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Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht by Moris Lehner Review by: Dieter Birk FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 52, H. 2 (1995), pp. 283-285 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40912668 . Accessed: 12/06/2014 19:34 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.21 on Thu, 12 Jun 2014 19:34:55 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Einkommensteuerrecht und Sozialhilferechtby Moris Lehner

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Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht by Moris LehnerReview by: Dieter BirkFinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 52, H. 2 (1995), pp. 283-285Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40912668 .

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Besprechungen 283

Moris Lehner: Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht. Tübingen 1993. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). XX, 459 Seiten. DM 248,-.

Die Münchner Habilitationsschrift von Lehner befaßt sich mit dem Verhältnis zwi- schen dem Einkommensteuerrecht und dem Sozialhilferecht und setzt bei dem Problem an, daß das steuerliche Existenzminimum bis vor kurzem geringer war als das sozialhilfe- rechtliche Existenzminimum. Lehner erläutert die Problematik an einem Beispiel in der ersten Fußnote: „Ein alleinstehender Sozialhilfeempfanger erhält in der Stadt München seit dem 1. Juli 1992 eine monatliche Regelsatzleistung in Höhe von DM 555,- und darüber hinaus die Kosten der Unterkunft in Höhe von durchschnittlich DM 584, -/Mo- nat. Auf das Jahr gerechnet ergibt sich daraus ein Betrag in Höhe von DM 13 668, - . Wer Einkommen in dieser Höhe selber verdient, muß darauf nach der Einkommensteuer- Grundtabelle Einkommensteuer von DM 1575,- bezahlen." Diese Problematik stellt sich mittlerweile nicht mehr, da der Gesetzgeber - veranlaßt durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts v. 25.9. 1992 (vgl. Bundesverfassungsgericht, 1992) - das so- zialhilferechtliche Existenzminimum für sog. Niedrigverdiener steuerfrei gestellt hat (§ 32g EStG). Die Arbeit ist vor dieser wegweisenden Entscheidung des BVerfG geschrie- ben worden. In einem Anhang wird auf die Entscheidung noch kurz eingegangen; diese stimmt zwar mit der Grundthese des Verf. überein, daß dem Sozialhilferecht Maßstabs- funktion für die steuerrechtliche Verschonung von Erwerbseinkommen zukommt; in wesentlichen Punkten bestehen aber auch Abweichungen. Die Problematik ist also noch nicht ausdiskutiert.

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil, der mit „Grundlagen" überschrie- ben ist, entfaltet Lehner sein Verständnis von einem sozialen Steuerrecht, begründet die Maßgeblichkeit des Sozialrechts als Bezugssystem des Steuerrechts und erörtert im Detail die sozialrechtlichen Vorgaben. Schon auf den ersten Seiten klingt dabei das Anliegen des Verf. an, die Sicherung des Existenzminimums als Ziel des Sozialstaats gleichermaßen im Sozial- und Steuerrecht zu verankern. „Aus der Sicht des einzelnen lassen sich . . . die Unterschiede zwischen Nehmen und Geben im gemeinsamen Nenner eines menschen- würdigen Existenzminimums für jedermann vereinbaren" (S. 9). Steuerrechtliche Ver- schonung und sozialrechtliche Gewährung des Existenzminimums sind gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille: Das soziale Steuerrecht erweist sich „als Bedingung für die Verwirklichung der sozialrechtlichen Grundannahme, die davon ausgeht, daß jeder Er- wachsene die Möglichkeit hat und darauf verwiesen ist, den Lebensbedarf für sich und für seine Familie durch abhängige oder selbständige Arbeit zu verdienen" (S. 128).

Nach der Entfaltung dieser Grundlagen geht es im zweiten Teil um die Konkretisierung sozialer Besteuerung im geltenden Einkommensteuerrecht. Hier stellt der Verf. das Postu- lat auf, daß das subjektive Nettoprinzip, welches der Maßstab für die steuerrechtliche Verschonung des Existenzminimums sei, an den Mindestanforderungen der sozialrechtli- chen Leistungstatbestände gemessen werden müsse (S. 134). Wenngleich funktionale Un- terschiede zwischen dem steuerrechtlichen und dem sozialhilferechtlichen Einkommens- begriff bestünden (S. 137), so bilde doch das subjektive Nettoprinzip die steuerrechtliche Ergänzung des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes. Fehlende Leistungsfähigkeit sei nicht gleichzusetzen mit sozialhilferechtlichem Bedarf (S. 1 52). Die Sozialhilfe ver- weise den Hilfesuchenden auf das „für ein menschenwürdiges Leben Unerläßliche", während das Steuerrecht mehr Freiraum gewähren müsse für den, der selber verdiene und an die Gemeinschaft leiste (S. 153).

Lehner fordert den Abzug des existenznotwendigen Bedarfs von der Bemessungs- grundlage und nicht von der Steuerschuld und steht damit im Widerspruch nicht nur zur gesetzlichen Regelung des Grundfreibetrags, sondern auch zu einer in den Wirtschafts- wissenschaften vertretenen Meinung (s. zuletzt Siegel und Schneider, 1994, S. 597). Den- noch hat er die weitaus besseren Argumente auf seiner Seite: Nur disponibles Einkommen dürfe der progressiven Einkommensteuer unterworfen werden, und nur disponibles Ein-

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kommen dürfe mit zunehmendem Betrag eine progressionserhöhende Wirkung erhalten. „Indisponibles Einkommen, das nicht Teil der Bemessungsgrundlage wird, weil es wegen anderweitiger, zwangsläufiger Verwendung von vorneherein keine (Leistungs-) Fähigkeit zur Steuerzahlung begründet, löst dagegen sachgerecht keine Erhöhung der Tarifprogres- sion aus. Wird existenznotwendiges Einkommen, wie das beim Grundfreibetrag der Fall ist, erst im Wege einer Tarifkorrektur entlastet, also nicht von vorneherein durch Aus- klammerung von der Bemessungsgrundlage verschont, so hat dies zur Folge, daß dieses indisponible Einkommen einen progressionserhöhenden ,Schatten4 auch auf das restliche disponible Einkommen wirft. Darüber hinaus würde das existenznotwendige Einkom- men durch seine Einbeziehung in die Bemessungsgrundlage als steuerbar behandelt, die darauf entfallende Steuer aber durch die Tarifkorrektur ,in einem die Progression nicht umkehrenden gleichbleibenden Abzug von der Steuerschuld teilrückerstattet4 " (S. 173). Besser und überzeugender kann man es kaum formulieren. Es ist bedauerlich, daß das Bundesverfassungsgericht diesen (keineswegs neuen) Argumenten nicht gefolgt ist, zumal der Gesetzgeber bei der Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen keineswegs konse- quent ist: Eigene Unterhaltsaufwendungen (Grundfreibetrag) werden tariflich, fremde Unterhaltsaufwendungen (ζ. Β. Realsplitting, Kinderfreibetrag) werden bei der Bemes- sungsgrundlage berücksichtigt.

Beizupflichten ist Lehner auch bei seiner Kritik der Regelung des Abzugs von Ausga- ben für den Wohnungsbau als Sonderausgabe. § 10e EStG sei als Lenkungsnorm wegen seiner degressiven Entlastungswirkung verfehlt, als Lastenausteilungsnorm widerspreche er dem Leistungsfahigkeitsprinzip (S. 194 ff.).

Ausführlich untersucht Lehner die Regelungen zur Berücksichtigung der außerge- wöhnlichen Belastungen und kritisiert dabei die Zumutbarkeitsregel des § 33 Abs. 3 EStG als „Ausdruck eines verfehlten Verschonungskonzepts" (S. 201). Die Regelung wider- spreche den Anforderungen des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes und sei mit dem Leistungsfahigkeitsprinzip nicht zu vereinbaren. Über diese Fragen schweben zur Zeit Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, und es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern die Ausführungen die künftige Rechtsprechung beeinflussen werden.

Durchweg überzeugend ist das Plädoyer Lehners für die Beibehaltung und Verbesse- rung des sog. dualen Systems (Kinderfreibeträge und Kindergeld) im Rahmen der Be- handlung der Familienbesteuerung: Aufgabe der Kinderfreibeträge sei es, die zwangsläu- figen Unterhaltsaufwendungen für Kinder steuerlich zu verschonen, während das Kin- dergeld eine subsidiäre Sicherung für den existenznotwendigen Bedarf des Kindes dar- stelle, „den der Staat befriedigen muß, wenn weder das Kind noch die unterhaltsver- pflichteten Eltern trotz ausreichender steuerlicher Verschonung des für den existenznot- wendigen Bedarf aufzuwendenden Einkommens dazu in der Lage sind" (S. 270). Es wäre zu wünschen, daß diese Argumente endlich auch in der rechtspolitischen Diskussion über die Abschaffung der Kinderfreibeträge ausreichend Gehör finden.

Die Hauptthese der Arbeit, daß dem erwerbstätigen Steuerpflichtigen mehr als das belassen werden muß, was dem Sozialhilfeempfanger gewährt wird, wird bereits auf S. 12 formuliert und im dritten Teil dann ausführlich entfaltet. Neu ist dabei der Ansatz, daß die Verschonung des existenznotwendingen Einkommens vor allem aus den Freiheits- rechten begründet wird. Schon das Leistungsfahigkeitsprinzip wird als freiheitschonendes Besteuerungsprinzip verstanden, welches fordere, daß die steuerliche Belastung an das Ergebnis eines freiwilligen Erwerbs anknüpfe und dabei die monetären Grundbedingun- gen der Erwerbs- und Existenzfreiheit verschone (S. 361). Eine zentrale Rolle bei der Argumentation nimmt Art. 14 GG ein. Abweichend von den bisher vertretenen Auffas- sungen zur Bedeutung des Art. 14 GG im Steuerrecht wählt Lehner einen funktionalen Ansatz. Während es beim eigentumsrechtlichen Schutz des indisponiblen Einkommens auf die Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs ankomme, gehe es beim disponiblen Einkommen um die Bemessung des Steuersatzes für das frei verfügbare Einkommen (S. 407). Aus diesen Grundsätzen wird ein „freiheitsrechtliches Konzept von Steuerge-

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rechtigkeit" (S. 408) entwickelt. Es mündet in der Aussage, daß das für den existenznot- wendigen Bedarf aufzuwendende (indisponible) Erwerbseinkommen unabhängig von der Höhe des Gesamteinkommens von vornherein steuerfrei bleiben müsse (S. 410) und sozial gebundenes (disponibles) Einkommen (nur) der eigentumsrechtlichen Institutsga- rantie unterfalle. Die Konkretisierung bleibt aber hier (wie könnte es anders sein) dürftig: Richtpunkte für das Maß der Abgabenpflicht zum Wohl der Allgemeinheit seien „die normativen Bedingungszusammenhänge des sozialen Steuerstaats**. Dabei sei der Gesetz- geber verpflichtet, die „prinzipielle Privatnützigkeit*' des Einkommens zu wahren; er könne zwar die Sozialbindung im Verhältnis zur Höhe des frei verfügbaren Einkommens tariflich steigern, müsse aber trotzdem von jeder zusätzlich verdienten Mark einen priva- ten Nutzen belassen (S. 407).

Die Arbeit besticht durch die Verarbeitung oder besser „Verschmelzung** zweier zu Recht als besonders schwierig und unübersichtlich geltender Rechtsgebiete und deren Ausrichtung an einheitlichen verfassungsrechtlichen Maßstäben. Sie überzeugt aber auch in ihren Ergebnissen. Soweit Lehner die sozialhilferechtliche Sicherung und steuerrecht- liche Verschonung in Art. 14 Abs. 1 GG verankert sieht, gehen seine Thesen über die bisherige Rechtsprechung und das Schrifttum hinaus. Dennoch bleiben auch Fragen offen. So wird m. E. nicht zwingend begründet, warum das disponible (also dem Steuerzu- griff offenstehende) Einkommen nur von der Institutsgarantie des Art. 14 GG erfaßt wird und warum gerade Art. 14 GG den Steuergesetzgeber an die sozialhilferechtlichen Vor- gaben binde und damit dem Sozialhilfegesetzgeber eine gewisse „Unfehlbarkeit** verleiht. Trotz dieser Fragen handelt es sich um eine bahnbrechende Habilitationsleistung, die das alte Wagnersche Postulat eines „sozialen Steuerrechts** (vgl. S. 22 ff.) nicht nur auf die verfassungsrechtliche Ebene hebt, sondern es auch einfachgesetzlich „greifbar** entfaltet. Sie verdient es, nicht nur in der wissenschaftlichen, sondern auch in der rechtspolitischen Diskussion durchdacht und beachtet zu werden.

Literaturverzeichnis

Bundesverfassungsgericht, 1992, Beschluß zum Existenzminimum, Aktenzeichen 2 BvL 5, 8, 14/91, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 87, Tübingen, S. 153-181.

Siegel, T., und D. Schneider, 1994, Existenzminimum und Familienlastenausgleich: Ein Problem der Reform des Einkommensteuerrechts, Deutsches Steuerrecht, 32, S. 597- 603.

Dieter Birk

Erik Gawel und Dieter Ewringmann: Abwasserabgabengesetz und Indirekteinleitung. Zur Bedeutung und möglichen Ausgestaltung einer Indirekteinleiterabgabe. Berlin 1994. Duncker & Humblot. 76 Seiten. DM 48,-.

Die vorliegende Arbeit geht auf ein Gutachten für das Umweltbundesamt zurück, das vom Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Universität Köln größtenteils vor Verabschiedung der 4. Novelle des Abwasserabgabengesetzes verfaßt wurde. Untersucht werden Ausgestaltungsoptionen einer Abwasserabgabe für Indirekteinleiter, deren Abwas- ser über das öffentliche Kanal- und Klärsystem in Gewässer eingeleitet wird. Dies betrifft nach Schätzungen zwischen 80 und 90 Prozent aller gewerblichen und industriellen Einleiter, so daß die Bedeutung einer Indirekteinleiterabgabe außer Frage steht.

Im Mittelpunkt der Teile A („Problemstellung**) und Β („Begründungen für eine Abgabe für Indirekteinleiter**) steht, warum die gängige kommunale Praxis bei der Erhe- bung der Entwässerungsgebühr nicht geeignet ist, eine Indirekteinleiterabgabe über-

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