32
(Aus dem Pathologisch-physiologischen Institute der UniversitKt K61n.) Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode. I. Mitteilung: Der nicht erregte, mit kiinstlichem Querschnitte versehene Muskel und Nerv. Von Dr. Eberhard Koch, Assistenten am Institute, Mit 11 Textabbi]dungen. (Eingegangen am 5. August 1923.) Bei der Untersuchung der im Inneren eines Mukels oder eines Nerven herrschenden elektromotorischen Kr~fte ist man auf die yon der Ober- fl~che ableitbaren Spannungen angewiesen. Wenn man weft], wie sich die Spannungen fiber die ganze Oberflache verteilen, so ist man an dem erreiehbaren Ziele angelang~. Allerdings ist dann noch keineswegs die Anordnung der elektromotorischen Kr~fte im Inneren gegeben: denn die yon der Oberflache ableitbaren Spannungen stellen nur einen Brueh- tell der im Inneren bestehenden Spannungen dar, ferner kann dieselbe Spannungsverteilung auf unendlieh verschiedene Weise hervorgebraeht werden; ganz abgesehen davon, inwieweit dureh das Ableiten eines Stromzweiges die Stromverteilung im Inneren fiberhaupt ge~ndert wird. Bei den in der Literatur mitgeteilten Untersuchungen fiber die an der Oberfl~che von Muskel und Nerv vorhandenen Spannungen ist man derart vorgegangen, dal~ man die verschiedenen Punkte der Ober/ldche nacheinander abgetastet und die so durch einzelne Messungen erhaltenen GrSl~en nachtr~glich zu einer Kurve vereinigt hat. Ein solches Vorgehen hat aber den Naehteil, dab sich in der langen hierzu notwendigen Zeit die ganzen Spannungsverh~ltnisse an dem untersuchten Pr~parate ~ndern kSnnen, so dal~ man gar nicht die Kurve eines bestimmten Augen- blickes bekommt; aul~erdem kSnnen dabei 5rtlich begrenzte Untersehiede uubemerkt bleiben.

Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

(Aus dem Pathologisch-physiologischen Institute der UniversitKt K61n.)

Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode.

I. Mitteilung:

Der nicht erregte, mit kiinstlichem Querschnitte versehene Muskel und Nerv.

Von

Dr. Eberhard Koch, A s s i s t e n t e n a m I n s t i t u t e ,

Mit 11 T e x t a b b i ] d u n g e n .

(Eingegangen am 5. August 1923.)

Bei der Untersuchung der im Inneren eines Mukels oder eines Nerven herrschenden elektromotorischen Kr~fte ist man auf die yon der Ober- fl~che ableitbaren Spannungen angewiesen. Wenn man weft], wie sich die Spannungen fiber die ganze Oberflache verteilen, so ist man an dem erreiehbaren Ziele angelang~. Allerdings ist dann noch keineswegs die Anordnung der elektromotorischen Kr~fte im Inneren gegeben: denn die yon der Oberflache ableitbaren Spannungen stellen nur einen Brueh- tell der im Inneren bestehenden Spannungen dar, ferner kann dieselbe Spannungsverteilung auf unendlieh verschiedene Weise hervorgebraeht werden; ganz abgesehen davon, inwieweit dureh das Ableiten eines Stromzweiges die Stromverteilung im Inneren fiberhaupt ge~ndert wird.

Bei den in der Literatur mitgeteilten Untersuchungen fiber die an der Oberfl~che von Muskel und Nerv vorhandenen Spannungen ist man derart vorgegangen, dal~ man die verschiedenen Punkte der Ober/ldche nacheinander abgetastet und die so durch einzelne Messungen erhaltenen GrSl~en nachtr~glich zu einer Kurve vereinigt hat. Ein solches Vorgehen hat aber den Naehteil, dab sich in der langen hierzu notwendigen Zeit die ganzen Spannungsverh~ltnisse an dem untersuchten Pr~parate ~ndern kSnnen, so dal~ man gar nicht die Kurve eines best immten Augen- blickes bekommt; aul~erdem kSnnen dabei 5rtlich begrenzte Untersehiede uubemerkt bleiben.

Page 2: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

538 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

Es schien daher w/inschenswert, ein Verfahren zu besitzen, mit Hilfe dessen man die in einem gegebenen Augenblicke bestehenden Verhdiltnisse der ganzen Ober]ldiche des Muskels oder des Nerven gleich als ununter- brochene Kurve wahrnehmbar maeht.

Versuchsanordnung.

Das Wesentliche des angewandten Verfahrens bestand darin, dab die eine der beiden ableitenden Elektroden beweglich war. Dieses wurde da- durch erreicht, dab (Abb. 1) ein iibliehes Elektrodenstat iv auf eine mit

vier R ide rn versehene Me- tallplatte befestigt wurde, die auf Schienen hin und her (

- 71 ~ ~ gesehoben werden konnte . i An dem Stat iv befanden sieh

auBer dem zu oberst ange- braehten Tr iger iiir die' un- polarisierbare Zink- Zinksul- fatelektrode noch zwei hori-

s zontale, in ihrer H6he ver- stellbare Glasstangen yon

2 ....... :2:7-]~ etwa 12 em Linge, die beide (;! ~ an ihrem Ireien Ende eine

ringf6rmige Ose hatten. An die Ose der oberen Stange

( ~r wurde der mit dem Tonpfropf - der Elektrode in Verbindung

A b b . 1. D i e W a n d e r e l e k t r o d e (i[~ n a t l l r l . GrSBe) . 1 M u s c . stehende Wollfaden derart s a r t o r i u s . - - 2 B e c k e n k n o c h e n . - - 3 T i b i a . - - 4 U n b e - festgeknotet, daft er naeh w e g l i c h e S e i l e l e k t r o d e . 5 S c h l e i f e d e r W a n d e r e l e k t r o d e . - - 6 O b e r e s - - 7 U n t e r e s w i n k l i g z u g e b o g e n e s G l a s s t i b - u n t e r l eine etwa 1 cm lange c h e n . - - 8 Z w i r n f a d e n . - - 9 0 b e r e - - 10 U n t e r o G l a s - Sehleife bfldete. Das herab- s t a n g e m i t 0 s e . - - 11 T r i g e r f t i r u n p o l a r i s i e r b a r e ]~lek-

t r o d e . - - 12 L i c h t s p a l t d e s R e g i s t r i e r a p p a r a t e s . h~ngende Ende dieser Schlei- fe wurde mittels eines etwa

1 em langen Zwirnfadens an die Ose der unteren Glasstange befestigt. Dann wurde der herausgeschnittene Sartorius oder Isehiadieus vom Frosehe dureh die Sehleife gezogen und bei m~Biger Spannung beiderseits durch gut isolierte Hal ter wagereeht fixiert. Darauf wurden die beiden Glasstangen in soleher Entfernung voneinander festgestellt, dab Schleife und Zwirn- laden straff gespannt waren und sich beim Hin- und Hergehen der Elek- trode nieht bogenf6rmig ausbiegen konnten, sondern geradlinig blieben. Um zu verhiiten, dab das Pr~parat dabei gequetseht wurde, war an den Enden der Schleife oben und unten je ein etwa 1 mm dickes, winkelig zugebogenes Glasst/~bchen eingebunden. Das Verschieben dieser Wan- derelektrode wurde mit der freien Hand gemaeht, weft man so die Schnel-

Page 3: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mi~ Hflfe der Wanderelektrode. I. 539

ligkeit des Wanderns ganz naeh Belieben regeln kann. ])as AusmaB der Bewegung wurde dabei dureh zwei an den Sehienen verstellbare BSeke beiderseits begrenzt. - - Die nieht bewegliehe Elektrode war eine einfaehe Seilelektrode: es wurde der mit dem Tonpfropf in Verbindung stehende Wollfaden um das Pr~parat so test geknotet, dab er gerade unverschieb- lich war, ohne zu quetsehen.

])as Ganze war so angebraeht, dal~ der yon der Wollfadensehlelfe naeh unten gehende Zwirnfaden sieh gerade vor dem Liehtspalte des Registrierapparates bewegte. Zur Verfiigung stand ein Einthovensehes Saitengalvanometer (grol]es Edelmannsches Modell). Die Sehaltung war so, dab ein Ausschlag der Saite (Platinfaden yon etwa 3000 Ohm Wider- stand) naeh links -- in der Kurve nach oben - - einer Negativit~t 1) der linken Seilelektrode entspraeh. Die Voltempfindlichkeit des Gal- vanometers war stets derart, dab bei ausgeschaltetem Pr~parate 10 -a Volt beim Sartorius einen Saitenausschlag yon 15 mm, beim Ischiadieus yon 20 m m ergaben. Die Filmgesehwindigkeit betrug etwa 5 mm/sek. ; dureh den Episkotister wurden Koinzidenzlinien verzeiehnet in etwa 1 mm Abstand.

Wie sich ein Versuch mit der Wanderelektrode im einzelnen ge- staltet, mSge an Hand des in Abb. 2 wiedergegebenen BeispieIes gezeigt Werden, das fiinf Stunden nach dem Anlegen eines Querschnittes durch Quetschen des links befindlichen Knieendes eines Sartorius gewonnen wurde: Die Wanderelektrode liegt zunachst unmit telbar neben der unbeweglichen Seilelektrode links am Knieende des Muskels (Abb. 2a). Dann wird sie langsam bis zum anderen Ende des Muskels her/ibergezo- gen; dabei schreibt der Sehatten des Zwirnfadens die Linie abed. Die Ordinaten der einzelnen Punkte dieser Linie, bezogen auf die Ausgangs- h0rizontale als Abszisse (obere sehwarz gestriehelte Linie), geben also die Entfernung der beiden Elektroden an. Der Abstand der Ausgangs- horizontalen yon der bei d beginnenden Endhorizontalen entspricht der L~nge des ganzen Muskels

Aul~er der Linie a b c d ist gleichzeitig noeh die Kurve a'b'c'd' yon dem Saitenschatten gezeichnet worden. Die Ordinaten dieser Kurve, auf die Ausgangshorizontale als Abszisse (untere schwarz gestrichelte Linie) bezogen, geben die Stromst~rken wieder. Es liegt hier also eine ununterbrochen fortlaufende Kurve vor, aus deren Ordinaten die Stromst~rken zu ersehen sind, die sich zwischen dem linken Muskel- ende und der Zirkumferenz einer jeden Stelle der L~ngsseite des Muskels ableiten lassen. Bezeichnet man mit E. du Bois-Reymond 2) die

1) Der Ausdruck ~qegativit~t ist aueh im folgenden stets in diesem galvano- metrisehen Sinne gebr~ucht,

2) Untersuchungen fiber tierische Elektrizit~t, S. 631 und 695. 1848. - - Im folgenden stets nur als Untersuchungen usw. angefiihrt,

Page 4: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

540 E. Koch: Elektrogr0phische Untersuchungea an Muskel und lqerv

Entfernung der Ful3punkte des ableitenden Sehliel~ungsbogens als Spannweite, so kann man die erhaltene Kurve das Elel~trogramm der Spannweiten nennen.

Die Abszissenwerte dieses Elektrogramms der Spannweiten sind durch die Zeit gegeben; sie weehseln also ganz willkiirlieh mit der Ge. sehwindigkeit des Vorbeiwanderns der Elektrode. Deshalb wurden diese Elektrogramme jedesmal derart umgezeichnet, dal~ die Entfernungen der Elektroden als Abszissenwerte genommen wurden; d. h. also, dal~ die Ordinaten der Linie a b c d auf die Abszisse iibertragen wurden. Die so aus Abb. 2 a erhaltene Kurve zeigt Abb. 2 b; aus ihr ersieht man ohne weiteres die Lage z. B. des Quersehnittes b oder des Maximums e auf dem ganzen Muskel a--d. Im folgenden sind immer nur solche umge-

zeichneten Kurven wiedergegeben; die LTbertragung geschah mittels eines Zirkels anf Milhmeterpapierl},

Bei tier Deutung dieser Kurven wird als erstes stets zu bedenken sein, dab sie nieht die Kurven der Span- nungen, sondern die der Stromst~rken darstellen. Um

A b b . 2 a .

aus ihr R/ieksehliisse / ~ : ~ ~ auf die Kurve der

Spannungen machen zu / ~ " k k6nnen, sind also die I I

/ ' , , o Widerstandsverh~ltnisse , zu beaehten: W~hrend J

/ , des Wanderns der Elek- r , , t trode ~ndert sich die in

c a~ Abe. 2b. den Galvanometerkreis

eingeschaltete Streeke des Pr~parates st~ndig und damit anch der Widerstand. Dies hat ein um so st~rkeres Abweiehen der Kurve der Stromst~rken yon der ent- spreehenden Kurve der Spannungen zur Folge, je gr6Ber der Widerstand des Pr~ parates is~; dutch einen im Verh~ltnis hierzu groBen Widerstand im ableitenden Galvanometerkreise last sieh aber dieser Unterschied sehr klein maehen. Bei der Bewegliehkeit der Wanderelektrode kann man aul~erdem in zweifelhaften F~llen leicht die an einzelnen Punkten der Oberflgehe bestehenden Spannungen noeh unmittelb~r dutch Kom- pensation nachmessen.

Um rein methodiseh, u~mlieh dureh einen weehselnden Fenehtigkeits- grad des Pr~parates und der Elektroden bedingte Widerstands~nderun- gen m6glichst auszusehalten, wurden die TonpfrSpfe mit einigen Lagen yon angefeuchtetem Fliel~papier umwickelt, sowie das Pr~parat und die Wollf~den zwischen zwei Aufnahmen, die nieht unmittelbar aufeinander

1) Alle Abbildungen geben die Kurven in natiirlicher Gr61~e wieder.

Page 5: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. 2. 541

folgten, regelm~l]ig mi t Ringerl6sung ~) betropf t u n d unmi t t e l ba r vor d e r Aufnahme wieder mi t Fliel]papier abgetrocknet .

Einen ungef/~hren Anhaltspunkt ftir die hierdurch bedingte Fehlerbreite er- gaben mehrere Aufnahmen, die unmittelbar aufeinander Iolgten, nur wurden jedesmal zwisehen 2 Aufnahmen Muskel und Wollfgden stark befeuchtet und wieder abgetrocknet. Dabei stellte sieh heraus, dal] die OrdinatengrS/]en hSchstens um -- 1,0 mm, die Abszissenwerte um h6chstens T 0,5 mm auseinandergingen. Diese Werte geben aber nicht nut die dnrch verschiedenen Feuchtigkeitsgrad bedingte Fehlerbreite wieder, sondern enthalten auBerdem noch die Fehlerbreite des Verfahrens iiberhaupt sowie des Ausmessens. Der Anteil dieser beiden letzten an der ganzen Fehlerbreite diirfte, wie aus zahlreiehen Doppelaufnahmen hervor- geht, auf etwa die H/~lfte zu sch~tzen sein.

Nach alledem besteht die Besonderheit des Verfahrens der Wander - elektrode darin, dal] es in Form einer for t laufenden Kurve, allerdings nu r der Stromst~rken, die Verh~ltnisse an der ganzen Muskeloberfl~che darstel l t , so dab auch kleine, 5rt]ieh begrenzte Unterschiede n ich t ent- gehen k6nnen . Insbesondere wird man so mi t ziemlieh groBer Genauig- keit die den ausgezeiehneten P u n k t e n der Kur ve entsprechenden Stellen a m Pr~para te bes t immen k6nnen, wie z. B. die Stelle, die der E r h e b u n g der Kurve v o n d e r I-Iorizontalen oder e~wa der gr6Bten t t6he der Kurve entspricht . Auf die absoluten Ordinatenwer te k o m m t es bei solchen Be- s t immungen weniger an.

Versuche am Muskel.

Untersucht wurde bisher nur der Sartorius des Frosches, welt er sich wegen seiner bandf6rmigen Gestalt zu dem vorliegenden Zwecke ganz besonders eignet. Die Muskeln stammten yon mittelgroflen Esculenten, die gr61]tenteils im Keller des Institutes iiberwintert hatten. Die an etwa 60 Muskeln vorgenommenen Ver, suche fielen in die Monate M~rz bis Mai; die Zimmertemperatur schwankte dabei nur zwisehen 19 und 22 ~ C.

Der nicht erregte Muskel ohne kiinsfliehen Quersehnitt.

Bevor auf die Verh~ltnisse bei absichtl ich zugefiigtem ki inst l ichem Querschni t te eingegangen werden kann , muir zun~ehst einiges fiber den Muskel, so wie er naeh der Pr/ tparat ion gegeben ist, gesagt werden. Die dabei e rhal tenen Elekt rogramme der Spannwei ten sind n~mlich die not - wendige Voraussetzung iiir die Analyse der bei absichtl ieh zugeffigtem kfinstl ichem Querschnit te erhal tenen Kurven .

Literatur: Bekanntlieh war E. du Bois-Reymond (1848) 2) der Ansieht, dab am unverletzten, nieht erregten Muskel sieh das natiirliche Ende, der sog. nattir- liehe Quersehnitt, negativ verhalte gegen die L/~ngsseite. Bei Ableitung yon

�9 1)Die L6sung hatte folgende Zusammensetzung: 0,8% NaC1; 0,02% KC1; 0,02% CaCI~; 0,01% MgClz; 0,1% NaHCOz; 0,005% NzH2P04; 0,1% Trauben- zueker.

2) Untersuehungen usw. 2. Bd., S. 495. 1848. - - Vgl. auch Gesammelte Ab- handlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. iL Bd., S. 158. Leipzig 1877. Im folgenden stets nur als Ges. Abh. II angefiihrt.

Pflfigers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 201. ~5

Page 6: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

542 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

beiden Enden solle kein Strom wahrnehmbar sein; doch zeigte der fiir die vor- liegende Untersuchung besonders in Betracht kommende Sartorius dabei sehr regelm~Big den absteigenden Strom, in einzelnen FMlen abet auch den aufsteigen- den. Es kam sogar oft vor, dab yon den beiden Muskeln desselben Tieres der eine auf-, der andere aber absteigend wirkte. Jedesfalls ging aus den Beobachtungen ,,keine durchgrei]ende Gesetzmdfligkeit" hervor.

Im Gegensatz hierzu glaubte J. Budge (1861) 1) eine Gesetzm~Bigkeit in der Stromrichtung zwischen den Enden eines unverletzten, nicht erregten Muskels gefunden zu haben. Die Bedeutung der natiirlichen Enden als sich gegen den L~ngsschnitt negativ verhaltender Querschnitte wurde yon ihm verneint.

Abet erst L. Hermann (1867) 2) bewies endgtiltig, dab sich an wirklieh un- verletzten, nicht erregten Muskeln kein Strom ableiten li~Bt, dab sich also auch das freie Muskelende nicht als nattirlicher Querschnitt negativ gegen den L~ngs- sohnitt verh~lt. Ein Strom tr i t t erst auf, wenn ein kiinstlicher Querschnitt vor- liegt. Die frtiher irrttimlich auf das freie Ende als solehes bezogene Negativitat an den Muskeln des Froschoberschenkels kommt nur dadurch zustande, dab sie ,,alle so miteinander oder mit der Haut verwachsen sind, dab kein einziger pr~pariert werden kann, ohne dal~ er selber verletzt ist oder ihm fremde muskul6se Anh~nge mit kiinstlichem Querschnitt anhaften"a).

Die Richtigkeit der Ansieht yon der Stromlosigkeit des unverletzten, nicht erregten Muskels wurde dann yon Th. W. Engelmann (1877) 4) welter best~ttigt. Bald darauf wurde yon W. Biedermann (1880) 5) auch gezeigt, dab es bei sorgfMtiger Preparation und Einhalten gewisser Vorsichtsmal]regeln gelingt, den Frosch- sartorius vollkommen stromlos zu praparieren. Dabei stellte sich u. a. heraus, dab auch am ganzlich unverletzten Muskel noch dadurch negative Zonen m6glich sind, dab bei nicht geniigendem Curaresieren eine auf die Nerveneintrittstelle beschri~nkte Dauerkontraktion vorliegt, so dab beide Enden zur Mitre stark positiv werden.

Im Laufe der Zeit ist die Ansicht, dab yon der Oberfl~che des unverletzten ruhenden Muskels keine nachweisbaren Str6me abgeleitet werden k6nnen, zur allgemein herrschenden geworden. In neuerer Zeit allerdings vertri t t N. Cybulski (1912) 5) wieder die Auffassung, dal~ aueh im unverletzten ruhenden Muskel elektro- motorische Xrgfte vorhanden seien, die dadurch bedingt sein sollen, dal3 die Inten- sitgt der Stoffwechselvorg~nge an versehiedenen Stellen des gleichen Gewebes versohieden seien. Das yon ihm angewandte Verfahren, mit Hilfe dessert er alle 4 mm den Muskel abtastete~ bestand darin, dal~ yon den beiden Elektroden die eine auf einem Gestgnge verschieblich war. Die Verbindung mit dem Muskel wurde dutch entsprechend zugesehnittene Kegel aus Birkenpilz hergestellt, dessen hohe Plastiziti~t auch bei Verschiebungen einen hinreichend gleiehmaBigen Kontakt sichern soll. Auf diese Weise soll man am Sartorius des Frosches mit grofler Regel- m~fliglceit, wenn auch wechselnd stark ausgepri~gt, beobachten kSnnen, dab das distale Ende sich gegen das proximale negativ verhalte. Zeichnet man aus den anf S. 438 mitgeteilten Messungen eine Kurve der Spannweiten, so ergibt dies,

1) Dtsch. XliIfik 1861, S. 207. - - (Naeh E. du Bois-Reymond, Ges. Abh. II, S. 63.)

u) Untersuehungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven. II. Heft. 1867; II][. Heft. 1868. - - Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. 3, 15. 1870; 4, 149. 1871.

3) Handbuch der Physiologie I, 1. Tell 199. S. 1879. - - V g l . aueh Pfltigers Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 227. 1877.

~) Pfltigers Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 135 und 328. 1877. 5) Sitzungsber. d . Akad. Wien, Mathem.-naturw. K1. I I I , SI. 1880. s) Arch. internat, de physiol. I1, 418. 1911.

Page 7: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 543

wenn die unbewegliehe Elektrode am Knieende liegt, eine mit wachsender Ent- fernung bis zum Knieende bin kontinuierlieh ansteigende Kurve. Die Ausnahmen dieses Verhaltens werden auf die immerhin zugegebene Sehwierigkeit der Pr~i- paration zuriickgefiihrt; ob aber der Muskel dabei wirklich verletzt worden war oder nicht, ist einfaeh nach dem Augenschein angenommen.

s Versuche: Hinsichtlich der Art und Weise der Preparation ist kaum etwas Besonderes zu bemerken: seitliches Aufsehlitzen der Haut des Obersehenkels; Herausschneiden des Muskels vom Knieende her; dabei Muskel und Instrumente stets yon neuem mit Ringer bespiiIt; Kontrolle des isolierten Muskels auf etwa noch anhaftende ~remde Muskelreste in flacher mit l~ingerlSsung gefiillter Glas- sehale, die auf angefeuehteter, schwarzer Tisehplatte stand.

Muskeln, bei denen die Suite w~hrend des Wanderns der Elektrode vol lkommen in Ruhe blieb, wurden hie erhalten. Stets fanden sich, wenn auch oft nu r verschwindend geringe und 5rtlich begrenzte Unter- schiede, Irgendeine Gesetzm~Bigkeit aber konnte durchaus nicht heraus- gefunden werden; vielmehr bestand eine g~nzliche Regellosigkeit. Ob h~ufiger das eine oder andere Muskelende gegen den L~ngsschnit t negat iv war, oder ob h~ufiger beide es waren; ob sie beide oder einzeln h~ufiger posit iv gegen den L~ngsschnit~ waren; ob die Enden untereinander ver. schieden waren und in welcher Rich tung; ob sich h~ufiger im Becken- drit tel oder in der Mitte oder im Kniedri t tel eine 6rtlich begrenzte Nega- t ivit~t land usw. usw. - - all dieses zahlenm~Big zu bestimmen, diirfte wertlos sein, da hiermit wohl nur eine Statist ik der Zuf~lligkeiten der Pr~parat ionstechnik gegeben wfirde. Hervorgehobon werden muB aber, dab sich durch bloBes Beobachten bei der Prepara t ion keineswegs sagen l~Bt, ob nun der Muskel verletzt ist oder n icht ; gar nicht so selten ergab ein augenscheinlich gut pr~parierter Muskel st~rkere Str6me als ein Muskel, den m a n gezerrt zu haben glaubte. Ein merklicher Unterschied zwischen Fr6schen, die Curare und denen, die keins erhalten hat~en, konnte nicht bemerkt werden.

Die vollst~ndige Gesetzlosigkeit dieser Befunde kSnnte als ein wei- terer Beweis fiir die Anschauung - - sofern diese eines solchen t iberhaupt noch bediirfte - - angesehen werden, dab die yon der Oberfl~che eines herausgeschnittenen, nieht erregten Muskels ableitbaren StrSme auf Verletzungen bei der Prepara t ion zuriickzuffihren sind. DasElektrogramm der Npannweiten des wirklich unverletzten, nicht erregten Muskels muff als volIIcommen gerade .Linie angenommen werden. ~ E i n S t rom t r i t t erst auf, wenn ein kiinstlicher Querschnit t vorliegt.

Der nicht erregte Muskel mit kiinstliehem querschnitt. 1..Das JElektrogramm der ~qpannweiten unmittelbar nach dem Anlegen des Querschnittes.

JLiteratur: Wie sich bei ktinstlichem Querschnit~e die Stromst~rke mit der Sparmwei~e ander~, ist zuerst yon E. du Bois-Reymond (1848) 1) untersucht worden. Als Ableitungselektroden dienten dabei 2 entsprechend zugeschnittene B~usche

1) Untersuchungen usw. I, S. 631 und 695. - - VgL auch S. 514.

35*

Page 8: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

5 4 ~ E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

aus dicht zusammengelegten Fliel~papierbl~ttern, die fiber den Rand der mit NaCI-L6sung gefiillten Zuleitungsgefiil~e hervorragten. Der Muskel wurde derart tiber diese Elektroden gelegt, dab er mit der ganzen Fl~ehe des Querschnittes den ersten Bausch berfihrte, wo er unver/~ndert liegen blieb, mit dem Lgngsschnitte aber ~uf dem zuniichst m6glichst nahe herangeriickten 2. Bausche ruhte. War dann die Stromstitrke gemessen, so wurde der Muskel mit der Pinzette yon dem 2. Bausche abgehoben, der Abstand der Zuleitungsgef/il~e vergr61~ert, der Muskel dann wieder fallen gelassen und die Stromsttirke wieder bestimmt. So wurde nacheinander dutch einzelne Messungen der ganze L/tngsschnitt abgetastet. Wenn die auf diese Weise gefundenen Werte als Ordinaten auf den L/ingsschnitt als Abszisse aufgetragen wurden, so ergab dies cine Kurve, die am Querschnitte mit einem gewissen Werte attsgeht, sich bis zu einem in der Muskelmitte ge- legenen Maximum erhebt und dann n~ch dem freien Muskelende wieder stetig abf~llt, und zwar nahezu symmetrisch, nur in manehen FMlen etwas weniger stefl, so daI~ der Endwert der Ordinate den Anfangswert iibertrifft. Dieser Kurvenver- ]auf sollte sowohl flit die Stromst~rken als auch fiir die Spannungen gelten.

Sp/tter priifte E. du Bois-Reymond (1863)1) dieses GeSetz der Spannweiten mit anderen Elektroden nach: der Querschnitt lag dem Tonschilde eines Zuleitungs- gefitl~es an, w/~hrend die Tonspitze einer Zuleitungsr6hre folgweise den verschiedenen Punkten des L~ngsschnittes aufgesetzt wurde. Die wesentliche gegen die friiheren

Yersuche vorgenommene Anderung abet bestand darin, daIt diesmal ein yon zwei kiinstlichen Querschnitten begreIizter Muskelzylinder gewahlt wurde - - eine Ande- rung, die yon E. du Bois-Reymond freilich nicht besonders hervorgehoben wurde, da er an die ~egativit~it auch des nattirlichen Querschnittes glaubte. Diesmal wieh die Kurve der Spannweiten yon dem zuerst gefundenen Verlaufe in zwei-

facher Hinsicht ab: Zun/ichsfi konnfie das friiher anscheinend beobachtete weniger steile Absinken de r Kurve vom Maximum nicht best/~tigt werden. Vielmehr mul~ an einem Muskelzylinder bei gleieher Negativit~it der beiden Querschnitte di~ Kurve der Spannungsunterschiede bezogen auf die Spannweite symmetrisch sein. Die Kurve der Stromstiirken bezogen auf die Spannweite wird dagegen asym. metrisch ausfallen, sobald der Widerstand des Muskels nicht gegen den des Kreises verschwindet. Allein die Abweichung dieser Kurve wird gerade im entgegengesetzten Sinne yon dem stattfinden, in welchem sic frtiher wohl zu t fi~llig beobachtet worden war. Und zweitens wurde das Maximum der Kurve der Stromstgrken lficht in der geometrischen Mitte, sondern merklich n/iher dem Querschnitte der unbeweglichen Elektrode gefunden2).

Die yon E. die Bois.Reymond angenommene Verteilung der Spannungen an der Oberflgche eines geraden Muskelprismas, das beiderseits yon einem kiinst- lichen Querschnitte begrenzt wird, ist in der zuletz~ gegebenen Fassung allgemein in die Literatur fibergegangena). J. Rosenthal (1877) a) beschreibt den Kurvenver- lauf nur insofern noeh genaucr, als er angibt, dal~ die Kurve von der geometrischen Mittellinie, dem sog. Xquator, nach den Endquerschnitten zu nicht gleichmgBig 'abfis sondern nach der Mitre zu flacher, nach den Enden zu abet immer steiler verl/~uft.

1) Ges. Abh. II, S. 154. 1877. 2) Dieser neue Kurvenverlauf der Stromst~rken ist in Abb. 21 auf Tafel I I

~ler Ges. Abh. I I wiedergegeben. 3) W. Biedermann, Elektrophysiologie, S. 275. Jena 1895. - - M . Cremer, Hand-

buch IV, S. 859. Braunschweig 1909. 4) Allgemeine Physiologie der Muskeln und Nerven. Leipzig 1877, S. 188. - -

Die hier abgebfldeten Kurven sind auch in der unter 3 angeftihrten Literatur zu linden.

Page 9: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hflfe der Wanderelektrode. I. 545

Von der sonst anscheinend ganz allgemeinen Anschauung, dab sich der Quer- schnitt, an weleher Stelle des Muskels er sich auch befiudet, stets negativ gegen~ den L~ngsschnitt verh~lt, weicht N. Cybulski (1912) 1) insofern ab, als er die An- sicht vertritt, dab die Stromrichtung yon der Lage des Quersehnittes abh~nge. Es wurde schon erwahnt, dab Cybulski einen unabh~ngig von einer Verletzung auch in der ~uhe regelm~Big bestehenden Eigenstrom des Muskels gefunden zu haben glaubte, dessen Negativitat am distalen Ende liege. Wird nun ~n diesem Ende aul]erdem noch ein Querschnitt angelegt, so summiere sich der angebliche Eigenstrom zu dem dann gleichgerichteten L~ngsquerschnittstrom. Dagegen soil sich ein Querschnitt am proximalen Ende positiv gegen den L~ngsschnitt verhalten; durch Interferenz dieses L~ngsquerschnittstromes mit dem dann entgegengesetzten angebliehen Eigenstrome wtirde demnaeh, die feste Elektrode am Beckenende vorausgesetzt, eine Kurve der Spannweiten zustande kommen, die ein mit wachsen- der Entfernung zunehmendes Absinken der Positivit~t ergi~be.

Ffir die vorliegende Untersuehung ist noch ganz besonders bemerkenswert eine Angabe yon M. Oker-Blom (1901)2): . . . . . der mit einem Querschnitt ver- sehene, frische und vorher stromlose Sartorius zeigt schon einige Minuten nach Anlegung des Querschnittes Bin Potentialgef~lle, welches sich fiber einen Tell des Muskels erstreekt." In den angefiihrten Zahlenbeispielen betr~gt die L~nge dieser Strecke 15--20 mm.

Eigene Versuche: Der Querschni t t wurde da du rc h angelegt , dab der Muskel an der beabs icht ig ten Stelle t r ansversa l und mSgl iehst l inear gequetsch~ wurde. Hierzu diente ein kniefSrmig gebogener P~an, auf dessen be iden Branchen je ein d re ikan t iges E b o n i t p r i s m a de ra r t befes t ig t war , dal~ die beiden seharfen K a n t e n aufe inander pai~ten. Die ffir den Querschni t t gew~hlte Stel le lag s te ts einige Mil l imeter yon der ~este~ Sei le lekt rode en t fe rn t naeh der Mi t te des Muskels zu; und zwar aus zw(~i Gr i inden: 1. W e n n die Sei le lekt rode u n m i t t e l b a r auf dem s t r ichfSrmigen Querschni t te l~ge, so w~re es ungewil~, inwieweit der Able i tungsbere ich den Querschni t t s e lbst naeh der einen oder anderen R ieh tung i ibe r sch r i t t e . 2. W e n n die beiden m i t Ringer lSsung befeuchte ten E l e k t r o d e n ausein- andergezogen werden, so b le ib t bis auf eine kurze Strecke, deren L~nge m i t der Menge der anha f t enden Flf iss igkei t schwankt , infolge der Ad- has ion der Fl i i ss igkei t eine Nebenschl ie~ung zwischen den E l e k t r o d e n be- s tehen. H ie rdu rch k a n n das E l e k t r o g r a m m mehr oder weniger verzeich- n e t werden. W e n n aber der Quersehni t t einige Mil l imeter yon der fes ten E lek t rode en t fe rn t l iegt, so f~llt diese MSglichkei t eines Fehle rs wenig- s tens fiir die zwischen dem Querschni t te u n d dem Ganzen des Muskels her r sehenden S t roms th rken for t ; es wir.d dann be im Vorfiberziehen der Wande re !ek t rode i,1 e inem bes t immten Augenbl icke, t ier an de r p]Stz- l ichen U m k e h r der K u r v e e rkann t wird, der ganze Querschni t t ziemlich e inwandfre i und gleichm~l~ig abgele i te t .

N i m m t m a n u n m i t t e l b a r naeh dem Anlegen eines solchen Que r schn i t tes das E l e k t r o g r a m m der Spannwei ten auf, so b e k o m m t m a n sehr vet-

1) Arch. internat, de biol. H, 418. 19tl. ") Pfltigers Arch. f. d. ges. Physiol. 84, 252. 1901.

Page 10: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

546 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

sehieden gestaltete Kurven, die um so unregelm~I~iger sind, je starker die unmittelbar vor dem Anlegen des Quersehnittes schon dagewesenen, dutch Sch~digungen bei der Preparation des Muskels bedingten Unter- sehiede waren. Die so erhaltene Kurve ist also gar nieht das bloB durch den kiinstlichen Quersehnitt bedingte Elektrogramm der Spannweiten, sondern sie stellt die Summe dar aus den sehon vorher bestehenden StrSmen plus den durch den ktinstlichen Querschnitt noch hinzu- gekommenen. Fiir diesen Fall gilt das Gesetz der Superposition der elek- trischen Str6mel): ,,Wenn in einem beliebigen Systeme yon Leitern elektromotorisehe Kr~fte an verschiedenen Stellen vorkommen, so ist die elektrische Spannung in jedem Punkte des durehstrSmten Systems

~ C " ' - .

\:

Abb. B.

gleich der algebraisehen Summe derjenigen Spannungen, welche jede eiuzelne der elek- tromotorisehen Kr~tfte unabhgngig yon den anderen hervorbringen wfirde." Bei gleieh- bleibendem Widerstande gilt dieses Gesetz auch fiir die Stromst~rken. Will man also das reine Elektrogramm der Spannweiten bei kiinstliehem Quersehnitte kennen lernen, so mul~ man die Ordinaten der un- mittelbar vor dem Anlegen des Querschnittes erhaltenen Kurve subtrahieren yon den Ordinaten der Kurve, die nach dem Anlegen des Querschnittes erhalten wird2). Wenn man derart verfghrt, so werden die vorher zuweilen betrgchtlich unregelmgBigen Kur- ven zu fiberraschend gesetzm~l]igen und erhalten die Form der Elektrogramme, die

man bei Muskeln bekommt, die vor dem Anlegen des Querschnittes keine nennenswerten Unterschiede zeigten.

In Abb, 3 ist ein Beispiel gegeben ftir das tterstellen einer reinen, bloB durch den Querschni~t bedingten Kurve der Spannweiten: die unbewegliche Seilelektrode befand sich links am Kuieende des Muskels. Die unter der Abszisse liegeade, un- regelm~ige, schwach ausgezogene Kurve A entspricht den durch die Preparation bedingten Unterschieden. Gleich nach dieser Aufnahme wurde 3 ram yon der Seilelektrode entfernt ein kiinstlicher Querschnitt. in der beschriebenen Weise angelegt und sofor~ darauf das der pu*nktiert gezeichneten Kurve B entsprechende :ElektrogTamm erhalten. Die stark ausgezogene Kurve C ist aus der Differenz der Ordinaten yon B und A hervorgegangen und gibt die reine Kurve der Spann- weiten bei ktinstlichem Querschnitte wieder.

Der allgemeine Verlauf einer solchen reinen Kurve der Spannweiten, wie sie unmittelbar, d.h. einige Sekunden nach dem Anlegen des Quer-

1) H. Helmholtz, Poggendorffs Anal. d. Physik 89, 212. 1853. 2) Eine durch d~s Anlegen des Querschnittes etwa bedingte Widerstands-

~nderung wird dabei vernachlgssigt.

Page 11: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit ttilfe der Wanderelektrode. I, 547

schnit tes , e rha l t en wird, gleichgtilt ig, ob der Querschni t t a m Becken- oder am K a i e e n d e liegt, i s t fo lgender : Sie e rheb t sich vom Querschn l t t e aus plStzl ich mi t e iner anfangs sehr grol~en, a l l m i h l i c h immer ger inger werdenden Ste i lhe i t ba ld bis zu e inem M a x i m u m u n d f~ll t d a n n gerad- l inig wieder u m einen gewissen Be t rag ab.

W a s diesen K u r v e n v e r l a u f im einzelnen angeht , so is t die Ord ina ten- h6he des Maximums, wenn der Querschni t t a m Knieende liegt, durchweg grSl~er, als wenn er a m Beckenende liegt. I n dem gleichen Sinne is t auch der A b s t a n d des Max imums vom Querschni t t e versch ieden:

Querschnit$ am Beckenende Que~schnit~ am Knieende

Versuch Nr, 7, 47 ~" 9,0 mm Versuch ~r. 22, 102: 9,5 mm . . . . 10, 74 : 8,0 ,, ,, ,, 35, 117:11,0 ,, . . . . 23, 103:8,0 . . . . . . 44, 125: 8,0 ,, . . . . 34, 116:8,5 ,, ,, ,, 45, 126: 8,0 ,, . . . . 43, 124:6,5 . . . . . . 45, ]27:10,0 ,,

' Mittel: 8,0 mm ~Iitte]: 9,3 m l n

Die S$eilheit des y o r e M a x i m u m abfa l lenden Schenkels schwankt bei den einzelnen K u r v e n in e twas grSl~erem Umfange . Die Mi t te lwer te yon zehn ausgemessenen K u r v e n ergeben, dab die S t r o m s t i r k e n , in P rozen ten des Max imums ausgedriick~, a b n e h m e n :

Querschni~ am Bevke~ende Quersvhni~t am Kaieende

fiir 10 mm Entfernung um 6,9% (Max. 14,8; Min, 8,9) 5~8% (Max. 7,8; Min, 4,8) 20 . . . . ,, 14,1% (Max. 21,4; Min. 7,7) 10,7% (Max. 16,7; Min. 4,8)

Das Mi t te l aus al ien 20 Messungen e rg ib t eine A b n a h m e der S t rom- s t a rke fiir je 10 m m E lek t rodenen t f e rnung v o m M a x i m u m u m 6,3% der S t roms t~rke des Maximums. Diese Zahlen, die nat f i r l ich nur ffir die Wider s t andsve rh~ l tn i s se der angewand ten Versuchsanordnung gel ten, zeigen zur Genfige, dab der Abfa l l de r K u r v e yore M a x i m u m nach dem ffeien E n d e h in eine ann~hernd geradl in ige F u n k t i o n der Muskels t recke ist. - -

W i r d der Querschni t t n ich t in de r N~he der l inks bef indl ichen Seil- e lektrode, sondern rechts an dem freien E n d e des Muskels angeleg~ so v e r l i u f t die reine K u r v e der S t r o m s t i r k e n so lange auf der Null inie, bis sie den P u n k t er re icht ha t , de r dem M a x i m u m entspr ich t . Von hier aus s inkt sie anfangs flach, dann immer stei ler bis zum Querschni t t e ab .

Ein _Reispiel hierfiir gibt Abb. 4: auch hier bedeutet die schwach a u s g e z o g e n e

ui~regelm~Bige Kurve A wiecter die durch die Sch~Ldigungen der Priparation be- dingten Unterschiede. Die punktierte Kurve B wurde gleich nach dem Anlegen des Querschnittes am rechts befindlichen Knieende erhalten. Die stark ausge- zogene Kurve C stellt die bloB durch den Querschnitt bedingte Kurve der Strom- starken dar, gewonnen aus der Differenz der Ordinaten yon B tmd A,

Abb. 4 ist, ebenso wie Abb. 3, auch deshalb als Beispiel angeftlhrb, um zu zeigen, dab es so gut wie unmOglich ist, die reine Kurve der Spannweiton dadurch zu erhalten, dab man nur einzelne Punkte der ganzen Oberfliche migt lind nicht

Page 12: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

548 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und ~%rv

den ununterbrochenen Kurvenvexlauf tiberblicken kann. Gesetzt auch den Fall, man hKtte die Kurve der vor dem Aniegen des Qucrschnittcs bestehendcn Span- nungen durch einzelne Messungen m6glichst genau festgelegt, so wtirde doch die Kurve gleich nach dem Anlegen des Querschnittes unbekannt blciben, da sich

Abb. 4.

die Spannungen in der fiir so viele Einzel- messungen erforderlichen Zeit st~ndig ~tndern. Die Auffindung des Punktes, der gerade dcm Maximum entspr~che, ware dabci wohl kaum mSg]ich, w/~hrend aus den Elektrogrammen der Spannweitcn leicht zu ersehen ist. wo z. B. in Abb. 4 die Kurven B und A ausein- andergehcn (Punkt ~ ).

MiBt m a n in d e n n a c h A r t de r A b b . 4

e r h a l t e n e n K u r v e n die E n t f e r n u n g des

M a x i m u m s d, h. des P u n k t e s , wo die

K u r v e v o n d e r H o r i z o n t a l e n n a c h u n t e n

a b w e i c h t v o m Q u e r s c h n i t t e , so er-

h~l~ m a n n u r e t w a s gr6l~ere W e r t e als i n d e n K u r v e n m i t l inks-

l i e g e n d e m Q u e r s c h n i t t e :

Querschniti am Beckeuende Querschnitt am Knieende

Versuch Nr. 19, 99: 8,5:ram Versuch Nr. 10,- 71: 9 .0mm . . . . 31, 113: 7,5 . . . . . . 21, 101: 9.5 ,, . . . . 29, 111: 8.0 . . . . 30, 112:11,0 ,, . . . . 36, 118:10.0 . . . . 33, 115:10.0 ,, . . . . 37, 119: 7.5 . . . . . . 40, 122: 8,5 ,,

Mittel:. 8,3 mm Mitteh 9,6 mm

Auch hier zeigt sich wieder, da6 die Entfernung des Maximums yon dem Querschnitte, wenn dieser sich am Beckenende des Muskels befindet, geringer ist, als wenn er am Knieende liegt, obwohl die beim Anlegen des Querschnittes an- gewandte Strichquetschung immer m6glichst maximal gestaltet wurde. Es spielt dabei allerdings auch eine Rolle, in welcher Entfernung vom Muskelende der Querschnitt angebracht wird. Im allgemeinen wachst, wie schon E. du Bois. t~eymond 1) angab, die Sti~rke der Negativit~t mit der Entfernung des Querschnittes yore Muskelende.

Um die Abh~ngigkeit der Lage des Maximums von der Starke des Que~schens festzustellen, wurde m6glichst dieselbe Stetle kurz hintereinander zun~chst schwach und dann stark gequetscht. Bei schwachem Quetschen war die Stromst~rke be- deutend geringe~ als bei starkem, und das Maximum der viel flacher ansteigenden Kurve riickte nigher an den Querschnitt. So lag es z. B. in 2 Versuchcn bei links am Knieende befindlichen Querschnitte nach schwachem Quetschen 6,0 und 7,0 mm vom Querschnitte, nach starkem Quetschen aber 10,0 und 11,0 ram; dabei wuchs die Stromst~rke etwa auf das Drei- und Vierfache. Eutsprechendes war festzu- stellen, wenn der Querschnitt sich am Beckenende befand.

So l~l]t s ich d ie K u r v e d e r S p a n n w e i t e n f i i r d ie d u r c h e inen k i ins t -

l i c h e n Q u e r s c h n i t t b e d i n g t e n S t r o m s t h r k e n h i n r e i c h e n d g e n a u fes t l egen .

1) Ges. Abh. I1, S. 193. - - Vgl. auch Untersuchungen usw. I, S. 711 und 705.

Page 13: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit tIilfe der Wanderelektrode. L 5~9

Es fragt sich nun abet, ob und inwieweit dieser Verlauf auch ffir die Kurve der Spannungen gilt. Durch Einzelmessungen mitteIs Kompen- sation lieB sich zeigen, dal~ der Anstieg der Spannungskurve dem Anstiege der Stromstgrkenkurve ins0fern entspricht, als auch er zu Beginn am Querschnitte sehr steil ist und dann allmghlich immer flacher wird, bis er ein Maximum erreicht. Es ist anzunehmen, dab die Entfernung dieses Maximums der Spannungskurve vom Quersehnitte, also der Be- reich des Potentialgefglles, gr6Ber ist als die ffir die Kurve der Strom- stiirken gefundene Entfernung. Denn das Maximum der Stromstarken entspricht bei links liegendem Querschnitte dem Punkte, wo die vom Querschnitte aus allm~hlich immer geringer werdenden Spannungs- untersehiede zwischen zwei benaehbarten Punkten des Muskels durch die mit dem Weiterwandern der Elektrode verbundene Zunahme des Widerstandes gerade derart ausgeglichen wird, dab die Kurve tier Stromst~irken nich~ mehr ansteigt. Der Unterschied zwischen den Entfernungen der Maxima in den beiden Kurven wird also unter sonst gleichen Bedingungen um so erheblieher sein, je grSBer der Widerstand des Muskels ist. Wandert die Elektrode noch fiber das Maximum hinaus nach dem unyerletzten Muskelende hin, so ze ig t die Kurve der Stromstarken einen der eingeschalteten Muskelstrecke proportionalen Abfalk Dieses Verhalten schon macht es wahr- scheinlich, dab das Absinken der Stromst~rken -~,ohl nut auf einer Zu- nahme des Widerstandes, nicht aber auf einer Abnahme der Spannung, beruht. Die Spannung wird sieh vielmehr an einem regelm~t~ig ge- bauten Muskel wohl auch jenseits des Maximums auf ihrer maximalen HShe hagen, die Kurve der Spannweiten also yore Maximum ab parallel zur Abszisse Iaufen.

Diesen wahrscheinlichen Verlauf der Kurve der Spannungen dutch Einzel-, messungen mittels Kompensation genau festzulegen, ist aus den schon mehrfach erwithnten Griinden kaum mSglich: 1. weil die durch die Pr~parationsschadigungen bedingten Spannungsuntersshiede meist derart stSren, da~ sich die reine, bloB dutch den Querschnitt bedingte Spannungskurve nicht rekonstruieren lal]t; and 2, auch noch besonders deshalb, weft sich der Bereich des Potentialgefalles gleich nach dem Anlegen des Querschnittes in dem ftir eine grSBere Anzahl yon Einzel- messungen erforderlichen Zeitraume zu gndern pflegt.

Es wurde deshalb iolgender Kunstgriff angewandt: An Stelle einer unbewegliehen Seilelektrode wurden beide Elelctroden beweglich gemacht, indem an das Stat iv tier Wanderelektrode noeh ein weiteres Paar Glas- stangen angebraeht wurdelh die ebenfalls mit einer sehleifenfSrmigen Elek t rode versehen waren; der Abstand der beiden Elektroden betrug 4- -6 mm. Auf diese Weise bleibt der Abstand der Elektroden stets gleich, und wenn sie fiber den Muskel verschoben werden, so ergibt dies eine ebenfalls ununterbrochen fortlaufende Kurve, deren Ordinaten die Unterschiede zwischen allen 4- -6 m m voneinander entfernten Punkten

Page 14: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

550 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

der L~ngsseite des Muskels angeben. Es kann dieses Verfahren also als das der Di//erential-Wanderele]ctroden bezeichnet werdenl) ,

En t sprechend dem bei l inks l iegenden Quersehnit te bier sehr steil u n d naeh dem Maximum zu immer flacher ver laufenden Anstiege der Kurve der Spannwei ten beg inn t die Kurve der Untersehiede am Quersehnit te mi t ihrem grSl~ten Werte u n d s inkt d a n n allm~hlich zur Null inie ab~ auf der sic verbleibt (Abb. 6). MiBt m a n die E n t f e r n u n g des Punktes , wo die Ab- szisse erreieht wird vom Quersehnit te , so erh~lt m a n folgende Wer te :

Querschni t t am Beckenende Querschni t t am Knieende

Versuch Nr. 49, 133:10,5 mm Versuch l~r. 48, 131:11,5 mm . . . . 50, 135: 9,0 . . . . . . 49, 133:11,0 ,, . . . . 51, 137: 9,5 . . . . . . 50, 135:10,0 ,, . . . . 56, 144: 9,0 . . . . . . 54, 142:10,0 ,, . . . . 57, 145:10,0 . . . . . . 56, 144: 9,0 ,,

Mittel: 9,6 mm Mittel: 10,3 mm

Vergleich~ man die Li~nge des Bereiches, innerhalb dessen sich auf dieso Art Unterschiede nachweisen lassen, mit der Entfernung des Maximums vom Quer- schnitte in den zuerst angefiihrten Elektrogrammen der Spannweiten, so zeigt sich, dab dor mit Hilfe der Differential-Wanderelektroden festgestellte Bereich durchschnittlich nut etwa 1,3 mm grSi~er ist.

DaB M. Oker-Blom einen gr50eren Bereich des Potentialgef/~lles gefunden hat, diiffte darauf beruhen, dab er erst einige Minuten nach dem Anlegen des Quer- ,chnittes gemessen hat. Denn in dieser Zeit pflegen sich die Verh/iltnisse in diesem Sirme ge~ndert zu haben, wie im nachsten Abschnitte ausfiihrlicher gezeigt werden wird.

Zusammenfassendl~Bt sich also fiber das his ie tzt Gefundene folgendes sagen :

Die Spannwei tenkurve der Stromst~rken erhebt sieh, wenn die feste Elektrode am Querschnit te ]iegt u n d die andere Elektrode naeh dem freien Ende h in wandert , unmi t t e l ba r am kfinstl ichen Querschnit te mi t einer anfangs sehr groBen, d a n n allm~hlich immer geringer werden- den Steilheit bis zu einem (bei der besehriebenen Versuchsanordnung durchschni t t l ieh 8,0--9,3 m m vom Querschnit te en t fern t liegenden) Maximum u n d s inkt d a n n geradlinig u m eine n gewissen Betrag ab.

Die entspreehende Kurve der Spannungen erhebt sich in i~hnliehem Anstiege bis zu einem (naehweisbar durehschnit t ] ich n u t etwa 1,3 mm) welter vom Querschnit te en t fe rn ten Max imum u n d bleibg wahrschein- lich auf dieser max imalen t t6he bis zum freien Muskelende b e s t e h e n . -

Mit dem, was m a n in der Li te ra tur als Ruhestrom zu bezeiehnen pflegt, ist woh] immer die grSBte ablei tbare Spannung gemeint. Aus den vorhergehenden Ausff ihrungen geht n u n hervor, dab m a n nur d a n n die

1) Voltempfindlichkeit des Galvanometers bei den Versuchen mit den Diffe- rential-Wanderelektroden: 10 - 3 Volt ~ 20 mm Saitenausschlag. - - Die Widerstands- /~nderungen durch Anderung des nicht regelm/~Big zylindrischen Muskels sind nicht berticksichtigt.

Page 15: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 551

gr61~te S p a n n u n g erh~l t , w e n n m a n e inerse i t s v o m Q u e r s c h n i t t e se lbs t

u n d ande re r se i t s y o n e i n e m P u n k t e ab le i t e t , de r jense i t s , m i n d e s t e n s

a b e r an de r Grenze des Bere i ches des Po ten t i a lge f~ l l e s l iegt .

Die gewonnenen ]~rgebnisse weichen yon den Kurve)a, die E. du Boig.~eymoncl gegeben hatte, in mehrfacher Hinsicht ab: Nach seiner urspriinglichen Annahme sollte die Kurve der Spannungen und die der Stromst~rken gleich verlaufen, und das Maximum dieser Kurven solltc in der geometrischen Mitte des Muskels liegen. Diese Anschauung abet wurde bei der Nachprtifung schon yon E. du Bois-2~eymond selbst zum Tell insofern berichtigt, als er die Verschiedenheit des Kurvenverlaufes ffir die Spannungen und ftir die Stromst/~rken betonte und ferner das Heranriicken des Maximums der Stromst~rken an den Querschnit$ angab. In einem weiteren Punkte aber ist die 2. Fassung gar keine Berichtigung, sondern besteht die anf/~ng- liche Ansicht tatsachlich zu Recht; insofern n/~mlich, als der Abfall der Kurven yore Maximum nach dem freien Ende hin weniger steit ist als der Anstieg. Doch gilt dies nach dem Vorhergehenden nur fiir die ]~urve der Stromst&rken. DaB E. du Bois-Reymond bei der Nachprtifung einen hicrvon abweichenden Verlauf land, beruht darauf, dal3 diesmal ein Muskel mit 2 kiinstlichen Querschnitten untersucht wurde.

W i e die K u r v e de r S p a n n w e i t e n

an e i n e m Muske l v e r i g u f t , an d e m

beiderseits an den Enden ein ki~nst- licher Querschnitt a n g e b r a c h t ist , liel~e

s ich aus d e m schon G e s a g t e n er- schl ieBen. D a sie a b e r y o n d e n in

d e r L i t e r a t u r t ib l ichen D a r s t e l l u n g e n

a b w e i c h t , so m a g dieses n~he r aus-

ge f t ih r t werden .

Abb. 5 A. (~ natiirl. Grfl3e. Abb. 5.

In der Abb. 5 gib$ die schwach ausgezogene Kurve A wieder das Elektro- gramm der Spannweiten vor dem Anlegen des Querschnittes wieder; das Knieende des Muskels befand sich links an der Seilelektrode. ])ann wurde links und rechts am Ende dos Muskels jo ein kiinstlicher Querschnitt angebraeh*~ und gleich darauf das der punktiert gezeichneten ](urve B entsprechende Elektrogramm gewonnen. Aus der Differenz B A entsteht dann die stark ausgezogene Kurve C, die den blol~ don beiden Querschnitten entsprechenden Kurvenverlauf ergibt.

Es zeigt sich auch hier wieder die st~rkere Wirkung des am Knieendo befind- lichen Qucrschnittes darin, dal~ die Minima an den beiden Quersehnitten in ver- schledener H6he liegen. Dasselbe ist zu sehen, wenn, wie in Abb. 5 A, das Becken- ende des Muskels sich links an der Seilelektrode befindet, Es reicht dann das Minimum des rechts befindiichen Querschnittes tiefer hinab als das Minimum des linken. Das Maximum der ganzen Kurve abet liegt in beiden F/~llen n~her dem linken Querschnitte. Von hier ab sinkt die Kurve geradlinig ab bis zu dem zum rechten Querschnitte geh6renden Einzelmaximum, yon wo aus sie in der be- schriebenen Weise bis zum Minimum am Querschnitte abf~llt.

Die Kurve der Abb. 5 ist auch noch aus einem anderen Grunde als Beispiel gew~hlt, n~mlich um zu zeigen, welche T/~uschungen hinsichtlich der Lago des Maximums vorkommen k6nnen, wcnn nicht die reine, blol~ durch die Querschnitto

Page 16: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

552 E. Koch: Elektrographische Untersuckungen an Muskel uud Nerv

bedingte Kurve rekonstruicrt wird. Denn in der nicht umgezeichneten Kurve B hcgt das Maximum (X) dem rechten Querschnitte n/~hcr als dem linken.

Fi ir e inen regelm~Bigen Muskelzyl inder mi t gleich s tark wirkendem Querschnit te beiderseits w~re ein entsprechender, n ich t symmetr ischer Kurvenver lauf der S t romstgrken anzunehme n ; nu r w/irden die Minima der beiden Querschnit te auf der gleichen Abszisse liegen.

Nach E. du Bois-Reymond sollte dieser asymmetrische Kurvenverlauf der Stromst~rken allgemein derart sein, dab sich die Kurve yon einem gewissen An. fangswerte erh6be bis zu einem dem linken Quersctmitte n/~her gelegenen Maximum, dann nach dem rechten Querschnitte zu wieder abs/~nke und hier mit einem unter dem Ausgangswerte liegendenWertc endige, Ein solches Absinken nach dem rcchtcn Quer- schnitte hin unter den Anfangswcrt aber trifft nach den vorliegenden Unter- suchungen nur Ifir den Fall zu, d~G die Wirkung des rechten Querschnittes starker ist als die des linken. DaB R. du Bois-Reymond dicses Verhalten regelmgBig land, dfirftc wohl auf die yon ihm angewandte Methodik zuriickzuffihren sein, Denn die ver/~ndcrliche Elektrode konnte dabei nicht ganz an die am Querschnitte selbst

liegende unvergnderlichc Elektrode herangebracht

r4

Abb. 6.

werden, so dab der Ausgangspunkt der Kurve der Spannweite Null am Querschnitte selbst ent- sprochen h~tte; kS bestand vielmehr immer schon von vornherein eine geringe Spannweite, sodaB die Kurve mi~ einem gewissen Anfangswerte be- gann. unter den dann wohl immer dcr Endwer~ am rechten Querschnitte, absank.

Aus diesem Verlaufe der Kurve ' der

Spannungen fiir den mi t zwei Quersehni t ten versehenen Muskel ablei ten, deren unmi t t e lba re Fests te l lung durch Einzelmessungen aus den schon wiederholt e rwahnten Grfinden kaum gelingt. An einem regelmaBigen Muskelzylinder mi t gleich starker Negativit&t der beiden Querschnit te wfirde die Kurve durchaus symmetr isch verlaufen. W e n n aber die L~nge des Muskelzylinders gr6Ber ist als die Summe der beiden Bereiche des Potentialgef~lles, so w/irde die Kurve n icht mehr einen einzigen maxi- malen P u n k t haben, sondern eine mi t der L~tnge des Muskels wach- sende maximale Strecke.

Dieses l~Bt sich wiederum mit ttflfe der Differential-Wanderelcktroden ge- nauer zeigen: Abb. 6 ist auf diese Art yon einem Muskel gewonnen, dessen Becken- ende links lag. Die stark ausgezogene Kurve wurde unmittelbar nach dem An- legen yon 2 an den bciden Muskelenden angebrachten Querschnitten, deren Ent- fernung voneinander 37,0 mm betrug, crhalten. (In den Differential-Elektro- grammen ist natiirlich der dem rechten Querschnitte entsprechende Ausschlag nach dcr entgegengesetzten Seite gerichtet.) Der Bereich der nachweisbaren Untcr~ schiede betr~g~ links 9,0 mm und rechts 10,0 ram. Innerha]b der fibrigb]eibenden Strecke von 18,0 mm sind keine Unterschiede nachweisbar; die Kurve ver]~uft hier auf der Abszisse.

Bei den in der L i te ra tu r fiblichen Dars te l lungen der Kurve der S p a n n u n g e n an einem regelm~Bigen Muskelzy]inder besitzt die K ur ve

Stromst~rken l~Bt sich mit Benu tzung der frfiheren Ergebnisse auch die K ur ve der

Page 17: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 553

immer nur einen in der geometrischen Mitre des Muskels liegenden aus- gezeichneten Punkt, den sogenannten _~quator, Nach dem Vorhergehen- den aber stellt dieser Kurvenverlauf nur einen besonderen Fall dar, der dann gegeben ist, wenn die L~nge des Muskelzylinders gerade gleich oder kleiner ist als die Summe der beiden Bereiche des Potenti~lgef~lles. ]st die L~nge des Muskels grSi3er, so besitzt die Kurve nicht nur einen maximalen Punkt, sondern eine mit der L~nge des Muske]s wachsende maximale Strecke, also eine Zone maximaler Spannung.

2. Die Anderungen des Ele]ctrogramms der Spannweiten.

a) Kurz nach dem Anlegen des Q,uerschnittes.

Dies sind die Verh~ltnisse, wie sie unmittelbar, d .h . innerhalb der ersten Sekunden nach dem Anlegen des Querschnittes, gefunden werden. Aber es ist nicht so, a]s ob hier ein stationer bleibender Zustand vorl~ge, sondern es werden dutch das Anlegen eines Querschnittes Ver~nde- rungen eingeleitet, die sich fiber l~ngere Zeit hin erstrecken. Es sind die beschriebenen Verh~tltnisse also nur als ein Augenblicksbild aus einem fortlaufenden Geschehen zu betrachten. Mit diesen Ver~nderungen sind nicht die gemeint, die als Absterbeerscheinungen bezeichnet zu werden pflegen und auch am Muskel ohne kfinstlichen Querschnitt auf- treten; vielmehr die Ver~nderungen, die eben durch den Querschnitt, etwa in der ersten halben Stunde nach dem Anlegen, bedingt sind.

Bevor abet hierauf eingegangen wird, seien kurz. die Ver~nderungen erw~hnt, die an einem nicht erregten Muskel ohne absichtlich zugefiigten ki~nstlichen Querschnitt innerhalb der ersten Stunden zu beobachten sind. Nimmt man in regelm~l~igen Zeitabst~nden das Elektrogramm der Spannweiten eines solchen Muskels auf, der also nur die geringen Unter- schiede zeigt, wie sie dutch Sch~digungen bei der Preparation hervor- gerufen werden, so bemerkt man, dab diese Unterschiede alhn~thlich immer kleiner werden. Sie verschwinden ira allgemeinen um so schneller, je geringer sie sind, so dab die Kurve, wenn sie vorher regellos gezackt war, einen immer stetigeren Verlauf bekommt (vgl. linke H~lfte der Abb. 9, Kurve B u C). Nach 2 3 Stunden sind dann gew5hnlich die Unterschiede so gering geworden, dal~ die Kurve nur noch in ganz fla- chen Bogen wenig v o n d e r geraden Linie abweicht. Da sich in dieser Zeit der Widerstand des Muskels nicht wesentlich zu ~ndern pflegt, so ist das Verschwinden der Unterschiede haupts~chlich auf ein Geringer- werden der Spannungen zurfickzuffihren.

Was in der Literatur fiber die Ver~nderungen an dem nicht erregten Muskel mit lci~nstlichem Querschnitte zu finden war, grfindet sich aus- schliel~lich auf Untersuchungen, bei denen nur yon zwei Punkten, ge- wShnlich vom Querschnitte und der Mitte oder dem Ende des Muskels

Page 18: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

554 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

a b g e l e i t e t wurde . A u f diese W e i s e a b e r k S n n e n n u r die GrS[3endinderungen eines zwischen d e n be iden A b l e i t u n g s s t e l l e n b e s t e h e n d e n U n t e r s c h i e d e s

v e r f o l g t werden . Ob u n d wie s ich d a b e i a b e r die V e r t e i l u n g de r S p a n n u n - gen i n n e r h a l b de r g a n z e n L~ngsse i t e des Muske l s ~nder t , w i r d so n i c h t

e r k a n n t .

Literatur: Iqaeh E. du Bois-Reymond (1849) 1) soll der Ruhestrom zwisehen L/~ngs- und kfinstlichem Quersehnitte in st/~ndiger, anfangs rascherer, dann all- m/~hlich immer langsamerer Abnahme begriffen sein bis zum vollst~ndigen Ver- schwinden. Aber er beobaehtete sp~ter (1867) 2) aueh eine anf/~ngliche Zunahme, die zuweilen sehr betr~ehtlich, am Sartorius aber nur selten zu beobachten war. Er hielt sie fiir eine blo$ scheinbare, die so zustande komme: Bald nach dem Anlegen eines kiinstlichen Quersehnittes sterbe bier eine mehr oder minder dieke Schicht ab. Dabei werde S~ure gebildeta), die auch in die anliegende Elektrode eindringe. Diese S/~uerung sei nun einer elektromotorischen Wirkung f~hig; denn Bestreichen des Querschnittes mit Milchsi~ure ergab eine nicht unerhebliche ErhShung der elektromotorischen Kraft. Die eigentliche Stromkraft abet nehme am herausgeschnittenen Muskel stets sof0rt ab; und nut wean dieses Sinken nicht Mlzu schnell erfolgt, kSnne dutch die S~urebildung ein scheinbares Wachsen eintretena).

Dieselbe Auffassung vertr i t t L. Hermann (1879)5). Bei Th. W. Engelmann (1877)6), yon dera die ausffihrlichste Untersuchung

fiber die zeitlichen ~nderungen des Muskelstromes stammt, finder sich hinsicht- lieh des anf~nglichen Steigens nur folgende allgemeine Bemerkung: ,,Mitunter kommt w~hrend der ersten Minuten ein geringffigiges Steigen (urn hSchstens einige Prozente) vor. Regel ist sofortiges Sinken." In der angeffihrten Tabelle betr/~gt die h6chste beobachtete Zunahme am ~roschsartorius 13,9~o des Anfangs- wertes.

R. Nikotaides (1889) 7) erw~hnt iiberhaupt niehts yon einer anf/~ngliehen Steigerung des Ruhew Er land vielmehr stets ein sofortiges Abnehmen.

Im Gegensatze zu diesem VerhMten des L~ngsquersehnittstromes land E. du Bois-Reymond (1867) s) aber an den Str6men zwisehen versehiedenen Punkten des L/~ngssehnittes regelmSfiig zungehst ein Wachsen, sogar bis zur Verdoppelung der urspriinglichen St/~rke. ,,Aueh ist es etwas ganz gew6hnliches, dab der Strom zwischen ~quator und einem dem Quersohnitte nahen Punkte noch w/ichst zu einer Zeit, wo der Strom zwischen L/~ngs- und Quersehnitt se]ber bereits wieder sinkt, oder an einem Ende des Muskels, oder aueh an einem Muskel fiberhaupt,

1) Untersuchungen usw. II , Tefl 1. ]48. 1849. 2) Ges. Abh. II , S. 199. a) Ges. Abh. I I , S. 11, 16. 4) Zum Unterschiede yon diesem VerhMten der herausgeschnittenen Muskeln

beobaehtete E. du Bois-Reymond aber auch ein tats~chliches ,,postmortales Wachsen der Muskelkra/t" zwischen L/~ngsschnitt und kfinstlichem Quersehnitte an nicht entMiuteten Muskeln, das sich als unabh/inglg yon der Si~uerung der Elektrodo erwies. Die Zunahme war jedoch bedeutend geringer als die infolge der S/~uerung - - nut 8% gegen 23~o - - und schien nach 20--25 Min. noch nicht beendet zu sein.

5) I-Iandbuch I, 1. Tell, S. 195. ]879. e) Pfltigers Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 120~ 1877. 7) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, S. 73. s) Ges. Abh. I], S. 199.

Page 19: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 555

wo gar kein Steigen des letzteren Stromes beobachtet wird." Wegen dieses ver- schiedenen Verhaltens nahm er an, dab das Steigen des L/~ngsschnittstromes und das des L/~ngsquerschnittstromes ,,voneinander unabh/ingige Vorg/inge" seien.

Auch R. ]qikolaides (1889) 1) sah die L/~ngsschnittstr6me in den ersten 10 bis 40 Min. oft wachsen. Er gibt noch als charakteristisch fiir sic an, dab sie yon ktirzerer Dauer seien als die Str6me zwischen L~ngs- und Querschnitt.

JEigene Versuche. Bevor auf die )~nderungen der Unterschiede zwi- sehen dem Querschni t te u n d der L~ngsseite des ganzen Muskels ein- gegangen wird, ist eine sehr auff~llige J~nderung an dem E lek t rog ramm der Spannwei ten zu erw~hnen, die gleich naeh dem Anlegen eines strieh- f6rmigen Querschni t tes in der N/~he des freien Muskelendes e in t r i t t . Sie bes teht darin, dal~ der Unterschied zwischen dem Querschnit te u n d dem durch den Quersehni t t abge t r enn ten kurzen Stiicke am freien Ende sehr sehnell nach- li~Bt, bis er sehliel~lieh ganz versehwindet .

In Abb. 7 ist ein Beispiel hierfiir gegeben: Der Querschnitt war etwa 3 mm yon dem links befindlichen Knieende des Muskels angelegt. Unmittelbar darauf wurde das der Kurve B entsprechende Elektrogramm der Spannweiten erhalten, das einen starken Unterschied zwi- schen dem linken Ende und dem Querschnitte (O--P) zeigt. 20 Min. darauf aber war dieser Unterschied schon fast auf ein Achtel zurtick- gegangen (O--Q). In der Abb. 2, die 5 Stunden spi~ter yon demselben Muskel herriihrt, ist iiberhaupt kein Unterschied mehr vorhanden; die Kurvo verl~uft bis zum Querschnitte hori- zontal auf der Abszisse.

Durch Kompensa t ion l~I3t sich zeigen, da6 dieses Geringerwerden der Unter - schiede wesentlich durch Naehlassen der Spannungen bedingt ist. Es miissen also

..h... h ~ 7.,~.

/ . .: ~ o %..

~ - - - 7

' " < - 4 x l :

,,

p ,

A b b . 7.

in dem vom Ganzen des Muskels abge t r enn ten Endst i icke sehr bald n a e h dem Anlegen des Querschnit tes Ver~nderungen vor sich gehen, die schlief~- lich dazu fiihren, dal~ sich dieses Stiick wie ein indifferenter, an den Querschni t t angelegter Leiter verh~lt, also wie totes Gewebe. Diese Ver~nderungen laufen im al lgemeinen u m so rascher ~b, je kleiner das abge t renn te Stiick ist. Nur wenn es grSl~er ist - - etwa von 5 m m ab - - , so k a n n es vor der Abnahme zu einer vori ibergehenden Zuna hme der Untersehiede kommen.

Aus diesem Verhalten folgen einige methodische Winke: zun/~chst geht aus der Abb. 7 ohne weiteres hervor, dab man, wenn nur vom linken Muskelende und dem etwa in der Mitte liegenden Maximum M abgeleitet worden w/~re, eine aul3er-

1) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, S. 76.

Page 20: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

556 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

ordentliche scheinbare Zunahme des Ruhestromes bekommen hi~tte. Diese aber wi~re nur dadurch vorget~uscht worden, dab infolge der Abnahme des entgegen- gesetzten Unterschiedes zwischen dem Querschnitte und dem abgetrennten Stttcke die Abszisse des Querschnittes yon P nach Q verschoben ist. Wenn jedoch jedes Maximum ~uf seine zugehSrige Abszisse bezogen wird, so stellt sich tats~chlich eine Abnahme heraus; denn HeG 2 ~ H1G1 Die gleiche T~uschung w~re mSglich, wenn die unver~nderliche Seilelektrode um don Querschnitt selbs~ geschlungen worden w~re. Denn dann whre es nicht sicher, inwieweit sie aul~er dem Quer- schnitge selbst auch noch yon dem abgetrennten Muskelstiicke ableitete. Aus diesem Grunde wurde, wie schon erw~hnt, der Querschnitt stets einige Millimeter von der Seilelektrode entfernt angelegt.

Abgesehen yon diesem Verhal ten des abge t renn ten Endstfickes setzen n u n abet auch an dem iibrigen Ganzen des Muskels gleich nach dem Anlegen des Querschnit tes Ver~nderungen ein. U n d zwar erfolgeu diese anfangs so schnell, da[t m~n sie durch zei t raubende Einzelmessungen mit tels Kompensa t ion schwerlich genauer verfolgen kSnnte ; m a n ist vielmehr auf die Augenbl icksaufnahmen eines Elekt rogramms der Spannwei ten angewiesen.

Zun~chst bleibt das Maximum nicht an der unmi t t e lba r nach dem Anlegen des Querschnit tes gefundenen Stelle dauernd bestehen, sondern es wander t vom Querschnit te fort ; also nach der Mitte des Muskels hin, wenn der Querschni t t an e inem Ende liegt. Die Gesehwindigkeit, mi t der dieses geschieht, ist anfangs am grSi~ten u n d n i m m t mit der Zelt allm~hlich ab.

Einige Zahlen zeigen dies genauer: Es verschob sich das Maximum innerha lb

M,n~ II.m,nml Mo sungon) M,,,u ongos0hwi~

3 1,8 6 2,6

10 3,4 15 3,7 20 3,S

9 (Max. 4,1 mm; Min. 0,8 ram) 6 ( ,, 4,5 ,, 1,3 , , ) 5 ( ,, 4,6 , ,, 1,4 ,, ) 4 ( ,, 4,9 . . . . 1,6 ,, ) 5 ( ,, 5,0 . . . . ],6 ,, )

0,6 mm/min. 0,3 ,, 0,2 ,, 0,06 ,, 0,02 ,,

Die angefiihrten Zahlen rtihren vorwiegend yon Muskeln her, bei denen sich der Querschnitt am Knieende befand. Ob die Geschwindigkcit mit der das Maxi- mum vorrtickt, verschieden ist, je nachdem ob der Querschnitt am Becken- oder am Knieende des Muskels liegt, ist noch nicht sichergestellt: Die gr5Bten Werte win'den allerdings erhalten, wenn der Querschnitt am Beckenende angebracht war.

Zahlenmgi~ig verfolgen li~13t sich das W a n d e r n des Maximums nu r in solchen F~llen, bei denen keine nennenswer ten Unterschiede infolge der P repara t ion bestehen; d a n n wurde es aber auch regelm~l~ig beob- achtet . Es leuchtet jedoch ein, dab durch schon vorher bestehende Unter- sehiede das W a n d e r n des Maximums n ieh t n u t verwiseht, sondern sogar vollst~ndig verdeckt werden k a n n ; wenn ngmlich die Kurve des Muskels sch0n vor dem Anlegen des Querschnit tes e i n Maximum besitzt, das e twa in der Mitte des Muskel s liegt (vgl. Abb. 4 und 7).

Page 21: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 557

In derartigen Fallen aber li~Bt sich die dem Wandern des Maximums entspreehende Ver~nderung am Muskel aus einer weiteren J~nderung des Kurvenverlaufes ersehen: Der Anstieg yore Quersehnitte bis zum Maximum, der in den ersten Sekunden nach dem Anlegen des Quer- schnittes im Anfange sehr steil, nach dem Maximum zu aber immer flacher verlaufend gefunden worden war, ~ndert sich sehr bald in zweier- lei Hinsicht : die Steilheit n immt einerseits in der unmittelbaren Nghe des Querschnittes ab, andererseits aber gegen das Maximum hin zu (vgl. Abb. 7 : Winkel a2 < a l ; Winkel fie ~/31).

Diese beiden Anderungen aber gehen gewShnlieh nicht in gleichem Mal3e vor sich, sondern scheinen ziemlich unabh~ngig yon einander zu sein. Das Nachlassen der Stei]heit des Anstieges in der Nahe des Quer- schnittes geschieht meist langsamer als das im Zusammenhang mit dem Wandern des Maximums auftretende Steflerwerden des Anstieges in der iN,he des Maximums. Eine Zunahme der Steilheit am Querschnitte wurde nie beobaehtet.

Das Wandern des Maximums, sowie die Anderung der Steilheit des Anstieges lassen sich aueh dureh Einzelmessungen der Spannung mittels Kompensat ion feststellen. Wegen der erw~hnten Sehwierigkeiten aber kann man so meist nur allgemein zeigen, dal3 diese Ver~nderungen sieh in dem beschriebenen Sinne abspielen, ohne sic genau zahlenm~l~ig ver- folgen zu kSnnen. Sehr deutlich aber sind sic auch mit Hflfe der Diffe- rential-Wanderelektroden naehzuweisen. So zeigt z. B. in Abb. 6 die punktiert wiedergegebene Kurve die Verh~ltnisse, wie sie 10 Minuten nach der ersten Kurve gefunden wurden. In dieser kurzen Zeit hat sich der Bereieh der nachweisbaren Unterschiede am Beckenende um 8,0 mm, am Knieende um 4,5 m m ausgedehnt; dabei hat der unmit telbar am Quersehnitte bestehende Unterschied am Knieende starker nachgelassen, so dai~ er jetzt im Gegensatze zu vorher kleiner ist als der am Beckenende.

Es n immt also - - wie besonders deutlieh aus dem Sehnit tpunkte der beiden Kurven A~ und B~ in Abb. 6 hervorgeht - - bald naeh dem An- legen eines kiinstlichen Querschnittes der Spannungsunterschied zwischen zwei benachbarten Stellen in der N~he des Querschnittes ab; gegen den L~ngssehnitt zu, aber geht eine in den Muskel hinein wandernde Ver- ~inderung an den Fasern vor sieh, die sich in einer Zunahme des Spannungs- unterschiedes zwischen zwei benachbarten Punkten ~iu]3ert.

Hieraus lassen sich die Bedingungen ableiten: unter denen der l~uhe- strom, d. h. der grSl3tm6gliehe Spannungsuntersehied zu- oder abnimmt: Wenn die Abnahme in der l ~ h e des Querschnittes geringer ist als die Zunahme in dem fibrigen Bereiche des Potentialgef~lles, so ergibt dies ein Wachsen des Ruhestromes; im umgekehrten Falle aber eine Abnahme.

Es mag dies an Hand der Abb. 8 n~her erl~utert werden: Die Kurven stammen ,con einem Muskel, dessen Beckenende sieh links befand, und der im Ansehlusse

Pfliigers Archly f. d. ges. Physiol. Bd. ~01. 36

Page 22: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

558 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen at~ Muskel und Nerv

an die Preparation das der Kurve A entspreehende Elektrogramm der Spann- weiten liefer~e. Dann wurde 2 mm yon dem reehts befindliehen Knieende entfernt ein kt~nstlieher Quersehnitt angelegt und gleieh darauf die Kurve B erhalten. Sie l~uft bis zu einem nieht ganz 12 mm vom Quersehnitte iiegenden Punkte mit der Kurve A zusammen- dieser Punkt H entsprieht dem Maxhnum der reinen Kurve der Spannweiten. 20 Min. danaeh wurde die Kurve C gewonnen. Sie deekt sich in ihrer linken I-IMfte nieht mehr mit der Kurve A, sondern hat geringere Ordina~enhShen. Sehr viel starker abet hat der Untersehied zwisehen dem Quer- sehnitte und dem rechts abg'etrennten Muskelstiicke nechgelassen. Der Unter- sehied jedoeh zwischen dem Quersehnitte und etwa dem Punkte M oder dem linken Ende des Muskels hat zugenommen. Diese Zunahme ist dadureh bedingt, dab die Untersehiede zwisehen zwei benachbarten Stellen in der N~he des Maxi- mmns H zugenommen haben, (z. B. zwisehen den beiden Punkten a s bl). Naeh dem Quersehnitte selbst hin aber haben die Untersehiede abgenommen (z. B:zwischen den beiden Punkten a und b). Wenn es nun trotzdem zu einer Zunahme der Gesamt- unterschiede gekommen ist, so kann dies nut darauf beruhen, dag die Zunahme in der N~he des Maximums die Abnahme in der N~he des Querschnittes tiberwiegt.

Aus d i e sem Verha l~en g e h t he rvo r , dab die Z u n a h m e des R u h e s t r o m e s

in d iesen F ~ l l e n n i e h t - - wie die y o n E. du Bois-Reymond b e o b a e h t e t e - -

e ine sehe inbare , n u t m e t h o d i s e h b e d i n g t e ,

/~ sonde rn e ine t a t s~eh l i ehe ist. E i n e S~tue-

r u n g der E l e k t r o d e v o m Q u e r s e h n i t t e

aus k o m m t desh~lb gar n i eh t in F r a g e , / / ;'....~ / B wei l die E l e k t r o d e n in den Z w i s c h e n z e i t e n

/ zwischen den A u f n a h m e n an d e m u n v e r - , l e t z t e n Muske l ende l agen ; die W a n d e r -

�9 I

!:..~ .:5" e l e k t r o d e be r t ih r t e also n u t w ~ h r e n d der

i Y k u r z e n Ze i t des Vor f ibe rg le i t ens den Quer- J

ADD. S. s chn i t t . A u g e r d e m w u r d e n Muske l u n d E l e k t r o d e n in den Z w i s e h e n z e i t e n wieder -

h o l t m i t g i n g e r s c h e r L 6 s u n g be t rop f t . Diese Z u n a h m e des R u h e -

s t r omes w u r d e in e twas m e h r Ms der H ~ l f t e a l ler Fhl le b e 0 b a c h t e t .

I n d e n i i b r igen K u r v e n is t die A b n a h m e in der N ~ h e des Q u e r s e h n i t t e s

so s t a rk , d a b sie de r Z u n a h m e in de r N ~ h e des M a x i m u m s g l e i e h k o m m t

ode r sie sogar i ibe rwieg t . Das E r g e b n i s is t d a n n e in anf~ngl iehes

G le i chb le iben ode r sofor t iges A b n e h m e n des t~uhes t romes .

Ein solehes Verhalten ist in Abb. 9 wiedergegeben: Naeh einer m6gliehst nahe am reohts befindlichen Beokenende angebraehten Striehquetsehung wurde die Kurve B erhalten, die sieh in ihrem linken Teile mit der vor dem Anlegen des Querschnittes gewonnenen, sehwach punktierten Kurve A deckt, bis sic etwa 6 mm vor dem Quersehnitte abbiegt. Die Kurve C entsprieht dem i Stunde sphter orhalfenen Elektrogramm. In diesem l~alle war iiberhaupt keine Zunahme des Gesamtunterschiedes, sondern naeh einem anf~ngliehen Gleiehbleiben eine all- m~hliehe Abnahme fes~zustellen; obwohl die Untersehiede zwischen zwei benaeh- barren Stellen in der N~he des vorriiekenden Maximums gr6Ber wurden. Abet die Abnahme der Unterschiede in des" Ns des Quersehnittes muB so stark g'e- wesen sein, dab sie der Zunahme in der N~the des Maximums anfangs gleiehkam und sie dann sogar iiberLraf.

Page 23: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit I]:ilfe der Wanderelektrode. I. 559

Die Abb. 9 wurde noch aus 3 anderen Griinden als Beispiel gew~hlt: Zunachst um zu zeigen, wie die yon der Pr~paratlon herriihrenden Unterschiede, die in diesem Falle eine unregelm~l]ig gezackte Kurve ergaben, allm~hlich abklingen. - - Ferner mn zu zeigen, dab diese Unterschiede besonders schnell innerhalb des Be- reiches des Potentialgef~tlles verschwinden; denn in der Kurve C ist nichts mehr yon der Zacke x der Kurve B zu bemerken. - - Sodann aber ist aus ihr auch noch zu ersehen, daft ein m6glichst nahe an der Sehne angebrachter Querschnitt eine verh/~ltnismaBig geringere Stromstarke und ein n~theres Heranrficken des Maximums an den Querschnitt zur Folge hat als ein Querschnitt, der weiter in den Muskel hinein angelegt wird.

W o v o n es abh~ngt , dab der R u h e s t r o m zu- oder a b n i m m t , konn te t ro tz zahlrei.cher auf diese F r a g e ger ich te te r Versuche n ich t sicher fest- ges te l l t werden. Vielleicht spiel t dabe i die Lage des Quersehni t tes m i t eine l~olle, denn die Zunahme wurde h~ufiger beobach te t , wenn der Querschni t t am Beckenende lag; v ie l le icht k o m m t auch die E n t f e rnung des Querschni t tes yon dem Muskelende in Be t rach t . Die mechanische Spannung , un t e r der der Muskel s teht , scheint hierbei n ich t wesent l ich in F r a g e zu kommen. Ob es ein bloBer Zufal l war, dab bei den im M~rz und Apr i l anges te l l t en Versuchen, wo die Tiere aus dem Win te r sch la I herausgeh01t wurden, ohne Ausnahme ein Anste igen des t~uhe- s t romes gesehen wurde, w~thrend ers t im Mai ein wechselndes Verha l t en au f t r a t , muB vorl~tufig dah inges te l l t bleiben. Zu-

t

"'~176 "'"~" ~

Abb. 9.

weilen wurde an verhMtnism~Big k ra f t igen Tieren gleich eine A b n a h m e , an s t a rk abgemager t en aber eine anf~ngliche Z una hme gefunden. Die grSBte beobach t e t e Zunahme be t rug 28,6% der ursprf ingl ichen S t rom- st~rke.

Zusammenfassend w~re also fiber diese ers ten J~nderungen folgendes zu sagen: Der Bereich des Potent ia lgef~l les dehn t sich mi t e iner a]l- m~hl ich immer geringer werdenden Geschwindigkei t aus. Dabe i n e h m e n die Untersch iede zwischen b e n a c h b a r t e n Stel len innerha lb dieses ganzen ge re i ches nach der Grenze gegen den L~ngsschni t t zu; in der N~he des Querschni t tes aber ble iben sie meis t einige Zeit gleich oder nehmen sofor t l angsam ab. I s t die Zunahme dieser Tei lunterschiede grSBer als die Abnahme , so k o m m t es zu einer n ich t nur schcinbaren, sondern ta t shch- l ichen Zunahme des Gesamtuntersch iedes , des sog. l~uhestromes.

Liegt eine solchc Zunahme vor, so h a t sic gewShnlich in 10, sp~tes tens abe r in 20 Minuten ihren H S h e p u n k t erreicht . V o n d a ab i iberwiegt die A b n a h m e der Untersch iede in der N~he des Quersehni t tes die noch wei tergehende Zunahme in der Nhhe des Maximums. Die A b n a h m e des l~uhest romes geht dann al lm~hlich immer wel ter bis zur vol ls t~ndigen St romlosigkei t . Dabe i lassen sich an dem E l e k t r o g r a m m der Spannwei t en wei tere J~nderungen beobachten .

36*

Page 24: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

5 6 0 E. Koch: Elektrographisehe Untersuchungen an Muskel und Nerv

Die Anderungen des ;Elektrogramms der Spannweiten.

b) In der spiSteren Zeit bis zum Absterben des Muskels. Literatur: Auch was iiber diese sp~teren Ver~ndernngen in der Li tera tur zu

l inden war, griindet sich ausscMie/]lich auf Untersnehungen mi t Ableitung yon nur 2 Punkten ; bezieht sich also nur auf Gr613en~nderungen eines yon 2 bes t immten Punk ten abgeleiteten Spannungsunterschiedes.

Die ersten Angaben dari iber r i ihren yon C. Matteucci (1842) ~) her. Nach ihm soU die Dauer des Stromes umso kleiner sein, je h6her die Tiere auf der Rang- leiter der organischen Wesen stfinden. Nach der yon E. du Bois-Reymond zu- sammengestell ten Tabelle der yon Matteucci angegebenen Zahlen sell der Strom an halben Frosehschenkeln bei Ablei tung yon Knie und Schenkeldurchschnit t innerhalb 15 Min. - - in Prozenten umgerechnet - - auf etwa 73%, innerhalb einer Stunde auf 36~45~o und innerhalb 24 Stunden auf 9 - - 1 4 % sinken.

Aueh E. du Bois-Reymond (1849) 2) l and anf~nglich den Strom an heraus- geschnit tenen Muskeln in fortw~hrender Abnahme begriffen und endlich mi t der Totenstarre ganz versehwinden. Aber die Abnahme ging weniger sehnell vor sich, Ms Matteucci angegeben ha t te ; zahlenmal~ige Belege sind aus bes t immten Griinden nicht angegeben. Aller Wahrseheinlichkeit nach sollte dabei eine Gesetz- m~l]igkei$ insofern bestehen, als die Kurve anf~ngHch umso steiler abf~llt, je gr61~er die urspriingliche Kraf t war. W~hrend der letzten Stadien beobachtete er n icht selten eine sehnell, ohne alle bekannte Veranlassung sich einfindende Umkehr der Stromrichtung, so dal3 der L/~ngsschnitt negativ, der Querschnit t aber posit iv wird.

Weitere Messungen fiber den zeitlichen Verlauf des Muskelstromes sind -con T. Regnauld (1854) 3) mitgeteflt. E r sah die Kraf t der mi t Knies tumpf und Quer- schni t t aufgelegten unteren Oberschenkelh~lf~e des Frosches yon 9 - - 1 0 E i n - hei ten innerhalb 31 Min. auf 3 - -4 Einheiten, innerhalb 73 Min. auf 3 - -2 und innerhalb 193 Mhl. auf 1 Einhei t und darunter fallen; zuerst also schnetler, darm immer langsamer. Aus den Mitteilungen geht n icht hervor, zu weleher Zeit and bei welcher Temperatur die Versuche angestellt waren, sowie auch nicht, wie die Muskeln vor dem Vertroclmen geschfitzt waren.

Sparer land dann E. du Bois-Reymond (18674)) gelegentlich, ohne besondeer hierauf gerichtete Versuohsreihe an Winterfr6sehen im geheizten Zimmer ein ent- sohieden langsameres Absinken an einzelnen querdurchschni t tenen Oberschenkel- muskeln. So sank die Kraf t im Mit~el aus 6 Beobachtungen binnen 30 Min. nu t auf etwa 0,75, b innen 60 Min. auf 0,59 des urspriingliehen ~rertes. Noeh nach 120 Min. betrug am Grazilis die Kraf t 0,38 des Anfangswertes; sie war also ver- ha lmism/~ ig noeh fast so groB, wie Regnauld sic nach 31 Min. angibt. An diinneren Muskeln sell die Abnahme schneller sein als an diekeren.

Eine noeh gr61~ere Dauerhaft igkeit gibt Th. W. Engelmann (1877) 5) an. Er tmtersuchte in den Monaten Augus~ bis Oktober herausgeschnit tene Sartorien yon Esculenten, die bei einer Zimmertempera tur yon 12--25 ~ auf einer Glasplatte in einer feuchten K a m m e r lagen. Abgeleitet wurde von dem 2 mm veto Beokenende

1) Arch. de l'61ectr, m6d. 2, 449, 628. 1848. - - Ann. deehim, et de physique. 3. S6rie, 6, 334, 338. (NaehE. du Bois.Reymond, Untersuehungen I I , Teil 1, 144.)

2) Un~ersuchungen II , S. 148ff. 3) Cpt. rend. hebdom, des s6ances de l 'acad, des sciences 38, 890. 1854.

Arch. des sciences physiques et naturelles 27, 47. (Nach E. du Bois-Reymond, Ges. Abh. II , S. 229.)

a) Ges. Abh. II , S. 196 und 228. ~) Pflfigers Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 116. 1877.

Page 25: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 561

entfernten ktinstlichen Querschnitte und dem mittleren Drittel der L~ngsseite. Hierbei sank die Kraft innerhalb einer Stunde auf 86,1%o des ursprtinglichen ~Vertes.

Die yon /L Ni~olaides (1889) 1) fiir den Froschsartorius gefundenen Werte stehen denen yon E. du Bois-Reymond angegebenen wiederum n~her: binnen 30 Min. ein Absinken auf etwa 78~o , binnen 74 Min. auf 67% und binn~n 2401VIin. auf 44~o der ursprfinglichen Kraft.

Ein yon einem einzigen Versuch am l~roschgastroknemius herrtihrendes zahlen- maBiges Beispiel ist auch bei N. Cybulski (1912) 3) zu finden. Danach fiel bei Ab- leitung yore ktinstlichen Querschnitte und freiem Ende die elektromotorische Kraft innerhalb 30 Min. auf 63,1%, innerhalb einer Stunde auf 54,6~o des A~fangs- wertes ab.

Eigene Versuche: Bei diesen bis zu mehreren Tagen dauernden Ver- suchen warde der Muskel dadurch vor dem Vertrocknen geschfitzt, dab er mit einem Streifen Fliel~papier iiberdeck~ wurde, der in ein nahe unter dem Muskel angebrachtes Gef~l~ mit l%ingerlSsung eintauchte. Auf ein p lanm~iges Veffo]gen der im Laufe der Zeit erfolgenden J~nderungen eines zwischen zwei bestimmten Punkten bestehenden Spannungs- unterscniedes kam es in den eigcnen Versuchen weniger an; es wurden desha[b auch nur dann einzelne Stichproben gemacht, wenn die Kurve der Stromst~rken Besonderheiten zeigte. Die so gefundenen Zahlen liegen tibrigens durchaus innerhalb der in der Literatur bereits festgelegten Grenzen. Merkwfirdig war nut, wie verschieden sich die einzelnen Muskein auch bei mSglichster Gleichheit der Versuchsbedingungen verhielten : An anscheinend gleichstarken Muskeln yon Tiercn der gleichen Sendung bei gleicher Aul~entemperatur sank der Strom zuweilen auffallend schneU, w~hrend er sich in anderen F~llen sehr lange hielt, ohne dal~ ftir diese Verschiedenheit ein Grund zu ersehen gewesen w~re.

In den eigenen Versuchen wurde vielmehr die Besonderheit der Me- thodik der Wanderelektrode ausgenutzt, also die ~nderungen in der Ver- teilung der Unterschiede innerhalb des ganzen Muskels verfolgt. Diese mSgen an Hand eines typischen, in der Abb. 10 wiedergegebenen Bei- spieles besprochen werden:

Es handelte sich dabei um einen Muskel, der nach der Preparation keine hier in Betracht kommenden Unterschiede zeigte. Die stark aus- gezogene Kurve A entspricht dem unmittelbar nach Anlegen des Quer- schnittes an dem links befindlichen Beckenende aufgenommenen Elek- trogramm der Spannweiten. 10 Minuten sparer wurde die stark punk- tierte Kurve B erhalten, an der aul~er einer betr~chtlichen Zunahme der OrdinatenhShen auch die Verschiebung des Maximums deutlich ist. Das 5 Minuten sp~ter gewonnene, in der Abbfldung nicht wiedergegebene Elektrogramm der Spannweiten zeigte bereits die beginnende Abnahme. Dabei aber wanderte das Maximum langsam weiter vom Querschnitte

l) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, S. 73. 3) Arch. internat. II, 448. 1911.

Page 26: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

562 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und bTerv

fort, wie die 5 S tunden nach dem Anlegen des Querschnit tes erhaltene Kurve C zeigt. Durch Kompensa t ion liel3 sich feststellen, dub diese Kurvenve r~nde rung wesentlich durch eine Jknderung der Spannungen bedingt war. Der Bereich des Potentialgef~lles n i m m t also im Laufe der Zeit allm~hlich noch welter zu. Der Abfall der Kurve vom Maximum ~ber ist noch der ersten Kurve A etwa parallel. I m Laufe der folgenden S tunden wird d a n n der Kurvenans t i eg immer flacher; dabei rfickt der F u B p u n k t der Kurve immer weiter yon dem Querschnit te weg, wie es in der Kurve D 24 S tunden nach dem Anl(~gcn des Querschnit tes zu sehen ist. W~hrend dieser Zeit aber beg inn t auch an dem anderen n icht ver le tz ten Muskelende eiue Ver~nderung, die sich dar in ausdri ickt , da~ der Abfall der Kurve nach dem Ende hin viel steiler wird; durch Kompensa t ion ]iel~ sich zeigen, da~ diese Jknderung wesentlich dadurch

C5

bedingt war, dab an dem freien Muskelende eine Negativitht auftrat. Diese steigt bis zu einem gewissen Werte an und kann der Nega- tivit~t an dem mit Querschnitt versehenen Ende gleichkommen. Ist die Negativit~t des unverletzten Muskelendes aber nur gering, so kann, wie im vorliegenden Beispiele, das Maximum der Kurve noch welter nach dem freien Muskelende riicken. Innerhalb der n~chsten Stunden werden dann alle diese Unterschiede allm~h]ich geringer; dabei riickt

Abb. 10. der l inke Fu•punkt der Xurve immer weiter

vom Querschnit te weg (Kurve E). SchlieBlich ist an dem to tens ta r ren Muskel i iberhaupt kein Unterschied mehr wahrzunehmen.

Die Zeiten, in denen diese Folge der Ver~nderungen sich abspielt , k6nnen innerha lb welter Grenzen schwanken. Die beschriebene Ar t des al lgemeinen Verlaufes aber lieI~ sich in 5 F~tllen yon curaresierten Muskeln regelm~gig beobachten.

Ein ~berblick fiber die verschiedenen Kurven der Abb. 10 ergibt, dab man beim Beobachten der zeitliehen Anderungen des sog. l~uhestromes sehr vet sehiedene Werte erhalten wird, je nach den Stellen, yon denen man ableitet. Wenn man vom Quersehnitte und etwa der Muskelmit~e ableitete (Strecke a--b), so wiirde man so lange die gr6Btm6g]iche Sparmung erhalten, wie der Bereich des 1)otentialgef/~lles noch nich~ fiber die Ableitungsstelle b hinaus gewander~ w~re. Von dann ab wfirde man nur einen Teil ableiten. Aber auch bei der Ableitung vom Querschnitte und dem anderen freien Muskelende wtirde man in den sp~teren Stunden ltich~ mehr die durch den Querschnitt selbst bedingten Spannungen er- halten, sondern einen zu geringen Wert bekomrnen, well die entgegengesetzt ge- richteten StrSme an dem h'eien Ende mit in dem Stromkz'eise ]~gen. - - So mug der grol]e Unterschied in den vorhin erw~hnten Ergebnissen der in der Li~eratur vorliegenden Untersuchungen fiber die zeithchen ~nderungen des Muskelstromes zum Tell auch darauf zurfickzufiihren sein, dub die Ableitungsstellen nicht die gleichen waren. - -

Page 27: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 563

Aus den beschr iebenen Ver~nderungen der K u r v e n ergeben sich noch einige A n h a l t s p u n k t e fiber die Ar t , wie ein mi t Quersehni t t ver- sehener Muskel abs t i rb t .

Von L. Hermann [1867 1)] is~ zuerst genauer beschrieben worden, wie der Ab- sterbevorgang yore Querschnitte aus naeh der Mitre des Muskels hin weiterkriecht. Insbesondere gibt E. Hering [18882)] hierfiber an: , , . . . der unmittelbar am Quer- schnitt liegende Tell stirbt ab. Dieser tote Tefl geh6rt nieht mehr dem lebenden Continuum an und ist als ein hier unwesentliehes Anh~ngsel zu betraehten. Abet �9 . . das Absterben sehreitet, wie sich an der Muskelfaser unter dem Mikroskop zuweilen direkt verfolgen l~Bt, langsam in der Faser vorw~r t s . . . "

Aueh in den K u r v e n is t dies deut l ieh zu sehen: H ie r r i i ek t der F u l l p u n k t immer wel te r vom Quersehni t te weg, d . h . ein immer gr6ger werdendes, berei ts abges torbenes St i iek des Muskels verh~l t sich wie s in indi f ferenter Lei ter , der an das en t spreehend kle iner werdende , noeh lebende Ganze angeh~ngt ist. Wei t e r aber da f t wohl aus de r Tatsaehe , dab in den sp~teren S tunden aueh an dem anderen n i e h t ve r l e tz ten Ende des Muskels eine Nega t iv i t~ t auf t r i t t , die d a n n wieder verschwindet , geschlossen werden, dab auch yon diesem Ende aus eine Ver~nderung in den Muskel h ine inwander t . Es s t i r b t der Muskel un t e r den gegebenen Versuchsbedingungen hins icht l ich des e lekt r i schen Verha l tens yon seinen E n d e n aus ab, w/~hrend das mi t le re Dr i t t e l a m l~ngsten lebend, d . h . e lek t romotor i sch wi rksam bleibt . Ob diese Stelle dem Nervene in t r i t t e entspr ieht , mutt noeh dahinges te l l t bleiben.

Versuche a m Nerven .

D e r n icht erregte, mit k i ins t l i chem Quersehnit te versehene Nerv.

Zu diesen mi t der gleichen Methodik angeste] l ten Un te r suchungen wurde aussehliegl ieh der u n m i t t e l b a r naeh dem T6ten des Frosches en tnommene Nerv. ischiadicus ve rwandt . E r war gew5hnlich so pr~pa- r ier t , dab er zen t ra l n ieh t du rchschn i t t en wurde, sondern in Verb indung bl ieb mi t e inem der E in t r i t t s t e l l e des Plexus en tsprechenden , 1 - - 2 cm langen St i icke der Wirbels~ule . H ie rdu rch war eine gu te M6gl ichkei t fiir die F i x a t i o n gegeben, und auge rdem wurde dabe i das Anlegen eines Querschni t tes vermieden. Per i l )her wurde der N e r v meis t d i s ta l yon der Teilungsste]le in Tibial is und Peronaeus abgebunden und durch- sehni t ten . - - Un te r sueh t wurden im ganzen 15 Nerven yon Eseu len ten un te r den gleichen Bedingungen, wie sie bei den Versuehen am Musc. sar tor ius vorlagen.

1) Weitere Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven, tL II , 4--26. 1867. Vgl. auch H. III , S. 44--46. 1868. Pfltigers Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 225. 1877. ttandbuch I, 1. Teil, S. 235. 1879.

~') Lotos, Bd. 9, S. 60. 1888.

Page 28: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

564 E. Koch: Elektrographische Untersuchungea as Muskel und Nerv

Das Elektrogramm der Spannweiten unmittelbar navh dem Anlegen des Querschnittes.

Ebenso wie fiir den Muskel grit auch fiir den Nerven der Satz, dab an der Oberfl~che des mi t seinen nat f i r l ichen End igungen versehenen, n ieh t erregten Nerven ohne kf inst l ichen Querschni t t ke ine Spannungen nachweisbar sindl) . A n dem auI die erw~hnte A r t he rausgeschni t t enen Frosehisehiadicus abe r liegen, aueh wenn keiner le i Quetsshungen e n d Zer rungen wghrend der P r e p a r a t i o n vorkommen, immer mehrere kfinst- l iche Querschni t te vor, sowohl an dem dis ta len Ende, als aueh an den SteUen, we die abge t r enn ten Sei ten~ste abzweigten. Infolgedessen zeigt aueh das E l e k t r o g r a m m der Spannwei t en s tets Unterschiede. Ganz im Gegensatz zu den regellosen Kurver t ve to herausgeschni t t enen Sar- tor ius aber lassen diese K u r v e n eine al lgemeine ~hn l i ehke i t e rkennen ; diese zeigt sieh abgesehen davon, dal~ nach dem dis ta len Ende zu eine N e g a ~ i v i t ~ beginn~, v e t ~]lem dar in , da!5 regelm~/3ig an der Abg~ng- stel le der abgesehni t t enen Oberschenkelgs te eine s tgrkere Nega t iv i t~ t bes teht .

W i r d ein soleher Ne rv mi t e inem ki inst l ichen Querschni t te dureh S t r i ehque t schung versehen - - mSgl iehst an einer Stelle, we keine Unter - schiede bes tehen - - , so en t sprechen die dadurch bed ing ten VerhMtnisse im al lgemeinen genau denen a m Muskel.

Literatur: E. du Bois-Reymond (1849) ~) hatte angegebeD, dab die Gesetze des Nerven- and Muskelstromes ,,bis in die feins~en :Einzelheiten un~ereinander entsprechen"; insbesondere sell dies auch fiir die Kurve der Spannweiten gelten. Seitdem ist diese Ansehauung in der Literatur wohl allgemein vertreten. Eine planm~Bige Untersuchung mit Zahlenbeispielen tiber den Bereich des Potential- gef~lles fiir den Frosehischiadicus scheint nicht vorzuliegen. Es wurde nut eine einzige genauere Angabe gefunden, die gelegentlieh anderer Versuchsziele mehr nebenbei erwahnt wird: P. Gratzner (1883) a) lie/3 dutch L. Nemerowsky untersuehen, wie sich die elektromotorische Kraft des ~ervenstromes ~ndert, wenn die eine Elektrode ~m Quersehnitte bleibt, die andere aber in verschiedener Entfernung davon aufgesetzt wird. Dabei zeigte sich, dab die elektromotorisehe Kraft mit der Entfernung der Elektroden immer grSl]er uad grSl~er wird, bis sie sehliel3Iieh ein Maximum erreicht~ das bet mittelgroi3en FrSsehen einer Spannweite yon etwa 5--7 mm entsprich~. ,,Bet noeh grSl3erer Spannweite der Elektroden nimmt sie dann wieder ab, offenbar weft jetzt auch Stromfaden yon entgegengesetzterI~iehtung in die Fu~punkte der Elektroden eintreten."

Aul~erdem aber liegen noeh zwei weitere Angaben fiber andere Nerven vet: Zuni~chst yon W. Biedermann (1886)a), der die unverzweigten marldosen Nerven- strange zwisehen den beiden vorderen und dem hinteren Ganglion bet Anodonta

1) L. Hermann, Untersuehungenusw. III. Heft, S. 25. 1868. - - W. Biederszanu, Elektrophysiologie S. 639. 1895.

2) Untersuehungen usw. IX, 1. Tell, S. 251ff. 1849. a) Pflfigers Arch. f. d. ges. Physiol. St, 363. 1883 -- Die Disser~abion yon

L. Nemerowslcy, Bern 1883, war nicht zug~nglieh. 4) Wiener Sitzungs-Beriehte 93, 56. 1886. Vgl. besonders die Zahlenbeispie|e

4 und 5 auf S. 60.

Page 29: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 565

cygnea untersuchte. Das eine Ende dieser Verbindungsnerven war 2--5 mm welt abgetStet; die beiden Elektroden wurden in Abst~nden yon 4---6 mm yon diesem Querschnitte aus jedesmal um ihren eigenen Abstand auf dem L~ngsschnitte ver- schoben. Dabei nahmen die Spannungsunterschiede rasch ab, bis sie in einer Ent- fernung yon 10--15 mm vom Querschnitte gleich Null wurden. - - Am Warmbliiter- nerven ist die Spannungsverteilung auf der L~ngsoberfl/~ehe sehr genau yon J. S. Macdonald (1901)1) untersucht. Er mal~ die elektromotorische Kraft zwischen dem Querschnitte und jedem Zentimeter der Langsseite uud steUte die so erhaltenen Werte derart zusammen, dab die L/~nge des Nerven zur Abszisse und die Sp~rmungen zu den Ordinaten wurden. Auf diese Weise erhielt er also eine Kurve der Spann- weiten, die er ,,force diagramm" nennt.

Eigene Versuche." N i m m t m a n yon dem m i t kf inst l ichem Querschni t te versehenen Froschischiadicus das E l e k t r o g r a m m der Spannwei ten auf mi$ der gleichen beim Sar tor ius angewand ten Versuchsanordnung, so erh~l t m a n eine K u r v e der S t romst~rken , die der vom Muskel herrf ihren- den im al lgemeinen genau en t sp r i ch t : Der Ans t ieg is t in der N~he des Querschni t tes a m s te i ls ten u n d e r re ich t in a l lm~hl ich immer f lacher werdenden Verlaufe ba ld ein Maximum, yon dem aus sic ann~hernd gerad- l inig wieder u m einen gewissen Be t rag abf~llt . I m einzelnen aber un te r - scheiden sieh die K u r v e n doch in mehr faeher H ins i ch t : Zun~chst is t d ie abso lu te Ord ina tenhShe be im Nerven viel geringer. Sodann l iegt das M a x i m u m einige Mil l imeter dem Querschni t te n~her ; d ie durehschn i t t - fiche E n t f e r n u n g be t rug 7 , 2 r a m (Mittel aus 6 Bes t immungen ; Max. 9,5 ram; Min. 5 ,0 ram) , gegen 8 ,0- -9 ,3 m m be im Muskel. U n d d r i t t e n s is t der Abfa l l vom Max imum nach dem freien E n d e zu beim N e r v e n bedeu t end stei ler ; fiir je 10 m m Spannwei t e n a h m die S t roms t~rke u m durchschn i t t l i ch 35% ab (Mittel aus 5 M e s s u n g e n ; Max. 43,5%, Min. 33f i%) , gegen 6 ,5% be im Muskel.

Dieses le tz tere Verha l t en erk l~r t sich ohne wei teres dadurch , da9 der W i d e r s t a n d des 57erven ein viel grSBerer i s t als der des Muskels, was eine en t sp rechend grSBere A b n a h m e der S t roms t~ rken zur Folge h a b e n muB. Ob jedoch die be im Nerven ger ingere E n t f e rnung des M a x i m u m s yore Querschni t te in der K u r v e der S t roms t~ rken da rau f be ruh t , daft der Bereich des Potent ialgef~l les wirk l ieh kle iner ist; oder aber, ob dies viel le icht dadu rch vorget&uscht wird, dab infolge des grSBeren Wider - s tandes nur das M a x i m u m der K u r v e n der S t roms t~ rken dem Quersehni t t n&her l iegt als das viel leicht en t fe rn te re M a x i m u m der K u r v e der S p a n - nungen, l~6t sieh n ich t sofort cntscheiden.

Es wurde deshalb s t a t t des E l e k t r o g r a m m s der Spannwei t en die K u r v e der Unterseh iede mi t Hi l fe de r D i f f e r en t i a l -Wande re l ek t roden verzeichnet . E in Beispiel hierfi ir is t in A b b i l d u n g 1I wiedergegeben:

1) Proceed. of the Royal Soe. of London 61, 313. 1901. Es war nur diese vor- l~ufige Mitteilung zug~nglich. In einer bei M. C~'emer, Handb. 4, 861. 1909 abgebil- deten, anseheinend aus der endgtiltigen Darstellung iibernommenen Kurve wird das Maximum derSpannungen in einerEntfernung yon2--3 em vom Quersehnitte erreioht.

Page 30: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

566 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv

Es handel te sich u m einen 73,5 m m langen Ischiadicus, dessen peripheres Ende reehts lag, und an dem proximal und distal je ein Querschni t t angebracht war; die En t f e rnung der beiden Querschnit te betrug 56 mm.

~ ~ Die K u r v e n A 1 und A 2 geben den beiderseit igen Bereich der

B7 -~.-' ~2 naehweisbaren Untersehiede . . . . . . , ,' ~ '" '"- ~ , unmi t t e l ba r nach dem Anlegen

Abb. II. der Querschnit te wieder. Dieser Bereieh wurde durehsehni t t l ieh etwa 3 m m welter gefunden, als die En t - fernung des Max imums yon dem Querschnit te in den E lek t rogrammen der Spannwei ten betI~ug:

Querschni~t immrhalb des Plexus: ill tier NiChe der distalen Teilungsstel te:

Versuch-Nr. 48,132 . ~ ~ . . . 11,5 mm Versuch-Nr. 48,132 . . . . . 9,0 mm ,, 52,138 . . . . . . 9,0 . . . . 51,136 . . . . . 11,0 ,, ,, 53,140 . . . . . . 9,0 . . . . 52,138 . . . . . 13,0 ,, ,, 54,141 . . . . . . 10,0 . . . . 54,141 . . . . . 10,5 ,, ,, 56,145 . . . . . . 10,0 ,, ,, 55,143 . . . . . 10,0 ,,

Mittel: 9,9 mm Mittel: 10,7 mm

Auf Grund dieser Zahlen l~6t sich sagen, da6 die geringere Entfer- n u n g des Maximums vom Querschnit te in der K ur ve der Stromst~rkcn dureh den im VerhMtnis zum Galvanometerkreise grol3en Widers tand des Nerven bedingt ist. ~b r igens zeigen aueh unmi t te lba reMessungen der S p a n n u n g mit tels Kompensa t ion , da~ das Maximum in der Kurve der S p a n n u n g e n welter licgt als in der K u r v e der Stromst~rken. Die dabei gefundenen Werte liegen innerha lb der Breite der mit tels der Differen- t iaI -Wanderelektroden erhal tenen.

Es ist auffallend, dal~ der Bereich an dem distal gelegenen Quersehni t t durchsehni t t l ich etwas grSl3er gefunden wurde als an dem innerha lb des Plexus gelegenen Querschnit te. Die St~rke der able i tbaren Negativi- t~ t abet war in 7 F~llen ausnahmslos am peripheren Quersehni t te kIeiner als an dem proximalenl) .

Vergleicht m a n die mi t der Different ia l -Wanderelektrode gefundenen Werte mi t den entspreehenden, die am Muskel unmi t t e lba r nach dem Anlegen des Querschnit tes erhal ten wurden, so zeigt sieh, dal~ der Be- reich der so nachweisbaren Untersehiede bei beiden etwa gleich is t ; dabei ist aber die absolute Gr6Be der durch einen Quersehni t t bed ing ten Negat ivi t~t beim Nerven bedeu tend kleiner als beim Muskel.

Es zeigen also Nerv u n d Muskel unmi t t e lba r naeh dem Anlegen eines Querschnit tes hinsichtl ich ihres al lgemeinen elektromotorischen Verhaltens durehaus entsprechende Verh~Lltnisse. Eine sehr wesentliche Verschiedenheit zwischen beiden abet t r i t t zutage, wenn ma n die im Laufe der Ze i~ auf t re tenden Ver~nderungen verfolgt.

1) Ausffihrliche Literatur fiber diese Frage des sog. Axialstromes: O. Wei/3, Pfliigers Arch. f. d. ~es. Physiol. 108, 416. 1905. - - M. Cremer, ttandb, 4. 864. 1909.

Page 31: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

mit Hilfe der Wanderelektrode. I. 567

Die zeitlichen A'nderungen des Elektrogramms der Spannweiten. Literatur.. Schon E. du Bois-Reymond (1849) ~) stellte lest, dM] der Ruhestrom

am Nerven ungleich schneller absinkt Ms am Muskel. Bestimmte zeitliche Angaben aber werden nicht angeffihrt; erw/~hnt wird nur, dab sich der Nervenstrom bei Fr6schen ,,mit der Eregbarkeit, unter giinstigen Umst/~nden, bis wei~ fiber die 100. Stunde hinaus erhalten" kann. Auch findet sich die Mlgemeine Bemerkung, dub das Gesetz der Abnahme des l~uhestromes bei Mnskel und Nerv ,,doch wohl ein anderes '~ sei. Ein anf/~ngliches Steigen des zwischen Quer- und Ls ab- leitbaren Stromes, wie er es am Muskel gefunden hatte, konnte er am Nerven nicht wahrnehmen; wohl aber sollen die schwachen L/ingsschnittsstr6me auch am Nerven anf/inglich wachsen k6nnen.

Genauer verfolgt wnrden die zeitlichen Anderungen des Ruhestromes dann yon Th. W. Enqelmann (1877)2). Er untersuchte den in einer feuchten Kammer befindlichen Ischiadicus yon Eskulenten bei einer Zimmertemi0eratur yon 12--25 ~ wi~hrend der Monate August bis Oktober. Auch hier zeigte sich die im Vergleiche zum Muskel rasche Abn~hme des t~uhestromes: es sank die Mektromotorische Kraft innerhalb 1--2 Stunden durchsehnittlieh auf 46,8% (Max. 49,5%; Min. 25,4%). innerhalb 20--24 Stunden durchschnittlich auf 6,7% des Anfangswertes, meistens aber auf Null. Die gleich nach dem T6ten des Tieres herausgeschnittenen Nerven zeigten niemMs ein anf~ngliches Steigen des Ruhestromes. Dagegen lieB sich eine bis fiber 1/~ Stunde lang andauernde Zunahme beobachten, wenn die Fr6sche ausge- bohrt und entblutet einen Tag lang unenthgutet im feuchten l~aume gelegen batten.

Nine auffallend rasche Abnahme des guhestromes am Nerven wurde yon H. Head (1887) a) an Sommerfr6schen im Juni gefunden; bier sunk ~. B. der Ruhe- strom in einem Falle innerhMb 14 Min. auf etwa 1/5 des urspriinglichen Wertes.

Eigene Versuche: Anch in den e igenen Versuchen zeigte sich das im Vergleiche zum Muskel rasche Abs inken des Ruhes t romes am Nerven. Von genauen zahlenmgBigen Fests te l lungen dieses Verlaufes durch Messen der elektromotorischen Kra f t wurde auch hier abgesehen; v iehnehr wurde die Aufmerksamkei t darauf gerichtet, ob sich auch am Nerven der Bereich des PotentiMgefglles ausdehnt , u n d ob das dami t ve rbundene Anwachsen der Unterschiede gegen den Lgngsschni t t zu auch fiir den Nerven gilt.

Aber keines yon beiden konnte am Nerven festgestellt werden: Znngchs t n a h m e n die Unterschiede gleieh im Anschlusse an das Anlegen des Quersehnit tes innerhMb des ganzen Bereiches ab. (Abbfldung 11: Kurve B~ u n d B=; eine Stunde nach dem Anlegen des Querschnittes.) Ob diese Abnahme innerhMb des ganzen Bereiches iiberM1 gleichmggig erfolgt oder - - wie z. B. an dem proximalen Quersehni t te B 1 in Abbil- dung 11 - - in der Nghe des Quersehnit tes rascher als i n der Nghe der Grenze gegen den Lgngsschnit t , wurde n icht genauer verfolgt. JedesfMls aber wurde nie etwas yon einer Zuuahme gesehen. Ferner wurde nie beobachtet , dal~ der Bereich des PotentiMgef~lles grSger geworden wgre. Mit dem baldigen Nachlassen der Gr61~e der SMtenaussehl~ge wird im Gegenteil der Bereich der nachweisbaren Unterschiede kleiner - - wie z. B. an dem distalen Querschnit te B~ in Abb i ldung 11 zu sehen ist.

1) Untersuchungen usw. II, I, 27Iff. 1849. 2) Pfltigers Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 138. I877. a) Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. 41), 222. 1887.

Page 32: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv mit Hilfe der Wanderelektrode

568 E. Koch: Elektrographische Untersuchungen an Muskel und Nerv.

Zusammenfassung. Mit Hilfe eines als Wanderelektrode bezeichneten Verfahrens erh~lt

man yon dem herausgeschnittenen 1Vfusc. sartorius oder •erv. ischiadicus des Frosches eine ununterbrochen ~ortIaufende Kurve, deren Ordinaten die yon dem kiinstliehen Querschnitte und jedem Punkte der ganzen L~ngsseite ableitbaren Stromst~rken angeben.

Ein solches vom Muskel oder Nerv erhalteneElektrogramm der Spann- weiten steigt, wenn die unbewegliche Elektrode yon dem Querschnitte ableitet, und die Wanderelektrode fiber den ganzen Lgngsschnitt her- fibergezogen wird, sehr steil yore Querschnitte aus an und erreicht in all- mghlich immer flachei werdendem Verlaufe bald ein Maximum, yon dem aus sie anni~hernd geradlinig um einen gewissen Betrag abfgllt. Dieses Absinken beruht nicht auf einer Abnahme der Spannungen, son- dern darauf, daI~ mit dem Wandern der Elektrode eine immer grSBer werdende Streeke des Pr~parates in den Stromkreis eingeschaltet wird, was eine entsprechende Zunahme des Widerstandes und Abnahme der Stromst~rken zur Folge hat.

Um den Bereich des PotentialgefMles genauer zu bestimmen, wurden Di/]erential-Wanderelelctroden angewandt, deren Abstand beim Wandern gleich blieb. Auf diese Weise lie~en sich Unterschiede unmittelbar nach dem Anlegen des Querschnittes innerhalb einer am Muskel durchschnitt- lich 10,0 ram, am Nerveu durchschnittlich 10,3 Inm betragenden Strecke nachweisen.

Die Spannweitenkurve der Spannungen eines beiderseits mit kfinst- liehem Quersehnitte versehenen Pr~parates besitzt also nur dann einen dem sogenannten elektrischen ~qua tor entspreehenden maximalen Punkt, wenn die L~nge des Pr~parates kleiner oder gleieh den beider- seitigen Bereichen des Potentialgef~lles ist; wird die L~nge aber grSl~er) so besitzt das Pr~parat eine mit der L~nge waehsende Zone maximaler Spannungen.

Diese Verh~ltnisse bestehen am Muskel aber nur in den ersten Sekunden naeh dem Anlegen des Quersehnittes. Denn der Bereieh des Potentialgef~lles dehnt sich mit einer allm~hlieh immer kleiner werdenden Gesehwindigkeit auf den Lhngsschnitt uus. D~bei werden die Unter- schiede zwisehen zwei benachbarten Stellen innerhalb des ganzen Be- reiches in der N~the des Querschnittes kleiner, in der N~he der Grenze gegen den L~ngssehnitt aber gr51~er. Uberwiegt diese 5rt]iche Zunahme die Abnahme am Querschnitte, so ergibt dies eine eehte an/~ingliche Zunahme des sog. Ruhestromes, d .h . des gr51~tmSglichen Spannungs- unterschiedes.

Am Nerven dagegen konnte weder ein Wachsen des Bereiches des Potentialgef~lles noch eine anf~ngliche Zunahme des Ruhestromes be- obaehtet werden.