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WL INFO Erdgas und die Versorgungssicherheit der Schweiz AKTUELLES ZUR WIRTSCHAFTLICHEN LANDESVERSORGUNG / HERBST 2012

Erdgas und die Versorgungssicherheit der Schweiz...Endenergieverbrauchs der Schweiz im Vergleich zu 5,1 % 1980 und ist damit nach Erdöl (54,2 %) und Elektrizität (23,6 %) die drittwichtigste

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WL INFO

Erdgas und die Versorgungssicherheit der Schweiz

AKTUELLES ZUR WIRTSCHAFTL ICHEN LANDESVERSORGUNG / HERBST 2012

anwachsen und müsste zu 80 % durch Importe gedeckt werden. Heute liegt der Selbstversorgungsgrad der EU beim Erdgas zwischen 50–60 %. 2011 stammte ein Drittel des importierten Erdgases der EU aus Russland, 27 % aus Norwegen, 13 % aus Algerien, 11 % aus Katar und 16 % aus anderen Quellen.

Die globale Nachfrage nach Erdgas ist in den letzten Jahren stetig angestiegen, so auch in Europa. 2011 deckte Gas bereits rund einen Viertel des Primär-

energieverbrauchs der Europäischen Union (EU). Schätzun-gen zufolge dürfte dieser Anteil bis 2030 auf ca. 30 %

Steigende Erdgasnachfrage und die Folgen für die Schweiz

Erdgasnachfrage

Erdgas spielt in der Energieversorgung weltweit eine immer bedeutendere Rolle. Dies stellt auch Europa vor neue Herausforderungen. Als wichtiges Transitland ist die Schweiz dank der Integration in das europäische Gasnetz gut aufgestellt, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Trotzdem kann es zu Engpässen kommen.

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Um die Abhängigkeit von Russland zu verringern, werden neue Pipelines gebaut.

Abhängigkeit der EU von RusslandDie sinkende Eigenproduktion Westeuropas und der hohe Importanteil an russischem Erdgas stärken die Bindung der EU an ihren grössten Lieferanten. Bis vor kurzem floss der Grossteil des Gases von Russland durch die Ukraine und Weissrussland in die EU. Die komplexen und manchmal wenig freundlichen Beziehungen dieser drei Länder führten in den vergangenen Jahren wiederholt nicht nur zu lokalen Unterbrüchen der Gaslieferungen, sondern sorgten auch für Engpässe in der Gasversorgung der EU.

Um die Querelen zwischen Russland und den Transitlän-dern zu umgehen, wurden in den letzten Jahren mehrere alternative Pipelineprojekte geplant (siehe Karte S. 3). Bei der Nord Stream Pipeline konnte im November 2011 die erste der zwei geplanten Leitungen eingeweiht werden, die zweite folgte im Oktober 2012. Die Pipeline führt von Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Ein weiteres Projekt, die South Stream Line, die zukünftig russisches Erdgas vom Kaukasus durch das Schwarze Meer nach Europa liefern soll, ist noch nicht realisiert.

Diese Entwicklung erhöht zwar die Versorgungsicherheit Europas mit Erdgas aus russischen Quellen, führt aber nicht zu einer Diversifikation der europäischen Lieferanten. Deshalb existieren weitere Pipelineprojekte, die Gas aus der Region des Kaspischen Meeres und aus dem Nahen Osten unter Umgehung von russischem Staatsgebiet in die EU bringen sollen, so zum Beispiel die Nabucco Pipeline von der Türkei nach Österreich.

Unkonventionelles Erdgas und LNGZwei Entwicklungen auf dem globalen Gasmarkt dürften sich hingegen positiv auf die Versorgungssicherheit auswirken.Erstens ist die Förderung so genannter unkonventioneller Gasvorkommen durch neue Technologien in den letzten Jahren rentabel geworden. Die vermehrte Erschliessung von Coalbed Methan (Gas aus Kohleflözmethan), Tight Gas (Gaslagerstätten in sehr dichtem Gestein) und Shale Gas (Gas in undurchlässigen Schieferformationen) hat die Angebotssituation weltweit verbessert. Schätzungen las-sen vermuten, dass das Potential von unkonventionellem

Nabucco

NIEDERLANDEDEUTSCH-

LANDPOLEN

ÖSTER-REICH

ITALIEN

IRAN

SIZILIEN

UKRAINE

ASERBEIDSCHAN

TURKMENISTAN

LIBYENALGERIEN

SCHWEIZ

Nord Stream

Green Stream

NORWEGENRUSSLAND

KASACHSTAN

Lubmin

Nordsee

Mittelmeer

AtlantischerOzean

Ostsee

Schwarzes Meer

KaspischesMeer

Wyborg

Moskau

South Stream

WEISS-RUSSLAND

SLOWAKEI

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Gas dasjenige von konventionellem bei weitem übersteigt. Die Kehrseite dieser Entwicklung sind Umweltschäden, die aufgrund des hohen Wasserverbrauchs und der Verwen-dung grosser Mengen von Chemikalien bei den neuen Förderverfahren entstehen können.

Zweitens spielt LNG (Flüssigerdgas = Liquefied Natural Gas) infolge technologischer Fortschritte eine immer grössere Rolle. Bei diesem Verfahren wird das Gas durch Abkühlen verflüssigt und kann so auch ohne Pipelines flexibel über grosse Distanzen transportiert werden. Diese Fortschritte kurbeln den globalen Gashandel an. 2010 erfolgten be-reits rund 20 % aller EU-Gasimporte in Form von LNG.

Kombiniert dürften diese beiden Entwicklungen langfristig zu einer höheren Verfügbarkeit von Erdgas in Europa führen und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Diversi-fikation der europäischen Gasbeschaffung leisten.

Erdgas in der SchweizAuch in der Schweiz steigt die Bedeutung von Erdgas für die Energieversorgung. Verwendet wird es hierzulande vor allem zum Heizen und Kochen oder als Prozessenergie in Industrie und Gewerbe. 2010 deckte Erdgas 12,7 % des Endenergieverbrauchs der Schweiz im Vergleich zu 5,1 % 1980 und ist damit nach Erdöl (54,2 %) und Elektrizität (23,6 %) die drittwichtigste Energiequelle des Landes. In absoluten Zahlen hat sich der Endenergieverbrauch von Erdgas zwischen 1990 und 2010 beinahe verdoppelt. So belief sich der Erdgasabsatz der Schweiz 2010 bereits auf 39 Mrd. kWh. Hierbei bildeten die Haushalte mit 42 % die

grösste Verbrauchergruppe, gefolgt von der Industrie mit 31 % und den Dienstleistungen mit 21 % des Gesamtver-brauchs.

Da die Schweiz keine eigenen Vorkommen besitzt, wird Erdgas zu 100 Prozent importiert (siehe Grafik S. 4). Die Liefergesellschaften stammen aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien. Mit russischen Liefe-ranten hat die Schweiz keine Verträge.

Gasleitungen nach Europa: –– Hauptversorgungsleitungen, –– projektierte Leitungen TA-Grafik mt

Neue Technologien erlauben den flexiblen Transport von LNG über die Weltmeere.

im Ausland beschaffte Gas wird mittels 10 weiterer Ein-fuhrpunkte rund um die Schweiz eingespeist (siehe Karte). Insgesamt hat das Erdgasnetz in der Schweiz eine Länge von über 18‘000 km.

Versorgungssicherheit in der SchweizDank diverser vorbeugender Massnahmen der Schwei-zer Erdgasbranche zeichnet sich die Gasversorgung in unserem Land durch eine hohe Versorgungssicherheit aus. Die Aufteilung der Importe auf verschiedene zuver-lässige westeuropäische Lieferanten mit grossen Spei-cherkapazitäten und mehrheitlich westeuropäischen Fördergebieten garantiert eine unter den gegebenen Rah-menbedingungen möglichst breite geographische Diversi-fizierung der Erdgaseinfuhren. Langfristige Lieferverträge als Grundlage für rund die Hälfte der Gasimporte in die Schweiz erhöhen die Sicherheit zusätzlich. Schliesslich verfügt die Schweiz als wichtiges Gastransitland über ein gut ausgebautes Transportnetz. Mit ihren 12 Einspeisungs-punkten ist die Schweiz über das internationale Netz mit rund 100 Gasspeichern in Westeuropa sowie den euro-päischen LNG-Terminals verbunden.

Trotz der Vorkehrungen der Erdgasbranche sind auch in der Schweiz vorübergehende Versorgungsengpässe nicht auszuschliessen. Aus Sicht der wirtschaftlichen Landes-versorgung (WL) sind als Ursache einerseits schwerwie-gende Störungen im internationalen Transportnetz, z. B. als Folge terroristischer Anschläge oder Naturkatastrophen und andererseits bedeutende Lieferkürzungen durch Vor-lieferanten infolge machtpolitischer Ereignisse bzw. eines erhöhten Eigenbedarfs der Lieferstaaten am wahrschein-lichsten.

BewirtschaftungsmassnahmenUm solchen Szenarien, vor allem aber auch saisonbeding-ten Absatzschwankungen begegnen zu können, werden in zahlreichen europäischen Ländern Untertagspeicher für Erdgas unterhalten. Diese Möglichkeit besteht in der Schweiz nicht; bisher wurden keine geeigneten geo-

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Erdgasnachfrage

Beschaffung und InfrastrukturDie Erdgasbeschaffung in der Schweiz erfolgt primär durch die Swissgas AG. Sie importiert rund drei Viertel der in der Schweiz verbrauchten Menge. Vier Regionalgesellschaften übernehmen einerseits das von Swissgas eingeführte Gas und importieren andererseits etwa einen Viertel des hiesi-gen Erdgasbedarfs selber. Anschliessend leiten sie das Gas an die rund 100 lokalen Versorger weiter, welche es an die Endkunden liefern. Im Tessin sorgt der lokale Erdgasliefe-rant AIL autonom für die Versorgung.

Die wichtigste Einfuhrroute für Gas in die Schweiz bildet die Pipeline TENP (Trans-Europa-Naturgas-Pipeline), die von den Niederlanden nach Italien führt (siehe Kasten). Durch diese Pipeline führt Swissgas ihre Importe in die Schweiz ein. Das von den Regionalgesellschaften direkt

8%

21%

21%

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41%

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Andere Länder

Norwegen

Russland

EU

2010 2009 2008

Erdgasimporte in die Schweiz 2008/9/10, in Prozenten nach Ursprungsland

Quelle: VSG 2012

Erdgasimporte in die Schweiz in Prozenten nach Ursprungsländern.Quelle: VSG 2012

Transeuropäische TransportleitungTransportleitungEinspeisungmögliche oder geplante EinspeisungEinspeisung in LokalnetzErdgas-Versorgungen Quelle: erdgas.ch

Die 292 km lange Transitgas-Leitung quer durch die Schweiz bildetdas Herzstück der Gasversorgung in unserem Land. Über ein Verbin-dungsstück kann zusätzlich Gas aus Frankreich in die Leitung einge-speist werden. Die Importe werden von den Regionalgesellschaften mittels mehrerer Abnahme- und Zollmessstationen entlang der Pipeline entnommen. Die 1974 erstellte Transitgas-Leitung wurde zwischen 1997 und 2002 stark ausgebaut. Zurzeit wird sie umgebaut, um die Umkehrung der Flussrichtung zu ermöglichen, sodass Gas auch von Süden her transportiert werden kann.

Transitgas-Leitung

logischen Strukturen für grössere Gasspeicher gefunden. Auch LNG-Lager machen wegen der hohen Kosten und ihrer schlechten Ökobilanz für die Schweiz keinen Sinn. Daher können in der Schweiz keine Erdgaspflichtlager eingerichtet werden, wie dies beim Erdöl möglich ist. Die Gasindustrie besitzt jedoch hierzulande diverse kleinere, künstlich geschaffene Speicher wie Röhren- oder Kugel-speicher für den Tages- und Wochenausgleich. Daneben verfügt die Schweizer Gaswirtschaft über vertragliche Spei-cherkapazitäten in Etrez, Frankreich.

Kann ein Lieferrückgang von Erdgas in die Schweiz trotz-dem nicht kompensiert werden, hält die WL Massnahmen bereit, um so lange wie möglich die Versorgung von Anla-gen zu gewährleisten, die nicht auf andere Energieträger umgestellt werden können. Hierfür kann die Umschaltung von Zweistoffanlagen auf Heizöl behördlich angeordnet und dadurch der Gasverbrauch innert Stunden redu-ziert werden (siehe Kasten). Das Substitutionspotential variiert jedoch stark. Bei sehr tiefen Temperaturen sindErdgaskunden bereits vertraglich verpflichtet, aufHeizöl umzuschalten. Bei Temperaturen um den Gefrier-punkt kann durch Umschaltungen ca. ein Drittel der bei diesen Temperaturen benötigten Leistung eingespart werden. Sollte gleichzeitig auch die Versorgung mit Erdölprodukten gestört sein, werden für diesen Zweck gehaltene Pflichtlager an Heizöl freigegeben.

Reichen die ausserordentlichen Umschaltungen von Zwei-stoffanlagen für die Bewältigung einer Gasmangellage nicht aus, könnte der Erdgasverbrauch mit einer Kontin-gentierung bei Einstoffanlagen weiter gesenkt werden. Aus technischen und administrativen Gründen ist eine Kontingentierung allerdings nur bei Grossverbrauchern sinnvoll. Die übrigen Verbraucher werden mittels Auf-rufen zur sparsamen Verwendung aufgefordert. n

Erwarten Sie in den nächs-ten zwanzig Jahren einen steilen Anstieg der Inland-nachfrage?Langfristig erwarten wir einen moderaten Anstieg des Erdgas-verbrauchs. Wir gehen zwar davon aus, dass in den kom-menden Jahren zusätzliche Verbraucher neu ans Erdgasnetz angeschlossen werden. Dieser Mehrbedarf dürfte jedoch durch Entwicklungen wie Energiesparmassnahmen oder die Produktionsverlagerungen

ins Ausland teilweise kompensiert werden. Ein Anstieg des Erdgasbedarfs ist hauptsächlich aufgrund der ver-mehrten Stromproduktion durch Erdgas zu erwarten. Allerdings wird dieser Zusatzbedarf schrittweise im Verlauf der Jahre entstehen. Zudem wissen wir noch wenig darüber, in welchem Umfang und mit welchen Technologien in Zukunft aus Gas Strom produziert werden soll.

Genügt die aktuelle Erdgasinfrastruktur in der Schweiz, um der erwarteten Inlandnachfrage langfristig gerecht zu werden? Wir sind in einer komfortablen Situation. Das bestehende Erdgasnetz verfügt über grössere Kapazitätsreserven. Falls aber mehrere grosse Gas-Kombikraftwerke gebaut würden, müsste das Netz wahrscheinlich stellenweise verstärkt werden, um dessen Kapazität und Flexibilität zu vergrössern.

Welche Strategie verfolgt die Gasbranche, um die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten?Die Versorgungssicherheit bei Erdgas ist von zentraler Bedeutung. Die Schweiz hat den Vorteil, dass sie gut in das europäische Erdgasnetz eingebunden ist und über partnerschaftliche und langfristige vertragliche Bezie-hungen mit zuverlässigen Lieferanten verfügt. Dabei dürfte die Koordination mit der EU in Zukunft eine grössere Rolle spielen. Zur weiteren Verstärkung der schweizerischen Versorgungssicherheit beim Erdgas tragen auch alle geplanten Infrastrukturprojekte bei, die zusätzliches Erdgas nach Europa bringen.

Drei Fragen an Andreas Bolliger, Swissgas AG

Andreas Bolliger ist Leiter Netz bei der Swissgas AG und im Nebenamt Chef der Abteilung Erdgas in der WL

Zweistoffanlagen können sowohl mit gasförmigem als auch mit flüssigem Brennstoff betrieben werden. Die Umschaltung dieser Anlagen ist eine auf vertraglicher Basis geregelte, gängige Praxis in der Erdgaswirtschaft zur Optimierung der Gasbeschaffung während der kalten Jahreszeit. Obwohl von den ca. 300‘000 Gas-anlagen in der Schweiz nur etwa 7‘000 Zweistoffanlagen sind, entfällt auf diese rund ein Drittel des Gasver-brauchs. Sie sind besonders verbreitet in Industrie- und Dienstleistungsbetrieben sowie bei grossen Heizungs-anlagen.

Zweistoffanlagen in der Schweiz

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Internationale Anstrengungen für mehr Versorgungssicherheit

Im Nachgang zu dieser Krise wurde eine neue EU-Verord-nung zur Gewährleistung einer sicheren Erdgasversor-gung ausgearbeitet und auf Ende 2010 in Kraft gesetzt.

Sie weist die Mitgliedstaaten unter anderem an, nationale Präventions- und Notfallpläne auszuarbeiten, die eine unionsweite Abstimmung der vorgesehenen Massnahmen bezwecken. Im Vordergrund der EU-Vorbereitungen stehen Speicheranlagen und Pipelines mit der Möglich-keit, die Flussrichtung des Erdgases umzukehren. Durch diese Massnahmen sollen private Haushalte sowie speziell definierte Konsumentengruppen bei einem Versorgungs-unterbruch während mindestens 30 Tagen unter normalen winterlichen Verhältnissen weiter mit Erdgas beliefert werden können.

EU-Koordinierungsgruppe «Erdgas»Zusätzlich wurde die 2006 gegründete EU-Koordinie-rungsgruppe «Erdgas» mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Ihr Hauptauftrag besteht darin, in einer Ver-sorgungskrise die nationalen Massnahmen unionsweit zu koordinieren und deren Zweckmässigkeit zu überprüfen. In der Gruppe vertreten sind sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Verbraucherverbände und die Interessens-verbände der Gasindustrie.

In der Schweiz wird Erdgas im Rahmen der Energiestra-tegie 2050 in den nächsten Jahren voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen. Deshalb klären die zuständigen Stellen des Bundes momentan ab, inwieweit eine allfällige Beteiligung der Schweiz an der EU-Koordinierungsgruppe die Versorgungssicherheit des Landes weiter erhöhen könnte.

Internationale Energie-AgenturNeben der EU sieht auch die Internationale Energie-Agen-tur (IEA) seit einigen Jahren Handlungsbedarf im Bereich der Erdgasversorgung. Die Kernaufgabe der 1974 als Reaktion auf die damalige Ölkrise gegründeten IEA bestand ursprünglich darin, die Erdölversorgungssicherheit ihrer Mitglieder durch gewisse Massnahmen zu verbessern. Die IEA überprüft regelmässig den nationalen Vorbereitungs-stand ihrer Mitglieder (siehe Kasten). Im Jahr 2009 hat sie von den Energieministern ein Mandat zur Ausweitung ihrer Aktivitäten auf Erdgas erhalten. Seither unterstützt die IEA die Anstrengungen ihrer Mitglieder, die Notfall-bereitschaft auch beim Erdgas zu verbessern. Zu diesem Zweck werden bei den regelmässigen Länderüberprü-fungen neuerdings auch Versorgungslage, Infrastruktur und Notfallmassnahmen im Erdgasbereich analysiert und bewertet. n

Während der russisch-ukrainischen Gaskrise im Januar 2009 wurden alle Gaslieferungen durch die Ukraine während fast drei Wochen gestoppt, was unmittelbar zu Lieferengpässen in verschiedenen europäischen Ländern führte. Dies zeigt, dass Energiekrisen vor Landesgrenzen nicht Halt machen.

Im November 2011 hat die IEA die Notstandsmass-nahmen überprüft, welche die Schweiz zur Bewältigung möglicher Erdöl- und Erdgasengpässe vorbereitet hat. Jedes der 28 IEA-Mitglieder wird alle fünf Jahre einer solchen Länderüberprüfung unterzogen. Der Schluss-bericht der IEA zuhanden der Schweiz weist auf ein-zelne Verbesserungsmöglichkeiten hin, stellt unserem Land als Ganzes jedoch ein sehr gutes Zeugnis für seine Vorbereitungen aus.

Überprüfung der Notstands-massnahmen

Erdgas international

Grössere Versorgungssicherheit bei Erdgas dank internationaler Kooperation.

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Serge Gaillard hat die Leitung des Bereichs Arbeit Anfang 2007 über-nommen. Während seiner Amtszeit hat er der Organisation seine ökonomi-sche Expertise zur Verfügung gestellt und die Neuausrichtung des Bereichs eingeleitet. Im September 2012 hat Herr Gaillard als Leiter der Direktion Arbeit im SECO und als Chef des Bereichs Arbeit demissioniert.

Wir danken den beiden Bereichschefs für ihr wertvolles Engagement zu Gunsten der wirtschaftlichen Landesver-sorgung und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute.Über die Nachfolge werden wir in einer der nächsten Ausgaben informieren. n

In Kürze

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Jürg E. Bartlome Serge Gaillard

Im Herbst 2012 sind zwei Bereichsverantwortliche von ihren Ämtern zurückgetreten: Jürg E. Bartlome, Chef des Bereichs Energie und Serge Gaillard, Chef des Bereichs Arbeit.

Jürg E. Bartlome hat sich während mehr als zehn Jahren für die wirtschaftliche Landesversorgung engagiert, zunächst als Chef der Abteilung Energie im damaligen Industrieamt und seit 2002 als Leiter des neu gebildeten Bereichs Ener-gie. In dieser Funktion hat er diesen selbständigen Bereich komplett aufgebaut sowie das Treibstoffrationierungs- und Heizölbewirtschaftungsystem überarbeitet. Herr Bartlome hat das 10-jährige Bestehen des Bereichs zum Anlass genommen, per Ende September 2012 zurückzu-treten.

Rücktritt der Bereichschefs Energie und Arbeit

Frühwarnsystem in der HeilmittelversorgungBerichte über Engpässe in der Heilmittelver-sorgung haben in den vergangenen Monatenfür Verunsicherung gesorgt. Ein verstärkterInformationsaustausch zwischen Anbietern,Behörden und Endabnehmern soll die Versorgungssicherheit erhöhen.

Eine Verknappung von Heilmitteln ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen: Die Produktion wird auf immer weniger Standorte konzentriert, die produzierten Char-gen sind Monate im Voraus einzelnen Ländern zugeteilt und die Anforderungen der Zulassungsstellen an die Her-steller werden stets grösser. Ausserdem werden die Wirk-stoffe von immer weniger Herstellern angeboten, und die Lagermengen werden auf allen Ebenen reduziert. Hinzu kommt, dass jedes Medikament für den Verkauf in der Schweiz eine Schweizer Zulassung braucht. Ein Produk-tionsproblem bei einem einzigen Hersteller kann damit zum sofortigen Ausfall eines namhaften Marktanteils füh-ren, der von den Mitbewerbern – sofern solche überhaupt vorhanden sind – nur teilweise kompensiert werden kann.

So waren im Frühjahr 2012 Krebsmedikamente von Liefer-schwierigkeiten betroffen. Im Sommer folgten bestimmte Dosierungen eines wichtigen Antibiotikums. Um die Ver-fügbarkeit weiterhin zu gewährleisten hatte die wirtschaft-liche Landesversorgung (WL) den Lieferanten ab Juli den Bezug des Produktes ab Pflichtlager ermöglicht. Damit konnte der während den Sommermonaten entstandene

Engpass überbrückt werden. Inzwischen hat sich die Lage normalisiert, der Markt wird wieder über die ordentlichen Kanäle versorgt.

Um auf Verknappungen bei den Heilmitteln inskünftig besser reagieren zu können, steht die WL mit dem Bundes-amt für Gesundheit, der Armeeapotheke und swissmedic in Kontakt und prüft den Aufbau einer Informations- und Koordinationsplattform. Ziel ist es, die Kommunikation zwischen Anbietern, Behörden und Abnehmern – insbe-sondere dem Spitalsektor – zu verstärken. Dank der früh-zeitigen Information über mögliche Versorgungsstörungen sollen die Akteure des Gesundheitswesens mehr Zeit erhalten, um gemeinsam geeignete Lösungen bereit stellen und adäquat auf einen Engpass reagieren zu können. n

Kommentar Rundschau

Run auf Ressourcen

Die Kombination von niedrigen Lagerbeständen, unsicheren Ernten und der Konkurrenz zwischen Lebensmittel- und Energieproduktion hat 2008 zu einer Verdreifachung der Weltmarktpreise von Nahrungsmitteln wie Reis, Mais und Weizen geführt. 2011 wurde diese Preisschwelle aufgrund des weltweit knappen Angebot bereits wieder überschritten. Russland, eine der weltweit grössten Getreideexportnationen, hat 2010 als Folge der schweren Waldbrände eine Exportsperre für Getreide verhängt. Im vergangenen Jahr hat Indien die Ausfuhr von Baumwolle verboten und in China, dem weltgrössten Baumwoll-produzenten, wurde dieser Rohstoff für die Herstellung von Verbandmaterial knapp. Der Wettlauf um die Rohstoffsicherung ist lanciert. Die Schwellenländer kaufen Ressourcen auf, um sie als Fertig-produkte in den Westen zu exportieren und sie sichern sich Anbauflächen in den Entwicklungsländern. Sie stop-pen den Export von Rohstoffen und legen strategische Lager an, um die einheimische Produktion zu sichern und von Preisschwankungen unabhängiger zu machen. Dass die Nachfrage nach Ressourcen in der Zukunft wieder nachlassen wird ist unwahrscheinlich. Das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und die sich verändernden Lebensstandards und Konsumgewohnheiten in den Schwellenländern werden die Nachfrage nach hochwer-tigen Lebensmitteln und Energieträgern weiter ansteigen lassen. Der Bedarf an Energie dürfte bis 2030 weltweit um bis zu 40% zunehmen: Mehr als die Hälfte davon wird die zur Stromerzeugung eingesetzte Primärenergie ausmachen und 22% der weltweiten Stromproduktion wird durch Erdgas erzeugt werden. Die Erdgasproduktion wird in jeder Region der Welt zunehmen, ausser in Europa, und die Gaslieferungen der Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie Russlands werden sich vermehrt nach Osten orientieren.

Die Schweiz als importabhängiges Land am Ende der Versorgungskette tut in diesem Umfeld gut daran, sich auf Versorgungsstörungen vorzubereiten und für Krisenfälle gewappnet zu sein.

Dr. Ueli HaudenschildGeschäftsstellenleiter der Bereiche Ernährung, Energie und Heilmittel n

Dunkles IndienEnde Juli liess der bisher wohl grösste Stromausfall der Welt rund 600 Millionen Inder für fast zwei Tage im Dunkeln. Nebst dem veralteten Verteilnetz und den chronischen Engpässen in der indischen Stromproduk-tion, lag der Grund für den Blackout vor allem beim in vielen Regionen verspätet einsetzenden Monsun, sodass mehr Klimaanlagen und Wasserpumpen länger liefen als üblich. Kurze Stromunterbrüche sind Alltag in Indien.

Steigende NahrungsmittelpreiseIm Juli vermeldete die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) einen Anstieg ihres globalen Nahrungsmittel-Preisindex um 6%. Insbesondere bei Mais, Zucker und Getreide zogen die Preise deutlich an. Gründe für diese erneute Zunahme der Nahrungsmit-telpreise nach dem vorläufigen Höhepunkt im Februar, sind die Dürre in den USA, die verregnete Zuckerrohr-ernte in Brasilien und die Aussicht auf eine schlechte Getreideernte in Russland.

Kritik an Agrotreibstoffen Angesichts der schlimmsten Dürre in den USA seit 50 Jahren hat die FAO die USA aufgefordert, die Produktion von Agrotreibstoffen vorübergehend aus-zusetzen. Durchschnittlich fliessen etwa 40% der US-Maisernte in die Bioethanolproduktion. Durch die Ernteausfälle stieg der Preis für US-Mais allein im Juli um 26%. Die USA sind weltweit der grösste Maisexporteur.

Mehr Kohle2011 ist der Anteil von Kohle am globalen Energiemix mit 30,3% auf den höchsten Wert seit 1969 gestiegen. Der weltweite Kohleverbrauch stieg im gleichen Jahr um 5,4%, wobei 68,6% des Gesamtverbrauchs sowie der gesamte Nettozuwachs der Nachfrage auf den Asien-Pazifik-Raum entfallen. Kohle wird somit für die BRIC-Staaten und vor allem für viele Schwellenländer zu einem immer wichtigeren, da billigen Energieträger.

Wechselnde RangordnungDer Irak stieg diesen Sommer zum zweitgrössten erd-ölproduzierenden OPEC-Land nach Saudi-Arabien auf und förderte zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahr-zehnten mehr Öl als Iran, die bisherige Nummer zwei. Während im Irak laufend in die Ölinfrastruktur investiert wird, sinkt die iranische Ölproduktion nun schon seit Jahren als Folge der westlichen Sanktionen und ausblei-bender Investitionen.

Ueli Haudenschild

ImpressumHerausgeber: Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung Belpstrasse 53, 3003 Bern, Telefon 031 322 21 85 [email protected], www.bwl.admin.chFotos: fotolia, XL Digitale Fotos

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