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Finanzmathematik

Vorlesung WS 2010/11

Jürgen Dippon

28. März 2011

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Inhaltsverzeichnis

1 Einführung 31.1 Grundbegrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2 Put-Call-Parität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.3 Schranken für Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.4 Ein-Perioden-Marktmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2 Bedingte Erwartungen und Martingale 192.1 Bedingte Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.2 Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3 Finanzmärkte in diskreter Zeit 283.1 Risikoneutrale Bewerung von Finanzderivaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 313.2 Vollständige Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313.3 Das Cox-Ross-Rubinstein-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323.4 Binomialapproximation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343.5 Bewertung amerikanischer Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4 Stochastische Prozesse in stetiger Zeit 424.1 Grundbegrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424.2 Klassen von Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434.3 Brownsche Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444.4 Das Itô-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

5 Zeitstetige Finanzmärkte 555.1 Risikoneutrale Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575.2 Das Black-Scholes-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585.3 Black-Scholes mittels risikoneutraler Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 635.4 Black-Scholes mittels No-Arbitrage-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 665.5 Die Feynman-Kac-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675.6 Risikokennziern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685.7 Hedging-Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695.8 Schätzung der Volatilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

6 Spezielle Derivate 726.1 Kreditderivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726.2 Credit Default Swaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726.3 Bewertung des CDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

7 Literatur 75

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1 Einführung

Die klassische Finanzmathematik beschäftigt sich in erster Linie mit grundlegenden Finan-zinstrumenten oder Anlageformen (basic securities)

• Aktien (stocks)

• festverzinsliche Wertpapiere (bonds)

• Währungen (foreign exchange)

• Rohstoe (commodities)

• Energie

Die moderne Finanzmathematik untersucht derivative Finanzinstrumente (derivatives, de-rivative securities, contingent claims), die von einfacheren Finanzinstrumenten (underly-ings) abgeleitet werden.Beispiele für Derivate:

• Forwards

• Futures

• Optionen (options, contingent claims)

Geschichte

• 17. Jahrhundert in den Niederlanden: Put-Optionen auf Tulpen

• 18. Jahrhundert in London: Problem kein gesetzlicher Rahmen beim Ausfall einesVertragspartners

• 1930: Gesetzliche Regulierung

• 1970: Bedeutende Zunahme von Termingeschäften

• 1973: Gründung der Chicago Board Options Exchange

• 1990: Deutsche Terminbörse (DTB) nimmt Handel mit Optionen auf

• 1998: Fusion der DTB mit der SDFEX (Schweizerische Terminbörse) zur EUREX

Wissenschaftliche Untersuchung

• 1900: Louis Bachelier modelliert in seiner Dissertation Theorie de la spéculationden Aktienkurs als Brownsche Bewegung

• 1965: Paul Samuelson modelliert den Aktienkurs als geometrische Brownsche Bewe-gung

• 1973: Fischer Black und Myron Scholes geben explizite Formeln zur Optionspreisbe-wertung an unabhängig davon auch Robert Merton

• 1981: M. Harrison und S. Pliska führen Martingalmethoden in die Optionspreisbe-wertung ein

• 1997: Ökonomie-Nobelpreis für Scholes und Merton (Black 1995 gestorben)

• 2003: Ökonomie-Nobelpreis für Robert F. Engle (ARCH-Zeitreihen)

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Quantitative Fragen

• Bewertung (pricing) von Derivaten

• Hedging Strategien für Derivate (Absicherung)

• Risikomanagement von Portfolios

• Portfoliooptimierung

• Modellwahl und Kalibrierung

Aktuelle Fragestellungen

• Verbesserung der Modellierung der Underlyings: Lévy Prozesse, fraktale BrownscheBewegung, Sprünge in den Aktienkursen, Insider-Information, stochastische Volati-litäten, . . .

• Modellierung des Korrelationsrisikos in groÿen Portfolios

• Bewertungsmethoden für hochdimensionale und pfadabhängige Auszahlunsprole inkomplexeren Modellen

• Modellierung der Marktliquidität und des Ausfallrisikos

• Risikomanagement bei extremer Entwicklung von Märkten

1.1 Grundbegrie

Finanzinstrumente:

• primäre Finanzinstrumente: Basisgüter

• sekundäre Finanzinstrumente: Derivate

Denition 1.1. Ein Derivat ist ein Finanzinstrument, dessen Wert zum VerfallszeitpunktT (expiry date) vom Wert eines einfacheren Finanzinstruments (underlying) zum ZeitpunktT (oder auch vom Werteverlauf bis zum Zeitpunkt T ) abhängt.

Beispiele für Basisgüter (underlying securities)

• Aktien (stocks)

• Zinsraten (interest rates)

• Währungen (currencies)

• Rohstoe (commodities)

• Wetter

• Indizes wie DAX, Dow Jones, CAT-Index (catastrophe losses)

• Firmenwerte (rm values)

• Bonitäten (rating)

Die Preisentwicklung eines Basisgutes wird üblicherweise mit S = (St) = St | t ≥ 0bezeichnet.

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Festverzinsliche WertpapiereStartkapital zum Zeitpunkt t = 0: B0 Bei jährlicher Zinsausschüttung mit Zinsrate r perannum: Kapital nach t = n Jahren

B(1)n = B0(1 + r)n

Zinsausschüttung nach 1k Jahren und Zinsrate r

k pro 1k Jahre: Kapital nach n Jahren

B(k)n = B0

(1 +

r

k

)nkBei stetiger Verzinsung mit dem Momentanzins (short rate) r: Kapital nach n Jahren

Bn := limk→∞

B(k)n = B0e

nr

Märkte:

• Börsen

• OTC (Over-the-Counter)

Typen von Händlern:

• Hedgers versuchen ihre Institution gegen Risiken abzusichern

• Spekulanten versuchen durch Wetten Prot zu machen

• Arbitrageure versuchen durch simultane Transaktionen auf verschiedenen MärktenProt aus Kursdierenzen zu ziehen

Modellannahmen (perfekter Finanzmarkt)

• reibungsloser Markt: keine Transaktionskosten, keine Steuern, keine Einschränkungenfür short sales, Kaufs- und Verkaufspreise sind identisch

• kein Ausfallrisiko, Soll- und Habenzinsen sind identisch

• Wettbewerbsmarkt: der Preis wird vom Markt und nicht von einzelnen Marktteil-nehmern festgelegt

• Kapitalanlagen sind beliebig teilbar

• NO ARBITRAGE!!!

Short Selling ist eine Handelsstrategie, bei der der Investor Objekte, z.B. Aktien, die ihmnicht selbst gehören, von einem Partner für eine gewisse Zeit ausleiht, diese verkauft, späterwieder zurückkauft und an den Partner zurückgibt. In der Zwischenzeit anfallende Erträgedes Objekts (z.B. Dividenden) muss der Investor an den Partner erstatten.

Short Selling ist nur dann für den Investor interessant, wenn der Rückkaufswert St (deut-lich) kleiner als der Verkaufswert S0 ist.

Short Selling ist in der Praxis zahlreichen Restriktionen unterworfen.

Ein Portfolio ist eine Kombination mehrerer Finanzinstrumente, deren Wertentwicklungals Ganzes gesehen wird.Finanzmärkte bieten

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• risikolose Anlagen (z.B. festverzinsliche Wertpapiere)

• risikobehaftete Anlagen (z.B. Aktien)

Ein Anleger ist nur bereit, in risikoreichere Anlagen zu investieren, wenn er die Möglichkeitsieht, einen höheren Prot als in risikoärmeren Anlagen zu erzielen.

Arbitrage ist die Möglichkeit, ohne Kapitaleinsatz einen risikolosen Prot zu erzielen (for-male Denition später).Würde diese Möglichkeit bestehen, so könnte man damit risikolos riesige Geldsummenerwirtschaften. Märkte im Gleichgewicht neutralisieren solche Arbitrage-Möglichkeiten.Es wird sich zeigen, dass die No-Arbitrage-Annahme direkt zu einer Methode zur Bewer-tung von Derivaten führt.Beispiel eines einfachen Derivates:

Denition 1.2 Ein Forward-Kontrakt (Terminkontrakt) vereinbart den Kauf oder Verkaufeines Finanzgutes zu einem festen zukünftigen Zeitpunkt T (delivery date) zu einem festenPreis K, dem sog. Terminkurs (delivery price, strike price).

Häug wählt man den Terminkurs K so, dass der Wert der Forward-Kontraktes bei Ver-tragsabschluss (t = 0) den Wert Null hat. Bei dieser Wahl des Terminkurses ist bei Ver-tragsabschluss also nichts zu bezahlen, erst zum Zeitpunkt T .Bei Vertragsabschluss (t = 0) führt der Verkäufer des Kontraktes die beiden folgendenAktionen durch:

• Er nimmt einen Kredit über S0 zur risikofreien Zinsrate r auf

• Er kauft das Underlying mit diesem Geldbetrag

Bei Vertagsablauf (t = T ) führt der Verkäufer des Kontraktes die beiden folgenden Aktio-nen durch:

• Er übergibt dem Käufer des Underlying (welches jetzt den Wert ST besitzt) zumPreis von K = S0e

rT .

• Zur Tilgung des Kredits bezahlt er S0erT .

Damit hat er alle Verbindlichkeiten aufgelöst.Würde der Verkäufer einen Betrag K > S0e

rT fordern, könnte er einen risikolosen Gewinneinstreichen.

Würde der Verkäufer einen Betrag K < S0erT fordern, könnte der Käufer einen risikolosen

Gewinn einstreichen.

Dies würde jeweils der Forderung nach arbitragefreien Preisen zuwiderlaufen.

Damit ist der arbitragefreie Terminkurs

K = S0erT

Beachte: Es wurden keine Annahmen über die Kursentwicklung von (St) gemacht!Beispiel:

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Ein Investor erwirbt am 1. September einen Forward-Kontrakt mit dem Inhalt, in 90 Tagen106 e zum Umtauschkurs von 0.9 US $ zu kaufen.

Falls der Kurs nach Ablauf der 90 Tage auf 0.95 $ gestiegen ist, gewinnt der Investor 5 ·104

$, da 106 e dann am Markt für 0.95 · 106 $ verkauft werden können.

Hier also

t = 1. September

T − t = 90 Tage

T = 30. November

K = 0.9 · 106 $

Pay-o-Prol (Auszahlungsprol) eines Forward-Kontraktes zur Zeit T :

short position

long position

payoff

K ST

Pay-o eines Forward-Kontraktes zum Laufzeitende T : ST −KPay-o eines Forward-Verkaufskontraktes zum Laufzeitende T : K − STForwards sind nicht standardisiert und bergen das Risiko in sich, dass eine Vertragsseiteausfällt (default risk). Sie werden deshalb an Börsen kaum gehandelt, sondern nur overthe counter (OTC).

Eine Variante sind Futures, welche in standardisierter Form an Börsen gehandelt werden.Hierbei wird, z.B. täglich, die Wertveränderung des Futures (aufgrund vonWertänderungendes zugrundeliegenden Finanzgutes) zwischen den Vertragsparteien ausgeglichen, so dassder Wert des Futures anschlieÿend wieder gleich Null ist. Unter schwachen Voraussetzungenstimmen Terminkurse (delivery prices) von Forwards und Futures überein.

Futures werden z.B. an der CBOT gehandelt.Ein etwas komplizierteres Derivat:

Denition 1.3 Eine Option gibt dem Käufer das Recht, ein bestimmtes Finanzgut biszu einem zukünftigen Verfallszeitpunkt T (expiry, maturity) zu einem vereinbarten Aus-übungspreis K (strike price) zu kaufen oder verkaufen.

Der Optionskontrakt beinhaltet im Unterschied zum Forward oder Future jedoch nicht diePicht zur Ausübung.

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Beim Kaufrecht wird die Option als Call (Kaufoption), beim Verkaufsrecht als Put (Ver-kaufsoption) bezeichnet.

Ist die Ausübung der Option nur zum Verfallszeitpunkt T möglich, so spricht man von einereuropäischen Option. Kann die Option jederzeit bis zum Zeitpunt T ausgeübt werden, wirddiese amerikanische Option genannt.

Der Käufer bendet sich in einer long position, der Verkäufer bendet sich in einer shortposition.Pay-o einer long position bei einem Call zum Verfallszeitpunkt T

payoff

S K T

Pay-O = (ST −K)+ = maxST −K, 0 = maxST ,K −K

Sei t ≤ T .

S(t) < K : die Option ist out of the moneyS(t) = K : die Option ist at the moneyS(t) > K : die Option ist in the money

Problem: Wie lautet der faire Preis C0 und P0 für eine Call- bzw. Put-Option?Gewinn (yield) einer long position bei einer Call-Option

S K K+C0

0−CT

yield

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Beispiel

Markt mit drei Anlagemöglichkeiten:

• (risikoloser) Bond B

• Aktie S

• europäische Call-Option mit Strike K = 1 und Expiry t = T auf die Aktie S

Investition zum Zeitpunkt t = 0 mit Preisen (in e)

• B(0) = 1

• S(0) = 1

• C(0) = 0.2

Zum Zeitpunkt t = T soll sich die Welt (der Markt) in nur zwei möglichen Zuständenbenden können:

u (= up) oder d (= down)

mit Preisen (in e)

B(T, u) = 1.25, S(T, u) = 1.75, also C(T, u) = 0.75

undB(T, d) = 1.25, S(T, d) = 0.75, also C(T, d) = 0

Startkapital sei 25 e.

Portfolio A : t = 0

Anlage Anzahl Betrag in eBond 10 10Aktie 10 10Call 25 5

25

Portfolio A : t = T

Anlage up downBond 12.5 12.5Aktie 17.5 7.5Call 18.75 0

48.75 20.0

Portfolio B : t = 0

Anlage Anzahl Betrag in eBond 11.8 11.8Aktie 7 7Call 29 5.8

24.6

Portfolio B : t = T

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Anlage up downBond 14.75 14.75Aktie 12.25 5.25Call 21.75 0

48.75 20.0

Oensichtlich existiert in diesem Markt eine Arbitrage-Möglichkeit, da Portfolio A undPortfolio B denselben Gewinn erwirtschaften Portfolio B jedoch mit einem geringerenEinsatz!

=⇒ Call-Option besitzt falschen Preis!

Stelle zum Zeitpunkt t = 0 das Dierenzportfolio C auf:

Portfolio C := Portfolio B − Portfolio A

= (11.8, 7, 29)− (10, 10, 25)= (1.8,−3, 4)

Portfolio C zum Zeitpunkt t = 0:

Anlage AktionBond Kaufe 1.8 Einheiten -1.8Aktie Verkaufe 3 geliehene Einheiten, 3

welche zum Zeitpunkt t = Twieder zurückgegeben werden

Call kaufe 4 Einheiten -0.80.4

Dies ergibt zum Zeitpunkt t = 0 einen Gewinn von 0.4 e.

Portfolio C zum Zeitpunkt t = T :

Anlage Aktion up downBond Verkaufe 1.8 Einheiten 2.25 2.25Aktie Kaufe 3 Einheiten zurück -5.25 -2.25Call Option ausüben, falls sinnvoll 3 0

0 0

Zum Zeitpunkt t = T ist das Portfolio C also ausgeglichen.Zum Zeitpunkt t = 0 wurde damit ein risikoloser Gewinn von 0.4 e realisiert.

Weitere Beobachtung:Mit 1.8 Bonds und 3 Aktien short kann die Wirkung der Call-Option zum Zeitpunkt t = Tneutralisiert werden.

Man sagt:Die Bond- und die Aktienposition bilden einen Hedge gegen die Position des Calls. Diesgilt unabhängig davon, wie groÿ die Wahrscheinlichkeiten für den Zustand up/down derWelt sind!

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1.2 Put-Call-Parität

Seien St der Spot-Preis einer Aktie, Ct und Pt die Werte von auf der Aktie denierteneuropäischen Call- bzw. Put-Optionen mit Verfallsdatum T und Ausübungspreis K.

Πt bezeichne den Wert eines Portfolios bestehend aus einer Aktie, einem Put und einershort position in einem Call:

Πt = St + Pt − Ct

Satz 1.1 Für europäische Call- und Put-Optionen Ct und Pt auf der zugrunde gelegtenAktie St (ohne Dividendenzahlung) gilt die Put-Call-Parität

∀0≤t≤T

Π(t) = St + Pt − Ct = Ke−r(T−t)

Beispiel: Aktie der Deutschen Bank (alle Preise in DM) t = 23. Juni 1997, T = 18. Juni 1998,K = 80.00, r = 3.15% p.a.

Aktie S(t) = 97.70Call C(t) = 23.30Put P (t) = 4.16

S(t) + P (t)− C(t) = 78.66

Diskontierter Strike-Preis:K

1 + r=

801.0315

= 77.56

Ursachen für Dierenz: Dividendenzahlung vor T , Nachfrageeekte, . . .

1.3 Schranken für Optionen

Satz 1.2 Für europäische und amerikanische Call-Optionen gilt:

∀t∈[0,T ]

C(t) ≥(S(t)− e−r(T−t)K

)+

∀t∈[0,T ]

C(t) ≤ S(t)

Satz 1.3 Es ist nicht sinnvoll, eine amerikanische Call-Option vor ihrem Verfallsdatumauszuüben, da

∀t∈[0,T ]

CA(t) = CE(t)

Satz 1.4 (i) Für zwei Call-Optionen auf denselben Basiswert, mit demselben Verfallsdatum,aber unterschiedlichen Ausübungspreisen K1 < K2, gilt für alle t ∈ [0, T ]

(a) CK1(t) ≥ CK2(t)

(b) CK1(t)− CK2(t) ≤ e−r(T−t)(K2 −K1)(c) ∀

λ∈[0,1]CλK1+(1−λ)K2

(t) ≤ λCK1(t) + (1− λ)CK2(t)

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(ii) Für zwei Call-Optionen auf denselben Basiswert, mit demselben Ausübungspreis, aberunterschiedlichen Verfallsdaten T1 und T2, gilt

T1 ≤ T2 =⇒ C(T1) ≤ C(T2)

Satz 1.5 Für amerikanische Optionen gilt die folgende Put-Call-Beziehung:

∀t∈[0,T ]

S(t)−K ≤ CA(t)− PA(t) ≤ S(t)−Ke−r(T−t)

1.4 Ein-Perioden-Marktmodelle

1 Aktie mit Preis S0 = 1501 Bond mit Preis B0 = 1 mit Zinsrate r im Zeitraum T

Zustand ω1 mit W p Zustand ω2 mit W 1− p

Aktienpreis ST 180 90Bondpreis BT 1 + r 1 + r

Gesucht: Preis einer europäischen Call-Option mit Verfallsdatum T und AusübungspreisK = 150Auszahlung

XT (ω) = (ST −K)+(ω) =

30 falls ω = ω1

0 falls ω = ω2

Erwartungswert von XT

E(XT ) = 30 · p+ 0 · (1− p) = 30p

Mögliche Denition des Call-Preises zum Zeitpunkt t = 0

X0 = E(XT

1 + r

)=

30p1 + r

Spezialfall: Für p = 12 und r = 0 folgt X0 = 15

Wir zeigen: Dieser Optionspreis lässt jedoch Arbitrage zu!Dazu konstruieren wir aus Sicht des Käufers der Option ein Portfolio, das Arbitrage zulässt.Zeitpunkt t = 0:Aktion Cash Flow

Kaufe die Option zum Preis von 15 −15Leihe 1

3 der Aktie und verkaufe diese zum Preis von 1503 50

Kaufe festverzinsliches Wertpapier zum Preis von 35 (r = 0) −35Bilanz 0

Zeitpunkt t = T :Zustand ω1 Zustand ω2

(Wert der Aktie ST = 180) (Wert der Aktie ST = 90)Option wird ausgeübt 30 Option wertlos 0Kaufe 1

3 Aktie und Rückgabe −60 Kaufe 13 Aktie und Rückgabe −30

Verkauf des Wertpapiers 35 Verkauf des Wertpapiers 35Bilanz 5 5

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Mit dieser Strategie wäre ein risikoloser Gewinn von 5 Geldeinheiten möglich. Also kannX0 = 15 kein arbitragefreier Preis der Option sein!Aufgabe:Konstruiere aus Sicht der die Option verkaufenden Seite ein Portfolio, bestehend aus

• einer Anzahl a festverzinslicher Wertpapiere (jeweils mit Wert 1 zum Zeitpunkt t = 0und Zinsrate r während der Laufzeit) und

• einer Anzahl b von Aktien,

welches das Auszahlungsprol (zum Zeitpunkt t = T ) der Option repliziert. Bestimmedamit den arbitragefreien Wert der Option (zum Zeitpunkt t = 0).Lösung: Zum Zeitpunkt t = 0:

a · 1 + b · S0 = X0

Zum Zeitpunkt t = T :

a · (1 + r) + b · ST (ω1) = (ST (ω1)−K)+

a · (1 + r) + b · ST (ω2) = (ST (ω2)−K)+

Mit Werten: Zum Zeitpunkt t = 0:

a · 1 + b · 150 = X0

Zum Zeitpunkt t = T :

a · (1 + r) + b · 90 = 0 (1)

a · (1 + r) + b · 180 = 30 (2)

Auösen des linearen Gleichungssystems mit den beiden Unbekannten a und b liefert aus(1) zunächst a = − b

1+r · 90 und damit

b =13

also

a = − 301 + r

und

X0 = 50− 301 + r

Man sagt, das o.g. Portfolio repliziert zu jedem Zeitpunkt die Call-Option.

Mit dieser Replikationsstrategie kann

• der arbitragefreie Preis der Option ermittelt werden

• die die Option ausstellende Institution sich gegen Preisrisiken absichern (Hedging)

Eine modernere Lösung des Problems besteht in der Anwendung der Methode der risiko-neutralen Bewertung:

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(i) Ersetze p durch p∗ so, dass der diskontierte Aktienpreisprozess ein faires Spiel ist:

S0 = E∗(

ST1 + r

)

Hier: 150 = 11+r (p∗ · 180 + (1− p∗) · 90), also p∗ = 2+5r

3

Für r = 0 folgt p∗ = 23

P ∗ = (p∗, 1− p∗) ist das zum Aktienpreisprozess risikoneutrale Wahrscheinlichkeits-maÿ

(ii) Berechne den fairen Preis der Option bzgl. E∗

X0 := E∗(

Xt

1 + r

)=

30p∗

1 + r= 10

2 + 5r1 + r

= 50− 301 + r

Für r = 0 folgt X0 = 20

Denition des Ein-Perioden-Modells: Der Finanzmarkt kennt nur die beiden Zeitpunktet = 0 und t = T .

Es werden d+ 1 Finanzgüter gehandelt mit Preisen zu den Zeitpunkten

t = 0 : S(0) =

S0(0)...

Sd(0)

∈ Rd+1+

t = T : S(T ) =

S0(T )...

Sd(T )

Rd+1+ -wertige ZV

wobei Si(T ), i ∈ 0, . . . , d, R+-wertige Zufallsvariablen auf dem endlichen Wahrscheinlich-keitsraum (Ω,F ,P) mit |Ω| = N,F = P(Ω) und P(ω) > 0 für alle ω ∈ Ω = ω1, . . . , ωNHier: R+ := [0,∞)Kauf und Verkauf der Finanzgüter zum Zeitpunkt t = 0 gemäÿ der Handelsstrategie

ϕ =

ϕ0...ϕd

∈ Rd+1

Zum Zeitpunkt t = 0 Investition der Summe

〈S(0), ϕ〉 =d∑i=0

ϕiSi(0) ∈ R

Zum Zeitpunkt t = T liegt das vom Zufall abhängige Kapital vor:

〈S(T ), ϕ〉 =d∑i=0

ϕiSi(T ) reellwertige ZV

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Denition 1.4 Der (oben denierte) Finanzmarkt lässt eine Arbitrage-Möglichkeit zu, fallses ein Portfolio ϕ ∈ Rd+1 gibt, so dass die folgende Bedingung gilt:

〈S(0), ϕ〉 ≤ 0 und ∀ω∈Ω

〈S(T, ω), ϕ〉 ≥ 0 und ∃ω∈Ω

〈S(T, ω), ϕ〉 > 0

Gibt es kein solches ϕ, so heiÿt der Finanzmarkt arbitragefrei.

Bemerkung: Falls es im oben denierten Finanzmarkt ein Portfolio ϕ ∈ Rd+1 mit

〈S(0), ϕ〉 < 0 und ∀ω∈Ω

〈S(T, ω), ϕ〉 ≥ 0

gibt, ist ϕ eine Arbitrage-Möglichkeit.Satz 1.6 Der (oben denierte) Finanzmarkt ist genau dann arbitragefrei, falls es einensogenannten Zustandspreis-Vektor ψ ∈ RN mit ψi > 0 für alle i ∈ 1, . . . , N gibt, so dass

Sψ = S(0),

wobei

S =

S0(T, ω1) · · · S0(T, ωN )...

...Sd(T, ω1) · · · Sd(T, ωN )

Kurz: Der Markt ist genau dann arbitragefrei, wenn es einen Zustandspreis-Vektor (stateprice vector, pricing kernel) gibt.Sei ψ ein solcher Zustandspreis-Vektor.

Mit ψ0 :=N∑i=1

ψi gilt für qj := ψjψ0∈ (0, 1]

N∑j=1

qj = 1

d.h. durch (q1, . . . , qN ) wird ein W -Maÿ Q auf Ω deniert.

DamitSi(0)ψ0

=N∑j=1

Si(T, ωj)qj = EQ(Si(T ))

Unter Q sind die mit ψ0 standardisierten Preise der Finanzgüter i ∈ 0, . . . , d deshalbrisikoneutral.Ist i ein Finanzgut mit Si(T, ωj) > 0 für alle j ∈ 1, . . . , N, so können die Preise deranderen Finanzgüter als Vielfaches von Si(T, ωj) ausgedrückt werden. Das Finanzgut iwird dann Numéraire gennant.

Sei z.B. Finanzgut i = 0 ein risikoloser Bond mit

∀ω∈Ω

S0(T, ω) = 1

Damit

15

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S0(0)ψ0

=N∑j=1

qjS0(T, ωj) =N∑j=1

qj = 1

Ist r die Zinsrate pro Zeiteinheit, dann gilt

S0(0) = ψ0 = (1 + r)−T

Damit ergibt sich der Preis von Finanzgut i zum Zeitpunkt t = 0 zu

Si(0) =N∑j=1

qjSi(T, ωj)(1 + r)T

= EQ(

Si(T )(1 + r)T

)d.h.

Si(0)(1 + r)0

= EQ(

Si(T )(1 + r)T

)

In der Sprache der Wahrscheinlichkeitstheorie: Der stochastische ProzessSi(t)

(1 + r)t: t ∈ 0, T

ist ein Q-Martingal

Achtung:

Im allgemeinen ist dieser Prozess aber kein P -Martingal für ein von Q verschiedenes W -Maÿ P , welches z.B. die Einschätzung eines Anlegers widerspiegelt.

Da für alle ω ∈ Ω

• P (ω) > 0 (nach Annahme) und

• Q(ω) > 0 (wie gezeigt)

sind P und Q zwei sog. äquivalente Maÿe.

Also ist Q ein zu P ein äquivalentes Martingalmaÿ.

Damit: Der Markt ist genau dann arbitragefrei, wenn es ein äquivalentes MartingalmaÿgibtBewertung eines neu eingeführten Finanzinstrumentes mit vom Zufall abhängigen Auszah-lungen δ(T ) zum Zeitpunkt t = T durch

δ(0) = EQ(

δ(T )(1 + r)T

)mit einem äquivalenten Martingalmaÿ Q.

Problem: Der Preis δ(0) ist nur eindeutig, falls Q eindeutig.Denition 1.5 Der (oben denierte) Finanzmarkt heiÿt vollständig, falls es zu jedemFinanzinstrument δ(T ) (das ist eine auf Ω = ω1, . . . , ωN denierte reellwertige Zufalls-variable) ein aus den d + 1 Basisinstrumenten bestehendes Portolio ϕ ∈ Rd+1 gibt, dasδ(T ) repliziert, d.h. falls

∃ϕ∈Rd+1

∀ω∈ω1,...,ωN

d∑i=0

Si(T, ω)ϕi = δ(T, ω)

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oder kompakter falls

∃ϕ∈Rd+1

S′ϕ = δ(T) :=

δ(T, ω1)...

δ(T, ωN )

Ein Finanzmarkt ist also genau dann vollständig, wenn die (d+ 1) Vektoren

S0(T, ω1)...

S0(T, ωN )

, . . . ,

Sd(T, ω1)...

Sd(T, ωN )

den gesamten RN aufspannen.

Satz 1.7 Der (oben denierte) Finanzmarkt sei arbitragefrei. Dann ist dieser Markt genaudann vollständig, wenn es einen eindeutigen Zustandspreis-Vektor ψ gibt.

Eine Kombination der Sätze 1.6 und 1.7 ergibt:Ein Finanzmarkt ist genau dann vollständig und arbitragefrei, wenn es einen eindeutigenZustandspreis-Vektor gibt.

Probabilistische Interpretation unserer Ergebnisse:

• Ein Finanzmarkt ist genau dann arbitragefrei, wenn ein äquivalentes Martingalmaÿexistiert.

• Ein arbitragefreier Finanzmarkt ist genau dann vollständig, wenn genau ein äquiva-lentes Martingalmaÿ existiert.

Beispiel: Binäres Einperiodenmodell

d+ 1 = 2 BasisinstrumenteΩ = ω1, ω2 Raum der möglichen Zuständer = 0 Zinsrate

S(0) =(S0(0)S1(0)

)=(

1150

)

S0(T ) =(

11

), S1(T ) =

(18090

)

Also

S =(

1 1180 90

)Zustandspreis-Vektor ψ ∈ R2

+ : Sψ = S(0)(1 1

180 90

)ψ =

(1

150

)

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wird (in eindeutiger Weise) gelöst durch

ψ =(

2/31/3

)(=⇒ ψ0 = ψ1 + ψ2 = 1)

Also existiert (zu jedem nichtdegenerierten W-Maÿ P ) ein eindeutiges äquivalentes Mar-tingalmaÿ Q mit

Q(ω1) =ψ1

ψ0=

23

und Q(ω2) =ψ2

ψ0=

13

Der oben denierte Finanzmarkt ist vollständig, da zu jedem (neuen) Finanzinstrumentδ(T ) mit Zahlungen δ(T, ω1) und δ(T, ω2) ein replizierendes Portfolio ϕ ∈ R2 existiert, d.h.

S′ϕ = δ(T )

da die Spalten von S′ den Rd+1 = RN aufspannen.

Sei δ(T ) die im letzten Beispiel genannte europäische Call-Option

δ(T, ω) = (S(T, ω)−K)+ =

30 für ω = ω1

0 für ω = ω2

Dann wird (1 1801 90

)(ϕ0

ϕ1

)=(

300

)durch ϕ0 = −30 und ϕ1 = 1

3 (eindeutig) gelöst.

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2 Bedingte Erwartungen und Martingale

Eine gut lesbare Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie:J. Jacod and P. Protter. Probability Essentials. 2nd Ed. Springer 2004.

Eine klassische Einführung in die Martingal-Theorie:D. Williams. Probability with Martingales. Cambridge 1991.

Ein schönes Lehrbuch, das einen weiten Bogen von der Maÿtheorie bis zur StochastischenAnalysis schlägt:D. Meintrup, S. Schäer. Stochastik Theorie und Anwendungen. Springer 2005.

Etwas anspruchsvoller:J. Wengenroth. Wahrscheinlichkeitstheorie. De Gruyter 2008.A. Klenke. Wahrscheinlichkeitstheorie. 2. Auage, Springer 2008.Im Folgenden sei (Ω,F , P ) immer ein Wahrscheinlichkeitsraum.(Eingeführt durch Andrey Nikolaevich Kolmogorov (1903-1987), Grundbegrie der Wahr-scheinlichkeitsrechnung, 1933)

2.1 Bedingte Erwartungen

Denition. Seien P und Q zwei auf derselben σ-Algebra F denierte Maÿe. Q heiÿt P -stetig, falls

∀A∈F

P (A) = 0 =⇒ Q(A) = 0

In Zeichen: Q P

Satz von Radon-Nikodým. Seien P und Q zwei auf derselben σ-Algebra F denierteendliche Maÿe. Es gilt Q P genau dann, wenn es eine F-B-messbare nichtnegativeFunktion f gibt mit

∀A∈F

Q(A) =∫Af dP

Satz 2.1. Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B). σ-Algebra C ⊂ F . Dann existierteine ZV Z : (Ω,F , P ) → (R,B) mit folgenden Eigenschaften:

Z ist integrierbar und C-B-messbar (∗)

∀C∈C

∫CX dP =

∫CZ dP (∗∗)

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Z ist eindeutig bis auf die Äquivalenz = P |C-f.ü..

Denition 2.1. Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B). σ-Algebra C ⊂ F . Die Äquiva-lenzklasse (im eben denierten Sinne) der ZVn Z: (Ω,F , P ) → (R,B) mit (∗) und (∗∗) oder auch ein Repräsentant dieser Äquivalenzklasse heiÿt bedingte Erwartung von X beigegebenem C.In Zeichen: E(X | C)Häug wird ein Repräsentant dieser Äquivalenzklasse als eine Version von E(X | C) be-zeichnet.

E(X | C) ist eine Vergröberung von X.

Bemerkung 2.4. Geometrische Interpretation des bedingten Erwartungswertes: Es seiL2(Ω,F , P ) der Hilbertraum der Äquivalenzklassen quadratisch integrierbarer reeller Zu-fallsvariablen auf (Ω,F , P ) und C eine Teil-σ-Algebra von F .

• Es sei M der lineare Teilraum von L2(Ω,F , P ), dessen Elemente als RepräsentantenC-B-messbare Zufallsvariablen haben. Man kann zeigen, dass M abgeschlossen ist.

• Sei X ∈ L2(Ω,F , P ) mit Repräsentanten X und Y := E(X | C) mit zugehörigerÄquivalenzklasse Y . Man kann zeigen, dass Y die orthogonale Projektion von X aufM ist und das Proximum (bestapproximierendes Element im Sinne der L2(Ω,F , P )-Norm) in M zu X darstellt. Mit anderen Worten: Y := E(X | C) minimiert unterallen C-B-messbaren Zufallsvariablen den Ausdruck

E|X − Y |2

• Unter Verwendung eines Stutzungargumentes kann diese Denition auch auf die Klas-se der integrierbaren Zufallsvariablen fortgesetzt werden.

Beispiele

• C = F . . . E(X | C) = X f.s.

• C = ∅,Ω . . . E(X | C) = EX

• C = ∅, B,Bc,Ω mit 0 < P (B) < 1.

(E(X | C))(ω) =

1

P (B)

∫BX dP =: E(X | B), ω ∈ B

1P (Bc)

∫BcX dP, ω ∈ Bc

E(X | B) heiÿt bedingter Erwartungswert von X unter der Hypothese B

Satz 2.2. X,Xi integrierbar; σ-Algebra C ⊂ F ; c, α1,2 ∈ R.

a) ∀C∈C

∫CE(X | C)dP =

∫CX dP

b) X = c P-f.s. =⇒ E(X | C) = c f.s.

c) X ≥ 0 P-f.s. =⇒ E(X | C) ≥ 0 f.s.

d) E(α1X1 + α2X2 | C) = α1E(X1 | C) + α2E(X2 | C) f.s.

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e) X1 ≤ X2 P-f.s. =⇒ E(X1 | C) ≤ E(X2 | C) f.s.

f) X C-B-messbar =⇒ X = E(X | C) f.s.

g) X integrierbar, Y C-B-messbar, XY integrierbar =⇒ E(XY | C) = Y E(X | C) f.s.

g') X,X ′ integrierbar, XE(X ′ | C) integrierbar =⇒ E(XE(X ′ | C) | C) = E(X |C)E(X ′ | C) f.s.

h) σ-Algebra C1,2 mit C1 ⊂ C2 ⊂ F , X integrierbar

E(E(X | C1) | C2) = E(X | C1) f.s.

E(E(X | C2) | C1) = E(X | C1) f.s.

Hier f.s. im Sinne von P |C2-f.s. bzw. P |C1-f.s.Denition 2.2. σ-Algebra C ⊂ F . A ∈ F . P (A | C) := E(1A | C) heiÿt bedingte Wahr-scheinlichkeit von A bei gegebener σ-Algebra C.

Bemerkung 2.1. Zu Denition 2.2.

∀C∈C

∫CP (A | C) dP = P (A ∩ C).

Beispiel. C = ∅, B,Bc,Ω mit 0 < P (B) < 1.

(P (A | C))(ω) =

P (A ∩B)P (B)

=: P (A | B), ω ∈ B

P (A ∩Bc)P (Bc)

=: P (A | Bc), ω ∈ Bc .

Denition 2.3.

a) Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B). ZV Y : (Ω,F , P ) → (Ω′,F ′). E(X | Y ) :=E(X | Y −1(F ′)︸ ︷︷ ︸) [kleinste σ-Algebra in Ω, bzgl. der Y messbar ist . . .F(Y )(⊂

F)] . . . bedingte Erwartung von X bei gegebenem Y

b) Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B). ZVn Yi: (Ω,F , P ) → (Ω′i,F ′

i) (i ∈ I)C(⊂ F) sei die kleinste σ-Algebra in Ω, bzgl. der alle Yi messbar sind

[C = F( ∪i∈I

Y −1i (Fi)) . . .F(Yi, i ∈ I)]

E(X | (Yi)i∈I) := E(X | C) . . . bedingte Erwartung von X bei gegebenem Yi, i ∈ I

c) A ∈ F ; ZV Y : (Ω,F , P ) → (Ω′,F ′).

P (A | Y ) := E(1A | Y ) . . . bedingte Wahrscheinlichkeit von A bei gegebenem Y

Bemerkung 2.2. Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B).

a) σ-Algebra C in F(X−1(B), C) unabhängig =⇒ E(X | C) = EX f.s.

b) ZV Y : (Ω,F , P ) =⇒ (Ω′,F ′)

(X,Y ) unabhängig =⇒ E(X | Y ) = EX f.s.

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Satz 2.3. Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B). ZV Y : (Ω,F , P ) → (Ω′,F ′). Dannex. Abb. g: (Ω′,F ′) → (R,B) mit E(X | Y ) = g Y .g ist die sog. Faktorisierung der bedingten Erwartung.g ist eindeutig bis auf die Äquivalenz = PY -f.ü. .

Denition 2.4. Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B) bzw. A ∈ F . ZV Y : (Ω,F , P ) →(Ω′,F ′). Sei g bzw. gA eine bis auf Äquivalenz = PY - f.ü. eindeutig bestimmte Faktorisierung von E(X|Y ) bzw. von P (A|Y ).E(X | Y = y) := g(y) . . . bedingte Erwartung von X unter der Hypothese Y = yP (A | Y = y) := gA(y) . . . bed. Wahrscheinlichkeit von A unter der Hypoth. Y = yE(X | Y = ·) = gP (A | Y = ·) = gASatz 2.4. Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B) bzw. A ∈ A. ZV Y : (Ω,F , P ) → (Ω′,F ′)

a) ∀A′∈F ′

∫A′ E(X | Y = y) PY (dy) =

∫Y −1(A′)X dP ,

insbesondere∫Ω′ E(X | Y = y) PY (dy) = EX .

b) ∀A′∈F ′

∫A′ P (A | Y = y) PY (dy) = P (Y −1(A′) ∩A) ,

insbesondere∫Ω′ P (A | Y = y) PY (dy) = P (A) .

Beispiel. X bzw. A sowie Y wie zuvor. Sei y ∈ Ω′ mit y ∈ F ′ und PY (y) > 0.

a) E(X | Y = y)︸ ︷︷ ︸ = E(X | [Y = y])︸ ︷︷ ︸s. Def. 2.4. s. Beispiel nach Def. 2.1.

b) P (A | Y = y)︸ ︷︷ ︸ = P (A | [Y = y])︸ ︷︷ ︸s. Def. 2.4. s. Beispiel nach Def. 2.2.

Satz 2.5. Integrierbare ZV X: (Ω,F , P ) → (R,B).ZV Y : (Ω,F) → (Ω′,F ′).

a) X = c f.s. =⇒ E(X | Y = ·) = c PY -f.ü.

b) X ≥ 0 f.s. =⇒ E(X | Y = ·) ≥ 0 PY -f.ü.

c) E(αX1 + βX2 | Y = ·) = αE(X1 | Y = ·) + βE(X2 | Y = ·) PY -f.ü.

d) X1 ≤ X2 f.s. =⇒ E(X1 | Y = ·) ≤ E(X2 | Y = ·) PY -f.ü.

2.2 Martingale

Denition 2.6. Eine Folge (Xn)n∈N von integrierbaren ZVn Xn: (Ω,F , P ) → (R,B) heiÿtbei gegebener monoton wachsender Folge (Fn)n∈N von σ-Algebren Fn ⊂ F mit Fn-B-Messbarkeit von Xn [wichtiger Fall Fn = F(X1, . . . , Xn) (n ∈ N)]

a) ein Martingal bzgl. (Fn), wenn

∀n∈N

E(Xn+1 | Fn) = Xn f.s.

[d.h. ∀n∈N

∀C∈Fn

∫CXn+1 dP =

∫CXn dP ] ,

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Abbildung 1: P. Lévy und J.L. Doob

b) ein Submartingal bzgl. (Fn), wenn

∀n∈N

E(Xn+1 | Fn) ≥ Xn f.s., d.h. ∀n∈N

∀C∈Fn

∫CXn+1 dP ≥

∫CXn dP

c) ein Supermartingal bzgl. (Fn), wenn (−Xn) ein Submartingal bzgl. (Fn) ist.

Die in Denition 2.6 genannte Folge von aufsteigenden σ-Algebren wird auch als Filtrationbezeichnet (P.A. Meyer).

Bemerkung 2.3. Ein Martingal (Xn) bzgl. (Fn) ist auch ein Martingal bzgl. (F(X1,. . . , Xn)). Entsprechend für Sub-, Supermartingal.Die Herkunft der Bezeichnung Martingal (engl. martingale) ist nicht genau geklärt.

• Teil des Zaumzeuges, um die Kopfbewegung des Pferdes zu kontrollieren

• Eine Seil, um den Klüverbaum zu verspanen

• Ein Wettsystem, bei dem nach einem Verlust der Einsatz verdoppelt wird

Der Begri des Martingals im mathematischen Sinne wird J. Ville (1939) zugeschrieben.Paul Lévy (18861971) und Joseph Leo Doob (19112004) lieferten wichtige Beiträge zurMartingal-Theorie.Beispiele für Martingale:

1. Partialsummenfolge (∑n

i=1 Vi)n∈N zu einer unabhängigen Folge (Vn)n∈N von inte-grierbaren reellen ZVn mit Erwartungswerten 0.

2. Aktienpreise: Sn = S0ξ1 · · · ξn mit unabhängigen positiven Zufallsvariablen ξi mitEξi = 1.

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3. Sammeln von Information über eine Zufallsvariable (Williams 1991): Sei ξ eine Zu-fallsvariable mit endlichem erstem Moment und (Fn) eine Filtration in F . Dann wirddurch

Mn := E(ξ | Fn)

ein Martingal deniert. Mit den nachfolgend vorgestellten Martingalkonvergenzsätzenkann gezeigt werden, dass

Mn →M∞ := E(ξ | F∞) f.s. und in L1

wobei F∞ := σ(⋃∞n=1Fn) die sogenannte Doomsday-σ-Algebra.

Satz 2.6 (Martingalkonvergenzsatz von Doob) Ist X ein L1-beschränktes Sub- oderSupermartingal, d.h.

supnE(|Xn|) <∞,

so existiert eine Zufallsvariable X∞ mit

Xn → X∞ f.s. (n→∞)

Satz 2.7 (Konvergenzsatz für UI-Martingale) Für ein Martingal X sind äquivalent:

(i) Xn konvergiert in L1

(ii) X ist L1-beschränkt und der f.s.-Limes X∞ erfüllt

Xn = E(X∞ | Fn)

(iii) X ist gleichgradig integrierbar (uniformly integrable), d.h.

limK→∞

supnE(|Xn| · 1[|Xn|>K]) = 0

Denition 2.7. Eine auf einem gemeinsamen W-Raum denierte Familie von Zufallsva-riablen X = Xi | i ∈ I mit Indexmenge I heiÿt stochastischer Prozess. Im Folgendenwird häug I = 0, 1, . . . , T oder I = 0, 1, 2, . . . gewählt.

Denition 2.8. Der stochastische Prozess X = (Xn)∞n=0 heiÿt zur Filtration (Fn)∞n=0

adaptiert, falls∀n∈N

Xn ist Fn-messbar

Sei Xn − Xn−1 der zufällige Gewinn pro Einheit des Wetteinsatzes in Spiel n (n ∈ N) ineiner Serie von Spielen.Ist X = (Xn) ein Martingal, d.h.

E (Xn −Xn−1 | Fn−1) = 0,

so kann dieses Spiel als fair bezeichnet werden.Denition 2.9. Ein stochastischer Prozess C = (Cn)n∈N heiÿt vorhersagbar (predictable,previsible), falls

Cn ist Fn−1-messbar für alle n ∈ N

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(C0 existiert nicht).Ist Cn der Wetteinsatz in Spiel n, so ist die Entscheidung über die Höhe von Cn aussch-liesslich auf die bis zum Zeitpunkt n− 1 verfügbare Information gegründet.Gewinn zum Zeitpunkt n:

Cn(Xn −Xn−1)

Gewinn bis einschlieÿlich Zeitpunkt n:

Yn =n∑k=1

Ck(Xk −Xk−1) =: (C •X)n =:∫ n

0C dX

Sinnvoll: (C •X)0 := 0Klar:

Yn − Yn−1 = Cn(Xn −Xn−1)

Denition 2.10. Der durch C • X = ((C • X)n) denierte stochastische Prozess heiÿtMartingal-Transformation von X unter C (D.L. Burkholder).

Dies ist das diskrete Analogon zum später noch zu denierenden stochastischen Integral∫C dX.

Satz 2.8. Sei C ein beschränkter vorhersagbarer stochastischer Prozess, d.h. es gibt einereelle Zahl K mit |Cn(ω)| ≤ K für alle n und alle ω, und X ein Martingal. Dann ist C •Xein Martingal mit (C •X)0 = 0.

Satz 2.9. Eine zur Filtration F = (Fn)n∈N0 adaptierte Folge M = (Mn)n∈N0 von Zu-fallsvariablen ist genau dann ein Martingal, wenn für jede beschränkte vorhersagbare FolgeH = (Hn)n∈N0

∀n∈N

E

(n∑k=1

Hk ∆Mk

)= 0

StoppzeitenDenition 2.11 Eine Zufallsvariable T mit Werten in 0, 1, 2, . . . ,∞ heiÿt Stoppzeit,falls

∀n∈0,1,2,··· ,∞

[T ≤ n] := ω | T (ω) ≤ n ∈ Fn

oder äquivalent ∀

n∈0,1,2,··· ,∞[T = n] ∈ Fn

Eine Stoppzeit kann z.B. dazu verwendet werden zu entscheiden, ob ein Spiel zum Zeitpunktn abgebrochen oder fortgeführt wird. Hierbei wird nur die Information verwendet, die biseinschlieÿlich Zeitpunkt n vorliegen kann. Wird z.B. beim Verkauf einer Aktie Insiderwissenverwendet, ist die vorgenannte Eigenschaft verletzt.Satz 2.10 (Doob's Optional Sampling Theorem) Sei T eine Stoppzeit und X = (Xn)ein Supermartingal. Ist T oder X beschränkt, so ist XT integrierbar und

EXT ≤ EX0

Ist X ein Martingal, dann gilt sogar

EXT = EX0

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Proposition 2.1 Stoppen der Folge X = (Xn) zur (zufälligen) Zeit T : XT := (XTn ) :=

(Xn∧T ). Dann gilt:

• Ist (Xn) adaptiert und T eine Stoppzeit, so ist auch die gestoppte Folge (Xn∧T )adaptiert.

• Ist (Xn) ein (Super-) Martingal und T eine Stoppzeit, so ist auch die gestoppte Folge(Xn∧T ) ein (Super-)Martingal (Optional Stopping Theorem).

Ein faires Spiel bleibt fair, wenn es ohne Vorkenntnis über ein zukünftiges Ereignis gestopptwird.Beispiel: Einfache Irrfahrt (simple random walk) Sn :=

∑ni=1Xi mit unabhängigen Zu-

fallsvariablen Xi, wobei Xi = 1 mit W. p = 1/2 und Xi = −1 mit W. p = 1/2. SeiT := infn | Sn = 1, d.h., wir hören auf zu spielen, sobald wir eine Geldeinheit gewonnenhaben.Man kann zeigen, dass P (T <∞) = 1.Beachte: S = (Sn) ist ein Martingal und T eine StoppzeitMit obiger Proposition: E(ST∧n) = E(S0) = 0 für jedes n.Jedoch: 1 = E(ST ) 6= E(S0) = 0Also kann auf die Beschränktheitsbedingungen in Satz 2.10 nicht gänzlich verzichtet wer-den!Man kann zeigen, dass weder T noch der Verlust vor dem ersten Netto-Gewinn beschränktsind. Dieses Spiel kann in der Praxis also nicht realisiert werden!

Die Snell-EinhüllendeDenition 2.12 Ist X = (Xn)Nn=0 eine (endliche) Folge von zur Filtration (Fn) adaptier-ten Zufallsvariablen, so heiÿt die durch

ZN := XN

Zn := maxXn, E(Zn+1 | Fn) (n ≤ N)

denierte Folge Z = (Zn)Nn=0 die Snell-Einhüllende von X.

Satz 2.11 Die Snell-Einhüllende (Zn) von (Xn) ist das kleinste Supermartingal, welchesdie Folge (Xn) dominiert (d.h. Zn ≥ Xn für alle n).

Proposition 2.2 T0 := infn ≥ 0 | Zn = Xn ist eine Stoppzeit und die gestoppte Folge(ZT0

n ) ist ein Martingal.Satz 2.12 Sei Tn,N eine Familie von Stoppzeiten mit Werten in n, . . . , N. Dann löst dieStoppzeit T0 das optimale Stoppproblem für X:

Z0 = E(XT0 | F0) = supE(XT | F0) | T ∈ T0,N

Sind die Werte vonX bis zum Zeitpunkt n bereits bekannt, löst Tn := infj ≥ n | Zj = Xjdas optimale Stoppproblem für X:

Zn = E(XTn | Fn) = supE(XT | Fn) | T ∈ Tn,N

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Bei der Bewertung von amerikanischen Optionen soll zu dem Zeitpunkt die Option ausge-übt werden, zu dem die erwartete Auszahlung maximal ist. Die beiden letzten Aussagenzeigen, dass T0 bzw. Tn die hierfür optimalen Zeitpunkte liefern bei Verwendung der biszu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Information (ohne Vorgri auf zukünftigeEreignisse).Der folgende Satz zeigt, dass die oben denierte Stoppzeit T0 die kleinste optimale Stoppzeitfür (Xt) ist.

Satz 2.13 Eine Stoppzeit T ist genau dann optimal für die Folge (Xt), falls die beidenfolgenden Bedingungen gelten:

(i) XT = ZT

(ii) ZT ist ein Martingal

Satz 2.14 (Doobsche Zerlegung von Submartingalen) Sei (Xn)n∈N ein Submartingal be-züglich einer Folge (Fn)n∈N von wachsenden σ-Algebren. Dann existieren ein Martingal(Mn)n∈N und ein wachsender vorhersagbarer Prozess (An)n∈N (d.h. An+1 ≥ An f.s., An+1

Fn-messbar) so, dass

Xn = X0 +Mn +An, wobei M0 = A0 = 0,

für alle n ∈ N. Diese Zerlegung ist f.s. eindeutig.

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3 Finanzmärkte in diskreter Zeit

Wir betrachten folgenden Finanzmarkt M:

• (Ω,F , P ) W-Raum mit |Ω| <∞

• F0 ⊆ F1 ⊆ . . . ⊆ FT ⊆ F aufsteigende Folge F von in F enthaltenen σ-Algebren

• F0 = ∅,Ω, FT = F = P(Ω)

• ∀ω∈Ω

P (ω) > 0

• d+1 Finanzgüter mit Preisen S0(t), S1(t), . . . , Sd(t) zum Zeitpunkt t ∈ 0, 1, . . . , T,welche Ft-messbare Zufallsvariable seien

Dann ist

S(t) =

S0(t)...

Sd(t)

ein Ft-messbarer Zufallsvektor mit mit Werten in Rd+1

Denition 3.1. Ein Numéraire ist ein Preisprozess (Xt)t∈0,1,...,T (also ein stochastischerProzess), welcher strikt positiv ist für alle t ∈ 0, 1, . . . , T.

Das mit i = 0 indizierte Finanzinstrument wird als Numéraire verwendet und ist meisteine risikolose Kapitalanlage mit

S0(0) = 1

Ist r der während einer Zeitperiode (t→ t+ 1) gewährte Zins, so gilt

S0(t) = (1 + r)t

Damit denieren wir den Diskont-Faktor β(t) := 1/S0(t)Denition 3.2 Eine Handelsstrategie (oder dynamisches Portfolio) ist ein vorhersagbarerRd+1-wertiger stochastischer Prozess

ϕ =

ϕ0(t)ϕ1(t)...

ϕd(t)

t∈1,...,T

d.h. eine Folge von T Zufallsvektoren mit Werten in Rd+1.

ϕi(t) ist die Anzahl von Anteilen des Finanzgutes i, basierend auf den Informationen zumZeitpunkt t − 1. Die Adjustierung des Portfolios fand also kurz nach Bekanntgabe derPreise S0(t− 1), . . . , Sd(t− 1) statt.Denition 3.3. Der Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t ist gegeben durch Vϕ(0) =〈ϕ(1), S(0)〉 und

Vϕ(t) := 〈ϕ(t), S(t)〉 =d∑i=0

ϕi(t)Si(t), t ∈ 1, . . . , T

Der dadurch denierte stochastische Prozess Vϕ heiÿt Wertprozess der Handelsstrategie ϕ.

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Vϕ(0) ist das Anfangskapital des Investors.

Denition 3.4. Der Zuwachsprozess Gϕ der Handelsstrategie ϕ ist gegeben durch

Gϕ(t) :=t∑

τ=1

〈ϕ(τ), S(τ)− S(τ − 1)〉 =t∑

τ=1

〈ϕ(τ),∆S(τ)〉

für t ∈ 1, . . . , T.Sei S(t) = (1, β(t)S1(t), . . . , β(t)Sd(t))′ der auf den Zeitpunkt t = 0 abdiskontierte Preis-vektor.Ähnlich: Abdiskontierter Wertprozess

Vϕ(t) = βt〈ϕ(t), S(t)〉 = 〈ϕ(t), S(t)〉

für t ∈ 1, . . . , T.Abdiskontierter Zuwachsprozess

Gϕ(t) =t∑

τ=1

〈ϕ(τ),∆S(τ)〉

für t ∈ 1, . . . , T.Denition 3.5 Eine Handelsstrategie ϕ heiÿt selbstnanzierend, falls

∀t∈1,...,T−1

〈ϕ(t), S(t)〉 = 〈ϕ(t+ 1), S(t)〉

Interpretation: zum Handelszeitpunkt t werden die neuen Preise S(t) bekannt. Das Portfo-lio hat dann den Wert 〈ϕ(t), S(t)〉. Aufgrund der Kenntnis der neuen Preise S(t) schichtetder Investor sein Portfolio mit Anteilen ϕ(t) zu einem Portfolio mit ϕ(t+ 1) Anteilen um ohne jedoch Kapital abzuziehen oder einzubringen.Behauptung 3.1. Sei X(t) ein Numéraire. Eine Handelsstrategie ϕ ist genau dann selbst-nanzierend bzgl. S(t), falls ϕ selbstnanzierend bzgl. S(t)/X(t) ist.

Also ist eine Handelsstrategie ϕ genau dann selbstnanzierend bzgl. S(t), falls ϕ selbst-nanzierend bzgl. S(t) ist.

Behauptung 3.2. Eine Handelsstrategie ϕ ist genau dann selbstnanzierend, wenn

∀t∈0,1,...,T

Vϕ(t) = Vϕ(0) + Gϕ(t)

Die nächste Behauptung zeigt, dass der Wert des Portfolios vollständig durch das An-fangsvermögen und die Handelsstrategie (ϕ1(t), . . . , ϕd(t))t∈1,...,T bestimmt ist vor-ausgesetzt der Investor folgt einer selbstnanzierenden Strategie.

Behauptung 3.3. Für jeden vorhersagbaren Prozess (ϕ1(t), . . . , ϕd(t))t∈1,...,T und jedesF0-messbare V0 existiert genau ein vorhersagbarer Prozess (ϕ0(t))t∈1,...,T, so dass dieHandelsstrategie

ϕ =

ϕ0(t)ϕ1(t)...

ϕd(t)

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selbstnanzierend und V0 = Vϕ(0) der Anfangswert des Portfolios ist.Denition 3.6. Eine selbstnanzierende Strategie ϕ heiÿt Arbitrage-Strategie, falls

Vϕ(0) = 0 mit Wahrscheinlichkeit 1Vϕ(T ) ≥ 0 mit Wahrscheinlichkeit 1Vϕ(T ) > 0 mit Wahrscheinlichkeit > 0

Der (oben denierte) Finanzmarkt M heiÿt arbitragefrei, falls es keine Arbitrage-Strategiein der Klasse aller Handelsstrategien gibt.

Denition 3.7. Ein zu P äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaÿ P ∗ auf (Ω,FT ) heiÿt einMartingalmaÿ für den stochastischen Prozess S , falls S ein P ∗-Martingal bezüglich derFiltration F = (Ft)t∈0,1,...,T ist.

P(S) bezeichne die Klasse aller äquivalenten Martingalmaÿe (für S).Behauptung 3.4. Sei P ∗ ein äquivalentes Martingalmaÿ und ϕ eine selbstnanzierendeHandelstrategie. Dann ist der Wertprozess Vϕ(t) ein P ∗-Martingal bezüglich der FiltrationF.

Behauptung 3.5. Existiert ein äquivalentes Martingalmaÿ, dann ist der Markt M arbi-tragefrei.

Setze

X+ := X : Ω → R+0 | X ist eine Zufallsvariable

Γ := X ∈ X+ | ∀ω∈Ω

X(ω) ≥ 0 und ∃ω∈Ω

X(ω) > 0

Γ ist ein Kegel.Ist M ein arbitragefreier Markt, so gilt für jede selbstnanzierende Strategie ϕ

Vϕ(0) = 0 =⇒ Vϕ(T ) 6∈ Γ

Mit Behauptung 3.2 folgt: Gϕ(T ) 6∈ Γ

Das nächste Lemma zeigt, dass Gϕ(T ) 6∈ Γ immer noch gilt, falls ϕ∗ = (ϕ1, . . . , ϕd) einvorhersagbarer Prozess ist und ϕ0 so gewählt wird, dass die Strategie ϕ = (ϕ0, . . . , ϕd) dasStartkapital V0 = 0 besitzt und selbstnanzierend ist.

Lemma 3.1. In einem arbitragefreien Markt erfüllt jeder vorhersagbare Prozess ϕ∗ =(ϕ1, . . . , ϕd) die Relation

Gϕ∗(T ) 6∈ Γ

Behauptung 3.6. Ist der Markt M arbitragefrei, dann existiert ein zu P äquivalentesMartingalmaÿ P ∗.

Eine Kombination der Behauptungen 3.5 und 3.6 liefert

Satz 3.1 (No-Arbitrage-Satz). Der Finanzmarkt M ist genau dann arbitragefrei, wennes ein zu P äquivalentes Martingalmaÿ P ∗ gibt, unter dem der diskontierte Preisprozess Sein P ∗-Martingal ist.

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3.1 Risikoneutrale Bewerung von Finanzderivaten

Denition 3.8. Ein Finanzderivat mit Verfallszeitpunkt T ist eine nichtnegative FT -messbare Zufallsvariable X. Das Derivat heiÿt erreichbar (attainable), falls es eine dasDerivat replizierende Handelsstrategie ϕ gibt, die selbstnanzierend ist und für die gilt,dass

Vϕ(T ) = X

Zwei Handelsstrategieen werden als äquivalent angesehen, wenn sie denselben Wertprozessbesitzen.

X ist meist eine Funktion des Preisprozesses S: X = f(S)

Beispiel: X := (ST − K)+ für eine europäische Call-Option mit Ausübungspreis K undAusübungszeitpunkt T

Behauptung 3.7. Ist M ein arbitragefreier Finanzmarkt, dann ist jedes erreichbare Fi-nanzderivat X eindeutig in M replizierbar.Grundidee der Arbitrage-Bewertung von Derivaten: Da der Wert eines erreichbaren De-rivates X zu einem Zeitpunkt t ≤ T eindeutig sein sollte (sonst existiert eine Arbitra-gemöglichkeit), muss der Preis des Derivates zum Zeitpunkt t ≤ T mit dem Wert Vϕ(t)des Portfolios zur replizierenden Handelsstrategie ϕ zum Zeitpunkt t übereinstimmen.

Deshalb ist folgende Denition sinnvoll:

Denition 3.9. Der Finanzmarkt M sei arbitragefrei und X ein erreichbares Derivat mitVerfallszeitpunkt T . Dann ist der Arbitragepreisprozess (πX(t))t∈0,...,T gegeben durch denWertprozess der X replizierenden Strategie ϕ.Da die Arbitrage-Bewertungsmethode oensichtlich unabhängig vom zugrundeliegendenMaÿ P ist also unabhängig vom Modell, das sich ein Investor vom weiteren Kursver-lauf macht sollte ein Investor, welcher statt dem Maÿ P das risikoneutrale Maÿ P ∗

zugrundelegt, das Derivat mit demselben Preis bewerten.

Behauptung 3.8. Der Finanzmarkt M sei arbitragefrei. Dann ist der Arbitragepreispro-zess (πX(t))t∈0,...,T jedes erreichbaren Finanzderivats X durch die Formel der risikoneu-tralen Bewertung

∀t∈0,...,T

πX(t) = β(t)−1E∗(β(T )X | Ft)

gegeben, wobei E∗ die Erwartung bezüglich eines (zu P ) äquivalenten Martingalmaÿes P ∗

(für den auf den Zeitpunkt t = 0 abgezinsten Preisprozess) darstellt.

Frage: Unter welchen Bedingungen ist jedes Finanzderivat erreichbar, also mittels einerHandelsstrategie replizierbar?

3.2 Vollständige Märkte

Denition 3.10. Der Finanzmarkt M heiÿt vollständig, wenn jedes Derivat erreichbarist, also für jede nichtnegative FT -messbare Zufallsvariable X ∈ X+ eine replizierendeselbstnanzierende Handelsstrategie ϕ mit Vϕ(T ) = X existiert.

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Satz 3.2 (Vollständigkeitssatz). Ein arbitragefreier Finanzmarkt M ist genau dannvollständig, wenn es genau ein zu P äquivalentes Martingalmaÿ gibt (unter welchem derabgezinste Preisprozess S ein Martingal ist).Die Kombination des No-Arbitrage- und des Vollständigkeitssatzes (Sätze 3.1 und 3.2)ergibt den Fundamentalsatz der Preistheorie für Derivate:

In einem arbitragefreien vollständigen Finanzmarkt M existiert genau ein äquivalentesMartingalmaÿ P ∗.

Ferner mit Behauptung 3.8:In einem arbitragefreien vollständigen Finanzmarkt M ergibt sich der arbitragefreie PreisπX(t) eines Derivates X als (bedingter) Erwartungswert des Derivates unter dem risiko-neutralen (d.h. äquivalenten Martingal-) Maÿ P ∗:

∀t∈0,...,T

πX(t) = β(t)−1E∗(β(T )X | Ft)

3.3 Das Cox-Ross-Rubinstein-Modell

Wir betrachten folgenden Finanzmarkt M mit T Handelsperioden:

• risikolose Anlage B (Bond) mit

B(t) = (1 + r)t, t ∈ 0, . . . , T

• risikobehaftete Anlage S (z.B. Aktie) mit

S(t+ 1) =

uS(t) mit W p,

dS(t) mit W 1− p,t ∈ 0, . . . , T

wobei 0 < d < u und S0 ≥ 0

• Die Veränderung S(t+1)S(t) ∈ u, d ist unabhängig von S(0), . . . , S(t) für alle t ∈

0, . . . , T

S(0)

T=0 T=1 T=2

p

p

p

1−p

1−p

1−p

S(2)=uuS(0)

S(2)=udS(0)

S(2)=ddS(0)

S(1)=dS(0)

S(1)=uS(0)

Die ersten beiden Handelsperioden eines BinomialmodellsExplizite Konstruktion eines geeigneten Wahrscheinlichkeitsraumes (Ω, P,F) und einer Fil-tration F:

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• Ω :=T×t=1

Ωt wobei Ωt := Ω := u, d, also Ω = u, dT

• F := P(Ω)

• P :=T⊗t=1

Pt wobei Pt := P mit P (u) := p und P (d) := 1− p, also

P (ω) =T∏t=1

Pt(ωi)

mit ω = (ω1, . . . , ωT ) und ωt ∈ u, d

• F = (Ft)t∈0,...,T mit

F0 := ∅,ΩFt := σ(S(1), . . . , S(t)), t ∈ 1, . . . , T − 1FT := F = P(Ω)

Bemerkung. Sei Z(t+1) := S(t+1)S(t) die relative Preisänderung der risikobehafteten Anlage

vom Zeitpunkt t zum Zeitpunkt t+ 1 (t ∈ 0, . . . , T − 1).Dann folgt aus den Modellannahmen:

• S(t) = S(0)t∏

τ=1Z(τ), t ∈ 1, . . . , T − 1

• Z(1), . . . , Z(T ) sind unabhängige Zufallsvariablen

Denition 3.11. Der oben denierte Finanzmarkt M heiÿt Cox-Ross-Rubinstein-Modell(CRR-Modell).

Behauptung 3.9. Im CRR-Modell existiert genau dann ein äquivalentes MartingalmaÿQ, wenn

0 < d < 1 + r < u

Existiert ein äquivalentes Martingalmaÿ Q, so ist dieses eindeutig und durch

q =1 + r − d

u− d

festgelegt, es gilt also

Q =T⊗t=1

Qt

mitQt(u) = q und Qt(d) = 1− q

Aufgrund von Behauptung 3.9 gehen wir bei CRR-Modellen im Folgenden immer davonaus, dass 0 < d < 1 + r < u gilt.

Behauptung 3.10. Das CRR-Modell ist arbitragefrei.

Behauptung 3.11. Das CRR-Modell ist vollständig.

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Behauptung 3.12. Ein Mehrperioden-Marktmodell ist genau dann vollständig, wenn je-des darin enthaltene Einperioden-Modell vollständig ist.Behauptung 3.13. Im CRR-Modell ist der Arbitragepreis eines Derivates X durch

∀t∈0,...,T

πX(t) = B(t) E∗(X/B(T ) | Ft)

gegeben, wobei E∗ die Erwartung bezüglich des eindeutigen (zu P ) äquivalenten Martin-galmaÿes P ∗ (für den auf den Zeitpunkt t = 0 abgezinsten Preisprozess) darstellt, welchesdurch

p∗ =1 + r − d

u− d

über

P ∗ =T⊗t=1

Qt

mitQt(u) = p∗ und Qt(d) = 1− p∗

festgelegt ist.Behauptung 3.14. Der Arbeitragepreis einer europäischen Call-Option mit VerfallsdatumT und Ausübungspreis K, basierend auf einer Aktie S, ist im CRR-Modell gegeben durch

∀t∈0,...,T

C(t) = (1 + r)−(T−t)T−t∑j=0

(T − t

j

)p∗j(1− p∗)T−t−j(S(t)ujdT−t−j −K)+

Behauptung 3.15. Im CRR-Modell ist die eine europäischen Call-Option mit Verfalls-datum T und Ausübungspreis K replizierende Handelsstrategie ϕ = (ϕ0(t), ϕ1(t))′t∈1,...,Tgegeben durch

ϕ1(t) =C(t, St−1u)− C(t, St−1d)

St−1(u− d)

ϕ0(t) =uC(t, St−1d)− dC(t, St−1u)

(1 + r)t(u− d)

3.4 Binomialapproximation

Modellierung von Preisprozessen in stetiger Zeit mittels

• eines stochastischen Prozesses in stetiger Zeit

• einer Approximation mit einer Folge stochastischer Prozessen in diskreter Zeit

Jetzt: Approximation der Preisprozesse in stetiger Zeit t ∈ [0, T ] mittels einer Folge vonCRR-Modellen in diskreter Zeit mit kn Handelszeitpunkten, wobei (kn) eine wachsendeFolge aus N seiTeile [0, T ] in kn Teilintervalle der Länge ∆n = T

knHandel nur in den Zeitpunkten: tn,j = j∆n, j ∈ 0, . . . , knModellierung des Bonds:

Sei rn der risikolose Zins Preisentwicklung des Bonds:

B(tn,j) = (1 + rn)j , j ∈ 0, . . . , kn

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Im zeitstetigen Modell: B(t) = ert mit stetiger Zinsrate r > 0 Falls für rn gilt

1 + rn = er∆n

folgt(1 + rn)j = erj∆n = ertn,j

Modellierung der risikobehafteten Anlage:

Sei Zn,i = S(tn,i+1)S(tn,i)

∈ un, dn die relative Veränderung in der Handelsperiode i → i + 1(i ∈ 0, . . . , kn − 1) mit

P (Zn,i = un) =: pn = 1− P (Zn,i = dn)

mit einem noch zu bestimmenden pn ∈ (0, 1)Aktienpreisprozess im n-ten CRR-Modell (mit kn Handelsperioden)

Sn(tn,j) = Sn(0)j∏i=1

Zn,i , j ∈ 1, . . . , kn

Annahme: Für jedes feste n gilt: Zn,1, . . . , Zn,kn unabhängige ZV'nNach Behauptung 3.9 ist das n-te CRR-Modell genau dann arbitragefrei, wenn

dn < 1 + rn < un

Dieses ist in eindeutiger Weise charakterisiert durch

p∗n =1 + rn − dnun − dn

Damit ist das n-te CRR-Modell bis auf die Parameter un und dn festgelegt.Wir wählen

un = eσ√

∆n und dn = e−σ√

∆n

Das risikoneutrale Maÿ für das n-te CRR-Modell ist dann gegeben durch

p∗n =1 + rn − dnun − dn

=er∆n − e−σ

√∆n

eσ√

∆n − e−σ√

∆n

Mögliche Preise der Aktie S zum Zeitpunkt T :

S(0)ujndkn−jn , j ∈ 0, . . . , kn

Mit Behauptung 3.13 folgt der Arbitragepreis Cn(0) des europäischen Calls auf die AktieS mit Strike K und Expiry T im n-ten CRR-Modell:

C(0) = (1 + rn)−knE∗(S(T )−K)+

= (1 + rn)−knkn∑j=0

(knj

)p∗jn (1− p∗n)

kn−j(S(0)ujnd

kn−jn −K

)+

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Mit an = minj ∈ N0 | S(0)ujndkn−jn > K folgt

Cn(0) = (1 + rn)−knkn∑j=an

(knj

)p∗jn (1− p∗n)

kn−j(S(0)ujnd

kn−jn −K

)

= S(0)

kn∑j=an

(knj

)(p∗nun1 + rn

)j ((1− p∗n)dn1 + rn

)kn−j− (1 + rn)−knK

kn∑j=an

(knj

)p∗jn (1− p∗n)

kn−j

= Sn(0)

1−Bin

(p∗nun1 + rn

, kn

)(an − 1)

−K(1− rn)−kn 1−Bin (p∗n, kn) (an − 1)

Bemerkung: 0 < p∗nun1+rn

< 1Satz 3.3 (Black-Scholes-Formel für den Preis einer europäischen Call-Option).

Mit obiger Notation gilt:

C(0) := limn→∞

Cn(0) = S(0)Φ(d1(S(0), T )−Ke−rTΦ(d2(S(0), T ))

wobei

d1(s, t) =log(s/K) + (r + σ2

2 )tσ√t

d2(s, t) = d1(s, t)− σ√t =

log(s/K) + (r − σ2

2 )tσ√t

und Φ die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung bezeichne.

Der Preis für die europäische Put-Option ergibt sich sofort über die Put-Call-Parität.Dieses Resultat wurde 1997 mit dem Nobelpreis für Ökonomie gewürdigt.Bemerkung: Sei t ∈ [0, T ] mit t/T rational, also gibt es a, b ∈ N0 mit t = a

bTWähle jn := na, kn := nb und ∆n = T

knDann gilt t = tn,jn = jn∆n

Wir betrachten den Preisprozess Sn im n-ten CRR-Modell

Sn(tn,j) = Sn(0)j∏i=1

Zn,i , j ∈ 0, . . . , kn

Also gilt speziell

Sn(t) = Sn(tn,jn) = Sn(0)jn∏i=1

Zn,i

Mit Methoden wie im Beweis zu Satz 3.3 kann gezeigt werden:

Sn(t)D→ S(t) := S(0) · exp(tr) · exp

(tσ2

(Z − 1

2

))(n→∞)

mit einer N(0, 1)-verteilten Zufallsvariablen ZDer stochastische Prozess S = (St)t∈T (Q∩[0,1]) kann zu einem stochastischen Prozess instetiger Zeit t ∈ [0, T ] fortgesetzt werden.Dieser Prozess ist dann eine sogenannte geometrische Brownsche Bewegung mit Drift rSt ist lognormalverteilt mit Erwartungswert t(r − σ2/2) und Varianz tσ2 von log(St/S0)

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Schätzung der Volatilitätunter Verwendung

• der historischen Werte des Aktienkurses S

• der an der Börse notierten Preise ähnlicher Optionen

Schätzung der Volatilität aus historischen Aktienkursen

kurse <- read.csv("table.csv")

attach(kurse)

## Aktienpreisprozess

plot(Close)

lines(Close)

## log-Returns

n <- length(Close)

R <- log(Close[2:n]/Close[1:(n-1)])

plot(R)

lines(R)

## Schätzung der Volatilität

sqrt(var(R)*n)

q()

Dann: Berechnung des Preises eines europäischen Calls über einen Optionspreisrechner,z.B. http://www.numa.com/derivs/ref/calculat/option/calc-opa.htm von Numa Fi-nancial Systems

3.5 Bewertung amerikanischer Optionen

Bewertung amerikanischer OptionenBetrachte ein allgemeines Mehrperioden-Marktmodell. Der Besitzer einer amerikanischenOption kann diese zu jedem Zeitpunkt t ∈ 0, 1, . . . , T ausüben und erhält die Geldsummef(St) oder allgemeiner ft.Gesucht: Selbstnanzierende Handelsstrategie ϕ, so dass für den dazugehörigen Wertpro-zess Vϕ gilt:

Vϕ(0) = x (Startkapital)Vϕ(t) ≥ ft ∀t ∈ 0, 1, . . . , T

Ein solches Portfolio heiÿt minimal, falls es eine Stoppzeit τ : Ω → 0, 1, . . . , T gibt mit

Vϕ(τ) = fτ

Problem: Existenz und (gegebenenfalls) Konstruktion einer solchen StoppzeitAnnahme: Das Marktmodell (Ω,F ,F, P ) ist vollständig und P ∗ ist das eindeutige zu Päquivalente Martingalmaÿ.Dann gilt für jede Hedging-Strategie ϕ, dass

Mt = Vϕ(t) = β(t)Vϕ(t)

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ein P ∗-Martingal ist.Also folgt mit Satz 2.10, dass für jede Stoppzeit τ ∈ T0,T

M0 = Vϕ(0) = E∗(Vϕ(τ))

Da aus den Annahmen über ϕ folgt, dass Vϕ(τ) ≥ f τ für jede Stoppzeit gelten muss,erhalten wir für das Startkapital

x ≥ supτ∈T0,T

E∗(β(τ)fτ )

Sei jetzt τ∗ eine Stoppzeit mit Vϕ(τ∗) = fτ∗ . Dann ist die Handelsstrategie ϕ minimal undes gilt

x = E∗(β(τ∗)fτ∗) = supτ∈T0,T

E∗(β(τ)fτ )

Diese Relation (erstes Gleichheitszeichen) ist also eine notwendige Bedingung für die Exis-tenz einer minimalen Handelsstrategie.Wir werden zeigen, dass dies zugleich auch eine hinreichende Bedingung darstellt.Der Preis x heiÿt rationaler Preis einer amerikanischen Option.Berechnung des Optionspreises

Zum Zeitpunkt T ist der Wert ZT der Option gleich dem Pay-O der Option:

ZT := fT

Zum Zeitpunkt T−1 kann der Besitzer der Option diese entweder ausüben und den Geldbe-trag fT−1 einstreichen oder die Option bis zum Verfallsdatum behalten, wobei im letzterenFalle der Betrag

β−1T−1E

∗(βT fT | FT−1)

abgesichert werden muss. Also hat die Option zum Zeitpunkt T den Wert

ZT−1 := maxfT−1, β−1T−1E

∗(βT fT | FT−1)

Mittels Rückwärtsinduktion zeigt man, dass zum Zeitpunkt t ∈ 1, . . . , T der folgendeWert abgesichert werden muss:

Zt−1 = maxft−1, β−1t−1E

∗(βtZt | Ft−1)

oder mit ft := βtft diskontiert auf den Zeitpunkt t=0:

Zt−1 = maxft−1, E∗(Zt | Ft−1)

Also ist (Zt)t∈0,...,T die Snell-Einhüllende von (ft)t∈0,...,TNach Satz 2.12 gilt, dass

Zt = supτ∈Tt,T

E∗(fτ | Ft)

und die Stoppzeit τ∗t := mins ≥ t : Zs = fs optimal ist und dass

Zt = E∗(fτ∗t | Ft)

Speziell kann im Fall t = 0 die Stoppzeit τ∗0 := mins ≥ 0 : Zs = fs verwendet werdenund

x = Z0 = E∗(fτ∗0 ) = supτ0∈T0,T

E∗(fτ0)

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ist der rationale Preis der amerikanischen Option.Konstruktion des Hedging-Portfolios

Da Z ein Supermartingal ist, existieren nach dem Zerlegungssatz 2.14 von Doob ein Mar-tingal M und ein wachsender vorhersagbarer Prozess A mit

Z = M − A

Setze Mt := Mt/βt und At := At/βt. Da der zugrundeliegende Finanzmarkt vollständigist, existiert eine selbstnanzierende Handelsstrategie ϕ mit

Mt = Vϕ(t)

(Betrachte den Positiv- und den Negativteil von MT jeweils als ein Derivat.)Dann

Zt := Zt/βt = Vϕ(t)−At

Damit ist der Zeichner der Option in der Lage, sich perfekt zu hedgen: Durch den Verkaufder Option zum Preis von Z0 = Vϕ(0) kann er unter Verwendung der Handelsstrategie ϕzu jedem Zeitpunkt t ein Kapital Vϕ(t) erwirtschaften, welches gröÿer oder gleich Zt ist,und damit auch gröÿer oder gleich dem zum Zeitpunkt t eventuell fälligen Pay-O ft.Aus Sicht des Käufers der Option ist die Ermittlung des optimalen Ausübungszeit-

punktes von elementarem Interesse:Der Ausübungszeitpunkt ist aus der Menge der Stoppzeiten auszuwählen.Es ist nicht sinnvoll, die Option zu einem Zeitpunkt t mit Zt > ft auszuüben, da durch denVerkauf der Option ihr Wert Zt erlöst werden kann, wohingegen die Ausübung der Optionnur ft erbringt.Für einen optimalen Ausübungspunkt τ gilt also

Zτ = fτ

Andererseits ist es auch nicht sinnvoll, die Option nach dem Zeitpunkt

τmax := inft : At+1 6= 0 (= inft : At+1 6= 0)

auszuüben, da ein Verkauf der Option zum Zeitpunkt τmax und Anlage des Erlöses gemäÿder Handelsstrategie ϕ ein für alle nachfolgenden Zeitpunkte τmax+1, τmax+2, . . . , T striktgröÿeres Kapital Vϕ einbringt als der Verkauf der Option zu ihrem Wert Z.Dann gilt für alle Stoppzeiten τ mit τ ≤ τmax, dass

(Zτt )t = (Zτ∧t)t

ein Martingal bzgl. P ∗ ist.Damit sind nach Satz 2.13 optimale Ausübungszeiten auch optimale Stoppzeiten für dieFolge (ft)t∈0,1,...,T.Daraus folgt: Verwendet der Zeichner der Option die oben konstruierte Handelsstrategieϕ zum Hedgen und übt der Käufer der Option diese zu einer nicht optimalen Stoppzeit τaus, so gilt Zτ > fτ oder Aτ > 0. In beiden Fällen macht der Zeichner der Option einenrisikolosen Gewinn Vϕ(τ)− fτ = Zτ +Aτ − fτ > 0.Bewertung eines amerikanischen Puts im CRR-Modell

Teile das Zeitintervall [0, T ] in N Teilintervalle der Länge ∆Risikofreie Zinsrate im Intervall ∆ sei ρDie zugehörige stetige Zinsrate berechnet sich aus:

1 + ρ = er∆

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Wähle u und d gemäÿu = eσ

√∆ und d = e−σ

√∆

Das risikoneutrale W-Maÿ für die dazugehörigen Einperioden-Modelle berechnet sich aus

p∗ =1 + r − d

u− d=

er∆ − e−σ√

eσ√

∆ − e−σ√

Die Aktie mit Startwert S(0) ist nach i Schritten aufwärts und j Schritten abwärts S(0)uidj

Einheiten wert.Es gibt dann N + 1 mögliche Preise und 2N mögliche Pfade durch das Baumdiagramm.Aus rechen- und nanztechnischen Gründen wird N häug in der Gröÿenordnung von 30gewählt.Wie in der dynamischen Optimierung (Richard Bellman), wird eine Rückwärtsrekursiongewählt, um sowohl die Preise als auch die optimale Ausübungsstrategie zu ermitteln:

1. Zeichne das Baumdiagramm, beginnend mit dem Startwert (Zeitpunkt 0) und denN + 1 Endwerten (Zeitpunkt N) (wie in der Einführung zu den CRR-Modellen).

2. Trage am Knoten (i, j), der nach i Aufwärts- und j Abwärtsbewegungen erreichtwird, den Preis S(0)uidj = S(0)ui−j ein.

3. Trage an den Endknoten unter die Endpreise die Pay-Os

fAi,j = maxK − S(0)uidj , 0

ein.

4. Angenommen, die Werte der Option liegen an den Knoten (i + 1, j) und (i, j + 1)bereits vor. Wird die Option am Knoten (i, j) nicht ausgeübt, muss der Betrag

fi,j = e−r∆(p∗fAi+1,j + (1− p∗)fAi,j+1

)abgesichert werden. Wird die Option am Knoten (i, j) aber ausgeübt, so ist der Wert

(K − S(0)uidj)+

abzusichern. Der Wert des amerikanischen Puts im Knoten (i, j) ist nun das Maxi-mum dieser beiden Werte:

fAi,j = maxfi,j ,K − S(0)uidj

5. Der Wert PA(0) des amerikanischen Puts zum Zeitpunkt 0 ist dann am linken Wur-zelkonten abzulesen: f0,0.

6. Bendet man sich an einem inneren Knoten (i, j), so ist es rational, die Optionvorzeitig auszuüben (early exercise), falls die Ausübung der Option einen höherenErlös bietet als der Verkauf der Option um den Wert fi,j .

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100

115

90

132.25

103.5103.5

81

AktienwertEarly ExercisePay−OffHedge−Wert

2

0

0

0

0

12

0

21

3.82

t=0:Options−Wert: 2.18 Hedging−Portfolio:Anteile Aktie = −0.48 Anteile Bond= 50.18

2.18

Bewertung einer Amerikanische Put−Option mit K=102 und r=10%

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4 Stochastische Prozesse in stetiger Zeit

Dieses Kapitel der Vorlesung orientiert sich teilweise an dem Buch

• Sondermann D. Introduction to Stochastic Calculus for Finance A New DidacticApproach. Springer 2006.

4.1 Grundbegrie

(Ω,F , P ) mit Filtration F = (Ft)t≥0

Ein stochastischer Prozess X = (Xt)t≥0 mit Indexbereich [0,∞) ist eine Familie von Zu-fallsvariablen auf (Ω,F , P ).

Der Prozess X heiÿt (zur Filtration F) adaptiert, falls

∀t≥0

Xt ist Ft-messbar

Seien t1, . . . , tn ∈ [0,∞). Der Zufallsvektor (Xt1 , . . . , Xtn) besitzt Werte in Rn.

Durch

PX1,...,Xtn (B) := P ((Xt1 , . . . , Xtn) ∈ B) , B ∈ Bn

wird eine endlich dimensionale Verteilung von X deniert. Die Menge aller endlich dimen-sionalen Verteilungen von X erfüllen die folgenden Konsistenzbedingungen von Kolmogo-rov:

• Für jede Permutation (s1, . . . , sn) von (t1, . . . , tn) gilt

PXt1,...,Xtn(At1 × . . .×Atn) = PXs1 ,...,Xsn (As1 × . . .×Asn) (Ati ∈ B1)

• Für jedes A ∈ Bn−1 gilt

PXt1 ,...,Xtn (A× R) = PXt1 ,...,Xtn−1(A)

Man kann auch folgende Umkehrung zeigen:Zu jeder konsistenten Familie K von endlich dimensionalen Verteilungen existiert einWahrscheinlichkeitsmaÿ Q auf (R[0,∞),B(R[0,∞))), dessen Menge der endlich dimensionalenRandverteilungen die Familie K umfasst.

Sei ω ∈ Ω. Die Abbildung

X.(ω) :

[0,∞) → Rt 7→ Xt(ω)

heiÿt Trajektorie oder Pfad von X.

Die Zufallsvariable τ mit Werten in [0,∞] heiÿt Stoppzeit, falls

∀t≥0

[τ ≤ t] = ω ∈ Ω : τ(ω) ≤ t ∈ Ft

In der Theorie der Stochastischen Prozesse in stetiger Zeit treten u.a. folgende Problemeauf:

• Pfadregularität

• überabzählbare Operationen wie supt∈[0,1]Xt

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4.2 Klassen von Prozessen

Martingale. Ein adaptierter stochastischer Prozess X mit E(|Xt|) <∞ für alle t ≥ 0 istein

• Submartingal, falls∀

t,s≥0t > s =⇒ E(Xt | Fs) ≥ Xs

• Supermartingal, falls

∀t,s≥0

t > s =⇒ E(Xt | Fs) ≤ Xs

• Martingal, falls∀

t,s≥0t > s =⇒ E(Xt | Fs) = Xs

Beispiele: (Standard-) Brownsche Bewegung, kompensierter Poisson-Prozess.

Semimartingale. Prozesse, welche sich aus einem vorhersagbaren und einem vollständigunvorhersagbaren Teil modelliert durch ein Martingal zusammensetzen. FormaleDenition später.

Markov-Prozesse. Ein adaptierter stochastischer Prozess X heiÿt Markov-Prozess, fallsfür jede beschränkte messbare Funktion f : R → R gilt

∀t,s>0

E(f(Xt+s) | Ft) = E(f(Xt+s) | Xt)

Intuitive Deutung: Zukünftige Werte von X hängen nur von der Gegenwart, nicht jedochvon der Vergangenheit ab.Gilt obige Eigenschaft auch dann noch, wenn die deterministische Zeit t durch eine Stopp-zeit τ ersetzt wird, so heiÿt X starker Markov-Prozess.Diusionen. Eine Diusion ist ein starker Markov-Prozess X mit stetigen Pfaden, für denfür alle t ≥ 0 und alle x ∈ R die folgenden Grenzwerte existieren:

µ(t, x) := limh→0

1hE(Xt+h −Xt | Xt = x)

σ2(t, x) := limh→0

1hE((Xt+h −Xt)2 | Xt = x

)

µ(t, x) heiÿt Drift von X, σ2(t, x) heiÿt Diusionskoezient von X.

Beispiele: Brownsche Bewegung, Lösungen stochastischer Dierenzialgleichungen.Punktprozesse und Poisson-Prozesse. Punktprozesse sind stochastische Prozesse, de-ren Realisierungen nicht Pfade, sondern Zählmaÿe sind.

Seien z.B. τ0 < τ1 < . . . die zufälligen Zeitpunkte von gewissen Ereignissen.Der dazugehörige Punktprozess (Nt)t≥0 ist gegeben durch

Nt := supn | τn ≤ t, t ≥ 0

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Abbildung 2: R. Brown, L. Bachelier, A. Einstein und N. Wiener

Die Zufallsvariable Nt gibt die Anzahl der Ereignisse bis zum Zeitpunkt t an.Poisson-Prozesse sind spezielle Punktprozesse: Y1, Y2, . . . unabhängige exp(λ)-verteilte ZVn

τn :=n∑j=1

Yj

τn ist also die Zeit bis zum n-ten Ereignis und Yn ist die Wartezeit zwischen den Ereignissenzu den Zeitpunkten τn−1 und τn.

Nt := supn | τn ≤ t deniert dann einen Poisson-Prozess mit Rate λ > 0.

Eigenschaften:

• P (Nt = k) = e−λt (λt)k

k! , k ∈ N0, t ≥ 0

• ∀s<t

∀u>0

Nt+u −Nt unabhängig von Ns (unabhängige Zuwächse)

• Nt+u −Nt ∼ π(λu) (stationäre Zuwächse)

• Der sog. kompensierte Poisson-Prozess M mit Mt := Nt − λt ist ein Martingal;speziell gilt ENt = λt

Man kann zeigen, dass jeder stochastische Prozess (Nt) mit Werten von Nt in N0, der dieersten drei obigen Eigenschaften erfüllt, ein Poisson-Prozess ist.

Stochastische Prozesse mit unabhängigen und stationären Zuwächsen heiÿen Lévy-Prozesse.

4.3 Brownsche Bewegung

• 1830 Robert Brown (17731858), schottischer Botaniker

• 1900 Louis Bachelier (18701946)

• 1905 Albert Einstein (18791955)

• 1923 Norbert Wiener (18941964)

Denition 4.1. Ein stochastischer Prozess W = (Wt)t≥0 auf (Ω,F , P ) heiÿt standardi-sierte 1-dimensionale Brownsche Bewegung oder Wiener-Prozess, falls

• W0 = 0 P -f.s.

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• W hat unabhängige Zuwächse:

∀s<t

∀u≥0

Wt+u −Wt ist unabhängig von Ws

• W hat stationäre normalverteilte Zuwächse:

∀t,u≥0

Wt+u −Wt ∼ N(0, u)

• W hat stetige Pfade

Bemerkungen zu Denition 4.1:

• Wt = Wt −W0 ∼ N(0, t)

• cov(Wt,Ws) = mins, t, da

∀t>s

cov(Wt,Ws) = E(WtWs)

= E((Wt −Ws)Ws) + E(W 2s )

= E(Wt −Ws)E(Ws) + s = s

Denition 4.2. Eine standardisierte Brownsche Bewegung in Rd ist ein d-dimensionalerProzess Wt = (W 1

t , . . . ,Wdt ) mit unabhängigen standardisierten Brownschen Bewegungen

in R.

Satz 4.1. Der in Denition 4.1 (und 4.2) denierte Prozess existiert.Behauptung 4.1. Seien W = (Wt)t≥0 eine standardisierte Brownsche Bewegung undFt := σ(Ws : s ≤ t). Dann sind (Wt)t≥0 und (W 2

t − t)t≥0 Martingale bzgl. der FiltrationF = (Ft)t≥0.

Nachfolgend legen wir das endliche Zeitintervall [0, T ] für unser Modell zugrunde.

Denition 4.3. Die Menge der Zeitpunkte t0 = 0 < t1 < . . . < tn = T deniert einePartition τ := t0, . . . , tn von [0, T ]; |τ | := sup|ti−ti−1| : 1 ≤ i ≤ n heiÿt Feinheitsgradvon τ .

Denition 4.4. Die Totalvariation der Funktion X : [0, T ] → R ist deniert durch

Var(X) := sup

∑ti∈τ

|X(ti)−X(ti−1)| : τ ist eine Partition von [0, T ]

Falls Var(X) <∞, sagt man, X sei von endlicher Variation.

Bemerkung. Die Variation Var(f) einer Funktion f darf nicht mit der Varianz var(Y )einer Zufallsvariablen Y verwechselt werden.

Denition 4.5. Sei X : [0, T ] → R eine Funktion und (τn) eine Folge von Partitionendes Intervalls [0, T ] mit |τn| → 0 für n→∞. Die quadratische Variation von X über demIntervall [0, t] ≤ [0, T ] entlang der Partition τn ist deniert durch

V 2t (X, τn) :=

∑ti∈τn∪t, ti≤t

(X(ti)−X(ti−1))2

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Existiert 〈X〉t := limn→∞

V 2t (X, τn) für alle t ∈ [0, T ], und ist dieser Grenzwert unabhängig

von der speziellen Wahl der Partitionenfolge (τn), für die ein Grenzwert existiert so heiÿtdie dadurch auf [0, T ] denierte Funktion t 7→ 〈X〉t quadratische Variation 〈X〉 von X.Behauptung 4.2. Ist X : [0, T ] → R stetig und von endlicher (erster) Variation, so istdie quadratische Variation 〈X〉t = 0 für alle t ∈ [0, T ].

Korollar 4.1. Ist X : [0, T ] → R stetig und ist die quadratische Variation t 7→ 〈X〉tstreng monoton wachsend, so ist X auf jedem Intervall [a, b] ⊆ [0, T ] von unendlicherTotalvariation.

Behauptung 4.3. Sei X : [0, T ] → R stetig mit stetigem quadratischer Variation. Fernersei A : [0, T ] → R stetig und von endlicher Totalvariation. Dann ist die durch Y (t) :=X(t) + A(t) denierte Funktion Y : [0, T ] → R von stetiger quadratischer Variation mit〈Y 〉t = 〈X〉t für alle t ∈ [0, T ].

Also ist die quadratische Variation eines stetigen Semimartingals gleich der quadratischenVariation des Martingalanteils.Satz 4.2. Für alle t ∈ [0, T ] gilt:

E(V 2t (W, τn)− t

)2 → 0 (n→∞)

für jede Folge von Partitionen τn des Intervalls [0, T ] mit limn |τn| = 0.

Korollar 4.2. Es gibt eine Folge von Partitionen τn von [0, T ] mit limn |τn| = 0 so, dassP -f.s.

∀t∈[0,T ]

limnV 2t (W, τn) = t

Lemma 4.1. X : [0, T ] → R stetig mit stetiger quadratischer Variation, g : [0, T ] → Rmessbar und beschränkt. Dann gilt:

limn→∞

∑ti∈τn∪t, ti≤t

g(ti−1)(Xti −Xti−1)2 =

∫ t

0g(s) d〈X〉s

Eine Kombination von Satz 4.2 und Korollar 4.2 liefertKorollar 4.3. Fast alle Pfade der Brownschen Bewegung sind von unendlicher Totalva-riation.

Zusammenfassung: Die Brownsche Bewegung ist ein Martingal mit stetigen Pfaden undquadratischer Variation 〈W 〉t = t P -f.s.

Es gilt jedoch auch umgekehrtSatz 4.3. (Charakterisierung der Brownschen Bewegung von Lévy). Ist M einquadratisch integrierbares Martingal mit stetigen Pfaden, M0 = 0 und 〈M〉t = t für alle t,dann ist M eine Brownsche Bewegung.

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4.4 Das Itô-Integral

F : R → R und X : R+ → R seien C1-Funktionen (d.h. stetig dierenzierbar).Dann gilt nach dem Hauptsatz der Dierenzial- und Integralrechnng

F (X(t))− F (X(0)) =

t∫0

F ′(X(s))X ′(s) ds =

t∫0

F ′(Xs) dXs

Die Voraussetzung, dass X eine C1-Funktion ist, kann auf stetige Funktionen X mit end-licher Totalvariation abgeschwächt werden, wie nachfolgend gezeigt wird.Behauptung 4.4. X : [0, T ] → R stetig und von endlicher Totalvariation, F : R → Reine C1-Funktion. Sei (τn) eine Folge von Partitionen von [0, T ] mit limn |τn| = 0.Dann existiert

limn→∞

∑ti∈τn∪t,ti≤t

F ′(Xti−1)(Xti −Xti−1) =:

t∫0

F ′(Xs) dXs

und es gilt

F (Xt)− F (X0) =

t∫0

F ′(Xs) dXs

Diese Behauptung ist ein Spezialfall der Itô-Formel (Satz 4.4).Bis auf Weiteres sei X : [0, T ] → R immer eine stetige Funktion mit stetiger quadratischerVariation 〈X〉 = (〈X〉t)t∈[0,T ].Dies gilt z.B. für die Pfade der Brownschen BewegungW (Korollar 4.2) und allgemeiner für die Pfade jedes stetigen Semimartingals mit stetiger quadratischer Variation.

Da t 7→ 〈X〉t monoton wachsend in t, ist das Integral∫ t0 g(s) d〈X〉s für jede stetige Funktion

g : [0, T ] → R im Riemann-Stieltjes-Sinne deniert.

Da t 7→ 〈X〉t stetig ist, ist dieses Integral eine stetige Funktion der oberen Grenze t.Satz 4.4 (Itô-Formel). X : [0, T ] → R stetig mit stetiger quadratischer Variation 〈X〉.F : R → R eine C2-Funktion.Dann gilt

∀t∈[0,T ]

F (Xt)− F (X0) =∫ t

0F ′(Xs) dXs +

12

∫ t

0F ′′(Xs) d〈X〉s

wobei der Grenzwert∫ t

0F ′(Xs) dXs := lim

n→∞

∑ti∈τn∪t,ti≤t

F ′(Xti−1)(Xti −Xti−1)

für jede zu der quadratischen Variation 〈X〉 führenden Folge (τn) von Partitionen desIntervalls [0, T ] mit limn |τn| = 0 existiert (gemäÿ Denition 4.5).

Das Integral∫ t0 F

′(Xs) dXs heiÿt Itô-Integral.Bemerkungen.

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1) IstX von endlicher Totalvariation, verschwindet der Korrekturterm 12

∫ t0 F

′′(Xs) d〈X〉s(da 〈X〉 ≡ 0 nach Behauptung 4.2). Dies liefert die klassische Behauptung 4.4.

2) Kurzform der Itô-Formel:

dF (Xt) = F ′(Xt) dXt +12F ′′(Xt) d〈X〉t

3) Man beachte, dass in den Summen, deren Grenzwerte das Itô-Integral liefern, derIntegrand F ′(Xs) am linken Intervallende von [ti−1, ti] ausgewertet wird.

4) Sei X jetzt allgemeiner ein stochastischer Prozess (hinge also zusätlich noch vom Zu-fall ab), dessen Pfade die einer Brownschen BewegungW sind. Dann kann in Satz 4.4zur Denition des Itô-Integrals die nach Korollar 4.2 existierende pfadunabhängigeFolge von Partitionen verwendet werden. Der Grenzwert ist bis auf eine P -Nullmengeeindeutig.

5) Die hier gewählte pfadweise Denition des Itô-Integrals geht auf Hans Föllmer (1981)zurück. Allgemeinere Integranden der Form Ys anstelle von F ′(Xs) werden in der sto-chastischen Analysis behandelt. Solche allgemeinere Integranden tauchen in unsererVorlesung Finanzmathematik jedoch nicht auf.

Beispiele

• F (x) = xn. Mit Itô-Formel

Xnt −Xn

0 = n

∫ t

0Xn−1s dXs +

n(n− 1)2

∫ t

0Xn−2s d〈X〉s

kurz:

dXnt = nXn−1

t dXt +n(n− 1)

2Xn−2t d〈X〉t

Ist X speziell der Pfad einer Brownschen Bewegung W mit W0 = 0, so gilt

W 2t = 2

∫ t

0Ws dWs +

∫ t

0d〈W 〉s

= 2∫ t

0Ws dWs + t

Also ∫ t

0Ws dWs =

12W 2t −

t

2

• F (x) = ex. Mit Itô-Formel

eXt − eX0 =∫ t

0eXs dXs +

12

∫ t

0eXs d〈Xs〉s

oder kurz

deXt = eXt dXt +12eXt d〈X〉t

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Speziell für X = W folgt

eWt = 1 +∫ t

0eWs dWs +

12

∫ t

0eWs d〈W 〉s

= 1 +∫ t

0eWs dWs +

12

∫ t

0eWs ds

= 1 +∫ t

0eWs dWs +

12(eWt − e0

)Also ∫ t

0eWs dWs =

12(eWt − 1

)Behauptung 4.5. Sei F : R → R eine C1- Funktion. Dann bestitzt die Funktion t 7→F (Xt) die quadratische Variation ∫ t

0

(F ′(Xs)

)2d〈X〉s

Korollar 4.4. Für jedes f ∈ C1(R) ist das Itô-Integral

It :=∫ t

0f(Xs) dXs

wohldeniert und besitzt die quadratische Variation

〈I〉t =∫ t

0f2(Xs) d〈X〉s

Beispiel.

Für X = W gilt

W 2t =

∫ t

02Ws dWs + t

Mit It :=∫ t0 2Ws dWs folgt

〈W 2〉t = 〈I〉t =∫ t

04W 2

s ds

Bisher haben wir nur analytische Eigenschaften des Integrators X verwendet.Sei M ein Martingal mit stetigen Pfaden und stetiger quadratischer Variation und f eineC1-Funktion.Frage: Überträgt sich die Martingal-Eigenschaft des Integrators M auf das Itô-Integral

I =

It :=

t∫0

f(Ms) dMs

t≥0

?

Denition 4.6. Ein stochastischer ProzessM heiÿt lokales Martingal, falls es StoppzeitenT1 ≤ T2 ≤ . . . gibt mit

∀ω∈Ω

limn→∞

Tn(ω) = ∞

∀n

(MTn∧t)t≥0 ist ein Martingal

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Klar: Jedes Martingal ist ein lokales Martingal. Die Umkehrung ist jedoch falsch!Satz 4.5. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden und stetiger quadratischerVariation 〈M〉, ferner f ∈ C1(R). Dann giltIt :=

t∫0

f(Ms) dMs

t≥0

ist ein lokales Martingal

Behauptung 4.6. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden und M0 = 0. Äquiva-lent sind:

(i) M ist ein Martingal mit EM2t <∞ für alle t ≥ 0

(ii) ∀t≥0

E〈M〉t <∞

Im Falle von (i) oder (ii) gilt∀t≥0

EM2t = E〈M〉t

Behauptung 4.7. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden und quadratischerVariation 〈M〉t = 0 f.s. (t ≥ 0). Dann gilt

∀t≥0

Mt = M0 f.s.

Korollar 4.5. Sei M ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden von endlicher Totalvaria-tion. Dann gilt

∀t≥0

Mt = M0 f.s.

Bemerkung: Mit Kor. 4.5 können wir zeigen, dass bei stetigen lokalen Martingalen (mitstetigem quadratischem Variationsprozess) der quadratische Variationsprozess in Def. 4.5f.s. unabhängig von der Wahl der Partitionenfolge (τn) ist.

Denition 4.7. Ein stochastischer Prozess X mit Xt = Mt +At mit einem lokalen Mar-tingal M und einem adaptierten Prozess A mit linksseitig stetigen Pfaden von endlicherTotalvariation heiÿt Semimartingal.Bemerkungen.

1) Die linksseitige Stetigkeit von A hat zur Folge, dass der Wert von At bei Kenntnisder Werte As, s < t, vorhergesagt werden kann.

2) Die Zerlegung eines Semimartingals X in einen Martingalanteil und einen Anteil Avon endlicher Totalvariation ist eindeutig (bis auf additive Konstanten). Ist X stetig,so ist auch M (und somit A) stetig.

3) In der allgemeinen Theorie der Semimartingale wird A als vorhersagbar angenommen,was etwas schwächer ist als die Forderung, dass A adaptiert ist und die Pfade von Alinksseitig stetig sind.

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Denition 4.8. Sei (τn) eine Folge von Partitionen des Intervalls [0, T ] mit |τn| → 0. Xund Y seien stetige Funktionen mit stetiger quadratischer Variation entlang der Folge (τn).Existieren die Grenzwerte und zwar unabhängig von der speziellen Wahl von (τn)

∀t≥0

〈X,Y 〉t := limn→∞

∑ti∈τn,ti≤t

(Xti −Xti−1)(Yti − Yti−1),

so heiÿt 〈X,Y 〉 := (〈X,Y 〉t)t≥0 Kovariation von X und Y .

Satz 4.6. 〈X,Y 〉t existiert genau dann, wenn 〈X + Y 〉t existiert. In diesem Fall gilt diePolarisationsgleichung

〈X,Y 〉t =12

(〈X + Y 〉t − 〈X〉t − 〈Y 〉t)

Bemerkungen.

1) X stetige Funktion mit stetiger Variation 〈X〉, A stetige Funktion mit endlicherTotalvariation. Dann gilt

〈X +A〉t = 〈X〉tund damit

〈X,A〉t = 0

2) Für zwei unabhängige Brownsche Bewegungen B(1) und B(2) gilt

∀t≥0

〈B(1), B(2)〉t = 0

3) X stetige Funktion mit stetiger quadratischer Variation, f, g ∈ C1(R),

Yt :=

t∫0

f(Xs) dXs, Zt :=

t∫0

g(Xs) dXs

Dann gilt

〈Y, Z〉t =

t∫0

f(Xs)g(Xs) d〈X〉s

Dies folgt aus der Polarisationsgleichung und

〈Y + Z〉t =

t∫0

(f + g)2(Xs) d〈X〉s

= 〈Y 〉t + 〈Z〉t + 2

t∫0

f(Xs)g(Xs) d〈X〉s

Satz 4.7 (d-dimensionale Itô-Formel). Sei X = (X1, . . . , Xd) : [0, T ] → Rd stetig mitstetigen Kovariationen

〈Xk, X l〉t =

〈Xk〉t, falls k = l12

(〈Xk +X l〉t − 〈Xk〉t − 〈X l〉t

), falls k 6= l

51

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Ferner sei F ∈ C2(Rd,R). Dann gilt

F (Xt)− F (X0)

=d∑i=1

t∫0

∂xiF (Xs) dX i

s +12

d∑i,j=1

t∫0

∂2

∂xi∂xjF (Xs) d〈Xi, Xj〉s

In Kurzform:

dF (Xt) =d∑i=1

Fxi(Xt) dX it +

12

d∑i,j=1

Fxi,xj (Xt) d〈Xi, Xj〉t

Beispiel.

SeiW = (W 1, . . . ,W d)

eine d-dimensionale Brownsche Bewegung. Also

〈W k,W l〉t =

t, falls k = l

0, falls k 6= l

Mit obiger Itô-Formel

F (Wt)− F (W0) =d∑i=1

t∫0

Fxi(Ws) dW is +

12

d∑i=1

t∫0

Fxi,xi(Ws) ds

Korollar 4.6 (Itôsche Produktformel). Seien X und Y stetige Funktionen mit stetigerquadratischer (Ko-)Variation 〈X〉, 〈Y 〉 bzw. 〈X,Y 〉. Dann gilt

XtYt = X0Y0 +

t∫0

Xs dYs +

t∫0

Ys dXs + 〈X,Y 〉t

Kurzschreibweise:d(XY )t = Xt dYt + Yt dXt + d〈X,Y 〉t

Korollar 4.7 (Itô-Formel für zeitabhängige Funktionen). Sei X eine stetige Funktion mitstetiger quadratischer Variation 〈X〉 und F : (t, x) 7→ F (t, x) mit F ∈ C1,2. Dann gilt

F (t,Xt)

= F (0, X0) +

t∫0

Ft(s,Xs) ds+

t∫0

Fx(s,Xs) dXs +12

t∫0

Fxx(s,Xs) d〈X〉s

Kurzschreibweise:

dFt = Ft dt+ Fx dXt +12Fxx d〈X〉t

Beispiel.

W Brownsche Bewegung, S0 > 0 Startwert, µ ∈ R, σ > 0 Konstanten

52

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Der durch

St = S0 exp(σWt +

(µ− 1

2σ2

)t

), t ≥ 0

denierte stochastische Prozess S heiÿt geometrische Brownsche Bewegung.Herleitung einer Itô-Integralgleichung für S:

Xt = σWt

Yt =(µ− 1

2σ2

)t

Klar: 〈X〉t = σ2t und 〈Y 〉t = 〈X,Y 〉t = 0Für F (x, y) := S0 exp(x+ y) gilt Fx = Fy = Fxx = FWegen St = F (Xt, Yt) folgt

St = S0 +

t∫0

F (Xs, Ys) dXs +

t∫0

F (Xs, Ys) dYs +12

t∫0

F (Xs, Ys) d〈X〉s

= S0 +

t∫0

F (Xs, Ys)σ dWs +

t∫0

F (Xs, Ys)(µ− 1

2σ2

)ds

+12

t∫0

F (Xs, Ys)σ2 ds

= S0 +

t∫0

σSs dWs +

t∫0

µSs ds

In Kurzform:dSt = µSt dt+ σSt dWt

Falls µ = 0, ist

St = S0 +

t∫0

σSs dWs

nach Satz 4.4 ein lokales Martingal.Wegen

E〈S〉t = E

t∫0

σ2S2s d〈W 〉s

= σ2E

t∫0

S2s ds = σ2

t∫0

ES2s ds <∞

für alle t ≥ 0, ist S nach Behauptung 4.6 sogar ein Martingal.

53

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Abbildung 3: Kiyoshi Itô (19152008), Wolfgang Döblin (19151940)

54

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5 Zeitstetige Finanzmärkte

Marktmodell M

• WR (Ω,F , P )

• Filtration F von aufsteigenden in F enthaltenen σ-Algebren mit F0 = ∅,Ω undFT = F

• d+1 Finanzgüter mit Preisprozessen S0, S1, . . . , Sd, welche zu F adaptiert und strengpositiv seien

Weitere technische Regularitätsvoraussetzungen (abhängig z.B. davon, wie allgemein dasstochastische Integral sein soll und was man beweisen will):

• F ist P -vollständig

• F0 enthält alle P -Nullmengen

• F ist rechtsstetig, d.h.

∀t∈[0,T ]

Ft =⋂s>t

Fs

• S0, S1, . . . , Sd sind stetige Semimartingale

Zur Erinnerung: Per denitionem lässt sich ein stetiges Semimartingal S = (St)t∈[0,T ]) inein stetiges (lokales) Martingal M und einen stetigen adaptierten Prozess A mit (lokal)beschränkter Variation zerlegen.

Ein vorhersagbarer Prozess H = (Ht)t∈[0,T ] ist ein stochastischer Prozess H : Ω× [0, T ] →R, welcher messbar ist bezüglich der vorhersagbaren σ-Algebra, welche von den adaptiertenProzessen mit linksseitig stetigen Pfaden erzeugt wird.Denition 5.1. Ein Numéraire ist ein Preisprozess X = (Xt)t∈[0,T ] mit

∀t∈[0,T ]

Xt > 0 P − f.s.

Denition 5.2. Der Rd+1-wertige stochastische Prozess ϕ ist eine Handelsstrategie oderdynamisches Portfolio, falls

ϕ(t) = (ϕ0(t), . . . , ϕd(t)) , t ∈ [0, T ]

ein vorhersagbarer lokal beschränkter Prozess ist.Unter diesen Bedingungen existiert das stochastische Integral

∫ t0 〈ϕ(u), dS(u)〉.

ϕi(t) bezeichnet die Anteile des Finanzgutes i im Portfolio zum Zeitpunkt t.ϕi(t) basiert auf der Information, welche vor dem Zeitpunkt t erhältlich ist.Denition 5.3

(i) Der Wertprozess Vϕ = (Vϕ(t))t∈[0,T ] des Portfolios ϕ ist gegeben durch

Vϕ(t) := 〈ϕ(t), S(t)〉 =d∑i=0

ϕi(t)Si(t), t ∈ [0, T ]

55

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(ii) Der Zuwachsprozess Gϕ = (Gϕ(t))t∈[0,T ] ist gegeben durch

Gϕ(t) :=∫ t

0〈ϕ(u), dS(u)〉 =

d∑i=0

∫ t

0ϕi(u) dSi(u)

(iii) Die Handelsstrategie ϕ heiÿt selbstnanzierend, falls

∀t∈[0,T ]

Vϕ(t) = Vϕ(0) +Gϕ(t)

Behauptung 5.1. Ein selbstnanzierendes Portfolio bleibt nach einem Wechsel des Numérai-res X selbstnanzierend.

Sei S0 der risikolose Bond.

Diskontierter Preisprozess: S :=(1, S1

S0, . . . , SdS0

)Diskontierter Wertprozess:

Vϕ :=VϕS0

= ϕ0 +d∑i=1

ϕiSi

Diskontierter Zuwachsprozess Gϕ:

Gϕ(t) :=d∑i=1

∫ t

0ϕi(u) dSi(u), t ∈ [0, T ]

Behauptung 5.2. ϕ ist genau dann selbstnanzierend, wenn

∀t∈[0,T ]

Vϕ(t) = Vϕ(0) + Gϕ(t)

Es gilt Vϕ(t) ≥ 0 genau dann, wenn Vϕ(t) ≥ 0.

Denition 5.4. Eine selbstnanzierende Handelsstrategie ermöglicht Arbitrage, falls

Vϕ(0) = 0P (Vϕ(T ) ≥ 0) = 1P (Vϕ(T ) > 0) > 0

Denition 5.5. Das auf (Ω,F) denierte Wahrscheinlichkeitsmaÿ Q wird (stark) äquiva-lentes Martingalmaÿ genannt, falls Q ∼ P und der diskontierte Preisprozess S ein lokalesMartingal (Martingal) bzgl. Q ist.

Die Menge der zu P äquivalenten Martingalmaÿe werde mit P bezeichnet.Denition 5.6. Eine selbstnanzierende Handelsstrategie ϕ heiÿt zahm (tame), falls

∀t∈[0,T ]

Vϕ(t) ≥ 0

Die Menge der zahmen Handelsstrategien werde mit Φ bezeichnet.

Behauptung 5.3. Sei ϕ ∈ Φ. Dann ist Vϕ unter jedem Q ∈ P ein nichtnegatives lokalesMartingal und ein Supermartingal.

Satz 5.1. Existiert ein zu P äquivalentes Martingalmaÿ (d.h. P 6= ∅), dann existiert keineHandelsstrategie aus Φ, welche Arbitrage ermöglicht.

Bemerkung. Um in zeitstetigen Märkten eine auch hinreichende Bedingung für die Exis-tenz eines äquivalenten Martingalmaÿes zu nden, muss der Begri der Arbitragefreiheitnoch verschärft werden.

56

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5.1 Risikoneutrale Bewertung

Annahme: Im Weiteren exisitiere immer ein zu P stark äquivalentes Martingalmaÿ P ∗,unter welchem der diskontierte Preisprozess S ein Martingal ist.

Nach Satz 5.1 ndet man dann in Φ keine Handelsstrategie, welche in M Arbitrage er-möglicht.

Im Folgenden werden nur Derivate X mit

X

S0(T )∈ L1(F , P ∗)

betrachtet.Denition 5.7. Eine selbstnanzierende Handelsstrategie ϕ heiÿt P ∗-zulässig, falls derdiskontierte Zuwachsprozess Gϕ mit

Gϕ(t) =∫ t

0〈ϕ(u), dS(u)〉

ein P ∗-Martingal ist.

Die Menge dieser Handelsstrategien wird mit Φ(P ∗) bezeichnet.

Es wird nicht vorausgesetzt, dass eine P ∗-zulässige Handelsstrategie auch zahm ist.

Satz 5.2. Eine P ∗-zulässige Handelsstrategie ermöglicht keine Arbitrage in M.

Existieren keine Arbitrage-Möglichkeiten, so kann das Problem der Bewertung und desHedgings von Derivaten auf die Existenz das Derivat replizierender selbstnanzierenderHandelsstrategien zurückgeführt werden.Denition 5.8.

(i) Eine Derivat X heiÿt erreichbar, falls es eine P ∗-zulässige Handelsstrategie ϕ gibtmit

Vϕ(T ) = X

In diesem Fall wird ϕ die das Derivat X replizierende Handelsstrategie genannt.

(ii) Der Finanzmarkt M heiÿt vollständig, falls jedes Derivat erreichbar ist.

Bemerkungen.

• Erreichbarkeit und Vollständigkeit hängen von der betrachteten Klasse von Handelss-trategien ab!

• Erreichbarkeit und Vollständigkeit hängen nicht von der Wahl des Numéraires ab.

• Die Eigenschaft einer Handelsstrategie, ein Derivat zu replizieren, bleibt bei einemWechsel des Numéraires erhalten.

Ist das Derivat X erreichbar, kann es durch ein Portfolio ϕ ∈ Φ(P ∗) repliziert werden. Fürden Preisprozess ΠX = (ΠX(t))t∈[0,T ] des Derivates muss deshalb gelten

ΠX(t) = Vϕ(t)

57

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Satz 5.3. Der sogenannte arbitragefreie Preisprozess ΠX jedes erreichbaren Derivates Xist gegeben durch die Formel der risikoneutralen Bewertung

∀t∈[0,T ]

ΠX(t) = S0(t)EP ∗(

X

S0(T )| Ft

)

Was passiert, wenn es zwei verschiedene Portfolios gibt, die X replizieren?

Korollar 5.1. Für zwei das Derivat X replizierende Portfolios ϕ und ψ gilt

∀t∈[0,T ]

Vϕ(t) = Vψ(t)

Für Fragen der Bewertung ist es hinreichend, ein stark äquivalentes Martingalmaÿ zunden. Aus der Sicht des Risikomanagements ist es jedoch wichtig, das das Derivat repli-zierende Portfolio zu nden.

Lemma 5.2 Das diskontierte Derivat X/S0(T ) sei P ∗-integrierbar. Besitzt das durch

M(t) = EP ∗

(X

S0(T )| Ft

)denierte P ∗-Martingal eine Integral-Darstellung

M(t) = x+d∑i=1

∫ t

0ϕi(u) dSi(u),

mit vorhersagbaren und lokal beschränkten Prozessen ϕ1, . . . , ϕd, so ist X erreichbar.Den folgenden Vollständigkeitssatz werden wir nicht beweisen:

Satz 5.4. Ist das starke Martingalmaÿ P ∗ das einzige Martingalmaÿ für den FinanzmarktM, dann ist M vollständig in dem eingeschränkten Sinne, dass jedes Derivat X mit

X

S0(T )∈ L1(F , P ∗)

erreichbar ist.

Im Beweis wird ein sogenannter Martingaldarstellungssatz benötigt.

5.2 Das Black-Scholes-Modell

Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Preisprozesses S der risikobehafteten Anlage zumodellierenBachelier (1900): Brownsche Bewegung mit Drift µ und Volatilität σ

St = S0 + σWt + µt

mit Konstanten µ ∈ R, σ > 0 und einer Standard-BB W bzgl. P .Wegen St ∼ N(S0 + µt, σ2t) wird St < 0 mit Wahrscheinlichkeit 1Nach Itô ist dieser Prozess Lösung der stochastischen Dierenzialgleichung

dSt = µdt+ σ dWt

58

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Samuelson (1965): Geometrische Brownsche Bewegung mit Drift µ und Volatilität σ

St = S0 exp(σWt + (µ− 1

2σ2)t

)Hier St > 0 mit Wahrscheinlichkeit 1Nach Itô ist dieser Prozess Lösung der stochastischen Dierenzialgleichung

dSt = St (µdt+ σ dWt)

oderdStSt

= µdt+ σ dWt

Für die GBB gilt:St+hSt

ist lognormalverteilt

d.h.

logSt+hSt

∼ N

((µ− 1

2σ2)h, σ2h

)da für den sog. log-Return

logSt+hSt

= logSt+h − logSt = σ(Wt+h −Wt) +(µ− σ2

2

)h

gilt und damit N((µ− σ2

2 )h, σ2h)-verteilt ist.

Das Verhältnis zweier aufeinanderfolgender Preise ist also lognormalverteilt.Ferner: Die log-Returns zu sich nicht überlappenden Zeitintervallen sind stochastisch un-abhängig.Wird die geometrische Brownsche Bewegung zur Modellierung des Preisprozesses der risi-kobehafteten Anlage gewählt, so spricht man auch von einem Black-Scholes-Modell.

Warum wird die geometrische Brownsche Bewegung häug zur Modellierung des Aktien-preisprozesses verwendet?

• (Häug) gute Übereinstimmung mit empirischen Daten

• GBB führt zu expliziten Bewertungsformeln für viele Derivate

• Wenn der wahre Preisprozess von der GBB nicht zu sehr abweicht, liefern die aufdem BS-Modell beruhenden Hedging-Strategien gute Ergebnisse

• das BS-Modell ist arbitragefrei und vollständig

Marktmodell M:

• WR (Ω,F , P ) mit Filtration F (wie oben)

• Bond B mit Preisprozess

Bt = B0 exp(rt), t ∈ [0, T ]

mit stetigem Zinssatz r > 0 und Startkapital B0 = 1.

59

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• Aktie S mit Aktienpreisprozess einer geometrische BB mit Trend µ und Volatilitätσ, d.h.

St = S0 exp(σWt + (µ− 1

2σ2)t

), t ∈ [0, T ]

Wähle den Bond als NuméraireDiskontierter Preisprozess der Aktie

St =StBt

= S0 exp(σWt + (µ− r − σ2

2)t)

Mit ItôdSt = St ((µ− r) dt+ σ dWt)

Falls µ 6= r ist (St) kein Martingal bzgl. P .

PROBLEM: Gibt es ein zu P äquivalentes Maÿ Q so, dass der diskontierte Preisprozess(St)0≤t≤T ein Martingal bzgl. Q ist?(St)0≤t≤T ist ein Q-Martingal

⇐⇒ σWt + (µ− r)t ist bzgl. Q eine BB ohne Drift

⇐⇒Wt +µ− r

σ︸ ︷︷ ︸=:γ

t ist bzgl. Q eine Standard BB

Betrachte bzgl. P die BB mit Drift γ

Wt := Wt + γt, 0 ≤ t ≤ T

Gesucht ist ein W-Maÿ Q, unter welchem (Wt)0≤t≤T eine BB mit Drift 0.Vorbetrachtung:

Die ZV X sei N(0, σ2)-verteilt bezüglich P .X := X + µ, also ist X ist N(µ, σ2)-verteilt bezüglich P .

Q sei deniert durch Q := exp(−µX− 1

2µ2

σ2

)· P , d.h.

Q(A) =∫A

exp

(−µX − 1

2µ2

σ2

)dP für alle A ∈ F

Dann ist X unter unter dem W-Maÿ Q N(0, σ2)-verteilt.Begründung:

Q(X ≤ a) = EQ1[X≤a]

=∫

Ω1[X+µ≤a] exp

(−µX − 1

2µ2

σ2

)dP

=∫

R1[x+µ≤a] exp

(−µx− 1

2µ2

σ2

)1√2πσ

exp(− x2

2σ2

)dx

=∫

R1[x+µ≤a]

1√2πσ

exp(−(x+ µ)2

2σ2

)dx

=∫

R1[x≤a]

1√2πσ

exp(− x2

2σ2

)dx

=∫ a

−∞

1√2πσ

exp(− x2

2σ2

)dx

60

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Frage: Unter welchem W-Maÿ Q ist (Wt)0≤t≤T eine BB mit Drift 0?Der Einfachheit halber sei T = 1.Diskretisiere das Intervall [0, 1] durch ti := i

n für i = 0, . . . , n.Setze ∆t := 1/n.

W jn

= W jn

+ γj

n

=j∑i=1

(W i

n−W i−1

n+ γ∆t

)=:

j∑i=1

(Xi + γ∆t) =:j∑i=1

Xi

Für festes i ist die Zufallsvariable Xi unter P N(0,∆t)-verteilt.Unter P ist Xi N(γ∆t,∆t)-verteilt.

Unter Qi := exp(−γ∆tXi− 1

2(γ∆t)2

∆t

)·P = exp

(−γXi − 1

2γ2∆t

)·P ist Xi N(0,∆t)-verteilt.

Wir zeigen: Durch

Q := E(−γW1) · P = exp(−γW1 −

12γ2

)· P

wird ein W-Maÿ deniert, unter welchem (X1, . . . , Xn) dieselbe Verteilung besitzt wie(X1, . . . , Xn) unter PKlar: (X1, . . . , Xn) besitzt unter P die Verteilung N(0,∆t)⊗ . . .⊗N(0,∆t).Für festes n und beliebige a1, . . . , an ∈ R gilt dann:

Q(X1 ≤ a1, . . . , Xn ≤ an) = EP

(1[X1≤a1,...,Xn≤an]exp

(−γW1 −

12γ2

))= EP

(n∏i=1

1[Xi≤ai] exp(−γXi −

12γ2∆t

))

=n∏i=1

EP

(1[Xi≤ai] exp

(−γXi −

12γ2∆t

))

=n∏i=1

EP(1[Xi≤ai]

)(Mit Vorbetrachtung)

= P (X1 ≤ a1, . . . , Xn ≤ an)

Also stimmen die gemeinsame Verteilung von (W0, W∆t, . . . , W1) unter Q mit der gemein-samen Verteilung von (W0,W∆t, . . . ,W1) unter P überein. Der folgende Satz behauptet,dass dies nicht nur für die endlichdimensionalen Randverteilungen von W und W gilt,sondern auch für die Prozesse selber gilt:Satz von Girsanov (für Brownsche Bewegungen mit konstantem Drift). Ist W eineStandard-BB bzgl. P und W mit

Wt = Wt + γt, t ∈ [0, T ],

eine Brownsche Bewegung mit Driftrate γ ∈ R, dann ist W eine Standard-BB bzgl. QT(ohne Drift!), wobei

∀A∈FT

QT (A) := E(1AMT ) =∫AMT dP

61

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0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0

−0.

50.

00.

51.

0

t

Y

Abbildung 4: Pfade einer geometrischen Brownschen Bewegung, die unter dem der Simu-lation zugrunde gelegten W-Maÿ eine Drift besitzt. Unter dem äquivalentenMartingalmaÿ wird die Drift zu Null. Dies entspricht einer Neubewertung derPfade gemäÿ der Girsanov-Dichte, angedeutet durch die Farbtemperatur.

undMt := E(−γWt) := exp(−γWt −

12γ2t), t ∈ [0, T ]

ein Martingal M bzgl. P darstellt.

Bemerkung. Man kann zeigen, dass dieses Martingalmaÿ das einzige äquivalente Martin-galmaÿ ist!Anwendung des Satzes von Girsanov auf unser Ausgangsproblem:

Wt = Wt +µ− r

σt, t ∈ [0, T ],

ist bzgl. QT mit

∀A∈FT

QT (A) :=∫A

exp

(−µ− r

σWT −

12

(µ− r

σ

)2

T

)dP

eine Standard-BB.Also ist

St = S0 exp(σWt +

(µ− r − σ

22)t

), t ∈ [0, T ],

ein QT -Martingal also eine geometrische BB ohne Drift bzgl. QT !Satz 5.5. Im Black-Scholes-Modell mit Bond-Preisprozess

Bt = B0 exp(rt), t ∈ [0, T ]

(B0 = 1, r > 0) und Aktien-Preisprozess

St = S0 exp(σWt +

(µ− 1

2σ2

)t

), t ∈ [0, T ]

62

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(S0 > 0, µ ∈ R, σ > 0) ist das W-Maÿ QT mit P -Dichte

dQTdP

= MT := exp(−γWT −

12γ2T

)ein äquivalentes Martingalmaÿ.

Das Black-Scholes-Modell ist also (nach Satz 5.2) arbitragefrei bezüglich den QT -zulässigenHandelsstrategien.P -Dynamik von S : dSt = St(µdt+ σ dWt)

P -Dynamik von S : dSt = St((µ− r) dt+ σ dWt)

Wegen dWt = µ−rσ dt+ dWt folgt:

Q-Dynamik von S:dSt = St(r dt+ σ dWt)

Q-Dynamik von S:dSt = St(0 dt+ σ dWt)

Unter Q wird die Drift µ der Aktie zur Zinsrate r!

5.3 Black-Scholes mittels risikoneutraler Bewertung

Payo der europäischen Call-Option X = (ST −K)+

Wert der europäischen Call-Option zum Zeitpunkt t = 0

C0 = EQ(e−rT (ST −K)+

)= EQ

(e−rTST 1[ST>K]

)− e−rTKQ(ST > K)

=: I1 + I2

wobei Q das nach Satz 5.5 spezizierte äquivalente Martingalmaÿ ist.Zu Term I2:Mit

St = S0 exp(σWt + (µ− 1

2σ2)t

)Wt = Wt −

µ− r

σt

folgt

Q(ST > K) = Q(logST > logK)

= Q(σWT + (µ− σ2

2)T > logK − logS0)

= Q

(σWT +

(r − σ2

2

)T > logK − logS0

)= Q

(σWT

σ√T>

logK − logS0 − (r − σ2

2 )T

σ√T

)

63

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Da WT√T∼ N(0, 1) unter Q, folgt

Q(ST > K) = Φ(− logK − logS0 − (r − σ2/2)T

σ√T

)= Φ

(log(S0/K) + (r − σ2/2)T

σ√T

)Zu Term I1:Es gilt

e−rTST = S0 exp(σWT + (µ− r − σ2

2)T)

= S0 exp(σWT −

σ2

2T

)=: S0MT

Denition eines neuen Maÿes Q mittels dQdQ = MT Damit

EQ(e−rTST 1[ST>K]

)= S0EQ

(MT 1[ST>K]

)= S0EQ(1[ST>K])

= S0Q(ST > K)

= S0Q(logST > logK)

Mit Satz von Girsanov:Wt := Wt − σt, t ∈ [0, T ]

ist unter Q eine BB ohne Drift!Wegen σWT = σWT + σ2T

I = Q(logST > logK)

= Q(logS0 + σWT + (µ− σ2

2)T > logK)

= Q(logS0 + σWT + (r − σ2

2)T > logK)

= Q(logS0 + σWT + (r +σ2

2)T > logK)

= Q

(σWT

σ√T︸ ︷︷ ︸

∼N(0,1)

>− log S0

K − (r + σ2

2 )T

σ√T

)

= Φ

(log S0

K + (r + σ2

2 )T

σ√T

)Also:Satz 5.6. Der arbitragefreie Preis des europäischen Calls mit Ausübungspreis K und Lauf-zeitende T im Black-Scholes-Modell mit Volatilität σ und stetiger Zinsrate r ist gegebendurch

∀t∈[0,T ]

C(t) = StΦ(d1)− e−r(T−t)KΦ(d2)

mit

d1 =logSt/K + (r + 1

2σ2)(T − t)

σ√T − t

und d2 = d1 − σ√T − t

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Vollständigkeit des klassischen Black-Scholes ModellsZur Konstruktion eines Hedging-Portfolios benötigen wir den folgendenSatz 5.7 (Martingal-Darstellungssatz) Sei F = (Ft)t∈[0,T ] die von der BrownschenBewegung W = (Wt)t∈[0,T ] erzeugte vollständige Filtration und M = (Mt)t∈[0,t] ein zudieser Filtration adaptiertes Martingal mit E(M2

T ) < ∞. Dann gibt es einen (bis aufModikation) eindeutig bestimmten vorhersagbaren adaptierten Prozess H = (Ht)t∈[0,T ]

mit

E

(∫ T

0H2s ds

)<∞

so dass für alle t ∈ [0, T ] gilt:

Mt = M0 +∫ t

0Hs dWs f.s.

Wir wissen bereits, dass der klassische BS-Markt ein eindeutiges zu P äquivalentes Martingal-Maÿ P ∗ mit

dP ∗

dP= e−γWT− γ2

2T

besitzt, wobei γ = (µ− r)/σ (Marktpreis des Risikos).Sei X ∈ L1(P ), dann gilt auch X ∈ L1(P ∗), also existiert das P ∗-Martingal

Mt = EP ∗(e−rTX | Ft), t ∈ [0, T ]

Unter Verwendung des Martingal-Darstellungssatzes 5.7 folgt, dass es einen adaptiertenvorhersagbaren Prozess H = (Ht)t∈[0,T ] gibt, so dass unter P

Mt = M0 +∫ t

0Hs dWs f.s.

Da für die P ∗-Dynamik von SdSt = Stσ dWt

gilt, folgt

Mt = M0 +∫ t

0ϕ1(s) dSs f.s.

wobei

ϕ1(t) :=Ht

σStMit

ϕ0(t) := Mt − ϕ1(t)St = Mt −Ht

σ

wird (ϕ(t))t∈[0,T ] = (ϕ0(t), ϕ1(t))t∈[0,T ], zu einer seibstnanziererenden (vorhersagbarenlokalbeschränkten) Handelsstrategie, welche e−rTX repliziert.Also:X ist erreichbarDa X beliebig aus L1(P ), ist der klassische BS-Markt vollständig.Damit ist zwar die Existenz einer selbstnanzierenden replizierenden Handelsstrategie ge-sichert, ihre explizite Konstruktion aber noch oen!Unter Verwendung des Martingaldarstellungssatzes konnten wir zeigen, dass ein vorher-sagbarer Prozess ϕ existiert, so dass

EP ∗(e−rTX | Ft) = V0 +∫ t

0ϕ1(s)σSs dWs f.s. (t ∈ [0, T ])

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Wäre das Integral auf der rechten Seite ein gewöhnliches Riemann-Integral, könnte ϕ1

durch Dierentation dieser Integralgleichung nach t bestimmt werden:

ϕ1(t) =1σSt

d

dt

(e−rTEP ∗(X | Ft)

)Unter Verwendung der Malliavin-Ableitungsoperators Dt kann gezeigt werden, dass

ϕ1(t) =1σSt

e−rTEP ∗(DtX | Ft)

5.4 Zur Black-Scholes-Formel mittels einer No-Arbitrage-Bewertung

Wir betrachten wieder das Marktmodell M:

• WR (Ω,F , P ) mit Filtration F (wie oben)

• Bond B mit Preisprozess

Bt = B0 exp(rt), t ∈ [0, T ]

mit stetigem Zinssatz r > 0 und Startkapital B0 = 1.

• Aktie S mit Aktienpreisprozess einer geometrische BB mit Trend µ und Volatilitätσ, d.h.

St = S0 exp(σWt + (µ− 1

2σ2)t

), t ∈ [0, T ]

und ein Portfolio (ϕ,ψ) = (ϕt, ψt)t∈[0,T ], welches zum Zeitpunkt t ϕt Einheiten der Aktieund ψt Einheiten im Bond beinhaltetWert des Portfolios zum Zeitpunkt t:

V (t, St) := Vt = ψtBt + ϕtSt

Im Folgenden betrachten wir der Einfachheit halber nur Derivate der Form X = h(ST )(die europäische Call-Option ist von diesem Typ).Satz 5.8. Sei V : [0, T ]× R+ → R eine stetige Funktion, welche die PDG

Vt(t, s) +12σ2s2Vss(t, s) + rsVs(t, s) = rV (t, s), (t, s) ∈ [0, T )× R+

löst.Dann ist die Handelsstrategie (ϕ,ψ) mit ϕ(t, St) = ϕt = Vs(t, St) und Wertprozess V (t, St)(t ∈ [0, T ]) selbstnanzierend.Erfüllt V die Randbedingung V (T, ST ) = h(ST ), ist (ϕ,ψ) eine das Derivat X replizierendeHandelsstrategie. Der faire Wert des Derivats X ist V (t, St) (t ∈ [0, T ]).Payo der europäischen Call-Option: h(ST ) = (ST −K)+

Bestimmung der dazugehörigen Lösung der PDG in Satz 5.8:Lemma 5.3. Seien τ(t) = σ2(T − t) und z(t, s) = log s− (1

2σ2 − r)(T − t).

Die Funktion u(t, z) : [0, T ] × R → R löse die Wärmeleitungsgleichung ut = 12uzz mit

Anfangsbedingung u(0, z) = (ez −K)+.Dann löst

C(t, s) := e−r(T−t)u(τ(t), z(t, s))

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das Randwertproblem für den Preis des europäischen Calls.Satz 5.9. Der arbitragefreie Preis des europäischen Calls mit Ausübungspreis K und Lauf-zeitende T im Black-Scholes-Modell mit Volatilität σ und stetiger Zinsrate r ist gegebendurch

∀t∈[0,T ]

C(t) = StΦ(d1)− e−r(T−t)KΦ(d2)

mit

d1 =logSt/K + (r + 1

2σ2)(T − t)

σ√T − t

und d2 = d1 − σ√T − t

Das dazugehörige Hedge-Portfolio besteht aus

• ϕt = ∂∂sC(t) = Φ(d1) ∈ (0, 1) Einheiten der Aktie und

• ψt = (C(t)− Φ(d1)St)/ert = −e−rtKΦ(d2) < 0 Einheiten des Bonds

5.5 Die Feynman-Kac-Formel

Die Feynman-Kac-Formel stellt die Lösung einer partiellen Dierentialgleichung in Formeiner bedingten Erwartung dar.Satz 5.10 (Feynman-Kac-Formel) Seien µ : R → R und σ : R → (0,∞) zwei Lipschitz-stetige Funktionen, F die Lösung der PDG

Ft + µ(x)Fx +12σ2(x)Fxx = 0

mit Randbedingung F (T, x) = h(x), wobei h ∈ C20 . Dann besitzt F die Darstellung

F (t, x) = E(h(XT )|Xt = x),

wobei X die stochastische Dierentialgleichung

dXu = µ(Xu)du+ σ(Xu)dWu (t ≤ u ≤ T )

mit Anfangsbedingung Xt = x löst (W Standard-BB bzgl. P ).Wir betrachten einen Bond B und eine Aktie S, die sich gemäÿ

dBt = rBtdt

dSt = µStdt+ σStdWt

entwickeln.Unter dem risikoneutralen Maÿ P ∗ genügt der Aktienpreisprozess der SDG

dSt = rStdt+ σStdWt

wobei W bzgl. P ∗ eine Standard-BB.Mit µ(s) = rs und σ(s) = σs hat diese SDG die Form der SDG in der Feynman-Kac-Formel.Sei jetzt X ein Derivat der Form X = h(ST ).Ferner löse F : [t, T ]× R → R die PDG

Fs + µ(s)Fs +12σ2(s)Fss = 0

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mit Randbedingung F (T, s) = e−rTh(s).Mit der Formel für die risikoneutrale Bewertung von Derivaten folgt

ΠX(t) = ertE∗(e−rTX|Ft) = ertF (t, St)

Unter Verwendung der Tatsache, dass durch Mt := F (t, St) ein P ∗-Martingal deniertwird, zeigen wir, dass durch

ϕ0(t) := F (t, St)− Fs(t, St)Stϕ1(t) := Fs(t, St)Bt

ein das Derivat X replizierendes Portfolio ϕ = (ϕ0, ϕ1) gegeben ist.

5.6 Risikokennziern im Black-Scholes-Modell

Hedgeratio oder Delta:

∆ :=∂C

∂s= . . . = Φ(d1) ∈ (0, 1)

Interpretation des Wertes Ct eines europäischen Calls als Portfolios bestehend aus ϕt Ein-heiten der zugrundeliegenden Aktie und ψt Einheiten des Bonds (short!)

Ct = Φ(d1)︸ ︷︷ ︸Hedgeratio=:ϕt∈(0,1)

·St + (−Ke−r(T−t)Φ(d2))︸ ︷︷ ︸Kassa-Hedge=:ψt∈(−∞,0)

·1

(ϕt, ψt) Portfolio zur Duplizierung des europäischen CallsGamma-Faktor:

γ :=∂2C

∂S2= . . . =

1Stσ

√T − t

φ(d1)︸ ︷︷ ︸>0

monoton wachsend in S

=⇒ mit steigendem Aktienkurs wächst die Hedgeratio

Theta-Faktor

Θ :=∂C

∂t= . . . = −Ke−σ(T−t)

2√T − t

Φ(d2) + rΦ(d2)]< 0

=⇒ Wert des europäischen Calls ist wachsend in der Restlaufzeit (T − t)Rho-Faktor

ρ :=∂C

∂r= . . . = (T − t)Ke−r(T−t)Φ(d2) > 0

=⇒ Wert des Calls steigt mit wachsendem Zins

Omega- oder auch Vega-Faktor

ω :=∂C

∂σ= . . . =

√T − t Stφ(d1) > 0

=⇒ Wert des europäischen Calls steigt mit wachsender Volatilität

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5.7 Hedging-Strategien

Beispiel: Europäischer CallAktueller ZP t 6 WochenLaufzeit T 26 WochenRestlaufzeit τ = T − t 20 Wochen = 0.3846 aStetiger Jahreszins r 5% p.a.Jahresvolatilität σ 20%aktueller Aktienkurs St 98eAusübungspreis K 100eBank verkauft europäischen Call auf 105 Aktien für 6.0 · 105eWert nach Black-Scholes (≈) 4.8 · 105eRisikoprämie 1.2 · 105eWir betrachten im Folgenden verschiedene Risikomanagementstrategien1. Ungedeckte Position (naked position): Nichts tunFalls ST = 120e entstehen für die Bank Kosten in Höhe von

105 · (ST −K)+︸ ︷︷ ︸20Euro

= 2 · 106e 6 · 105e

Falls ST ≤ 100e beträgt der Gewinn der Bank

6 · 105e

2. Gedeckte Position (covered position)Nach Verkauf der Option zum Zeitpunkt t kauft die Bank sofort 105 Aktien zum Preis von105 · 98e = 9.8 · 106eFalls ST > K, Lieferung der Aktien zum Zeitpunkt T zum Preis von

105 · 100e = 107e

Dieser Betrag wird abgezinst auf den Zeitpunkt t und beträgt dann

≈ 9.8 · 106

Der Gewinn der Bank beträgt in diesem Fall also

≈ 6 · 105e

Falls ST ≤ K, z.B. ST = 80e, entsteht ein Kursverlust in Höhe von

105 · 18e = 106 · 1.8e 6 · 105e

Ergo: Die beiden Strategien 1 und 2 sind unbefriedigend!Nach Black-Scholes entstehen im Mittel Kosten von 4.8 · 105e3. Stop-Loss-StrategieKauf der Aktien sobald St′ > KVerkauf der Aktien sobald St′ < K=⇒ Kosten entstehen nur, falls S0 > K=⇒ Kosten für Stop-Loss-Hedgen:

max(S0 −K, 0)︸ ︷︷ ︸<C(S0,T )!

Arbitrage-Möglichkeit?

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• Transaktionskosten nicht berücksichtigt

• Zinsverluste durch Kapitalbindung

• Verluste durch Einkaufspreis K + δ und Verkaufspreis K − δ für ein δ > 0

4. Delta-HedgenMache Wert des Portfolios unempndlich gegen kleine Schwankungen der zugrundeliegen-den Aktie innerhalb kleiner Zeitintervalle ∆t:

Kaufe ∆C ≈ ∆S · ∂C

∂S︸︷︷︸Delta-/Hedgeratio

Anteile an Aktie

Beispiel:Bank verkaufe europäischen Call auf 2000 Aktien zum Preis von C = 10e/AktieFerner sei ∆ = 0.4Zum Hedgen kauft die Bank ∆ · 2000 = 800 AktienAktie steigt um 1e =⇒ Wert des Portfolios steigt um 800e=⇒ Wertsteigerung des Calls auf 1 Aktie: ∆C = ∆ ·∆S = 0.4e=⇒ Wertsteigerung aller Calls 0.4e · 2000 = 800e ( = Verlust für die Bank)Also nimmt die Bank eine sog. ∆-neutrale Position ein.5. Dynamisches HedgenUmstrukturierung des Portfolios gemäÿ der die Option duzplizierenden HandelsstrategieProbleme:

• Transaktionskosten

• Dierenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis der Aktien

6. Verfeinerung des Delta-Hedgens

∆C = (S + ∆S, t+ ∆t)− C(S, t)

=∂C

∂S︸︷︷︸∆

·∆S +∂C

∂t︸︷︷︸Θ

Zeitverfall

·∆t+12∂2C

∂S2︸︷︷︸Γ

∆S2︸︷︷︸∼∆t

+0(∆t)

Also

∆C ≈ ∆ ·∆S + Θ ·∆t+12Γ ·∆S2

Liegt beim Verkäufer der Call-Option ein bereits ∆-neutrales Portfolio vor, so kann diesesdurch Kauf oder Verkauf von Derivaten auch Γ-neutral gemacht werden (Aktien oderTerminkontrakte sind dazu nicht geeignet, da diese ein konstantes ∆ besitzen, also Γ = 0).

5.8 Schätzung der Volatilität

• aus historischen Daten

Probleme:

log-Returns sind nicht unabhängig

Volatilität zeitlich nicht konstant

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• mittels impliziter (implizierter) Volatilität

Beobachtung: implizite Volatilität hängt vom Strike K und der Restlaufzeit τ = T−tab (bei demselben Underlying).

Die Wahrscheinlichkeit von Börsencrashs wie 1987 ist bei Annahme des BS-Modells prak-tisch gleich Null=⇒ linke Tails (Flanken) der rechtsschiefen Lognormalverteilung zu dünnDie tatsächlich höher liegende Wahrscheinlichkeit eines Crashs wird durch eine Erhöhungder angenommenen Volatility in der Bewertung von Optionen mit niedrigem Strike K vomMarkt vorgenommen

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6 Spezielle Derivate

Beispiele für spezielle Derivate:

• Aktien-, Devisen-, Rohsto- und Energiederivate

• Zinsderivate

• Kreditderivate

• Realoptionen

6.1 Kreditderivate

Das Risiko, dass eine Einzelperson, eine Firma oder ein Staat einen Kredit nicht wie verein-bart zurückzahlt, wird als Kreditrisiko bezeichnet. Kreditderivate dienen zur Absicherungdieses Risikos.

• Ausfallwahrscheinlichkeit (probability of default, PD): Wahrscheinlichkeit, dass einKredit oder eine Anleihe nicht wie vereinbart zurückgezahlt wird

• Verlustquote (loss given default, LGD): prozentualer Verlust gemessen am gesamtenKreditvolumen, den ein Kreditgeber verliert, wenn der Schuldner ausfällt.

• Erlösquote (recovery rate, RR): 1− LGD

• Nominal (N): Nominalbetrag, z.B. die Kreditsumme oder eine frei vereinbarte Gröÿe

6.2 Credit Default Swaps

Das am häugsten gehandelte Kreditderivat ist der Credit Default Swap (CDS).Denition. Ein Credit Default Swap ist ein Vertrag zwischen zwei Parteien A und B, dassA an B eine Zahlung in Höhe von

Verlustquote · Nominalbetrag (= LGD ·N)

bezahlt, falls bei Partei C zu einem zufälligen Zeitpunkt τ innerhalb eines Zeitraumes [0, T ]ein Kreditereignis auftritt. Im Gegenzug zahlt B an A regelmäÿig einen festen Betrag s(Prämie).

• A: Sicherungsverkäufer (protection seller), z.B. Versicherung

• B: Sicherungskäufer (protection buyer), z.B. Bank, Spekulant

• C: Referenzaddresse (reference entity), z.B. Firma oder Staat

• τ : zufälliger Zeitpunkt des Kreditereignisses (credit event), z.B. Verzug oder Ausfallder Zins- oder Tilgungszahlungen, Insolvenz

T Laufzeitende des CDS

0 = t0 < t1 < . . . < tn = T vorgegebene Zeitpunkte

Die Prämienzahlung s bei einem CDS wird in der Regel in Basispunkten angegeben (Viel-fache von hundertstel Prozent, bezogen auf den vereinbarten Nominalbetrag N) und dann

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über die Laufzeit des CDS bis zum (zufälligen) Ausfallzeitpunkt τ regelmäÿig gezahlt (be-ginnend mit t1).

s bezieht sich dabei auf die gewählte Zeiteinheit (typischerweise 1 Jahr). Bei einer viertel-jährlichen Zahlweise muss A also Ns/4 Geldeinheiten an B leisten.

Tritt das Kreditereignis τ zwischen zwei Zeitpunkten auf, so bezahlt der SicherungskäuferB noch die anteilige Prämie (accrued premium) τ−ti−1

ti−ti−1s an den Sicherungsverkäufer A.

s wird auch CDS-Spread genannt.Der oben denierte CDS ist ein single name CDS, da er sich nur auf eine Referenzadressestützt.Es gibt auch multi name CDS, die auf einem Pool von Referenzadressen basieren, z.B. dieCollateralized Debt Obligation (CDO) oder die Index-CDS.Ähnlich einem Zinsswap, bei dem feste Zinszahlungen mit variablen Zinszahlungen ge-tauscht werden, weist ein CDS zwei Zahlungsströme auf:

• den Premium Leg, der bis zum Kreditereignis τ feste Zahlungen garantiert, und

• den Protection Leg, der, falls das Kreditereignis τ zum Verfallsdatum T eingetretenist, eine Zahlung in einer von der zufallsabhängigen Verlustquote abgeleiteten Höhegarantiert.

Zur Bewertung eines CDS gehen wir davon aus, dass der Werteprozess S der Referenz-adresse C (z.B. Unternehmenswert) bekannt ist und diese Werte wie eine Aktie handelbarsind. Man könnte z.B. im einfachsten Fall davon ausgehen, dass dieser Werteprozess einergeometrischen Brownschen Bewegung folgt. Weiter gehen wir davon aus, dass ein Tages-geldkonto mit möglicherweise zeitabhängiger stochastischer Zinsrate r verfügbar ist. Untergeeigneten Voraussetzungen an diesen Werteprozess kann angenommen werden, dass dieserMarkt arbitragefrei und vollständig ist.Desweiteren nehmen wir an, dass die zugrundeliegende Filtration die von der zufälligenZeit τ erzeugte σ-Algebra enthält.Unter gewissen Voraussetzungen kann dann angenommen werden, dass ein zum zugrun-deliegenden Wahrscheinlichkeitsmaÿ P äquivalentes W-Maÿ P ∗ existiert, unter dem derabgezinste Werteprozess der Referenzadresse C ein Martingal ist.Für den nächsten Satz verwenden wir:

∆i := ti − ti−1

∆(ti−1, u) := u− ti−1

undS(t, u) := P ∗(τ > u | Ft)

die bedingte Wahrscheinlichkeit ist, dass bis u kein Kreditereignis stattgefunden hat, ge-geben die bis zum Zeitpunkt t verfügbare Information.

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6.3 Bewertung des CDS

Satz 6.1. Der zum Zeitpunkt t ∈ [0, T ] gültige Wert eines CDS mit Nominal N , bekannterRecovery Rate RR, CDS-Spread s und Fälligkeit in T , der sich auf eine Referenzadressemit zufälligem Ausfallzeitpunkt τ > t bezieht, lautet aus Sicht des Sicherungsnehmers

VCDS(t) = VProtection(t)− VPremium(t), t ∈ [0, T ]

wobei

VProtection(t) = N(1−RR)∫ T

0exp

(−∫ u

trv dv

)(−dS(t, u))

VPremium(t) = Ns

n∑i=1

∆i exp(−∫ ti

trv dv

)S(t, ti)

+Ns

n∑i=1

∆(ti−1, u) exp(−∫ u

trv dv

)(−dS(t, u))

Löst man VCDS(t) = 0 für einen festen Zeitpunkt t nach s auf, erhält man den für dieLaufzeit [t, T ] fairen CDS-Spread sfair.

Die obigen Integrale werden in der Praxis mittels numerischer Integration approximiert.

Im Intensitätsmodell wird der zufällige Ausfallzeitpunkt τ als exponentialverteilte Zufalls-variable

S(0, t) = P ∗(τ > t) = exp(−∫ t

0h(s) ds

)mit einer integrierbaren nichtnegativen deterministischen Funktion h (Intensitätsfunktion,Hazardrate) modelliert.

In der Praxis wird zur Bestimmung der Hazardrate h angenommen, dass h zwischen den amMarkt notierten Spreads stückweise konstant ist. Unter Verwendung der laufzeitabhängigenZinsraten kann daraus h geschätzt werden (Bootstrapping).Im Fall h(s) = λ > 0 gilt

S(0, t) = e−λt

Nimmt man eine konstante laufzeitunabhängige stetige Zinsrate r, eine konstante Hazard-funktion h(s) = λ, eine feste Erlösquote RR und eine zeitstetige Prämienzahlung (∆i → 0)an, so ergibt sich die als credit triangle bezeichnete Formel:

λ =sfair

1−RR

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7 Literatur

Zur Einstimmung:

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Lehrbücher, Monographien und Originalarbeiten zur Finanzmathematik (ins-

besondere zur Bewertung von Derivaten)

• Bingham NH, Kiesel R. Risk-Neutral Valuation Pricing and Hedging of FinancialDerivatives. 2nd ed. Springer 2004.

• Delbaen F, Schachermayer W. The Mathematics of Arbitrage. Springer 2006.

• Di Nunno G, Øksendal B, Proske F. Malliavin Calculus for Lévy Processes withApplications to Finance. Springer 2009.

• Elliot RJ, Kopp PE. Mathematics of Financial Markets. 2nd ed. Springer 2005.

• Franke J, Härdle W, Hafner C. Einführung in die Statistik der Finanzmärkte. Sprin-ger 2001.

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• Hull JC. Fundamentals of Futures and Options Markets. 4th ed. Prentice Hall 2001.

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• Reitz S. Mathematik in der modernen Finanzwelt: Derivate, Portfoliomodelle undRatingverfahren. Vieweg+Teubner 2010.

• Sandmann K. Einführung in die Stochastik der Finanzmärkte. Springer 1999.

• Shiryaev AN. Essentials of Stochastic Finance. World Scientic 2000.

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• Shreve SE. Stochastic Calculus for Finance I The Binomial Asset Pricing Model.Springer 2004.

• Shreve SE. Stochastic Calculus for Finance II Continuous-Time Models. Springer2004.

• Sondermann D. Introduction to Stochastic Calculus for Finance A New DidacticApproach. Springer 2006.

• Wilmott, P. Howison S, Dewynne, J. The Mathematics of Financial Derivatives: AStudent Introduction. Cambridge 1997.

• Wilmott P, Dewynne J, Howison S. Option Pricing: Mathematical Models and Com-putation. Oxford Financial Press 1997.

Eine gut lesbare Einführung in die Theorie der Stochastischen Prozesse

• Brzezniak Z, Zastawniak T. Basic Stochastic Processes. Springer 1999.

Lehrbücher und Monographien zu Stochastischen Dierenzialgleichungen und

zur Stochastischen Analysis auf mittlerem Niveau

• Arnold L. Stochastische Dierentialgleichungen. Oldenbourg 1973.

• Durrett R. Stochastic Calculus A Practical Introduction. CRC Press 1996.

• Gard, TC. Introduction to Stochastic Dierential Equations. Marcel Dekker 1988.

• Klebaner FC. Introduction to Stochastic Calculus with Applications. 2nd ed. ImperialCollege Press 2005.

• Øksendal B. Stochastic Dierential Equations: An Introduction with Applications.6th ed. Springer 2005.

Anspruchsvolle Theorie zur Stochastischen Analysis

• Karatzas I, Shreve SE. Brownian Motion and Stochastic Calculus. Springer 1999.

• Malliavin P. Stochastic Analysis. Springer 1997.

• Protter P. Stochastic Integration and Dierential Equations: A New Approach. 2nded. Springer 2004.

• Revuz D, Yor M. Continuous Martingales and Brownian Motion, Springer 1999.

• Rogers LCG, Williams D. Diusions, Markov Processes and Martingales. Vol 1 and2. 2nd edition. Cambridge Mathematical Library 2000

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