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Früh übt sich – Wie Zeitungen junge Leser gewinnen Mehr Kinder und Jugendliche für Zeitungen zu begeistern, das gehört derzeit zu den größten Herausforderungen für die Verla- ge. Dabei hat sich eine Erkenntnis durchgesetzt: Erst in weiter- führenden Schulen mit medienpädagogischen Projekten zu starten, ist zu spät. Deshalb verstärken die Zeitungen ihr Engagement im Vorschul- und Kindergartenbereich massiv, um frühestmöglich Spuren im Kopf der Kleinen zu hinterlassen.

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Junge Zielgruppen für Zeitungen zu begeistern, das gehört derzeit zu den größten Herausforderungen für die Verlage. Dabei hat sich eine Erkenntnis durchgesetzt: Erst in weiterführenden Schulen mit medienpädagogischen Projekten zu starten, ist zu spät. Deshalb verstärken die Zeitungen ihr Engagement im Vorschul und Kindergartenbereich massiv, um frühestmöglich Spuren im Kopf der Kleinen zu hinterlassen. Der Artikel "Früh übt sich - Wie Zeitungen junge Leser gewinnen" von Anja Pasquay ist im BDZV-Jahrbuch "Zeitungen 2013/14" erschienen.

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Früh übt sich – Wie Zeitungen junge Leser gewinnen

Mehr Kinder und Jugendliche für Zeitungen zu begeistern, dasgehört derzeit zu den größten Herausforderungen für die Verla-ge. Dabei hat sich eine Erkenntnis durchgesetzt: Erst in weiter-führenden Schulen mit medienpädagogischen Projekten zu starten, ist zu spät. Deshalb verstärken die Zeitungen ihrEngagement im Vorschul- und Kindergartenbereich massiv, um frühestmöglich Spuren im Kopf der Kleinen zu hinterlassen.

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Wenn derzeit über redaktionelle Aktivitätender Zeitungen für die jungen Zielgruppen ge-sprochen wird, kommen die Neuigkeiten vorallem aus dem Bereich für Kinder. Bei Jugend-lichen und jungen Erwachsenen muss manhingegen nach neuen Angeboten insbeson-dere in den gedruckten Ausgaben deutlich län-ger suchen. Ausnahmen wie die wöchentlicheSeite „jetzt“ in der „Süddeutschen Zeitung“(München) bestätigen die Regel.

Tatsächlich wenden sich fast alle „Leuchtturm-projekte“ deutscher Zeitungshäuser, die inden zurückliegenden zehn Jahren nationaloder sogar international Lob und Anerken-nung gefunden haben, an die Gruppe derSechs- bis Zehnjährigen – oder sogar an Vor-schulkinder.

Zu nennen wäre da etwa die Kinder-Uni des„Tübinger Tagblatts“, die mittlerweile weltweitNachahmer gefunden hat. Das MedienhausBauer in Marl ging erstmals mit einem Lese-förderungsprojekt in die Kindergärten und in-spirierte damit Verlage landauf, landab zu pä-dagogischen Angeboten für Vorschüler, diezwar vielleicht noch nicht lesen, aber mit einergedruckten Zeitung trotzdem wunderbar spie-len und lernen können.

Der „Hellweger Anzeiger“ in Unna war der Ers-te, der täglich eine ganze Seite für Kindernach-richten freiräumte und die zwischenzeitlicheStabilisierung der Auflage unter anderem aufdieses besondere Angebot für junge Familienmit Schulkindern zurückführte. Fast parallelstartete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ih-ren Kindernachrichtendienst mit einem tägli-chen Angebot an Artikeln, Schaubildern undOnline-Beiträgen für Sechs- bis Zwölfjährige,das in dieser Form international einzigartig ist.

Auch der Medienführerschein Presse, denDritt- und Viertklässler an bayerischen Schu-len dank der Zusammenarbeit des VerbandsBayerischer Zeitungsverleger (VBZV) mit dembayerischen Kultusministerium erwerben kön-nen, hat eine ungewöhnliche Komponente:Gab es bis dato schon im Rahmen verschie-dener Grundschulprojekte den „Lesepass“,der Kindern die erworbene Lesekompetenzabschließend bescheinigte, so endet der Medienführerschein Presse mit einem Test.Durchfallen ist wie beim Erwachsenen-Vorbildmöglich. Dann muss das Kind noch einmalran, ganz wie bei den Großen.

Bemerkenswerterweise verbinden sich mitdem Begriff des „Führerscheins“ zusätzlich

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Von Anja Pasquay

positiv konnotierte Elemente wie beispielsweiseMobilität und selbstständig navigieren zu kön-nen. Beides sind Kompetenzen, die in der zu-nehmend digitalen Medienwelt auch für Kinderimmer wichtiger werden.

Das Zeitungsmonster geht zur Schule

Manchmal wächst auch aus bereits Vorhan-denem ein neues Angebot. So kann sogar einlila Monster der Ursprung für eine wöchentli-che Kinderzeitung sein: „Kruschel“ heißt dasknuddelige Vieh, das in Mainz und Umgebungzuerst als Logo und Identifikationsfigur beiKinderaktivitäten in der „Allgemeinen Zeitung“diente, dann als Maskottchen mobil machteund 2012 schließlich einer Kinder-Abozeitungder Verlagsgruppe Rhein Main Gesicht undNamen gab.

Die Marktforschung des Hauses hatte prognos-tiziert, dass „optimistisch“ 3.352 Exemplarevon „Kruschel“ abgesetzt werden könnten,„realistisch“ seien es 1.862 Abonnements.Grundlage war die Zahl der Haushalte im Ver-breitungsgebiet mit Kindern im passenden Alter. Gut ein Jahr nach Erscheinen der erstenAusgabe zählt „Kruschel“ im Sommer 2013bereits 4.000 regelmäßige Käufer. Und mit Be-ginn des neuen Schuljahrs soll die Auflagemöglichst weiter gesteigert werden. Denndann geht das Monster in die Schule.

Die hier beschriebenen Beispiele stehen Parspro Toto. Es sind Schlaglichter auf die typischmittelständisch geprägte Zeitungslandschaft,die ihren Lesernachwuchs nicht mehr erst inder Gruppe der 14- bis 19-Jährigen sieht, son-dern die bereits bei den Kleinen ansetzt. Zu-

dem wird die Gewinnung künftiger Leser, Nut-zer und Abonnenten immer stärker mehrglei-sig gefahren.

Die lokale oder regionale Verortung der Zei-tungsprojekte für die jüngste Zielgruppe hatden Vorteil, dass sehr viele sehr verschiedeneIdeen und kreative Einfälle verwirklicht wer-den. Sie bringt allerdings auch den Nachteilnur geringer Durchschlagskraft für den Zei-tungsmarkt als Ganzes mit sich. Im schlech-testen Fall führt die regionale Fokussierungzum Verlust von Know-how, wenn erfolgreicheProjekte etwa aufgrund von Mitarbeiterwech-seln in den Verlagen oder einer verändertenStrategie nicht fortgeführt werden.

Wissenstransfer notwendig

Hier für mehr Nachhaltigkeit zum Nutzen allerZeitungen zu sorgen, war das Leitmotiv dervom Bundesverband Deutscher Zeitungsver-leger (BDZV) 2006 erstmals in Berlin ausge-richteten Konferenz „Kinder – Jugend – Zei-tung“, die im Februar 2013 schon zum achtenMal veranstaltet wurde. Dieser Ansatz desNetzwerkes von Zeitungen für Zeitungen liegtauch der 2011 von BDZV und tbm Marketing(Burgwedel) gemeinsam gegründeten jule: Ini-tiative junge Leser GmbH zugrunde, die mitt-lerweile 70 Mitgliedsverlage zählt.

Bei allen Schwierigkeiten, den Erfolg des wach-senden Engagements der Zeitungen für Kinderheute schon in Euro und Cent auszudrücken,gibt es für den Zugewinn an Image doch un-missverständliche Hinweise: So verleiht derWeltverband der Zeitungen und Nachrichten-medien (WAN-IFRA) bereits seit 1998 den

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August 2013 veröffentlichte KidsVerbraucher-Analyse (KidsVA) aus dem Berliner EgmontEhapa Verlag zeigt, greifen drei von vier Kin-dern im Alter zwischen sechs und 13 Jahrenregelmäßig zu Kindermagazinen. Der Wertblieb in den vergangenen Jahren stabil. Fernerist laut KidsVA eine Erkenntnis aus der Er-wachsenenwelt eins zu eins auf die junge Ziel-gruppe übertragbar: „Kinder, die Zeitschriftenlesen, sind generell medial interessierter“,heißt es da.

Laut Studie nutzen Kinder mit mehrmaligerZeitschriftenlektüre pro Woche zum Beispielauch überproportional Bücher (126 bei einemIndexwert von 100), Hörspiele/Hörbücher(120) und Videofilme/DVD (118). Internet(104) und Computer (103) liegen kaum überdem Index. Hier nimmt zwar die Nutzung bei

den Sechs- bis Neunjährigen leicht zu, docherst die Zehn- bis 13-Jährigen gehen regelmä-ßig ins Internet: 89 Prozent geben an, täglichoder fast täglich online zu sein, was sicherauch mit dem Übertritt auf weiterführendeSchulen und den Anforderungen des Unter-richts zu tun haben dürfte.

So sehr mit dem steigenden Alter die Begehr-lichkeit der Kinder auf Handy und PC, Smart -phone und Tabletcomputer steigt – Büchersind vom Einzug des Digitalen in die Kinder-zimmer bisher noch weitgehend ausgenom-men: Nur zehn Prozent der befragten Sechs-bis 13-Jährigen lesen elektronische Bücherauf E-Reader oder Tablet-PC.

Sicherlich macht sich hier auch der Einflussder Eltern noch stark bemerkbar. So berichte-

World Young Reader Prize für vorbildliche undnachhaltige Zeitungsprojekte mit Kindern, Ju-gendlichen und jungen Leuten. Ein deutscherTitel wurde erstmals 2008 ausgezeichnet. Die„Rheinische Post“ (Düsseldorf) erhielt einender fünf Hauptpreise für ihr „News to Use“-An-gebot an Auszubildende. Seither stand fast je-des Jahr wieder eine Zeitung aus Deutschlandauf dem Gewinnerpodest: 2009 die „Neue Os-nabrücker Zeitung“, 2010 „Der Tagesspiegel“(Berlin), 2012 die „Westdeutsche Zeitung“ ausDüsseldorf.

Obendrein ging eine Fülle an Belobigungenund besonderen Erwähnungen an die Verlage,darunter „Hellweger Anzeiger“ (Unna), „Heil-bronner Stimme“, sh:z Schleswig-Holsteini-scher Zeitungsverlag (Flensburg), „SüdwestPresse“ (Ulm), „Berliner Zeitung“, „Welt Kom-pakt“ (Berlin), „Hamburger Abendblatt“ und„Braunschweiger Zeitung“.

Verlage investieren in Jugendwebsites

Ausgezeichnet wurden mit wenigen Ausnah-men immer redaktionelle oder pädagogischeAngebote für Kinder beziehungsweise fürGrundschulklassen. Parallel ist zu beobach-ten, dass die deutschen Zeitungen ihr redak-tionelles Angebot für Kinder auch quantitativdeutlich ausgeweitet haben. Eine Umfrage vonBDZV und jule aus dem Fe bru ar 2013 zeigt,dass 77 Prozent der teilnehmenden Verlagemittlerweile eine Kinderseite veröffentlichen.Ein Drittel publiziert Kindernachrichten. Eineeigene Kinderzeitung legen wöchentlich odermonatlich 19 Prozent der Verlage bei und 23Prozent sind auch online speziell für die jüngs-te Zielgruppe da.

Gegenüber der letzten Umfrage aus dem Jahr2006 bedeutet dies einen Zuwachs um 20 Pro-zent bei Kinderseiten und Kindernachrichten,der Online-Bereich wuchs um 17 Prozent.Während bei Kindern die gedruckte Zeitungals Trägermedium deutlich im Vordergrundsteht, haben sich bei den Zeitungsinhalten fürJugendliche und junge Leute die Akzente ver-schoben: Hier sollen immer häufiger Online-Inhalte statt Jugendseiten zum Surfen durchNachrichten, Unterhaltung und Informationenanregen. Hatten 2006 noch rund 70 Prozentder Verlage eine eigene Jugendseite, waren es Ende 2012 nur noch 54 Prozent. Eine eigeneJugendwebsite bieten 24 Prozent an (2006:18 Prozent).

55 Prozent der Kinder- und Jugendangeboteerscheinen mittlerweile täglich. Enorm zugelegthaben aber auch die pädagogischen Projekteder Zeitungen. Aktuell bieten drei Viertel derVerlage (75 Prozent) Leseförderungsak tionenwie „Zeitung in der Schule“ an; 2006 waren es 66 Prozent. 63 Prozent offerieren „Zeitungin der Grundschule“ (2006: 34 Prozent). Und17 Prozent gehen mit der Zeitung in den Kin-dergarten (2006: sechs Prozent). Vergleichs-weise neu sind Förderprojekte für Auszubilden-de. Allein 2012 hatten 41 Prozent der Verlagediese Maßnahme für Unternehmen und Betrie-be und deren Auszubildende in ihrem jeweili-gen Verbreitungsgebiet auf der Agenda.

Lesen als Schlüssel zum Schulerfolg

Der Blick über den Tellerrand, zu den Kinder-zeitschriften, zeigt, dass das Interesse analtersgerechtem, periodisch erscheinendemLesestoff unverändert hoch ist. Wie die im

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Studie 206Studie 2012

Azubi-Projekte

Zeitungen in der Schule

Zeitungenin der Grundschule

Zeitungenim Kindergarten 6%

34%

66%

k.A.

17%

63%

75%

41%

Schaubild 1 Medienpädagogische Projekte von deutschen Zeitungen

Quelle: Kinder- und Jugendstudie 2012 von BDZV und jule BP4213

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te die Medienpädagogin Karin Viertel beim 3. Kindermedienkongress der Akademie desdeutschen Buchhandels im November 2012in München aus ihrer Beratungspraxis, dassbei Eltern bisher grundsätzlich eher Skepsisgegenüber digitalen Medien für Kinder herr-sche, während Gedrucktes durchgehend posi-tiv beurteilt werde. Ihr Resümee: „Eltern wis-sen, Leseerfolg ist gleich Schulerfolg.“

Frühkindliche Projekte ausweiten

So oder so ähnlich könnte das auch der Wies-badener Neurowissenschaftler Professor Die-ter F. Braus formulieren. Aus seiner Sicht liegendie größten und bisher weitgehend ungenutz-ten Chancen für die Verlage in frühkindlichenund vorschulischen medienpädagogischenProjekten. „Sie können gar nicht früh genugdamit anfangen, Spuren zur Zeitung im Kopf

der Kinder zu hinterlassen“, empfahl der Wis-senschaftler bei der bereits erwähnten 8. BDZV-Konferenz „Kinder – Jugend – Zeitung“. Es seiein sinnvoller Einsatz von Ressourcen, wennZeitungen noch intensiver als bisher in Pro-gramme wie Zeitung im Kindergarten und inder Grundschule investierten. Denn in diesemAlter seien die Kinder besonders aufgeschlos-sen für neue, herausfordernde Aufgaben.„Und die Zeitung ist eine spannende Heraus-forderung.“

Vor einem zu frühen Einsatz von elektronischenMedien warnte Braus dagegen nachdrücklich.Nach seiner Erkenntnis lernen Menschen amschnellsten nicht durch „Trial and Error“, son-dern durch Beobachten, Imitieren und sozialeInteraktion. So erlernten sehr kleine KinderSprache beispielsweise nicht durch elektroni-sche Medien; diese nähmen sie nur als Be-

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schallung und Rauschen wahr. Jede Stunde,die ein Kind, das jünger als 16 Monate ist, mitelektronischen Medien verbringe, führe zu ei-ner „signifikanten Sprachverschlechterung“.

Ältere Kinder und insbesondere Jugendlichekönnten jedoch durch elektronische Medienauch positiv stimuliert werden. Zu bedenkengelte es jedoch immer, dass Kinder unter 13Jahren größte Schwierigkeiten hätten, virtuelleRealität, wie sie in Computerspielen abgebil-det werde, und die reale Welt zu unterschei-den. „Man muss sich Gedanken machen, zuwelcher Lebenszeit man Kindern und Jugend-lichen was anbietet“, forderte der Wissen-schaftler.

Irgendwann wird, auch das ist klar, den Elterndie Hoheit über die Inhalte, mit denen sich ihre Kinder beschäftigen (dürfen), aber mehroder weniger offensiv aus der Hand genom-men. Der Münchner Journalist Anatol Locker,der sich beruflich viel mit elektronischen Spie-len beschäftigt, hat dafür eine Faustregel parat: Bei Kindern unter acht Jahren entschei-den die Eltern. Dann gehen die Kinder zuneh-mend online, und ab zwölf Jahren spielen sieSpiele, die sie nicht spielen sollten – also miteiner Altersbegrenzung für 16-/18-Jährige. 14-Jährige schließlich spielen, was sie wollen.

Studie 206Studie 2012

Jugendwebsites

Kinderwebsites

gedruckte Jugendseiten

gedruckte Kinderseiten57%

70%

6%

18%

77%

54%

23%

24%

Schaubild 2 Angebote deutscher Zeitungen für Kinder und Jugendliche

Quelle: Kinder- und Jugendstudie 2012 von BDZV und jule BP4313

Die AutorinAnja Pasquay, Pressereferentinbeim BDZV, Berlin