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Entwicklungschancen nach frühen traumatischen Erfahrungen aus bindungstheoretischer Sicht Julia Düvel Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin (M.A.): Klinisch-therapeutische Soziale Arbeit Kinder in Pflegefamilien

Entwicklungschancen nach frühen traumatischen Erfahrungen ... · Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase Überblick I Rechtlicher Rahmen II Traumatische Erfahrungen von

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Entwicklungschancen nach frühen traumatischen Erfahrungenaus bindungstheoretischer Sicht

Julia Düvel Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin (M.A.): Klinisch-therapeutische Soziale Arbeit

Kinder in Pflegefamilien

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Überblick

I Rechtlicher Rahmen

II Traumatische Erfahrungen von Pflegekindern

& ihre komplexen Traumafolgen

III Theorie der Integration in eine Pflegefamilie

IV Entwicklungschancen & ihre Voraussetzungen

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Vollzeitpflege

• als Hilfe zur Erziehung nach § 27 und § 33 S. 1 SGB VIII

„ (...) soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oderdes Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie denMöglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in derHerkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen eine zeitlich befristete oder eineauf Dauer angelegte Lebensform bieten.“

• als Eingliederungshilfe nach § 35 a und § 33 S. 2 SGB VIII„Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sindgeeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen.“

Rechtlicher Rahmen I

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Rechtlicher Rahmen II

• im Rahmen einer Kindeswohlgefährdung nach § 8 a Abs.3 S. 1 SGB VIII„(3) 1 Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts fürerforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn diePersonensorgeberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei derGefährdungsabschätzung mitzuwirken.“

• im Rahmen einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII„(3) 2 Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung desGerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, dasKind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.“

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Traumatische Erfahrungen von Pflegekindern

Vernachlässigung

Misshandlung

Sexueller Missbrauch

42 % - 62 % aller Pflegekinder mussten mindestens eine dieser Gefährdungsformen in ihrer Herkunftsfamilie machen

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Komplexe Traumafolgen

„Viele scheinbar unverständliche Handlungen,Äußerungen und Auffälligkeiten sind bei Kenntnis

der genauen Geschichte verständlicheAnpassungsversuche an eine furchtbare,

unverständliche Wirklichkeit.“

(Scheuerer-Englisch 2006, 79)

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Komplexe Traumafolgen

(in Anlehnung an Schmid 2008, 291)

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Bindung & Trauma

Desorganisierte Bindung (Typ D)

• Kind kann in Situationen erhöhter Belastung nicht auf sinnvolle innere Arbeitsmodelle zurückgreifen

• Rollenumkehr, Idealisierung, bizarre Verhaltensweisen, extreme Kontrolle...

Bindungsstörungen

• Reaktive Bindungsstörung im Kindesalter

• Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung

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Voraussetzungen

• Sichere Distanz

• Stabilisierung

• Sorgfältige Auswahl passender Pflegeeltern

• Offenheit für erneute Eltern-Kind-Beziehung

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Theorie der Integration

Anpassungsphase

Übertragungsphase

Regressionsphase

(vgl. Nienstedt & Westermann 2009)

3 Phasen des Bindungsaufbaus in Pflegefamilien:

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Pflegekinder- Entwicklungschancen in der Pflegefamilie

Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Anpassung und Annahme

Das Pflegekind….

• orientiert sich in neuer Familie, passt sich Regeln an, verhältsich unauffällig

• genießt Nähe, Fürsorglichkeit und holt körperlicheRückstände/Verwahrlosungsanzeichen auf

• kommuniziert keine belastenden Gefühle von Traurigkeit,Ärger o.ä.

• geht Konflikten aus dem Weg

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Das Pflegekind…

• testet Grenzen, prüft Vertrauen, zeigt Bedürfnisse

• zeigt frühere Handlungs- und Bindungsmuster

• hat zunehmend Zugang zu bislang abgespaltenen Gefühlenund überträgt diese auf Pflegeeltern

• zeigt posttraumatische Symptome

Wiederholung in der Übertragungsbeziehung

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Regressive Beziehungsformen

Das Pflegekind…

• kehrt auf eine frühere Entwicklungsstufe zurück

• nutzt neue Beziehung zunehmend für Entwicklung

• baut langsam neue Modelle über Beziehungen und daseigene Selbst auf

• kann bereit werden im Rahmen einer Kinderpsychotherapietraumatische Erfahrungen zu integrieren

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Entwicklungschancen & Voraussetzungen

„Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheitgehabt zu haben.“

(Milton H. Erickson)

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

• Schutz, Sicherheit u. Bedürfnisbefriedigung

• Annahme von Ängsten, Bedürfnissen undAggressionen

Korrigierende (Bindungs-) Erfahrungen

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

• Behutsame Hilfe bei der Erinnerungsarbeit

• Idealisierende Äußerungen des Kindes alsWunsch auffassen

• Interessiert auf Äußerungen eingehen – Abwehrmechanismen respektieren

• Fragen realistisch beantworten

Kritische Distanz zur eigenen Geschichte

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Regression mit der Funktion...

• Angstabwehr

• Aufbau von Beziehungen

• Entwicklung nachholen

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Bindungsorientierte Arbeit mit Pflegeeltern

• Psychoedukative Unterrichtung der Pflegeeltern

• Emotional unterstützende, kindorientierteEntwicklungsberatung

• Knüpfen von Sicherheitsnetzwerken in densozialen Bezugssystemen

• Organisation von Entlastung und Erholung

• Reflexion der eigenen Bindungsmodelle

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Ausblick

„Praxis schafft Wissen -

Wissen schafft Praxis!“

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

„Pflegekinder haben in der Regel schon reißende Wasserüberstehen müssen, ohne genügend auf Gefahren vorbereitetworden zu sein und ohne ausreichende Anleitung zur Bewältigungeiner Wildwasserstrecke erfahren haben. Ihr Kanu weist dahernach der bisherigen Fahrt so manche Schramme und undichteStelle auf, vielleicht ist auch ein Ruder geknickt. Damit sind sieauch in einem ruhigeren Fahrtwasser häufig nicht somanövrierfähig wie geübte Kinder. Mit Zuwendung, Liebe undStetigkeit sowie Geduld kann jedoch das Kanu wieder repariertwerden und die Zuversicht beim Kind und den Pflegeeltern gewecktwerden, den Fluss des Lebens zu meistern.“

(Suess & Scheuerer--Englisch 2009, 271)

Der Fluss des Lebens…

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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Fragen, Anregungen, Kritik: [email protected]

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Literatur IBalandow, J. (2004). Pflegekinder und ihre Familien. Geschichte, Situation und

Perspektiven des Pflegekinderwesens.Brisch, K. (2006). Bindungsstörungen und Trauma. Grundlagen für eine gesunde

Bindungsentwicklung.Denner, S. (2003). Traumatisierung in der Kindheit - Implikationen für sozialpädagogische

Interventionen.Eberhard, G. & Eberhard, K. (2002). Das intensivpädagogische Programm (IPP) - ein

Aktionsforschungsprojekt für psychisch traumatisierte Kinder und Jugendlichein sozialpädagogische und psychotherapeutisch betreuten Pflegefamilien.

Gahleitner, S. & Schleiffer, R. (2010). Bindung und Trauma.Hüther, G. (2003). Die Auswirkungen traumatischer Erfahrung im Kindesalter auf die

Hirnentwicklung. Das allgemeine Entwicklungsprinzip.Hardenberg, O. (2006). Konsequenzen für die Pflegeeltern - Übertragung traumatischer

Bindungs- und Beziehungserfahrungen in die Pflegefamilie. Anforderungen anPflegeeltern und notwendige Unterstützung.

Hofmann, R. (2002). Bindungsgestörte Kinder und jugendliche mit einer Borderline-Störung. Ein Praxisbuch für Therapie, Betreuung und Beratung.

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Literatur II

LVR-Landesjugendamt Rheinland (2010). Pflegekinderwesen. Beiträge zur aktuellen Qualitätsdiskussion.

Julius, H. (2009). Bindung und familiäre Gewalt-, Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen.Malter, C. (2008). Entwicklungschancen für vernachlässigte und misshandelte Kinder in

sozialpädagogisch betreuten Pflegefamilien.Nienstedt, M. & Westermann, A. (2008). Pflegekinder und ihre Entwicklungschancen nach

frühen traumatischen Erfahrungen.Niestroy, H. (2009). Chancen der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen in Pflegefamilien.

Notwendige Hilfen für das Kind in der neuen Eltern-Kind-Beziehung.Riedle, H. et al. (2008). Pflegekinder. Alles, was man wissen muss.Rosner, R. ( 2010). Sind unsere diagnostischen Konzepte adäquat? Posttraumatische

Belastungsstörung vs. Traumaentwicklungsstörung.Schleiffer, R. & Gahleitner, S. B. (2010) Schwierige Klientel oder schwierige Helfende?

Konsequenzen desorganisierter Bindungsmuster für die psycho-soziale Arbeit.Schmid, M. (2008). Entwicklungspsychologische Grundlagen einer Traumapädagogik.Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (2006). 1. Jahrbuch des Pflegekinderwesens.

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Anpassungsphase Übertragungsphase Regressionsphase

Literatur III

Suess, G. J. & Scheuerer-Englisch, H. (2009). Überlegungen zur Arbeit mit Eltern und Pflegeeltern aus bindungstheoretischer Sicht.

Von der Kolk, B. (1998). Zur Psychologie und Psychobiologie von Kindheitstraumata.Weiß, W. (2008). Philipp sucht sein Ich. Zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den

Erziehungshilfen.Weinberg. D. (2008). Traumazentrierte Spieltherapie.Ziegenhain. U. (2009). Frühe Bindungserfahrungen und Trauma.