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Entschlüsselung und Nutzung von Bakterien-Genen GenoMik – Genomforschung an Mikroorganismen BMBF PUBLIK

GenoMik – Genomforschung an Mikroorganismen · Entschlüsselung und Nutzung von Bakterien-Genen GenoMik – Genomforschung an Mikroorganismen BMBF PUBLIK

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Entschlüsselung und Nutzung von Bakterien-Genen

GenoMik – Genomforschung an Mikroorganismen

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Impressum

HerausgeberBundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)Referat Öffentlichkeitsarbeit53170 Bonn

BestellungenSchriftlich an den HerausgeberPostfach 30 02 3553182 Bonn

oder telefonisch unter derRufnummer 01805-BMBF02bzw. 01805-262302Fax: 01805-BMBF03bzw. 01805-262303 0,12 Euro/Min.

E-Mail: [email protected]: http://www.bmbf.de

RedaktionDr. Monika Offenberger (München)Dr. Michael Ochel (Projektträger Jülich PTJ)Dr. Hans-Peter-Peterson (ProjektträgerJülich PTJ)

TextDr. Monika Offenberger (München)

GestaltungWeber Shandwick

DruckereiWarlich Druck Köln GmbH

StandSept. 2003

Gedruckt auf Recyclingpapier

Bildnachweise

Combinature Biopharm AG, Berlin: Titelbild, 10,12 ADegussa AG, Halle/Westfalen: 11 lGEOMAR, Projekt TECFLUX: 7 uGBF, Braunschweig: 5 l (H. Reichenbach), 5 r (M. Rohde, K. Rottner),

18 (J. Wehland), 36 (H. Lünsdorf), 39 (K. Gerth)Inst. f. Biotechnologie am Forschungszentrum Jülich:11 rInst. f. Chemische Enzymologie, Univ. Moskau: 23 u (V.I. Tishkov)Inst. f. Hygiene und Mikrobiologie, Univ. Würzburg:

20 (S. Suerbaum und C. Josenhans), 21 lInst. f. Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene,

Univ. Rostock: 15 (A. Podbielski)Inst. f. Mikrobiologie, Univ. Greifswald: 26Inst. f. Mikrobiologie, Univ. Kaiserslautern: 17 oInst. f. Mikrobiologie und Genetik, Univ. Göttingen:

27 l (M. Hoppert, O. Fütterer), 29, 31 oInst. f. Molekulare Infektionsbiologie, Univ. Würzburg:

14 (H. Merkert), 17 u (Projektgruppe Staphylokokken)Inst. f. Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie,

Univ. Münster: 9 (A. Steinbüchel) Inst. f. Technische Biochemie, Univ. Stuttgart: 22 (F. Boes), 16Inst. f. Technische Mikrobiologie, TU Hamburg-Harburg: 7 o, 27 rLehrstuhl f. Genetik, Univ. Bielfeld: 8, 33, 3 (K. Niehaus),

33 l (A. Pühler), 34 l (Transkriptomik-Gruppe), 37Lehrstuhl f. Gentechnologie/Mikrobiologie,

Univ. Bielefeld: 32 (R. Eichenlaub), 34 rLehrstuhl f. Mikrobielle Ökologie, Univ. Wien: 19 (M. Horn und M. Wagner)Lehrstuhl f. Mikrobiologie-Biotechnologie, Univ. Tübingen: 38Max-von-Pettenkofer Institut, Univ. München: 21 r (W.-D. Hardt)MPI f. Biochemie, Martinsried: 28 (Arbeitsgruppe H. Heumann)

und Silantes GmbH, MünchenMPI f. Marine Mikrobiologie, Bremen, 31 r (Projekt MUMM), 4, 25MPI f. Molekulare Genetik, Berlin: 12 B-D (R. Reinhardt)MPI f. Terrestrische Mikrobiologie, Marburg: 24Photodisc: 4 lRobert-Koch-Institut Wernigerode: 23 oUniv. Hamburg, Projekt GHOSTDABS: 31 l

Das Titelbild zeigt Streptomyzeten-Bakterien (s. S.10)

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Entschlüsselung und Nutzung von Bakterien-Genen

GenoMik – Genomforschung an Mikroorganismen

Vorwort 3

Die ersten Bewohnern der Erde Was Bakterien sind und wie sie leben 4Bakterien als Helfer des Menschen 8

Bakterien als Krankheitserreger bei Mensch und Tier 14Kompetenznetz Würzburg/Netzwerk Stuttgart 15Janusköpfige Bakteriengruppe: Gram-positive Kokken(Staphylokokken, Pneumokokken, Streptokokken) 16

Hartnäckige Eindringlinge: Intrazelluläre Bakterien(Listerien, Mykobakterien, Chlamydien) 18

Helicobacter & Co: Gram-negative Krankheitskeime(Neisseria, Enterobakterien, Bordetellen, Pseudomonaden) 20

Antibiotika-Resistenzen: Wenn selbst die schärfsten Waffen stumpf werden 22

Biodiversität der Bakterien und ihre industrielle Nutzung 24Kompetenznetz Göttingen 25Hochleistung für die Waschmittelindustrie: Bacillus licheniformis 26Enzyme arbeiten noch bei 100 °C: Picrophilus torridus 27Genügsame Selbstversorger: Chemolithoautotrophe Bakterien 28Gefragter Produzent von Biomolekülen: Gluconobacter oxydans 29Lebensgemeinschaften mit ungeahnten Potenzialen: Biofilme und Bakterien-Riffe 30

Bakterien mit Bedeutung für Landwirtschaft, Umweltschutz und Biotechnologie 32Kompetenznetz Bielefeld 33Hoffnungsträger für eine nachhaltige Landwirtschaft: Stickstoff fixierende Bakterien 34Mikroben mit Hunger auf Kohl und Tomaten: Clavibacter und Xanthomonas 35Ein Meeresbakterium baut Erdöl ab: Alcanivorax borcumensis 36Erzeugt Lebens- und Futtermittelzusätze: Corynebacterium glutamicum 37Liefern eine Vielzahl neuartiger Wirkstoffe: Streptomyzeten 38Produzieren Krebsmedikamente und Antibiotika: Myxobakterien 39

Kontaktadressen und Internetlinks 40

Förderkonzept GenoMik

Inhalt

Vorwort

Bakterien leben weltweit an fast allen Standorten. Sie zeichnen sich durch eine außer-ordentliche Anpassungsfähigkeit an vielfältigste Lebensbedingungen aus. Diese An-passungsfähigkeit beruht auf einer großen genetischen und metabolischen Flexibilität

und Differenziertheit.Die Fördermaßnahme „Genomforschung an Mikroorganismen – GenoMik“ des BMBF zielt

darauf, dieses enorme genetische und metabolische Potenzial der Bakterien zu erschließen undfür Anwendungen in verschiedensten Wirtschaftsbereichen nutzbar zu machen.

Im Fokus von GenoMik stehen deshalb Bakterien mit Bedeutung für die Landwirtschaft, denUmweltschutz, die Biotechnologie und die chemische Industrie sowie Bakterien mit Bedeutungfür die menschliche Gesundheit.

Die im Rahmen der Fördermaßnahme GenoMik durchgeführten Forschungsprojekte habendas Ziel, die Genomsequenz solcher Bakterien zu analysieren, Funktionen interessanter Geneaufzuklären und die dabei erzielten Ergebnisse konkreten Anwendungen zuzuführen.

In der vorliegenden Broschüre sind dazu eine Vielzahl interessanter Beispiele erläutert, dieverdeutlichen, dass in der Genomforschung an Bakterien der Weg von der Grundlagenforschungbis zur Anwendung oftmals sehr kurz ist. So wurden zum Beispiel bereits kurz nach dem Startder Fördermaßnahme neue Diagnoseverfahren für Krankheitserreger entwickelt oder Ansatz-punkte zur biotechnologischen Synthese von Enzymen gefunden.

Die Fördermaßnahme GenoMik bündelt die in Deutschland vorhandene Expertise auf demGebiet der Genomforschung an Bakterien in drei Kompetenznetzen, die von einer Universitätgeführt und koordiniert werden und jeweils aus ca. 20 Kooperationspartnern aus derakademischen Forschung und der Industrieforschung bestehen. Die gemeinsame Forschung vonPartnern aus dem akademischen Umfeld und aus der Industrie garantiert die konsequenteVerfolgung von anwendungsrelevanten Fragestellungen in der Forschung, die schutzrechtlicheAbsicherung der Forschungsergebnisse und ihre rasche Umsetzung in Anwendungen.

Die Netzwerkkoordinatoren (Universitäten Bielefeld, Göttingen und Würzburg) zeichnensich durch langjährige und herausragende Erfahrungen auf diesem Forschungsgebiet, durcheine kritische Masse an Forschungskapazität, Know-how und technischer Ausstattung sowiedurch Anstrengungen zur Entwicklung neuer Studiengänge und Praktika aus, welche diemoderne Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern ermöglichen.

Die Universität Bielefeld führt das Kompetenznetz „Genomforschung an Bakterien mitBedeutung für die Landwirtschaft, den Umweltschutz und die Biotechnologie“.

Unter der Leitung der Universität Göttingen steht das Netzwerk „Genomforschung anBakterien zur Analyse der Biodiversität und ihrer Nutzung zur Entwicklung neuer Produktions-verfahren“.

Die Universität Würzburg schließlich koordiniert das Kompetenznetz „Genomforschung anpathogenen Bakterien“.

Die Fördermaßnahme GenoMik wurde im Jahr 2001 gestartet. Die erste Förderphase endetim Sommer 2004. Anschließend beginnt eine zweite Förderphase, die bis zum Sommer 2006dauern wird.

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Auge sichtbar sind Bakterien normalerweisenur dann, wenn sich Millionen von ihnen zuschleimigen Zellklumpen oder -schichtenaneinanderlagern. So verrät etwa ein feinesHäutchen auf der Oberfläche eines stehengelassenen Fruchtsaftes die Anwesenheit vonEssigsäurebakterien.

Obwohl Bakterien zu den einfachsten Le-bewesen gehören, nehmen sie ihre Umweltüber verschiedene Sinne wahr: Sie werdenvon bestimmten chemischen Substanzenangezogen, einige Arten auch von Licht, an-dere bewegen sich mittels kleiner „Kompass-nadeln“ aus Magnetitkristallen an magneti-schen Feldlinien entlang. Auf der Suche nachgeeigneten Lebensräumen schwimmen vielevon ihnen mit Hilfe von Geißeln, die mit bis zu 100.000 Umdrehungen pro Minute umsich selbst rotieren.

Bakterien vermehren sich gewöhnlichdurch Zweiteilung, seltener durch Knospungoder Sprossung. Bei der Zweiteilung entste-hen aus einer Zelle zwei gleich große Tochter-zellen, die sich trennen oder auch in Form von Paaren, Paketen oder langen Ketten mit-einander verbunden bleiben. So kommt es,dass – anders, als oft angenommen wird –zahlreiche Bakterien in der Natur vielzelligauftreten. Zwischen zwei Zellteilungen ver-gehen je nach Bakterienart einige Stunden,unter günstigen Umständen nur 20 Minuten.Somit durchlaufen diese Mikroben in wenigen

Bakterien gibt es überall auf der Erde: imBoden und in der Luft, in Staub undSchlamm, in Süß- und Salzwasser, am

Meeresgrund und in den Wolken, in heißenQuellen und im Eis der Gletscher. Sie besie-deln jede Pflanze, jedes Tier und uns Men-schen – ob tot oder lebendig. Manche Bak-

terien bewegen sich mit Hilfe von Geißeln fort, andere finden sich zu langen, algenartigverzweigten Fäden zusammen, wieder anderebilden aus Milliarden von Einzelzellen pilzför-mige Fruchtkörper aus.

Bakterien sind in der Regel nur etwa einenTausendstel Millimeter (= einen Mikrometeroder µm) dick und 2–5 µm lang, also meistkleiner als die kleinste eukaryotische Zelle.Daneben gibt es aber auch Zwerge und Riesen:Nanobakterien in menschlichen Nierensteinenmessen nur 0,3 µm; das im Darm eines Störslebende Epulopiscium fishelssoni bringt esdagegen auf 600 µm. Für das menschliche

Die ersten Bewohner der Erde: Was Bakterien sind und wie sie leben

Ein Tiefenprofil, erstellt durch ein Laser-Raster-Mikroskop, gibt Einblicke in die innere Struk-tur eines bisher nicht kultivierten Süßwasser-bakteriums der Art Achromatium oxaliferum.

Mikroben sind – der Name sagt es schon – mikroskopisch kleinund vom menschlichen Auge nur mit entsprechenden Hilfs-

mitteln zu erfassen. „Lebende animalculi“ – so nannte derniederländische Leinenhändler Anthonie van Leeuwenhoek

die Bakterien, die er um 1680 als erster mit Hilfe einer primiti-ven Linse erblickte. So verschieden die zahlreichen Arten vonBakterien sind, so ist ihnen doch eines gemeinsam: Sie habenkeinen von einer Membran umgebenen Zellkern, der ihr Erb-

gut von den übrigen Zellbestandteilen abgrenzt. Deshalb wer-den sie Prokaryoten (wörtlich: die vor dem Kern) genannt. Alleanderen Organismen – also Tiere, Pflanzen, Pilze und bestimm-

te Einzeller – haben dagegen einen von einer Doppelmem-bran umhüllten Zellkern und werden zu den Eukaryoten

(wörtlich: die mit echtem Kern) zusammengefasst.

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Tagen einige hundert Generationen. Auf-grund ihrer enorm schnellen Vermehrung besiedeln die Winzlinge unseren Planeten in unvorstellbarer Zahl. In nur einem Grammfruchtbarer Ackererde können mehrere hun-dert Millionen von ihnen leben, nicht einge-rechnet die anderen Mikroorganismen wie Pil-ze, Algen und Protozoen. Und selbst in einemKubikmeter Luft finden sich nicht selten vielehundert Bakterien. Auf den gesamten Globushochgerechnet beträgt ihre Summe schät-zungsweise 6 x 1030 Individuen (das sind sechsMillionen Billionen Billionen) und ihre Masseübertrifft die Hälfte der gesamten auf der Erdevorkommenden Biomasse.

Ihre Menge ist also sehr groß, die Zahl der beschriebenen Arten dagegen klein: Rund6000 sind es bis heute – und das ist vermutlichnur ein Bruchteil der vorkommenden Arten.

Rund 200 Bakterienarten sind als Krankheits-erreger des Menschen bekannt und stellenwegen ihrer Fähigkeit, jedes der gegen sie ein-gesetzten Antibiotika irgendwann zu überlis-ten, eine ständige Bedrohung dar. Die über-wältigende Mehrheit der Prokaryoten aber istunverzichtbar für unsere Gesundheit: Darm-bakterien unterstützen die Verdauung derNahrungsmittel, machen Giftstoffe unschädlichund produzieren eine Reihe wichtiger Vitaminewie Folsäure, Biotin, Vitamin K, B6 und B12.Schließlich schützen sie uns – ebenso wie dieregulären Bakterien auf unserer Haut und denSchleimhäuten – vor Krankheitserregern.Zusammengenommen leben auf und in einemgesunden Menschen zehn bis hundert Malmehr Bakterien als er Körperzellen besitzt. Undauch diese unsere Körperzellen sind nur des-halb überlebensfähig, weil in ihrem Inneren die

WEDER TIER NOCH PFLANZE: BAKTERIEN BILDEN EIN EIGENES REICH DER LEBEWESENMitte des 18. Jahrhunderts machte sich der schwedische Naturforscher Carl von Linné daran, alle damals bekanntenOrganismen nach einem einheitlichen System zu benennen und zu ordnen. Vor den Bakterien aber kapitulierte er:Sie landeten in einer Klasse namens „Chaos“. 100 Jahre später stellte Ernst von Haeckel die Winzlinge als Gruppe der „Monera“ an den Fuß seines Stammbaums der Organismen. Ihr Verhältnis zum Rest der belebten Welt bliebjedoch unklar. Zeitweise ordnete man sie als Schizophyta dem Reich der Pflanzen zu, dann wieder wurden sie alsSpaltpilze („Schizomyzes”) den Pilzen zugerechnet. Anfang des 20. Jahrhunderts, als immer mehr Bakterien identifiziert wurden, teilte man sie nach ihrer kugel-, stäb-chen- oder schraubenförmigen Gestalt in Kokken, Bazillen und Spirillen ein und unterschied sie zudem nach ihrenStoffwechselfähigkeiten, nach Form, Anordnung und Beweglichkeit ihrer Zellen sowie nach ihrem Färbeverhalten.So ist es bis heute geblieben. Ein wichtiges Unterscheidungs-Merkmal ist die Gram-Färbung: Je nach dem Aufbauihrer Zellwände färben sich manche Bakterienarten nach Behandlung mit Jodlösung und einem bestimmten Farb-stoff violett („Gram-positive“), andere nicht („Gram-negative“). Solche künstlichen Ordnungskriterien spiegeln allerdings nicht die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse derBakterien wider. Will man diese aufklären, so gelingt das nur über den Vergleich der Makromoleküle, die die Bakte-rienzellen aufbauen, und des zugrundeliegenden Genoms. Zur Bestimmung der genetischen Verwandtschaft eignensich besonders gut die Ribosomen, die Eiweißfabriken der Zellen. Der amerikanische Molekularbiologe Carl Woesefand 1976 heraus, dass sich drei Typen sehr widerstandsfähiger Bakterien in bestimmten Abschnitten ihrer Riboso-men stark ähneln und zugleich von allen übrigen Bakterien abheben. Alle drei leben unter extremen Bedingungenähnlich denen, die vermutlich auch in der Frühzeit der Erde, im Archaikum, herrschten. Sie werden deshalb als eige-nes Reich der „Archaebakterien“ oder „Archaeen“ den „echten Bakterien“ oder „Eubakterien“ gegenübergestellt.

Aus Milliarden von Einzelzellen gebildeter Fruchtkörper des Myxo-

bakteriums Chondromyces crocatus

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme enteropathoge-ner Escherichia coli-Bakterien (EPEC). Die Krankheitserreger(rot angefärbt) infizieren Zellen des menschlichen Binde-gewebes (gelb angefärbt) und bringen sie dazu, füßchenför-mige Auswüchse zu bilden.

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Nachfahren ehemaliger Bakterien leben: dieMitochondrien. Diese Organellen, die wie klei-ne Kraftwerke die Energieversorgung allerEukaryoten sicherstellen, verraten sich durcheine Vielzahl biochemischer Merkmale alsAbkömmlinge urtümlicher Bakterien.

Dasselbe gilt für eine weitere Sorte vonZellorganellen, die allen grünen Pflanzen ihre Farbe verleihen und die Photosynthese

LEBEN UNTER EXTREMEN BEDINGUNGENViele Bakterien verblüffen durch ihre außerordentliche Widerstandskraft. Vertreter der Familie Bacillaceae bil-den als Reaktion auf Nährstoffmangel und andere widrige Umstände Sporen, die extreme Umweltbedingungenüberdauern können. In 300 Jahre alten Herbarien hat man Erdkrümel mit noch lebensfähigen Sporen gefunden.Manche Sporen können selbst durch mehrstündiges Kochen nicht abgetötet werden. Cyanobakterien der Antarktis ertragen sehr tiefe Temperaturen von bis zu –88 °C. Intensives Licht im Sommerund andauernde Dunkelheit im Winter bewirken, dass in der Antarktis manche Cyanobakterien sogar währendihrer Wachstumsperiode abwechselnd einfrieren und wieder auftauen, ohne dabei ihre Lebensfähigkeit einzu-büßen. Scytonema myochrous, ebenfalls ein Cyanobakterium, trocknet im Sommer völlig aus und beginnt beiBefeuchtung wieder zu wachsen. 10.500 Meter tief am Meeresgrund lebt ein Bakterium namens MT 41, d. h., es hält einen Druck von 1.050 baraus. Am besten wächst diese außergewöhnliche „barophile“ Art bei Drücken zwischen 300 und 700 bar.Besonders viele Extremisten finden sich unter den Archaebakterien. Einige thermophile Arten wachsen bevor-zugt bei Temperaturen von 80–85 °C. Pyrodictium occultum überlebt sogar bei 110 °C. Andere Thermophile ver-tragen zusätzlich zu großer Hitze auch starke Säuren bis zu pH 1. Halobacterium und Halococcus kommen inhochkonzentrierter oder gar gesättigter Salzlösung vor. Möglich ist das nur deshalb, weil die Salzkonzentrationim Inneren dieser Archaebakterien ebenso hoch ist wie um sie herum. Das wohl überraschendste Beispiel für Überlebenskunst ist Deinococcus radiodurans: Es kann nach dem Ein-wirken radioaktiver Gammastrahlen seine zerstörte Erbsubstanz wieder zusammensetzen.

In einer pflanzlichen Zellkultur wurde mit einerspeziellen Färbetechnik genetisches Materialgekennzeichnet (grün). Dabei zeigt sich, dassauch die Mitochondrien geringe Mengen an

DNS enthalten (gelb). Diese für die Energieerzeu-gung unverzichtbaren Zellorganellen könnenzudem nur aus sich selbst hervorgehen, nicht

aber von Zellen gebildet werden. Diese Eigen-schaften deuten darauf hin, dass MitochondrienAbkömmlinge eigenständiger (prokaryoter) Zel-len sind, die vor etwa einer Milliarde Jahren von

größeren Zellen „verschluckt“ wurden und als„Endosymbionten“ in ihnen weiterlebten.

ermöglichen: die Chloroplasten. Sie sind ver-mutlich Abkömmlinge von Cyanobakterien.Diese Gruppe von Bakterien hat in der Urzeitder Erde die Luft geschaffen, die wir atmen.Denn ursprünglich enthielt die Erdatmosphä-re nur geringe Spuren von Sauerstoff. Dasänderte sich erst, als die Cyanobakterieneine neue Form der Photosythese erfanden.Zwar hatten bereits lange vor ihnen Grüneund Purpurne Schwefelbakterien mit Hilfedes Sonnenlichtes aus Schwefelwasserstoffden Wasserstoff abgespalten und mit demreichlich vorhandenen Kohlendioxid-Gas zuverschiedenen Zuckern und allen weiterenZellbausteinen zusammengefügt. Den Cyan-obakterien aber gelang es, Wasser stattSchwefelwasserstoff zu spalten – und dabeiwurde, gleichsam als Abfallprodukt, gasför-miger Sauerstoff frei. Jener Prozess begannwohl schon vor drei Milliarden Jahren undnahm etwa vor zwei Milliarden Jahren solcheAusmaße an, dass sich die Erdatmosphäremit dem einst seltenen freien Sauerstoffanreicherte. Diese gigantische, unumkehrba-re „Umweltverschmutzung“ schuf die Voraus-setzung für die Entwicklung aller Sauerstoffatmenden Lebewesen inklusive des Men-schen.

Die Erde ist schätzungsweise 4,5 MilliardenJahre alt. Bereits vor 3,9 Milliarden Jahren könn-te sie von bakterienförmigen Lebewesenbewohnt worden sein. Die frühesten Belegefür deren Existenz stammen aus mindestens3,6 Milliarden Jahre alten Gesteinen aus Süd-afrika und Westaustralien. Schon vor drei Milli-arden Jahren scheinen alle wichtigen Wegedes Energiegewinns stattgefunden zu haben:

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anderer für Eukaryoten lebensnotwendigerBiomoleküle. Hinter diesem ungeheurenPotenzial an biochemischer Aktivität steckteine Vielfalt von Enzymen und letztlich vonGenen, die die Baupläne für diese Enzymeabgeben. Dieser Reichtum an Stoffwechsel-wegen lässt sich nur durch die Entschlüsse-lung der Genome (Gesamtheiten aller Gene)möglichst vieler, unterschiedlicher Bakterien-arten erschließen und nutzbar machen.

„Brennendes Eis“: Aus einem Brocken Methan-hydrat tropft schmelzendes Wasser, währendoben Methangas entweicht, das – um es sicht-bar zu machen – angezündet wurde. Methan-und andere Gashydrate bilden sich bei hohemDruck und niedrigen Temperaturen in denPermafrostgebieten der Erde oder an den Kon-tinentalrändern in Meerestiefen von meh-reren hundert Metern. Am Meeresgrund sindsie von einer Sedimentschicht bedeckt, in derBakterien und Archaeen unter sauerstoff-freien Bedingungen das entweichende Me-than zu Kohlendioxid oxidieren.

neben den beiden (Schwefelwasserstoff bzw.Wasser spaltenden) Formen der Photosyntheseauch die Chemolithotrophie, die Veratmungvon Nitrat, Sulfat und Carbonat im sauerstoff-freien Milieu sowie verschiedene Gärungen.Während Photosynthese betreibende Bakte-rien Licht als Energiequelle verwenden, gewin-nen alle anderen Organismen ihre Energiedurch Reduktions- und Oxidationsreaktionenaus Chemikalien. Der Erfindungsreichtum sol-cher „chemotropher“ Bakterien ist enorm: Sieoxidieren Wasserstoff zu Wasser, Ammoniak zu Nitrit, Nitrit zu Nitrat, zweiwertige zu drei-wertigen Eisenionen, Methan zu Wasser undKohlendioxid. Zahlreiche Schwefelbakterienoxidieren Sulfid zu Schwefel, andere wandelnschwefelhaltige Mineralien oder Schwefel inSchwefelsäure um. Mit Hilfe dieser unterschied-lichen Reaktionen gelingt es den einzelnenBakterienarten, Kohlendioxid aus der Luft mitWasserstoff zu verbinden und dadurch in feste,organische Kohlenstoffverbindungen umzu-wandeln. Diese Art zu leben heißt chemo-autotroph – eine Fähigkeit, die ausschließlichBakterien besitzen! Daneben gibt es natürlichauch solche Arten, die sich von organischenStoffen ernähren. Einige Bakteriengruppenkönnen mehr als hundert verschiedene organi-sche Substrate abbauen, andere sind auf nurwenige Substanzen spezialisiert.

Ohne Bakterien und andere Mikroorga-nismen stünde das Leben still. Denn was diePflanzen aus Luft, Wasser und mineralischenNährstoffen zu organischen Verbindungen zu-sammenbauen und an Pilze und Tiere weiter-geben, das zerlegen die Mikroben wieder zu-rück in ihre Ausgangsstoffe. Andererseits gelingtihnen die Synthese zahlreicher Vitamine und

„Schwarze Raucher“ werden diese sulfidhaltigen Strukturen vulkanischen Ursprungs genannt, diemit Metallen angereicherte, bis zu 350 °C heiße Dämpfe ins Meerwasser ausstoßen. Man findet sieentlang der mittelozeanischen Gebirgsrücken in Tiefen von 2000 bis 4000 Metern unter dem Meeres-spiegel. Selbst in dieser scheinbar lebensfeindlichen Gegend, bei Drücken zwischen 200 und 400 barund extrem hohen Temperaturen, wurden Archaeen gefunden – zum Beispiel die Art Pyrolobusfumarii, die Temperaturen bis maximal 113 °C überlebt.

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Schon lange bevor die Menschen um dieExistenz von Mikroorganismen wussten,machten sie sich deren Wirkungen zu-

nutze – Brot und Wein wären uns nicht ver-gönnt ohne das heimliche Zutun der Mikro-ben. Fast sämtliche Naturvölker haben Säftezu alkoholischen Getränken vergoren, undbereits in vorgeschichtlicher Zeit, vor mindes-tens 5000 Jahren, war der Sauerteig bekannt.Auch die Herstellung des Weinessigs hat ei-ne lange Geschichte: Schon die Babylonier,Assyrer und Ägypter verstanden sich darauf,freilich ohne zu wissen, dass die zugrunde lie-genden Stoffwechselprozesse von Essigsäure-

bakterien der Gattungen Acetobacter undAcetomonas getätigt werden. Während ver-schiedene Hefen – sie gehören zu den Pilzen –den Brotteig „gehen“ lassen und durch denGärprozess Alkohol liefern, sorgen Milchsäure-bakterien dafür, dass der Sauerteig seinemNamen gerecht wird. Laktobazillen, Strepto-kokken und Leuconostoc säuern auch Quark,Butter und Joghurt an – was diesen Milchpro-dukten nicht nur ihren charakteristischen

Geschmack verleiht, sondern auch ihre Halt-barkeit erhöht. Die konservierende Wirkungder von den Bakterien ausgeschiedenenMilchsäure kommt auch anderen Lebensmit-teln zugute; sie verwandelt Weißkohl in Sauer-kraut und zahlreiche andere Gemüse in halt-bare „mixed pickles“. Als stille Helfer wirkenLaktobazillen und andere Milchsäurebakterienauch bei der Reifung von Salami, Rohschinkenund Mettwurst mit. Durch die Ansäuerungihrer Umgebung halten sie fäulniserregendeMikroben fern; außerdem fördern sie das Trok-knen der Fleischprodukte, geben ihnen dencharakteristischen Geschmack und verlängernihre Haltbarkeit.

Gut ein Drittel unserer Lebensmittel ent-steht heute unter der Mitwirkung verschie-dener Mikroorganismen. Die Verfahren, diedabei zum Einsatz kommen, reichen vonweitgehend natürlich ablaufenden Prozessenüber „Starterkulturen“ mit ausgewählten, na-türlich belassenen Bakterien bis hin zu enzy-matischen Reaktionen, die nur durch die

geschickte Kombination von Gentechnik undBiotechnologie ermöglicht werden. Ein Bei-spiel für einen natürlichen Produktionsprozessist die Essigherstellung, die sich im Laufe vonJahrtausenden nicht wesentlich verändert hat:Damals wie heute lässt man Wein über Buchen-holzspäne rieseln und von Essigsäurebakterienumwandeln, die sich ganz von selbst dort ein-finden. Unvergleichlich komplexer ist die mo-derne Käseerzeugung: Früher hat man das fürdie Milchgerinnung unentbehrliche Labfer-

Bakterien als Helfer des Menschen

Schon den Römern war die bodenverbessernde Wirkung derLeguminosen (Schmetterlingsblütler) bekannt (im Bild Luzer-ne in ihrer Heimat Usbekistan). Erst 1886 brachte man dieses

Phänomen mit der Bildung von Knöllchen an den Pflanzen-wurzeln in Zusammenhang. Heute wissen wir, dass die in

enger Gemeinschaft mit den Pflanzen lebenden „Knöllchen-bakterien“ (Rhizobien) gasförmigen Stickstoff aus der Luft alsNitrat oder Ammoniak zu binden vermögen und den Pflanzenzur Verfügung stellen. Eine solche Symbiose zwischen Bakte-rien und anderen Kulturpflanzen als Leguminosen zustandezu bringen ist bis heute nicht gelungen und bleibt eine der

Herausforderungen für Gentechnik und Biotechnologie.

Brot und Wein sowie zahlreiche weitereLebensmittel entstehen unter Mitwirkungvon Bakterien, zum Beispiel❍ Roggenbrot❍ Rohwurst und Rohschinken❍ sämtliche Käsesorten❍ Essig❍ Kefir, Joghurt❍ Buttermilch, Sauerrahmbutter❍ Salzgurken, Sauerkraut❍ Mixed Pickles, Oliven❍ Sojasauce (Shoyu), Sojapaste (Miso)❍ alle Weine (2. Gärung) und einige Biere❍ Kaffee, Tee, Tabak

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ment aus dem Labmagen Milch saugenderKälber gewonnen; heute wird das Enzym imindustriellen Maßstab von speziellen Hefe-oder Bakterienstämmen erzeugt, die mit dem aus Kälbermagenschleimhaut isoliertenoder künstlich synthetisierten Lab-Gen aus-gestattet wurden.

Der Einsatz von Mikroorganismen be-schränkt sich längst nicht mehr auf die Le-bensmittelproduktion. Schon im Ersten Welt-krieg wurden Bakterien zur Herstellung derkriegswichtigen Lösungsmittel Aceton undButanol, sowie von Glycerin – einer Vorstufedes Sprengstoffs Nitroglycerin – verwendet.Wenige Jahre später hielt man bestimmteSchimmelpilze zur massenhaften Produktionvon Zitronensäure; dieses biotechnologischeVerfahren ersetzte die aufwändigere chemi-sche Synthese des als Säuerungsmittel verwen-deten Lebensmittel-Zusatzes. Ein Meilensteinfür die industrielle Nutzung von Mikroorganis-men war die Entdeckung Alexander Flemings,dass der Schimmelpilz Penicillium notatumeine Substanz herstellt, die andere Mikroorga-nismen abtötet (siehe auch S. 22). Der bahn-brechende medizinische Erfolg des Penicillingenannten Stoffes löste eine hektische Suchenach weiteren „Antibiotika“ aus: Zehntausen-de Mikrobenarten wurden auf ihre pharma-zeutische Nutzbarkeit untersucht, mehreretausend Arten – darunter neben vielen Pilzenauch zahlreiche Bakterien aus der Gruppe derStreptomyzeten und Aktinomyzeten – er-wiesen sich als Produzenten hochwirksamerAntibiotika. In Anbetracht dieses enormenPotenzials wurden immer effizientere biotech-nologische Verfahren zur Auslese, Haltung und Ertragssteigerung interessanter Mikro-organismen entwickelt. Dieses Know-how ver-breitete sich schon bald in anderen Branchenwie der Lebensmittel- und Textilindustrie, wodie mikrobielle Erzeugung einzelner, oft kom-plexer Biomoleküle die herkömmlichen Pro-duktionsprozesse ersetzte. Ein Beispiel ist dieGlutaminsäure, die bereits Ende der 1960erJahre mit Hilfe von Corynebacterium glutami-cum industriell erzeugt wurde.

Ähnlich wie die klassischen Tier- und Pflan-zenzüchter suchten auch die Mikrobiologenunter ihren „Haustieren“ nach neuen Stämmen,die erwünschte Produkte schneller oder in grö-ßeren Mengen herstellen konnten. Inzwischenwusste man, dass neue Eigenschaften durchÄnderungen im Erbgut – so genannte Mutatio-nen – entstehen, die als natürliche „Kopierfeh-ler“ während der Vervielfältigung der Erbinfor-mation in einer geringen Wahrscheinlichkeit

spontan auftreten. Um diesen langsam voran-schreitenden Prozess der natürlichen Evolutionzu beschleunigen, behandelte man die Bakte-rien mit UV- und Röntgenstrahlen sowie mitgroßer Hitze und weiteren Methoden, die er-fahrungsgemäß die Häufigkeit von Mutationenerhöhen. Auf diese Weise entwickelten sich tat-sächlich produktivere Mikroben, zum Beispielein Bacillus-Stamm, der 100 mal mehr einesEiweiß spaltenden Enzyms ausscheiden konnte

als seine natürlichen Vorläufer. Derartige Enzy-me werden Waschmitteln zugesetzt, um dasEntfernen von Speise- oder Blutflecken zu ver-bessern.

Mit solchen Erfolgen geben sich moderneGentechniker nicht mehr zufrieden. Sie wollennicht auf die langsame und zufällige Wirkungvon Strahlen und mutagenen Chemikalien an-gewiesen sein, sondern schnell und gezielt Ein-fluss auf die genetische Ausstattung von Bakte-rien und anderen Lebewesen nehmen. Damitfolgen sie einer Entwicklung, die vor Milliardenvon Jahren das Leben selbst durchgemachthat. Denn der Natur ging es – salopp gesagt –

Ralstonia eutropha-Zellen können unter bestimmten Nähr-stoffbedingungen bis zu 80 % ihres Trockengewichts an Polyhydroxyalkansäuren (PHA) als Reservestoffe einlagern (wei-ße Einschlußkörper im Bild oben). Aus PHA werden thermo-plastische und biologisch abbaubare Kunststoffe erzeugt, diesich zur Herstellung von Shampooflaschen und anderen Pro-dukten eignen (Bild unten).

um sie selbst zu nutzen. Besondere Erbinfor-mationen wie zum Beispiel die Gene, die Anti-biotikaresistenzen vermitteln, sammeln sie aufkleinen ringförmigen „Minichromosomen“, denPlasmiden.

Zahlreiche Wissenschaftler, von denen vie-le mit dem Nobelpreis geehrt wurden, sind denTricks der Bakterien sowie anderer Mikroorga-nismen und Viren auf die Schliche gekommen.Moderne Molekularbiologen haben die uraltenGentechniken der Bakterien und Viren über-nommen und setzen sie heute gezielt zurmassenhaften und preiswerten Produktion von Lebens- und Futtermitteln, Duft- und Ge-schmacksstoffen, Feinchemikalien, Antibiotika,Krebs- und anderen Medikamenten ein.

Eines der wichtigsten Werkzeuge dermodernen Gentechnik sind die so genanntenGen-Scheren (Restriktionsendonukleasen), die –wie alle anderen eingesetzten Enzyme – vonBakterien oder Viren entliehen sind. Gen-Sche-ren schneiden den DNS-Doppelstrang an Stel-len, die aus einer spezifischen Abfolge von vieroder sechs genetischen „Buchstaben“ (Basen)

ähnlich wie uns Menschen: Auch sie wollte dieProzesse vermehren und beschleunigen, diedas genetische Material – und damit deren Trä-ger, die Lebewesen – verändern. Also „erfand“sie verschiedene Möglichkeiten, genetische In-formation zwischen Individuen einer Art undsogar zwischen unterschiedlichen Arten zuübertragen und neu zu kombinieren, um da-durch den beteiligten Lebewesen die Anpas-

sung an ihre Umwelt zu erleichtern. Wann ge-nau die einzelnen Werkzeuge bereit standen,wissen wir nicht. Das Repertoire an „Gentechni-ken“ unserer heutigen Bakterien ist jedenfallsbeachtlich: Sie tauschen einzelne Gene odergrößere Teile ihres Genoms aus oder nehmen„nackte“ DNS einfach aus der Umgebung auf,

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Welche Substanzen verbergen sich wohl in den blauen Tröpf-chen dieser Streptomyzeten-Bakterien? Während sich die

Suche nach Duft-, Geschmacks- oder Arzneistoffen früher amäußeren Erscheinungsbild der Mikroben orientierte, durch-

forsten moderne Molekularbiologen heute deren Genom nachden Bauanleitungen für potenziell verwertbare Inhaltstoffe.

Gentechnisch veränderte Bakterien pro-duzieren zahlreiche Medikamente undPharmaproteine❍ Hormone (Insulin, Wachstumshormon,

Kalzitonin)❍ Krebstherapeutika (Interleukin 2 und 11,

Interferone)❍ Impfstoffe (Monoklonale Antikörper;

Lyme-Vakzine)❍ Pharmazeutisch wirksame Enzyme und

andere Proteine ❍ Diagnostika zum Test auf Diabetes, Herz-,

Leber- und Nierenerkrankungen

WIE MAN GENE IN BAKTERIEN EINSCHLEUSTDie Gene von Eukaryoten (Echtkernzellern), zu denen alle Pilze (einschließlich der Hefen ), Pflanzen, Tiere und zahl-reiche Einzeller gehören, unterscheiden sich in ihrem Aufbau von den Genen der – prokaryoten (zellkernlosen) –Bakterien: Die Abfolge ihrer DNS-Bausteine enthält neben informationstragenden Abschnitten ( Exons ) auch infor-mationslose Sequenzen ( Introns ), die nach ihrer Abschrift in Boten-RNS von speziellen Enzymen herausgeschnitten( gespleißt ) werden müssen. Erst das verbleibende RNS-Stück enthält die korrekte Anleitung für die Synthese einesbestimmten Proteins aus Aminosäuren. Über einen Umweg gelingt es dennoch, Säugetier-Gene – beispielsweise dieBauanleitung für das von Kälbern produzierte Labferment oder für menschliches Insulin – in Bakterienzellen einzu-führen und korrekt von ihnen ablesen zu lassen: Dazu wird die bereits gespleißte Boten-RNS des Eukaryoten-Gensmit Hilfe eines Enzyms namens Reverse Transkriptase „zurückübersetzt“ in ein DNS-Stück namens copy-DNS (cDNS),das nunmehr nur die Exons, nicht aber die Introns des ursprünglichen Gens enthält.cDNS lässt sich ebenso wie unveränderte DNS mit einer Vektor-DNS verbinden und in Bakterien einschleusen, diesodann die Herstellung des Eukaryoten-Proteins (z. B. Insulin) übernehmen. Als Vektoren dienen kleine ringförmigeBakterien-DNS-Stücke ( Plasmide ) oder Viren-DNS, die mehrere Eigenschaften aufweisen: Zum einen können sie sichin der Wirtszelle vermehren. Zum anderen enthalten sie spezifische, kurze DNS-Sequenzen, die von bestimmtenBakterien-Enzymen, den Restriktionsendonukleasen („Genscheren“) erkannt und zerschnitten werden können.Schließlich sind sie mit einer durch spezielle Tests nachweisbaren Markierung versehen, anhand derer sich erfolg-reich von den Vektoren „infizierte“ Bakterienzellen aufspüren lassen.

bestehen; heute sind einige hundert verschie-dene Gen-Scheren bekannt, von denen vielekommerziell erhältlich sind. Mittels verbinden-der Enzyme (Ligasen) lässt sich das ausge-schnittene DNS-Fragment mit einem Plasmidoder Virus koppeln, das als Überträger (Vektor)dient. Dieses künstlich zusammengefügteDNS-Stück kann man dann in Bakterien ein-schleusen (Transformation), die es zusammenmit ihrem eigenen Erbgut vermehren undschließlich auch die darin verborgene Bauanlei-tung ablesen und umsetzen.

Besonders einfach gelingt dieser Gen-transfer, wenn dabei ein Bakterien-Gen ineine Bakterienzelle übertragen wird. Etwaskomplizierter wird es dann, wenn Gene ausPflanzen, Pilzen oder Tieren in Bakteriengebracht und dort abgelesen (exprimiert)werden sollen (siehe Kasten S. 10 unten).Weitere wichtige Enzyme sind die DNS-Poly-merasen, die einzelne DNS-Bausteine mit-einander verbinden und deshalb für diekünstliche Synthese von Genen und anderenDNS-Stücken unverzichtbar sind; außerdemso genannte Kinasen, die (zu Markierungs-zwecken wahlweise radioaktives) Phosphat an die DNS-Bausteine binden. Mit Hilfe dieserWerkzeuge lassen sich Bakterien gezielt ver-ändern, so dass sie nutzbringend eingesetztwerden können. Dafür gibt es verschiedeneMöglichkeiten:

❍ Ein erwünschtes Biomolekül – Aminosäure,Enzym oder anderes Protein – soll in weit-aus größeren Mengen produziert werdenals dies natürlicherweise geschieht. Dazukann man das zu Grunde liegende Gen ver-mehren oder den vorgeschalteten Reglerverändern. So ließ sich beispielsweise dieAusbeute eines hitzebeständigen Stärke

spaltenden Enzyms um 500 Prozent stei-gern. Bakterienzellen können bis zu 2000Kopien eines Plasmids in sich tragen; kop-pelt man also ein Protein kodierendes Genmit einem Plasmid und vermehrt diesesstark, so kann man die Proteinproduktionebenfalls deutlich erhöhen.

❍ Bakterielle Enzyme lassen sich durch gezielteModifikation ihrer Gene so verändern, dass siebesser an technische Prozesse angepasstsind. Dabei wird durch Computersimulatio-nen ein in der Natur nicht vorkommendesProtein entworfen („Protein-Design“), die ent-sprechende DNS-Sequenz künstlich syntheti-siert und in ein Bakterium eingeschleust. EinBeispiel für Designer-Proteine sind künstlicheVarianten eines Waschmittelenzyms namensSubtilisin, die Eiweißflecken aus Wäsche bes-ser als natürliche Enzyme entfernen.

11

Innenansicht einer Produktionsanlage zur bio-technologischen Herstellung von Aminosäuren

Bakterien sind nicht nur wichtige Produzenten von Feinchemikalien, Lebens- und Arzneimitteln,sondern können auch zahlreiche Substanzen abbauen, darunter schwer zersetzbare Verbindun-gen wie Methan, Propan, Butan, Paraffin, Erdöl, Kautschuk, Benzol, Phenol, Toluol, selbst Asphaltund Graphit. Deshalb eignen sie sich als Helfer bei der Bodensanierung oder bei der Reinigungvon Trink-, Brauch- und Abwasser, wo sie sowohl feste als auch flüssige Bestandteile mineralischeroder organischer Art entfernen können. Bestimmte Bakterien werden zur Erzlaugung, insbesondere zur Kupferaufbereitung eingesetzt.Andere erlangen große Bedeutung in der biologischen Schädlingsbekämpfung: Sie bilden gegendie Larven von mindestens 50 Schadinsekten – vor allem gegen Forst- und Obstschädlinge – töd-liche Gifte, die Honigbienen und andere Nutzinsekten verschonen.

Corynebaterium glutamicum wandelt die einfachen Aus-gangsstoffe Zucker und Ammoniak in die essentielleAminosäure Lysin um.

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AUF DER SUCHE NACH INTERESSANTEN GENENUm neue mikrobielle Gene aufzuspüren, wird die Basen-Abfolge („Sequenz“) der Gesamtheit des Erb-materials („Genoms“) einzelner Bakterienzellen oder ganzer Lebensgemeinschaften sequenziert. Dasgeschieht vollautomatisch: Zuerst wird die DNS in kleine Stücke zerteilt, die dann als „Inserts“ mittelsVektoren in Escherichia coli-Bakterien vermehrt und anschließend wieder isoliert werden. (A) Ein Pickingroboter überträgt vereinzelt wachsende Bakterien-Kolonien („Klone“), die jeweils un-terschiedliche DNS-„Inserts“ des zu untersuchenden Genoms enthalten, von der Nähr-Agarplatte inMikrotiterplatten mit Kulturmedium (B) Bis zu 384 DNS-Fragmente, die durch eine PCR genannte Reaktion aus den Bakterienkulturen ver-mehrt wurden, werden auf einem Minigel analysiert(C) Mikrotiterplatten, die Klone mit interessanten Inserts enthalten, werden nach einer Qualitätskon-trolle automatisch an die Sequenzier-Systeme weitergereicht, wo die Abfolge der vier verschiedenenDNS-Bausteine bestimmt wird. (D) Die Sequenz von 96 DNS-Fragmenten wird durch Elektrophorese in Quarzkapillaren bestimmt (96 Streifen), wobei die vier Farben die vier DNS-Bausteine („Basen“) darstellen.(E) Hochleistungscomputer analysieren das Farbmuster und errechnen daraus die DNS-Sequenz; mitHilfe bekannter Start- und Stopp-Sequenzen werden potenzielle Gene (blau und rot) identifiziert.

❍ Unter Umständen kann auch das gezielteEntfernen eines Bakteriengens nutzbringendeingesetzt werden. Ein Beispiel sind die sogenannten „Eis-Minus“-Bakterien, die in den1990er Jahren in Kanada zum Schutz vonErdbeeren, Pfirsichen und anderem Obst ver-wendet wurden. Dazu hatte man dem natür-licherweise auf den Pflanzen vorkommendenBakterium Pseudomonas syringae ein Genherausgeschnitten, das das Gefrieren vonTauwasser – und damit Frostschäden an denbetroffenen Pflanzen – begünstigt. Die Kei-me wurden vermehrt und massenhaft auf die

Obstplantagen gesprüht, wo sie ihre frostför-dernden Artgenossen verdrängten.

❍ Vielfältige Anwendungsgebiete erschlie-ßen sich mit gentechnisch verändertenBakterien, die mit artfremden Genen aus-gestattet werden und – wie kleine Bioreak-toren – erwünschte Genprodukte in Mas-sen produzieren. Beispiele sind das bereitserwähnte Humaninsulin und das Labfer-ment, aber auch DNS-Abschnitte vonkrankheitserregenden Viren und Bakterien,die zur Herstellung von Impf-Antikörpernin großen Mengen benötigt werden.

A

B

C

D

E

FörderkonzeptGenoMik

14

Antworten auf diese Fragen sucht das„Kompetenznetz PathoGenoMik“ mit Zentruman der Universität Würzburg. Mit molekular-biologischen Methoden sollen diejenigen Geneaufgespürt werden, die bei der Krankheitsent-stehung mitwirken; anschließend wird derenRegulation und Rolle im Infektionsverlauf un-tersucht. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wollen die PathoGenoMik-Forscher neue Ver-fahren entwickeln, mit denen sich gefährlicheBakterien schneller und sicherer erkennen undInfektionen besser vermeiden oder effektiverbekämpfen lassen.

Im Rahmen des vom BMBF eingerichte-ten Förderprogramms GenoMik werden dievollständigen Genome von 14 Bakterienarten

T uberkulose, Ruhr, Typhus, Gehirnhaut-und Lungenentzündung: Diese undzahlreiche weitere Infektionskrank-

heiten werden von Bakterien hervorgerufen.Sie befallen jedes Jahr weltweit Millionen vonMenschen und bringen vielen von ihnen denTod. Was macht eine Bakterienart zumKrankheitserreger, zum Pathogen? WelcheMechanismen ermöglichen es pathogenenMikroben, in Gewebe und bisweilen sogar indie Zellen ihres „Wirtes“ einzudringen, dortSchaden anzurichten und sich gegen dieAbwehrreaktionen ihres Opfers durchzuset-zen? Welche Angriffspunkte bieten die Erre-ger für den Einsatz neuartiger Diagnosewerk-zeuge und Antibiotika?

Bakterien als Krankheitserreger beiMensch und Tier

Infektionen der Atemwege, beispielsweise durch Viren, Pneumokokken oder Chlamydien, machenin Deutschland den größten Teil der Infektionskrankheiten aus: Pro Jahr sind davon 20 MillionenMenschen betroffen. Während Kinderkrankheiten wie Scharlach, Masern und Hirnhautentzün-dung mit rund 100.000 Fällen pro Jahr hier zu Lande von ihrer Häufigkeit her keine bedeutendeRolle spielen, steigt die Zahl der in Krankenhäusern übertragenen („nosokomialen“) Infektionendurch multiresistente Erregerstämme stetig an. In den Entwicklungsländern sind die Häufigkei-ten der einzelnen Krankheiten anders verteilt: Magen-Darm-Infektionen sind dort besonders häu-fig, so dass sie weltweit die zweithäufigste von Bakterien ausgelöste Todesursache darstellen; imJahr 2000 starben daran mehr als zwei Millionen Menschen, fast die Hälfte davon waren Kinder.

Infektionen der Atemwege z. B. durchInfluenza-Viren, Pneumokokken oderMykobakterien, ca. 20 Millionen

Infektionen durch Würmer und andereParasiten, ca. 0,5 Millionen

Darm-Infektionen z. B. durchSalmonellen, ca. 1–1,5 Millionen

Nosokomiale (in Kliniken erworbene)Infektionen, z. B. durch Staphylokokkenoder Candida-Pilze, ca. 1 Million

Kinderkrankheiten z. B. Scharlach,Masern oder Gehirnhautentzündung,ca. 0,1 Millionen

Infektionen des Harnapparates z. B.durch Escherichia coli, ca. 2 Millionen

DIE BEDEUTENDSTEN INFEKTIONSKRANKHEITEN IN DEUTSCHLAND(geschätzte Fälle pro Jahr)

T

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sowie einiger Bakteriophagen (gegen Bak-terien gerichtete Viren) sequenziert; vieledieser Sequenzierungsprojekte stehen bereitskurz vor dem Abschluss. Die Arten wurdennach mehreren Gesichtspunkten ausgewählt:Zum einen sind sie von hohem wissenschaft-lichen und gesundheitspolitischen Interesse.Zum anderen werden sie durch internationalangesehene deutsche Forschergruppen be-reits intensiv bearbeitet. Dieser Wissensvor-sprung kommt den PathoGenoMik-Forschernzugute und erhöht ihre Chance, in interna-tionale Spitzenpositionen vorzudringen. Das-selbe gilt für die wirtschaftliche Nutzung derErgebnisse, z. B. in Form von Diagnostika,Antiinfektiva und Impfstoffen.

Nicht alle untersuchten Bakterienartensind pathogen; einige Arten sind harmloseVerwandte von Krankheitserregern, derenGenom bereits bekannt ist. Durch den Ver-gleich erhofft man sich, Unterschiede zwi-schen gefährlichen und harmlosen Arten auf-zudecken, um so die krankmachenden Genezu identifizieren.

Die genetische Ausstattung eines Bak-teriums ist nicht das einzige Kriterium, dasüber sein pathogenes Potenzial in der Wech-selwirkung mit dem menschlichen oder tie-rischen Wirtsorganismus bestimmt. Entschei-dend ist darüber hinaus, über welcheMechanismen der Erreger verfügt, um ver-schiedene Umweltbedingungen wahrzuneh-men und die Expression seiner Gene ent-sprechend darauf einzustellen. Um dieseMechanismen aufzuklären, wird die Genom-forschung durch „postgenomische“ Analysenergänzt: Sie sollen die Abschriften der Gene

DAS KOMPETENZNETZ WÜRZBURG/NETZWERK STUTTGARTDas Netzwerk „PathoGenoMik“ umfasst 28 Forschungsgruppen aus 13 deutschen Universitäten und dem Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) inBraunschweig sowie aus mehreren Biotechnologie-Firmen. Die beteiligten Arbeitsgruppen sind in drei Ver-bünden organisiert, die sich auf unterschiedliche Gruppen von Krankeitserregern konzentrieren: Sektion Iarbeitet an Gram-positiven Bakterien (Staphylokokken, Pneumokokken, Streptokokken), Sektion II befasst sichmit intrazellulären Bakterien (Listerien, Mykobakterien, Chlamydien) und Sektion III untersucht Gram-negativeBakterien (Neisserien, Enterobakterien, Bordetellen, Pseudomonas aeruginosa, Helicobacter pylori). ZurStrukturierung der großen Datenmengen verfügt das PathoGenoMik-Netzwerk über leistungsfähige Bioinfor-matik-Werkzeuge, zudem besteht eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Bioinformatik des Forschungs-zentrums für Umwelt und Gesundheit (GSF) in Neuherberg bei München. Angegliedert an PathoGenoMik istein kleineres Netzwerk mit Zentrum in Stuttgart. Es arbeitet an der Entwicklung diagnostischer DNS-Mikroar-rays für klinische Routineuntersuchungen, die eine rasche Identifizierung pathogener Bakterien auf Spezies-ebene sowie die Analyse des Antibiotika-Resistenzspektrums von Krankheitskeimen ermöglichen sollen.

(RNS-Transkripte) und schließlich die Proteineidentifizieren, die von pathogenen bzw.harmlosen Bakterien unter verschiedenenBedingungen hergestellt werden. Die Ergeb-nisse werden in einer Datenbank zusammen-getragen und der Öffentlichkeit zur Verfü-gung gestellt.

Streptococcus pyogenes – hier abgebildetmittels Raster-Elektronenmikroskop – gehörtzu den häufigsten Krankheitserregern desMenschen. Das Spektrum der von ihnen aus-gelösten Symptome reicht von eher harm-losen Entzündungen der Rachenschleimhautoder eitrigen Hautpusteln über Scharlach,Angina, Mandel- und Nierenentzündung bishin zu lebensbedrohlichen Infektionen wieKindbettfieber, Sepsis und toxischemSchocksyndrom.

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Staphylokokken und Streptokokken tragenganz wesentlich dazu bei, dass wir gesundbleiben. Als harmlose Besiedler unserer

Haut und Schleimhäute bilden sie die erste Bar-riere gegen krankheitserregende Mikroben, diein unseren Körper eindringen und ihn schwä-chen könnten. So freundlich gesonnen sind unsallerdings nicht alle Mitglieder dieser Gram-posi-tiven Bakterien. Einige ihrer nächsten Verwand-ten lösen gefährliche Infektionskrankheiten aus,darunter Entzündungen der Haut, der Lungen,der Herzklappen und des Knochenmarks.Besonders gefürchtet ist Staphylococcusaureus, eine Art, die sich zusehends in Kranken-häusern ausbreitet: Die Keime dringen – zumBeispiel über Katheter – in die Körper der oftdurch andere Leiden geschwächten Patientenein und führen zu Wundinfektionen, septischerArthritis oder Lungenentzündung. Außerdemkönnen sie hochgiftige Substanzen ausschei-den, die zu Lebensmittelvergiftungen führen.Seit der Entdeckung des Penicillins wurde eineVielzahl von Antibiotika aus sehr unterschied-lichen Wirkgruppen entwickelt, doch nur einigewenige sind heute noch taugliche Waffen gegenS. aureus. Wegen ihrer Antibiotikaresistenzen– die auf den Seiten 22 und 23 ausführlichbeschrieben werden – sind diese Bakterien undandere pathogene Arten wie S. epidermidis zueiner oft tödlichen Gefahr geworden.

Welche Mechanismen bestimmte Resisten-zen ermöglichen, und wodurch die Virulenz(siehe Lexikon S. 18) der Staphylokokken-Artenzustandekommt, erforschen mehrere Arbeits-gruppen unter Leitung von Jörg Hacker (Institutfür Molekulare Infektionsbiologie der UniversitätWürzburg). Dazu wurde in Zusammenarbeit

mit der Scienion AG (Berlin) ein DNS-Mikroarrayentwickelt, der das komplette kodierende Ge-nom von S. aureus, bestehend aus den insge-samt 2334 bekannten „offenen Leserastern“(Genen), enthält. Mit Hilfe dieses DNS-Chipswerden derzeit mehrere S. aureus-Stämmemit unterschiedlicher Virulenz verglichen, um so Aufschlüsse über die zugrunde liegendenGene zu erzielen. Ein mit S. epidermidis-Genenbestückter DNS-Mikroarray wird in Kürze zurVerfügung stehen, um ähnliche Untersuchun-gen an dieser ebenfalls pathogenen Art zuermöglichen. Um Hinweise auf die „krankma-chenden“ Gene zu erhalten, sollen die beidenArten außerdem mit einem harmlosen Ver-wandten namens Staphylococcus carnosusverglichen werden. Zu diesem Zweck wurde das Genom von S. carnosus von den Patho-GenoMik-Forschern vollständig sequenziert undwird nun analysiert.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt RegineHakenbeck von der Universität Kaiserslauternbeim Studium von Streptokokken. Wieder wer-den die Genome harmloser Arten (Streptococ-cus mitis und S. oralis) und einer pathogenenArt (S. pneumoniae) verglichen. Erste Ergebnisse

Janusköpfige Bakteriengruppe: Gram-positive Kokken

Wie funktioniert ein DNS-Chip?Ein DNS-Chip, auch Genchip oder DNS-Mikroarray genannt, besteht aus einem höchstens zwei Quadratzentimeter großenGlasträger mit einem Raster („array“) aus mehreren tausend quadratischen Testfeldern. In jedem dieser Mikrofelder befin-det sich ein einsträngiges DNS-Stück aus etwa 25 Bausteinen (Nukleotiden), deren Abfolge (Sequenz) bekannt ist. Diese sogenannten Oligonukleotide dienen als „Köder“ für unbekannte DNS-Stücke, die man zuvor mit einem Fluoreszenzfarbstoffmarkiert hat: Denn die Chip-Oligonukleotide verbinden sich („hybridisieren“) mit unbekannten DNS-Stücken umso festerzu einem DNS-Doppelstrang, je besser deren Sequenz zu der ihren passt. Wird der Chip anschließend mit Laserlicht abge-sucht, dann leuchten all jene Testfelder („spots“) auf, in denen ein markiertes unbekanntes DNS-Fragment „eingefangen“wurde (siehe Bild). Je stärker die Chip-DNS und die Test-DNS aneinander binden, desto intensiver ist das Lichtsignal. Auf die-se Weise lassen sich in kürzester Zeit Sequenzähnlichkeiten und -abweichungen untersuchter DNS-Fragmente feststellen.

S

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wurden mit einem DNS-Mikroarray erhalten, aufdem die circa 2000 Gene von S. pneumoniaerepräsentiert sind. Desweiteren wird – in Zusam-menarbeit mit AGOWA, Berlin – das gesamteGenom von S. mitis sequenziert, um pathogeni-tätsspezifische Gene identifizieren zu können.Streptokokken, darunter auch S. mitis und S.pneumoniae, haben die faszinierende Fähigkeit,Gene aus ihrer Umgebung aufzunehmen oderauszutauschen. Welche und wie viele Abschnittedes Genoms von einer Art zur anderen „wan-dern“ können, soll die vergleichende Genomana-lyse beleuchten. Von besonderem medizinischenInteresse ist diese Frage deshalb, weil offenbar

eine Reihe von Antibiotikaresistenz-Genen von S.mitis in die pathogene Art S. pneumoniae über-gehen und genutzt werden können.

Eine weitere pathogene Streptokokken-Art,S. pyogenes, wird mit Mitteln des GenoMik-Förderprogramms von Wissenschaftlern derUniversitäten Rostock und Erlangen-Nürnbergsowie der Gesellschaft für BiotechnologischeForschung (GBF) in Braunschweig untersucht.Dabei werden u. a. die Expressionsmuster dieserKrankheitserreger in An- bzw. Abwesenheit ihrermenschlichen „Wirtszellen“ verglichen. So sol-len die Gene identifiziert werden, die direkt amInfektionsprozess beteiligt sind.

innerhalb eines Klons

0,9%

4%

12%

39%

56%

85%

S. pneumoniae

S. mitis

S. oralis

zwischen Klonen

Die vergleichende Genomanalyse soll Unterschie-de und Gemeinsamkeiten dreier nah verwandterStreptokokken-Arten aufdecken. Die drei Arten S. pneumoniae, S. mitis und S. oralis leben imMund- und Rachenraum des Menschen, doch nurS. pneumoniae ist ein potenzieller Krankheitser-reger. Die kuchenförmigen Diagramme zeigen,wie stark das Genom eines bestimmten S. pneu-moniae-Stammes von anderen Stämmen dieserArt bzw. von den beiden anderen Arten S. mitisund S. oralis abweicht (rote „Kuchenstücke“). DieUnterschiede zwischen S. pneumoniae und S.oralis sind am größten: 85 Prozent aller Gene wei-chen in ihrer Sequenz mehr oder weniger starkvoneinander ab oder fehlen bei der harmlosen Art.

Bakterien desselben Staphylococcus aureus-Stammes zeigenin einem Nährmedium ohne (A) bzw. mit geringen Mengeneines Antibiotikums (B) unterschiedliche Wachstumsformen

Mit verschiedenen Technologien wird die Struktur der Krankheitserreger erkundet

Ein Gemisch zweier Staphylococcus aureus-Varianten wird mitein- und demselben DNS-Mikroarray getestet und anschließendunter verschiedenen Beleuchtungsbedingungen ausgewertet.Grünes Licht bildet das Expressionsmuster der einen Variante ab(links), rotes Licht das der anderen (rechts). Gene, die in beidenVarianten abgelesen wurden, erscheinen gelb (Mitte)

Im Elektrophorese-Gel werden Proteine nach Gewicht undLadung aufgetrennt und bilden ein zweidimensionalesMuster. Grüne Flecken präsentieren die eine Bakterien-Variante, rote Flecken die andere. Proteine, die von beidenVarianten gleichermaßen hergestellt wurden, überlagern sichund erscheinen gelb (siehe Schema G)

Die Varianten A, B, C und D werden daraufhin untersucht, welche Gene sie jeweils besitzen und welche davon abgelesen („exprimiert“ ) bzw. inProteine übersetzt worden sind. Um die „Expressionsmuster“ zu erhalten, wird die mRNS jeder Variante isoliert, in DNS „umgeschrieben“, mit einemFluoreszenzfarbstoff markiert und schließlich mittels DNS-Mikroarray (E) getestet. Die von den Bakterien erzeugten Proteine werden ebenfalls mitFarbstoffen markiert und in einem Elektrophorese-Gel (F) zweidimensional aufgetrennt. Es können stets nur zwei Varianten anhand ihrer roten bzw.grünen Farbmarkierung miteinander verglichen werden

Verschiedene Stämme von Staphylococcus aureus (C und D) bilden auf Blutagar unter gleichen Bedingungen unterschiedlich große, weiße Kolonien

C D

E

A B

F

G

18

Unter den krankheitserregenden Bakte-rien gibt es zahlreiche Arten, die sichwie Parasiten im Inneren unserer Kör-

perzellen einnisten und vermehren. Zu diesen„intrazellulären“ Bakterien zählen die Erregervon Typhus, Lepra und Tuberkulose (Salmonel-la typhi, Mycobacterium leprae und M.tuberculosis) sowie verschiedene Shigellen,Rickettsien, Listerien und Chlamydien. EinigeArten befallen bevorzugt Phagozyten undandere Zellen des menschlichen Immunsys-tems – also gerade jene Zellen, die auf dasAbtöten von Bakterien spezialisiert sind. In deninfizierten Körperzellen liegen die Bakterienzunächst eingeschlossen in einer Membranhül-le vor. Ein Großteil von ihnen geht in diesem„Kerker“ ein. Manche aber überdauern dieGefangenschaft, um sich schließlich dort auchzu vermehren. Wieder andere befreien sichsehr schnell aus der Membranhülle, vermehrensich und töten ihre Wirtszelle ab.

Intrazelluläre Bakterien sind im Inneren derbefallenen Zellen besser vor dem mensch-lichen Immunsystem geschützt als gewöhnli-che Erreger und daher schwerer zu bekämpfenals diese. Weil sie das Abwehrsystem überlisten,versagen hier auch die konventionellen Strate-gien einer Schutzimpfung. Es ist daher unum-gänglich, die komplizierten Wechselwirkungenzwischen dem Parasit und seinem „Wirt“ zuverstehen. Welche Mechanismen bewirken,dass einer der beiden Kontrahenten den ande-ren besiegt? Warum gelingt es einigen Bakte-rien, dem Gefressenwerden zu entgehen undanderen nicht? Und wie lässt sich diesesSystem so manipulieren, dass die Eindringlingeden Kürzeren ziehen und die betroffenenPatienten gesunden? Diese Fragen im Blick,untersuchen Wissenschaftler des Kompetenz-netzwerks PathoGenoMik drei Gruppen vonintrazellulären Bakterien: Listerien, Mykobakte-rien und Chlamydien.

Der bedeutendste Krankheitserreger unterden intrazellulären Bakterien ist Mycobacte-rium tuberculosis. Fast die Hälfte der Weltbe-völkerung, vor allem in Entwicklungsländern, istmit diesem Bakterium infiziert; mehr als einein-halb Millionen Menschen sterben jährlich dar-an. Mit den Mitteln der vergleichenden Geno-mik arbeiten Stefan Kaufmann und seineMitarbeiter am MPI für Infektionsbiologie in Ber-lin daran, all jene Gene zu identifizieren, die M.tuberculosis von harmlosen Mykobakterien

Bakterien der Art Listeria monocytogenes (rot) sind in eineNieren-Epithelzelle eingedrungen. Sie haben ihre „Wirtszelle“

dazu gebracht, lange Aktinfilamente (grün) – die normaler-weise zum Aufbau des Zellskeletts dienen – an ihrer Oberflä-

che zu bilden. Bei einigen Erregern haben die Aktin-Anhängselschon eine beachtliche Länge erreicht. Diese „Kometenschwei-

fe“ wachsen so lange weiter und schieben das an ihrer Spitzesitzende Bakterium vorwärts, bis es die Membran der Epithel-zelle berührt und sie dazu anregt, sich nach außen zu stülpen.

Durch diese Ausbuchtung gelangt der Parasit in die benach-barte Epithelzelle und befällt so – unerkannt vom Immunsys-

tem – eine Zelle nach der anderen.

Hartnäckige Eindringlinge: Intrazelluläre Bakterien

LEXIKON❍ Aktinomyzeten sind überwiegend im

Boden lebende Bakterien, die ein pilzähn-liches Geflecht (Myzel) bilden und eineReihe antibiotisch wirksamer Substanzenherstellen

❍ Endosymbionten leben als unverzichtba-re „Untermieter“ im Inneren einer größe-ren Zelle, mit der sie eine Partnerschaft zubeiderseitigem Nutzen unterhalten

❍ Phagozyten sind Zellen, die darauf spezi-alisiert sind, Fremdkörper (zum BeispielBakterien) zu erkennen und aufzufressen

❍ Virulenz ist die Fähigkeit, Krankheiten zuerregen

❍ virulent bedeutet ansteckend

U

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unterscheiden. Der dabei verwandte DNS-Arraydient zudem dazu, die Genexpression unterinfektionsrelevanten Bedingungen zu untersu-chen. In Kooperation mit der Combinature Bio-pharm AG in Berlin wurde damit begonnen,neue Wirkstoffe gegen M. tuberculosis ausAktinomyzeten zu isolieren.

Mit der Gattung Listeria befassen sichWissenschaftler der Universitäten Würzburgund Gießen zusammen mit Forschern der TUMünchen und der Gesellschaft für Biotechno-logische Forschung in Braunschweig (GBF).Vier der sechs bekannten Listerien-Arten sindharmlos, die beiden anderen können eitrigeEntzündungen von Hirnhaut und Gehirn(Enzephalomeningitis) hervorrufen oder Tot-geburten auslösen. Obwohl Listeria-Infektio-nen relativ selten vorkommen, sind die Bakte-rien vor allem in der Lebensmittelindustriegefürchtet, weil sie sich in Fertigsalaten, Fisch,vor allem aber in Milch- und Fleischproduktenvermehren. Mit der verunreinigten Nahrunggelangen die Keime in den Darm und vondort in zahlreiche Organe des Körpers.

Manche Listerien-Stämme sind virulenterals andere. Vergleichende Genom-Analysen sol-len klären, welche Faktoren zu diesen Unter-schieden beitragen. Die Genome der pathoge-nen Art Listeria monocytogenes und ihresharmlosen Verwandten L. innocua warenbereits vollständig sequenziert, die der vieranderen Arten sind in Arbeit. Auf der Grundla-ge dieser Daten entwickelten die PathoGeno-Mik-Forscher einen für beide Arten spezifischenDNS-Mikroarray, der Teile aller bekannten 2853offenen Leseraster (Gene) enthält. Mit ihm solldie unterschiedliche genetische Ausstattungverschiedener Stämme untersucht werden,welche die Wechselwirkung zwischen Parasitund Wirt beeinflussen.

Eine weitere Gruppe intrazellulärer Bakte-rien, die Chlamydien, verursachen eine Vielzahlvon zum Teil schweren Infektionskrankheiten.Als häufigster sexuell übertragener bakteriellerErreger infiziert Chlamydia trachomatis welt-weit jedes Jahr rund 90 Millionen Menschen,von denen etwa sechs Millionen infolge vonBinde- und Hornhautentzündungen erblinden.Zudem geht etwa jede zehnte Lungenentzün-dung auf das Konto von Chlamydophila pneu-moniae. Obwohl das Genom dieses Krankheits-erregers längst sequenziert wurde, ist bis heutenur wenig über Funktion und Expression dereinzelnen Gene bekannt. Deshalb haben Tho-mas F. Meyer und Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin zusam-men mit der Ebersberger Firma MWG Biotech

einen artspezifischen DNS-Mikroarray entwi-ckelt, mit dessen Hilfe mögliche Virulenzfakto-ren des Erregers identifiziert werden sollen.

Die Forscher konnten erstmals auchaußerhalb von Patienten Chlamydien-ähnlicheBakterien mit Hilfe molekularbiologischer Me-

thoden in der Umwelt nachweisen. Einige die-ser „Umwelt-Chlamydien“ leben als Endosym-bionten in Amöben. Die neu entdecktenOrganismen haben möglicherweise auch einemedizinische Bedeutung; darauf deutet ihrVorkommen bei Patienten mit Atemwegser-krankungen hin. Wie nahe sind sie mit denhumanpathogenen Arten verwandt und waskönnen wir von ihnen über den Umgang mitden Krankheitserregern lernen? Können dieseMikroben ebenfalls der menschlichen Gesund-heit schaden? An der Klärung dieser Fragenarbeiten Michael Wagner und Matthias Hornam Lehrstuhl für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien (ehemals TU München)zusammen mit Kollegen vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und demForschungszentrum für Umwelt und Gesund-heit (GSF) in Neuherberg. Das gesamte Ge-nom eines Vertreters der Umwelt-Chlamydienist sequenziert worden und wird derzeit mitden (bekannten) Genomsequenzen von dreihumanpathogenen Arten verglichen. EinZwischenergebnis: Die Umwelt-Chlamydie hatein gut doppelt so großes Genom wie ihre dreiVerwandten und besitzt trotz ihres andersarti-gen Wirtes viele Gene, die mit der Virulenzder humanpathogenen Chlamydien inZusammenhang gebracht wurden.

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme vonUmwelt-Chlamydien (violett), die als Endosym-bionten in Amöben (grün, mit blauem Zell-kern) leben. Die erst kürzlich entdeckten Bakterien sind mit gefährlichen Krankheitser-regern verwandt. Das macht sie für Genomfor-scher interessant.

20

Einige der meistgefürchteten Krankheitser-reger des Menschen gehören zu denGram-negativen Bakterien. Das Kompe-

tenznetzwerk PathoGenoMik konzentriert sichauf vier wichtige Gruppen dieser Bakterien-klasse, deren Vertreter unter anderem Magen-geschwüre, Gehirnhautentzündungen, Darm-infektionen und Keuchhusten verursachen.

Helicobacter pylori ist eine Art der Super-lative: Sie ist die erste und bisher einzige Bak-terienart, die als Auslöser von Krebsgeschwü-ren bekannt geworden ist. Die Keime geltenals größter Risikofaktor für die Entstehungeines Magenkarzinoms und können zudemeine weitere bösartige Tumorart des Magensbegünstigen. H. pylori wurde erst vor 20 Jah-ren entdeckt; heute weiß man, dass die Art zuden am häufigsten beim Menschen anzutref-fenden pathogenen Bakterien gehört. Aller-dings entwickeln nur etwa 15 von 100 Infizier-ten Krankheitssymptome, die restlichen 85bleiben gesund. Warum die Betroffenen sounterschiedlich reagieren und welche Faktorendies beeinflussen, soll durch Sequenzverglei-che verschiedener H. pylori-Stämme unter-sucht werden. Als Grundlage dienen spezifi-sche DNS-Mikroarrays, die im Rahmen desGenoMik-Förderprogramms hergestellt wur-

den. Sobald die für die Krankheitsentstehungentscheidenden Faktoren identifiziert sind, sol-len Diagnose-Methoden entwickelt werden,anhand derer sich virulente Stämme von harm-losen Varianten unterscheiden lassen. An denForschungsarbeiten sind Wissenschaftler derUniversität Würzburg, des Max-Planck-Institutsfür Infektionsbiologie in Berlin und der MWGBiotech AG in Ebersberg beteiligt.

Ähnlich variabel verhält sich Neisseriameningitidis. Jeder zehnte Europäer trägt Kei-me dieser Gram-negativen Bakterienart in sich.Doch nur in seltenen Fällen kommt es zumAusbruch einer Hirnhautentzündung (Meningi-tis), die mit heftigen Kopfschmerzen, Erbre-chen und Genickstarre einhergeht und oft töd-lich endet. Betroffen sind vor allem Kinder:Weltweit erkranken jedes Jahr bis zu einer Mil-lion an einer Meningokokken-Meningitis, davonetwa 800 in Deutschland. Die Erreger kommenin einer enormen Vielfalt an Stämmen mithunderten von unterschiedlichen Genotypenvor. Die meisten von ihnen sind harmlos undbesiedeln die Schleimhäute des Rachens; alsAuslöser der Meningitis wurden weltweit nurrund ein Dutzend besonders virulenter Stäm-me identifiziert.

Von dreien dieser hypervirulenten Stämmeist bereits das vollständige Genom sequen-ziert. Dennoch ist bisher nicht bekannt, welcheFaktoren die gesteigerte Virulenz hervorrufen.Diese Faktoren zu identifizieren, hat sich dieArbeitsgruppe um Matthias Frosch vom Institutfür Hygiene und Mikrobiologie der UniversitätWürzburg zum Ziel gesetzt. Dazu werden dieGenome mehrerer harmloser Stämme sequen-ziert und mit denjenigen der pathogenenStämme verglichen. Auch an diesem Projektarbeiten Wissenschaftler des Max-Planck-Insti-tuts für Infektionsbiologie und der MWG Bio-tech AG mit. Mit Hilfe eines eigens angefertig-ten, spezifischen DNS-Mikroarrays untersuchendie GenoMik-Forscher das Expressionsmusterbestimmter Erreger-Stämme und vergleichenes unter verschiedenen Wachstumsbedingun-gen. Dabei konnten sie bereits mehrere Dut-zend Gene ausmachen, die – je nachdem, mit

Spiralförmig gewundene, stäbchenförmigeHelicobacter pylori-Bakterien, aufgenommen

mit einem Raster-Elektronenmikroskop. Derweiße Balken entspricht 10 µm. In einem Milli-

liter Magenflüssigkeit infizierter Patientenleben mehrere Milliarden H. pylori-Zellen.

Helicobacter & Co.: Gram-negative Krankheitskeime

E

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welchem Typ menschlicher Zellen die Erregerzuvor im Reagenzglas in Kontakt gebrachtwurden – „abgelesen“ und in entsprechendeEiweiße umgesetzt wurden. Das genaue Ver-ständnis der genetischen Regulation verschie-dener Virulenzfaktoren ist die Voraussetzungzur Entwicklung spezifischer Impfstoffe gegendie gefürchteten hypervirulenten Meningokok-ken-Stämme.

Bakterien der Gattung Bordetella besie-deln sehr unterschiedliche Lebensräume: Eini-ge von ihnen – so zum Beispiel B. avium und

B. bronchiseptica – befallen die Atemwegezahlreicher Vögel und Säugetiere; B. pertussisinfiziert ausschließlich den Menschen und wirdihm als Erreger des Keuchhustens gefährlich; B. trematum verursacht Wund- und Ohrinfek-tionen. Dagegen ist die erst kürzlich in Fluss-Sedimenten entdeckte Art Bordetella petriivöllig harmlos. Roy Gross und Mitarbeiter vom

Biozentrum der Universität Würzburg habensich die Aufgabe gestellt, die Verwandtschafts-verhältnisse der Bordetella-Arten aufzuklären;unterstützt werden sie dabei von Wissenschaft-lern der Charité in Berlin, der Gesellschaft fürBiotechnologische Forschung (GBF) in Braun-schweig sowie der Impfstoffwerke Dessau-Tor-nau GmbH.

Phylogenetische Analysen sollen nachvoll-ziehbar machen, wie die krankmachendenEigenschaften einiger Bordetella-Arten im Laufder Evolution entstanden sind. Zunächst wirddas rund fünf Millionen Basenpaare umfassen-de Genom von B. petrii sequenziert und dieFunktion einzelner Gene aufgeklärt; die not-wendigen Arbeiten sollen in Kürze abgeschlos-sen sein. Die Daten ergänzen die bereits voneiner englischen Arbeitsgruppe untersuchtenGenomsequenzen von vier pathogenen Bor-detella-Arten. Anschließend ist die Entwick-lung eines DNS-Mikroarrays vorgesehen, dersich zum Nachweis der Keime in Schleim- undGewebeproben von Patienten eignet. Außer-dem soll damit die Expression wichtiger Viru-lenz-Gene untersucht werden.

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmeneiner menschlichen Epithelzelle, die von

enteropathogenen Escherichia coli-Bakterien(EPEC) infiziert ist. EPEC verursacht starken

Durchfall, der vor allem in Ländern der 3. Welt jedem zweiten betroffenen Neugebo-

renen und Kleinkind den Tod bringt.

DARMBAKTERIENEine Vielzahl sehr unterschiedlicher Gram-negativer Bakterien lebt im Darmtrakt von Menschen und Tierenund wird deshalb zur Familie der Enterobakterien (von „enteron“ = Darm) zusammengefasst. In ihrem äußerenErscheinungsbild sind sich die einzelnen Gattungen sehr ähnlich, daher werden sie nach ihren Stoffwechselei-genschaften unterschieden. Einige ihrer Vertreter sind harmlose oder sogar gesundheitsfördernde Darmbewohner, andere verursachenDarmerkrankungen und schwere Allgemeininfektionen. Innerhalb des GenoMik-Netzwerkes Würzburg arbei-ten Wissenschaftler und Ärzte der Universitäten München und Münster an folgenden pathogenen Enterobak-terien:❍ Yersinia enterocolitica (Darmkoliken, Übelkeit, Durchfall, Dünn- und Blinddarmentzündungen)❍ Yersinia pseudotuberculosis (Tuberkulose-ähnliche Atemwegserkrankungen)❍ EHEC = Enterohämorrhagische Escherichia coli (lebensbedrohliche innere Blutungen) ❍ EPEC = Enteropathogene Escherichia coli (Durchfallerkrankungen)❍ Salmonella typhimurium (Lebensmittelvergiftungen)

Elektronenmikroskopi-sche Aufnahme einesBakteriophagen, iso-liert aus einer hypervi-rulenten Salmonella-Zelle. Das Erbgut diesesVirus ist in seinem„Köpfchen“ verpacktund wird über den„Fuß“ in die Wirtszelleinjiziert. Bakteriopha-gen besitzen Virulenz-und Antibiotikaresis-tenz-Gene, von denenvermutlich auch diebefallenen Salmonellenprofitieren.

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mehr auf das bis dahin so wirksame Van-comycin ansprachen: KrankheitserregendeStaphylokokken hatten einen Weg gefun-den, sich sogar gegen diese Waffe zuwappnen.

Wie können wir solchen gefährlichenEntwicklungen begegnen? Zum einen müs-sen wir unsere bisherigen Waffen im Kampfgegen Bakterien sorgsamer einsetzen, damit sie nicht weiter abstumpfen. Zumanderen benötigen wir Testmethoden, dieschnell und sicher pathogene Keime – undauch deren Resistenzgene – erkennen. Undschließlich brauchen wir dringend neuartigeantibakterielle Wirkstoffe.

Antibiotika hemmen oder töten Bakte-rien auf verschiedenen Wegen. Sie könnendie Zellwandbildung behindern, die Zell-membran zerstören, die Proteinsyntheseverhindern oder den Stoffwechel der DNS-Bausteine stören. Antibiotika-Resistenzenbei Bakterien gehen, wie auch andereneue Eigenschaften von Organismen, aufMutationen im Genom zurück. Die Trägersolcher Resistenz-Mutationen entziehensich der Wirkung der gegen sie eingesetz-ten Substanz – zum Beispiel durch eineabgewandelte Stoffwechselreaktion oderdurch ein neues Enzym, welches das Anti-biotikum spalten kann.

Unter normalen Umständen sind diese„Mutanten” gegenüber ihren Artgenossenmeist im Nachteil und sterben aus. In An-wesenheit des Antibiotikums aber sind siedie einzigen Überlebenden und vermeh-ren sich. So wird verständlich, warum dermassenhafte Einsatz antibakterieller Sub-stanzen die Ausbreitung resistenter Keimebeschleunigt. Das heißt: Ausgerechnetdort, wo wir besonders viele Antibiotikaeinsetzen – zum Beispiel in Krankenhäu-sern – entwickeln sich besonders schnellneue, resistente Krankheitserreger. Bakte-rien können ihre Resistenzgene – sogarüber Artgrenzen hinweg – untereinanderaustauschen und sorgen so für eine rascheVerbreitung neu erworbener Widerstands-kräfte.

A nno 1928 entdeckte Alexander Fle- ming das Penicillin. Bereits 12 Jahre später warnte der britische Bakterio-

loge vor dem unbedachten Einsatz diesesAntibiotikums: Denn dadurch würde dieAnreicherung gefährlicher Keime begün-stigt. Fleming war aufgefallen, dass trotzder Gabe von Penicillin nicht alle Zelleneines Bakterienrasens absterben, sonderneinzelne Kolonien sich weiter entwickeln.Die Gründer dieser Kolonien musstendemnach unempfindlich – resistent –gegenüber dem Wirkstoff sein.

Fleming hat Recht behalten. Die mas-senhafte und oft unkontrollierte Gabeantibakterieller Substanzen, vor allem inden Industrienationen, ist heute ein ernst-haftes medizinisches Problem. Es gibtbereits Enterokokken-Stämme, denen kei-nes der gebräuchlichen Antibiotika etwasanhaben kann; sie sind „multiresistent”. ImSommer 2002 hatten es Ärzte erstmalsmit Patienten zu tun, die nicht einmal

Antibiotikaresistenzen: Wenn selbst dieschärfsten Waffen stumpf werden

Strukturmodell der ß-Lactamase aus Escherichiacoli, einer im menschlichen Darm vorkommen-

den Bakterienart. Das Enzym hat in diesem Bildbereits das Antibiotikum Penicillin G gebunden

und inaktiviert. Die roten Bereiche geben an, wobei in Krankenhäusern isolierten E. coli-Stäm-

men Veränderungen dieses „Resistenzenzyms“aufgetreten sind, die zur Inaktivierung neuererPenicilline und Cephalosporine führen und sie

ihrer medizinischen Wirksamkeit berauben.

A

am Institut für Technische Biochemie derUniversität Stuttgart von Rolf Schmid undseinen Mitarbeitern hergestellt worden.Angestrebt wird ein Chip, mit dem sicheinige hundert der wichtigsten Antibio-tika-Resistenz-Gene und rund 50 verschie-dene Krankheitserreger nachweisen lassen. Um zu testen, wie sich diese DNS-Chips im Krankenhaus-Alltag bewähren,arbeiten die Molekularbiologen eng miterfahrenen Ärzten des Robert-Bosch-Kran-kenhauses in Stuttgart zusammen. Des-weiteren besteht ein reger Austausch mitdem Würzburger Netzwerk: So könnenneu entdeckte Resistenzmechanismen indie Entwicklung der DNS-Chips aufgenom-men werden. Bei deren Herstellung wirktdie Eppendorf AG mit. Diese Kooperationsoll dazu beitragen, dass die wertvollenDiagnose-Werkzeuge schnell und kosten-günstig für den routinemäßigen Einsatz inKliniken und Labors zur Verfügung stehen.

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Besonders gefährlich ist die routine-mäßige Verfütterung der Arzneien anMasttiere wie Schweine und Geflügel.Denn dabei werden sehr rasch resistenteBakterien selektioniert, die über die Nah-rungskette direkt in den Menschen gelan-gen oder in Krankenhäusern von Patientzu Patient weitergegeben werden. In derEU sind daher bereits einige Antibiotika alsMastmittelzusatz verboten. Diese Ent-scheidung wurde maßgeblich beeinflusstdurch das Robert-Koch-Institut (RKI) inWernigerode, wo das Nationale Referenz-zentrum für Staphylokokken unterhaltenwird. Im Rahmen des Genomik-Förderkon-zeptes sucht die RKI-Arbeitsgruppe „No-sokomiale Infektionen” unter Leitung vonWolfgang Witte nach geeigneten Ab-schnitten bekannter Antibiotika-Resistenz-Gene von Staphylococcus aureus undverschiedenen pathogenen Enterokokken. In Zusammenarbeit mit dem Institut fürTechnische Biochemie der UniversitätStuttgart sollen dann DNS-Chips mit die-sen Genfragmenten bestückt werden, umdamit Blut- und Kotproben infizierter Pa-tienten zu untersuchen. Der Vorteil sol-cher DNS-Chips liegt in ihrer Schnelligkeit.Denn die herkömmliche Prozedur, bei derdie Krankheitskeime erst angezüchtetwerden müssen, dauert mindestens zweiTage; infizierte Patienten müssen also sehrlange warten, ehe die Ärzte wissen, mitwelchen Keimen sie es zu tun haben undwelche Therapie die geeignetste ist.Dagegen liefern die DNS-Chips bereitsnach wenigen Stunden eindeutige Tester-gebnisse.

Der Prototyp eines solchen diagnosti-schen DNS-Chips, mit dem sich 17 Artender wichtigsten nosokomialen (im Kran-kenhaus überragenen) Erreger – darunterEnterokokken, Staphylokokken und Entero-bakterien – aufspüren lassen, ist bereits

Ein Multiplex-PCR genanntes Ver-fahren der Genvermehrung ermög-licht es, aus Patienten isolierte Sta-phylococcus aureus-Keime in einemAnsatz auf mehrere Resistenzgenezu untersuchen. Jede Bande in dengezeigten Gelen repräsentiert einbestimmtes Resistenzgen gegen eingebräuchliches Antibiotikum.

Strukturmodell der DNS-Gyrase aus Strepto-coccus pneumoniae. Das für den Krankheits-erreger lebensnotwendige Enzym kann normalerweise von einem speziellen Antibioti-kum gebunden und so außer Gefecht gesetztwerden. Durch mehrere Mutationen sind seineBausteine (rot und blau markiert) aber so ver-ändert, dass das Antibiotikum nicht mehr bin-den kann. Das Enzym kann ungestört arbeiten,das Bakterium ist resistent.

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Der Begriff Biodiversität umschreibt dieVielfalt der Lebewesen unseres Plane-ten, und zwar unter mehreren Ge-

sichtspunkten: Da ist zum einen die Vielfalt anErscheinungsformen und Verhaltensweisen,welche die Anpassungen an unterschiedlichsteLebensräume ermöglicht und in der ungeheuergroßen Artenzahl ihren Ausdruck findet. Zumanderen haben wir es häufig auch bei ein undderselben Art mit einer ungewöhnlichen Vielfaltvon Lebensweisen zu tun, die in einem umfang-reichen Repertoire an Stoffwechselaktivitätenbegründet liegt. Ein Beispiel ist das stäbchenför-mige Bakterium Ralstonia eutropha, das eineReihe von organischen Nährstoffen verwertet,aber auch von nichts weiter als den drei GasenSauerstoff, Wasserstoff und Kohlendioxid lebenkann. Eine andere Gruppe von Mikroben ausdem Reich der Archaebakterien wartet mitungewöhnlicher Widerstandskraft gegenüberextremen Umweltbedingungen auf: Die Halo-

philen leben in gesättigten Salzlösungen, dieBarophilen halten enorm hohe Drücke aus, dieAzidophilen bzw. Alkalophilen fühlen sich imsehr sauren bzw. basischen Milieu wohl und die Thermophilen mögen es am liebsten heiß.Picrophilus torridus nimmt es sogar mit zweiExtremen gleichzeitig auf: Die Art ist thermo-azidophil, überlebt also Temperaturen um die100 °C und pH-Werte nahe 0. Das sind Bedin-gungen, unter denen gewöhnliche Bakterienauf der Stelle absterben.

Das enorme Potenzial, das in der Biodiver-sität der Bakterien liegt, zu erfassen und einenTeil davon nutzbar zu machen, ist das Ziel einesGenoMik-Kompetenznetzwerkes mit Zentrumin Göttingen. Die beteiligten Arbeitsgruppensind in vier Clustern mit unterschiedlichen For-schungsschwerpunkten zusammengefasst: Cluster I versucht Mikroorganismen, die sich be-reits als Produzenten von Biomolekülen bewährthaben, für die Anforderungen industrieller Pro-zesse zu optimieren. Dazu gehören mehrereBacillus-Arten wie die in der Waschmittelindus-trie eingesetzte Art B. licheniformis, sowie B. amyloliquefaciens, die wegen ihres wachs-tumssteigernden Effektes in der Landwirtschaftvon Bedeutung ist; außerdem das bereits er-wähnte Archaebakterium Picrophilus torridus,dessen Enzyme wegen ihrer Stabilität und Hitze-verträglichkeit in zahlreichen biotechnologi-schen Prozessen gefragt sind.

Die zu Cluster II gebündelten Arbeits-gruppen untersuchen Organismen, deren Enzymsysteme viel versprechende neuartigeEinsatzmöglichkeiten bieten. Dazu zählen unterschiedliche Bakterienarten, die Kohlen-monoxid umwandeln können und deshalb als potenzielle Lieferanten der derzeit noch sehraufwändig durch chemische Synthese erzeug-ten Substanz Butanol in Frage kommen; oderdas Bakterium Ralstonia eutropha, das schonlängere Zeit als Hersteller biologisch abbauba-rer Kunststoffe eingesetzt und nun auch alsgeeigneter Produzent isotopenmarkierter Bio-moleküle entdeckt worden ist.

Cluster III erforscht Gluconobacter oxy-dans, ein Bakterium, das sich durch seinen

Biodiversität der Bakterien und ihre industrielle Nutzung

Im sauerstofffreien Milieu der von Wasser überfluteten Reis-felder herrschen ideale Lebensbedingungen für Methan-produ-zierende Archaebakterien. Diese große Gruppe umfasst neben

einer Vielzahl bereits gut bekannter Familien auch neuartigeFormen, die nur über ihre genetische Ausstattung charakteri-

sierbar sind. Eine davon ist Rice Cluster I (gelb), dessen Ver-wandtschaftsverhältnisse zu den bekannten Gruppen anhand

der Ähnlichkeiten von Genen bestimmt wurden, die ein be-stimmtes Enzym (McrA) bzw. eine Nukleinsäure (16S rRNA) ko-

dieren. Der Entfernungsmaßstab dieses symbolisierten Stamm-baums repräsentiert Sequenzunterschiede von 10 Prozent.

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verschwenderischen Umgang mit Nährstoffenauszeichnet. Es wandelt Zucker und andereorganische Kohlenstoffquellen unvollständigum und lässt dabei Substanzen übrig, diewegen ihrer Wirksamkeit als Vitamine oderArzneimittelbestandteile von großem wirt-schaftlichen und medizinischen Interessesind. In modernen Fermentationsprozessenwerden Gluconobacter-Bakterien beispiels-weise zur Produktion von L-Sorbose – einerVorstufe des Vitamin C – eingesetzt.

Die Genome aller oben vorgestellten Bak-terienarten werden im Rahmen des GenoMik-Förderkonzeptes vollständig sequenziert; anden dazu nötigen Arbeiten ist das GöttingerGenomik-Labor maßgeblich beteiligt. WährendCluster I, II und III – ebenso wie alle hier vorge-stellten Arbeitsgruppen der beiden anderenKompetenznetzwerke mit Zentrum in Würz-burg bzw. Bielefeld – die Genome ausgewähl-ter Bakterienarten analysieren und einen Teil derkodierten Genprodukte untersuchen, befassensich die Molekularbiologen des Clusters IV mitder genetischen Ausstattung ganzer Mikroben-Gemeinschaften. Folgender Gedanke liegt die-sem Ansatz zugrunde: Von der überwältigen-den Diversität der Bakterien ist erst ein kleinerTeil beschrieben, und nur schätzungsweise einevon hundert Arten lässt sich derzeit im Laborkultivieren. Die Lebensbedingungen der rest-lichen 99 % sind nicht bekannt, folglich gelingtes nicht, sie im Labor zu halten. Dennoch willman nicht darauf verzichten, das zweifellosgewaltige genetische Potenzial an Stoffwech-selwegen, Enzyme und weiteren biologischwirksamen Substanzen zu nutzen, die diesegroße Zahl unbekannter Organismen in sichbirgt. Analog den Genbanken einzelner Bakte-rienarten legen die im Cluster IV vereinigtenArbeitsgruppen „Umwelt-Genbanken“ aus denMetagenomen von Biofilmen (siehe LEXIKON S. 30) und anderen nicht näher charakterisier-ten mikrobiellen Lebensgemeinschaften anund untersuchen die darin enthaltenen Gene –

unabhängig von den zugehörigen Organis-men. Im Mittelpunkt des Interesses stehendabei Mikrobenverbände, die Methan abbauenbzw. erzeugen, außerdem Bewohner von Fluss-Sedimenten und Wattenmeer-Schlick sowie Bio-filme auf Wasserleitungen und Kraftstofftanks.

DAS KOMPETENZNETZ GÖTTINGENDas Netzwerk „Genomforschung an Bakterien für die Analyse der Biodiversität und ihre Nutzungzur Entwicklung neuer Produktionsverfahren“ umfasst 22 Forschungsgruppen aus neun deut-schen Universitäten, der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) in Braunschweig,dem Forschungszentrum Jülich, den Max-Planck-Instituten für Marine Mikrobiologie (Bremen),Molekulare Genetik (Berlin) und Terrestrische Mikrobiologie (Marburg) sowie fünf Partner ausder Industrie. Die beteiligten Arbeitsgruppen sind in vier Clustern organisiert, die sich auf unter-schiedliche Gruppen biotechnologisch interessanter Bakterienarten oder mikrobieller Lebensge-meinschaften konzentrieren. Die Genom-Sequenzierungen führen mehrere zentrale Labors ander Universität Göttingen aus, die auch die Herstellung von DNS-Mikrochips vorantreiben unddie anfallenden Datenmengen durch Bioinformatiker verwalten und analysieren.

Die Biodiversität der Mikroorganismen zeigt sich nicht nurin der Vielfalt ihrer äußeren Erscheinungsformen (Bildoben: Meerwasserprobe aus der Antarktis mit zahlreichenetwa ein bis zwei Mikrometer messenden kugel- oder stäb-chenförmigen Bakterienzellen, sowie einem mehrzelligenFadenbakterium und einigen deutlich größeren Algen).Desweiteren unterscheiden sie sich in biochemischen – undletztlich genetischen – Eigenschaften, die nur mittels mole-kularbiologischer Methoden sichtbar gemacht werdenkönnen (Bild unten: Drei Formen des bisher als eine Artangesehenen Süßwasserbakteriums Achromatium oxalife-rum, sichtbar gemacht durch spezifische, fluoreszenzmar-kierte Gensonden; die Bakterien sind mit einem Durchmes-ser von etwa 200 Mikrometer vergleichsweise groß).

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Schon vor langer Zeit hat die Chemi-sche Industrie einen Mitarbeiter inihre Dienste gestellt, der rund um die

Uhr einsatzbereit ist und zuverlässig diebestellten Produkte liefert: Bacillus liche-niformis. Bakterien dieser Art zeichnensich dadurch aus, dass sie große Mengenvon Proteasen, Lipasen und anderen Ver-dauungsenzymen ausscheiden, um sichdamit unterschiedliche Nahrungsquellenzu erschließen. Weil diese Eiweiß- bzw.Fett- spaltenden Enzyme auch Karotten-flecken vom Strampelanzug und Schokola-deneis vom T-Shirt entfernen können undzudem biologisch abbaubar sind, werdensie in steigendem Maße verschiedenenWaschmitteln zugegeben.

Ziel der GenoMik-Forschungsgruppeum Michael Hecker und Thomas Schwedervom Mikrobiologischen Institut der Univer-sität Greifswald ist es, die industrielle En-

zymproduktion durch B. licheniformiszu optimieren. Dieses Wissen soll nichtzuletzt die Wettbewerbsfähigkeit derfinanziell an dem Projekt beteiligten Hen-kel KGaA, Düsseldorf, stärken. Dazu wollendie Wissenschaftler die physiologischenEigenschaften der Bakterien aufklären:Wie reagieren sie auf Stress in Form vonNahrungsmangel, Hitze, hohem Druckoder starker Ansäuerung im Fermenter?Unter welchen Bedingungen produzierensie maximale Mengen der erwünschtenEnzyme? Um diese Fragen zu klären,untersuchen die Wissenschaftler anhandausgewählter, leicht nachweisbarer Protei-ne, wie sich das Expressionsmuster unterbestimmten Bedingungen während desFermentationsprozesses verändert. Zudemsuchen sie nach neuen B. licheniformis-Stämmen, die noch effektivere Enzympro-duzenten sind.

Hochleistung für die Waschmittel-industrie: Bacillus licheniformis

Im Verlauf eines Fermentationsprozes-ses (schematische Darstellung) ändernsich Art und Menge der Proteine, dievon Bacillus licheniformis-Bakterienausgeschieden werden. Diese wech-selnden „Expressionsmuster” werdenmit Hilfe von Fluoreszenz-gefärbtenProteinen in zweidimensionalenElektrophoresegelen sichtbar gemacht.Ihr zeitlicher Verlauf lässt sich anhandvon jeweils zwei Gelen nachvollziehen,die im Abstand weniger Stunden ange-fertigt, dann übereinander gelegt undschließlich mit Fluoreszenzlichtbestrahlt werden. Gelbe Flecken zeigenProteine an, die in beiden Gelen vor-kommen (also zu beiden Zeitpunktenhergestellt wurden); grüne (bzw. rote)Spots weisen Proteine aus, die nur imjüngeren (bzw. älteren) der beiden Geleauftauchen, also nur zum früheren(bzw. späteren) Zeitpunkt von den Bak-terien ausgeschieden wurden.

S

27

ls die ersten Archaeen beschrieben wurden, waren ihre Entdecker erstaunt,welche extremen Umweltbedingun-

gen diese Mikroben auszuhalten vermögenoder gar zum Leben benötigen. So auchPicrophilus torridus: Die thermoacidophileArt lebt bevorzugt bei 60 °C und pH 0,7.Gewöhnliche Mikroorganismen sterbenunter solchen Bedingungen ab, weil ihreEnzyme und andere Proteine zerstört (dena-turiert) werden oder zumindest ihre Funk-tionsfähigkeit einbüßen. Nicht so die Enzy-me von Picrophilus torridus: Sie sind auchbei sehr hohen Temperaturen und niedrigenpH-Werten stabil und machen ihre Arbeitsogar bei 90 °C und pH 0,6. Diese Eigen-schaften sind bei vielen industriellen Prozes-sen gefragt – aus mehreren Gründen: Zumeinen garantieren stabile Enzyme einen kon-tinuierlichen und verlässlichen Produktions-prozess. Zum anderen lassen sich bei hohenTemperaturen schwer lösliche Stoffe besserverarbeiten; Beispiele sind die Umwandlungvon Stärke in Glukosesirup oder die chemi-sche Modifizierung von Wollfasern. Als posi-tiver Nebeneffekt werden krankheitserre-gende und sonstige unerwünschte Keime

abgetötet, die andernfalls die Endprodukteverunreinigen könnten; dies ist insbesonderein der Lebensmittelindustrie von unschätz-barem Vorteil.

Im Rahmen des GenoMik-Förderkonzep-tes arbeiten zwei Forschungsgruppen umGarabed Antranikian (Institut für TechnischeMikrobiologie, Universität Hamburg-Harburg)und Wolfgang Liebl (Institut für Mikrobiolo-gie und Genetik, Universität Göttingen) da-ran, die ungewöhnlichen Enzyme von Picro-philus torridus für biotechnologische Prozessenutzbar zu machen. Voraussetzung ist dieSequenzierung des Genoms von P. torridusund das anschließende Studium interessan-ter Genprodukte. Die Suche konzentriertsich gleichermaßen auf intrazelluläre (im Zellinneren eingesetzte) wie auf extrazellu-läre (nach außen abgegebene) Enzyme desArchaeons. Neben der Identifizierung neuar-tiger hitzestabiler Enzyme erhoffen sich dieWissenschaftler auch die Entdeckung vonbioaktiven Substanzen wie Antibiotika undanderen Arzneien.

Enzyme arbeiten noch bei 100 °C:Picrophilus torridus

Picrophilus torridus ist ein kugelförmigesArchaeon, das 1995 aus sauren Solfataren inHokkaido, Japan, isoliert wurde. Die beiden

abgebildeten Zellen sind aus der Teilung einerMutterzelle hervorgegangen.

Ein 100 bis 200 °C heißes Gemisch aus Wasserdampf undSchwefelwasserstoff tritt aus einem Solfatarenfeld in Ita-lien aus. In den obersten Schichten dieser „verbranntenErde“ leben Picrophilus torridus und andere thermoacido-phile Archaeen.

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Chemolithoautotrophe Bakterien lebenquasi von nichts: Ihre Energie bezie-hen sie zum Beispiel aus der Spal-

tung von Wasserstoff, und zum Aufbauihrer organischen Zellbestandteile genügtihnen gasförmiges Kohlendioxid. Zu diesenanspruchslosen Organismen gehört Rals-tonia eutropha, ein weit verbreitetesBoden- und Süßwasserbakterium. Seinegenetische Ausstattung macht es zu einerArt Alleskönner: Neben einfachen Gasenkann es auch Zucker und andere organi-sche Kohlenstoffquellen nutzen. Diese Viel-falt der Stoffwechselfähigkeiten spiegeltsich in seinem Genom wider, das zweiunterschiedlich große Chromosomen undein Megaplasmid umfasst und mit seineninsgesamt 7,4 Megabasen etwa doppelt sogroß ist wie das gewöhnlicher Bakterien.

Die Aufklärung der Genomsequenz sollein besseres Verständnis der Stoffwechsel-kapazität von Ralstonia ermöglichen. Bär-bel Friedrich vom Institut für Biologie undMikrobiologie der Universität Berlin hat zu-sammen mit Kollegen vom Göttinger Labo-ratorium für Genomanalyse das Megaplas-mid sequenziert. Nun arbeitet sie mit BothoBowien (Universität Göttingen) und Alexan-der Steinbüchel (Universität Münster) an derSequenzaufklärung der Chromosomen.

Seit den 1980er Jahren wird R. eutro-pha zur industriellen Herstellung biologischabbaubarer Kunststoffe aus der Gruppe derPolyhydroxyalkanoate (PHA) genutzt, die esunter bestimmten Bedingungen in seinenZellen speichert (siehe Bild auf S. 9). Einige

Genügsame Selbstversorger:Chemolithoautotrophe Bakterien

Anzucht von Ralstonia eutropha zur Markierung vonBiomolekülen mit Isotopen: Aus den Vorratsflaschengelangen drei verschiedene Gase (Sauerstoff O2,schwerer Wasserstoff 2H2 und schweres Kohlendioxid13CO2) in ein Gasreservoir und werden dort gemischt.Das Gasgemisch wird in den Fermenter geleitet, wo esvon Ralstonia-Bakterien in organische Substanzumgewandelt wird. Messfühler erfassen den Ver-brauch einzelner Gase, die vollautomatisch in denrichtigen Mengenverhältnissen nachgeliefert werden.Die isotopenmarkierten Biomoleküle werdenanschließend aus den Bakterien isoliert.

Schaltschrank mit Pumpen

Gaspumpe

FermenterGasreservoirVorratsflaschen

Gasversorgung

der zugrunde liegenden Gene sind identifi-ziert und wurden bereits in Mais und ande-re Kulturpflanzen eingeschleust, die künftigkostengünstiger PHA herstellen sollen. DasTeam um Alexander Steinbüchel treibt die-se Forschungen voran. Besondere Aufmerk-samkeit kommt dabei einer Gruppe vonHüllproteinen zu: Die Phasine genanntenEiweiße umgeben die PHA-Polymere undermöglichen deren Einlagerung in extremhohen Mengen.

Von großem wirtschaftlichen Interesseist zudem ein neues Einsatzgebiet vonRalstonia eutropha: die Herstellung isoto-penmarkierter Biomoleküle, die sich fürStrukturanalysen mittels Massenspektrome-trie und Kernspin-Resonanzspektroskopieeignen. Dabei macht man sich die Chemo-lithotrophie der Bakterien zunutze: Gibtman ihnen aus dem Kohlenstoff-Isotop 13Caufgebautes Kohlendioxid oder „schweren“Wasserstoff (2H2), dann baut Ralstoniadiese Isotope in alle Arten von Biomolekü-len ein; diese lassen sich anschließend ausden Bakterienzellen isolieren und für ver-schiedenste Anwendungen nutzen. Derviel versprechende Ansatz wurde von Her-mann Heumann am MPI für Biochemie inMartinsried bei München entwickelt unddurch die Silantes GmbH München zurMarktreife gebracht. Von der Genomanaly-se erhoffen sich die beteiligten Wissen-schaftler bessere Einblicke in die Stoffwech-selprozesse des Bakteriums, deren gezielteBeeinflussung in eine noch effektivere Aus-beutung der Mikroben münden soll.

C

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So effizient Ralstonia eutropha selbstäußerst karge Kost verwertet, so ver-schwenderisch gehen Gluconobacter

oxydans-Zellen mit Nährstoffen um – undsind gerade wegen dieser Eigenschaft inter-essant für die industrielle Nutzung. DieMikroorganismen sind „unvollständige Oxidie-rer“: Sie verbrauchen zu ihrer Energiegewin-nung nur einen Teil der in Zucker oder ande-ren organischen Ausgangsstoffen enthaltenenWasserstoff-Atome und scheiden die entste-henden Umwandlungsprodukte aus. Unterdiesen „Abfallstoffen“ sind eine Reihe vonBiomolekülen, die in der chemischen Indu-strie begehrt sind.

Zum Beispiel 5-Keto-D-Gluconsäure (5KGA),ein Vorläufer der Weinsäure, die durch unvoll-ständige Oxidation von D-Glucose entsteht.

Weinsäure ist ein gefragtes Säuerungsmittel fürFruchtsäfte, Bonbons und andere Lebensmittel,und eignet sich zudem als Ausgangssubstratfür enantioselektive Oxidationsreaktionen (sie-he LEXIKON S. 30). Den Umbau von D-Glucosein 5KGA ermöglichen zwei separate Enzymsys-teme in Gluconobacter-Zellen: Eines arbeitetim Inneren der Bakterienzellen, das andere istin die Zellmembran integriert. Die Gene, wel-che für die beteiligten Enzyme kodieren, unter-suchen Hermann Sahm und Kollegen vom For-schungszentrum Jülich sowie Helmut Görischund Mitarbeiter vom Institut für Biotechnologie

der TU Berlin. Die Molekularbiologen strebenan, Gluconobacter oxydans so zu verändern,dass 5KGA im Übermaß produziert wird,zugleich aber keine unerwünschten Neben-produkte gebildet werden.

Uwe Deppenmeier und Kollegen vomInstitut für Mikrobiologie und Genetik derUniversität Göttingen wollen das ganzeSpektrum an Oxidations-Reaktionen ent-schlüsseln, über das Gluconobacter oxy-dans verfügt. Dazu wird derzeit mit Unter-stützung des Göttinger Genomik-Labors undder angegliederten Bioinformatik-Gruppedas gesamte, drei Megabasen umfassendeGenom des Bakteriums sequenziert. EinerGrobanalyse zufolge enthält das Genomrund 3000 Gene, von denen bereits 2000eine Funktion zugeschrieben werden konnte.Über 80 Gene kodieren für Enzyme, die an

Oxidationsproz-essen beteiligtsind – daruntermehr als 30sogenannteDehydrogena-sen, die ver-schiedene Alko-hole umwandelnund weitere 20,

die Zucker unvollständig oxidieren. Ein Teildieser Enzyme wird heute schon zur indu-striellen Produktion pharmazeutischer Wirk-stoffe eingesetzt, zum Beispiel zur Herstel-lung der Diabetes-Arznei Miglitol oder bei derErzeugung von Vitamin C. Die Vielfalt dernoch unbekannten Dehydrogenase-Enzymeverspricht neue Anwendungsfelder in derindustriellen Synthese von Biomolekülen,deren Produktion mit herkömmlichenMethoden chemisch komplex und kostenauf-wändig ist. An der anwendungsorientiertenGenomforschung ist die BASF AG, Ludwigs-hafen, beteiligt.

Gefragter Produzent von Biomolekülen:Gluconobacter oxydans

Gluconobacter oxydans(im Bild zwei begeißelte

Zellen) wandelt verschie-

dene Zucker in Säuren um

– die unter anderem bei

der Herstellung von

Fruchtgummis Verwen-

dung finden.

S

30

Alle GenoMik-Projekte, die auf den voran-gehenden Seiten vorgestellt wurden, haben ungeachtet ihrer enormen Vielfalt

an Fragestellungen und Zielrichtungen eineGemeinsamkeit: Sie konzentrieren sich auf Geneund Genome einzelner Organismen. Einenanderen Ansatz verfolgen die Arbeitsgruppen,die zum IV. Cluster des KompetenzzentrumsGöttingen zusammengefasst sind. Die beteilig-ten Wissenschaftler interessieren sich für dasgenetische Inventar mikrobieller Konsortien,deren einzelne Mitglieder zum Großteil heutenoch nicht kultiviert oder noch keiner bestimm-ten Art zugeordnet sind. Das hindert die Geno-Mik-Forscher nicht daran, die Gene dieser Orga-nismen zu identifizieren und nach neuartigenGenprodukten in Form technisch verwertbarerEnzyme oder potenzieller Arzneien zu suchen.

„Metagenomik” nennt sich dieses spannen-de Forschungsgebiet, dem sich sieben Arbeits-gruppen verschrieben haben. Rolf Daniel undKollegen vom Institut für Mikrobiologie undGenetik der Universität Göttingen nehmen Pro-ben aus natürlichen Lebensräumen, zum Bei-spiel Fluss-Sedimente der Leine oder Schlick ausdem Wattenmeer. Die Molekularbiologenhaben Methoden entwickelt, aus den Probenfunktionsfähige DNS-Stücke zu isolieren, die siein leicht kultivierbare Bakterien wie Escherichiacoli oder Bacillus subtilis einschleusen. EineSammlung aus vielen hundert solcher gentech-nisch veränderter Escherichia- oder Bacillus-Stämme ergibt eine so genannte Genbank. Aus den Genbanken werden in einem Scree-ning-Programm diejenigen Gene ermittelt,deren Genprodukte für die industrielle Syntheseverschiedenster Biomoleküle – insbesonderevon chiralen Alkoholen und Hydroxylsäuren –geeignet erscheinen. An einem Teil der Studiensind Forscher der Bayer AG Leverkusen beteiligt.

Nach neuartigen Biokatalysatoren suchenebenso die Arbeitsgruppen von Karl-Erich Jaeger(Forschungszentrum Jülich und Institut für Mole-kulare Enzymtechnologie der Universität Düssel-dorf), Kenneth Timmis (GBF, Braunschweig) undWolfgang Streit (Institut für Mikrobiologie undGenetik der Universität Göttingen). Ihr besonde-res Interesse gilt Verdauungsenzymen, die Fette,

Proteine, Zellstoff, Stärke und andere Kohlenwas-serstoffe spalten und als umweltfreundliche Bio-katalysatoren beispielsweise zum Bleichen in derPapierproduktion oder zur Klärung von Frucht-säften eingesetzt werden. Zwei Dutzend solcherEnzyme wurden im Rahmen des GenoMik-För-derkonzeptes bereits isoliert.

Die Metagenome stammen aus Biofilmen,die in der Regel einheitlicher und besser charak-terisierbar sind als Schlick und sonstige Umwelt-proben. Das Team um Wolfgang Streit konzen-triert sich auf zwei Typen von Biofilmen, dienicht nur ökonomisch verwertbare Enzyme ver-sprechen, sondern aufgrund ihrer schädigen-den Einflüsse für Verbraucher und Hersteller von

Biofilme und Bakterien-Riffe: Lebensge-meinschaften mit ungeahnten Potenzialen

LEXIKON❍ Biofilme sind mikrobielle Lebensgemein-

schaften, die Oberflächen aller Art überzie-hen – seien es Kanülen und Implantate,Schiffsrümpfe oder Druckmaschinen

❍ Chiral heißen Biomoleküle, wenn sie zweioder mehr Substanzen (so genannte Enantio-mere) enthalten, die chemisch identisch sind,sich aber wie Bild und Spiegelbild unterschei-den. Häufig ist nur eines der möglichen Enan-tiomere biologisch aktiv. Weil dessen gezielteHerstellung chemisch meist sehr aufwändigist, sind enantioselektiv arbeitende Biokata-lysatoren (=Enzyme) äußerst gefragt

❍ Eine Bakterienart kultivieren heißt, sie imLabor mit einem künstlich zusammengesetz-ten Nährmedien zu versorgen, so dass siewachsen und sich vermehren kann

❍ Als Konsortien werden hier Gemeinschaftenaus zahlreichen Mikrobenarten bezeichnet,die einen bestimmten Lebensraum besiedelnund die dort verfügbaren Nährstoffe in sorg-fältig aufeinander abgestimmten Stoffwech-selschritten umwandeln und verwerten

❍ Ein Metagenom ist die Gesamtheit des gene-tischen Materials der Mikroorganismen einesbestimmten Lebensraums

❍ PCB = Polychlorierte Biphenyle gehören zuden chlorierten Kohlenwasserstoffen undwurden besonders in Dichtungsmassen undLeuchtstoffröhren eingesetzt. Die gesund-heitsschädlichen Substanzen sind in Deutsch-land seit 1989 verboten. Weil sie schwerabbaubar sind, kommen sie in der Umweltfast überall noch vor

bei. Werner Liesack (MPI für Terrestrische Mikro-biologie, Marburg) und Kollegen erforschen dieVerwandtschaftsverhältnisse einer Gruppe vonArchaebakterien, die unter sauerstofffreien Be-dingungen in Reisfeldern Methan produzieren.

Genau den umgekehrten Stoffwechselwegbeschreiten methanotrophe Mikroorganismen,die das Team von Rudolf Amann (MPI für MarineMikrobiologie, Bremen) in enger Zusammenar-beit mit Richard Reinhardt und Kollegen vomMPI für Molekulare Genetik, Berlin erforschen.Sie leben – ebenfalls unter sauerstofffreien Be-dinungungen – zum Teil hunderte von Meterntief am Meeresgrund über unterirdischenMethanlagerstätten. Dort bauen sie entwei-chendes Methan ab und verhindern dadurch,dass das „Treibhausgas“ ins Meerwasser undvon dort in die Atmosphäre gelangt.

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Interesse sind: Der eine überzieht Wasserlei-tungsrohre und deren Regulationsventile, derandere wächst auf Dieselkraftstoffen und kannLagertanks verschmutzen. Kenneth Timmis undMitarbeiter von der GBF interessieren sich fürBiofilme aus Böden, die mit PCB und anderenGiftstoffen kontaminiert sind. Von dem Metage-nom dieser nicht kultivierten Mikroorganismenwerden Genbanken hergestellt, um PCB-spal-tende Enzyme, aber auch neuartige Sekundär-metabolite (siehe Lexikon S. 38) zu erhalten.

Wissenschaftler von drei Max-Planck-Institu-ten (MPI) untersuchen eine Gruppe von Prokary-oten-Konsortien, die durch ihre Fähigkeit zumAbbau oder zur Synthese von Methan gekenn-zeichnet sind. Methan ist zum einen eine hoch-wertige Energiequelle, zum anderen trägt es als„Treibhausgas” erheblich zur Erderwärmung

Diese riffartigen Strukturen mit meterhohen Säulen (Bild links) wachsen in 230 Meter Tiefe amGrund des Schwarzen Meeres. Sie sind das Werk eines bisher nicht kultivierten Mikroben-Konsorti-ums (Mikroskopische Aufnahme rechts) aus Archaebakterien (rot angefärbt) und Bakterien (grünangefärbt). Es bildet bis zu zehn Zentimeter dicke Matten, die durch ein inneres Kalziumcarbonat-gerüst gestützt und von Gas – hauptsächlich Methan – durchströmt werden. Die Mikroben wandelnunter sauerstofffreien Bedingungen quasi Hand in Hand Sulfat und Methan zu Sulfid und Hydrogen-carbonat um, das dann mit Kalzium ausfällt. Offenbar gewinnen sie dabei Energie und bauen damiteine enorme Biomasse auf – ein erstaunliches Phänomen, da von vielen Bakterien genau der umge-kehrte Weg, also die Methansyntese aus Kohlendioxid, beschritten wird.

Metagenom-Forscher analysieren das genetische Potenzial ganzer Lebensgemeinschaften, ohne die beteilig-ten Mikrobenarten einzeln zu betrachten. Dazu nehmen sie Proben aus natürlichen Lebensräumen (von obennach unten: Salzsee, von Biofilmen überzogene Wasserleitung, Wattenmeer), isolieren daraus die DNS undschleusen kleine oder große Stücke davon („Inserts”) mittels geeigneter Genvektoren in Escherichia coli-Bak-terien ein. So entstehen Umwelt-Genbanken aus hunderten von E. coli-Stämmen, die auf unterschiedlichenNährmedien zeigen sollen, ob sie durch ihre Inserts neuartige Eigenschaften erworben haben. Die Umweltge-ne interessanter Stämme werden anschließend sequenziert und ihre Genprodukte (Proteine) analysiert.

Umwelt-Genbanken

Kleines Insert

Großes Insert

32

Unsere Umwelt wird von der allumfas-senden Präsenz der Bakteriengeprägt, und auch in der Landwirt-

schaft spielen die Mikroben – durch fördern-de und schädigende – Einflüsse eine bedeu-tende Rolle. Ihre Stoffwechselleistungentragen nicht nur zur Wachstumssteigerungvon Nutzpflanzen bei, sondern werden auchzur industriellen Produktion von Lebens- undFuttermittelzusätzen sowie bei der Arznei-mittelerzeugung genutzt. Bakterien aus die-sen drei Bereichen – Landwirtschaft, Umweltund Biotechnologie – werden im Rahmendes GenoMik-Förderkonzeptes von einemKompetenznetzwerk mit Zentrum in Biele-feld erforscht. Die beteiligten Wissenschaft-ler ermitteln die Sequenz von fünf bakteriel-len Genomen; unter den ausgewählten Artenbefinden sich ausgesprochen schädliche Ver-treter, aber auch Spezies, die sowohl land-wirtschaftlich als auch biotechnologisch vongroßem Nutzen sind.

Phytopathogene Bakterien, die zum Bei-spiel Paprika und Tomaten befallen, verursa-chen Ernteausfälle in Höhe von vielen Millio-nen US-Dollar pro Jahr. Die Erforschung ihrerGenome soll neue Einsichten in die Mecha-nismen der Krankheitsentstehung bringen –um künftig aus diesem Wissen effektive undzugleich umweltschonende Bekämpfungs-strategien ableiten zu können.

Zu den Nützlingen gehört ein Stickstofffixierendes Bakterium namens Azoarcus. Es

lebt in enger Gemeinschaft mit verschiede-nen Gras-Arten, darunter auch der Reispflan-ze, die in vielen Teilen der Welt die Nahrungs-versorgung der Bevölkerung sicherstellt. Die„Düngeleistung“ dieser Mikrobe könnte in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Boden-fruchtbarkeit leisten; mit einem detailliertenVerständnis der zugrundeliegenden geneti-schen Mechanismen sollte sich dieser Nütz-ling im Dienste einer Nachhaltigen Landwirt-schaft einsetzen lassen.

Ein weiterer Nützling, dessen vollständi-ges Genom sequenziert werden soll, fälltdurch seine ungewöhnliche Lebensweise auf:Der Meeresbewohner Alcanivorax borku-mensis ernährt sich fast ausschließlich vonErdöl. Der Sonderling ist deshalb überall dortzur Stelle, wo – zum Beispiel nach einemTankerunfall – große Mengen Öl ins Meerlaufen. Allerdings vermehrt er sich zu lang-sam, um die giftigen Ölteppiche schnellgenug abzubauen. Auch in diesem Fall solleine Genomsequenzierung neue Einblicke inden komplizierten Nahrungs- und Energie-stoffwechsel des Bakteriums bringen. Mögli-cherweise gelingt es dann, seine Leistungen

Bakterien mit Bedeutung für Landwirt-schaft, Umweltschutz und Biotechnologie

LEXIKON❍ Essenzielle Aminosäuren: Von den 20 Ami-

nosäuren, die das Grundgerüst sämtlicherEiweiße (=Proteine) bilden, können Men-schen und die meisten Tiere nur etwa dieHälfte aus Vorstufen selbst herstellen; dierestlichen sind aber ebenfalls lebens-notwendig (=essenziell) und müssen dahermit der Nahrung aufgenommen werden

❍ Phytopathogene Bakterien infizierenPflanzen und lösen Krankheitssymptomeaus, die oft gravierende Ernteausfälle ver-ursachen

❍ Stickstoff fixierende Bakterien wandelnden gasförmigen Stickstoff der Luft inpflanzenverwertbare, lösliche Stickstoff-verbindungen um

❍ Symbiose: Eine für beide Seiten vorteil-hafte Beziehung zwischen Lebewesenzweier verschiedener Arten (oft aus un-terschiedlichen Organismen-Reichen), die in direktem Kontakt zusammenleben

Von Clavibacter michiganensis infizierte Tomatenzeigen als typische Krankheitssymptome Blattwelke

und Sprossläsionen.

U

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zu steigern und es gezielt zum Umweltschutzeinzusetzen.

Ganz andere Qualitäten machen denBodenbewohner Sorangium cellulosum fürdie Genomforscher interessant: Die zu denMyxobakterien gehörende Mikrobenart pro-duziert ein breites Spektrum chemischerSubstanzen, von denen sich einige als wir-kungsvolle Antibiotika oder krebshemmendeArzneien erwiesen haben.

Die Genomsequenzierungen werdenergänzt durch postgenomische Analysen anzwei weiteren Arten Stickstoff fixierenderBakterien sowie dem industriell genutztenCorynebacterium glutamicum, das vorallem zur Gewinnung der essenziellen Ami-nosäure Lysin – einem begehrten Futtermit-telzusatz – verwendet wird. An einigen Pro-jekten sind Industriefirmen beteiligt; so solldie unmittelbare wirtschaftliche Verwertungder innerhalb der Netzwerke erzielten For-schungsergebnisse sichergestellt werden.

Sowohl Genom- als auch Postgenomfor-schung ist nur mit Hilfe von leistungsfähigenLaborgeräten möglich, die komplexe Arbeitsab-

läufe automatisch und präzise im Hochdurch-satzverfahren ausführen. Zu ihnen zählenKapillarsequenziergeräte, Mikroarray-Spotterund Massenspektrometer. Ein eigens etablier-ter „Technologie-Knoten“ unter Leitung vonAlfred Pühler vom Lehrstuhl für Genetik derUniversität Bielefeld stellt seine Ausrüstung undqualifizierte Mitarbeiter zur DNS-Sequenzie-rung, Transkriptom- und Proteomanalyse allenam Netzwerk beteiligten Forschungsgruppenzur Verfügung. Um die gigantischen Daten-mengen zu verwalten und zu interpretieren istan diesem Technologie-Knoten eine Bioinfor-matik-Gruppe angesiedelt, die über die nötigeHardware-Infrastruktur in Form eines Rechen-Clusters aus 90 Workstations verfügt. EineGruppe von Bioinformatikern hat verschiedeneProgramme zur Interpretation bakterieller Ge-nomsequenzen und zur Auswertung von Datenaus Transkriptom- und Proteomexperimentenentwickelt. Die Bioinformatik-Gruppe des Tech-nologieknotens erhält Unterstützung vonRobert Giegerich und Mitarbeitern sowie vonweiteren an der Universität Bielefeld angesie-delten Bioinformatik-Lehrstühlen.

DAS KOMPETENZNETZ BIELEFELDDas Netzwerk „Genomforschung an Bakterien für den Umweltschutz, die Landwirtschaft unddie Biotechnologie“ umfasst 21 Forschungsgruppen an 12 deutschen Universitäten, drei For-schungseinrichtungen – Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) in Braunschweig,Forschungszentrum Jülich, Hans-Knöll-Institut für Naturstoff-Forschung in Jena – und zwei Bio-tech-Firmen.Das Netzwerk gliedert sich in drei Verbünde, die von einem Zentrum an der Universität Biele-feld koordiniert werden. Der Verbund Landwirtschaft erforscht pflanzenwuchsfördernde undpflanzenwuchsschädigende Bakterien, der Verbund Umweltschutz befasst sich mit schadstoff-abbauenden Bakterien und der Verbund Biotechnologie untersucht in verschiedenen Arbeits-gruppen Corynebakterien, Streptomyzeten und Myxobakterien. Das Kompetenzzentrum umfasst das Netzwerk-Management und einen Technologieknoten, dersich auf die Wissens- und Technikvermittlung konzentriert.

Bestimmte Bodenbakterien (Rhizobien) leben in enger Symbiose mit dem Schneckenklee Medicago trunca-tula: Die Pflanze bildet Wurzelknöllchen (Bild Mitte), in deren Schutz die Bakterien sich vermehren (Bild rechts) und Stickstoff aus der Luft binden, der ihrem Partner zu besserem Wachstum verhilft (Bild links).

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Pflanzen brauchen Stickstoff, um zuwachsen und Früchte zu bilden. ImBoden ist dieser lebenswichtige Nähr-

stoff nur in begrenzter Menge vorhanden.In der Luft gibt es ihn dagegen in Hülle undFülle – allerdings nur in Form gasförmigerMoleküle, die sich dem Zugriff der Pflanzenentziehen. Landwirtschaftlich intensivgenutzten Flächen wird Stickstoff daher inForm von Kunstdünger zugeführt. Daskostet Geld und Arbeitszeit und belastet

zudem das Trinkwasser. Eine vielverspre-chende biologische Alternative stellen Bak-terien in Aussicht, die den Luft-Stickstoffbinden und in pflanzenverfügbare Formenüberführen können.

Eines davon ist Azoarcus, das im Wur-zelgewebe von Kallargras und Reispflanzenvorkommt und seine Partner mit Stickstoffversorgt. Das Genom dieses Bakteriumsuntersuchen Barbara Reinhold-Hurek undThomas Hurek an der Universität Bremen.Mittels Genom-, Transkriptom- und Pro-teomanalysen wollen die Mikrobiologen

Hoffnungsträger für eine nachhaltige Land-wirtschaft: Stickstoff fixierende Bakterien

Bradyrhizobium japonicum bildet an den Wurzeln vonSojapflanzen typische Knöllchen aus (B). Infizierte Pflan-zen werden von den Bakterien mit Stickstoff versorgt undwachsen besser (A links) als nicht infizierte (A rechts).

Bestimmte Gene (von Punkten repräsentiert)sind im Knöllchenbakterium Sinorhizobium

meliloti nur aktiv, wenn es gut mit Nährstoffenversorgt ist (Punkte oberhalb der gestricheltenLinie); andere Gene sind nur bei mangelernähr-

ten Bakterien aktiv (Punkte unter der Linie). DerVergleich solcher „Expressionsprofile“ gibt Auf-

schluss über die genetische Regulation vonGenen unter wechselnden Umweltbedingungen.

herausfinden, welche Enzyme bei derWechselwirkung zwischen Azoarcus undseinen Partnern mitwirken und durch wel-che Gene sie kodiert sind. Zu den „Knöll-chenbakterien“ zählt Bradyrhizobiumjaponicum, das die Wurzeln der Soja-Boh-nen mit Stickstoff versorgt. Die Gene, diedie Symbiose mit der bedeutenden Nutz-pflanze ermöglichen, werden im Rahmendes GenoMik-Förderprojektes von MichaelGöttfert an der TU Dresden untersucht.

Eines der am besten erforschten Knöll-chenbakterien ist Sinorhizobium meliloti,das Symbiosen mit mehreren Arten vonSchmetterlingsblütlern eingeht, so auch mitMedicago truncatula, einem Verwandtender Luzerne. Die Sequenzierung desGenoms von M. truncatula – es ist circa ein-bis vierhundertmal größer als das des Bakte-riums – wird noch einige Zeit in Anspruchnehmen. Doch schon jetzt steht ein DNS-Mikroarray mit rund 16.000 der vermuteten35.000 Pflanzengene zur Verfügung. DieSequenzierung des Sinorhizobium-Ge-noms wurde von einem internationalen For-schungs-Konsortium unter Mitarbeit vonGenetikern der Universität Bielefeld im Jahr2000 abgeschlossen. Dadurch ist es nunmöglich, das genetische Zusammenspielder beiden (bakteriellen und pflanzlichen)Symbiosepartner zu erforschen.

P

Bonas und ihr Team von der Universität Hal-le-Wittenberg beschäftigen sich intensivmit der auf Tomaten und Paprika speziali-sierten Xanthomonas campestris-Formvesicatoria, um die Wechselwirkung zwi-schen Wirtspflanze und Krankheitserregerzu entschlüsseln. Das Genom des Bakteri-ums wird im Rahmen des GenoMik-Projek-tes vollständig sequenziert und analysiert.Bereits bekannt ist ein Komplex von 22Genen mit der Bauanleitung für einenEiweiß-Export-Apparat, der wie eine Mikro-Spritze funktioniert: Wenn das Bakteriumsich an die Zellwände seiner Wirtspflanzeanlagert, injiziert es mit Hilfe dieser Mikro-Spritze seine zerstörerischen Eiweiße, dieso genannten Effektorproteine. Die passen-den Gene zu diesen Proteinen – Ulla Bonasschätzt ihre Zahl auf bis zu 60 – liegen zumTeil in unmittelbarer Nähe zu denen desExport-Apparates und werden durch diesel-ben genetischen Mechanismen reguliertwie diese; die meisten Gene sind jedochüber das gesamte Genom verteilt.

35

Bakterien können nicht nur beim Men-schen Krankheiten hervorrufen, son-dern auch bei Tieren und Pflanzen.

Durch den Befall wichtiger Kulturpflanzenverursachen solche phytopathogene Bakte-rien Ernteausfälle, die hohe wirtschaftlicheVerluste oder gar Hungersnöte mit sichbringen können. Mit konventionellen Mit-teln lassen sich nur von wenigen Nutzpflan-zen Sorten züchten, die wenig oder garnicht anfällig gegenüber bakteriellen Krank-heitserregern sind. Die Genomforschungerlaubt es, die Natur dieser Pflanzenschäd-linge besser zu verstehen und birgt neuarti-ge Möglichkeiten ihrer Bekämpfung.

Clavibacter michiganensis dringt überkleine Verletzungen in Tomatenpflanzen ein,verbreitet sich über das Leitbündelsystem imInneren seiner Wirtspflanze und verursachtdie Welkekrankheit sowie Verletzungen desSprosses. Derart geschwächte Pflanzen tra-gen weniger Früchte oder sterben ab,wodurch es zu großen Ernteverlusten in denHauptanbaugebieten der Tomate kommt.Bisher ist es nicht gelungen, unempfindlicheTomatensorten zu züchten; den einzigenSchutz vor den Erregern bietet die sorgfälti-ge Auswahl nicht infizierten Saatgutes. DieGenomforschung sucht nach neuen Ansät-zen, widerstandsfähige Tomatenpflanzenzu erzeugen oder die pathogenen Bakte-rien anderweitig unter Kontrolle zu bringen.Rudolf Eichenlaub und sein Team von derUniversität Bielefeld arbeiten an der Identifi-zierung derjenigen Gene, die für die Wech-selwirkung zwischen den Mikroben undihren Wirtspflanzen unerlässlich sind. DerVergleich mit anderen, näher oder fernerverwandten pathogenen Mikrobenarten,soll aufdecken, welche Gene spezifisch füreinen bestimmten Erreger bzw. allen phyto-pathogenen Erregern gemeinsam sind.

Xanthomonas campestris teilt sich inmehrere Formen, die sich auf verschiedeneNutzpflanzen spezialisiert haben: Einedavon befällt Tomaten und Paprika-Pflan-zen und löst die Bakterielle Fleckenkrank-heit aus, eine andere infiziert Raps, Weiß-kraut und weitere Kohlgewächse, an denenes die Blattfäule-Krankheit hervorruft. Ulla

Mikroben mit Hunger auf Kohl und Tomaten

Xanthomonas campestris pv. campestris befällt Weißkohl und löstin seiner Wirtspflanze die Schwarzadern-Fäule aus (Bild links). Papri-kapflanzen gehören dagegen nicht zu den Wirten und entwickelngewöhnlich keine Krankheitssymptome. Die gelben Flecken auf denPaprika-Blättern (Bild rechts) gehen auf eine künstliche Infektionmit Xanthomonas-Mutanten zurück (Bild Mitte); ihnen fehlt einbestimmtes Oberflächenmolekül, an dem befallene Paprikazellenden Erreger erkennen und abwehren können. Das Experiment,durchgeführt von Karsten Niehaus, Universität Bielefeld, soll zusam-men mit genetischen Studien die Mechanismen aufdecken helfen,die Pflanzen zur Erkennung pathogener Keime befähigen.

Wirtspflanze Nicht-Wirtspflanze

„Abwehr“(Paprika)

Xantomonascampestris

pv. campestris„Schwarzaderfäule“(Kohl)

B

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Erdöl ist unsere wichtigste fossile Energie-quelle und zugleich wertvoller Rohstofflie-ferant für die Petrochemische Industrie.

Gelangt es jedoch unkontrolliert ins Meer –zum Beispiel infolge eines Tankerunfalls oderbei der routinemäßigen Verklappung von Rest-öl – dann hat das verheerende Folgen für dasbetroffene Ökosystem. Denn für die meistenLebewesen ist Erdöl höchst giftig. Eine Ausnah-me machen bestimmte Mikroben, die im Meer-wasser leben: Sie haben sich auf die Verwer-tung von Alkanen – den Hauptbestandteilendes Erdöls – spezialisiert. Da die Mikroben mitdem ungewöhnlichen Geschmack im Laborschwer zu kultivieren sind, ist es erst vor weni-gen Jahren gelungen, einige ihrer Vertreter zuidentifizieren. Zu ihnen zählt das BakteriumAlcanivorax borkumensis, benannt nach sei-ner Vorliebe für Alkane. In sauberem Salzwas-ser ist Alcanivorax borkumensis ebenso wieandere ölverwertende Mikroben nur in gerin-ger Zahl zu finden. Denn im Gegensatz zugewöhnlichen Bakterien, die sich von einerbreiten Palette von Zuckern, Eiweißen und Koh-lehydraten ernähren, kann Alcanivorax – mitAusnahme einiger weniger Substrate wie z. B.Pyruvat – ausschließlich Alkane verwerten.Sobald das Wasser durch große Mengen aus-gelaufenen Öls verschmutzt wird, hat Alcani-vorax beste Wachstumsbedingungen undvermehrt sich so stark, dass seine Zellen schließ-lich alle anderen Mikrobenarten – inklusive wei-terer ölverwertender Spezies – an Masse umein Vielfaches übertreffen.

Wegen seiner außergewöhnlichen Stoff-wechseleigenschaften ist A. borkumensis dietreibende Kraft zur Selbstreinigung ölver-schmutzter Ökosysteme. Doch um die Bakte-rien zur Sanierung belasteter Meeresteile einsetzen zu können, müsste man ihre Wachs-tums- und Vermehrungsgeschwindigkeit deut-lich steigern. Dazu ist es nötig, die Besonder-heiten ihrer Lebensweise besser zu verstehenals bisher. Die Bakterien geben seifenähnlicheSubstanzen (Tenside) ab, die ihnen den un-mittelbaren Kontakt zu Öltröpfchen erlaubenund die Aufnahme der wasserabweisendenAlkane erleichtern. Noch ist völlig unklar, welche

Mechanismen es den Zellen erlauben, die – fürdie meisten anderen Mikroben tödliche – Nähezu den membranzerstörenden Öltröpfchenunbeschadet zu überstehen; die zugrunde-liegenden Gene sind bisher noch nicht bekannt.Als ersten Schritt zur Aufklärung der geneti-schen Organisation von Alcanivorax hat das

Team um Kenneth N. Timmis zusammen mitdem Genomforschungszentrum der UniversitätBielefeld das komplette Genom sequenziertund darin mehr als 3000 Gene identifiziert. Aufdieser Grundlage soll nun ein spezifischer DNS-Chip entstehen, anhand dessen die Expressioneinzelner Gene unter verschiedenen Wachs-tumsbedingungen untersucht werden soll. ErsteProteom-Analysen haben gezeigt, welche Genean- bzw. abgeschaltet sind, wenn die Bakterienin frischem bzw. ölhaltigem Meerwasser ge-wachsen oder künstlicher Bestrahlung durchUV-Licht ausgesetzt waren. Versuche mit Alca-nivorax-Mutanten, bei denen experimentell ein-zelne Gene zerstört wurden, sollen weitere Auf-schlüsse über deren Funktion bringen.

Ein Meeresbakterium baut Erdöl ab:Alcanivorax borkumensis

Alcanivorax-Zellen zeichnen den Umriss einesÖltröpfchens nach, von dem sie sich ernähren(Bild a). Sie können die darin enthaltenen Alkanegut verwerten und bilden entsprechend großeZellen (Bild b) mit zahlreichen Nährstoff-Vorratsla-gern (Sternchen), die oft in der Nähe des Kernplas-mas liegen (Pfeile). Deutlich schlechter wachsendie Keime, wenn sie anstelle eines Alkans Pyruvatzu fressen bekommen: Die Zellen bleiben klein(Bild c) und lagern nur wenige Reservestoffe ein.

E

Water phase

Alkane droplet

37

Corynebacterium glutamicum lebtnormalerweise im Erdboden, wo esoft Engpässe bei der Nahrungsver-

sorgung gibt. In mageren Zeiten richten dieBakterien ihren Stoffwechsel so ein, dass sielebenswichtige Nährstoffe wie zum BeispielAminosäuren selbst herstellen. Diese Fähig-keit hat die Mikroben bereits vor Jahrzehn-ten zu einer begehrten „Zellfabrik“ derLebens- und Futtermittelindustrie gemacht.Setzt man ihnen nämlich eine sorgfältigausgewählte Magerkost vor, dann produ-zieren sie gigantische Mengen an Amino-säuren. Eine von ihnen ist Glutamat, das –vor allem in Asien – als Geschmacksverstär-ker Fleisch- und Wurstwaren, Suppen undallerlei Fertiggerichten zugesetzt wird.

Für den europäischen Markt bedeutsa-mer ist die ebenfalls von C. glutamicumproduzierte Aminosäure Lysin, von derweltweit an die 600.000 Tonnen pro Jahr

verkauft werden. Säugetiere können Lysinnicht selbst herstellen, und auch ihre Fut-terpflanzen enthalten oft zu wenig davon.Deshalb wird dem Futter für Schweine undGeflügel häufig tierisches Protein in Formvon Fisch- oder Tiermehl zugesetzt – was,wie wir mittlerweile wissen, die Verbrei-tung des tödlichen BSE-Erregers begün-stigt hat. Eine verbraucherfreundlicheAlternative ist die Anreicherung der Futter-mittel mit Lysin aus C. glutamicum.

Die wichtigsten Biosyntheseschritte,die zu Glutamat und Lysin führen, sindlängst bekannt und haben zur Verbesse-rung der industriellen Aminosäure-Erzeu-gung geführt. Allerdings basieren vieleProduktionsprozesse auf Erfahrungswer-ten. Ziel der Bielefelder GenoMik-Forscherist es, die genetische Steuerung der Stoff-wechselenzyme im Detail zu verstehen,um diese dann gezielt zugunsten einernoch effizienteren Nutzung zu beeinflus-sen. Dazu hat eine Arbeitsgruppe umAlfred Pühler vom Lehrstuhl für Genetikder Universität Bielefeld zusammen mitForschern der Degussa AG in Halle/Westfa-len das komplette Genom von C. glutami-cum sequenziert. Die Bakterien bauenverschiedene Ausgangsstoffe zu Amino-säuren um, zum Beispiel Traubenzucker,Essig- und Milchsäure. Hermann Sahm(Forschungszentrum Jülich), Reinhard Krä-mer (Universität Köln) und Bernd Eikmanns(Universität Ulm), Jörn Kalinowski (Univer-sität Bielefeld) und Mitarbeiter wollen nunfolgende Fragen klären: Welche Generegulieren die einzelnen Synthesereaktio-nen und von welchen Nährstoffen werdensie stimuliert? Wie wird die Aminosäure-synthese durch die Zugabe der unver-zichtbaren Ammonium- und Phosphatsal-ze am günstigsten beeinflusst? Dass sichdas Genomstudium lohnt, zeigen ersteErgebnisse, die in Kooperation mit Degus-sa zustande kamen: Durch gezielte gen-technische Eingriffe wurden bereits meh-rere Stämme erzeugt, die sich durch einegesteigerte Lysinproduktion auszeichen.

Liefert Lebens- und Futtermittelzusätze:Corynebacterium glutamicum

Ringförmige „Genkarte“ des 3,28 Mega-Basenpaareumfassenden Genoms von Corynebacterium glutamicum

Stamm ATCC 13032. Die vier konzentrischen Kreise sym-bolisieren (von außen nach innen): Kodierende DNS-

Sequenzen, die (1.) im bzw. (2.) gegen den Uhrzeigersinnabgelesen werden; (3.) Anteil der DNS-Bausteine Guanin

und Cytosin (G+C) , dargestellt als Abweichungen vomDurchschnittswert in positiver (nach außen zeigende)bzw. in negativer Richtung (nach innen zeigende Bal-ken); (4.) das G/C-Verhältnis als positive (schwarz) bzw.negative (rot) Abweichungen vom Durchschnittswert.

C

38

Dass Antibiotika erfolgreich gegen Bak-terien eingesetzt werden können, weißjeder Patient, der mit ihrer Hilfe eine

schwere Infektionskrankheit überwunden hat.Kaum bekannt ist dagegen, dass die meistenantibakteriellen Wirkstoffe auch von Bakterienproduziert werden. Rund 70 Prozent allerbekannten Antibiotika werden aus Streptomy-zeten gewonnen, die natürlicherweise resi-stent sind gegen ihre eigenen Abwehrstoffe.Streptomyzeten sind ungewöhnliche Bakterien:Sie leben nicht als Einzelzellen, sondern bildenwie Pilze im Boden ein Myzel. Wenn die Nah-rung knapp wird, wächst dieses Myzel in dieLuft und bildet Sporen aus, die sich durch Luftund Wasser in neue Lebensräume tragen las-sen. In diesem Stadium der Luftmyzelbildungproduzieren die Bakterien – wahrscheinlich zuihrer eigenen Verteidigung – Antibiotika undandere Sekundärmetabolite, die auch demMenschen nützlich sind.

Sechs Arbeitsgruppen des Netzwerks Biele-feld erforschen die Synthese unterschiedlicherAntibiotika, die von diversen Streptomyzetenstammen und zum Teil bereits auf ihre mögli-che Anwendung als Therapeutika getestet wur-den. Einige davon, zum Beispiel Aurantimycin,Mensacarcin oder Lysolipin, hemmen Bakterienund bremsen überdies das Wachstum von Tu-morzellen. Kirromycin richtet sich wegen seinesbesonderen Wirkmechanismus´ gegen einigeBakterien, ist aber unschädlich für menschlicheZellen. Die Forschergruppen haben sich zumZiel gesetzt, die oft bis zu 50 Einzelschritteumfassende Biosynthese der ausgewähltenStreptomyces-Wirkstoffe aufzuklären.

Voraussetzung dafür ist, die zugrunde lie-genden Gene zu identifizieren. Dazu wurden inKooperation mit der Combinature BiopharmAG, Berlin, Cosmid-Genbanken der Strepto-myces-Stämmen hergestellt, die bei –80 °Caufbewahrt werden. In den Genbanken habendie Forscher nun diejenigen Kolonien ausfindiggemacht, die Cosmide mit der genetischenBauanleitung zur Antibiotikaproduktion enthal-ten. Bei der Suche half das Wissen, dass man-che Stoffwechselschritte bei der Biosynthesemehrerer Antibiotika vorkommen und somit

auch beim Aufbau noch unbekannter Wirkstof-fe eine Rolle spielen könnten. Mit Hilfe derbekannten Aminosäuresequenzen der beteilig-ten Enzyme können Gensonden konstruiertwerden, die zum Aufspüren von Cosmiden mitBiosynthesegenen dienen. Im nächsten Schrittwerden diejenigen Cosmide, die interessanteStreptomyces-Gene enthalten, sequenziert,um schließlich die Funktion der davon kodier-ten Enzyme aufzuklären. Die Erkenntnisse sollendazu verwendet werden, durch gezielte Ein-griffe die Biosynthese von Antibiotika zu opti-mieren. Außerdem will man neue Synthesewegeaufspüren und durch die Kombination vonGenen verschiedener Antibiotika-Produzentenim Labor neue Wirkstoffe entwickeln.

Liefern eine Vielzahl neuartigerWirkstoffe: Streptomyzeten

LEXIKON❍ Cosmide sind künstlich hergestellte, ring-

förmige DNS-Stücke, die mit Genen oderGenfragmenten des zu untersuchendenGenoms verbunden werden. Anschließendwird jedes Cosmid in einen Escherichia coli-Stamm eingeschleust und kann dort belie-big oft vermehrt werden. Cosmide enthal-ten außerdem Teile eines Bakteriophagen-Genoms, mit dessen Hilfe sie sich in eine Proteinhülle verpacken und so über längere Zeit stabil lagern lassen

❍ Cosmid-Genbank: Sammlung vieler tau-send Cosmide, die in ihrer Gesamtheit daskomplette Genom eines bestimmten Bakte-rienstammes beinhalten

❍ Sekundärmetabolite: Chemische Verbin-dungen, die durch Abzweigung von Haupt-stoffwechselwegen gebildet werden und für das Überleben des Produzenten nichtessenziell sind

Bei Nährstoffmangel bil-den Streptomyzeten einLuftmyzel und scheidenAntibiotika und andere

Sekundärmetabolite aus.

D

39

Sie kriechen herum wie Amöben, sondernSchleim ab wie Schnecken und bildenFruchtkörper wie Pilze: Myxobakterien

weichen – ebenso wie die Streptomyzeten –in vieler Hinsicht von dem Bild ab, das wir unsvon Bakterien machen. Die meisten Vertreterdieser formenreichen Gruppe leben im Bodenoder auf morschem Holz, in Dung, Kompostund auf Baumrinde. Sie scheiden eine Vielzahlvon Enzymen aus, mit deren Hilfe sie andereBakterien, Pilze oder Flechten verdauen oderPapier, Textilien und andere zellulosehaltigeSubstanzen angreifen. Diese Eigenschaftenmachen sie sowohl für die medizinische For-schung als auch für den Einsatz in der Bio-technologie-Industrie interessant.

Als Modellorganismus wird im Rahmendes GenoMik-Projektes ein Myxobakterium

untersucht, das durch sein ungewöhnlich gro-ßes Genom hervorsticht: Das Chromosomvon Sorangium cellulosum besitzt etwa 12,2Millionen Paare von DNS-Bausteinen und istdamit drei bis vier Mal umfangreicher als daseines durchschnittlichen Bakteriums. Für diekomplette Sequenzierung dieses Superge-noms wurde der Stamm 56 von S. cellulo-sum ausgewählt, der sich bereits durch dieProduktion wertvoller Sekundärmetabolitehervorgetan hat: Seine Zellen stellen Chivosa-zol bzw. Etnangien her, zwei Substanzen, dieals Pilzgift bzw. Antibiotikum wirken. Ein fürdie Krebstherapie geeignetes Medikament –hergestellt von S. cellulosum Stamm 90 –wird derzeit an Patienten getestet.

Die Herstellung einer BAC-Genbank von S. celluloseum Stamm 56 und die Sequenzie-rung des Genoms mit seinen schätzungsweise10.000 Genen ist bald abgeschlossen, seinedetaillierte Auswertung wird jedoch noch eini-ge Zeit in Anspruch nehmen. Die Sequenzie-rung wird vom Genomforschungszentrum derUniversität Bielefeld in Zusammenarbeit mitden Gruppen von Helmut Blöcker und RolfMüller von der Gesellschaft für Biotechnologi-sche Forschung (GBF) in Braunschweig durch-geführt. Sobald die Sequenz des Genomsbekannt ist, sollen einzelne Gene gesondertauf ihre Funktion hin untersucht werden, vorallem solche, die an der Synthese von Sekun-därmetaboliten mit biologischer Aktivitätbeteiligt sind. Zudem erhoffen sich die Wis-senschaftler die Entdeckung neuartiger Lipa-sen oder anderer Exoenzyme.

Produzieren Krebsmedikamente undAntibiotika: Myxobakterien

LEXIKON❍ BAC = künstliches bakterielles Chromosom

(englisch: bacterial artificial chromosome),das ein verhältnismäßig großes DNS-Stückder untersuchten Bakterienart aufnehmenund in Escherichia coli-Zellen vermehrtwerden kann

❍ BAC-Genbank: Sammlung mehrerer hun-dert Escherichia coli-Stämme mit spezifi-schen BACs, die in ihrer Gesamtheit daskomplette Genom einer untersuchten Artbeinhalten

❍ Chromosom: Fadenartiger, meist ringförmiggeschlossener DNS-Strang im Inneren derBakterienzelle, der das Genom mit allenlebenswichtigen Genen enthält

Solange sie genügend Nahrung finden, leben einzelne Zellen des Myxobakteriums Sorangium cellulo-sum unabhängig voneinander. In Zeiten des Mangels finden sich Milliarden von Zellen zu einerschleimartigen Masse (1. Bild von links) zusammen, die sich innerhalb weniger Tage zu einem Frucht-körper ausdifferenziert (2. und 3. Bild). Zuletzt bleiben widerstandsfähige Sporen übrig, die widrigeUmweltbedingungen überdauern können (4. Bild). Etwa 90 % der ursprünglichen Einzelzellen sterbenim Zuge der Fruchtkörperbildung zugunsten der übrigen Zellen ab.

S

Kompetenznetz GöttingenKoordinator: Prof. Dr. Gerhard GottschalkUniversität GöttingenInstitut für MikrobiologieGriesebachstraße 837077 GöttingenTel: 0551 / 39-3781E-mail: [email protected]

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GreifswaldeG

Kompetenznetz WürzburgKoordinator: Prof. Dr. Werner GoebelUniversität zu WürzburgInstitut für Biowissenschaften(Lehrstuhl für Mikrobiologie)Am Hubland97074 WürzburgTel: 0931 / 888-4400E-mail: [email protected]

Kompetenznetz Würzburghttp://www.genomik.uni-wuerzburg.de

Kompetenznetz Göttingen http://www.genomik.uni-goettingen.de

Kompetenznetz Bielefeld http://www.genetik.uni-bielefeld.de/GenoMik

Bundesministerium für Bildung und Forschung - Alle Kompetenznetze http://www.kompetenznetze.de

Das Nationale Genomforschungsnetz NGFNhttp://www.NGFN.de oder http://www.rzpd.de/ngfn

Das Deutsche Humangenomprojekt DHGPhttp://www.dhgp.de

Genomanalyse im biologischen System Pflanze GABIhttp://gabi.de

Projektträger Jülich PTJ /Genomikhttp://www.fz-juelich.de/ptj/Förderung/BMBF Programme/Biotechnologie/GenoMik

GenoMik im Rahmen der EUhttp://europa.eu.int/comm/research/news-centre/de/med/02-11-med02.html

„Nature“ - Genome Gatewayhttp://www.nature.com/genomics

Kompetenznetz BielefeldKoordinator: Prof. Dr. Alfred PühlerUniversität BielefeldFakultät für Biologie / Bio VI (Genetik)Universitätsstraße 2533615 BielefeldTel: 0521 / 1065607E-mail: [email protected]

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