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Esperimentelle Untersuchungen mit Hilfe der Kopf- transplantation uber die Ftirbungs- und Sexual- charaktere bei Wasserinsekten. (Kurser Bericht uber die Fin kl erschen Arbeiten in der Biologischen Versuchsanstalt Wien.) Von H. Kiin (Wien). Viele interessante Arbeiten sind in den letzten Jahren aus der Bio- lugischen Versuchsanstalt in Wien hervorgegangen ; vie1 Staub mbgen auch die sensationellen Kopftransplantationen Fin k l e r s , die ebenfalls in diescni Institut gemacht wurden, aufgewirbelt haben. Tn der breiten Offentlichkeit warden sie wohl hauptsachlich nur als Kuriosum ge- wertet, in wissenschaftlichen Kreisen aber mufiten sie Beachtung finden, wcil sie bei verschiedenen Problemen, wie Prirbungscharaktere und Sexual;- tiitsmerkmale, neue Wege uiid weite Ausblicke eroffneien. Die Versuche wurden an wasserlebenden Tnsekten (Notonecta, Hydrophilus, Dy- tiscns u. a.) ausgefuhrt'). Die Arbeitsmethode war folgende: Die zur Operation bestimmten Tiera wurden narkotisiert, um die heftigen Bemegungen des Tieres zu ver- liindern, die dem Operateur seine Arbeit ungemein erschwert hiitten Die Kopfe zweier Tiere wurden abgetrennt und untereinander ausge- tauscht. Dabei wurde die autophore Transplantationsniethode Przibram s verwendet, die darauf hinauslauft, Fixierungsmittel wie Nahte oder Klebe- niittel moglichst aiiszuschalten und nur das austretende Blut als Wund- verschluB zu benutzen. U ~ I ein Herabfalleii des Kopfes zu verhinderii, wurde ein sogenanntes ,,Spital" hergestellt, eine Eprouvette, aus der das Tier nur mit dem Kopf herausragte. Dalj der Kopf angeheilt ist und seine Funk tionsfahlgkeit wiedererlangt hat, beweist die Sektion, ferner das Verhalten des so operierten Insekts gegeniiber einein dekapitierten . letzteres ist nicht imstande, regelmasige (koordinierte) Schwimmbewe- gungen zu vollfuhren. Hinsichtlich des Farbproblems zeitigten die weitaus interessantesten Resultate die Versuche an Notonectaz). Sotonecta ist in zwei Aharten I) Finkler, Walter, Kopftrausplantationen an Insekten, I. Funktionsfahigkeit replantierter Kopfe. Nr. b4, Anzeiger der Akademie der Wisseuschaften, 1921. Wien. ') Finkler, Walter, Kopftransplantationen an Insekten. 111. EinfluS des replan tierteu Koptes auf das Farbkleid anderer Korperteilc Nr. 67, Anzeiger der Akademic der IViwcnschaften, 1922. Wien. ____

Experimentelle Untersuchungen mit Hilfe der Kopftransplantation über die Färbungs- und Sexualcharaktere bei Wasserinsekten

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Page 1: Experimentelle Untersuchungen mit Hilfe der Kopftransplantation über die Färbungs- und Sexualcharaktere bei Wasserinsekten

Esperimentelle Untersuchungen mit Hilfe der Kopf- transplantation uber die Ftirbungs- und Sexual-

charaktere bei Wasserinsekten. (Kurser Bericht uber die Fin kl erschen Arbeiten in der Biologischen

Versuchsanstalt Wien.) Von

H. Kiin (Wien).

Viele interessante Arbeiten sind in den letzten Jahren aus der Bio- lugischen Versuchsanstalt in Wien hervorgegangen ; vie1 Staub mbgen auch die sensationellen Kopftransplantationen Fin k le rs , die ebenfalls i n diescni Institut gemacht wurden, aufgewirbelt haben. T n der breiten Offentlichkeit warden sie wohl hauptsachlich nur als Kuriosum ge- wertet, in wissenschaftlichen Kreisen aber mufiten sie Beachtung finden, wcil sie bei verschiedenen Problemen, wie Prirbungscharaktere und Sexual;- tiitsmerkmale, neue Wege uiid weite Ausblicke eroffneien. Die Versuche wurden an wasserlebenden Tnsekten (Notonecta , Hydroph i lus , D y - t i s cns u. a.) ausgefuhrt').

Die Arbeitsmethode war folgende: Die zur Operation bestimmten Tiera wurden narkotisiert, um die heftigen Bemegungen des Tieres zu ver- liindern, die dem Operateur seine Arbeit ungemein erschwert hiitten Die Kopfe zweier Tiere wurden abgetrennt und untereinander ausge- tauscht. Dabei wurde die autophore Transplantationsniethode P rz ib ram s verwendet, die darauf hinauslauft, Fixierungsmittel wie Nahte oder Klebe- niittel moglichst aiiszuschalten und nur das austretende Blut als Wund- verschluB zu benutzen. U ~ I ein Herabfalleii des Kopfes zu verhinderii, wurde ein sogenanntes ,,Spital" hergestellt, eine Eprouvette, aus der das Tier nur mit dem Kopf herausragte. Dalj der Kopf angeheilt ist und seine Funk tionsfahlgkeit wiedererlangt hat, beweist die Sektion, ferner das Verhalten des so operierten Insekts gegeniiber einein dekapitierten . letzteres ist nicht imstande, regelmasige (koordinierte) Schwimmbewe- gungen zu vollfuhren.

Hinsichtlich des Farbproblems zeitigten die weitaus interessantesten Resultate die Versuche an Notonectaz). Sotonecta ist in zwei Aharten

I) Finkler, Walter, Kopftrausplantationen an Insekten, I. Funktionsfahigkeit replantierter Kopfe. Nr. b4, Anzeiger der Akademie der Wisseuschaften, 1921. Wien.

') Finkler, Walter, Kopftransplantationen an Insekten. 111. EinfluS des replan tierteu Koptes auf das Farbkleid anderer Korperteilc Nr. 67, Anzeiger der Akademic der IViwcnschaften, 1922. Wien.

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H. Kun, Experimentellc Untersuchungen bei Wasserinsekten. 10 1

ziemlich weit verbreitet, die eine N o t o n e c t a g l a n c a mit farblosen Flugeldecken, die anderc N o t o n e c t a m a r m o r e a am Riicken schon marrnorier t. Schon friiher liatte Finkler, gestiitzt aiif die Tatsache, daK das Licht bedeatenden EiiifluO auf die Bildung von Pigmenten habe, folgcndes Experiment gemaclit 1) : An einem Glasaquarium, i n dem sich Notonecta glanca befanden, wurden alle Wande zugcdeckt, nur dGBr Boden war von eineni Spiegel beleuchtet, so da13 das Licht auf die farb- losen Elugrldecken der liuclienschmimmer fiel. Nach zweimonatiger Bc- leuchtuug waren die Riicken aller Versuchstiere pigmentiert und ahnelten aiiffaliend Kutonecta niarmorea. Kach der Angabe Han d l i r s c h s findet sich auch in1 Freien in d\inlteln, mit Algen erfullten Tumpeln, wohin fast kein Lichtstrahl dringen kann, die ganz helle Notonecta lutea und in dui chsichtigen, klaren Teichen die stark pignientierte Notonecta furcata.

War bis jetzt die Abstaniinungslehre nur imstande gewesen, theoretisch, dcduktiv die Deszendenz iler Arten zu bemeisen, so konnte man jetzt auf experimentellem (iuduktivem) Weg eine Art aus der anderen quasi hervorgehen lassen. Wohl darf man die experimentell geschdene ,,ArcL 2) nicht vollstdndig niit Notonecta marniorca identifizieren, ander- seits geliiiit sie nicht nielir zit Xotoneeta glanca. Das ist aber noch imnier kein Grund, alle niogiichen Zwischenstufen, die ja auch in der Yatur hiiufig vorkomnien, lieu ZII benennen und als neue Arten hin- zustellen, wie es so genie die ,,Artensucher'L tun; dadurcb wird oft in die Systernatik mehr Velwirrung gebracht, als daB Ordnung geschaffen wird.

Pinliler kunibinierte die Iiopftiansplantationen mit dem vorstehenderi Y'arbversuch und kani zu folgenden Ergebnissen: Die Transplantation des Kopfes vou Nutonecta niarmorea auf Notonecta glanca iibte keinerlei Einflun auf das E'arbkleid aus. Als aber nun einem nngefarbten Exemplar der liopf eines experitiientell-iiiarniorierten Inselits aufgesetzt wurde, zeigte sich nach einiger Zeit auf seiner1 Fldgeldecken Marniorierung. Pinkler stdnd nun vor eineni Problem, das auC den ersten Biick unlosbar schien: Aiif der einen Seite hatte der Kopf einen EinfluS auf die Zeichnung, a u f der anderen aber nicht; dalj in dem einen Fall der Kopf von eiiier natur-marmorierten Art, in dem anderen von einer experimentell et-

I ) Finkler, Wxlter, Experimentelle Erzeugung FOI~ Pigmentierung und Zcichnung rler Flugeldecken am Riickmwhwimmer. Nr 86, Anzeiger der Akademie der Wissen- schaften, 1922. Wien.

*) Ann]. der Red.: Von einer wirklichen Artbildung konnte man naturlich niir sprechen, wenn die experimentell erzeugten Kombinationen ihren Eigenschaftskomplcx auf die Nachkommen ubertragcn wiirden.

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zeugten stammte, schien zunachst unwesentlich zu sein ; und gerade dieser Umstand war der ausschlaggebende. Bekanntlich tritl der Parb- wechsel durch Vermittlung des Auges als lichtperzipierendes Organ ein, wie die Versuche Sederovs an der Bartgrundel (Nemachi1us)z) be- weisen. Das Auge der experimentell-marmorierten Art, die knrz vorher beeinfluBt morden war, hatte seinen EipfluD aufrechterhalten und den Farhwechsel herbeigefuhrt. Bei der natiirlichen Notonecta marmores war die Farbung schon langst vorhanden und zum Artcharakter ge- worden, so daB das Auge keine Pigmentierung niehr hervorrufen konnte.

Die heteroplastische Transplantation, d. h. die Uberpflanzung zwischen verschiedenen Arten, etwa zwischen Hydrophilus und Dytiscus bewies wiederum, daB sich der Rorper in allem seinem neuen Kopf unter- ordnet: Der Dytiscus mit dem Hydrophiluskopf verlor seine gelbeu Randstreifen und an deren Stelle trat das tiefe Mattschwarz des Hydro- philus. Uber den EinfluQ des Kopfes auf die Ernahrungsfunktionen bei pflanzen- und fleischfressenden Insekten werden uns deninachst er- scheinende Publikationen naher unterrichten.

Von sehr grol3er Bedeutung fur die Rage der inneren Sekretion bci Insekten sind die Kopftransplantationen zwischen verachiedenen Ge- schlechtern (xenoplastisch) 3)). Da diese Versuche im Pruhjahr, also zur Brunstzeit des Hydrophilus ausgefuhrt wurden, war FinBler die Gelegen- heit gegeben, die Kopula xu beobachten: Das MMlinnchen sucht das Weibchen anf, schwingt sich auf seinen Rucken, das erste Beinpaar um- klammert den Thorax des Weibchens, das letzte Beinpaar halt desscn RuderfiiQe fest, das mittlere Paar dient ziir Fortbewegiing. Wahrend der Kopula verhalt sich das Weibchen vollig passiv.

E'inkler brachte nun je zwei Tiere in ein Aquarium und stellte folgendc- vier Kombinationen auf :

1. Norniales Mannchen und Mannchen rnit Weihclienkopf ; 2. Xormales Mannchen und Weibchen init Mannchenkopf; 3. Normales Weibchen und Mannchen mit Weibchenkopf ; 4. Normales Weibchen und Weibchen mit Mannchenkopf.

1. Mannchen mit Weibchenkopf zeigten das gewohnliche passive Ver- halten der Weibchen gegeniiber den Mannchen ; das normale Mannchen

2, Sederov, Slavko, Farbwechselversuche an der Bartgrundel, Nemachilus barba-

*) Finkler, Walter, Kopftransplantationen an Insekten. 11. Austausch von Hydro- Anzeiger der Akademie

tula L. Archiv fur Entwicklungsmechanik, 28. Bd. 1909.

philus-Kopfen zwischen Mannchen und Weibchen. Nr. 65. der Wissenschafteo, 19211 Wien.

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Web ebenfalls ihni gegeniiber passiv. offenbar drshalb, a 4 der. denr Weibchen anhaftende Gernch fehlte.

2. Weibchen mit Mannclienkopf verhielten sich dem ini selben GefiiW befindlichen normalen Minnchen gegeniiber gleichgiiltig; andererseits wurde es von dem IIiinnclien als Weibchen angeschen.

3. Mtinnchen mit Weibchenkopf bewiesen auch in diesem Fall die Sexualitatsandening, die durch die Transplantation des gegengeschlecht- lichen Kopfes erziclt werden kann; sic ivurden durch die Anwesenhcit normaler Wcibchcu niclit erotisicrt und LuitcrlieRen auch die Vorberei- tungen zur Kopula.

4. Weibchen mit Ennchenkopf schickten sich wie normnlc Xdnn- chen zur Kopula an, die naturlich nicht ausgefulirt werden konnte.

In allen Konibinationen also hat sich iibereinstimmend der EinfluB des Kopfes geltend geniacht. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den an lnsek ten ausgef iihrten Experimenten betreffs dcr Keimdriisen und dcr van ihnen unabhangigen sekundiiren Geschlcchtscliaraktere. Iliese Versuche wurderi hauptsachlich an Lyrnandria dispar ausgefulirt. einer Schmetterlingsart niit deutlicli ausgepragteni Sexualdimorphismus. Die Maimchen und Weibchen fallen durch die verschieden gefcirbten Pliigel und ungleich geforni ten Antennen auf, Merkmale, die es erniog- lichen, eine evcrituelle Urngliderung der Sexualitiit leicht zii erkennen. Kastration blieb wirkungslos; es zcigte sich keine Anderung in der Farbung der Plugel, ebensowenig in der Gestalt dcr Antennen (Meisenheimer). Uadurch, daI3 die Entfernung der Gonaden nicht a m geschlechtsreifen Tier, sondern an der Raupe ausgefuhr-t wurde, ist der Einwand zuriick- gewiesen, daW Kastration bloB auf erwachscne Tiere keineii EinfluB ausiibe.

Auch die Implantation der andersgeschlechtlichen Cronade, ebenfalls irn Raupenstadium, konnte weder eine Anderung der sekuuclaren Ge- schlechtscharaktere nocli eine Unistimmung der CTcschlcclitsinstiiikte Iierbeifiiliren (Meisen heinier und Kope6). Zu denselben Resultaten Lamcn Oudenianns und Kel log gleichfalls bei Schmetterlingcn, Regen bei Grillen. Dies alles deutete darauf hin, da13 es bei Inhekten uumijg- lich eine innere Sektion geben kiinnte, die von den Gonaden ausginge.

Transplantation dcr Keimdriisen also konnte keine psychische Umstim- mung bewirken, wohl aber Transplantation der Kopfe Ob diese Uni- stimmung auf dcni Wege der inneren Sekretion oder auf dem TVegch der Nerveiibahnen vor sich geht, das zu beurteilen wird Aufgabe neuer Untersuchungen sein, wie j a iiberhaupt weitere Arbriten Finkleis Er- gehnisse bestatigen und beweisen miissen.