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(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universit~t Rostock. Direktor: Prof. Dr. Rosen/eld.) Elektrometrische Bestimmung der Wasserstoffzahl im Liquor cerebrospinalis bei einigen Nerven- und Geisteskrankheiten, insbesondere bei genuiner Epilepsie (mit einer neuen Wasserstoffelektrode). Von Dr. reed. et phil. H. Reichner. Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 22. September 1929.) Nach dem Donnanschen Gesetz der Ionenverteilung beiderseits einer semipermeablen Membran, welches ffir den Fall gilt, dal~ auf der einen Seite der ElektrolytlSsung der Gehalt an indiffusiblen, negativ geladenen Kolloidionen, etwa Eiweil~, grSl~er ist als auf der anderen Seite, m fiBre im Falle der Blutliquorschranke die Konzentration an elektropositiven Wasserstoffionen im eiweil~reichen Blur grSl~er sein als im Liquor. Wiirde umgekehrt, wie dies von einigen neueren Unter- suehern behauptet wird, bei exakter Technik der Beweis zu erbringen sein, dal~ beide KSrperflfissigkeiten die gleiehe Reaktion haben, so wtirde die Anwendung der Donnanregel auf die Blutliquorschranke eine in Anbetraeht der Wichtigkeit des in Frage stehenden Ionenpaares nicht unerhebliche Einschrdnkung erfahren mfissen. Seitdem Eskuchen und Lickint, unter Berficksichtigung der gesamtcn ~lteren Literatur, fiber die Entwicklung der Wasserstoffionenmessung im Liquor, yon den ersten tastenden Experimenten mit Lackmus und ~hnlichen einfachen Farbreaktionen bis zu den neuen gasanalytischen, elektrometrischen und verfeinerten Indicatormethoden, und fiber das Ergebnis ihrer eigenen colorimetrischen Untersuchungen an einem un- gewShnlich gro]3en klinischen Material (n----200) yore methodischen und differentialdiagnostischen Gesichtspunkt aus berichteten, sind nur wenig neue Arbeiten fiber die aktuelle Reaktion der Cerebrospinalflfissig- keit bekanntgeworden. Die/ri~heren Messungen griindeten sich zumeist auf eine viel geringere Anzahl yon F~llen (Bisgaard 3, Kloth. Meier 13, Sahlgren, Presser und

Elektrometrische Bestimmung der Wasserstoffzahl im Liquor cerebrospinalis bei einigen Nerven- und Geisteskrankheiten, insbesondere bei genuiner Epilepsie (mit einer neuen Wasserstoffelektrode)

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Page 1: Elektrometrische Bestimmung der Wasserstoffzahl im Liquor cerebrospinalis bei einigen Nerven- und Geisteskrankheiten, insbesondere bei genuiner Epilepsie (mit einer neuen Wasserstoffelektrode)

(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universit~t Rostock. Direktor: Prof. Dr. Rosen/eld.)

Elektrometrische Bestimmung der Wasserstoffzahl im Liquor cerebrospinalis bei einigen Nerven- und Geisteskrankheiten, insbesondere bei genuiner

Epilepsie (mit einer neuen Wasserstoffelektrode). Von

Dr. reed. et phil. H. Reichner.

Mit 4 Textabbildungen.

(Eingegangen am 22. September 1929.)

Nach dem Donnanschen Gesetz der Ionenverteilung beiderseits einer semipermeablen Membran, welches ffir den Fall gilt, dal~ auf der einen Seite der ElektrolytlSsung der Gehalt an indiffusiblen, negativ geladenen Kolloidionen, etwa Eiweil~, grSl~er ist als auf der anderen Seite, m fiBre im Falle der Blutliquorschranke die Konzentration an elektropositiven Wasserstoffionen im eiweil~reichen Blur grSl~er sein als im Liquor. Wiirde umgekehrt, wie dies von einigen neueren Unter- suehern behauptet wird, bei exakter Technik der Beweis zu erbringen sein, dal~ beide KSrperflfissigkeiten die gleiehe Reaktion haben, so wtirde die Anwendung der Donnanregel auf die Blutliquorschranke eine in Anbetraeht der Wichtigkeit des in Frage stehenden Ionenpaares nicht unerhebliche Einschrdnkung erfahren mfissen.

Seitdem Eskuchen und Lickint, unter Berficksichtigung der gesamtcn ~lteren Literatur, fiber die Entwicklung der Wasserstoffionenmessung im Liquor, yon den ersten tastenden Experimenten mit Lackmus und ~hnlichen einfachen Farbreaktionen bis zu den neuen gasanalytischen, elektrometrischen und verfeinerten Indicatormethoden, und fiber das Ergebnis ihrer eigenen colorimetrischen Untersuchungen an einem un- gewShnlich gro]3en klinischen Material (n----200) yore methodischen und differentialdiagnostischen Gesichtspunkt aus berichteten, sind nur wenig neue Arbeiten fiber die aktuelle Reaktion der Cerebrospinalflfissig- keit bekanntgeworden.

Die/ri~heren Messungen griindeten sich zumeist auf eine viel geringere Anzahl yon F~llen (Bisgaard 3, Kloth. Meier 13, Sahlgren, Presser und

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H. Reichner: Bestimmung der Wasserstoffzahl im Liquor cerebrospinalis. 435

Weintraub je 1, Brock 18, Behrendt 17, McQuarrie 18), so da$ da raus ab- gele i te te Schltisse hins icht l ich der , ,normalen R e a k t i o n " des~Liquors nu r bed ing te Gi i l t igke i t beanspruchen kSnnen. S te l l t m a n wei te r den yon Eskuchen und Lick in t gefundenen mi t t l e r en N o r m a l w e r t (PH = 7,44) neben die Mteren Angaben , so f inder m a n bei verh/~ltnism/~l~ig nu r we- nigen Au to ren pH-Werte um 7,4, w/~hrend die meis ten Befunde eine weir hShere Alkalescenz feststel len. Vergl ichen m i t den fiir die no rmale

0 70 20 30 ~0 50 60 70 80 90 100

lOOxlO-9= Ix Io - y-Neulz~Iphl,

Abb. 1. lJbers ieht tiber die L i t e ra tu r seit 1921. S t a t t der graphischen Dars te l lung der mi t t le ren ~H-Werte , die als Logar i thmen , l inear wiedcrgegeben, n icht vergleichbar sind, graphische Dars te l l tmg der Ausgangswer te [H]' = F • 1 0 - * g pro Liter. Blutbereich p~ 7,28--7,4, also = 53 x 1 0 - ' - - 4 0 • 1 0 - ' . Schmale S~ule = pr[ 7,36-- 7,34 (mit t lere Blutwerte) . M = Methodik, E = e lektrometr isch,

R = gasana]yt isch, J =: kolorimetriseh*.

R e a k t i o n des Blute8 angegebenen Wassers tof fzahlen , dessen PH nach Straub, in t3bere ins t immung mi t den meis ten neueren Un te r suchungen

* Kurz naeh der Drucklegung dieses Diagramms ersehien in Nr. 46 der Klin. Wschr. vom 12. Nov. 1929 der Vorsehlag yon Joos, an Stelle der pn-Skala sich zukfinftig des Ausdrucks Cn = 10 - 9 als ,,biologischer Einheit" der Wasser- stoffionenkonzentration yon K6rpeffliissigkeiten zu bedienen. Joos schl~gt diese ffir alle Darstellungen biologiseher S~ureverh/~ltnisse zweckm~Bige Bezeichnungs- weise, die sich zwanglos aus dem S6rensensehen Wasserstoffexponenten ( = p . ) ergibt, aus den gleichen didaktischen Erw~igungen heraus vor, die uns veranlaBten, bei dem graphisch dargestellten Vergleich der verschiedenen p.-Befunde im Liquor den Weft 1 . 1 0 - 9 als Einheit zu setzen, der, mit dem Faktor F multipliziert, jeweils die wirkliche Konzentration zum Ausdruek bringt.

Unser Wert F entspricht genau dem von Joos vorgeschlagenen Wert ~. Das geht am besten aus seiner Gleichung 2, C~ = ~ �9 10 - 9 hervor, ffir die in unserem Dia- gramm die Gleichung steht: Wasserstoffionenkonzentration = F . 10-9.

Wir haben auf der Tagung nordwestdeutscher Psychiater und Neurologen am 20. Oktober 1929 bereits fiber die didaktiscbe Zweekm/~l~igkeit einer derartigen Nomenklatur~nderung berichtet.

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,,sehr genau konstant auf dem Werte zwischen 7,28 und 7,40 gehalten" ~ird, ergibt sich, daB das Blur normalerweise um ein Vielfaches saurer, in jedem Falle weniger alkalisch ist als die Cerebrospinalflfissigkeit.

So nehmen noch 1929 E. Klemperer und M. Weiflmann als ,,ziem- lich iibereinstimmendes Resultat" der letztj~hrigen Arbeiten (hierzu Abb. 1") an, dab ,,auBer bei schweren pathologischen Prozessen, wie Meningitis, Coma diabeticum, Ur~mie usw., der p~ (des Liquors) stets etwas alkalischer als das Blut" gefunden wurde. Dagegen findet in seinem soeben erschienenen Buch fiber die Blut-Liquorschranke Walter bei einer kritischen Durchsicht der vorliegenden Literatur, ,,dab mit Verbesserung der Methodik die Werte sich immer mehr denen des Serums n~hern. Der P.-Q. betr~gt also wahrscheinlich 1,0!" Es- kuchen und Liekint selbst schreiben am Schlusse ihres Berichtes: ,,Die Wasserstoffionenkonzentration des Liquors ist normalerweise der des Blutes gleich", obwohl sie, bei einer Breite yon TH ~ 7,36--7,50, mit ihrem Mittelwert yon 7,44 die alkalische Grenze des Blutbereiches, dessen mittlerer Normalwert zwischen PH ~-- 7,34 (venSs) und 7,36 (arteriell**) liegt, offenbar fiberschreiten.

Neuerdings hat G. Hal/er ,,mit der Methode von Michaelis" ohne n~here Mitteilungen (Verhinderung der Kohlens~ureverluste!) ein p~ angegeben, ,,das zwischen 7,9 und 8,2 schwankt". Auch er fibernimmt als Ergebnis der bisherigen Arbeiten, dab der Liquor im Verh~ltnis zum Blur ,,mehr alkalisch" sei. N. Gorev und Ch. Chodos untersuchten, ebenfalls colorimetrisch, 104 F~lle, wobei ein p~ um 7,7 im normalen Liquor beobachtet wurde. Die Resultate beider Arbeiten erinnern mit ihren viel zu alkalischen Werten sehr an ~ltere Befunde und beruhen vermutlich auf dem gleichen Fehler, der im Gebiete der Wasserstoff- ionenmessung biologischer Flfissigkeiten seit Jahren im Mittelpunkt der methodischen ErSrterungen steht.

Er beruht auf der Schwierigkeit, bei der Entnahme der zu messen- den KSrpers~fte sowie w~hernd der Untersuchung selbst, das Ab- rauchen yon Kohlens~ure zu vermeiden, da andernfalls die Reaktion, fiir deren Konstanz in einer soeiweiBarmen Fliissigkeit wie dem Liquor, der st~ndig regulierte Gehalt an freier Kohlens~ure in erster Linie maBgebend ist, eine Versehiebung naeh der alkalischen SeRe erf~hrt. Darauf ist es wohl auch zurtickzufiihren, dab auBer von Cestan, Sendrail und LassaUe, welche im Liquor bei Acidose des Blutes ein PH ~ 7,1 bis 7,32 fanden, Abweichungen vom mittleren Blutwert (7,35 ; Michaelis, H6ber, Straub, Schade) bisher nur nach der alkalischen SeRe beschrieben

* tIinsichtlich der ~lteren Befunde (vor 1921), deren Wasserstoffzahlen oft das 5---20fache der Blutkonzentration ausdriicken, verweisen wir auf die kritische Darstellung yon Eskuchen und Lickint sowie yon Walter.

** Landois-Rosemann, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1929.

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im Liquor eerebrospinalis bei einigen Nerven- und Geisteskrankheiten. 437

wurden. Die Berficksichtigung dieser yon Levinsou und neuerdings von Eskucheu und Lickint quanti tat iv untersuchten FehIerquelle ist bei allen fiir die Bestimmung der aktuellen Reaktion kohlens~urehaltiger Flfissigkeiten angegebenen Methoden notwendig, sofern man nicht die auf eine bestimmte Kohlens~urespannung ,,reduzierte Wasserstoffzahl" (Hasselbalch) ermitteln will. Seit langem pflegt man darum, wenn die Bestimmung auf gasanalytischem Wege oder mit Indicatoren erfolgt, den Liquor unter Paraffin aufzufangen.

Nun hat man neuerdings gerade in dieser Sicherheitsvorkehrung wieder eine Fehlerquelle entdeckt, die nach Kloth. Meier und Beck darin besteht, ,,dal~ Spuren yon CO 2 an das ParaffinS1 oder die Schlauch- leitung abgegeben" werden, worauf es auch zuriickzuftihren sei, dal~ ,,die aktuelle Reaktion des Liquors bei beiden Methoden etwas alkalischer gefunden wurde als die des arteriellen Blutes" (Beck und Lauber).

Die verschiedenen Unsicherheiten (Salzfehler, EiweiBfehler, jeweils auf ein bestimmtes System beschr~nkter Temperaturkoeffizient), welche speziell den Indicatormethoden anhaften, sind bekannt.

Eiweii~gehalt und Salzkonzentration liegen nun im Liquor normaler- weise so, daI~ die dadurch entstehenden Mei]fehler praktisch vernach- l~ssigt werden kSnnen. Es fehlen aber bisher Untersuchungen, welche die einzelnen, bei jedem System etwas verschiedenen Korrekturwerte, speziell fiir den Liquor cerebrospinalis exalct bestimmt h~tten, wie es im Falle des Blutplasmas in einigen F~llen geschehen ist (Cullen zit. n. Lehmann) und fiir jede biologische Flfissigkeit gefordert werden muB, sofern man sich nicht mit Ann~herungswerten begniigen will. Die Vernachl~ssigung der Temperaturkorrektur stellt jedenfalls, wie Beck und Lauber auseinandersetzen, bei Indicatormessungen eine nicht unwesentliche Fehlerquelle dar. Im Gegensatz dazu arbeitet die Gas- ]cettenmethode, bei Vermeidung yon CO2-Verlusten , im Gebiete biolo- gischer FliissigIceiten (abgesehen yon dem der Methode eigentiimlichen Mel~fehlerbereich) vSllig /ehler/rei*. Sie mul~ deshalb vor]~ufig als die einzig exakte und sichere Methode bezeichnet werden, die es fiir die Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration im Liquor cerebro- spinalis gibt.

Das Verfahren yon Beck vereinigt die objektive Sicherheit der elektrometrischen Bestimmung mit der Eliminierung yon CO2-Ver- lusten dadurch, da~ zun~chst mit Hilfe eines besonderen Apparates Liquor vom Patienten unter LuftabschluI~ entnommen wird, in jedem Falle bei 37 ~ die native Kohlens~urespannung gasanalytisch ermittelt und dann die Untersuchungsflfissigkeit in einer trichterfSrmigen Elek-

* Der Einwand yon Evans und Lovatt, dal3 durch Reduktion yon CO 2 zu Ameisens~ure an der Platinelektrode ein Fehler yon --PH 0,2 zustande k~me, ist durch Brock (a. a. 0.) erfolgreich widerlegt worden.

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trode, ebenfalls bei 37 ~ mit einem Gemisch aus reinem Wasserstoff und Kohlens~ure von gleichem Partialdruck, wie vorher gemessen, unter st~indiger Kontrolle der C02-Spannung des Gasstromes, durchgespfilt wird, ehe der Untersucher in der fiblichen Weise die Ablesung des Gas- kettenpotentials vornimmt. In dieser Weise untersuchten Beck und Lauber 6 normale Liquoren und fanden dabei pn-Werte yon 7,30 bis 7,36.

So exakt die Methode yon Beck vorgeht, mit welcher aul3erdem der Einflul3 verschiedener C02-Partialdriicke auf die aktuelle Reaktion systematisch bei vitaler Temperatur verfolgt werden kann, so bedeutet doch die getrennte C02-Bestimmung mit nachfolgender Zuleitung eines fortgesetzt zu kontrollierenden Gasgemisches eine nicht grundsi~tzlich notwendige Erschwerung gegenfiber Versuchen, die Untersuchungs. flfissigkeit unter LuftabschluB direkt in die Elektrode zu leiten und so den nativen Zustand ohne besonderen Umweg zu messen. Speziell ffir die Liquoruntersuchung geeignete Elektroden dieser Art sind angegeben worden yon McClendon und yon Schmitt. Die Elektrode yon McClendon arbeitet mit einem Gasraum yon 1,5 ccm, der fiber 0,5 ccm Unter. suchungsflfissigkeit gebracht wird, nachdem die Gasmenge vorher durch Schfitteln mit einer anderen Portion yon 3 ccm derselben Fltissigkeit (~hnlich wie bei den Hasselbalch-Elektroden) in CO~-Gleichgewicht ge- bracht wurde. Ein Kohlens~ureverlust w~hrend der Beschickung ist durch besondere Anordnung der H~hne weitgehend vermieden.

Bei der Fiillung des yon Schmitt angegebenen Modells mul3 dagegen Paraffin in die Elektrode gebracht werden, wenn nicht der einstrSmende Liquor in l~ngere Berfihrung mit Luft kommen soll. Vorversuche zeigten uns, dal3 Paraffinspuren im Elektrodenraum, die zwangsl~ufig mit dem Platinstift in Berfihrung kommen, fast immer die Messung stSrend beein- flussen. Beiden Elektroden ist gemeinsam, dab der Kontakt mit der KC1- LSsung durch unmittelbare Beriihrung der Untersuchungsflfissigkeit mit dem KC1 hergestellt wird, so dab COs in die Wanne diffundieren kann.

Wir arbeiteten datum eine Elektrode aus, die den nativen Liquor direkt zu messen gestattet und dabei die besprochenen Fehlerquellen vermeidet. Ihre Handhabung und Konstruktion soll im folgenden be- schrieben werden :

Versuchsanordnung: Die Lumbalpunktion wird entweder am liegen- den oder sitzenden Patienten vorgenommen. Die Punktionsnadel be- steht, um jede Verunreinigung durch Metallspuren nach MSglichkeit auszuschliel~en, aus einer Kanfile yon reinem Platiniridium, die in einen Ansatz aus Reinnickel eingelassen ist (Abb. 2)*. Die Abflul~Sff- nung mfindet ohne Hahn in eine erst senkrecht, dann schriig abfallende

* Die Punktionsnadel wird in 96proz. Alkohol aufbewahrt und in jedem Falle vor Gebrauch in heiBem Luftstrom getrocknet, lgngere Zeit mit destilliertem Wasser durchgesptilt und schlieBlich 5 Minuten lang in Aqua dest. gekocht.

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kurze Schlauchleitung, welche unmittelbar mit der Elektrode in Ver- bindung steht. Die Elektrode selbst (Abb. 3) besteht aus einem durch 2 Stopfen verschlieBbaren Glasrohr yon 80 mm L~nge und 6,5 mm Innendurchmesser. Der untere Stopfen A tr~gt den 3 mm langen Platin- stilt, der obere B liiuft in eine gebogene Capillare aus und ist mit KC1- Agar gefiillt. Der Zu- und Abflul~ des Liquors geschieht durch seitlich in die Stopfen eingelassene Rillen, und zwar hat der A-Stopfen deren 2, 1 nach auften und 1 nach dem Innenraum der Elektrode zu, w~ihrend in den B-Stopfen nur 1 Rille zur Ableitung eingelassen ist.

Abb. 2. Hal tuag des Apparates w~hrend der Liquorentnahme. Der Mandrin ist so welt zuriickgezogen, dab Liquor in die Elektrode flieBen kann.

Die Haltung des Apparates bci dcr Liquorentnahme, die am ruhigen Patienten ohne jede Assistenz ausgefiihrt werden kann, geht aus Abb. 2 hervor. Die Ablcitung aus der Kaniile in die Elektrode erfolgt, wenn der bis zu einer bestimmten Marke zurtickgezogene Mandrin aus rost- freiem Stahl, der zugleich als praktisch luftdichter AbschluB des Ansatz- stiickes dient, das AbfluBrohr freigibt. Der Liquor steigt nun in dem 2 ccm fassenden Elektrodenraum aufw~rts, flieBt weiter durch eine U-f6rmig gebogene Capillare und gelangt schlieBlich senkrecht abstei. gend in eine 10 ccm fassende Vorlage, deren Boden etwas reines, neu- trales Paraffin enth~lt, welches dutch die nachfliel~ende Liquormenge bis zum oberen Luftrohr des Vorlagegef~Bes gehoben wird und das Ab- rauchen yon Kohlens~ure verhindert*. Dann werden beide Stopfen

* Mit der eigentlich gemessenen Liquorportion kommt das Paraffin, das bier nut als eine Art letzte Sieherung dient, also nicht unmittelbar in Bertihrung.

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dureh halbeDrehung lest geschlossen. W~hrend derFfillung muB darauf geaehtet werden, dab sich nirgends Luftblasen an der Wand der Elek- trode festsetzen. Dureh leichtes Klopfen an die AuBenwand ist das fast stets zu erreiehen.

Bei dieser Technik kommt in jedem Falle nur die erste Portion der ab. gelazsenen Spinal/lii~sigkeit mit Lu/t in Beriihrung. Auflerdem wird die

Elektrode etwa gmal mit Liquor durchgespiilt und dabei mit der nativen Kohlensdurespannung 9e- sdttigt, ehe die letzte Portion, die zur Messung gelangt, dutch Verschlu~ beider Stop/en aus dem Liquor~rom gewissermaflen ,,herausgebrochen " wird.

Nachdem die Elektrode in der angegebenen Weise luftblasenfrei und unter Vermeidung nennenswerter Kohlens~ureverluste mit Liquor beschiekt worden ist, erfolgt die Herstellung des 0,2 ecm fassenden Gasraumes unter Ver- dr~ngung der entspreehenden Fliissigkeitsmenge in folgender Weise: Die mit dem Stopfen A (Abb. 4) nach oben in ein Stativ eingeklemmte Elektrode wird start mit der Punktionsnadel mit dem Sehlauch eines Wasserstoffreservoirs (Kippscher Apparat mit Reinigungsvorlagen) verbunden und der A-Stopfen so gedreht, dab die mit der Au~enlu/t kommunizierende Rille dem Wasserstoffstrom AbfluB gew~hrt. Da- durch wird der noch im Zuflul~rohre befind- liche Liquor hinausgedr~ngt und die H~-Zu- leitung von etwaigen Luftspuren befreit. Nach- dem etwa 1 Minute lang H~ kr~ftig gestr6mt ist, wird der A-Stopfen lest zugedreht, die Schlauch- klemme bei D geschlossen und ffir etwa 20 Se-

Abb. 3. Kons tmkt ions r i f l derElektrode, l/snat.GrSBe, kunden die Rille des B-Stopfens nochmals in a ~ A-stopfen, B = B- Kommunikation mit der ableitenden U-Capil- Stopfen, C = Zulei tungs- capillare. Die Stopfen sind lare gebracht. Dann wird raseh der A-Stopfen so gedreht, wle sie wiihrend der FtUlung stehen miissen, in die auf Abb. 4 festgehaltene Stellung gedreht

und mit Hilfe der Sehraubenklemme E sovie] H 2 in die E|ektrode gedriiekt, dab der platinierte Platinstift naeh der Vorschrift yon Michaelis und Rona genau punktfSrmig eintaucht. Nun werden beide Stopfen sofort wieder geschlossen, die Gasblase wird 300real im Schiittelapparat durehgeschwenkt (w~hrend des Schiittelns fiir Bruehteile einer Sekunde zwecks Druckausgleieh 0ffnung des B-Stopfens), und endlich die Elektrode zur Messung

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des Potent ia l s mi t dem un te ren capil laren Ende des B-Stopfens in das KC1-Gef~B getaucht , mi t welchem die Kalomelelektrode in Ver- b indung steht. Der ganze Appara t ist in Jenaer Glas ausgeffihrt*.

Zu jeder Elektrode gehSren vier B-Stopfen, die s~mtlich gut eingeschliffen sein miissen, da sie im Gegensatz zum A-Stopfen ungefettet eingesetzt werden. Lieder B-Stopfen wird nach Gebrauch mit destilliertem Wasser sorgf~ltig abgespiilt und dann in einem mit KC1-LSsung geftillten Gef~l~ einzeln aufbewahrt. Niemals wixd ein und derselbe Stopfen fiir zwei einander folgende Liquormessungen ver- wendet.

Die Messung selbst erfolgt mit einer CapiUarelektrometer-Rheostatenanordnung naeh Michaelis. ])as endgiiltige Potential stellte sich im Durchschnitt nach 10

Abb. 4. Verkleinerter RiB des unteren Elektrodenteils wahrend der Zufiihrung der Gasblase. A = A-Stopfen, D = Schraubenklemme zum AbschluB der ]~rZufiihrung, E = Schraubenklemme, mit der die Gasblase in die :Elektrode gedriickt wird. Der B-Stopfen ist

nach der Paraffin-Vorlage hin geSffnet zu denken.

bis 30 Minuten ein. Die Kalomelelektrode ist mit einem Fliissigkeitsthermometer versehen.

In jedem Falle wurde der pn-Berechnung (Tabellen yon YlppS) die mit der Temperatur der Kalomelelektrode stets fibereinstimmende Lufttemperatur zu- grunde gelegt. Die Barometerkorrektur (Clark) wurde, da sie in dem yon uns gemessenen Temperaturbereich (15~22 ~ bei festgestellten Druckschwankungen yon 749--768 mm unter 1 MV liegt, vernachlassigt.

Nach ieder Liquoruntersuchung wird in derselben Elektrode eine Kontroll- messung mit Standardacetat durchgefiihrt, um etwaige Potentialschwankungen der Kalomelelektrodeund zuf~lligeFehler auszuschalten. Fiir Liquorund Standard- acet~t werden verschiedene B-Stopfen verwendet. Auf methodische Einzelheiten, besondere VorsichtsmaBregeln, Schwierigkeiten und Fehlerquellen, wie sie bei allen elektrometrischen Bestimmungen der H-Ionenkonzentration zu beachten sind, brauchen wir hier nicht weiter einzugehen.

Wir glauben, dab bet der geschilderten Methode wKhrend der Be-

schickung der Elektrode mi t Liquor ein Abrauchen nennenswer te r

Kohlens~uremengen vermieden wird. Das Verh~ltnis Gasraum : Flfissig- ke i t s raum = 1 : 9 dfirfte weiterhin die theoretische Fehlerquelle einer

CO~-Diffusion in den Gasraum prakt isch n icht in Erscheinung t re ten

* Die Elektrode ist durch die Firma F. W. Kiihner in Rostock, Buchbinder- straBe, zu beziehen. Die Punktionsnadel liefert die Firma Karl Drahn, Rostock, Hopfenmarkt.

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lassen. Auch die kurze Zeitspanne von durchschnittlich 20 Sekunden, w~hrenddessen die H2-Leitung mit dem Elektrodenraum durch eine Capillare kommuniziert, wird kaum zu wesentlichen CO~-Verlusten ffihren. WKhrend der Messung selbst ist der Liquor durch den KC1-Agar v o n d e r KontaktlSsung abgeschlossen.

Auf einen grunds~tzlichen Einwand, der gegen unsere Methodik er- hoben werden kSnnte, mfissen wir noch eingehen. Beck hat mit seiner oben erw~hnten Anordnung eine durchgehende Abh~ngigkeit der ge- messenen Millivoltzahl yon der Kohlensaurespannung und weiterhin eine gesetzmaBige Beziehung zwischen der Temperatur, bei der unter- sucht wird, und der CO~-Spannung gefunden in dem Sinne, dab bei er- h5hter Temperatur die C02-Spannung steigt und der Millivoltwert um so alkalischer ausf~llt, je geringer der CO~-Partialdruck ist.

Er halt darum ffir die Erfassung des nativen Zustandes die Be- stimmung bei vitaler Temperatur ffir notwendig und die Angabe ,,bei Zimmertemperatur" fiir unzureichend; denn ,,die Temperatur in einem Laboratorium schwankt zwischen 18 und 24 ~ Innerhalb dieses Bereiches ist mit CO2-Spannungsanderungen yon etwa 4--5 mm zu rechnen. In dem Bereiche von 18--22 mm, in dem die CO~-Spannungen bei dieser Temperatur liegen, verl~uft die PH-Kurve bereits sehr steil, wodurch die bei solchen Schwankungen bestehende Fehlerbreite bereits sehr erheblich ist und etwa 6--7 Millivolt ----PH 0,1--0,12 betragt ."

Wir bestimmten daraufhin den Mittelwert aller unserer bei 15--17 ~ (n z 6) und bei 20--22 ~ (n ~-9) ermittelten PH-Werte und fanden dabei im 1. Falle 7,35 und im 2. Falle 7,36, also eine Differenz yon PH ~-- 0,01 ~ 1--2 Millivolt, die praktisch iiberhaupt nicht ins Gewicht f~llt. Eine solche, auf verhaltnismal~ig wenige Werte gestiitzte, rein rechnerische l~berlegung kann natiirlich die experimentell gewonnenen Beckschen Befunde nicht ohne weiteres widerlegen. Wir ziehen daraus zunachst nur den Schlul~, dab bei der direkten elektrometrischen Be- stimmung des (bis auf die Temperatur) nativen Liquors, wie wit sie durchffihrten, eine Temperaturdifferenz von etwa 5 ~ Zimmertemperatur ohne merklichen EinfluB auf das MeBresultat bleibt. Der Umstand, dab unsere eigenen PH-Werte mit denen von Beck und Lauber durchaus iibereinstimmen, spricht weiterhin daffir, dab di.e Abhangigkeitsbeziehun- gen zwischen Temperatur, Kohlens~urespannung und PotentialgefKlle dann nicht in Erscheinung treten, wenn, wie das bei unserer Elektrode nach 4maliger'Durchspiilung wohl der Fall ist, die Cerebrospinalflfissig- keit bei vitaler Temperatur und unter Erhaltung des nativen Bestandes an freier CO S in den Me[3raum gelangt.

Wir teilen nun zun~chst tabellarisch unsere mit der beschriebenen Elektrode gemessenen Resultate, soweit sie nicht F~lle von Epilepsie betreffen, mit :

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im Liquor cerebrospinalis bei einigen Nerven-und Geisteskrankheiten. 443

Liquor Nr.

1 2 3 4

I . , ,Normale" .

n = 4, M = 7,36, MV* = 0,02. t mmHg pH

19 762 7,35 (Debilitas) 19 - - 7,38 (Vasomotorische Neurose) 18 762 7,36 (Hydrocephalus) 21 - - 7,34 (Debilitas)

I I . Schizophrenie.

n : 11, M : 7,34, ]VIV = 0,03. Liquor Nr. t m m H g p~

5 19 758 7,38 6 19 762 7,37 7 20 759 7,34 8 15 754 7,42 9 17 749 7,37

10 19 759 7,30 11 20 763 7,34 12 22 764 7,29 13 22 765 7,32 14 19 - - 7,30 15 19 - - 7,33

Liquor ~'r. t m m H g PH

H I . Man i e . . . . . . . . . . 16 19 758 7,40 I V . In /ek t ionspsychose . . . . . 17 19 762 7,38

V. Mening i t i s serosa . . . . . 18 17 - - 7,38 VI . Polysklerose . . . . . . . 19 21 759 7,37

V I I . Pol iomyel i t i s . . . . . . . 20 16 754 7,28

V I I I . Neurolues.

M = 7,39. L i q u o r Nr. t m m H g PH

21 21 759 7,41 (Lues cerebrospinalis) 22 20 - - 7,37 (Lues cerebrospinalis) 23 19 768 7,40 (Tabes dorsalis)

Liquor Nr. t

24 22 25 21 26 18 27 19 28 19

I X . Encephali t is chranica.

n = 5, M = 7,36, MV = 0,02. lilm H g PH

759 7,41 752 7,36 Nr. 27 und 28 = casus idem: 762 7,36 762 7,37 (Vor der Beteiligung der Meningen) 762 7,31 (Nach der Beteiligung der Meningen)

* n = Anzahl der F~lle, M = Mittelwert, MV : Mittlere Variation, t = Mel~- temperatur (S. 441), mm Hg = Barometerstand.

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444 H. Reiehner: Elektrometrische Bestimmung der Wasserstoffzahl

Es ergibt sich aus der Zusammenstellung, dal~ alle gemessenen Werte in einem Bereich zwischen PH ~-- 7,28 und 7,42 liegen. Innerhalb dieser Breite zeigt keine der klinischen Einheiten eine ausgesprochene Tendenz nach der saueren oder alkalischen Seite. Am ehesten kSnnte man noch bei den 3 Fi~llen yon Neurolues yon einer leichten Verschie- bung nach der alkalischen Richtung reden, wie sie Eskuchen und Zickint aueh bei einem Falle yon Endarteriitis luica fanden, w/~hrend Israelson und Krizman im Gegenteil um so ausgepr~gtere serologische Lues- reaktionen feststellten, je kleiner der PH-Wert ausfiel. Bei der Aus- wertung unserer eigenen Befunde scheint uns, ebenso wie bei dem Fall 27--28, wo mit zunehmender Ausbreitung des entzfindlichen Prozesses eine ErhShung der Wasserstoffionenkonzentration einher- zugehen seheint, das Material zu wenig zahlreich, um sichere Schlfisse zu gestatten.

Kliniseh auswertbare Differenzen waren nach den bisherigen Unter- suchungen und vor allem auf Grund der theoretischen Vorstellung, die wir heute fiber die notwendige Konstanz der Wasserstoffzahl (Isohydrie) in den KSrpersi~ften haben, nicht zu erwarten. Dem entsprieht auch, dal~ bei den mit leicht entzfindlich ver/~ndertem Liquor einhergehenden Fi~llen von ehronischer Encephahtis, Poliomyehtis, Infektionspsychose und Meningitis serosa nicht, wie das etwa bei der Meningitis purulenta yon Shearer und Parsons, Kloth. Meier, Waltner, Eskuchen und Lickint beobachtet wurde, ein dekompensiertes Alkalidefizit (bzw. Kohlens~ure- fiberschu]~) und damit eine deutliche Verschiebung der Reaktion nach der sauren Seite in Erscheinung trat .

Ein Vergleieh mit den /iir das Blur angegebenen Zahlen (S. 436) Idiflt eine au]3erordentliche ~)bereinstimmun9 zwischen Blur und Liquor er- kennen.

Eine 2. Gruppe untersuchter Liquoren betraf 11 typische F~lle von genuiner Epilepsie mit tonisch-klonischen Kr/~mpfen, denen 14 Tage lang vor der Punktion das Luminal entzogen worden war:

n

Liquor Nr. t mm Hg pH

29 18 758 7,41 30 19 758 7,42 31 18 762 7,40 32 15 756 7,25 33 19 - - 7,31 34 18 758 7,38 35 20 - - 7,35 36 21 - - 7,34

X. Genuine Epilepsie. a) extraparoxysmal. = 8, M = 7,36, MV = 0,05.

(letzter Anfall vor einigen Stunden) (letzter Anfall vor einigen Monaten) (letzter Anfall vor 3 Wochen) (letzter Anfall vor 8 Tagen) (letzter Anfall vor 2 Tagen) (letzter Anfall vor einigen Tagen) (letzter Anfall vor 14 Tagen) (letzter Anfall vor 6 Stunden)

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im Liquor cerebrospinalis bei einigen Nerven- und Geisteskrankheiten. 445

b) paroxysmal*.

n ~ 4 , M~7,35, MV~0,03. Liquor Nr. t mm Hg

37 21 753 38 17 758 39 18 758 40 19 758

W~hrend auf Harn (de Crinis, wechselstSrungen Alkalose ffir die

PH

7,40 (10 Minuten postparoxysmal) 7,37 (15 Minuten post-, 3 Min. pri~paroxysmal) 7,32 (Nr. 39 und 40 = casus idem, unmittelbar 7,33 bei Beginn der An/dUe)

Grund zahlreicher Untersuchungen im Blut und im Dautrebande, Vollmer, Bigwood) schon li~ngst Stoff- entweder in der Richtung einer Acidose oder einer Genese des genuinen Krampfanfalles verantwortlich

gemacht worden sind (Georgi, Wuth), ist die Wasserstoffzahl bei Epi- leptikern im Liquor bisher nur wenig untersucht worden. Patterson und Levi fanden bei 50 Fi~llen, ebenso Eskuchen und Lickint (n ---- 3) PH in normalen Grenzen. Beobachtungen fiber die aktuelle Liquor- reaktion unmittelbar bei Beginn des Kramp/an/alles fehlten unseres Wissens bisher vollst~ndig, obwohl theoretisch in diesem Stadium noch am ehesten eine etwaige Dekompensation nach der sauren oder alkalischen Seite erfaBt werden k6nnte.

Wit mi2ssen au/ Grund unseres FaUes 39/40 das Bestehen einer die Wassersto/]zahl beein/lussenden prdparoxysmalen St6rung des Sdiure- basengleichgewichts im Liquor verneinen.

Bei den in Gruppe X zusammengefaBten Liquoren, die in der an/alls- /reien Zeit entnommen wurden, linden wit ebenfalls im allgemeinen normale Werte. Auffallend ist die ziemlich erh6hte Mittlere Variation

0,05, die fiir eine gewisse Labilitgit der Realdion spricht, wie sie als Eigentiirnlichkeit der humoralen Verh~iltnisse beim Epileptiker schon frfiher yon Frisch und neuerdings yon Stark angenommen wurde. Eine postparoxysmale Acidose, die beim Blut als Folge der dutch die Krampf- bewegungen gesteigerten Phosphatausschwemmung fibereinstimmend angegeben wird, konnten wir bei unserem einen daraufhin untersuchten Fall (Nr. 37) nicht finden.

Als haupts~chlichstes Ergebnis unserer Untersuchung w~ire also festzustellen, dab die Wasserstoffionenkonzentration der Cerebrospinal- flfissigkeit im wesentlichen gleich der des Blutes ist (Breite PH ---- 7,25 bis 7,42, n ~ 40, M ~ 7,35, MV ~ 0,03). Vergleichen wir damit die bisherigen Angaben der letzten 8 Jahre (Abb. 1), so linden wir, dab auBer Shearer und Parsons, sowie (ann~hernd) MeQuarrie**, die beide

* Bei Nr. 38 (Status epilepticus) folgten zwei Anfalle kurz hintereinander. Liquor Nr. 39 und Nr. 40 wurde an zwei verschiedenen Tagen entnommen.

** Nach Eskuchen und Lickint soll auch McClendon 1918 gleiche Werte fiir Blur und Liquor gefunden haben.

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446 It. Reiehner: Elektrometrische Bestimmung der Wasserstoffzahl

colorimetrisch arbeiteten, nur Beck und Lauber auf dem oben angedeu- teten Wege (S. 437), elektrometrisch, zu dem gleichen Resultat gelangten. Eskuchen und Lickint bedienten sich ebenfalls einer Indicatormethode; fiberlegen sind sie den fibrigen Untersuchungen durch die grol~e Anzahl der gemessenen Fi~lle. Sie geben zun~chst 80 Liquoren an, ffir die sie , ,Normalwerte" zwisehen 7,35 und 7,5 mit einem Mittelwert von 7,44 fanden, in deren Bereich allerdings auch die allermeisten Liquoren ihrer ,,pathologischen" Fi~lle zu rechnen sind, da yon den im ganzen ,,ctwa 200 Fhllen" i iberhaupt nur 9 als abnorm angegeben werden. Demgegen- fiber stehen 6 , ,normale" Liquoren yon Beck und Lauber* und unsere 40 F~lle, die mit der Gaskette gemessen sind. Trotz der zahlenm~Bigen ~berlegenheit der untersuchten Liquoren bei Eskuchen und Liekint glauben wir, besonders in Anbetracht der geringen Mittleren Variation unserer Zahlen yon nur 0,03 und des Umstandes, dal] der Mittelwert yon Eskuchen und Lickint yon uns in keinem Falle erreicht wurde, da$ die Differenz zwischen beiden Ergebnissen auf die grSi]ere Zuverl~ssig- keit der elektrometrischen Methodik zurfickzuffihren ist, sofenl diese in der beschriebenen Weise unter Vermeidung yon C02-Verlusten ar- beitet. Am n~chsten kommt unserem l%esultat dann noch Kloth. Meier mit durchschnitthch PE = 7,4 (n ~ 13), wKhrend die Differenz der yon Eskuchen und Lickint und uns errechneten Mittelwerte ~ 0,09 einem Unterschied der Wasserstoffionenkonzentration yon ca. 25% entspricht.

Schmitt (PH = 7,4---7,8; S. 438), sowie Presser und Weintraub, die (Abb. 1) auBerdem noch mit der Gaskette gearbeitet haben, weichen dagegen um ca. 80% bzw. um das 22fache (Presser und Weintraub) yon unserem Mittelwert nach der alkalischen Seite hin ab. Hier dfirfte wohl die unzureichende Berficksichtigung des Kohlens~urefehlers in erster Linie verantwortlich zu machen sein.

Zusammen/assung.

Die Wassersto//ionenkonzentration der Cerebrospinal/liissigkeit ist nor- malerweise, sowie bei Schizophrenie, Manie, In/ektionspsychose, Menin- gitis serosa, Polysklerose, Poliomyelitis, Neurolues, Encephalitis und Epilepsie der des Blutes gleich und um/a[3t eine Spanne zwischen PH ~ 7,25 und 7,42 mit nur geringer MV.

Die bisher angegebenen, insbesondere nach der alkalischen Seite iiber diese Spanne hinausgehenden Durchschnittswerte beruhen au/ /ehlerha/ter Methodik.

Bei Epileptikern ist eine gr6[3ere Mittlere Variation der ge/undenen Werte /estzustellen.

* Fall 7 ist eine Meningitis-Tbc., kurz ante exitum: p~ =- 7,19.

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im Liquor cerebrospinalis bei einigen Nerven- und Geis teskrankhei ten. 4 4 7

Z u Beginn des Kramp/an/alles gemessene Werte /allen in die Spanne des Normalen.

Die Verteilung der H- und OH-Ionen beiderseits der Blutliquor- 8chranIce /olgt nicht dem Donnanschen Gesetz.

M e i n e m Chef , H e r r n P ro f . D r . Rosen/eld, d e r die A r b e i t a n r e g t e u n d

i n d e s s e n K l i n i k die M e s s u n g e n d u r e h g e f i i h r t w u r d e n , d a n k e i c h f i i r

d a s s t e r e I n t e r e s s e , d a s e r m e i n e r A r b e i t w i d m e t e . H e r r n P r o f .

D r . Schade d a n k e ich , d a ~ er m i r G e l e g e n h e i t g a b , i n s e i n e m K i e l e r

p h y s i k o - e h e m i s c h e n L a b o r a t o r i u m die M e t h o d e d e r G a s k e t t e n m e s s u n g

z u e r l e r n e n u n d f i i r d ie k r i t i s c h e A n t e i l n a h m e , d ie e r d e m F o r t g a n g

d e r U n t e r s u c h u n g e n t g e g e n b r a c h t e .

L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s .

1 Eskuchen und Lickint, Einzelbeitr~ge zur normalen und pathologischen Physiologie des Liquor cerebrospinalis. II . Mitt. Die Wasserstoffionenkonzen- t ra t ion im Liquor ccrebrospinalis. Dtsch. reed. Wschr. 192~, 651. (Dort auch Angabe der ~lteren Literatur . ) - - 2 Bisgaard, Biochem. Z. 1914, H. 1. - - 3 Meyer, Klothilde, Biochem. Z. 124, 137 (1921). - - 4 Sahlgren, Miinch. med. Wschr. 1922, Nr 17, 618. - - 5 Presser und Weintraub, Z. Immun.forschg 33 (1922). - - 6 Brock, J . , Biochem. Z. 140 (1923) (hier auch zit. Evans und Lovatt). - - 7 Waltner, Biochem. Z. 149 (1924). - - s Behrendt, H., Biochem. Z. 144 (1924). - - 9 Israelson und Krizman, Ann. Mal. v~n~r. 1925, 897 - - Zbl. Neur. 43. - - 10 McQuarrie und Shohl, A colori- metric method for the determ, of the p~ of cerebral fluid. J. of biol. Chem. 6 6

(1925). - - 11 Klemperer, E., und M. Weissmann, Best immung des Kohlens~ure- gehaltes im Liquor cerebrospinalis bei Psychosen mi t besonderer Beriicksichtigung der progrcssiven Paralyse. Z. Neur. 119. - - 12 Hal#r, G., Die Reakt ion yon Nobel und das p~ im normalen und pathologischen Liquor cerebrospinalis. Miinch. med. Wschr. 1928, 1628. - - is Gorev, N., und Ch. Chodos, ~ b e r die Wasserstoffionen- konzentra t ion im Liquor cerebrospinalis bei einigen Geistes- und Nervenkrank- heiten. Z. Nevropat . (russ.) 21 (1928) - - Zbl. Neur. 51, 555. - - 14 Cestan, Sendrail und LassaUe, L'~quilibre acide-base du liquide c~phalorachidien chez l 'homme. C. r. Soc. Biol. Paris 93 (1925) - - KongreBzbl. inn. Med. 42 (1926). - - 1~ Levinson, Cerebrospinal fluid in Heal th a. in Disease. St. Louis 1919. - - 16 Beck, A., Zur Methodik der pH-Messung C02-haltiger Fliissigkeiten bei verschiedenem C02- Part ialdruck. Biochem. Z. 190. - - 17 Beck, A., Eine Methode zur Best immung der CO2-Spannung in kleinen (5--10 ccm) Fliissigkeitsmengen. Biochem. Z. 199. __ is Beck, A., und I. Lauber, Die aktuelle Reakt ion des Liquor cerebrospinalis. Pfliigers Arch. 221, 499. - - 19 Mislowitzer, Die Best immung der Wasserstoffionen- konzentrat ion yon Fltissigkeiten. Jul . Springer 1928. - - 20 McClendon und Magoon, J. of biol. Chem. 25, 669; zit. nach Mislowitzer. - - 21 Schmitt, Biochem. Z. l~0 (1926). - - 22 Crinis, M. de, l~ber den Stoffwechsel beim epileptischen Symptomen- komplex. Z. Neur. 99. - - 23 Crinis, M. de, 16. Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Nerven~rzte in Dtisseldorf 1926. Dtsch. Z. Nervenheilk. 105. - - 24 Wuth, 0., Ebenda S. 99. - - 25 Georgi, F., Pathogenese des epileptischen Anfalls (Humoralpathologie). Z. Neur. 1 0 6 . - 26Bigwood, Mehrere Arbciten, angefiihrt bei Georgi. - - 2~ Vollmer, H., Zur Pathogenese der genuinen Epilepsie. Z. Neur. 84. _ _ 2s Vollmer, H., Zur Pathogenese der genuinen Epilepsie. Klin. Wschr. 1923,

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448 H. Reichner: Bestimmung der Wasserstoffzahl ira Liquor cerebrospinalis.

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