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Aus dem Physiologischen Institut der Universitat Zurich. Experimenteller Beitrag zur Physiologie des Nucleus caudntus. Von K. AKERT nnd B. ANDERSSON.' Eingegangen am 12. Dezember 1950. Zahlreiche Erfahrungen lehren, dass die Punktionsbereit- schaft des Gesamtorganismus wie der einzelnen Organsysteme gewissen Schwankungen unterworfen ist; diese sind der Ausdruck der durch das vegetative Nervensystem regulierten Anpassung an die Mannigfaltigkeit innerer und ausserer Bedingungen. Auch die Aktionsbereitschaft bezw. die Erregbarkeit des Zentralnerven- systems liisst diese Steuerung erkennen; diese offenbart sich in eindrucksvoller Weise einerseits im Schlafzustand, anderseits im Zustand des Affektes oder der gespannten Aufmerksamkeit. Es hat sich nun gezeigt, dass im zentralen Reizversuch die Schwelle cler Erregbarkeit in der einen oder anderen Richtung verschoben werden kann. So gelang es HESS (1944) durch elek- trische Reizversuche, die Reaktionsbereitschaft eines Versuchs- tieres so stark herabzusetzen, dass es dosig wird, und oft in tiefen Schlaf versinkt. Voraussetzung eines solchen Reizerfolges ist eine bestimmte Lage der Reizelektroden. Am aktivsten erwies sich ein Areal wenig seitlich der Massa intermedia thalami, das heute in Zusammenhang mit der corticalen Aktivitatssteuerung von manchen amerikanischen dutoren auf Grund erweiterter experi- menteller Erfahrungen lebhaft diskutiert wird (s. hinten). Im Material des Physiologischen Instituts befinden sich daneben Falle, welche ebenfalls eine Hemmung der Aktivitatsbereitschacft ~ 1 Stipendiat vom Schwedischen Medizinischen Forschungsrat. Adresse Physio- logische Abt., Veterinarhogskolan, Stockholm.

Experimenteller Beitrag zur Physiologie des Nucleus caudatus

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Page 1: Experimenteller Beitrag zur Physiologie des Nucleus caudatus

Aus dem Physiologischen Institut der Universitat Zurich.

Experimenteller Beitrag zur Physiologie des Nucleus caudntus.

Von

K. AKERT nnd B. ANDERSSON.'

Eingegangen am 12. Dezember 1950.

Zahlreiche Erfahrungen lehren, dass die Punktionsbereit- schaft des Gesamtorganismus wie der einzelnen Organsysteme gewissen Schwankungen unterworfen ist; diese sind der Ausdruck der durch das vegetative Nervensystem regulierten Anpassung an die Mannigfaltigkeit innerer und ausserer Bedingungen. Auch die Aktionsbereitschaft bezw. die Erregbarkeit des Zentralnerven- systems liisst diese Steuerung erkennen; diese offenbart sich in eindrucksvoller Weise einerseits im Schlafzustand, anderseits im Zustand des Affektes oder der gespannten Aufmerksamkeit.

Es hat sich nun gezeigt, dass im zentralen Reizversuch die Schwelle cler Erregbarkeit in der einen oder anderen Richtung verschoben werden kann. So gelang es HESS (1944) durch elek- trische Reizversuche, die Reaktionsbereitschaft eines Versuchs- tieres so stark herabzusetzen, dass es dosig wird, und oft in tiefen Schlaf versinkt. Voraussetzung eines solchen Reizerfolges ist eine bestimmte Lage der Reizelektroden. Am aktivsten erwies sich ein Areal wenig seitlich der Massa intermedia thalami, das heute in Zusammenhang mit der corticalen Aktivitatssteuerung von manchen amerikanischen dutoren auf Grund erweiterter experi- menteller Erfahrungen lebhaft diskutiert wird (s. hinten).

Im Material des Physiologischen Instituts befinden sich daneben Falle, welche ebenfalls eine Hemmung der Aktivitatsbereitschacft

~

1 Stipendiat vom Schwedischen Medizinischen Forschungsrat. Adresse Physio- logische Abt., Veterinarhogskolan, Stockholm.

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BS2 I<. AKERT UND ll. ANDERSSOS.

zeigen, aber in einer besorideren Form, worauf H E ~ S seit 1927 schon tnehrfach hingewiesen hat. Es haiidelt sich dabei urn Reiz- wirkungeii aus d e m Nucleus mudatits. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, tl~cse Spmptomatilt nahcr xu definieren und riiit cler Frage nach der physiologischen Bedrutung dieses wichtigen Tcilelementes des striareti Systems in Beziehung zu bringen. I)ie Orientirrung iiber diese letzte Frage erfolgte seit den bahnhrechen- (lcn zhhe i t en (’. T T ( ~ ( : ~ s (1912) und \TIrJsuxs (1912) lxinahe aus- schlicsslich durch die klinisch-neurologische. und hirnpathologische Forschungsrichtung. Erst in iieuerer Zeit hat auch die experlinen- telle Hirnforschuiig positive Beitrage zur dbklarung der s t r luen Funktionen geliefert (DUSSZR 1)13 KARESNE ti. Mitarb. 1938; XETTLER et al. 1939; RIOCH u. HRESNER 1938), aiif die wir ini Zusammenhang niit unseren eigeiien Uiitersuchuriffsergelr)iii~sen zuriickommen werden. Versucht man ails der R i l l e der z . T. gegensiitzlichen Korizeptionen uber die Funktion des Striatiinis ( Ubcrsicht der altereri Literatur bei LOTXAR 1926, cler neiieren Airbeiten im Symposion ))The basal ganglia)) 1942) gemeinsaine Ziige herauszulesen, so komnit man Zuni Schluss, dass in Bezug auf die hemmevade Beeinflussung des tnotorisclien Systents die rneisten Untersucher miteinander ini Einvernehmen stehen. 1111 folgendeii kommt es nun darauf an:

1. Nahcres iiber den Mechanismus und den dngriffspuiikt der striaren Hemmungsfunktion zu erfahren,

2. die Stellung des Kc. caudatus innerhalb der eingangs er- wahnten, die Reaktionsbereitschaft regulierenden ilpparate zu prdzisieren.

Metliodik. I)ie Versiiche wurdcn \-on W. K. HERS init tier schon 1neln.fac.h

1)oschriebenni Reiz- und Busschaltiiiigstechnik (1932, 1949) tfnrch- gefiihrt. In dnbetracht der seinerscit lautgewortlenen Einwiintle dcr Schule RANSOSS hinsichtlich der Hess’schen Sclilafversiiche (HARKISOX, 1940) sei hier noch hervorpehoben, dass die Reizung mit diescii Busserst schwachcu Striinien (Dauer des Einzelimpulses 1/80 Sek.) 17 icht m vi‘iif3r

clektrolytischen Gewebszerstortcng jiihrt. Eine solche kommt unisoweniger. i n Frage, als zwischen den einzelrieii Reizinipulsen ein (5 nial schwiiche- rer) Strom voii entgegensetztpr Richtiing durch die Elektrotlen ge- schickt wirtl. A4usschlaggebend ist cndgiiltig die histologische Kontrolle; wclchP eintleutig erkennen lasst, (lass niehr als niiriimale Rchiitligiiiipn tlcs Grxebes nicht hestehen. So ist es auch verstandlich, dass die reiz- intluzierten Zustande reaersihlen Charakter tragen, im Grgensatx z. 13.

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BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DES NUCLEUS CAUDATUS. 283

zum Adynamie-Syndrom nach umschriebenen Lasionen im Hypo- thalamus, das in unserem Institut wohl bekannt ist (HESS, 1944), und das gerade dazu beniitzt wird, dem anders gearteten Bild des reizindu- zierten Schlafes gegenubergestellt zu werden. Auch in unseren Ver- suchen haben wir von Stimulations- und Eliminationseffekten bei 4 Tieren herdformige Ausschaltungen grosserer oder kleinerer Teile des N. caudatus mit Diathermie-Strom ausgefuhrt. Die entsprechenden Tiere konnten sowohl im akuten Stadium des Funktionsausfalles als auch in einzelnen Fallen im chronischen Stadium iiber mehrere Wochen beobachtet werden. Bei insgesamt 4 mit Cloettal narkotisierten Tieren wurde der Einfluss der Reizung des Nc. caudatus auf Blutdruck (Carotis; Hg-Manometer) und Atmung (Pneumogramm) untersucht. - Die Lo- kalisation der Reizstellen erfolgte wie gewohnt durch histologische Ver- arbeitung der Gehirne und Eintragung der Reizpunkte in Photogramm- Atlanten (HESS) von horizoutaler bzw. sagittaler Schnittrichtung. Die graphische Darstellung der Lokalisationen in Abb. 4 erfolgte durch Projektion der Reizpunkte mehrerer Schnittebenen in je eine mittlere, horizontale und sagittale, reprasentative Schnittebene.

Das uns zur Verfiigung stehende Beobachtungsmaterial bezieht sich auf 96 Reizpunkte. Die korrespondierenden Reizeffekte sind durch Versuchsprotokolle und kinematographische Aufnahmen dokumentiert. Um die Syniptomatologie des Nc. caudatus abgrenzen zu konnen, wurden auch zur vergleichenden Analyse auch Reizpunkte aus unigebenden Sub- straten hemngezogen, wobei z. T. auf deren fruhere Bearbeitung von HESS und seinen Mitarbeitern MAGNUS (1943), BAUM (1944), BRUGGER (1945) und WALDVOGEL (1945 a) Bezug genommen wird.

Ergebnisse.

Vorbemerkung: Samtliche 96 Reizstellen, deren korrespondierende Effekte im folgenden dargestellt werden, liegen im Caput nc. caudati, welches bei der Katze ein sehr umfangreiches Kerngebilde zwischen Seitenventrikel und innerer Kapsel bezw. Corona radiata darstellt. Die sehr wenig entwickelten caudalen Abschnitte des Kerns wurden von den Reizelektroden in keinem Fall getroffen, ebenso fehlen Reizstellen im Putamen.

Reizeffekte.

1. Die Beein flussung der motorischen Punktionsbereitschaft. Die Symptomatik des Nc. caudatus im Reizversuch ist zmar

unauffallig; keinesfalls aber darf der grosse Zellkomplex als ))sturnme(( Zone bezeichnet werden, wie dies von friiheren Autoren (WILSON (1914) u. a.) geschah. Nach unseren Beobachtungen entwickelt sich bei 72 von 78 Reizstellen ein eigenartiges Inaktivieru,ags-Xyndrom, das vor gewissen andern Reizsymptomen absolut dominiert. Naturgemass entgeht das Phanomen der Kon-

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2Y4 K. ARERL' UND B. ANDERSSON.

trollc beim narkotisierten Tier. Es handelt sich dabei um eine Anderung im Gesamtverhalten, welche sich kurz folgendermassen charakterisieren Iasst: Nach einer Latenzzeit voii wenigen Sekunden bis 2-3 Minuten wird das vorher lebhafte Tier zu-

Abh. 1: h i t i a l e Dimpfung des S p n - t;inverhaltcns nach Reiziing des links- seitigen X c . candatus ( 1 Volt). DHS Tier verharrt miniitenlang regungslos in tlieser eigenartigeri Stellung (Fall 124).

.\ l)t) . 2 : Sct i la fa l in l i~~hes IXimpfungsbilil m it nlit i \wr ICo pf ha1 tung, wii hrend die lbeiziing (1 Volt) in1 (:;ingc i*t (Reiz- oiyrial!). Die scnwrische Aufnlerksnni-

kcit ist cr1i;ilten (Fall 147).

nehmend ruhig, setzt sich nieder oder legt sich hin und kneift dauernd die Augen. Die spon- tane Aktivitat erscheint wie aus- geloscht. Nur auf aussere Reize hin reagiert es durch Kopfwen- den. Iin iibrigen zeigt das Tier einen muden, unlustbetonten Ausdruck, zu welchem in auf- fallender Weise die aktive Kopf- haltung kontrastiert. Man er- wartet nach dem Gesamtaspekt in jedem Moment, dass sich das Tier vollstandig niederlegt und zum Schlafe einrollt. In1 Gegen- satz dazu verharrt jedoch die Katze mit erhobenem Kopf, auch nach Reizschluss, m i m t r n - l a ~ g iri einer regungslosen S i t z - oder Liegestellung, u i d b l P l h t dnbei f i i r alle ICinriPSreizP enip- flinglick. (Ahh. 1 u. 2 . ) In eiiier spateren Phase werden aller- dings Lidspalten und Pupillen enger; umso wachsamer hleibt ahrr der Gehorsinn. Durch wir- derholte, schwachdosierte Rei- zungen kann der kwxhriehrne Zustand noch vertieft werden: in seltenen Fallen geht er iii

riner Spatphase in Scklaf uher (Fall 29, 124). Das im Vor- stadiam des aus dem Thalamus induzierten ))Reizschlafes)) ziern- lich liaufig beobachtete nSchnurreiz((, ein Ausdruck der wohli- gen Entspannung, tr i t t hei Caudatusreizung selteii auf. G'cihneii (vgl. WALT)VOC,EL, 1945 b) wurde nur in einem einzigen Fall (441). hicr aher als eindeutiges. rriehrfach n-iederholbares Reizphanoinen, beohchtet .

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BEITRAQ ZUR PHYSIOLOQIE DEE NUCLEUS CAUDATUP. 286

Dieses cliarakteristische Bild lasst sich bei Anwendung schwach ,dosierter Reize (bis max. 2 Volt) von allen ))Punkten(( des caput nc. caudati zuverlassig und am gleichen Tier wiederholbar her- vorrufen; dagegen erscheint das beschriebene Syndrom bei Rei- zung ausserhalb der Kerngrenzen nicht. Damit ist der Nc. caudatus als verantwortliches Reizsubstrat eindeutig identifiziert (vgl. Abb. 4). Wird mit starleeren Reizen gearbeitet, so treten moto- rische Effekte, besonders in den randnahen Zonen in Erscheinung, die den Dampfungszustand im Sinne einer voriibergehenden Aktivierung des Gesamtverhaltens uberdecken. Sobald aber die motorischen Symptome nach Reizschluss wieder abgeklungen sind, verschafft sich der latent vorhandene Dampfungseffekt wieder Geltung und iiberdauert die Reizung wahrend einiger Minuten.

Dieses Inaktivierungs-Syndrom ist qualitativ durchwegs ein- heitlich; dagegen sind quantitative Schwankungen - wenn auch innerhalb enger Schranken - unverkennbar. Dabei hat sich er- geben, dass die intensiven Dampfungseffekte mehrheitlich bei Reizstellen in der medialen, i. e. kapsel-fernen Kernhalfte auf- treten; wahrend eher schwach ausgespragte Effekte den lateralen, ventralen und caudalen Abschnitten entstammen. Gerade die letzteren Kernsektoren sind es aber, welche motorisch-aktive Gebiete tangieren, die uns durch friihere Untersuchungen in ihrer funktionellen Struktur bekannt sind. So werden wir dazu gefiihrt, diese von Fall zu Pall mehr oder weniger akzentuierte Herabsetzung der Reaktionsbereitschaft, einerseits durch rein akzidentelle Faktoren, anderseits aber durch Interferenz mit den Erregungssyndromen der Nachbargebiete zu erklaren. Tat- sachlich werden letztere in der Regel marginal ausgelost, was die Deutung als Irradiationseffekte motiviert.

Dies gilt speziellfiir die Kau-Leckbewegungen und das Schnuppern (Commissura anterior und Umgebung, Tuberculum olfactorium); Harn- und Kotentleerung (Septum pellucidum, Stria terminalis, Stria medullaris); contralaterale Gesichts- und Extremitateneffekte im Rhythmus der Reizimpulse (Radiatio thalamica, innere KapseI, Balkenfaserung); tonisches Kopfwenden nach der Gegenseite (Genu corp. callosi und angrenzende Stirnhirnbereiche: Area limbica und Area praelimbica). Keines dieser Symptome kann - entgegen den Behauptungen friiherer Autoren ~ auf den Nc. caudatus hezogen werden. Die umfassende Analyse der Zwischen- hirnsymptomatik liefert den Gegenbeweis. Kartographische Dar- stellung in: HESS (1949).

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2XIi I<. ARERT UND B. ANDEXFSON.

Das oben beschriebene Iiiaktivierungs-Syndrom maiiifestiert sich nicht nur im Spontanverhalten, sondern lasst sich auch daran erkennen, dass die Reizschwelle der vorerwiihnten, motorischen Reizeffekte, die zur Hauptsache auf die Miterregung benachbarter corticopetccler Faserziige zuriickzufuhren sind, iiach jeder Reiz- serie st~ufenweise erhoht wird. In einzelnen Fallen (z. :K. 127) erreicht i n clieser Weise die urspriinglich bei 2 Volt liegcnde Iteizschwelle motorischer Gesichtseffekte schliesslich den tlrei- fachen Wert. I m gleichen Zusammenhang ist auch die sehr wich- tige Beohachtung verstandlich, dass epileptiforme Entladuiigen, die bei -4nw~mdung noch hoherer Reizintensitaten aus dem S c . caudatus induziert werden konnen, gegeniiber den ~ o i i andern Reizgebieten ausgelosten Krampfsyndromen stark abgeschIvacht erscheinen. (Falle 36, 127, 195, 441.)

Zur Erlhuterung der vorstehenden Ausfiihrungen seien zwei tppische Versuchsprotokolle auszugsweise wiedergegeben.

Full 127’: Elektroden A, B, C (A, B. C definieren die Rcizstellcii in rostro-caudaler Folge, entsprechend den in einer Dreierpruppc w r - einigten Elektroden) im linken K. caudatus. Reizung mit 1 V. 8 Hz. Reizdauer je 30 Sekunden. Elektrode A : Die Katze zeigt Unsicherheit beim Umhergehen, namentlich an den Hinterextremitaten. Elektrode L I : Imrner noch ungeschickt beim Umhergehen; wird sichtlich mude. sitzt ab. Nach Reizschluss legt sich das Tier, schlagt das linke Pfotchen ein. Das rechte Pfotchen bleibt in ungewohnlicher Stellung, Dorsalseitc auf der Tischplatte aufgelegt. Elektrode C: Kneift die Augen wahrend des Reizes, blickt aber auf Gerausche sofort auf. Reizung der gleichen Ptclleri mit 2 und 3 V. ergibt gleichen Effekt. Miidipkeit nimmt dabei zu. Die Katze lasst sich widerstandslos aufheben und in verschietlene Posi- tiorien bringen; sie ist in keiner Weise zum Gehen zii veranlassen. 13ei 4 V. treteri nun motorische Effekte im Gesicht auf, in der Folge wird auch tier Kopf langsam nach rechts (also kontrarersiv) gewendct. Mit jeder neuen Reizung steigt die Reizschwelle ail. Bei starker1 Reizeii tritt der Dampfungseffekt erst nach Abklingen dcr motorischen Rffektr in Erscheinung. Trotz Zunahme cler Dampfung hleibt der Toil ) i s der Halsinuskulatur erhalten. Entsprechend konimt es nicht zii typihrher Schlafstellung (Abb. 2).

Fall 436: Elektroden -1. B. C liegen im linken S. cautlatus. Die Reizstellen werden silkzedan init 1.0 T. abgrtastet. Elektrode A (100 Sek.): Lidschluss nach 90 Sek.. Verenperung der Pupillen. Ueutliche Inaktivierung. die den Reiz iiberdauert. Das Tier legt sich; 2 Min. nach Reizschluss senkt es den Kopf und schlapt Pfotchen cin. Atiniiiig leicht beschleunigt. 4 Min. riach Reizschluss ausgesprochenrr T>anip- fungszustand mit wellenformigem Verlauf der allgemcineii E r reghr - keit. Ekktrode B (63 Sek.): Initialer Weckeffekt. Leyt sirh a h norh wiihrend der Reizung aieder. Qegeniiber vorher vertieft sich tlcr 1 ) i i i i i p

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fungszustand, so dass sich ein schlafahnliches Bild ergibt. Kopf bleibt aber immer in gehobener Stellung. Atmung auffallend frequent! 5 Min. nach Reizbeginn erhebt sich das Tier spontan und wird wieder mobil. Elektrode C (60 Sek.): Legt sich wie bei A und B wahrend der Reizung nieder. Nach Reizschluss rollt sie sich ein. Kopf wird auch jetzt wieder aufrecht gehalten. - Alle 3 Reizstellen scheinen gleichwertig. Durch Simultanreizung von A, B und C wird die Dampfung kaum verstarkt. Bei Reizung mit 2 V. treten andeutungsweise motorische Effekte im Gesicht im Rhythmus der Reizimpulse auf. Nach deren Abklingen und nach Aufhoren der Reizung stellt sich der Dampfungszustand wieder ein.

2. Die Beeinflussung der sensomotorischen Ansprechbarkeit. Bei insgesamt 21 Reizstellen treten wahrend der Reizung

diskrete Innervationsstorungen auf. Diese Symptome sind gele- gentlich so unauffallig, dass sie wahrend des Versuches ubersehen wurden; ein Teil konnte hingegen bei der Detailanalyse der kine- matographischen Aufnahmen er- fasst werden (Abb. 3). Die nahere Untersuchung dieser Symptoma- tik lehrt, dass es sich urn proprio- ceptive Storungen handelt: Ver- minderung des Tonus in den Extremitaten, inadaequates Auf- setzen der Pfoten auf die Unter- lage, Einknicken der Pussgelenke, Schwerfalligkeit beim Gehen. Diese Insuffizienzerscheinungen des proprioceptiven Systems sind vorwiegend einseitig, contralate- pal, und zeigen sich am deut- lichsten an den Vorderpfoten.

Abb. 3: Fortgeschrittenes DLmpfungs- stadium. Beachte die asymmetrische Stellung der Vorderpfoten. Das linke Pfotchen ist regelrecht eingeschlagen, uber das rechte (kontralaterale) legt sich der Korper wie uber einen Fremd- korper. Reizung im linken Nc. caudatus

(1 Volt). (Fall 127.)

Haufig ist z. B. die reflektorische Stellungskorrektur nach passiver Dislokation einer Vorderpfote, gegeniiber der normalen Seite ver- langsamt. Bemerkenswert ist die schon erwahnte Tatsache, dass ein anderer Sektor des proprioceptiven Systems, namlich die reflektorisohe Sicherung der Kopfhaltung durch Halspropriocep- toren und Vestibularapparat, von diesen Storungen ausgespart bleibt.

Wir waren zunachst dariiber im Zweifel, ob diese Fehlleistungen wirklich auf die Reizung des Nc. caudatus zu beziehen sind, umso mehr, als uns ahnliche Bilder als sog. ))Setzeffekte((, d. h. 1-2 Min. nach dem Versenken der Nadelelektroden auf-

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2Stl I<. AIiERT CND B. AR’DERSON.

Abb. 4 a.

Abb. 4: Lokalisation der Reizstellen mit symbolhafter Eintragung der Reizeffekte.

C. a. - Commissura anterior. C. c. = Corpus callosum. C. f. C. i. ~= Capsula interna. C. r. = Corona radiata. For. XI. = Foramen Monroi. (+. c. c. S c . a. Y. = h’c. anterior vcntralis. Sc. a. d. = Nc. anterior dorsalis. S c . c. S. p. = Septum pellucidum. V. 1. ~J Ventriculus lat. 3 J Pu’egative Reizstellen (hinsichtlich Dampfung nnd proprioceptiven

~- --.= Inaktivicrungs-Syndrom. m scrie, 2 mm Abstand von der Mcdianc (HESS 1044a).

dardserie (Hsss 1938b).

-= Columna fornicis descendens.

== Cenu corp. callosi.

-: Nucleus caudatus (caput).

Storungen).

=: Proprioceptive StBrung ( ~ I S Reizeffekt). a) Projektion der Reizstellen in Schnittebene KO. 130 der sagittalen Standard-

b) Projektion der Reizstellen in Schnittebene KO. 274 dcr horizontalen Stan-

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BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DES NUCLEUS CAUDATUS. 289

Abb. 4 b.

tretende, tsansitorische Phanomene, auch aus anderen Ge- genden bekannt sind. Solche Setzeffekte sind auf mechanische Reizung des durchstochenen Gewebes zu beziehen (Hirnrinde in der Umgebung des Sulcus lateralis; Balkenfaserung). Ein auffalliges Merkmal dieser Storungen der Sensomotorik ist ihr rasch voriiber- geheuder Charakter; dazu kommt das Ausbleiben des entsprechen- den Effektes bei elektrischer Reizung, bei Welcher die Wirkung nur von der in der Tiefe liegenden Elektrodenspitze ausgeht. In unseren sich auf den Nc. caudatus beziehenden Fallen erscheinen proprioceptive Storungen schon bei Versenken der Elektroden nur 2 mal; sie dauern hier Iangere Zeit an und werden durch die nachfolgende elektrische Reizung wieder hervorgerufen; in allen

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290 K . AKERT T N D B. A N D E R S O N

iibrigen Fallen entwickeln sich die Symptome iiberhaupt erst mit dem Einsetzen der elektrischen Reizung. Die entsprechende Wirkung tritt schon bei schwachen Reizen (1 V.) auf; sie iiber- dauert den Reiz wahrend einigen Minuten und verschwindet allmahlich. In zeitlicher Hinsicht besteht also weitgehende Koin- zidenz mit dem motorischen Hemmungs-Syndrom. In einer spa- teren Phase, d. h. nachdem das Tier seine spontane Bktivitat wieder zuriickgewinnt, sind keinerlei Funktionsdefekte mehr feststellbar. Die verantwortlichen Reizstellen befinden sich durch- wegs innerhalb des Nucleus caudatus und scheinen sich im medialen Teil zu haufen (Abb. 4 b).

3. Beeinflussung vegetativer Funlctionen. a) Atmungseffelcte: Beim freien Tier tritt bei schwacher Reizung

im Bereiche des Nc. caudatus eine allmahliche Reduktion der Atmungstatigkeit ein: Die Atemziige werden langsamer und ober- flachlicher. Diese Hemmung geht Hand in Hand mit der beschrie- benen Dampfung des Gesamtverhaltens und mit der Verengerung der Pupillen. Der gleiche Effekt ist beim narkotisierten Tier bei etwas hoherer Reizschwelle ebenfalls zu beobachten. Starkere Reize haben den entgegengesetzten Effekt. Nach sehr kurzer Latenzzeit schwillt die Atmung an, insbesondere steigt die Fre- quenz; die Mittellage wird in Richtung der Inspiration verschoben. Diese Aktivierung koinzidiert mit dem Auftreten motorischer Ferneffekte, die wie gesagt auf die Miterregung kortikopetaler Faserzuge der innern Kapsel zuriickzufuhren sind. Es ist daher naheliegend, diese Beeinflussung der Atmung ebenfalls als Folge einer elektrischen Irradiation zu beurteilen (vgl. SCHYLLER, 1901).

b) der Blutdruclc: wird durch die Reizung wenig verandert. Erst bei hohen Reizintensitaten erscheinen pressorische Wellen, die aber wie die aktivierung der Atmung als Fernwirkungen auf- zufassen sind.

c) Speichelfluss: Dieses Symptom wurde bei 5 Reizstellen beob- acht et .

Ausschaltungseffekte.

1. Einseitige Herdsetzunq inz Nc. caudatus. Pal l 51: Kleiner Koagulatioiisherd von ca. 2 mm Durchmesser

irn linkeii Nc. caudatus. Reobachtungszeit: 134 Tage. Keine Ausfallserscheinungen weder in der akuten, noch in der chronischen Phase.

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BEITRAQ Z U R PIIYSIOLOQIE DES NUCLEUS CAUDATUS. 291

Fall 56: Mittelgrosser Herd von ca. 2 mm Durchmesser im linken Nc. caudatus. Beobachtungszeit: 13 Tage. Keine Ausfallserschei- nungen.

2 . Doppelseitige Ausschaltung des Nc. caudatus. Fall 52: Ausdehnung der Herde s. Abb. 5. Beobachtungszeit:

30 Tage. Unmittelbar nach dem Varsuch stehen schwere Koor- dinationsstiirungen des Gehmechanismus im Vordergrund. Die

Abb. 5: Lokalisation und Ausdehnung der durch Elektrokoagulation gesetzten Liisionen im Nc. caudatus. Die Herde sind auf Schnittebene 274 der horizontalen

Standardserie (vgl. Abb. 4b) projiziert.

Vorderbeine werden unnatiirlich abgehoben und horbar auf den Boden abgestellt wie beim preussischen Paradeschritt; daneben werden Vorder- und Hinterextremitat der gleichen Seite beim Gehen fast gleichzeitig in Bewegung gesetzt, d. h. in der Art des Passganges. Sehr auffallig ist auch das anfallsweise tonische Spreizen der Vorderpfoteu (aKlauen(0. Diese Storungen bilden sich innerhalb 3 Wochen wieder vollstandig zuriick. Neben diesen sensomotorischen Ausfalleerscheinungen hat sich auch das allge- meine Verhalten des Tieres gegeniiber friiher stark geandert. Die vorher eigenwillige Katze zeigt keinerlei spontane Bewegungs- und Handlungsimpulse mehr; dagegen wird sie von Sinnesreizen wie ein Automat in Gang gesetzt. So folgt sie dem Versuchsleiter oder

20--510293. Acta phys. Scandinau. Vol . 22.

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192 I<. A I i E l U UND 3. ANDERSSOK'.

der spielgefahrtin unaufhorlich aiif dem Fuss. T'erliert sie den Koiitakt niit dem Antriebsobjekt, so versiegt die Bewegung. Nach dblauf einer Woche ist das Tier wieder sehr mobil, jetzt sogar eher itiiruhig und uberregbar.

Pall 63: Ausdehnung der Herde s. Abh. 6. Beobachtungszeit: 7 Tage. Die sensomotorischen Storungen sind bedeutend starker als bei Pall 52. Daneben bestehen Paresen beider Hinterextremi- taten. -4uch das )iKlauen+ ist hier wieder vorhanden. Die Storungen des allgenieinen T'erhaltens sind iihnlich wie bei Fall 52.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass kleinere einseitige La- sionen keine merklichen Funktionsstorungen verursachen. Dage- gen sind die dusfallserscheinungen nach doppelseitiger Herd- setzung sehr eindrucksvoll, so dass es am Platz war. von dieseii Beobachtungen Kenntnis zu geben. Urn allerdings iiber den Me- chanismus dieser Auswirkungen Schlussfolgerungen ziehen zu konnen, ist das vorliegende Material zu wenig umfangreich. Uns kani es in erster Linie darauf an, zu zeigen, dass die Hemmungs- syniptome im Reizversuch sich gegeniiber deli Ausfallserschei- nungen nach Ausschaltung verschieden verhalten.

D i skussion.

In Ubereinstinimung mit den friiheren Beobachtungen von HESS (1944) hat sich aufs neue gezeigt, dass bei Reizung des Nc. caudatus mit schwach dosierten Reizimpulsen mit nicht zu steil verlaufenden Potentialanderungen und relativ niedriger Frequenz eine Herabsetzung der Reaktionsbereitschaft herbeigefiihrt wird. Diese aussert sich im Spontanverhalten des Tieres in einer Um- stimmung, welche auf den ersten Blick eine gewisse xhnlichkeit mit Xchlafrigkeit und Schlaf aufweist. Die Untersuchnng des inzwischen hedeutend erweiterten Materiales erlaubt folgendr Prazisierung dieses Tatbestandes:

1. Die Inaktivierung manifestiert sich in erster Linie auf moto-

spharen erscheinen in der Regel vom Dampfungseffekt ausgespart. Die Beeinflussung der llotorik zeigt sich nicht nur im Spontan- verhalten, sondern auch darin, dass die Reizschwelle sukzessivc ansteigt.

2 . Keben der allgemeinen Terminderung der motorischen Lci- stungsbereitschaft tritt das haufige Versagen der proprioceptiv

rischem Gebiet. Die nach der Sussenwelt orientiereiiden L 9' 1111163S-

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BEITRAQ ZUR PHYStOLOQIE DES NUCLEUS CAUDACUS. 293

gesteuerten Korrekturmechanismen in den Vordergrund, namlich betont auf der kontralateralen Seite. Diese zweite Feststellung kann nicht anders als eine Hemmungserscheinung gedeutet werden, da der Effekt ja infolge von Reizung auftritt. Es ent- spricht dieser Interpretation, dass die Storungen sich vollkommen zuriickbilden. Schliesslich weist die Erfahrung in der gleichen Richtung, dass die histologische Kontrolle nur minimale Gewebs- schadigung (Stichkanal) erkennen lasst. Was nun die Absenkung der allgemeinen motorischen Aktivitat betrifft, so liegt aus dem eben genannten Grund auch hier eine Hemmungswirkung vor. Sie spielt sich in der gleichen Ebene ab, wie die Hemmung im Bereich der proprioceptiven Steuerung. Damit gibt sich die Rolle des Nc. caudatus zu erkennen: Sie besteht in einer Regulierung der motorischen Funktionsbereitschaft. Ein Unterschied gegenuber dem Schlaf besteht darin, dass diesen eine vie1 umfassendere Ruhig- stellung - insbesondere auch des ganzen exteroceptiv-sensorischen Systemes -- auszeichnet. Immerhin ist die Trennscharfe des striaren Mechanismus keine absolute. Denn es hat sich - wie gesagt - im Reizexperiment mehrfach gezeigt, dass auch die vegetativen Funktionen (Atmung, Lidspalte, Pupille) und gele- gentlich auch die Sinnesspharen speziell in vorgeschrittenen Pha- sen der Reizwirkung in den Inaktivierungsvorgang, vermutlich sekundar, einbezogen werden konnen.

Entscheidende Bedeutung kommt der Erfahrung zu, dass in jedem Fall einige Zeit verstreicht bis die Zeichen der Dampfung erkennbar sind. Ein Henimungsmechanismus, wie er z. B. in Form der direkten Kuppelung von Antagonisten und Agisten bekannt ist, kommt somit nicht in Frage. Die relative Tragheit, mit der die Hemmung erscheint, verweist den Vorgang auf eine andere Ebene, nainlich in den Funktionsbereich einer die Erregbarkeit des animalen Systemes regulierenden Apparatur, die dem vegetativen Nervensystew als dem Steuerorgm f iir die Binnenbedingungen des Organismuz zuzurechnen is t .

Damit erhebt sich fur uns die Frage nach der spezifischen Be- deutung des striaren Dampfungseffektes. Der Gedanke ist nahe- liegend, dass es sich urn einen Teilmechanismus des Schlafvor- ganges, eine Art Partialschlaf handelt. Sowohl aus der experi- mentellen Erfahrung mit schlafenden Katzen, als auch auf Grund von EEG-Befunden wissen wir, dass die Schlaffunktion sich oft nicht in gleichmassiger Weise iiber die einzelnen Gehirnabschnitte ausdehnt. Tatsachlich sieht man nicht selten, dass zur gleichen

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2!)4 I i . AKERT U N D I3 AEDEKSSOK.

Zeit, wahrend welcher einzelne Gebiete sich in voller Aktivitiit befinden, andere Substrate Schlafpotentiale produzieren. Dem ausseren Erscheinungsbild nach koiinen entsprechend verschie- dene Schlafverhalten unterschieden werden: Korperschlaf - Sinnesschlaf - Vollschlaf. Urn diese Prage endgultig zu beant- worten, sind entsprechende Untersuchungen in unserem Institut durchgefiihrt worden, bei welchen die elektrischen Begleitphaeno- mene des striaren Reizeffektes durch siniultane Yotentialablei- tungen von einer Vielzahl kortikaler und subkortikaler Hirn- bezirke analysiert wurden. Die Resultate werden an anderer Stelle bekannt gegeben (HESS jr., AKERT. KOELLA. 1951). Eine wei- tere Beziehung zum Schlafsyndrom ergibt sich ans der Tatsache, class hier wie dort - allerdings in etwas verschiedener Weisr - das proprioceptive System eine Rolle spielt. Fur KLEITMAN (1939) bedeutet das Abklingen des ))Bombardementsc( der Hirnrinde durch proprioceptive Impulse geradezu das Signal zum Einschla- fen. Dies wird in unsereri Versuchen durch die Herabsetzung dw dnsprechbarkeit des proprioceptiven Spstemes weitgeheod er- reicht.

Vergleichen wir unsere Ergebnisse iioch mit denj enigen anderer dutoren, so stellen wir fest, dass das s t r ike Inaktivierungs- Syndrom - je nach den \Tcrsuchsbediiigungei~ -- in verschjcdenen Manifestationsformen von verschiedener Xeite iibereinstinimentl beobachtet worden ist. METTLER et al. (1949) haben am narkoti- sierten Tier (Katze) festgestellt, dass durch Reizung des Nc. caudatus gleichzeitig induzierte niotorische Hirnrindeneffekte unterdriickt werden konnen. Dieser Befuiid wurde von FREEMAS und KRASNO (1940) und von GEREBTZOFF (1941) (beim Kaninchen) bestatigt. Der letztere Autor konnte durch EEG-Untersuchungen ausserdem zeigen, dass sich die striar induzierte Hcmrnung he- sonders in der sensomotorischen Itindenregion geltend macht. duch D U S ~ E R DE HARESNE u. Mitarbeiter (1938, 1942) hahen, von einer anderen Problemst ellung ausgehend, die osuppresso- rischecc Wirkung des Nc. caudatus auf die Tatigkeit gewisser Rindenareale festgestellt. Mit Hilfe der d3trychnin-Xeurono- graphiecc haben diese Forscher die Hwnmungsfunktion des Striatums mit derjenigen bestinmiter Rindenfelder (suppressor- strips) in Beziehung gebracht, und fiir deli cbertragungsweg der Steuerungsimpulse einen cortiro-strio-thalanio-corticalelz Keiiro- nenkreis postuliert. Ohne zu dieser dnnahnie Stellung zu nehmen, die heute Gegenstand lebhafter Kontroversen ist, bleibt die Tat-

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BEITRAQ ZUR PHYSIOLOQIE DES NUCLEUS CAUDATUS. 295

sache einer vom Striatum ausgehenden Hemmungsfunktion un- bestritten, wobei wir - wie schon betont - auf den Zeitfaktor besonderes Gewicht legen, ferner darauf, dass ganz allgemein bei der Einstellung des ))Erregbarkeitsspiegels(( subkortikale Elemente eine massgebliche Rolle spielen und zwar sowohl in aktivierender wie auch in hemmender Richtung. I n dieser Beziehung stehen die in neuester Zeit durch MORRISON und DEMPSEY (1942, 1943) MAGOUN und Mitarbeiter (1950), sowie JASPER und seine Schule (1949) bekannt gegebenen Befunde mit den von HEN auf Grund seiner ausgedehnten Erfahrung formulierten Konzeptionen in bester ubereinstimmung. Die von uns selbst oben zur Darstellung gebrachten Beobachtungen fiigen sich organisch an, indem sie zeigen, dass und in welcher Weise der Nc. caudatus auf die Sen- somotorik Einfluss nimmt. Der bei der Katze machtig entwickelte rostrale Sektor des Nc. caudatus, in Korrespondenz mit der rostralen Lage der sensomotorischen Reprasentationsgebiete im Kortex, zeigt diese funktionelle Beziehung auch im morpholo- gischen Aspekt. Dabei mussen wir vorlaufig die Frage offenlassen, ob die bei der Katze sehr schwach ausgebildeten caudalen Anteile des Kernes in analoger Weise mit caudaleren Kortexfeldern in Beziehung stehen, und ferner ob innerhalb des Caput nc. caudati eine somatotopische Gliederung hinsichtlich der Aktivitatssteue- rung bestimmter Teile des Bewegungsapparates vorhanden ist, wie von klinischer Seite behauptet wird (KLEIST, 1934).

Aus den mitgeteilten Beobachtungen ergibt sich noch eine Frage, welche zum Schluss erortert sein soll. Sie bezieht sich auf das Verhaltnis zwischen den proprioceptiven Storungen an den Extremitaten einerseits, und den Zustand einer Dampfung im Gesamtverhalten andererseits. Beide Symptome bieten insofern einen gemeinschaftlichen Charakter, als sie eindeutig die Antwort auf Reizungen darstellen und sich mit einer gewissen Latenzzeit, in der Regel aber noch wahrend der Reizung, einstellen. Die Tatsache, dass es zum mindesten einige Sekunden braucht, bis sie sich geltend machen, schliesst - wie gesagt - einen direkten Mechanismus, der ein integrierender Bestandteil eines Bewegungs- aktes ware, aus. Dagegen sprechen die zeitlichen Verhaltnisse und auch die physiologische Auswirkung dafiir, dass es sich um eine Funktion handelt, welche normalerweise eine Uberbetonung der somatomotorischen Aktivitat verhindert bzw. abbremst. Dabei muss der hemmende Einfluss auf die proprioceptive Steuerung corticopetalen Bahnen (direkten oder indirekten) zugeschrieben

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d 9 6 K. AKERT UND B. ANDERESON.

werden, woraus sich erklart, dass in erster Linie die kontralaterale Seite betroffen wird. Etwas anders verhalt es sich mit der durch die Reizung produzierten allgemeinen Dampfung. Hier weist die ganze Symptomatik darauf hin, dass sich der Hemmungs- prozess auf tieferer, d. h. subcorticaler Ebeiie ausbreitet und dabei in etwas variablem Umfang die Wach-Schlafregulierung miterfasst. Wenig betroffen wird wegen der relativ caudalen Lage die Apparatur, welche durch Vermittlung des Kucleus ruber und associierter Gebilde die Kopfhaltung stabilisiert (HESS-WEIS- SCHEDEL, 1949). So ist es verstandlich, dass der Kopf in der Begel erhoben bleibt und das Experiment uns das Bild eines Partial- schlafes vorfuhrt. ,41s Ubertragungsorgane kommen markschei- denhaltige Fasern nicht in Betracht, hingegen periventrikulgre Substrate, welche als Teile des vegetativen Innervationssysteines die Steuerung der Bktionsbereitschaft in der Hand haben. Xit dieser Schlussfolgerung aus den aufgefuhrten, ziemlich umfang- reichen, gleichlautenden experimentellen Ergebnissen wird der Nucleus caudatus dem Hohlengrau des 111. Ventrikels koordiniert niit der Prazisierung, dass er den die Erregbarkeit steuernden Unterbau der sensomotorischen Zone des Cortex und vermutlich auch rostra1 davoii liegender Abschnitte darstellt.

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Die Durchfuhrung der experinieiitellen -4 rbeiten wurden (lurch die finanzielle Uiiterstiitzung der Rockefeller Foundation, S e w York, sowie der Stiftung fur wissenschaftliche Forschung an der Y'uiversitat Zurich ermoglicht. Beiden Institutionen wird hieriiiit der gebiihrende Dank ausgesprochen.

Zusammenfassunn.

1. &lit Hilfe der Heizmethode nach HESS wird das Caput nnclci caudati bei Katzen elektrisch abgetastet. Die Kontrolle der Reizwirkung erfolgt nach Erwachen des Tieres aus der Stickoxy- dulnarkose, so dass es sich im Vollbesitz der motorischen und vegetativen Ausdrucksmoglichkeiten befindet. Rei 4 Rontroll- tieren werden Blutdruck und dtmung in Xarkose registriert. Zur Uarstellung allfiilliger ;iusfallserscheinungen u-ird das 1Lrix- experiment in 4 weiteren Fallen durch ein- und doppelseitigc. umschriebene, herdformige Lasioneii (mittels Elektrokoagulation) erganzt.

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BEITBAG ZUR PHYSIOLOGIE DES NUCLEUS CAUDATUS. 297

2. Im Vordergrund des Reizerfolges steht ein charakteristisches Inaktivierungssyndrom. Es handelt sich hierbei um ein allmiih- liches Versiegen der motorischen Funkt ionen, das mit einer Erhobung der Reizschwelle einhergeht. Die Aufmerksamkeit der exterocep- tiven Sinnesapparate bleibt im Gegensatz zum natiirlichen Schlaf weitgehend erhalten. Ebenso ist die durch Vestibularapparat und Halsproprioceptoren regulierte Kopfhaltung von der Dampfung auffallend wenig betroffen. Mit grosser Konsequenz zeigten sich Storungen der Proprioceptiuitat, namentlich an den kontralateralen Vorder-Extremitaten. Ferner treten im Verlaufe des Dampfungs- zustandea Verengerung der Lidspalten und Pupillen und Ver- minderung der Atmungstatigkeit auf. Alle diese Zeichen sind direkte Folgen der Reizung und zwar in der Regel wahrend diese noch im Gang ist. Die Latenzzeit schwankt zwischen einigen Sekunden und 2-3 Minuten.

3. Das Caput nuclei caudati iibt demnach einen Einfluss auf die Funktionsbereitschaft des motorischen Systemes aus, in- begriffen die proprioceptive Steuerung. Die physiologische Be- deutung ist in der Regulierung der Erregbarkeitsverhaltnisse im Bereiche des motorischen Systemes zu erblicken. Die Bezie- hungen zum Schla€mechanismus und zum vegetativen Nerven- system als Vermittler im Regulationsmechanismus werden be- sprochen.

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