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I8 KLINISCH~E WOCHENSCIIRIFT. 4. JAItRGANG. Nr. r I. JANUAR~925 verhalten. Man betrachtet m. E. diese Vorg~nge meist zu ein- seitig yon der hirnpathologischen Seite. Man will etwa in den yon den I{ranken vorgebrachten Motivierungen fiir die ]3e- wegungen nichts als nachtr~glich zurechtgemachte Erkl~run- gen im Sinne der ErM~irungsideen yon WER?;ICI~ sehen. Nun kommen gewiB naehtr~tgliche Rationalisierungen vor; wenn die Kranken yon elektrischen Einwirkungen u. dgl. sprechen, so gestalten sie ihre sehwerformulierbaren Sensationen ganz offenbar im Sinne eines gel~iufigen Bildes urn. L~if3t m a n jedoch die Kranken w~hrend jener akuten Zust~nde oder un- mittelbar danach berichten, so zeigt sich framer wieder, dab das Motorische aufs engste in seelische Gesamtzust~nde ver- woben ist und, dab diese vielfach einen spezifisch archaisch- magischen Erlebnischarakter tragen. Da &uBert z. B. ein Katatoniker, dab sein Blinzeln mit den Augenlidern ein Blitzen bedeute, mit dem er als Welterl6ser alles Gemeine totschlagen wolle. Derartige AuBerungen fiber bestimmte Erlebnisse spezifisch mystisch-religi6ser Art, Erlebnisse der Welterl6sung, Verg6ttlichung, Wiedergeburt usw. kehren mit solcher H&ufigkeit und Regelm~13igkeit wieder, dab man zu der Annahme gelangt, in den katatonischen Zust~nden tue sich eine sonst verschfittete Sph~ire religi6s-mystischer Glau- bensfiberzeugungen und einer ekstatischen E~ffilltheit yon dem BewuBtsein der Einigung and Verschmelzung mit dem G6ttlichen auf. 5lan st6Bt auf ein unmittelbares Durch- drungensein vom Glauben an die Wirkungskraft des Magi- schen, das durchaus urspriinglich erscheint. Mit so gearteten Seelenzust~nden erscheinen die motorischen St6rungen so eng verfloehten, dab man yon 2 Seiten eines einheitlichen psycho- physischen Gesamtzustandes sprechen darf, der sowohl soma- tisch wie psychisch durch starke Einschl~ge primitiver Art gekennzeichnet ist. Fassen wir zusammen: Bei einer Analyse einer gr613eren Anzahl neurologisch-psychiatrischer KranMaeitserscheinungen land sich auf psychopathischem Grenzgebiet ein Persistieren, im Bereich der neurologisch-psychiatrischen Krankheitsvor- g~nge ein Wiedererscheinen primitiverer Organisationsstufen der Pers6nlichkeit oder ihrer Teilgebilde (Motorik, Spraehe usw.). Es zeigt sich also, dab der Entwieklungsgedanke bei planm~Biger Anwendung im Sinne eines heuristischen Prin- zips imstande ist, ein vertieftes Verst~ndnis ffir das Wesen zahlrelcher neurologischer und psychiatrischer Krankheits- formen zu vermitteln. Nachtray; Auf der Innsbrucker Tagung der GesellschMt Deut- scher Nervengrzte hat GOLDST~IN in einem Vortrag iiber die am- nestisehe Aphasie gezeigt, dab es sich bei dieser Erkrankungsform nieht nur um erschwerte Wortfindung u. dgl. handelt, sondern dab eine Beeintr~chtigung des kategoriMen Verhaltens vorliegt, dutch welche der Kranke auf eine konkret-ansehaulich primitivere Ver- hMtungsstufe gleichsam zurfickgeworfen wird. I)amit gew~nne die auch yon SCI~ILD~R vertretene Anffassung eine neue Stiitze, dab eine umschriebene Hirnlgsion nicht den AusfM1 irgendwelcher Vorstellungen erzeugt, sondern eine Herabsetzung bestimmter Hirnfunktionen bedingt, und zwar in dem Sinne, dab sie primitivere EntwicMnngsstufen der betreffenden Funktionen zum Vorschein kommen l~Bt (vgh dazu auch die grunds~tzlichen Ausfiihrungen yon GOLDSTEIN auf der Tagung Deutscher NervenXrzte in HMle 1922, referiert im ZentrMbl. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 3o). Literatur: ~) GAS~PER and UNT]~RSTEINER, Ober eine komplex gebaute postencephalitische tIyperkinese and ihre ]3e- ziehungen zu dem orMen Einstellautomatismus des S~uglings. Arch. f. Psychiat.rie u. Nervenkrankh. 7I. 1924. -- 3) GI~RS~NA~N and KAUD~RS, Uber den Meehanismus der postencephMitischen ,psychopathie-~hnlichen" Zustandsbilder bei Jugendlichen. Arch. f. Psychiatrie u. Nervenkrankh. 7x, 1924. -- ~) MAYER-GRoss, ]3emerkungen znr psychiatrischen Charakterkunde. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 89. I924. -- a)GAuPP, Paranoia. Kiln. Wochenschr. Jahrg. 3, Nr. 27 . ]3erlin 1924 . -- s) Jos~F R~IX~OLD, Ober presbyophrene Sprachst6rungen. Ein ]3eitrag zur Frage des Abbaues der Sprachfunktion. Zeitschr. f. d. ges. NeuroI. u. Psychiatr. 76. 1922. -- a) ELIASBERa und FEUC~- WA~ER, Zur psychologisehen und psychopathologischen Unter- suchung and Theorie des erworbenen Schwachsinns. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 75- 1922. -- ~) ER~S~ IKR~r Lrber Hysterie. Leipzig I923. -- s) KUR~ JACOB, Ober pyramidMe und extrapyramidMe Symptome bei Kindern und tiber motorischen Infantilismus. Zeitschr. I. d. ges. NeuroI. u. Psychiatr. 89. 1924. __ 9) KRA~;Pt~LIN, Die Erscheinungsformen des Irreseins. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 62. 192o. -- 10) E , SPRANOER, Pbychologie des JugendMters. Leipzig 1924. -- n) SCmLDER, Medizinische Psycbologie. BBerlin I924. -- as) ALFRED STORCI-I, Das archaisch-primitive Erleben nnd Denken der Sehizophrenen. Monographien a. d. Oesamtgeb. d. Neurol. u. Psyehiatr. Heft 32, _ la) K. IKI, t~IST, Die psychomotorischen St6rungeu und ihr Ver- h~ltnis zu den Motilitgtsst6rungen bei Erkrankungen der Stamm- ganglien. Monatsschr. I. Psychiatr. u. Neurol. 52. 1922. ERFAHRUNGEN MIT DER INTRAVENOSEN IN- JEKTION VON CYLOTROPIN ZUR BEKAMPFUNG DER HARNVERHALTUNG. Von Prof. Dr. E. VOGT, Oberarzt der Universit~itstrauenklinik Tiibingen (Direktor: Prof. Dr. A. MAYER). Seitdem das Urotropin in die Therapie zur Bek~impfung der Harnverhaltung eingeffihrt worden istl), sind eine ganze Reihe yon Nachprfifungen ver6ffentlicht worden, welche fast durch- weg das Mittel empfehlen. Die Einfachheit und die Wirksam- keit der intraven6sen Urotropintherapie waren es, welche dieser neuen Therapie in sehr kurzer Zeit Eingang in die Kliniken und auch in die Praxis verschafft haben. Wenn wir davon absehen, dab such die intravenOse Urotropin- therapie genau wie jede andere Behandlungsmethode zu bewerten ist and rnit MiBerfolgen, welche aber nach unseren eigenen Erfah- rungen und denen der Literatar nut wenige Prozent ausmachen, zu rechnen hat, so war es in erster Linie die unangenehme Neben- wirkung des Harnzwangs, welche der l~Iethode begreiflieherweise einen gewissen Abbruch tat. Immerhin muB bier festgestellt wet- den, dab ein l~istiger Tenesmns nicht gerade h~ufig vorkommt, am h~ufigsten hatte PASCH ~) mit 4% seiner F~lle dariiber zu klagen, dab er mit yon der Dosierung abhhngig ist und sich entsprechend vermeiden l~Bt und dab er schlieBlich, wenn er trotz Mler Vor- sichtsmaBregeln einmM aufgetreten ist, gew6hnlich bald mit ein- fachen Mitteln bek~mpft werden kann. Da es sich bei der thera- peutischen Anwendung der intraven6sen Urotropininjektion abet zumeist um Frauen handelt, welche durch die vorausgegangene Operation oder Geburt mehr oder weniger gesch~idigt sind, muB es selbstverst~ndlich unser Bestreben sein, gerade in den ersten Tagen naeh der Operation nach M6glichkeit jeden Schmerz nnd jede neue ]3el~stigung mit Mien Mitteln fernzuhMten. Aus diesen Grfinden batten wir uns sehr bald nach den ersten erfolgreichen intraven6sen Injektionen yon Urotropin nait der weiteren Aufgabe beschgftigt, auf irgendeine Weise die Tenesmen auszuschalten. In der ])berzeugung, dab die Methode als solche, die intraven6se Zufuhr des Medikaments mit v611iger Umgehung der Harnwege und ohne ]3elastung des Magendarmkanals zweifellos einer Idealbildung der Dysurie entspricht and dab diese Methode geeignet ist den Katheter und den Dauerkatheter mit all ihren Gefahren und Unbequemlichkeiten ffir Patientin and Arzt mindestens ganz erheblich einzuschrgnken, schwebte nns der Gedanke vor, die Zusammensetzung des Medikaments so zu gndern, dab seine "Wirksamkeit nicht leidet und doch gleiehzeitig die Tenesmen vermieden werden. Als das Cylotropin 1923 bekannt wurde, stellten wit sofort auch damit Versuche an. PICARDa) hat das Cylotropin angegeben. Um die Wirkungsweise des Cylotropins zu verstehen, mflssen wir zuerst seine wiehtigsten pharmakologischenEigenschaJten kennen- lernen. PICARD ging yon dem Gedanken aus durch Zusatz der Salicylsaure den Sguregrad des Urotropins noch welter zu verstgrken und dutch die langsame Ausscheidung der SMicyls~ure die Abspal- tungshemmung des Urotropins bei Mkalischer Reaktion zu besei- tigen, well die AbspMtung des Urotropins in FormMdehyd einen gewissen S~uremindestgehalt des lJrins zur Voraussetzu~g hat. Anf diesen Punkt hat kiirzlich wieder P. TRENDELENBURG 4) hin- gewiesen, indem er zeigte, dab das Hexamethylentetramin nur bei snarer Reaktion des Urins seine Desinfektionskraft entfalten kann, Er schlug daher vor, den neutrMen oder alkalisehenI~arn umzu- stimmen, entweder dutch eine Fleischdi~t fiir mehrere Tage oder aloer dutch orale Verabreichung yon mehreren Gramm prim~ren Natriumphosphates. SehlieBlich k6nnte man daran denken, bei

Erfahrungen mit der Intravenösen Injektion von Cylotropin zur Bekämpfung der Harnverhaltung

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Page 1: Erfahrungen mit der Intravenösen Injektion von Cylotropin zur Bekämpfung der Harnverhaltung

I 8 K L I N I S C H ~ E W O C H E N S C I I R I F T . 4. J A I t R G A N G . N r . r I. JANUAR~925

v e r h a l t e n . M a n b e t r a c h t e t m. E. diese Vorg~nge me i s t zu ein- sei t ig y o n de r h i r n p a t h o l o g i s c h e n Seite. M a n will e twa in den yon den I { r a n k e n v o r g e b r a c h t e n M o t i v i e r u n g e n fiir die ]3e- wegungen n i ch t s als nach t r ~g l i ch z u r e c h t g e m a c h t e E r k l ~ r u n - gen im Sinne der ErM~irungsideen yon WER?;ICI~ sehen. N u n k o m m e n gewiB naehtr~tgl iche R a t i o n a l i s i e r u n g e n vo r ; w e n n die K r a n k e n yon e lek t r i schen E i n w i r k u n g e n u. dgl. sprechen, s o ges t a l t en sie ih re s e h w e r f o r m u l i e r b a r e n S e n s a t i o n e n ganz o f f enba r i m Sinne eines gel~iufigen Bildes urn. L~if3t m a n j edoch die K r a n k e n w ~ h r e n d jener a k u t e n Zus t~nde oder un- m i t t e l b a r d a n a c h be r i ch ten , so zeigt s ich f ramer wieder, dab das Moto r i s che aufs engs te in seel ische G e s a m t z u s t ~ n d e ver- w o b e n i s t und , d a b diese v ie l fach e inen spezif isch a rcha isch- m a g i s c h e n E r l e b n i s c h a r a k t e r t r agen . D a &uBert z. B. ein K a t a t o n i k e r , d a b se in Bl inze ln m i t den Augen l ide rn ein B l i t zen bedeu te , m i t d e m er als Wel te r l6se r alles Gemeine t o t s c h l a g e n wolle. De ra r t i ge AuBerungen fiber b e s t i m m t e Er l ebn i s se spezif isch myst i sch- re l ig i6ser Art , E r l ebn i s se de r Wel te r l6sung , Verg6 t t l i chung , W i e d e r g e b u r t usw. k e h r e n m i t solcher H&ufigkei t u n d Regelm~13igkeit wieder, d a b m a n zu der A n n a h m e gelangt , in den k a t a t o n i s c h e n Z u s t ~ n d e n tue sich eine sons t ve r sch f i t t e t e Sph~ire re l ig i6s -mys t i scher Glau- bens f ibe rzeugungen u n d e iner e k s t a t i s c h e n E~ff i l l thei t yon d e m B e w u B t s e i n de r E i n i g u n g a n d V e r s c h m e l z u n g m i t d e m G 6 t t l i c h e n auf. 5 l an s t6Bt auf ein u n m i t t e l b a r e s D u r c h - d r u n g e n s e i n v o m G l a u b e n a n die W i r k u n g s k r a f t des Magi- schen, das d u r c h a u s u r sp r i ing l i ch erschein t . Mi t so g e a r t e t e n See l enzus t~nden e r sche inen die m o t o r i s c h e n S t 6 r u n g e n so eng ver f loeh ten , d a b m a n yon 2 Se i ten eines e inhe i t l i chen psycho- p h y s i s c h e n G e s a m t z u s t a n d e s sp rechen darf , der sowohl soma- t i sch wie p sych i sch d u r c h s t a rke E insch l~ge p r i m i t i v e r A r t g e k e n n z e i c h n e t ist .

F a s s e n wir z u s a m m e n : Bei e iner Ana lyse e iner gr613eren A n z a h l neu ro log i sch -psych ia t r i s che r KranMae i t s e r sche inungen l a n d sich auf p s y c h o p a t h i s c h e m Grenzgeb ie t ein Pers i s t i e ren , im Bere i ch de r neu ro log i s ch -psych i a t r i s chen K r a n k h e i t s v o r - g~nge ein Wiede r e r s che i nen p r i m i t i v e r e r O r g a n i s a t i o n s s t u f e n der Pe r s6n l i chke i t oder ih re r Tei lgebi lde (Motorik, Sp raehe usw.). Es zeigt s ich also, d a b der E n t w i e k l u n g s g e d a n k e be i p lanm~Biger A n w e n d u n g im Sinne eines h e u r i s t i s c h e n P r in - zips i m s t a n d e ist, e in ve r t i e f t e s V e r s t ~ n d n i s ffir das W e s e n zah l re lcher neuro log ischer u n d p s y c h i a t r i s c h e r K r a n k h e i t s - f o r m e n zu v e r m i t t e l n .

Nachtray; Auf der Innsbrucker Tagung der GesellschMt Deut- scher Nervengrzte ha t GOLDST~IN in einem Vortrag iiber die am- nestisehe Aphasie gezeigt, dab es sich bei dieser Erkrankungsform nieht nur um erschwerte Wortf indung u. dgl. handelt , sondern dab eine Beeintr~chtigung des kategoriMen Verhaltens vorliegt, dutch welche der Kranke auf eine konkret-ansehaulich primitivere Ver- hMtungsstufe gleichsam zurfickgeworfen wird. I )amit gew~nne die auch yon SCI~ILD~R vertretene Anffassung eine neue Stiitze, dab eine umschriebene Hirnlgsion nicht den AusfM1 irgendwelcher Vorstellungen erzeugt, sondern eine Herabsetzung bes t immter Hirnfunkt ionen bedingt, und zwar in dem Sinne, dab sie primitivere EntwicMnngsstufen der betreffenden Funkt ionen zum Vorschein kommen l~Bt (vgh dazu auch die grunds~tzlichen Ausfiihrungen yon GOLDSTEIN auf der Tagung Deutscher NervenXrzte in HMle 1922, referiert im ZentrMbl. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 3o).

L i t e r a t u r : ~) GAS~PER and UNT]~RSTEINER, Ober eine komplex gebaute postencephalitische tIyperkinese and ihre ]3e- ziehungen zu dem orMen Einstel lautomatismus des S~uglings. Arch. f. Psychiat.rie u. Nervenkrankh. 7I. 1924. -- 3) GI~RS~NA~N and KAUD~RS, Uber den Meehanismus der postencephMitischen ,psychopathie-~hnlichen" Zustandsbilder bei Jugendlichen. Arch. f. Psychiatr ie u. Nervenkrankh. 7x, 1924. -- ~) MAYER-GRoss, ]3emerkungen znr psychiatrischen Charakterkunde. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr . 89. I924. -- a)GAuPP, Paranoia. Kiln. Wochenschr. Jahrg. 3, Nr. 27 . ]3erlin 1924 . -- s) Jos~F R~IX~OLD, Ober presbyophrene Sprachst6rungen. Ein ]3eitrag zur Frage des Abbaues der Sprachfunktion. Zeitschr. f. d. ges. NeuroI. u. Psychiatr . 76. 1922. -- a) ELIASBERa und FEUC~- WA~ER, Zur psychologisehen und psychopathologischen Unter- suchung and Theorie des erworbenen Schwachsinns. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 75- 1922. -- ~) ER~S~ IKR~r Lrber Hysterie. Leipzig I923. -- s) KUR~ JACOB, Ober pyramidMe und extrapyramidMe Symptome bei Kindern und tiber motorischen Infantil ismus. Zeitschr. I. d. ges. NeuroI. u. Psychiatr. 89. 1924.

__ 9) KRA~;Pt~LIN, Die Erscheinungsformen des Irreseins. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 62. 192o. - - 10) E , SPRANOER, Pbychologie des JugendMters. Leipzig 1924. -- n) SCmLDER, Medizinische Psycbologie. BBerlin I924. -- as) ALFRED STORCI-I, Das archaisch-primitive Erleben nnd Denken der Sehizophrenen. Monographien a. d. Oesamtgeb. d. Neurol. u. Psyehiatr . Heft 32, _ la) K. IKI, t~IST, Die psychomotorischen St6rungeu und ihr Ver- h~ltnis zu den Motil i tgtsst6rungen bei Erkrankungen der Stamm- ganglien. Monatsschr. I. Psychiatr . u. Neurol. 52. 1922.

ERFAHRUNGEN MIT DER INTRAVENOSEN IN- JEKTION VON CYLOTROPIN ZUR BEKAMPFUNG

DER HARNVERHALTUNG. Von

Prof . Dr . E . VOGT, Oberarzt der Universit~itstrauenklinik Tiibingen

(Direktor: Prof. Dr. A. MAYER).

Se i tdem das U r o t r o p i n in die T h e r a p i e zur Bek~impfung de r H a r n v e r h a l t u n g e ingeff ihr t w o r d e n is t l ) , s ind eine ganze R e i h e yon Nachp r f i f ungen ve r6 f f en t l i ch t worden , welche f a s t d u r c h - weg das Mi t t e l empfeh len . Die E i n f a c h h e i t u n d die W i r k s a m - ke i t der i n t r a v e n 6 s e n U r o t r o p i n t h e r a p i e w a r e n es, we lche dieser n e u e n The rap i e in sehr k u r z e r Zei t E i n g a n g in d ie K l in iken u n d a u c h in die P r a x i s v e r s c h a f f t h a b e n .

Wenn wir davon absehen, dab such die intravenOse Urotropin- therapie genau wie jede andere Behandlungsmethode zu bewerten ist and rnit MiBerfolgen, welche aber nach unseren eigenen Erfah- rungen und denen der L i te ra ta r nut wenige Prozent ausmachen, zu rechnen hat , so war es in erster Linie die unangenehme Neben- wirkung des Harnzwangs, welche der l~Iethode begreiflieherweise einen gewissen Abbruch tat . Immerhin muB bier festgestellt wet- den, dab ein l~istiger Tenesmns nicht gerade h~ufig vorkommt, am h~ufigsten ha t t e PASCH ~) mit 4% seiner F~lle dariiber zu klagen, dab er mit yon der Dosierung abhhngig ist und sich entsprechend vermeiden l~Bt und dab er schlieBlich, wenn er t ro tz Mler Vor- sichtsmaBregeln einmM aufgetreten ist, gew6hnlich bald mi t ein- fachen Mitteln bek~mpft werden kann. Da es sich bei der thera- peutischen Anwendung der intraven6sen Urotropininjekt ion abe t zumeist um Frauen handelt , welche durch die vorausgegangene Operation oder Geburt mehr oder weniger gesch~idigt sind, muB es selbstverst~ndlich unser Bestreben sein, gerade in den ersten Tagen naeh der Operation nach M6glichkeit jeden Schmerz nnd jede neue ]3el~stigung mit Mien Mitteln fernzuhMten.

Aus d iesen Gr f inden b a t t e n wir uns sehr b a l d n a c h den e r s t en er fo lgre ichen i n t r a v e n 6 s e n I n j e k t i o n e n y o n U r o t r o p i n nait der we i t e r en Aufgabe beschgf t ig t , au f i rgende ine Wei se die T e n e s m e n auszuscha l t en . I n der ] )be rzeugung , d a b die M e t h o d e als solche, die i n t r a v e n 6 s e Z u f u h r des M e d i k a m e n t s m i t v611iger U m g e h u n g der H a r n w e g e u n d ohne ]3e las tung des M a g e n d a r m k a n a l s zweifellos e iner I d e a l b i l d u n g de r Dysu r i e e n t s p r i c h t a n d d a b diese M e t h o d e gee igne t i s t den K a t h e t e r u n d den D a u e r k a t h e t e r m i t all i h r en G e f a h r e n u n d U n b e q u e m l i c h k e i t e n ffir P a t i e n t i n a n d A r z t m i n d e s t e n s ganz e rheb l ich e inzuschrgnken , s chweb te n n s de r G e d a n k e vor , d ie Z u s a m m e n s e t z u n g des M e d i k a m e n t s so zu gndern , d a b se ine "Wirksamkei t n i c h t le idet u n d doch gleiehzei t ig die T e n e s m e n v e r m i e d e n werden .

Als das Cy lo t rop in 1923 b e k a n n t wurde , s t e l l t en w i t sofor t a u c h d a m i t Ver suche an.

PICARD a) ha t das Cylotropin angegeben. Um die Wirkungsweise des Cylotropins zu verstehen, mflssen

wir zuerst seine wiehtigsten pharmakologischen EigenschaJten kennen- lernen. PICARD ging yon dem Gedanken aus durch Zusatz der Salicylsaure den Sguregrad des Urotropins noch welter zu verstgrken und dutch die langsame Ausscheidung der SMicyls~ure die Abspal- tungshemmung des Urotropins bei Mkalischer Reaktion zu besei- tigen, well die AbspMtung des Urotropins in FormMdehyd einen gewissen S~uremindestgehalt des lJrins zur Voraussetzu~g ha t .

Anf diesen Punk t ha t kiirzlich wieder P. TRENDELENBURG 4) hin- gewiesen, indem er zeigte, dab das Hexamethylen te t ramin nur bei snarer Reaktion des Urins seine Desinfektionskraft entfal ten kann, Er schlug daher vor, den neutrMen oder alkal isehenI~arn umzu- st immen, entweder dutch eine Fleischdi~t fiir mehrere Tage oder aloer dutch orale Verabreichung yon mehreren Gramm prim~ren Natr iumphosphates . SehlieBlich k6nnte man daran denken, bei

Page 2: Erfahrungen mit der Intravenösen Injektion von Cylotropin zur Bekämpfung der Harnverhaltung

x, JANUAR 1925 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 4. J A H R G A N G . Nr . I 19

h~ufigerem oder dauerndem Katheterismus nach der Harnentnahlne 5O--lOO ccm einer 5--7proz. LSsung yon prim~ren Natriumphos- phat in die Blase jeweils einzuffillen. In meiner jfingsten Arbeit habe ich nut auf die zuletzt erw~hnte Methode der Harnans~uerung TRENDELENBURGS hingewiesen. Ich m6chte aber bier feststellen, dab die letztere Methode nur f fir ganz seltene Fitlle in Betracht kommen dfirite. Strebt man eine AnsXuerung des Urins an, so wird die orale Verabreichung yon prim~rem Natriumphosphat das ge- gebene Verfahren darstellen. Aul3erdem wird diese Methode selbst- verst~ndlich bei der intraven6sen Urotropinbehandlung der Harn- verhaltung ganz allein in Frage kommen, well man ja mit der intra- ven6sen Medikation in erster Linie den Katheterismus vermeiden will.

Durch den Coffeinzusatz suchte PICARD eine st~rkere Durch- blutung der Niere und damit eine Steigerung der Diurese herbei- zuffihren. Das Cylotropin stellt demnach ein Kombinationspr~- parat dar. So enthalten 5 ccm Cylotropin in klarer, schwach geIb- licher w~sseriger L6sung 2 g Urotropin, o,8 Natrium salicylicum und o,2 Coffeinum natriosalicylicum. Das Mittel wird yon der Firms Chemische Fabrik auf Aktien (vorm. E. SeI~ERING), Berlin-N, MfillerstraBe, hergestellt und in gebrauchsfertigen Ampullen zu 5 ccm in den Handel gebracht. Ursprfinglich wurde das Mittel yon PICARD zur Behandlung der Cystopyelitis in die Therapie ein- geffihrt. Er behandelte akute und ehronische F~lle, verursacht, durch Gonorrh6e, Coli oder Misehinfektion, Versager kamen keine vor, ebensowenig offenbar Recidive. Besonders rfihmt PICARD die ErfoIge bei der Cystopyelitis der Prostatakranken. Der alka- lische Urin reagierte schon nach wenigen Stunden sauer, der Ei- weil3gehalt ging zurfick, ebenso die Zahl der Leukocyten. Ent- sprecbend wurde auch das Fieber gfinstig beeinfluBt.

Bei unseren eigenen Versuchen mi t Cylot ropin konn ten wir zu unserer grogen f3berraschung in kurzer Zei t folgende zwei wicht ige Ta t sachen feststellen. Das Cylo t ropin s teh t dem Uro t rop in an Wi rksamke i t in ke iner Weise nach und h a t dabei aber den groBen Vorzug, dab Tenesmen nicht auf t re ten . Wi r haben, u m m6gl iehs t ba ld ein Mares Ur te i l zu bekomlnen, deshalb nur noch Cylot ropin zur Bek~mpfung der Harn - ve rha l t ung der verschiedens ten Ursachen in t raven6s ein- gespri tzt . Unsere Versuche an fast IOO FMlen fielen durchaus gle ichm~gig und e indeut ig aus. W i t kSnnen sic daher soweit als abgeschlossen bezeichnen. Die SchluBfolgerungen daraus tei le ich mit , d a m i t such yon anderer Seite das Mit te l a l sba ld nachgeprf i f t werden kann.

Auf die Indikationen, die Kontraindikationen, die Wahl des gt~nstigen Zei tpunktes ffir die Einspritzungen und die Technik der intraven6sen Therapie brauche ich hier nicht n~her einzugehen. ich kann auf meine letzte Arbeit fiber die intraven6se Urotropin- therapie verweisen.

H ie r interess ier t uns in erster Linie die Frage der Dosierung. Man ve rwende t in gew6hnl iehen F~llen eine Dosis von 5 ccm. T r i t t aber im Verlaufe yon I - - 2 S tunden eine spontane Ur in- en t leerung t r o t z d e m nicht ein, so kann m a n dieselbe Dosis ohne Bedenken noch e inmal einspri tzen. Dazu b a t t e n w i t bisher k a u m e inmal Veranlassung. I s t n~mlich die Ur in- en t lee rung e inmal im Gange, so b le ib t sic es such yon selbst. Man kann daher s u c h be im Cylot ropin von einer A r t Dauer- wi rkung sprechen. I n den FMlen, bei welchen erfahrungs- gem~13 die schwers ten und har tn~ckigs ten F o r m e n der H a m - ve rha l tung eintre ten, z. B. nach der F reund-Wer the imschen Carcinomoperat ion, nach Vorfa l lopera t ionen mi t Ver lagerung der Blase, nach kfinst l ichen En tb indungen durch hohe Zange nach langer Geburtsdauer , spr i tz t m a n zweckm~gig sofor t 71/~ ccm ein, a l lerh6chstens aber i o ccm. Nach unseren bisherigen Er fah rungen bew~hr t sich diese Dosierung an dem geburtshi l f i ichen und gyniikologischen Mater ia l recht ~gut.

Die E*'/olge der in t raven6sen Cylo t ropin therapie sind auf- fal lend gut, sie s tehen denen der in t raven6sen Uro t rop in - behand lung keinesfalls nach, j a sie i ibertreffen sie wohl n icht unerheblich, Versager haben wir nur ganz vere inze l t erlebt. Mehr m6eh te ich heu te noch n ich t sagen, da unsere Zahlen zu klein sind, u m den Zuf~l l igkei tsfaktor ganz ausschal ten zu k6nnen. Desha lb verz ich te ich auch darauf, P rozen tverh~l t - nisse heranzuziehen.

I n e inem sehr wicht igen P u n k t ist Cytotropin dem Uro- t rop in aber zweifellos fiberIegen, Tenesmen k o m m e n n ~ m - . l ich n ich t vor. Wir haben sie wenigstens niemals beobachte t .

D a m i t ist ein groBer Fo r t s ch r i t t erzielt u n d ~ d i e einzige Schwier igkei t der in t ravenSsen Therapie der Harnve rha l tung , die unangenehme Nebenwi rkung des gelegent l ichen l~stigen Harndrangs , kann wohl als endgfi l t ig behoben angesehen werden.

Cylotropin bes i tz t noch einige erwi~nschte Nebenwirkungen, welche es such verstAndlich machen, dab es dem Uro t rop in an Wi rksamke i t fiberlegen sein muB. Durch den Zusatz yon Coffein wird die Dinrese gfinstig beeinfluBt und die Durch- spfilung des Nierenbeckens, der Harn le i t e r und Harnb lase sehr gef6rdert . Fe rne r wird die ant isepfische Wi rkung des Uro- t ropins offenbar durch den Zusatz der SalicylsAure n i c h t unerhebl ich vers t~rkt , well die Salicyls~ure sich bei paren- teraler Zufuhr in kurzer Zeit in den Organen fes tse tz t a n d ablagert .

Die Keime werden rascher abget6tet und verschwinden be~ Cystopyelitis nach den Erfahrungen yon PICARD und SCHWAR#) schon nach einigen Tagen aus dem Urin samt den Leukocyten, der trfibe, alkalische Urin wird Mar und sauer. BLOCH ~) rfihmt das Cylotropin als Desinfektionsmittel der I-tarnwege und K. MAYER ~) berichtet fiber gate Erfolge bei Gonorrh6e und gonorrhoischer Cystitis. Auch wir k6nnen das Cylor zur Behandlung der Cystopyelitis nur empfeMen. Es hat uns bisher bei jeder Form der Erkrankung wertvolle I)ienste geleistet in der I)osis yon 5 ccm jeden 2. Tag. Auch in der Schwangerschafr wurde es anstandslos in der Dosis yon 5 ccm vertragen. Es wirkte hie wehenausl6send. Auf diesen Punkt mache ich deshalb aufmerksam, weil SIEBER s) kfirzlich berichtete, dab er bei 2 Schwangeren im 7- resp. 8. Monat nach Urotropineinspritzungen Auftreten yon Wehen und eine vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft erlebte. Unsere Erfahrungen best~tigen demnach weitgehend die yon QUACKg), welcher an der Klinik yon Professor MACKENRODT bei etwa 5 ~ F~llen yon Pyelitis das Cylotropin seh~tzen lernte.

Fi~r die Praxis e~pJehlen wit au] Grund unse~er eigenen Er]ahrungen zur Bek~mpJung der postoperativen and post- partalen Harnverhaltung ]olgendes Vorgehen: Die prophylak- t ische In jekf ion lehnen wir ab. Wi r schrei ten erst zur in t ra - ven6sen Cylotropineinspr i tzung, wenn im Verlauf des 2. Tages nach einer gyn~kologischen oder chirurgischeri Opera t ion oder nach einer E n t b i n d u n g die spon tane Ur inen t l ee rung aus- b le ib t und all die andern Mit te l - - A n w e n d u n g yon W~rme, Abspti len m i t w a r m e m Wasser, heil3e D~mpfe, Zufuhr yon ha rn t r e ibendem Tee, le ichter Druck auf die Blase, vorsich- t iges Aufsi tzen usw. - - versag t haben. Man spr i tz t 5 ccm Clyotropin in die ges taute E l lenbogenvene ganz langsam ein. Bei zu schneller In jekf ion kSnnen sich sonst Schmerzen l~ngs der Vene bis zur Schul ter einstellen. Aul3erdem darf n ichts yon dem Pr~para t in das Gewebe neben der Vene kommen, well sonst schmerzhaf te Inf i l t ra te auf t re ten. Die L6sung m u g kSrperwarm sein. Die E inspr i t zung wird un te r genauer Be- ach tung dieser VorsichtsmaBregeln ohne die geringste S t6rung ver t ragen. Die Wi rkung t r i f t gew6hnlich sp~testens nach Ablauf yon 2 S tunden ein und ffihrt racist zu einer dauernden, spon tanen und schmerzlosen Ur inent leerung.

Die in t raven6se Cylotropineinspr i tzung, welche die zweite E t a p p e auf dem Wege der E n t w i c M u n g der in t raven6sen Therapie der Dysur ie darstel l t , muB heu te als die beste Me- thode angesehen werden, da sic die wesent l ichen Forde rungen der in t raven6sen Therapie , schnell, sicher und un te r Aus- schal tung yon Nebenwirkungen die spontane Ur inen t l ee rung dauernd in Gang zu bringen, nach den bisher igen Er fah rungen durchaus erfiillt.

AuBerdem h a t sich das Cylotropin bei den verschiedens ten F o r m e n der Cystopyel i t is als wirksames und unsch~dliches Des infek t ionsmi t te l der Harnwege bew~hrt .

L i t e r a t u r: 1) E. VOGT: Die intravenSse Urotropinther pie der Harnverhaltung. Zentralbl. f. Gyn~kol. 1921, Nr. 49 u. Mfinch. reed. Wochenschr. 1924, Nr. 23. -- ~) PASCH, Ein 33eitrag zu den Erfahrungen und Beobachtungen mit der intraven6sen Injektion einer 4 ~ proz. Urotropinl6sung bei postoperativer Harnverhaltung und Cystitis. Zentralbl. f. Gyn~kol. 1924, Nr. 13. -- a) EDWIN PICARD, Vortrag Hufelandsche Ges. Berlin, I i . Januar 1923, ~)ber eine neue Behandlung der Cystopyelitis. -- 4) P. TaENI~ELENBURG, Grundlagen der Therapie mit Hexamethylentetramin. Mfinch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 24. -- 5) O:rTo A. SCI~WARZ, Uber Cylo- tropin, ein neues Pr~parat in der Pyelitisbehandlung. M~neh.

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Page 3: Erfahrungen mit der Intravenösen Injektion von Cylotropin zur Bekämpfung der Harnverhaltung

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reed. YVochenschr. 1923, Nr. 5 o. _ 6) B L O C H , Erfahrungen mit Cylotropin, einem neuen I-Iarndesinfektionsmittel. Zeitschr. f. Urol. x8. 1924. -- ~) K. MAYER, Die Aassichten der parenteralei~ Therapie bet GonorrhSe. ~rztliche Rundschau Nr. 3, S. 19. MXrz 1924 . _ s) SI~BER, 1Jber intraven6se Urotropininjektion zur Be- k~mpfung der Harnverhaltung. Monatsschr. f. Geburtsh. u. GynX- kol. 67, H. 5. -- 9) QUACK, Cylotropin bei Pyelitis. Dtsch. reed. Wochenschr. 1924, Nr. 3 o.

ZUR UNFALLOSTEOMYELITIS. V o n

Dr. A. SCItMIDT, Assistenzarzt de~ Chirurgischen Universit~tsklinik Bonn

{Direktor: Geh. Med.-Rat ProL Dr. GARRE).

Der Verlauf der Osteomyelitis kann zwischen leichtesten FAllen, bet denen fiber Wochen und Monate nur geringe rheumatoide Schmerzen bestehen, and bet denen erst sp~ter das R6ntgenbild oder eine Fistel die Atiologie aufkI~rt, und den schwersten, septisch-pyAmischen Formen, die nach wenigen Stnnden zur typischen Erkrankung nnd nach einigen Tagen zum Tode ftihren, alle l)berg~nge aufweisen. Die Be- ziehungen des ldnialls zu dieser wechselreichen, vielgestaltigen Erkrankung aufzudeeken, ist eine der schwierigsten Auf- gaben der Gutachter. Die Handbficher der Unfallerkranknngen geben zwar allgemeine Richtlinien, einzelne Beispiele aus der Gutachtert~tigkeit oder Kasuistiken kurz skizzierter F/ille, aber t rotz alledem bleibt dem begutachtenden Arzt noch sehr vim nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Vergleicht man die Angaben der einzelnen Handbficher fiber die H~iufig- keit der Unfallosteomyelitis (14% THIEM - - 41% PFENNIGS- DORF), fiber die L~inge des Latenzstadiums zwischen Unfall und Osteomyelitis (14 Tage THIEM, PIETRZIKOWSKI; KAUF- MANN 3 Wochen; I(~SNIG 4 Wochen), fiber den 6rtlichen Zu- sammenhang zwischen Unfall und sp~iterer Erkrankung, dann ergeben sich groBe Differenzen. Auch aus den Entschei- dungen des IReiehsversicherungsamtes geht eine weitgehende Meinungsverschiedenheit der einzelnen Gutachter hinsicht- lich des an die Unfallosteomyelitis anzulegenden Magstabes her v or.

Von der ~berlegung ausgehend, dab durch die Gutachter- tAtigkeit nur ein Tell der traumatischen Osteomyelitis (im weitesten Sinn) erfagt wird, zumal Kinder, Jugendliche und Frauen nur zu oft nicht versicherungspflichtig stud, babe ich das klinisch-traumatische Osteomyeli t ismater ia l der Garr4- schen Klinik und Privatklinik statistisch verarbeitet, um ein m6glichst genaues Bild der Beziehungen der Erkrankung znm UnfM1 zu bekommen. In einer ausffihrlichen Arbeit babe ich in Brans' Beitr/tgen zur klinischen Chirurgie t3d. i33, Heft I meine Ergebnisse niedergelegt. Bezfiglich aller Einzel- heiten verweise ich auf diese Abhandlung nnd bringe in Kfirze nur einige statistische Daten und die SchlnBfolgerungen aus dem Material.

�9 t3erficksichtigt wurden nut F~lle im akuten und subakuten Stadium, deren klinisches Bild and deren Unfallhergang vSllig sicher stand, ferner solche, bet denen die Osteomyelitis nach lokalen eitrigen Prozessen und Infektionskrankheiten aufgetreten war. Gutachtenf~ille, die nicht im akuten oder subakuten Stadium in der Klinik behandelt waren, die Osteomyelitis nach Knochenschfissen oder komplizierten Frakturen u. a., wurden ausgeschieden.

Der Arbeit lag das Material der letzten 27 Jahre (989 F~ille aller Stadien) zugrunde. In I5% (89 akute and 4 ~ subakute FAlle) wurde ~itiologisch ffir die Osteomyelitis ein Trauma, ein eitriger ProzeB oder eine Infektionskrankheit angenom- men. Das VerhAltnis des mAnnlichen zum weiblichen Ge- schlecht war 3 : L Wie bet der nichttraumatiscben Osteo- myelitis war das , ,Epiphysenalter" am meisten bevorzugt. Wesentlich gr6Ber war abet bet der traumatischen Osteo- myelitis die t3eteiligung der erste~a 5 Lebensjahre. Auch die Reihenfolge der erkrankten Metaphysen deckte sich nicht ganz mit der yon GANGOLPI-IE aufgestellten H~iufigkeitsskala. Die obere Tibiametaphyse dominierte fiber die nntere Femur- metaphyse. Hinsiehtlich der Erreger fanden sich keine

Unterschiede. Die einfache traumatische Einwirkung, die keine Verletzung der Hau t zeitigte, stand mit 66,3~ o bet den akuten FAllen an erster Stelle. 86,2% davon erkrankten innerhalb der ersten \u nach dem Trauma, wobei die Osteomyelitis in 43% in den ersten beiden Tagen auftrat. In I2,5% o hat te die Gewalteinwirkung eine Verletzung der Haut bedingt, die aber unter dem Schorf verklebte. Je 36,3% dieser F~tlle erkrankten in der ersten und zweiten "Woehe. Ein tokaler Eiterungspr0zeB war in II,2~o die Ver- anlassung ffir die Osteomyelitis, die in 6o~ in der ersten Woche manifest wurde.

Aus den Zahlenangaben ergibt sich ohne weiteres die Be- deutung der einfachen, etwas stArkeren oder schw~icheren Kontusion fiir die Unfaltosteomyelitis and die sehr groBe Krankheitsziffer in den allerersten Tagen nach dem Unfall. Im Vergleich dazu sind die gr6Beren Gewalteinwirkungen, die zu einer KontinuitAtstrennung der Haut geftihrt haben, und die eitrigen ProzesSe yon wesentlich geringerer Bedeutung. Die verschiedenartigsten Infektionskrankheiten (6,7o/c) spiel- ten Atiologisch nur eine nntergeordnete Rolle. Die Osteo- myelitis fie l immer noch innerhalb der Rekonvaleszenz. In 4 FAllen kam es wAhrend der Infektionskrankheit zu einer traumatischen Einwirkung, an die sieh die Osteomyelitis nach wenigen Tagen ansehloB Die ersten leichtesten Krank- heitssymptome traten bet den aknters FAllen meist wenige Stunden nach dem Unfall auf. Der lol~ale Zusammenhang war in der fiberwiegenden Zahl gewahrt.

l~tein MateriM ffihrte zu ether wesentlich seh~irferen Um- reil3ung des Bildes der Unfallosteomyelitis und dr~ingte dazu, die Latenzperiode einzuengen bet gleichzeitiger st~irkerer ]3erficksichtigung der Art der traumatischen Einwirkung und des K6rperzustandes des Patienten zur Zeit des Unfalls.

Ieh kam zu folgenden Schlfissen: Bestand das Trauma in einer leichten Kontusion, die keine sichtbaren VerAnderungen hinterlieg, so wird man es als begiinstigendes Moment auf- fassen mfissen, wenn die Osteomyelitis am ersten oder zweiten Tag nach dem Unfall auftrat. War die Einwirkung erheb- licher und zeitigte einen wenn aneh ldeinen BluterguB oder eine aseptische Nekrose und Entzfindung, ohne zu einer sichtbaren Hautverletzung geffihrt zu haben, so ist die Er- krankung praktisch nur in der ersten Woche als Unfallfolge yon Bedeutung. Tr i t t sie erst in der zweiten oder dri t ten Woche auf, dann sind deutliche Brfickensymptome schon in der ersten zn fordern. Handelt es sich um eine subakute oder chronische Form der Osteomyelitis, die erst in sp~iterer Zeit manifest wird, dann mfissen in der ersten Woche die ersten leichten Symptome aufgetreten seth, die sich bis zum Ausbrueh der Erkranknng verfolgen Iassen, und das Trauma muB so erheblich gewesen seth, dab man mit Sicherheit eine Sch~idigung des Markes annehmen kann. Der lokale Zn_ sammenhang zwischen Trauma und Osteomyelitis ist in den bisherigen F~llen unbedingt zu fordern.

Zeitigte der Unfall eine Hautverletzung, die unter dem Schorf abheilte, so muB man, wenn die Verletzung einwandfrei nachgewiesen wurde, n0ch nach 3 Wochen den Kausal- zusammenhang anerkennen, selbst wenn Brfiekensymptome nur sp~irlich vorhanden sind. Die Erkrankung wird sich auch hierbei in der Mehrzahl der F~lle am Ort der UnfallschAdigung entwiekeln, und nut eine Ausnahme ist denkbar, wenn sieh eine anderweKig lokalisierte, akute, schwere Osteomyelitis ansehliegt, die als Folge eines Mikrobenimportes dutch die Verletzung anzusehen ist.

Ein eitriger ProzeB kann jederzeit zur Osteomyelitis ffihren. Ist dieser ProzeB zur Abheilung gekommen, so wird man 3 Wochen als l~ingstes Interval l zwischen v611iger Ver- heilung desselben nnd dem Ausbruch der Erkrankung an- nehmen kSnnen. Brfickensymptome sind in dieser Zeit zu fordern. Finder eine erneute traumatische Einwirkung l~ingere Zeit nach Abheilung der Eiterung start, so wird man eine leich~e entziindliche Reaktion an dersMben Stelle ver- langen mfissen, wenn der erste ProzeB ffir die sp~tere Osteo- myelitis anerkannt werden soll. Da jedoch der Kausal-

�9 zusammenhang gerade hierbei besonders schwer zu be- urteilen ist, muB man die Sehwere des Eiternngsprozesses be-