tabelle 1), die jeweils 10 % Silicastaub enthalten. Auffällig ist, dass der Gradient der nur 8 Stunden hydratisierten Probe sehr viel geringer ist. Die Ursache ist darauf zurückzuführen, dass die Probe zum Zeitpunkt der thermischen Beanspruchung noch nicht vollständig hydratisiert war und somit die CSH-Pha-sen eine kürzere Kettenlänge aufweisen als bei vollständig hydratisierten Proben. Im FTIR-Spektrum zeigt sich dies durch eine Verringerung der Wellenzahl. Bei 100 °C wurde für den 24 Stunden hydratisierten Zementstein die Si-O-Streckschwingung bei 953 cm–1 und für den 8 Stunden hydratisierten Zementstein bei 914 cm–1 beobachtet. Die Abhängigkeit der Wellenzahl von der Temperatur für 28 Tage bis 365 Tage alte Zementsteine (Proben 3, 4 und 5, s. Tabelle 1) zeigt Bild 6. Neben dem Hydratationsalter wurden die Zusatzstoffe (Kalksteinmehl und sehr feines Quarzmehl) sowie der Wasser/Bindemittel-Wert variiert. Trotz unterschiedlicher Zusammensetzung liegen die Kur-ven eng beieinander.

Für die Bestimmung der Brandtemperatur ist es wich-tig festzustellen, ob die Branddauer einen Einfluss auf die Bandenlage der Si-O-Streckschwingung hat. Aufgrund des-sen wurden die hydratisierten Zementsteine (Proben 6 und 7, s. Tabelle 1) bei 200 °C bzw. 500 °C jeweils 2 Stunden und 10 Stunden lang geglüht. Es zeigte sich, dass die Brenndauer keinen Einfluss auf die Bandenlagen bei der Wellenzahl kleiner 1000 cm–1 hat. Bild 7 zeigt beispielhaft die FTIR-Spektren des bei 500 °C geglühten Zementsteins. Die Spektren und Bandenlagen sind nahezu identisch. Da-raus folgt, dass die Branddauer keinen Einfluss auf die Bandenlage hat, sondern nur die Brandtemperatur. Dieses Ergebnis ist besonders interessant für die nachträgliche Bestimmung der Maximaltemperaturen an Spanngliedern, da hier im Allgemeinen immer reiner Zementstein vorliegt.

4.2 Betonprobe

Die nachträgliche Bestimmung der Brandtemperatur im Beton ist weitaus komplexer als bei Zementstein, da hier zusätzlich noch silikatische Gesteinskörnung enthalten sein kann. Im Rahmen unserer Untersuchungen wurde

Bild 4. FTIR-Spektren der Probe 4 nach unterschiedlichen Temperaturbehandlungen (ATR-Technik)Fig. 4. FTIR spectra of sample 4 after exposure to different temperatures (ATR technique)

Bild 5. Lage der Si-O-Streckschwingungsbande in Abhän-gigkeit der Temperatur für verschiedene Hydratationszeiten (Zementstein, Proben 1 und 2)Fig. 5. Wavenumber of Si-O stretching mode as a function of the temperature at different ages (cement lime, specimen 1 and 2)

Bild 6. Temperaturabhängigkeit der Si-O-Streckschwin-gungsbande für Zementsteinproben verschiedener Zusam-mensetzung (Proben 3, 4 und 5)Fig. 6. Wavenumber of Si-O stretching mode as a function of the temperature for different compositions

Bild 7. Transmissionsspektren (ATR-Technik) von Zement-steinproben, die 2 bzw. 10 Stunden bei 500 °C geglüht wurdenFig. 7. Transmission spectra (ATR technique) of cement lime fired 2 respectively 10 hours at 500 °C

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erstmals mittels FTIR-Spektroskopie ein Temperaturprofil über die Tiefe des Bohrkerns erstellt. Untersucht wurde dabei die Temperaturabhängigkeit der Si-O-Streckschwin-gungsbanden der CSH-Phasen. Zwingend notwendig ist dabei, dass der Zementstein aus dem Beton heraus präpa-riert wird. Grund hierfür ist, dass der in der Gesteinskör-nung enthaltende Quarz eine breite Bande bei etwa 1100 cm–1 aufweist, die sich mit der zu untersuchenden Bande der CSH-Phase überlagert.

Die Abhängigkeit der Bandenlage der Si-O-Streck-schwingung von der Temperatur ist in Bild 8 dargestellt. Die Daten weisen eine sehr viel größere Streuung auf als im Falle des reinen Zementsteins. Ursache hierfür ist wahr-scheinlich, dass aufgrund der Größe der bestrahlten Fläche einige quarzitische Partikel der Gesteinskörnung mit ange-regt wurden. Trotz der starken Streuungen ist ab einer Temperatur von 100 °C eine deutliche Abnahme der Wel-lenzahl zu beobachten. Zur nachträglichen Ermittlung der Brandtemperatur im Beton wäre es wegen der hohen Streuungen sinnvoll, zusätzlich die in Abschnitt 2 beschrie-benen Methoden heranzuziehen.

5 Fazit

Nach einer Brandeinwirkung ist die Maximaltemperatur, der der Baustoff bzw. die Betonbauteile ausgesetzt waren, von Interesse. Erhöhte Temperaturen haben nicht nur einen Einfluss auf die mechanischen Parameter, wie z. B. die Druckfestigkeit des Betons oder die Streckgrenze des Stahls, sondern auch auf die chemische und mineralogische Zusammensetzung des Betons. Die Änderung der minera-logischen Phasen kann als eine Art Indikator zur nachträg-lichen Bestimmung der Brandtemperatur genutzt werden.

Im Rahmen der Untersuchungen konnte mittels FTIR-Spektroskopie gezeigt werden, dass durch die Temperatur-einwirkung während der Exposition die Lage der Si-O-Streckschwingungsbande der festigkeitsbestimmenden CSH-Phasen verändert wird. Mit zunehmender Tempera-tur verschiebt sie sich irreversibel zu niedrigeren Wellen-zahlen. Dies wurde an Zementsteinen unterschiedlichster Zusammensetzung und unterschiedlichem Hydratations-

alter beobachtet. Auch Betone zeigen dieses Verhalten. Diese Verschiebung ist vermutlich auf eine Depolymerisa-tion der kettenförmigen Si-O-Si-Ketten der CSH-Phasen bis hin zum Monosilikat b-C2S zu erklären.

Erstmalig wurde für Beton zur Untersuchung der Si-O-Streckschwingung in Abhängigkeit von der Tempera-tur die FTIR-Mikroskopie in Verbindung mit der Diamant-zelle angewendet. Diese Methode ist wenig zeitaufwendig und kann zur Bestimmung der Maximaltemperatur, die während einer thermischen Beanspruchung vorgeherrscht hat, herangezogen werden. Voraussetzung ist eine gute Ka-libration. Diese muss an einem Beton mit vergleichbarer Zusammensetzung und gleichem Hydratationsalter ohne vorherige Temperatureinwirkung durchgeführt werden. Insbesondere ein sehr geringes Hydratationsalter hat einen großen Einfluss auf die Lage der Si-O-Streckschwingungs-bande. Die Branddauer hat hingegen ebenso wenig Ein-fluss auf die Bandenlage wie die Nachlagerung der ent-nommenen Proben bei höheren Feuchten.

Die angewendete Methode zur nachträglichen Be-stimmung der Brandtemperatur mittels FTIR-Spektrosko-pie zeigt beim Multiphasensystem Beton eine deutlichere Streubreite als bei Zementstein. Durch Kombination mit anderen Methoden (Thermoanalyse, Quecksilberporosi-metrie und Röntgendiffraktometrie) lässt sich die Aussage-genauigkeit verbessern.

Ramanspektroskopische Untersuchungen sind in Pla-nung. Mit dieser Methode kann die bestrahlte Fläche deut-lich verkleinert werden, d. h. der Zementstein kann zielge-nau detektiert und dadurch die oben angesprochene Streu-breite deutlich verringert werden.

Literatur

[1] Taylor, H. F. W.: Cement chemistry. London: Thomas Telford Publishing, 1997.

[2] Okada, Y., Ishida, H., Mitsuda, T.: Thermal decomposition of tricalcium silicate hydrate. Journal of American Ceramic Society 7 (1994), pp. 2277–2282.

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[4] Okada, Y., Sasaki, K., Zhong, B., Ishida, H.; Mitsuda, T.: Formation processes of beta-C2S by the Decomposition of hy-drothermally prepared C-S-H with Ca(OH)2. Journal of Ame-rican Ceramic Society 77 (1994), pp. 1319–1323.

[5] Herschelmann, F., Schmidt-Döhl, F., Richter, E., Schwick, W.: Wie heiß wurde der Spannstahl der Brücke über die BAB 2 während des Brandes am 16. 07. 2004? Beton- und Stahlbe-tonbau 99 (2004), H. 11, S. 865–869.

[6] Schmidt-Döhl, F.: Ermittlung der Maximaltemperaturen von brandgeschädigtem Beton durch bauchemische Untersuchun-gen. Braunschweig. Seminar Bauen im Bestand der Material-prüfanstalt für das Bauwesen, Heft 183 der Schriftenreihe des Instituts für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz der TU Braunschweig, S. 103–116, 2005.

Autoren dieses Beitrages:Dr. rer. nat. Klaus UnterderweideDr.­Ing. Ellen RigoMaterialprüfanstalt (MPA) für das Bauwesen BraunschweigBeethovenstraße 5238106 Braunschweig

Bild 8. Abhängigkeit der Lage der Si-O-Streckschwingungs-bande von der Temperatur eines BetonsFig. 8. Wavenumber of Si-O stretching mode as a function of the temperature of a concrete