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Zuwanderergemeinden auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche von KurhessenWaldeck „… nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“ (Eph 2,19) Ein Votum der Kammer für Mission und Ökumene der Evangelischen Kirche von KurhessenWaldeck

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Zuwanderergemeinden auf dem 

Gebiet der Evangelischen Kirche von 

Kurhessen‐Waldeck  

„… nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern 

Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“ 

(Eph 2,19) 

 

 

 

 

Ein Votum der Kammer für Mission und 

Ökumene der Evangelischen Kirche von 

Kurhessen‐Waldeck 

  

        

 

 

               

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Inhalt 

Vorwort ................................................................................................ 2 

1. Einleitung .......................................................................................... 4 

2. Bestandsaufnahme ........................................................................... 6 

2.1. Erläuterung der Arbeitsweise ..................................................... 6 

2.2 Verzeichnis Gemeinden anderer Sprache und Herkunft auf dem 

Gebiet der Evangelischen Kirche von Kurhessen‐Waldeck ........ 7 

2.3. Übersicht über die Situation in der Evangelischen Kirche in 

Hessen und Nassau ..................................................................... 8 

3. Herausforderungen für die Zukunft ............................................... 10 

3.1. Kontakt, Austausch und Gemeinschaft vor Ort, d.h. in den 

Gemeinden stärken .................................................................. 11 

3.2. Vernetzungen fördern und Formen von organisierter 

übergemeindlicher Zusammenarbeit ausbauen ...................... 16 

3.3. Organisationsformen weiterentwickeln ................................... 17 

4. Abschließende Empfehlungen ........................................................ 19 

5. Aktuelle Texte zu diesem Thema .................................................... 21 

 

 

   

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Vorwort  

 

Deutschland entwickelt  sich  zu einem Einwanderungsland mit einer 

multikulturellen  Bevölkerung.  Gründe  dafür  sind  die  Globalisierung 

sowie  die  weltweit  zunehmenden  Migrationsbewegungen  und 

Flüchtlingsströme.  

Die  evangelischen  Landeskirchen  stehen  dieser  Entwicklung  positiv 

gegenüber – aber bisher wird das  im konkreten Handeln eher wenig 

sichtbar. Darum nimmt die  vorliegende Handreichung einen beson‐

deren Aspekt auf und vertieft ihn: Unter den Migranten und Migran‐

tinnen  sowie  den  Flüchtlingen  befinden  sich  viele  Christinnen  und 

Christen. Diese  finden  jedoch nur  selten den Weg  in die deutschen 

evangelischen Kirchengemeinden, sondern schließen sich in der Regel 

zu eigenen Migrationsgemeinden zusammen. Im Bereich der Evange‐

lischen Kirche von Kurhessen‐Waldeck  ist  ihre Zahl noch überschau‐

bar, aber  sie wächst. Über das Verhältnis dieser Gemeinden  zu den 

Kirchengemeinden der Landeskirche war bisher nur wenig bekannt. 

Der Rat der  Landeskirche hat deshalb die Kammer  für Mission und 

Ökumene  beauftragt,  eine  Erhebung  durchzuführen,  die  Auskunft 

darüber gibt, welche „Gemeinden anderer Sprache und Herkunft“ es 

in  Kurhessen‐Waldeck  gibt  und wie  sich  die  Beziehungen  zwischen 

diesen  Gemeinden  und  unseren  Kirchengemeinden  gestalten.  Aus 

dieser Erhebung entwickelt die Kammer Vorschläge zur gegenseitigen 

Annäherung. Daraus  ist  auf Wunsch  des  Rates  diese Handreichung 

entstanden. Sie formuliert ein klares Ziel. Es geht darum „zusammen 

mit den christlichen Migranten und Migrantinnen Kirche zu sein“. 

Der Text enthält eine theologische Einführung zum grenzüberschrei‐

tendem  Charakter  des  Evangeliums  von  Jesus  Christus,  beschreibt 

sodann die Ergebnisse der Erhebung und gibt Anregungen und Emp‐

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fehlungen, wie die  jeweiligen Gemeinden  ihre  in Christus gegebene 

Gemeinschaft  im  Glauben  spirituell  und  strukturell  vertiefen  und 

ausbauen können. 

Der Rat der Landeskirche hat die vorliegende Handreichung in seiner 

Sitzung am 13.  Juli 2015  verabschiedet und  seiner Veröffentlichung 

zugestimmt. 

Ich danke der Kammer für Mission und Ökumene unter dem Vorsitz 

von Dekan Dr. Hofmann  sowie dem Kammerausschuss  „Gemeinden 

anderer  Sprache  und  Herkunft“  und  seiner  Vorsitzenden,  Pfarrerin 

Sieglinde Repp‐Jost, für die Erarbeitung dieser Handreichung.  

Ich wünsche mir sehr, dass der Text viele Leserinnen und Leser  fin‐

det, damit wir als Christinnen und Christen aus allen Kulturen mitei‐

nander erfahren können, dass wir gemeinsamen „Mitbürger der Hei‐

ligen und Gottes Hausgenossen“ sind. 

 

Kassel, im Juli 2015 

 

Martin Hein 

Bischof   

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1. Einleitung 

Auf  dem  Gebiet  der  Evangelischen  Kirche  von  Kurhessen‐Waldeck 

wird Gott nicht nur  in Deutsch,  sondern  auch  in  anderen  Sprachen 

und von Menschen unterschiedlicher Herkunft gelobt.  

Die meisten unserer Gemeindeglieder bekommen davon wenig mit, 

denn  die  Zuwanderer‐gemeinden  konzentrieren  sich  im  Wesentli‐

chen auf die  vier urbanen Zentren: Kassel, Fulda, Marburg und Ha‐

nau. Kontakte zu Ortsgemeinden bestehen nur vereinzelt.  

Dem christlichen Glauben  ist schon  in seinen Anfängen eine globale, 

Sprach‐ und Kulturgrenzen übergreifende Dynamik  inne. Der  aufer‐

standene Christus, von Gott „eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel 

über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft …“ (Epheser 1,21),  ist  in 

seiner  Gemeinde  erfahrbar  gegenwärtig.  Diese  Gemeinde  zeichnet 

sich dadurch aus, dass Gott die Zäune von Feindschaft und Unfrieden 

niedergerissen und die Menschen mit sich selbst und untereinander 

versöhnt hat.  Im  Lebensraum der  göttlichen Wirklichkeit  sind nicht 

Sprache und Herkunft die entscheidenden Kriterien, sondern das ge‐

meinsame Bürger‐ und Hausrecht (Epheser 2,19). Das Bild einer Bür‐

ger‐  und  Hausgemeinschaft  ist  nicht  nur  Ausdruck  einer  rechtlich 

verbrieften  gemeinsamen  Basis,  sondern  impliziert  auch  ein Mitei‐

nander durch Kontakt, Austausch und geregelte Beziehungen. 

In 1. Korinther 12 geht Paulus sogar noch ein Stück weiter, indem er 

von einem gemeinsamen Organismus spricht. Ohne die gegenseitige 

Wahrnehmung, Achtung und Mitwirkung aller Glieder bleibt der Or‐

ganismus hinter seinen Möglichkeiten, sichtbar und wirkungsvoll als 

Leib Christi zu agieren, zurück. 

Die Wahrnehmung von und die Gemeinschaft mit Christen und Chris‐

tinnen  anderer  Sprache  und  Herkunft  ist  damit  kein  Adiaphoron 

christlicher  Lebensweise. Vielmehr  zeigt  sich  darin, wie  „die Macht 

seiner Stärke bei uns wirksam“  ist (Epheser 1,19). Aus dem Rückgriff 

auf  diese  biblische  Tradition  ergibt  sich  für  die  Evangelische  Kirche 

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von Kurhessen‐Waldeck das Ziel, zusammen mit christlichen Migran‐

tinnen und Migranten Kirche zu sein. Dieses Ziel stellt uns jedoch vor 

eine große Aufgabe. Die Gemeinden anderer Sprache und Herkunft 

repräsentieren  eine  Vielzahl  von  unterschiedlichen  Versionen  des 

Christlichen. Auch wenn diese Vielfalt auf dem Gebiet der Evangeli‐

schen Kirche von Kurhessen‐Waldeck, wie die Erhebung ergeben hat, 

noch überschaubar  ist,  stellt  sich die Situation  in der Evangelischen 

Kirche in Hessen und Nassau deutlich anders dar.1 

Aus  Sicht der Evangelischen Kirche  in Deutschland  fehlen bisher al‐

lerdings „Überlegungen und Strategien, wie die durch die Geschwis‐

ter aus anderen Teilen der Erde verkörperte Vielfalt christlichen Le‐

bens  in Deutschland  gemeinsam  interpretiert und gestaltet werden 

könnte.“2  

Die vorliegende Handreichung gibt einen Überblick über die Gemein‐

den anderer Sprache und Herkunft auf dem Gebiet der Evangelischen 

Kirche von Kurhessen‐Waldeck. Der Überblick basiert auf einer Erhe‐

bung  und  dem  im  Dezernat  Ökumene,  Weltmission  und  Entwick‐

lungsfragen  geführten  Verzeichnis.3  Die  Erhebung  kann  keine  Voll‐

ständigkeit beanspruchen, da die Entstehung und Entwicklung dieser 

Gemeinden  unterschiedlichen  Prozessen  der  Identitätsfindung  und 

Integration  in das gesellschaftliche Umfeld unterliegen. Manche der 

Gemeinden  lösen  sich  nach  kurzer  Zeit wieder  auf  oder  es  spalten 

sich neue Gemeinschaften ab. Vielfach treten sie öffentlich auch gar 

nicht in Erscheinung. Zu berücksichtigen ist ferner, dass es wesentlich 

mehr getaufte Migranten und Migrantinnen gibt als  sich  in den Zu‐

wanderergemeinden zusammen finden.  

                                                            

1 Vgl. Kapitel 2.3. 

2 Gemeinsam evangelisch! (EKD, 2014), S. 14 f. 

3 Vgl. Kapitel 2.1 und 2.2. 

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Neben etablierten Zuwanderergemeinden haben wir es u.a. mit Ge‐

meindeformen  zu  tun, die  kaum  institutionalisiert  sind.  So  ist  es  in 

vielen Fällen schon schwierig, überhaupt einen Ansprechpartner oder 

eine Ansprechpartnerin mit Namen und Adresse zu finden.  

Nach einer zusammenfassenden Bestandsaufnahme der Gemeinden 

anderer Sprache und Herkunft auf dem Gebiet der Evangelischen Kir‐

che von Kurhessen‐Waldeck und einer Übersicht über die Situation in 

der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau beschreibt die Hand‐

reichung erkennbare Herausforderungen und gibt  in einem abschlie‐

ßenden Teil Empfehlungen für das kirchliche Handeln. 

 

 

2. Bestandsaufnahme 

 

2.1. Erläuterung der Arbeitsweise  

Das im Dezernat Ökumene, Weltmission und Entwicklungsfragen der 

Evangelischen  Kirche  von  Kurhessen‐Waldeck  geführte  Verzeichnis 

über  Gemeinden  anderer  Sprache  und  Herkunft wurde  aktualisiert 

und systematisiert. Dazu wurden alle Dekanate, Gemeindepfarrämter 

und  Studierendenpfarrämter  angeschrieben  und  um  Überprüfung 

und Ergänzung gebeten.  

Im  aktuellen  Verzeichnis  gelistet  sind  Zuwanderergemeinden  aus 

dem evangelischen und orthodoxen Konfessionsspektrum.4 Römisch‐

katholische Zuwanderergemeinden bleiben unberücksichtigt, weil sie 

per se Teil der römisch‐katholischen Weltkirche sind.  

Wesentliches  Kriterium  für die Aufnahme  in das Verzeichnis  ist die 

Gottesdienstsprache (fremdsprachig oder zweisprachig).                                                              

4  Es  bestehen  Kontakte  zwischen  evangelischen  Gemeinden  und  orthodoxen  Gemeinden,  z.B.  in Sontra und Bebra.  

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In einem weiteren Schritt wurden die gelisteten Gemeinden anderer 

Sprache und Herkunft angeschrieben und gebeten, einen Fragebogen 

auszufüllen. Dieser  erhob  folgende  Aspekte:  die Gemeinde  (Größe, 

Entstehung,  Treffpunkt  usw.);  Kontakte  der  Gemeinde  zu  anderen 

Gemeinden sowie Mitgliedschaft in Netzwerken oder Verbänden; In‐

teresse  an  Veröffentlichung  ihrer Gottesdienste  auf  der Homepage 

der „Internationalen Gottesdienste“5.  

 

Zehn der 39 angeschriebenen Gemeinden sandten einen beantworte‐

ten  Fragebogen  zurück. Dabei handelte es  sich  vorwiegend um Ge‐

meinden aus der Region Kassel, die bereits  in Kontakt zum Dezernat 

Ökumene, Weltmission und Entwicklungsfragen stehen. 

 

2.2 Verzeichnis Gemeinden anderer Sprache und Herkunft auf dem 

Gebiet der Evangelischen Kirche von Kurhessen‐Waldeck6 

Das  aktuelle Verzeichnis Gemeinden  anderer  Sprache und Herkunft 

listet 39 Zuwanderergemeinden. 21 von  ihnen sind  in Kassel, fünf  in 

Fulda und fünf  in Hanau ansässig. Darüber hinaus sind drei Gemein‐

den in Marburg, zwei in Bebra und jeweils eine in Stadtallendorf, Bad 

Soden‐Salmünster und Sontra bekannt.  

Von den 39 gelisteten Gemeinden anderer Sprache und Herkunft sind 

15 evangelisch‐freikirchlich, 13 gehören zur orthodoxen Konfessions‐

familie und elf sind neupfingstlich geprägt.  

Die meisten  Zuwanderergemeinden  sind mit  ihren  Versammlungen 

Gäste  in  deutschen Gemeinden,  davon  16  in  landeskirchlichen Ge‐

meinden. Vier Gemeinden anderer Sprache und Herkunft haben Ver‐

sammlungsräume in anderen Gebäuden angemietet. 

                                                            

5 www.internationalergottesdienst.de. 

6 Das aktuelle Verzeichnis ist im Zentrum Oekumene erhältlich: www.zentrum‐oekumene.de 

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14 Zuwanderergemeinden pflegen Kontakte im Rahmen des Interna‐

tionalen Gottesdienstes  in Kassel und über den  internationalen Be‐

gegnungsort Himmelsfels.  

Die  Angaben  zu  bestehenden  Kontakten  zu  landeskirchlichen  Ge‐

meinden waren sehr gering und wenig aussagekräftig.  

Nach eigenen Angaben sind sechs der gelisteten Zuwanderergemein‐

den Mitglied  im  Bund  Freier  Pfingstgemeinden  (BFP)  und  vier  sind 

Mitglied in der ACK Kassel.  

Punktuell werden  Zuwanderergemeinden  finanziell  unterstützt,  vor 

allem  in Bezug auf die Zahlung von Raummieten und die Durchfüh‐

rung  von  Gottesdiensten  oder  Gemeindefesten.  Darüber  hinaus  fi‐

nanziert die Evangelische Kirche von Kurhessen‐Waldeck die Studien‐

gebühren eines nigerianischen Pfarrers, der am Himmelsfels arbeitet 

und in Hermannsburg studiert.  

 

2.3. Übersicht über die Situation in der Evangelischen Kirche in Hes‐

sen und Nassau  

Auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche  in Hessen und Nassau  ist 

eine  hohe Anzahl  an  Zuwanderergemeinden  beheimatet,  vor  allem 

im Ballungsraum Rhein‐Main‐Gebiet. Laut einer Studie des Zentrums 

Oekumene, die vor einigen Jahren erhoben wurde, gab es damals im 

Rhein‐Main‐Gebiet rund 700 verschiedene religiöse Gemeinschaften, 

darunter  ca.  400 ‐ 500  christliche Gemeinschaften  (zumeist Unikate 

mit ca. 20 ‐ 30 Personen). Die Zuwanderergemeinden weisen ein ho‐

hes  Veränderungspotential  auf  (Neuentstehungen,  Abspaltungen, 

Auflösung). Daher hat die Evangelische Kirche  in Hessen und Nassau 

ihre Pläne eingestellt, ein Verzeichnis von Zuwanderergemeinden zu 

erstellen.  

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Seit 1999 gibt es  in Frankfurt einen  Internationalen Konvent  („Inter‐

nationaler  Konvent  christlicher Gemeinden  Rhein‐Main  e.V.“7.)  Ihm 

gehören jedoch nur 26 Gemeinden anderer Sprache und Herkunft an. 

Dieses  überkonfessionelle  Netzwerk  dient  den Mitgliedsgemeinden 

zur Kontaktpflege.  In den Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen 

(ACKs) sind nur wenige Zuwanderergemeinden Mitglied.  

Das  Interesse von Zuwanderergemeinden an einer verbindlich gere‐

gelten  Gemeinschaft  mit  der  Evangelischen  Kirche  in  Hessen  und 

Nassau  ist  eher  gering. Angefragt werden  vor  allem Räume  und  fi‐

nanzielle Unterstützung. Ein großes  Interesse an ökumenischer Ver‐

netzung  und  der  Pflege  ökumenischer  Nachbarschaft  ist  eher  die 

Ausnahme.  

Derzeit  vermieten mehr  als  100  Kirchengemeinden  ihre  Räume  an 

Zuwanderergemeinden.  In  Frankfurt/Main  sind  in manchen  landes‐

kirchlichen  Gemeinden  gleich  mehrere  Zuwanderergemeinden  zu 

Gast. Das Zentrum Oekumene berät Gemeinden, die  ihre Räume an 

Zuwanderergemeinden vermieten möchten.  

Die finanziellen Anfragen von Zuwanderergemeinden an die Evangeli‐

sche  Kirche  in Hessen  und Nassau werden  im  Zentrum Oekumene 

bearbeitet. Die Landeskirche hat zwei Haushaltstitel eingerichtet, aus 

denen Zuwanderergemeinden aus dem evangelischen und orthodo‐

xen Konfessionsspektrum finanziell unterstützt werden können.  

Zwei Zuwanderergemeinden aus Partnerkirchen wurden  in der Ver‐

gangenheit zu „Anstaltsgemeinden“ der EKHN umgewandelt.8 Dies ist 

                                                            

7 www.internationaler‐konvent‐frankfurt.de. 

8  „Jemaat  Kristus  Indonesia“  (www.jki‐rhein‐main.de);  „Koreanische  evangelische  Gemeinde  im Rhein‐Main‐Gebiet“ (www.rmkg.net). Die beiden Gemeinden wurden 2001 bzw. 2004 als "Anstalts‐gemeinden" gegründet, weil dies damals in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau – neben der Parochie  ‐ die einzige rechtlich mögliche Form war. „Personalgemeinden“ gab und gibt es zwar (nach  'altem Vor‐EKHN‐Recht'), aber es wurden keine Neugründungen zugelassen. Mit beiden oben 

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jedoch  eine  der  besonderen  Beziehungen  zu  den  Zuwandererge‐

meinden bzw. ihren Heimatkirchen geschuldete Sonderregelung.  

 

 

3. Herausforderungen für die Zukunft 

Aus den Rückmeldungen und Recherchen ergibt  sich, dass Kontakt, 

Austausch  und Gemeinschaft mit Gemeinden  anderer  Sprache  und 

Herkunft auf drei Ebenen erfolgt.  

Die  erste  Ebene  betrifft  den  Kontakt  zu  den  Ortsgemeinden9,  die 

zweite Ebene Formen übergemeindlicher Zusammenarbeit10 und die 

dritte  Ebene  die Weiterentwicklung  von  kirchlichen  Organisations‐

formen und die Prüfung rechtlicher Grundlagen11. Für jede Ebene er‐

geben sich eigene Herausforderungen. 

 

   

                                                                                                                                                                                          

benannten  „Anstaltsgemeinden“ wurde vereinbart, dass  sie einen Kirchenvorstand haben, was bei dieser Gemeindeform eigentlich nicht vorgesehen ist. Vgl. die Kirchengemeindeordnung der Evange‐lischen Kirche in Hessen und Nassau: http://www.kirchenrecht‐ekhn.de/pdf/18742.pdf. Sie bestimmt in § 2 die Möglichkeit, neue (auch personalkirchliche) Gemeindeformen zu erproben. 

9 Vgl. Kapitel 3.1. 

10 Vgl. Kapitel 3.2. 

11 Vgl. Kapitel 3.3. 

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3.1. Kontakt, Austausch und Gemeinschaft vor Ort, d.h.  in den Ge‐

meinden stärken 

 

A) Modell „Hausgemeinschaft“ 

Gemeinden  anderer  Sprache  und  Herkunft  nehmen mit  einer  Kir‐

chengemeinde Kontakt auf, weil sie auf der Suche nach einem Raum 

sind,  in  dem  sie  Gottesdienst  feiern  können.  Landeskirchliche  Ge‐

meinden  gewähren Gastfreundschaft,  stellen Gebäude  und  Einrich‐

tung  zur  gottesdienstlichen  Nutzung  zur  Verfügung.  Ressourcen  zu 

teilen gehört nach Paulus  zu den  zentralen Tugenden eines  christli‐

chen Gemeindelebens:  „Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt 

Gastfreundschaft.“ (Römer 12,13). Dies impliziert jedoch, dass bei der 

Nutzung von kirchlichen Räumen durch Zuwanderergemeinden nicht 

der  ökonomische  Nutzen  im  Vordergrund  steht,  sondern  ein  Be‐

wusstsein dafür, dass hier „Heilige“, Schwestern und Brüder in Chris‐

tus,  eine  geistliche  Bleibe  finden. Gemeinden  sind  dahingehend  zu 

ermutigen und zu unterstützen, die Begegnung und den Kontakt mit 

den „anderen Christinnen und Christen“ auch  im Gemeindealltag zu 

suchen  und  sich  selbst  interkulturell  zu  öffnen.  Die  Gemeinde  als 

Kontaktebene  ist von besonderer Bedeutung. Hier geht es um  face‐

to‐face‐Begegnungen  im Alltag, unter dem  gleichen Dach,  in einem 

gemeinsamen  Umfeld.  Diese  gemeinsamen  Kontaktflächen  bieten 

niederschwellige Möglichkeiten, miteinander  ins  Gespräch  zu  kom‐

men,  sich kennen  zu  lernen und Formen des gemeinsamen Christs‐

eins zu erproben.  

Allerdings sind dabei Konflikte nicht ausgeschlossen. Zu verschieden 

sind  oft  die  kulturellen Gewohnheiten  und  Erwartungen.  Ziel  einer 

gemeinsamen Nutzung kirchlicher Räume muss die Gestaltung einer 

ökumenischen  Hausgemeinschaft  und  ein  gelingendes Miteinander 

vor Ort sein. Dazu braucht es zum Einen Verbindlichkeiten (z.B. Nut‐

zungsvereinbarungen für Gemeinderäume), zum Anderen die Bereit‐

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schaft, neue Formen der Kooperation  im Gemeindealltag auszupro‐

bieren (z.B. gemeinsam ein Fest feiern, einen Gottesdienst gestalten, 

ein  diakonisches  Projekt  verantworten  etc.)  und  nicht  zuletzt  den 

Wunsch,  sich  interkulturell,  theologisch  und  geistlich  auf  einen  ge‐

meinsamen Weg zu begeben und voneinander zu lernen. 

Für  diesen  Prozess  benötigen  Gemeinden  Beratung,  Unterstützung 

und geeignete Angebote: 

‐ Informationen über Gemeinden anderer Sprache und Herkunft 

(Mit wem haben wir es zu tun?);  

‐ eine Handreichung zur Vermietung bzw. gemeinsamen Nutzung 

von kirchlichen Räumen12;  

‐ ein Angebot von interkulturellen theologischen Studientagen; 

‐ Seminare zum interkulturellen Lernen. 

 

Erste Schritte können sein:  

‐ gegenseitiges  Kennenlernen,  Begegnung  und  Gespräch  zwi‐

schen  Mitgliedern  des  Kirchenvorstands  und  Vertretern  und 

Vertreterinnen der Gemeinde anderer Sprache und Herkunft;  

‐ Austausch über Vorstellungen von „Hausgemeinschaft“;  

‐ Möglichkeiten  für Formen der Kooperation  im Gemeindealltag 

sammeln;  

‐ eine Nutzungsvereinbarung für Gemeinderäume schließen;  

‐ gegenseitige Gottesdienstbesuche verabreden. 

 

B) Modell „Sendungsgemeinschaft“ 

Einige Gemeinden mit neupfingstlicher Prägung aus Afrika, so z.B. die 

„Divine  Impact Church of God“  in Kassel, haben  für  ihre Gemeinde‐

veranstaltungen  Räume  in  Industriegebäuden  angemietet.  Sie  ver‐

stehen  sich  häufig  als Gemeinschaft  in  der  gemeinsamen  Sendung, 

                                                            

12 Vgl. Kirchliche Räume miteinander teilen (EKD 2013). 

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13  

die sowohl zum Dienst aneinander als auch zum gemeinsamen Dienst 

in der Welt gesandt ist.  

Hier und da findet ein Austausch von Predigern statt, d.h. ein Pastor 

oder Gemeindeleiter  aus  der Gemeinde  anderer  Sprache  und Her‐

kunft predigt in einem deutschen Gottesdienst und umgekehrt. Oder 

ein Chor aus der Gemeinde anderer Sprache und Herkunft gestaltet 

einen Gottesdienst in einer landeskirchlichen Gemeinde.  

Auch  andere  Formen  der  Begegnung,  des  Austauschs  und  der  Zu‐

sammenarbeit sind denkbar: 

‐ gemeinsam einen Glaubenskurs durchführen;  

‐ Zusammenarbeit bei einem diakonischen Projekt im Stadtteil;  

‐ gemeinsam  Kinderbibeltage  oder  Konfirmandenbegegnungen 

gestalten. 

 

Ein gemeinsames Wirken als „Sendungsgemeinschaft“ setzt gegensei‐

tiges Kennen, Respekt und Vertrauen voraus und eine gute Vorberei‐

tung. Unterschiede, z.B.  in der Art Gottesdienst zu feiern, zu singen, 

zu  beten  und  die  Bibel  auszulegen, müssen  offen  thematisiert  und 

respektiert werden. Bei  gemeinsamen Gottesdiensten  sollte  jeweils 

die gastgebende Gemeinde den Rahmen setzen.  

 

Erste Schritte können sein: 

‐ Kirchengemeinden suchen Kontakt zu einer Gemeinde anderer 

Sprache und Herkunft in ihrer Nachbarschaft; 

‐ sie  laden  sich  gegenseitig  zu  Gottesdiensten,  Gemeindenach‐

mittagen oder Festen ein;  

‐ Mitglieder der einen Gemeinde wirken mit bei Veranstaltungen 

der  anderen  Gemeinde  oder  planen  und  verantworten  eine 

Veranstaltung gemeinsam; 

‐ Mitglieder  der Gemeinde  anderer  Sprache  und Herkunft wer‐

den eingeladen, als ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeite‐

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 14 

rinnen  bei  einem  Projekt,  z.B.  zum  interkulturellen  Lernen,  in 

der evangelischen Kindertagesstätte, im Konfirmanden‐ oder im 

Religionsunterricht mitzuwirken; 

‐ Kirchengemeinden  unterstützen Migrantinnen  und Migranten, 

sich  in  kirchlichen  Arbeitsfeldern  ehrenamtlich  zu  engagieren 

(z.B.  in  den  Chören,  in  der Nachbarschaftshilfe,  in  der  Beglei‐

tung  von  Flüchtlingen  etc.)  und  beziehen  sie  bei  der Vergabe 

von  Beschäftigungsverhältnissen  oder  Ausbildungsplätzen  mit 

ein, sofern sie Mitglied der ACK sind.  

 

C) Modell „Herberge“ 

Unter den Migranten und Migrantinnen gibt es viele Einzelpersonen, 

die keiner bestimmten Gemeinde anderer Sprache und Herkunft zu‐

gehören.  Das  liegt  u.a.  daran,  dass  sie  in  ihrem  näheren  Umfeld 

schlichtweg keine passende Gemeinde mit gleichem ethnischem Zu‐

schnitt und gleicher Sprache finden oder dass sich ihr Status (Studie‐

rende, Flüchtlinge, Arbeiter und Arbeiterinnen auf Zeit) nicht  in be‐

stehende Gemeindestrukturen  integrieren  lässt. Hinzu  kommt, dass 

Gemeinden  anderer  Sprache  und Herkunft  vorwiegend  in Ballungs‐

gebieten und Städten anzutreffen sind, aber nicht  in den  ländlichen 

Regionen.13 

Allerdings steigt aktuell durch den Zustrom von Flüchtlingen auch  in 

diesen Regionen die Anzahl von Christen und Christinnen oder Men‐

schen, die sich für das Christentum interessieren. Da sie aus ganz ver‐

schiedenen  Ländern  (Syrien,  Iran,  Eritrea,  Somalia  etc.) mit  unter‐

schiedlichen  Kirchen  und  christlichen  Gemeindeformen  (z.B.  Haus‐

gemeinden) kommen, stellt sich die Frage, wie sie bei uns als Chris‐

tinnen und Christen wahrgenommen und angesprochen werden kön‐

nen. Unsere Gottesdienste, die mehr das Wort als das Ritual pflegen, 

                                                            

13 Vgl. Kapitel 2.2. 

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15  

können gleichwohl christlichen Flüchtlingen, die noch kaum die deut‐

sche Sprache sprechen, Gemeinschaft und geistliche Heimat bieten.  

Deutsche Gemeinden  können  darüber  hinaus  für  christliche  Einzel‐

personen  eine  „Herberge“  anbieten,  z.B.  durch Offene  Kirchen,  die 

zum Gebet einladen. Schon kleine Elemente wie das Anzünden einer 

Kerze und ein Willkommensgruß  in mehreren Sprachen können hilf‐

reich sein. Wir regen an, dass die Fachstelle für Gemeinden anderer 

Sprache  und  Herkunft  im  Zentrum  Oekumene  in  Kooperation  mit 

dem  Referat  Gemeindeentwicklung  eine  entsprechende  Broschüre 

zum Auslegen in Offenen Kirchen gestalten. 

Auch eine kleine Willkommensgeste  im Gottesdienst  ‐ wie  z.B. eine 

kurze Begrüßung in englischer Sprache ‐ ist ein Zeichen der Offenheit.  

Eine  weitere  Möglichkeit  sind  Gottesdienste  oder  Andachten  mit 

mehrsprachigen Elementen und einer Gestaltung, die unterschiedli‐

che  kirchliche und  kulturelle  Traditionen widerspiegelt.  Solche Got‐

tesdienste  lassen  sich auch an  zentralen Orten  im  ländlichen Raum 

feiern.14 

Auch die Einrichtung eines Treffpunkts für Migranten und Migrantin‐

nen und Deutsche entspricht dem Charakter einer Herberge. 

 

 

 

 

                                                            

14 In Eschwege wurde kürzlich eine solche Form unter dem Namen „Ökumenisches Abendgebet der 

Völker“ erprobt. Dieser Gottesdienst wurde von den evangelischen und katholischen Kirchengemein‐

den in Eschwege vorbereitet und richtete sich an christliche Flüchtlinge aus Äthiopien, Somalia, Erit‐

rea, Iran, Afghanistan und Syrien. Der Gottesdienst hatte die Form eines liturgischen Abendgebets 

mit Elementen aus unterschiedlichen Kirchen. Er fand sehr gute Resonanz, auch unter evangelischen 

und katholischen Gemeindegliedern. 

 

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 16 

3.2.  Vernetzungen  fördern  und  Formen  von  organisierter  überge‐

meindlicher Zusammenarbeit ausbauen 

Gemeinden anderer Sprache und Herkunft  sind oft  in übergeordne‐

ten Netzwerken der eigenen Konfessionsfamilie vernetzt oder kom‐

men in institutionalisierter Form mit anderen Zuwanderergemeinden 

zusammen  (z.B.  beim  Internationalen Gottesdienst,  Internationalen 

Neujahrsfest  in  Kassel,  ökumenischen  Neujahrsgebet  auf  dem  Ha‐

nauer Marktplatz  oder  zu  interkulturellen  Aktionen  und  Veranstal‐

tungen  auf  dem  Himmelsfels  in  Spangenberg).  Der  internationale 

Austausch  innerhalb der einzelnen Konfessionsfamilie  ist oft wichti‐

ger als ökumenische Kontakte und Zusammenarbeit vor Ort.  

Einige Gemeinden  sind Mitglied  in der Arbeitsgemeinschaft Christli‐

cher Kirchen (ACK),  in der Evangelischen Allianz oder  im Bund Freier 

Pfingstgemeinden (BFP).  

Institutionalisierte Formen von überkonfessioneller Zusammenarbeit 

in Gremien und Arbeitsgemeinschaften auf regionaler Ebene sind vie‐

len Zuwanderergemeinden fremd. Oft verhindern nicht nur Organisa‐

tionsstrukturen und Arbeitsweisen,  sondern  auch die  Statuten  eine 

Zusammenarbeit mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft. Dies 

hat zur Folge, dass letztere von aktuellen ökumenischen Diskussionen 

und Dialogprozessen vielfach ausgeschlossen sind.  

Hier gilt es, gezielt auf Gemeinden zuzugehen und sie zur Zusammen‐

arbeit zu ermutigen. 

Allerdings wird die Zusammenarbeit oft auch durch ein sehr biblizisti‐

sches Bibelverständnis, unterschiedliche Bewertungen von ethischen 

Fragen  (z.B. Homosexualität),  gelebten Methoden  der Mission  und 

Evangelisation oder Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien er‐

schwert.  

Es  ist deshalb notwendig zu prüfen, „mit welchen Gemeinden ande‐

rer Sprache und Herkunft bzw. deren Heimatkirchen theologische Er‐

klärungen erarbeitet und entsprechende Vereinbarungen über Kan‐

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zel‐ und Abendmahlsgemeinschaft sowie Anerkennung der Ämter ge‐

troffen werden können.“15 

Als  internationaler  Begegnungsort  und  ökumenische  Gemeinschaft 

pflegt der Himmelsfels nicht nur zu Gemeinden anderer Sprache und 

Herkunft  auf dem Gebiet  von Kurhessen‐Waldeck Kontakt,  sondern 

auch zu solchen aus dem gesamten Bundesgebiet. Zu Gemeinden or‐

thodoxer Prägung bestehen jedoch keine Verbindungen. 

Als „dritter Ort“  ist der Himmelsfels sowohl ein  interkulturelles Pro‐

bierfeld  für die Begegnung  in unterschiedlichen Arbeitsfeldern  (z.B. 

Jugendarbeit, Diakonie, Mission und Evangelisation) als auch ein Ka‐

talysator für theologischen und geistlichen Austausch.  

In Verbindung mit dem Predigerseminar in Hofgeismar, dem Zentrum 

Oekumene, den  internationalen Missionswerken und Stellen der Er‐

wachsenenbildung könnte dieser Ort noch stärker als Impulsgeber für 

interkulturelles theologisches Lernen dienen. 

Vom  Dezernat  für  Ökumene, Weltmission  und  Entwicklungsfragen 

wurde  eine Gesprächsrunde mit Vertreterinnen und Vertretern der 

Landeskirche und des Himmelsfels einberufen, die darüber berät, wie 

die  Kooperation  zwischen  Landeskirche  und  Himmelsfels  inhaltlich 

und strukturell intensiviert werden kann.  

 

3.3. Organisationsformen weiterentwickeln 

Kirche existiert nicht nur  in Parochialgemeinden.  In einigen  Landes‐

kirchen gibt es auch die Rechtsform von Anstalts‐ oder Personalge‐

meinden.  In Ländern,  in denen christliche Kirchen nicht öffentlich  in 

Erscheinung treten dürfen, formieren sie sich in Hausgemeinden. Die 

Sozialgestalten von Kirche sind unterschiedlich. Sie haben sich an den 

                                                            

15 Gemeinsam evangelisch! (EKD 2014), S. 40. 

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jeweiligen  gesellschaftlichen Bedingungen orientiert  und weiterent‐

wickelt. 

Für das Miteinander von Landeskirche und Gemeinden anderer Spra‐

che  und  Herkunft  bedeutet  dies,  dass  nach Möglichkeiten  gesucht 

werden sollte, die wachsende geistliche Gemeinschaft auch struktu‐

rell zu fördern.  

Nicht  alle  Zuwanderergemeinden  sind  an  einer  geregelten Gemein‐

schaft mit einer Landeskirche interessiert. Für die Gemeinden jedoch, 

die eine größere Nähe zur Landeskirche suchen und dafür auch eine 

stärkere strukturelle Anbindung anstreben, sollten passende Formen 

geprüft werden. 

Eine Möglichkeit  ist, dass eine Gemeinde anderer Sprache und Her‐

kunft,  die mit  einer  landeskirchlichen Gemeinde  eine Hausgemein‐

schaft bildet, eine „Gemeindegruppe“ wird. Im Bereich der Evangeli‐

schen Studierendengemeinden existieren bereits solche Gruppen, die 

sich aus bestimmten Ethnien zusammensetzen und ihre Gottesdiens‐

te in einer gemeinsamen Sprache feiern. Soweit nach dem kirchlichen 

Mitgliedschaftsrecht die Mitglieder von Gemeinden anderer Sprache 

und Herkunft unserer Landeskirche als Mitglieder angehören, können 

sie  sich  in  Kirchenvorstände, Kreissynoden und  andere Organe und 

Gremien in unserer Landeskirche wählen lassen. Bei hinreichend gro‐

ßer Zahl können sie als personaler Seelsorgebereich  (Art. 10 Grund‐

ordnung) einer unserer Kirchengemeinden  zugeordnet und von die‐

ser  betreut  werden.  Für  die  Errichtung  einer  eigenen  Personalge‐

meinde  fehlt allerdings derzeit  in unserer  Landeskirche die kirchen‐

gesetzliche Grundlage.  

In größeren Orten wie Kassel oder Hanau wäre zu prüfen, ob die Lan‐

deskirche an der Entwicklung einer englischsprachigen „Internationa‐

len Gemeinde“ mitwirken könnte, die sich an fremdsprachige getauf‐

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te Christen und Christinnen verschiedener Konfessionen  richtet. Ein 

solches Projekt gibt es bereits in einigen Großstädten. 

 

 

4. Abschließende Empfehlungen 

Migrantinnen  und  Migranten  als  Schwestern  und  Brüder  wahrzu‐

nehmen und zu integrieren, ist nicht nur eine Aufgabe von einzelnen 

Christen,  Christinnen  und  Gemeinden,  sondern  auch  eine  Aufgabe 

der Landeskirche. 

 

Für die Beratung und Begleitung der Arbeit mit Gemeinden anderer 

Sprache und Herkunft ist das Zentrum Oekumene zuständig. Der kon‐

krete Kontakt muss  jedoch vor Ort aufgebaut und gepflegt werden. 

Dazu bedarf es Personen, die sich für diese Art von Ökumene interes‐

sieren und begeistern.  

 

Für Gemeinden,  die  Kontakt  zu  einer  Zuwanderergemeinde  suchen 

oder diesen Kontakt bereits hergestellt haben, sollen Workshops zum 

interkulturellen Lernen und zu Themen des theologischen und geistli‐

chen  Austauschs  angeboten  werden.  Die Workshops  können  vom 

Predigerseminar,  dem  Zentrum  Oekumene  und  den  international 

strukturierten Missionswerken entwickelt und durchgeführt werden 

und z.B. an einem „dritten Ort“, wie dem Himmelsfels, stattfinden.16 

                                                            

16 Aktuell gibt es bereits einen  jährlich  im Frühjahr stattfindenden Interkulturellen Studientag Theo‐

logie, den der Himmelsfels gemeinsam mit dem Dezernat Ökumene, Weltmission und Entwicklungs‐

fragen  der  Evangelischen  Kirche  von  Kurhessen‐Waldeck  veranstaltet  und  an  dem  Theologen  und 

Theologinnen  sowie Verantwortliche aus der Gemeindearbeit aus deutschen und aus Zuwanderer‐

Kontexten zusammen an aktuellen Themen arbeiten und Erfahrungen austauschen. In Zusammenar‐

beit mit  der  Vereinten  Evangelischen Mission  finden  ferner  regelmäßige  „Bibel‐Camps“  für  junge 

Erwachsene statt,  in denen die Bibel  interkulturell gelesen wird. In dem aktuellen Flyer der Stiftung 

Himmelsfels werden als weitere Angebote für Gemeinden und Kirchenkreise genannt: Konfi‐Camps, 

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Damit  eine Gemeinde weiß, welche  Formen  von Gemeinschaft mit 

einer Zuwanderergemeinde möglich sind  (gemeinsames Abendmahl, 

Kanzeltausch, Anerkennung  der Ämter  etc.)  oder  auch  nicht,  ist  es 

notwendig,  sich  ein  Bild  von  deren  theologischer  Ausrichtung  und 

Gemeindepraxis machen  zu können. Dazu bedarf es bestimmter  In‐

formationen  und  beratender Unterstützung,  die  im  Zentrum Oeku‐

mene abzurufen sind.  

 

Die  Landeskirche  sollte  bei Bedarf  die  rechtlichen Voraussetzungen 

prüfen, um neue Modelle für Zusammenarbeit und Gemeindeformen 

zu ermöglichen.  

 

Kirche und Diakonie sind wichtige Arbeitgeber mit einem hohen Be‐

darf an qualifiziertem Personal. Daher sollten Wege gesucht werden, 

wie Mitglieder aus Gemeinden anderer Sprache und Herkunft  in Kir‐

che und Diakonie arbeiten können.  

 

Auch  in den Bereichen Verkündigung und Bildung sollten Zuwander‐

ergemeinden  stärker  in  den  Blick  genommen werden,  indem man 

Migranten  und  Migrantinnen  Zugänge  zu  theologischen  Fortbil‐

dungsangeboten ermöglicht.  

 

Die  Landeskirche kann mithelfen, dass Gemeinden anderer Sprache 

und Herkunft  sich  für  die  kirchliche  Landschaft  in Deutschland  und 

theologische Diskussionen öffnen, z.B. durch die Vermittlung von  

‐ Kursen „Kirche im interkulturellen Kontext“; 

‐ Angeboten der Missionsakademie in Hamburg;  

                                                                                                                                                                                          

One Spirit‐Camp, Ferienfreizeiten, Internationale Jugendcamps, Konzertangebote und Seminare und 

Workshops, z.B. zum Thema „Interkulturelle Gemeinde“. Vgl. auch: www.himmelsfels.de. 

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‐ Studiengängen der Fachhochschule für Interkulturelle Theologie 

Hermannsburg.  

 

Wir empfehlen ferner, dass die Landeskirche jährlich alle landeskirch‐

lichen  Gemeinden  und  Gemeinden  anderer  Sprache  und  Herkunft, 

die in irgendeiner Form zusammenarbeiten, zu einem Erfahrungsaus‐

tausch einlädt. 

 

 

5. Aktuelle Texte zu diesem Thema  

Gemeinsam  evangelisch!  Erfahrungen,  theologische  Orientierungen 

und Perspektiven für die Arbeit mit Gemeinden anderer Sprache und 

Herkunft, hg. v. Evangelische Kirche in Deutschland, Hannover, Okto‐

ber 2014 (http://www.ekd.de/download/ekd_texte_119.pdf).  

 

Kirchliche  Räume miteinander  teilen.  Handreichung  für  Kirchenge‐

meinden zur Vermietung und zum Verkauf von kirchlichen Gebäuden 

an  Gemeinden  anderer  Sprache  und  Herkunft,  hg.  v.  Evangelische 

Kirche in Deutschland, Hannover, Juli 2013 (http://www.ekd.de/EKD‐

Texte/89057.html). 

 

Wenn  kirchliche Gebäude  zum Verkauf  anstehen. Kriterien  für eine 

Entscheidung. Herausgegeben vom Zentrum Oekumene der Evangeli‐

schen  Kirche  in  Hessen  und  Nassau,  2010,  www.zentrum‐

oekumene.de  

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1. Auflage 

Juli 2015