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13.02.2017 www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 46 Gericht BVwG Entscheidungsdatum 13.02.2017 Geschäftszahl L519 2141664-1 Spruch L519 2141664-1/8E SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 7.2.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses IM NAMEN DER REPUBLIK! Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, vertreten durch RA. Mag. AUNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 19.11.2016, Zl. 1116631804- 160751430, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.02.2017 zu Recht erkannt: A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE: I. Verfahrensgang: I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger Armeniens, brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 30.5.2016 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. dem BFA brachte der BF im Wesentlichen Folgendes vor: Seine Eltern seien politisch verfolgt worden und deshalb geflüchtet. Möglicherweise werde er auch verfolgt. In Karabach gebe es derzeit Probleme. Es gebe keine Polizei und keine Juristen, die die Menschenrechte vertreten. Der KGB bringe Menschen in Keller und misshandle sie dort. Eine leistbare medizinische Versorgung sei ebenfalls nicht gesichert. I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

Gericht · er Armenien aufgrund politischer Probleme bzw. seiner Zugehörigkeit zur "Tigran Mec Partei" und der Verfolgung deren Anhänger verlassen habe. Seit 1996 stünde er auf

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Page 1: Gericht · er Armenien aufgrund politischer Probleme bzw. seiner Zugehörigkeit zur "Tigran Mec Partei" und der Verfolgung deren Anhänger verlassen habe. Seit 1996 stünde er auf

13.02.2017

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Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

13.02.2017

Geschäftszahl

L519 2141664-1

Spruch

L519 2141664-1/8E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 7.2.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, vertreten durch RA. Mag. AUNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 19.11.2016, Zl. 1116631804-160751430, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.02.2017 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger Armeniens, brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 30.5.2016 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. dem BFA brachte der BF im Wesentlichen Folgendes vor:

Seine Eltern seien politisch verfolgt worden und deshalb geflüchtet. Möglicherweise werde er auch verfolgt. In Karabach gebe es derzeit Probleme. Es gebe keine Polizei und keine Juristen, die die Menschenrechte vertreten. Der KGB bringe Menschen in Keller und misshandle sie dort. Eine leistbare medizinische Versorgung sei ebenfalls nicht gesichert.

I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

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Bei der Erstbefragung gab der BF an, seine Eltern seien in Armenien politisch verfolgt worden und möglicherweise werde auch er politisch verfolgt. Beim BFA gab er nach ca. 1 1/2 Stunden Einvernahme an, dass er die Dolmetscherin (armenische Muttersprache) nicht verstünde und eine Vertrauensperson hinzuziehen wolle. Weiter verlangte der BF, dass die Vertrauensperson als Dolmetscher fungieren solle. Er wurde mehrmals über seine Mitwirkungspflichten belehrt, sei aber trotzdem nicht bereit gewesen, Angaben zum Fluchtgrund zu machen. Am Ende der Einvernahme wurden dem BF die Länderfeststellungen zu Armenien zur Kenntnis gebracht. Obwohl er zuvor vorgab, die Dolmetscherin nicht zu verstehen, gab der BF dazu eine umfangreiche mündliche Stellungnahme ab. Danach wurde ihm die Einvernahme rückübersetzt und der BF machte davon Gebrauch, Korrekturen vorzunehmen. Nach durchgeführter Korrektur wurde dem BF auch dieser Teil rückübersetzt. Er gab dezidiert an, dass alles passen würde und unterfertigte die Niederschrift.

Da der BF selbst zu seinen Fluchtgründen keine Angaben machen wollte, werde die Entscheidung auf Grundlage der Erstbefragung getroffen, wo der BF angab, alles sei korrekt protokolliert und rückübersetzt worden.

Zu den Fluchtgründen gab er dabei an, dass seine Eltern in Armenien politisch verfolgt seien, weshalb auch er geflüchtet sei. Die Fluchtgründe der Eltern hätten sich in deren Verfahren nicht glaubhaft erwiesen, weshalb auch nicht glaubhaft sei, dass der BF in Armenien wegen seiner Eltern verfolgt würde.

Zu den Fluchtgründen befragt, habe der Vater des BF bei seien Einvernahmen zusammengefasst angegeben, dass er Armenien aufgrund politischer Probleme bzw. seiner Zugehörigkeit zur "Tigran Mec Partei" und der Verfolgung deren Anhänger verlassen habe. Seit 1996 stünde er auf der "Schwarzen Liste" der armenischen Regierung und sei immer verfolgt worden.

Zur Überprüfung der Angaben des Vaters des BF wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation gestellt. Aus der Beantwortung geht hervor, dass es keine Informationen oder Berichte über die Existenz einer "Schwarzen Liste" der armenischen Regierung, in welcher verfolgte Personen eingetragen werden, bekannt seien. Fest stehe überdies, dass Mitglieder der "Metsn Tigan" in Armenien keine besonderen Probleme haben. Die Organisation selbst sei in den politischen Prozess nicht involviert. Viele der führenden Mitglieder der "AJM" Partei seien an der Regierung in Armenien beteiligt. Völlig unglaubwürdig erscheine auch die Tatsache, dass der Vater des BF seit 1996 auf einer sog. "Schwarzen Liste" der armenischen Regierung eingetragen sein soll, immer wieder verfolgt und verhaftet wurde, versteckt leben musste und ihm die Regierung nach dem Leben trachten würde, ihm aber trotzdem seitens des armenischen Verteidigungsministeriums am 19.1.2012 eine Auszeichnung verliehen wurde.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Angaben vorgebracht:

Der BF habe wegen der politischen Verfolgung seiner Eltern fliehen müssen. Zudem habe er deswegen gesundheitliche Probleme bekommen. Im Zuge der Einvernahme habe es offenkundig Verständigungsprobleme gegeben. Deshalb habe der BF auch die Einvernahme nicht fortsetzen wollen. Aus der Einvernahme gehe hervor, dass der BF auf die Problematik in Karabach verwies und wiederholt auch gesundheitliche Probleme ansprach. Er leide an einer Lumboischialgie. Der maßgebliche Sachverhalt sei von der belangten Behörde nicht hinreichend erforscht worden. Nach Ansicht des BF wären auch seine Eltern als Zeugen, auch zu seinen offenkundig bestehenden gesundheitlichen Problemen zu vernehmen gewesen. Im Übrigen habe sich die belangte Behörde mit Textbausteinen begnügt, anstatt sich mit den offensichtlich bei der Einvernahme aufgetretenen Problemen zu befassen.

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I.4. Für den 7.2.2017 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

I.5. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen verheirateten armenischen Staatsangehörigen, welcher zur Volksgruppe der Armenier gehört und sich zum Christentum bekennt. Der BF ist damit Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein junger, weitgehend gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer in Armenien -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Er hat die Grundschule besucht und spricht Armenisch auf muttersprachlichem Niveau.

In Armenien leben zumindest die Kinder des Cousins des Vaters des BF. Die Asylverfahren der Eltern des BF sowie seines Neffen ( L519 2129542-1, L519 2129544-1 und L519 2129545-1) wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 4.1.2017 rechtskräftig negativ abgeschlossen und trifft diese ebenfalls eine unbedingte Ausreiseverpflichtung.

Der BF ist strafrechtlich bislang unbescholten und lebt in Österreich von der Grundversorgung.

Der BF verfügt in Österreich über keine eigenen, den Lebensunterhalt deckenden Mittel.

Der BF hat keine relevanten familiären oder privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die Identität des BF steht nicht fest.

Er reiste unrechtmäßig in die Europäische Union ein.

Der BF hält sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Armenien:

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien werden folgende Feststellungen getroffen:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 2.8.2016, Geiselnahme in Polizeistation durch Regierungsgegner (relevant für Abschnitt 3/ Sicherheitslage)

Mitglieder der Oppositionsgruppe "Gründungsparlament" haben am 17.7.2016 in Jerewan eine Polizeistation besetzt und zeitweise mehrere Geiseln genommen, ein Polizist starb dabei (RFE/RL 17.7.2016). Die Geiselnehmer forderten die Freilassung von Schirajr Sefiljan, eines inhaftierten Oppositionsführers, und den Rücktritt des Staatspräsidenten. Sefiljan kritisiert vor allem das Verhalten der Regierung im Konflikt um die Region Berg-Karabach (DW 17.7.2016). In der darauffolgenden Woche kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Demonstranten verlangten eine Versorgung der Geiselnehmer mit Lebensmitteln, was die Polizei jedoch ablehnte. Nach offiziellen Angaben wurden 51 Personen verletzt und 136 verhaftet (NZZ 21.7.2016). Am 29.7.2016 kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Sympathisanten der Besetzer der Polizeistation und Sicherheitskräften, bei denen 75 Personen verletzt und 20 verhaftet wurden (RFE/RL 30.7.2016). Nach zwei Wochen endete der Konflikt um die besetzte Polizeistation mit der Kapitulation der bewaffneten Gruppe unter Führung von Varuzhan Avetisian (RFE/RL 1.8.2016, vgl. Spiegel online 31.7.2016).

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Quellen:

? DW - Deutsche Welle (17.7.2016): Blutige Geiselnahme in Armeniens Hauptstadt,

http://www.dw.com/de/blutige-geiselnahme-in-armeniens-hauptstadt/a-19406245, Zugriff 28.7.2016

? NZZ - Neue Zürcher Zeitung (21.7.2016): Blutiges Patt in Armenien, http://www.nzz.ch/international/europa/proteste-und-geiselnahme-blutiges-patt-in-armenien-ld.106951, Zugriff 28.7.2016

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.8.2016): Remaining Gunmen In Armenia Standoff Surrender, http://www.rferl.org/content/armenia-yerevan-standoff-police-killed/27890220.html, Zugriff 1.8.2016

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.7.2016): Armed Attackers Storm Yerevan Police Headquarters, http://www.rferl.org/media/video/armenia-police-hq/27863342.html, Zugriff 29.7.2016

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (30.7.2016): Dozens Injured In Police Clashes With Protesters In Yerevan, http://www.rferl.org/content/dozens-injured-police-protester-clashes-yerevan-/27889053.html, Zugriff 1.8.2016

? Spiegel online (31.7.2016): Armenien: Geiselnahme in Eriwan nach zwei Wochen beendet,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/armenien-bewaffnete-regierungsgegner-ergeben-sich-a-1105565.html, Zugriff 1.8.2016

KI vom 6.4.2016, Gefechte um Bergkarabach (relevant für Abschnitt 3/ Sicherheitslage)

Bei heftigen Gefechten vom 2.4 bis zum 5.4.2016, den schwersten seit 22 Jahren, zwischen den Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan an der Frontlinie zu Bergkarabach kam es zu Opfern unter den militärischen Einheiten. Laut aserbaidschanischen Angaben starben auch Zivilisten. Während Vertreter der Internationalen Gemeinschaft inklusive Russlands als Schutzmacht Armeniens beide Seiten zur Deeskalation aufriefen, erklärten sowohl der türkische Staatspräsident Erdogan als auch Ministerpräsident Davutoglu mehrmals, Aserbaidschan bis zum Ende zu unterstützen (HDN 5.4.2016, vgl. Standard 3.4.2016, RFL/RL 4.4.2016). Das Verteidigungsministerium der de facto Republik Bergkarabach berichtete ebenfalls von zivilen Opfern (CN 2.4.2016). Am 5.4.2016 vereinbarten Aserbaidschan und Bergkarabach einen Waffenstillstand (Standard 5.4.2016). Im Zuge der viertägigen Kampfhandlungen starben mehr als 64 Menschen (Standard 5.4.2016).

Quellen:

- CN - Caucasus Knot (2.4.2016): One child killed and two wounded in shelling in the Karabakh conflict zone, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35119/, Zugriff 4.4.2016

- Der Standard (3.4.2016): Bergkarabach: Militärische Eskalation im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034103285/Bergkarabach-Militaerische-Eskalation-am-Kaukasus, Zugriff 4.4.2016

- Der Standard (5.4.2016): Aserbaidschan und Bergkarabach vereinbaren Waffenstillstand,

http://derstandard.at/2000034221180/Aserbaidschan-und-Bergkarabach-vereinbaren-Waffenstillstand, Zugriff 5.4.2016

- Der Standard (5.4.2016): Waffenruhe nach vier Tagen Krieg im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034245475/Waffenruhe-nach-vier-Tagen-Krieg-im-Kaukasus, Zugriff 6.4.2016

- HDN - Hürriyet Daily News (5.4.2016): Turkey backs Azerbaijan in conflict with Armenia,

http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-backs-azerbaijan-in-conflict-with-armenia.aspx?pageID=238&nID=97338&NewsCatID=510, Zugriff 6.4.2016

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.4.2016): Baku Announces Cease-Fire Amid Continued Karabakh Fighting, http://www.rferl.org/content/azerbaijan-armenia-nagorno-karabakh-violence-erupts/27651414.html, Zugriff 4.4.2016

KI vom 14.12.2015, Verfassungsreferendum (relevant für Abschnitt 2/ Politische Lage).

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Am 6.12.2015 entschied sich die Mehrheit der ArmenierInnen in einem Referendum für die Änderung der Verfassung zugunsten eines parlamentarischen Systems, das Befugnisse des Präsidenten auf den Regierungschef übertragen würde. Die Opposition warf dem amtierenden Präsidenten Sarksyan, dessen letzte Amtszeit 2018 ausläuft, vor, das Amt des Regierungschefs anzustreben (Standard 7.12.2015). Laut zentraler Wahlkommission stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 50,5 Prozent 63,5 Prozent für die Annahme der Verfassungsänderungen. Die Oppositionspartei Armenischer Nationalkongress warf der Regierung Wahlbetrug vor. Hunderte Demonstranten protestierten gegen den Ausgang (RFE/RL 7.12.2015). NGOs wie das Anti-Korruptions-Zentrum von Transparency International berichtete von massiven Unregelmäßigkeiten, darunter über 900 Verletzungen der Wahlordnung sowie Fälle von Einschüchterung (Caucasian Knot 9.12.2015, vgl. EN 7.12.2015).

Quellen:

- Caucasian Knot (9.12.2015): TI states gross violations at Armenian referendum, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/33921/, Zugriff 14.12.2015

- Der Standard (7.12.2015): Armenien: Ja zu umstrittener Verfassungsänderung,

http://derstandard.at/2000027073366/Armenier-stimmten-fuer-umstrittene-Verfassungsaenderung, Zugriff 14.12.2015

- EN - Eurasiannet.org (7.12.2015): Armenia: Widespread Reports of Irregularities Mar Constitutional Referendum, http://www.eurasianet.org/node/76461, Zugriff 14.12.2015

- RFL/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.12.2015): Protesters Gather in Yerevan, Claim Fraud In Armenian Referendum,http://www.rferl.org/content/armenia-referendum-sarkisian/27410980.html, Zugriff 14.12.2015

Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) ist knapp 29.800 km² groß und hat etwas über 3 Millionen Einwohner. Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier, 1,2% Jesiden, 0,4% Russen und Angehörige kleinerer Minderheiten wie Assyrer, Kurden oder Griechen (NSS-RA 2013, vgl. CIA 28.10.2015).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik mit einem seit 1995 semi-präsidentiellen System (SPO 17.2.2014). Allerdings ist für den 6.Dezember 2015 ein Verfassungsreferendum vorgesehen, dass das Land in ein parlamentarisches System umwandeln soll, wobei der Präsident nicht mehr durch das Volk, sondern vom Parlament gewählt wird. Die Oppositionsparteien protestierten gegen die Verfassungsänderung, weil sie dahinter die Absicht einer Machtkonzentration der Regierungspartei unter dem jetzigen Staatspräidenten, Serzh Sarksyan, vermuten (RFE/RL 8.10.2015).

Das Einkammer-Parlament (Nationalversammlung) hat 131 Mitglieder und wird alle fünf Jahre gewählt. Dabei kommt eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht zur Anwendung. Die Parlamentswahlen vom 6.Mai 2012 ergaben folgende Stimmenverteilung:

Republikanische Partei 44,1%, Partei „Blühendes Armenien" 30,2%, Armenischer Nationalkongress 7,1%, Rechtsstaatspartei 5,5%, Armenisch-Revolutionäre Föderation (Daschnaken) 5,7%, Partei "Erbe" 5,8%. Dank der zusätzlich errungenen Direktmandate verfügt die Republikanische Partei über die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Gleichwohl bildete sie eine Koalition mit der Rechtsstaatspartei, die jedoch im April 2014 die Regierung verließ. Der einstige Koalitionspartner "Blühendes Armenien" war bereits 2012 in Opposition gegangen (AA 3.2015a, vgl. RA-CEC 6.5.2012).

Obschon der Wahlkampf für die Parlamentswahlen kompetitiv verlief, und die mediale Wahlberichterstattung ausgewogen war, herrschte in der Öffentlichkeit ein Mangel an Vertrauen in die Integrität des Wahlprozesses, begleitet von Vorwürfen des Stimmenkaufs. Laut OSZE gab es Fälle von Missbrauch durch die Verwendung von Verwaltungsressourcen zugunsten der Republikanischen Partei, beispielsweise durch den Einsatz von Lehrern und Schülern im Wahlkampf (OSCE/ODHIR 26.6.2012).

Nach dem überraschenden Rücktritt von Premierminister Tigran Sargsyan Anfang April 2014 ernannte Präsident Serzh Sargsyan den bisherigen Parlamentspräsidenten Hovik Abrahamyan zu dessen Nachfolger. Im neuen Kabinett sind 12 der insgesamt 19 Minister parteilos. Viele stehen jedoch der Oppositionspartei "Blühendes Armenien" nahe (AA 3.2015a, vgl. RFL/RL 3.4.2014).

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Am 1.Jänner 2015 wurde Armenien offiziell Mitglied der von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion, deren Zollverträge schrittweise bis 2022 implementiert werden sollen. Die Unterzeichnung im Oktober 2014 wurde von Protesten und scharfer Kritik begleitet. Gegner des Vertrages fürchten insbesondere ökonomische Nachteile sowie Einschränkungen der Meinungsfreiheit (CN 2.1.2015).

Aus armenischer Sicht stellte die Vorverlegung der türkischen Feierlichkeiten zum hundertjährigen Gedenken an die Schlacht bei Galipoli just auf den 24. April, den Tag des Genozids, eine Provokation dar. Der armenische Präsident warf der Türkei Geschichtsrevisionismus vor, mit dem Versuch durch die vorverlegte Galipoli-Gedenkveranstaltung vom Völkermord abzulenken. Sargsyan ordnete Mitte Februar 2015 daraufhin an, die noch nicht ratifizierten Zürcher Protokolle zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Jerewan und Ankara aus dem Parlament zurückzuziehen (NZZ 24.4.2015, vgl. RFE/RL 16.2.2015, Standard 24.4.2015).

Nichtsdestoweniger sprach sich Sargsyan in einem Interview mit der türkischen Zeitung Hürriyet Daily News am Vorabend der Gedenkfeiern für die Normalisierung der bilateralen Beziehungen ohne Vorbedingungen aus. Insbesondere die Öffnung der Grenze würde helfen, eine Atmosphäre des Vertrauens herzustellen und die regionale Wirtschaft zu fördern (HDN 24.4.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.2015a): Armenien: Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Innenpolitik_node.html#doc339300bodyText1, Zugriff 19.11.2015

- CIA - Central Intelligence Agency (28.10.2015): The World Factbook, Armenia;

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 19.11.2015

- CN - Caucasian Knot (2.1.2015): Armenia officially joins EAEU, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30423/, Zugriff 19.11.2015

- Der Standard (24.4.2015): Türken und Armenier gedenken getrennt, http://derstandard.at/2000014838758/Tuerken-und-Armenier-gedenken-getrennt, Zugriff 19.11.2015

- HDN - Hürriyet Daily News (24.4.2015): Armenia ready for normalization of ties, President Sargsyan says, http://www.hurriyetdailynews.com/armenia-ready-for-normalization-of-ties-president-sargsyan-says.aspx?pageID=238&nID=81490&NewsCatID=510, Zugriff 19.11.2015

- NSS-RA - National Statistical Service of the Republic of Armenia (2013): The Results of 2011 Population Census of the Republic of Armenia, Table 5.1: Population (urban, rural) by Ethnicity, Sex and Age, http://armstat.am/en/?nid=517, http://armstat.am/file/doc/99486253.pdf, Zugriff 19.11.2015

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (24.4.2015): Armenien zwischen Genozid und Nagorni Karabach,

http://www.nzz.ch/international/armenien-zwischen-genozid-und-nagorni-karabach-1.18528679, Zugriff 19.11.2015

- OSCE/ODHIR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (26.6.2012): Republic of Armenia, Parliamentary Elections 6 May 2012, OSCE/ODIHR Election Observation Mission Final Report, http://www.osce.org/odihr/91643?download=true, Zugriff 19.11.2015

- RA_CEC - Republic of Armenia - Central Electoral Commission (6.5.2012): Protocol of the results of the elections to the National Assembly under proportional system, Summary, http://www.elections.am/proportional/election-24104/, Zugriff 19.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (16.2.2015): Armenian President Sets Date Of Constitutional Referendum, http://www.rferl.org/content/armenia-president-constitutional-referendum/27295710.html, Zugriff 19.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (8.10.2015): Armenian President Withdraws Protocols On Relations With Turkey, http://www.rferl.org/content/sakisian-withdraws-protocols-on-yerevan-ankara-ties-from-parliament/26852428.html, Zugriff 19.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (3.4.2014): Armenian PM Sarkisian Resigns,

Page 7: Gericht · er Armenien aufgrund politischer Probleme bzw. seiner Zugehörigkeit zur "Tigran Mec Partei" und der Verfolgung deren Anhänger verlassen habe. Seit 1996 stünde er auf

Bundesverwaltungsgericht 13.02.2017

www.ris.bka.gv.at Seite 7 von 46

http://www.rferl.org/content/armenia-sarkisian-pm-resignation-government/25320400.html, Zugriff 19.11.2015

- SPO - the semi-presidential one (17.2.2014): Up-to-date list of semi-presidential countries with dates, http://www.semipresidentialism.com/?p=1053, Zugriff 19.11.2015

Sicherheitslage

Kernproblem für die armenische Außenpolitik bleibt der Konflikt um Nagorny Karabach und die in diesem Zusammenhang geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei. Seit dem Krieg um das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach (1992-94) halten armenische Verbände rund 17% des aserbaidschanischen Staatsgebiets (Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen) besetzt (AA 3.2015b).

Der Territorialkonflikt um Nagorny Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ist immer wieder durch Perioden von höherer bzw. niedrigerer Intensität gekennzeichnet. Eine Lösung zeichnet sich derzeit nicht ab, trotz gegenteiliger Beteuerungen seitens der Konfliktparteien (ICG 26.9.2013).

Im Februar 2015 stimmten die Vertreter der Minsker Gruppe, die seit 1994 unter der OSZE-Schirmherrschaft als diplomatisches Instrument zur Lösung des Konflikts dient, darin überein, dass sich die militärische Situation sowohl entlang der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan als auch entlang der sogenannten Kontaktlinie (das heißt, der international nicht anerkannten Grenze zu Bergkarabach) verschlimmert habe. Im Jänner 2015 gab es mit zwölf Toten die höchste Zahl an Opfern seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1994 (OSCE 7.2.2015).

Am 24.9.2015 wurden laut armenischer Seite durch aserbaidschanisches Gefechtsfeuer drei Zivilisten getötet und mehrere verletzt (RFE/RL 25.9.2015). Daraufhin kam es zu Grenzzusammenstößen in der Berg-Karabach-Region zwischen Aserbaidschan und Armenien, bei denen ein aserbaidschanischer und vier armenische Soldaten getötet wurden. Als Konsequenz drohte Baku, den vermeintlichen armenischen Angriff mit schweren Waffen zu vergelten (EN 27.9.2015; vgl. RFE/RL 26.9.2015). Auch Armenien drohte mit einer Eskalation des Konfliktes. Das armenische Verteidigungsministerium drohte am 26.9.2015 mit dem Einsatz von Artillerie und Raketen als Antwort auf den aserbaidschanischen Artillerieangriff (VK 26.9.2015, vgl. Eurasianet 27.9.2015).

Die Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zeigte sich über den Einsatz schwerer Waffen und die zivilen Opfer besorgt und erinnerte beide Seiten an die Verpflichtung der Genfer Konvention, die Sicherheit und den Schutz von Nicht-Kombattanten zu gewährleisten (OSCE 25.9.2015). Außerdem wurden beide Seiten aufgerufen, die OSZE-Mechanismen zu akzeptieren, die die Untersuchung von Verletzungen des Waffenstillstandes vorsehen (OSZE 26.9.2015).

Die Verletzung der Waffenruhe ist durch wechselseitige Schuldzuweisungen gekennzeichnet. Überdies droht Aserbaidschan angesichts der ausbleibenden diplomatischen Lösung, das umstrittene Territorium mit Gewalt zurückzuerobern (BBC 7.4.2015, vgl. RFE/RL 23.1.2015, FH 23.1.2014).

Aserbaidschan sieht für 2015 Militärausgaben von fünf Milliarden Dollar vor, was mehr als das Staatsbudget Armeniens ist. Russland ist der Hauptverbündete Armeniens in der Region und beliefert das Land mit Waffen im Gegenzug für das Beibehalten der russischen Militärpräsenz in Armenien (FPN 23.1.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.2015b): Außenpolitik, Bergkarabach-Konflikt,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_602844C2569B478F606E04F12C3931FC/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 19.11.2015

- BBC News (7.4.2015): Nagorno-Karabakh: 'Frozen' conflict threatens to reignite,

http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-32202426#sa-ns_mchannel=rss&ns_source=PublicRSS20-sa, Zugriff 19.11.2015

- EN - Eurasia News (27.9.2015): Bei Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan in Berg-Karabach sterben fünf Soldaten, http://eurasianews.de/blog/aserbaidschan-in-berg-karabach-fuenf-tote-soldaten/, Zugriff 19.11.2015

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- Eurasianet (27.9.2015): Armenia Threatens To Escalate Conflict With Azerbaijan, http://www.eurasianet.org/node/75286, Zugriff 19.11.2015

- FH - Freedom House (23.1.2014): Freedom in the World 2014 - Nagorno-Karabakh,

http://www.ecoi.net/local_link/285832/417673_de.html, Zugriff 19.11.2015

- FPN - Foreign Policy News (23.1.2015): More troops are reported dead on Armenia-Azerbaijan border, http://foreignpolicynews.org/2015/01/23/troops-reported-dead-armenia-azerbaijan-border/, Zugriff 19.11.2015

- ICG - International Crisis Group (26.9.2013): Update Briefing N°71, Armenia and Azerbaijan: A Season of Risks, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1380192899_b071-armenia-and-azerbaijan-a-season-of-risks.pdf, Zugriff 19.11.2015

- OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (25.9.2015): Press Statement by the Co-Chairs of the OSCE Minsk Group, http://www.osce.org/mg/185001, Zugriff 19.11.2015

- OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (26.9.2015): Press Statement by the Co-Chairs of the OSCE Minsk Group, http://www.osce.org/mg/185746, Zugriff 19.11.2015

- OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (OSCE 7.2.2015): Statement by OSCE Chairperson-in-Office and Co-Chairs of the OSCE Minsk Group on latest developments in the Nagorno-Karabakh peace process, http://www.osce.org/cio/139411, Zugriff 19.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (23.1.2015): Armenia, Azerbaijan Accuse Each Other Of Violating Cease-Fire, http://www.rferl.org/content/karabakh-armenia-azerbaijan-ceasefire-soldiers-killed/26809558.html, Zugriff 19.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (25.9.2015): Armenia Says Civilians Killed By 'Azerbaijani Gunfire' Near Border, http://www.rferl.org/content/armenia-civilians-killed-by-azerbaijani-gunfire-near-border/27271004.html, Zugriff 19.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (26.9.2015): Armenia Threatens Retalliatory Strikes Against Azerbaijan, http://www.rferl.org/content/four-armenian-soldiers-killed-azeri-fire-near-breakaway-region/27271829.html, Zugriff 19.11.2015

- VK - Vestnik Kavkaza (26.9.2015): TITEL?

http://vestnikkavkaza.net/news/Is-Armenia-unfreezing-the-war-for-Nagorno-Karabakh.html, Zugriff 19.11.2015

1. Rechtsschutz/Justizwesen

2. Im Rahmen der Strategie zur Justizreform (2012-16) wurde die Unabhängigkeit der Richter durch Festlegung der Pflichten der Selbstverwaltungsstrukturen gesetzlich gestärkt. Die Ernennung, Beurteilung und Beförderung von Richtern wurde transparenter gestaltet. Die formelle Rolle des Staatspräsidenten in der endgültigen Bestellung der Richter wurde in der Gesetzesreform jedoch bestätigt. Das öffentliche Misstrauen gegenüber dem Justizsystem und dessen Integrität besteht weiterhin (EC 25.3.2015).

3. 4. Die Rechtsstaatlichkeit bleibt durch die mangelnde Gewaltenteilung geschwächt. Der starken Rolle des Präsidentenamtes, begleitet von einem ineffizienten Parlament, steht ein fügsames Justizwesen gegenüber. Der Mangel an Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz schwächt in weiterer Folge auch die Effizienz der staatlichen Verwaltung (BS 2014).

5. 6. Trotz der verfassungsmäßig garantierten richterlichen Unabhängigkeit mangelt es an dieser in der Praxis. Die richterliche Unabhängigkeit wird durch externe Akteure sowohl der vollziehenden Gewalt als auch innerhalb des Justizsystems, etwa durch Richter der höheren Instanzen, beeinflusst (CoE-CommDH 10.3.2015).

7. Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - ist in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet. Wenige Fortschritte wurden somit hinsichtlich des Grundrechts auf ein faires Gerichtsverfahren und des Zugangs zur Justiz erzielt (AA 24.4.2015).

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8. 9. Der Gerichtsbarkeit mangelt es nicht bloß an Vertrauen, sondern sie gilt auch als von Korruption durchdrungen und in enger Verbindung zur Exekutive stehend. Die Korruption in der Justiz wurde auch vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte bei einem Besuch im Oktober 2014 kritisiert. Nur ein Viertel der Bevölkerung hat Vertrauen in die Justiz (FH 28.1.2015, vgl. BS 2014).

10. 11. Im Dezember 2013 veröffentlichte der armenische Ombudsmann einen Sonderbericht, worin er nicht nur die unfairen und willkürlichen Entscheidungen der Gerichte kritisierte, sondern auch die grassierende Korruption im Justizwesen. Die Studie, basierend auf zahlreichen anonymen Interviews mit Richtern, Staats- und Rechtsanwälten, ergab, dass Richter oft bestochen werden. In der Regel werden zehn Prozent der Schadensersatzsumme verlangt (AL 10.12.2013).

12. 13. So beschuldigte der Ombudsmann insbesondere das Kassationsgericht als eine kriminelle Struktur, die wirksam die Entscheidungen der meisten niederen Gerichte kontrolliert und auf diese Druck ausübt (USDOS 25.6.2015).

Der Justizrat ist für die Ernennung und Entlassung von Richtern zuständig. Dieser kann Richter wegen des Delikts eines Justizirrtums auch dann anklagen, wenn gegen das Ersturteil kein Einspruch erhoben wurde. Gegen die Entscheidungen des Justizrates kann keine Berufung eingelegt werden. Laut Ombudsmann wendet der Justizrat Disziplinarmaßnahmen gegen Richter willkürlich, unter Verletzung des Gesetzes, an (USDOS 25.6.2015, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Verfahren erfüllten üblicherweise die meisten Standards für einen fairen Prozess, jedoch waren sie der Sache nach oft unfair, da viele Richter sich veranlasst sehen, gemeinsam mit den Staatsanwälten Verurteilungen zu erwirken. Die Richter sträuben sich Expertisen von Polizeiexperten anzufechten, wodurch sie es dem Angeklagten erschweren, sich glaubwürdig zu verteidigen. Angeklagte und ihre Verteidiger verfügen kaum über die Möglichkeit, Regierungszeugen und Beweismittel der Polizei, die das Gereicht zumal als unanfechtbar ansieht, in Frage zu stellen (USDOS 25.6.2015, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Laut dem Menschrechtskommissar des Europarats werde überproportional, oft ohne richterlichen Bescheid, die Untersuchungshaft verhängt, welche zudem unverhältnismäßig lange sei. Ansuchen auf Freilassung auf Kautionen werden per se abgelehnt (CoE-CommDH 10.3.2015).

Überdies verabsäumten armenische Gerichte laut der Internationalen Föderation für Menschenrechte, wie eigentlich von Gesetz wegen vorgesehen, spezifische Fakten oder Erläuterungen zum jeweiligen Fall vorzulegen, warum die Untersuchungshaft als Zwangsmaßnahme anzuwenden sei. Stattdessen würden abstrakte Annahmen hinsichtlich des Fluchtrisikos oder der möglichen Behinderung weiterer Ermittlungen als Gründe angeführt (FIDH/CSI 5.5.2014).

Das Gesetz garantiert das Prinzip der Unschuldsvermutung, doch die Behörden respektieren dieses Recht nicht. Angeklagte, Strafverteidiger und die geschädigte Partei haben das Recht, gegen ein Gerichtsurteil in Berufung zu gehen. Es gibt keine Geschworenengerichtsbarkeit. Ein Einzelrichter entscheidet in allen Gerichtsverfahren außer bei Verbrechen, die mit lebenslanger Haftstrafe bedroht sind. Angeklagte haben das Recht, eine Rechtsberatung zu beanspruchen. Der Staat ist verpflichtet, auf Antrag einen Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Außerhalb Jerewans wurde diese Verpflichtung aufgrund des Mangels an Verteidigern oft nicht eingehalten (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- AL - Armenialiberty (10.12.2013): Armenian Ombudsman Decries Judicial Corruption,

http://www.ecoi.net/local_link/264696/391342_de.html, Zugriff 19.11.2015

- BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 - Armenia Country Report,

http://www.bti-project.de/reports/laenderberichte/pse/arm/index.nc#chap3, Zugriff 19.11.2015

- CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.3.2015): Report By Nils Muižnieks Commissioner For Human Rights Of The Council Of Europe Following His Visit To Armenia From 5 To 9 October 2014 [CommDH(2015)2],

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http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1426583985_commdharmenia.pdf, Zugriff 19.11.2015

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 19.11.2015

- FH - Freedom House (28.1.2015): Freedom in the World 2015 - Armenia,

http://www.ecoi.net/local_link/300285/436948_de.html, Zugriff 19.11.2015

- FIDH/CSI - International Federation for Human Rights/ Civil Society Institute, Armenia (5.5.2014): Joint Statement concerning the application of detention as a measure of restraint in Armenia, https://www.fidh.org/International-Federation-for-Human-Rights/eastern-europe-central-asia/armenia/15275-armenia-statement-concerning-application-of-detention-as-a-measure-of, Zugriff 19.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 19.11.2015

Sicherheitsbehörden

14. Die Polizei führt willkürliche Festnahmen ohne Haftbefehl aus, schlägt Häftlinge während der Einvernahme und des Haftaufenthaltes und gebraucht Folter, um Geständnisse zu erwirken (FH 28.1.2015, vgl. AA 7.2.2014, HRW 29.1.2015).

15. 16. Laut armenischem Ombudsmann gab es 2013 zahlreiche Beschwerden über Polizeigewalt, wobei lediglich vier Beschwerden von der Polizei registriert wurden. Zahlreiche Personen, darunter auch Jugendliche, seien von den Polizeistellen "eingeladen" und gegen deren Willen festgehalten worden, obwohl die Polizei keine solche Befugnis habe. Zu den positiven Entwicklungen zähle, dass 2013 141 Polizisten infolge der Untersuchung durch die Interne Sicherheitsabteilung für unrechtmäßiges Verhalten zur Verantwortung gezogen wurden (RA-HRD 2014).

17. Die Polizei ist, ebenso wie der Nationale Sicherheitsdienst (NSD), direkt der Regierung unterstellt. Allein der Präsident hat die Befugnis, die Leiter beider Behörden zu ernennen. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz ist der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen. Fallweise treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird.

Der Polizeichef füllt in Personalunion die Funktion des Innenministers aus. Ein Innenministerium gibt es nicht mehr. Das Fehlen der politischen Instanz wird damit begründet, dass damit eine "Politisierung" der Sicherheitsorgane verhindert werden soll (AA 24.4.2015).

Der Polizei und dem Nationalen Sicherheitsdienst mangelt es an Ausbildung, Ressourcen und an Strukturen zur Vorbeugung von Misshandlungsfällen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem und es gibt keinen unabhängigen Mechanismus für Untersuchungen von Übergriffen durch die Polizei. Bürger können die Polizei vor Gericht in eingeschränktem Ausmaß anklagen. Korruption bei der Polizei bleibt weiterhin ein Problem (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- FH - Freedom House (28.1.2015): Freedom in the World 2015 - Armenia,

http://www.ecoi.net/local_link/300285/436948_de.html, Zugriff 19.11.2015

- HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Armenia,

http://www.ecoi.net/local_link/295465/430496_de.html, 19.11.2015

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- RA-HRD - Republic of Armenia-Human Rights Defender (2014): Annual Report on the activities of the RA Human Rights Defender and on the violations of human rights and fundamental freedoms in the country in 2013,

http://www.eoi.at/d/EOI%20-%20Jahresberichte/Armenien/arm-RA%20HRDI_ANNUAL%20REPORT_2013.pdf, Zugriff 19.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 19.11.2015

Folter und unmenschliche Behandlung

Armenien ist Signatarstaat des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Verfassung verbietet die Anwendung von Folter. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systematisch Folter praktiziert wird. Menschenrechtsorganisationen berichten aber immer wieder glaubwürdig von Fällen, bei denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu Folterungen gekommen sein soll. Es gibt keine Erkenntnisse über systematische Folterungen. Gleichwohl ist bekannt, dass festgenommene Personen in Polizeistationen mitunter geschlagen werden, etwa um Geständnisse zu erhalten. Betroffene beschweren sich nur selten, weil sie Repressalien befürchten (AA 24.4.2015).

Die meisten Fälle von Misshandlungen kamen in den Polizeistationen vor, die nicht unter öffentlicher Beobachtung standen, und nicht in Gefängnissen oder Hafteinrichtungen der Polizei, die solcher Beobachtung unterliegen (USDOS 25.6.2015).

Der Menschenrechtskommissar des Europarates zeigte sich besorgt, dass erzwungene Geständnisse regelmäßig bei Gericht Verwendung finden. Überdies gäbe es Fälle, bei denen Personen, die Beschwerde gegen Misshandlung während der Einvernahme einlegten, wegen Falschaussage verurteilt wurden (CoE-CommDH 10.3.2015).

Der armenische Ombudsmann kritisierte, dass die Rechtsorgane nicht adäquat auf Berichte über Folter antworteten, sondern sich überhaupt weigerten Untersuchungen durchzuführen. Gleichzeitig würde in Fällen, bei denen eine Untersuchung standfindet, oft nur oberflächlich und voreingenommen ermittelt (RA-HRD 26.6.2015).

Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den EGMR zu wenden. Abgesehen davon gibt es allerdings keinen Mechanismus, Folterverdachtsfälle gegenüber Beamten zu untersuchen, da beispielsweise Dienstaufsichtsbeschwerden nicht vorgesehen sind. Betroffene beschweren sich nur selten, weil sie Repressalien befürchten (AA 24.4.2015).

Die armenischen Behörden bekennen sich zum Ziel, die Standards des Europarats bezüglich des Vorgehens gegen Folter und Misshandlung einzuhalten. Gleichzeitig wurden 2014 Beschwerden über Folter und Misshandlungen während der Untersuchungshaft ignoriert, ohne dass entsprechende Untersuchungen eingeleitet wurden.

Das armenische Gesetz verbietet Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Allerdings sind greifbare Ergebnisse ausgeblieben, die das nationale Recht hinsichtlich der Kriminalisierung von Folter in Einklang mit Artikel 1 der Konvention gegen Folter bringen. Die gegenwärtige Definition von Folter in Armenien beinhaltet nicht Straftaten, welche durch Behördenvertreter begangen werden. Infolgedessen wurde niemand aus den Exekutiv- oder Sicherheitsorganen je wegen Folter verurteilt. Wenn es überhaupt zur Bestrafung oder Verurteilung kommt, dann für geringere Delikte, wie den Missbrauch der Amtsgewalt. In mehreren Fällen wurden verurteilte Beamte amnestiert (CoE-CommDH 10.3.2015, vgl. EC 25.3.2015).

Der Direktor des Civil Society Instituts und Mitglied des UN-Unterkomitees für die Folterprävention, Arman Danielyan, bezeichnete die Aussage des Justizministers als Hoffnungsschimmer, wonach der Folterbegriff im Strafrecht in Einklang mit dem Wortlaut der UN-Anti-Folterkonvention gebracht werden soll. Dies bedeute, dass auch bei Ausbleiben einer privaten Klage von Amtswegen ermittelt werden muss, wenn es sich um einen Fall von Folter handelt. Überdies sah er im Jahr 2014 eine gestiegene Bereitschaft seitens der Betroffenen, offiziell Beschwerden einzureichen. Insbesondere habe der Sonderermittlungsdienst (Special Investigation Service - SIS) verstärkt Aktivitäten gesetzt, wobei konkrete Resultate noch abzuwarten seien (HRA 16.1.2015).

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Der Sonderermittlungsdienst, eine Beschwerdeeinrichtung zur Untersuchung von strafrechtlichen Vergehen von Behörden, berichtete für das Jahr 2014 von 546 Fällen, in denen ermittelt wurde. Dies bedeutete eine deutliche Steigerung gegenüber den Jahren 2012 und 2013, als lediglich 204 bzw. 239 Fälle behandelt wurden (SIS 26.1.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.3.2015): Report By Nils Muižnieks Commissioner For Human Rights Of The Council Of Europe Following His Visit To Armenia From 5 To 9 October 2014 [CommDH(2015)2],

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1426583985_commdharmenia.pdf, Zugriff 19.11.2015

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 19.11.2015

- HRA - Human Rights in Armenia (16.1.2015): "The Impunity Contributes to the Escalation of the Situation We are Facing Nowadays", http://www.hra.am/en/interview/2015/01/16/danielyan, Zugriff 19.11.2015

- RA-HRD - Republic of Armenia-Human Rights Defender (26.6.2015):

Ombudsman's statement on the occasion of the International Day in Support of Victims of Torture,

http://www.ombuds.am/en/library/view_news/article/982, Zugriff 19.11.2015

- SIS - Special Investigation Service of the Republic of Armenia (26.1.2015): activities carried out in the year 2014 have been summed up, http://www.investigatory.am/en/video/item/1490/, Zugriff 19.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 19.11.2015

Korruption

Die Korruption in Armenien durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft. Die öffentliche Verwaltung, speziell die Justiz, die Polizei, der Strafvollzug, das Gesundheitswesen und das öffentliche Beschaffungswesen sind anfällig. Eines der signifikantesten Korruptionsthemen ist die Vermengung von Politik und Geschäftswelt. Obgleich die Verfassung es Parlamentsmitgliedern verbietet ein Geschäft zu betreiben, wird dieses Verbot ignoriert. Mächtige Politiker und Offizielle kontrollieren wiederholt Privatfirmen via Strohmänner und Verwandte. In den Augen des US Department of State gehörten die systematische Korruption und der Mangel an Transparenz in der Regierung zu den signifikantesten Menschenrechtsproblemen im Jahr 2014. Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für Korruptionsdelikte von Beamten vor, doch setzt die Regierung das Gesetz nicht effektiv um, sodass viele Beamte, die sich korrupter Praktiken bedienen, straffrei gehen (USDOS 25.6.2015).

Korruption bis in die höchsten Instanzen ist weiterhin ein sehr verbreitetes Problem. So sind bei öffentlichen Ausschreibungen sogenannte "Kickback"-Zahlungen an die ausschreibenden Behörden üblich, um Aufträge zu erhalten (AA 24.4.2015).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2014 belegte Armenien wie im Jahr davor Platz 94 von insgesamt 175 untersuchten Staaten (TI 2014).

Laut Transparency International ist die Schattenökonomie, die von Oligarchen beherrscht wird, ein spezielles Merkmal der Korruption in Armenien. Dieser Bereich macht 35 Prozent des BNP aus. Angesichts der Vermengung von Wirtschaft und Politik im Zeichen der Korruption, sei es nicht erstaunlich, dass 82 Prozent der ArmenierInnen glauben, dass Korruption im öffentlichen Sektor ein (ernsthaftes) Problem sei, wobei vor allem die Justiz und die Verwaltung betroffen seien. Nur 21 Prozent glauben andererseits, dass die Regierung effektiv in ihren Anti-Korruptionsbemühungen sei (TI 4.2015)

Im April 2014 wurde ein Strategiepapier für den Kampf gegen die Korruption angenommen, welches sich auf den Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie auf die Staatseinnahmen konzentriert (EC 25.3.2015).

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Der neue Anti-Korruptionsrat soll die Koordination von Anti-Korruptionsmaßnahmen vornehmen, die durch die unterschiedlichen Regierungsinstitutionen umzusetzen sind. Überdies soll der Rat Debatten und Diskussion organisieren sowie Empfehlungen an die Regierung geben. Unter dem Vorsitz des Premierministers sollen nebst Vertretern aus dem Justiz- und dem Finanzministerium sowie der Generalstaatsanwaltschaft auch die parlamentarische Opposition und die Zivilgesellschaft Vertreter entsenden (AL 19.2.2015).

Als Lichtblicke in Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung und angesichts der mangelnden Gewaltenteilung werden die Kontrollkammer, die zentrale Wahlbehörde und die Ombudsmannstelle angesehen. Insbesondere letztere wird für ihren Mut, dem Druck staatlicher Stellen zu widerstehen, gelobt (TI 4.2015).

Unter Anführung erwähnter Missstände empfahl der UN-Ausschuss für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (CESCR) in seinem Bericht vom Juli 2014, die Effektivität der rechtlichen, strukturellen und politischen Maßnahmen seitens der Regierung, der öffentlichen Verwaltung und der Gerichtsbarkeit im Kampf gegen Korruption zu stärken, wozu auch die vermehrte Untersuchung und Bestrafung gehören (CESCR 16.7.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- AL - Armenialiberty (19.2.2015): Armenian Government To Set Up New Anti-Corruption Body,

http://www.ecoi.net/local_link/297264/433676_de.html, Zugriff 19.11.2015

- CESCR - UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (16.7.2014): Concluding observations on the combined second and third periodic reports of Armenia [E/C.12/ARM/CO/2-3], http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1406729825_g1408576, Zugriff 23.11.2015

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 19.11.2015

- TI - Transparency International (2014): Corruption Perceptions Index 2014, (https://www.transparency.org/country/#ARM, Zugriff 19.11.2015

- TI - Transparency International (4.2015): The State of Corruption:

Armenia, Azerbaijan, Georgia, Moldova and Ukraine, http://www.transparency.org/whatwedo/publication/the_state_of_corruption_armenia_azerbaijan_georgia_moldova_and_ukraine, Zugriff 19.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 23.11.2015

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen sind registriert. Diese haben Zugang zu Medien, Behörden und Vertretern internationaler Organisationen.

Die Arbeit der NGOs, die sich mit Themen wie Medien, Versammlungs- und Meinungsfreiheit oder Korruption beschäftigen, wird allerdings seitens der Exekutive nicht unterstützt. Gelegentlich werden Fälle bekannt, in denen NGOs behindert werden. So wird immer wieder berichtet, dass Menschenrechtsorganisationen der Zugang zu verwertbaren Informationen und Zahlen durch Behörden und Regierung erschwert wird (AA 24.4.2015).

Einige Regierungsmitglieder und Pro-Regierungsmedien titulierten NGOs, die aus dem Ausland finanziert wurden, wie beispielsweise bekannte Menschenrechtsgruppen und Anti-Korruptions-Wächter als "große Fresser" und Verräter, die die nationalen Interessen, die Sicherheit und die Traditionen unterminieren würden (USDOS 25.6.2015).

Im September 2014 initiierte die Regierung ein neues Gesetz über Öffentliche Organisationen. Zur Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs wurde eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Justizministeriums und zivilgesellschaftlicher Organisationen gebildet. Hierbei wurden zahlreiche öffentliche Diskussionen mit über 100

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zivilgesellschaftlichen Organisationen veranstaltet. Der Gesetzesentwurf erlaubt eine flexible Regulierung der öffentlichen Organisationen und stärkt deren Rolle. Durch die Festlegung der erlaubten Geschäftstätigkeiten, beispielsweise die Gründung einer Stiftung sowie einer gesteigerten Transparenz der staatlichen Finanzierung, sollen die Entwicklung, Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit gestärkt werden. Die Schaffung des neuen Gesetzes wurde seitens der EU durch das Programm: "Unterstützung für ein demokratisches Regieren in Armenien" mit rund 950.000 Euro gefördert (EC 25.3.2015, vgl. EU 10.4.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 19.11.2015

- EU - Delegation of the European Union to Armenenia (10.4.2015):

Newsletter, Support to Democratic Governance in Armenia, http://eunewsletter.am/support-to-democratic-governance-in-armenia/, Zugriff 19.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 19.11.2015

Ombudsmann

Das Büro des Ombudsmannes hat das Mandat die Menschenrechte und grundlegende Freiheiten vor dem Missbrauch durch die Regierung zu schützen. Die Effektivität ist durch die begrenzten finanziellen Mittel eingeschränkt. Eine Zusatzfinanzierung seitens der Regierung, um die Rolle als "Nationaler Präventiver Mechanismus (NPM) im Sinne des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe der Vereinten Nationen" auszuüben, blieb aus (USDOS 25.6.2015).

Die Verfassungsänderung im November 2005 hat die Institution einer vom Parlament gewählten Ombudsperson für Menschenrechte geschaffen. De facto muss die Ombuds-person einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Der Ombudsmann bemüht sich um die Stärkung der Institution sowie um die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. So sollen regionale Büros aufgebaut werden. Mit 80 NGOs wurden "Memoranda of Understanding" zur vertieften Zusammenarbeit und konstruktivem Dialog gezeichnet. Im armenischen Haushalt 2015 sind insgesamt 481.300 Euro für die Arbeit der Ombudsperson eingeplant (2013: 440.000 Euro) (AA 24.4.2015).

Angesichts des Versagens der Justiz, was den Schutz der Bürger- und Menschenrechte anlangt, gilt die Ombudsmannsstelle als positive Ausnahme. Als einzige Institution stellt sie das staatliche Versagen beim Schutz und der Verletzung der bürgerlichen Freiheiten in Frage (BS 2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 - Armenia Country Report,

http://www.bti-project.de/reports/laenderberichte/pse/arm/index.nc#chap3, Zugriff 19.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 19.11.2015

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtssituation stellte sich 2014 weiterhin uneinheitlich dar. Der Eingriff seitens der Behörden bei friedlichen Demonstrationen setzte sich fort. Folter und Misshandlungen bei Festnahmen bleiben ein Problem, während Untersuchungen in derartigen Fällen ineffizient sind. Journalisten sind weiterhin mit Druckausübung und Gewalt konfrontiert. Obgleich der Zivildienst eingeführt wurde, kommt es zu schweren Misshandlungen in

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der Armee. Von Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten wird ebenso berichtet wie von Gewalt und Diskriminierung infolge der sexuellen Orientierung (HRW 29.1.2015, vgl. CoE-PA 27.8.2014).

Menschenrechte werden zum größten Teil durch die Sicherheitsorgane, politische Amtsträger und Privatpersonen aus dem Umfeld der sich über dem Gesetz wähnenden Oligarchen oder deren Strukturen verletzt (AA 24.4.2015).

Im Juni 2014 lobten die OSCE, Delegation der EU, die Vereinten Nationen und der Europarat in einer gemeinsamen Erklärung die armenische Regierung für die Verabschiedung des Menschenrechts-Aktionsplanes. Der Plan anerkenne, dass die Rechte vulnerabler Gruppen Schutz bedürfen und die Regierung aufgerufen sei, Bemühungen voran zu treiben, die gleiche Rechte und Chancen für alle sichern (OSCE 30.6.2014).

Allerdings kritisierte die Europäische Kommission, dass der Plan wichtige Bereiche, die Vorrang haben sollten, wie die Einhaltung der UN-Konvention gegen Folter, ausspare. Die Europäische Kommission beurteilte die Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und der fundamentalen Freiheiten als beschränkt (EC 25.3.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- CoE-PA - Council of Europe-Parliamentary Assembly, Committee on the Honouring of Obligations and Commitments by Member States of the Council of Europe (27.8.2014): Honouring of obligations and commitments by Armenia - Information note by the co-rapporteurs on their fact-finding visit to Yerevan (16 to 18 June 2014), http://www.assembly.coe.int/CommitteeDocs/2014/amondoc19-2014.pdf, Zugriff 20.11.2015

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 11.5.2015

- HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Armenia,

http://www.ecoi.net/local_link/295465/430496_de.html, Zugriff 20.11.2015

- OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (30.6.2014): Joint Statement on Launching of Human Rights Action Plan, http://www.osce.org/yerevan/120537?download=true, Zugriff 20.11.2015

Meinungs- und Pressefreiheit

Obgleich Kritik an der Regierung und Amtsträgern im Allgemeinen toleriert wird, sind gewisse Themen nach wie vor Tabu. Insbesondere Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, die Minderheitenmeinungen zu kontroversen Themen wie den Nagorny Karabach-Konflikt oder Gender-Themen äußern, sind mit Einschüchterungen, Schikanen, Drohungen oder Tätlichkeiten konfrontiert (EC 25.3.2015, vgl. AA 24.4.2015).

Im September 2014 äußerte sich die OSCE Vertreterin für Medienfreiheit, Dunja Mijatovic, besorgt über Attacken auf Journalisten und den Mangel an effektiven Maßnahmen, um das Klima der Straffreiheit zu beenden. Die Straffreiheit für solche Übergriffe würde das Gewaltpotential erhöhen und die Meinungs- und Medienfreiheit beeinträchtigen (OSCE-RFM 30.9.2014).

Laut dem "Komitee zum Schutze der Meinungsfreiheit" wurden 2014 77 Fälle der Verletzung der journalistischen Freiheiten gemeldet, im Vergleich zu 65 im Jahre 2013. Hiervon waren neun Fälle mit körperlicher Gewalt gegen Journalisten verbunden. Unter den 22 gerichtsanhängigen Fällen, die 2014 zugänglich gemacht wurden, befanden sich 17, in denen es um Beleidigung und Rufschädigung ging (CPFE 30.1.2015).

Die Medienfreiheit ist weiterhin unzureichend. Entwicklungen in Richtung einer Vielfalt im Bereich des Rundfunks und einer Transparenz hinsichtlich der Eigentümerstrukturen blieben aus (EC 25.3.2015).

Die meisten dominanten Rundfunkanstalten werden von der Regierung oder regierungsfreundlichen Einzelpersonen kontrolliert. Der Printmedienbereich ist klein und verringert sich, während die On-Line-Medien

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in ihrer Popularität und Zugänglichkeit wachsen. Fast alle Printmedien sind privat, und tendieren dazu, die politische und ideologische Richtung ihrer Eigentümer wiederzugeben (FH 28.4.2015).

Artikel 27 der Verfassung schützt die Meinung-, Informations- und Medienfreiheit. Es gibt offiziell keine Zensur. Viele Journalistinnen und Journalisten neigen aber zur Selbstzensur. Üble Nachrede und Verleumdung werden nach einer Gesetzesänderung nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Damit wurde eine langjährige Forderung der internationalen Gemeinschaft umgesetzt. Betroffenen steht stattdessen der zivilrechtliche Klageweg offen. Die Zahl der zivilrechtlichen Klagen gegen Medien und Journalisten hat in der Folge stark zugenommen, und es ergingen eine Reihe unverhältnismäßig hoher Geldstrafen (AA 24.4.2015, vgl. HRW 29.1.2015).

Mitte September beschrieb der Vorsitzende von CPFE, Ashot Melikyan, die Wirkung der neuen Gesetzlage entgegen den optimistischen Prognosen als wirkliche Hausausforderung für die Medien, denn Politiker und Wirtschaftstreibende würden objektive Kritik als Beleidigung und Verleumdung betrachten und versuchten mittels Klagen Rache an den Medien zu üben. Seit Beleidigung und Verleumdung als Delikte entkriminalisiert wurden, wären 126 Klagen gegen Medien und Journalisten eingereicht worden (CPFE 16.9.2015).

Im World Press Freedom Index 2014 der Organisation "Reporter ohne Grenzen" rangierte Armenien auf Platz 78 von 180 Ländern (RWB 2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- CPFE - Committee to Protect Freedom of Expression (16.9.2015):

Insult and Defamation in Press: From Legal Uncertainty to Self-regulation,

http://khosq.am/en/2015/09/16/insult-and-defamation-in-press-from-legal-uncertainty-to-self-regulation/, Zugriff 20.11.2015

- CPFE - Committee to Protect Freedom of Expression (30.1.2015): The 2014 Annual Report of CPFE on the Situation with Freedom of Expression and Violations of Rights of Journalists and Media in Armenia,

http://khosq.am/en/reports/the-2014-annual-report-of-cpfe-on-the-situation-with-freedom-of-expression-and-violations-of-rights-of-journalists-and-media-in-armenia/, Zugriff 20.11.2015

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 20.11.2015

- FH - Freedom House (28.4.2015): Freedom of the Press 2015 - Armenia,

http://www.ecoi.net/local_link/311939/450050_de.html, Zugriff 20.11.2015

- HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/295465/430496_de.html, Zugriff 20.11.2015

- OSCE-RFM - Organization for Security and Co-operation in Europe - Representative on Freedom of Media (30.9.2014): Journalists' rights in Armenia must be ensured, says OSCE Representative, http://www.osce.org/fom/124611, Zugriff 20.11.2015

- RWB - Reporters without Borders (2015): World Press Freedom Index 2015, https://index.rsf.org/#!/index-details/ARM, Zugriff 20.11.2015

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

Die Verfassung garantiert das Recht auf "friedliche, nicht bewaffnete, öffentliche Versammlungen". Mitte März 2008 erfolgte eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes mit weitreichenden Verbotsmöglichkeiten, die jedoch auf Druck des Europarates mit der Novellierung des Versammlungsgesetzes 2011 teilweise zurückgenommen wurden. Demonstrationen auf dem Opernplatz ("Platz der Freiheit") in Jerewan werden wieder regelmäßig genehmigt, insbesondere nach den Präsidentschaftswahlen im Februar 2013. Vertreter der Opposition haben teilweise mit Einschränkungen zu kämpfen. Die Interpretation des Gesetzes über die

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Versammlungsfreiheit erscheint mitunter willkürlich. Andererseits werden manche spontane Demonstrationen geduldet (AA 24.4.2015).

Das gegenwärtige Recht auf Versammlungsfreiheit entspricht den EUund anderen internationalen Standards. Trotz des Rechts auf Versammlungsfreiheit mischen sich die Behörden dahingehend ein, dass sie Zusammenkünfte nicht genehmigen, Demonstrationen auflösen oder Teilnehmer physisch attackieren bzw. festnehmen, wie dies auch 2014 der Fall war (EC 25.3.2015, vgl. FH 28.1.2015, FCO 28.1.2015).

Demonstrationen der Opposition werden zwar wieder regelmäßig genehmigt, die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit wird jedoch in der Praxis durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz spürbar eingeschränkt (AA 24.4.2015).

Auch die Vereinigungsfreiheit hat Verfassungsrang. Die aktuelle Gesetzgebung entspricht im

Wesentlichen internationalen Standards, weist aber in der Umsetzung Defizite auf. Das Recht auf Streik gilt nicht uneingeschränkt. Bestimmten Berufsgruppen (z.B. Polizei) ist das Recht verwehrt, Gewerkschaften beizutreten. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der ungünstigen Wirtschaftslage machen Arbeitnehmer von ihrem Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, nur in geringem Umfang Gebrauch (AA 24.4.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 20.11.2015

- FCO - UK Foreign and Commonwealth Office (12.3.2015): Human Rights and Democracy Report 2014 - Case Study: Shrinking Space for Civil Society in Eastern Europe and Central Asia, http://www.ecoi.net/local_link/298596/435137_de.html, Zugriff am 20.11.2015

- FH - Freedom House (28.1.2015): Freedom in the World 2015 - Armenia,

http://www.ecoi.net/local_link/300285/436948_de.html, Zugriff 20.11.2015

Opposition

Die Opposition besteht aus dem Bündnis des Armenischen Nationalkongresses, der "Daschnakzutiun" (Armenische Revolutionäre Föderation, ARF) und der "Erbe"-Partei. Die Partei Bargavach Hayastan ("Blühendes Armenien") ging in die "konstruktive" Opposition. Es gibt immer wieder belastende Berichte in der Presse und von NGOs über Behinderungen und Ungleichbehandlungen der Oppositionsparteien durch die Behörden, z.B. bei Demonstrationen oder Wahlen (AA 24.4.2015).

Überdies gab es fortwährend Beschwerden, dass die Regierung ihre erheblichen administrativen und rechtlichen Ressourcen gebrauche, um finanzielle Zuwendungen an die Opposition zu verhindern. Die Unfähigkeit der Oppositionsparteien Gelder aufzutreiben, entweder durch staatliche Mittel oder durch private Spenden, die wegen des Drucks der Regierung auf potentielle Spender ausbleiben, marginalisiert die Oppositionsparteien noch mehr (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 20.11.2015

Bewegungsfreiheit

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Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 24.4.2015).

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Es gab jedoch Einschränkungen vor allem im Zusammenhang mit Reisen zu oppositionellen Kundgebungen in der Hauptstadt. Um das Land vorübergehend oder dauerhaft zu verlassen, müssen sich Bürger eine Ausreisebewilligung besorgen. Ausreisebewilligungen für vorübergehende Reisen werden üblicherweise innerhalb eines Tages ausgestellt zum Preis von 1.000 Dram (ca. 2,44 USD) pro Gültigkeitsjahr (USDOS 25.6.2015).

18. 19. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit beziehen sich oft auf die Versammlungsfreiheit, indem der Zugang zu Örtlichkeiten seitens der Behörden behindert wird. Das Norwegische Helsinki Comittee sieht seit 2014 eine Zunahme der Einschränkungen der Bürgerfreiheiten, darunter auch der Bewegungsfreiheit (NHC 4.2.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- NHC - Norwegian Helsinki Committee (4.2.2014): Armenia - Between hope and distrust,

http://nhc.no/filestore/Publikasjoner/Rapporter/2014/Report_1_14_web.pdf, Zugriff 20.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/306338/443613_de.html, Zugriff 23.11.2015

Grundversorgung/Wirtschaft

20. Das verheerende Erdbeben von 1988, der Konflikt mit Aserbaidschan um die Region Bergkarabach (1988-1994), der Zusammenbruch des sowjetischen Wirtschaftssystems und die Unterbrechung der Energieversorgung in den 1990er Jahren führten zu einem drastischen Niedergang der armenischen Industriestruktur. Dies und die andauernde Isolation durch geschlossene Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan belasten die armenische Wirtschaft bis heute (AA 3.2015c).

21. 22. Die Wirtschaft hat sich immer noch nicht zur Gänze von der tiefen Rezession, die durch die globale Wirtschaftskrise 2008 ausgelöst wurde, erholt. Damals fiel das Bruttonationalprodukt um 14,1%. Der steile Wirtschaftsabschwung 2009 ist der Hauptfaktor für die steigende Armut. Rund 1,2 Millionen Armenier leben von circa 3 Euro pro Tag. Die sozioökonomische Kluft hat zudem einen regionalen Aspekt. Durch die überproportionale Wirtschaftsaktivität in den urbanen Zentren hat sich die Einkommensschere zwischen Stadt und Land verstärkt. Der Zugang etwa zum Gesundheitswesen und zur Bildung sowie deren Qualität divergiert stark zwischen urbanen und ländlichen Regionen (BS 2014).

23. 24. Laut Europäischer Kommission gab es 2014 weitere Fortschritte in der Wirtschaftspolitik im Makrobereich, der Armutsbekämpfung und der sozialen Kohäsion. Allerdings nahm die wirtschaftliche Aktivität 2014 infolge der ökonomischen Verlangsamung in Russland und der schwachen Nachfrage aus der Europäischen Union ab. Zu wenig würde unternommen, um die Wirtschaft zu diversifizieren. Es bestünde ein übermäßiges Vertrauen speziell in die Landwirtschaft und den Bergbau (EC 25.3.2015).

25. Zu den strukturellen Defiziten gehört nebst den abnehmenden Investitionen auch eine übermäßige Abhängigkeit von Überweisungen aus dem Ausland (BS 2014).

26. 27. In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation bei. Die Gas- und Stromversorgung ist grundsätzlich gewährleistet. Leitungswasser steht dagegen in manchen Gegenden, auch in einigen Vierteln der Hauptstadt, insbesondere während der Sommermonate nur stundenweise zur Verfügung. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Angaben des nationalen Statistikamtes für das Jahr 2013 zufolge leben 32% der Armenier unterhalb der Armutsgrenze (2009: 34,1%). Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland

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unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien 56.600 armenische Dram (AMD) (ca. 110 Euro) im Monat, der offizielle Mindestlohn 50.000 AMD (derzeit ca. 96 Euro). Die wirtschaftliche Lage führt nach wie vor dazu, dass der Migrationsdruck anhält. In den ersten drei Quartalen 2014 haben 105.000 Menschen Armenien dauerhaft verlassen (1.-3. Quartal 2013: 120.998). Unter den Auswanderern sind auch viele Hochqualifizierte, wie etwa Ärzte oder IT-Spezialisten (AA 24.4.2015).

28. 29. Laut Statistikamt betrug 2013 die Netto-Migrationsquote minus 8,1 pro 1.000 Einwohner, was eine deutliche Steigerung zu den Vorjahren indiziert (2012: -3,1; 2011: -1,2). Die Armenische Bevölkerung nahm im Zeitraum zwischen 2010 und 2014 um mehr als 230.000 Personen bzw. 7% ab (NSS-RA 2014a).

30. 31. Das 2014 erreichte Wirtschaftswachstum von 3,4% ist nicht ausreichend für einen nachhaltigen Aufschwung der Ökonomie. Vor allem die drastische Anhebung des Gaspreises durch Russland, der Rückgang von Auslandsüberweisungen und die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland haben die Wirtschaft negativ beeinflusst. Die Inflationsrate lag 2014 offiziell bei 3% (AA 3.2015c).

32. 33. Die offizielle Arbeitslosenrate betrug 2013 16,2% und lag damit unter jener der Vorjahre (NSS-RA 2014b). Das Arbeitslosenamt meldete hingegen mit Stand 1.1.2015 17,1% Arbeitslose (SEA o.D.).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- AA - Auswärtiges Amt (5.2015c): Wirtschaft, Armenien, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Wirtschaft_node.html, Zugriff 23.11.2015

- BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 - Armenia Country Report,

http://www.bti-project.de/reports/laenderberichte/pse/arm/2014/index.nc#economic, Zugriff 23.11.2015

- EC - European Commission (25.3.2015): Implementation of the European Neighbourhood Policy in Armenia Progress in 2014 and recommendations for action,

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/armenia-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 23.11.2015

- NSS-RA - National Statistical Service of the Republic of Armenia (2014a): Statistical Yearbook of Armenia 2014: main demographic indicators, http://www.armstat.am/file/doc/99489458.pdf, Zugriff 23.11.2015

- NSS-RA - National Statistical Service of the Republic of Armenia (2014b): Statistical Yearbook of Armenia 2014: employment, http://www.armstat.am/file/doc/99489183.pdf, Zugriff 23.11.2015

- SEA - State Employment Agency (o.D.): Unemployment, http://employment.am/en/38/free.html, 23.11.2015

Sozialbeihilfen

Das soziale Sicherungssystem Armeniens wird derzeit durch den Staatshaushalt (Familien-und andere Beihilfen, Pensionen für Militärbedienstete, soziale Unterstützungsprogramme sowie seit 2003 auch Sozialrenten) sowie durch die staatliche Sozialversicherung (Staatsrenten, Arbeitslosenunterstützung und Beihilfen bei vorübergehender Berufsunfähigkeit oder Schwangerschaft) finanziert. Eine Reihe von Sozialprogrammen wird wesentlich durch Spenden unterstützt. Dies gilt insbesondere für öffentliche Arbeiten und Sozialversicherungsprogramme (IOM 8.2014).

34. Familienbeihilfen

Als bedürftig registrierte Familien können Familiensozialhilfe erhalten, sofern die errechnete Bedürftigkeit einen von der Regierung der Republik Armenien im Jahr 2005 festgelegten (und noch immer gültigen) Schwellenwert von 34,00 Punkten überschreitet.

Einmalige Beihilfen

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Dies können Familien gewährt werden, deren Bedürftigkeitspunktzahl unter dem Mindestschwellenwert von 34,00 (jedoch über 0) liegt. Die Entscheidung über die Bedürftigkeit einer Familie obliegt dem Sozialrat. Des Weiteren wird Familien verstorbener Soldaten eine Beihilfe in Höhe der Familiensozialhilfe gewährt. Die Anerkennung des Anspruchs der einmaligen Beihilfe wird alle drei Monate geprüft. Die Summe beträgt 6.000 AMD (entsprechend dem Leistungsgrundbetrag).

Kindergeld

Kindergeld wird Personen gewährt, die Kinder unter zwei Jahren versorgen. Die monatlichen Leistungen für Personen, die Kinder unter zwei Jahren versorgen, belaufen sich auf etwa 3.000 Dram.

Mutterschaftsgeld

Derzeit bestehen in Armenien drei Arten von Beihilfen in Verbindung mit Kindsgeburten. Einerseits die einmalige Mutterschaftsbeihilfe von 50.000 Dram. Darüber hinaus gibt es eine monatliche Zahlung von ca. 18.000 Dram im Monat an alle erwerbstätigen Elternteile, die ein Kind (bis zum 2. Lebensjahr) versorgen und sich in einem teilweise bezahlten Mutterschaftsurlaub befinden. Außerdem haben Mütter das Recht auf einen Mutterschutzurlaub von 70 Tagen vor und 70 Tagen nach der Geburt. Dieser Zeitraum wird bei schwierigen oder Mehrlingsgeburten erhöht. In diesem Zeitraum wird das Gehalt weiterbezahlt und errechnet sich durch 100% des Durchschnittseinkommens, geteilt durch 30,4, multipliziert mit der Anzahl der Tage des Mutterschutzes. Anspruch auf Mutterschutz haben nur Frauen im formellen Sektor. Daher haben viele Frauen, die im informellen Sektor beschäftigt sind und Hausfrauen keinen Anspruch auf Mutterschutz (IOM 8.2014).

Senioren und Behinderte

Die sozialen Unterstützungsprogramme für Senioren und Behinderte basieren auf den Anforderungen des Gesetzes über die soziale Absicherung behinderter Personen in Armenien. Hierzu zählen die Vorbeugung von Behinderungen, die medizinische und soziale Rehabilitation und Prothesen sowie insbesondere prothetische und orthopädische Unterstützung behinderter Personen, die Bereitstellung von Rehabilitationsmitteln und soziale Dienste für Senioren und Behinderte.

Bereits personalisierte Pensionisten können einen Preisnachlass von den öffentlichen Versorgungseinrichtungen (einschließlich Preisnachlässe für Gas und Strom) fordern. Alleinstehende Pensionisten über 70 Jahre und alleinstehende behinderte Erwachsene können Pflegeleistungen beim "In-house Social Service Center for lonely old and disabled persons" beantragen.

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen können eine Familienbeihilfe erhalten, wenn sie die entsprechende Punktzahl erreichen. Derzeit gewährt die armenische Regierung dieser Bevölkerungsgruppe keine Sozialleistungen (IOM 8.2014).

Renten

Personen, die 63 Jahre (bei Frauen beginnt der Grundrentenanspruch mit 59) und älter sind und mindestens fünf Jahre gearbeitet haben, erhalten Anspruch auf eine Altersrente. Darüber hinaus besteht für Frauen eine Alterstabelle, nach der sich das Alter bis zur Anspruchsberechtigung pro Jahr um sechs Monate erhöht, bis das 63. Lebensjahr erreicht wird. Personen im Alter von 55 Jahren, die 25 Jahre gearbeitet und hiervon 15 Jahre besonders schwere Arbeit geleistet haben, können eine Vorzugsrente beanspruchen. Die armenische Regierung hat eine Liste der betreffenden Positionen und Tätigkeiten veröffentlicht. Bis zum Erreichen des Rentenalters besteht eine Alterstabelle. Personen, die mindestens 35 Jahre gearbeitet haben und durch den Arbeitgeber gekündigt wurden (mit Ausnahme bei Austritten aufgrund von Verstößen gegen Arbeitsvorschriften) und innerhalb von 30 Tagen nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis bei dem zuständigen Arbeitsamt einen Antrag gestellt haben, erfüllen die Voraussetzungen um eine Pension zu erhalten. Im Fall einer Berufsunfähigkeitspension für die Altersgruppe ab 30 Jahre muss die betreffende Person mindestens 5 Arbeitsjahre vorweisen können (IOM 8.2014).

Arbeitslosenunterstützung

Als arbeitssuchend gelten alle Personen ab 16 Jahren, die sich ungeachtet ihrer Beschäftigung bei den staatlichen Arbeitsämtern arbeitssuchend melden. Der Status des Arbeitssuchenden wird allen arbeitslosen Jobsuchern zuerkannt, die das arbeitsfähige Alter erreicht haben und keine gesetzlichen Leistungen beziehen, sofern sie

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mindestens 1 Jahr gearbeitet haben und sich beim Arbeitsamt anmelden. Die Mindestbezugsdauer beläuft sich auf sechs, die maximale Bezugsdauer auf zwölf Monate. Die Arbeitslosenbeihilfe beträgt 18.000 Dram pro Monat (IOM 8.2014).

Sie beträgt 60% des staatlich garantierten Mindestlohnes. Während des Besuchs von Weiterbildungsmaßnahmen erhalten Teilnehmende 120% des Arbeitslosengeldes. Nichtbezugsberechtigte Arbeitslose bekommen im Fall von Trainingsmaßenahmen ebenfalls eine Unterstützung, nämlich im Ausmaß von 50% des Mindestlohnes (SEA o.D.).

Gemäß den von der armenischen Regierung vorgegebenen Verfahren kann Arbeitslosen, deren Zahlungsanspruchsfrist abgelaufen ist, sowie Arbeitssuchenden, die nicht als arbeitslos gelten und daher gemäß diesem Gesetz keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben, finanzielle Hilfe gewährt werden. Die armenische Regierung bestimmt den Grundbetrag der Arbeitslosenunterstützung (IOM 8.2014).

Quellen:

- IOM - International Organization for Migration (8.2014):

Länderinformationsblatt Armenien, http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_armenien-dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 23.11.2015

- SEA - State Employment Agency (o.D.): The Law of the Republic of Armenia on employment of the population and social protection in case of unemployment, http://employment.am/en/legislation.html, 23.11.2015

Medizinische Versorgung

Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet. Das Gesetz über die kostenlose medizinische Behandlung regelt den Umfang der kostenlosen ambulanten oder stationären Behandlung bei bestimmten Krankheiten und Medikamenten sowie zusätzlich für bestimmte sozial bedürftige Gruppen (z.B. Kinder, Flüchtlinge, Invaliden). Es hängt allerdings von der Durchsetzungsfähigkeit und Eigeninitiative der Patienten ab, ob es gelingt, ihr Recht auf kostenlose Behandlung durchzusetzen. Nichtsdestotrotz ist die Qualität der medizinischen Dienstleistung weiterhin häufig von "freiwilligen Zuzahlungen" bzw. "Zuwendungen" an den behandelnden Arzt abhängig, auch bei Abschluss einer privaten Krankenversicherung. In letzter Zeit erschienen in der Presse Artikel mit Informationen über die kostenlose Behandlung; immer mehr Patienten bestehen erfolgreich auf diesem Recht. Die Behandlung in der Poliklinik des jeweiligen Wohnbezirks ist grundsätzlich kostenlos.

Die Kliniken sind finanziell unzureichend ausgestattet, um ihren Betrieb und die Ausgabe von Medikamenten sicherzustellen. Daher sind die Kliniken auch in Fällen, in denen sie eigentlich zu kostenloser Behandlung verpflichtet sind, gezwungen, von den Patienten Geld zu nehmen. Da dies ungesetzlich ist, erhalten die Patienten jedoch keine Rechnungen. Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten: Nicht immer sind alle Präparate vorhanden, obwohl viele Medikamente in Armenien in guter Qualität hergestellt und billig verkauft werden (AA 24.4.2015).

35. Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren/Feldscher-Stationen erbracht. Das Verhältnis der Ärzte zur Einwohnerzahl beträgt: ein Arzt pro 1.200 bis 2.000 Einwohner und ein Kinderarzt für 700 bis 800 Kinder (IOM 8.2014).

Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist. Darüber hinaus finden sich in der Hauptstadt sechs Kinder-und Mutterschaftskrankenhäuser. Die meisten Krankenhäuser sind staatlich. Derzeit bestehen vier private Krankenhäuser und ein teilweise privates Hospital. Des Weiteren gibt es ein privates Diagnosezentrum in Jerewan, das zu 80% im privaten Sektor aktiv ist. Ein fundamentales Problem der primären medizinischen Versorgung betrifft die Zugänglichkeit, die für einen großen Teil der Bevölkerung extrem schwierig geworden ist. Dieser Teil der Bevölkerung ist nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Die Reformen haben den Patienten bereits die freie Wahl des Arztes garantiert. Das Recht der freien Arztwahl sollte auch die Qualität der Behandlung verbessern, da das Einkommen des Arztes jetzt die Anzahl der von ihm behandelten Patienten reflektiert. Für die Ärzte besteht nun ein höherer Anreiz, die Patienten zufriedenzustellen (IOM 8.2014).

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Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- IOM - International Organization for Migration (8.2014):

Länderinformationsblatt Armenien, http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_armenien-dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 23.11.2015

Behandlungsmöglichkeiten von bestimmten Krankheit und Leiden

Insulinabgabe und Dialysebehandlung erfolgen im Prinzip kostenlos:

Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze ist zwar beschränkt, aber gegen Zahlung ist eine Behandlung jederzeit möglich. Die Dialysebehandlung kostet ca. USD 50 pro Sitzung. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Jerewan möglich, auch in den Städten Vanadzor und Gyumri sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet.

36. Die größeren Krankenhäuser sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung des posttraumatischen Belastungssyndroms (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos (AA 24.4.2015).

37. Die öffentlichen Sozialpflegedienste in Armenien sind sehr begrenzt. Der private Sektor ist an der Erbringung dieser Leistungen nicht beteiligt. Es gibt nur ein einziges Krankenhaus für geistig und körperlich behinderte Menschen und keine Pflegeheime für Patienten, die eine dauerhafte, langfristige Betreuung benötigen. Es gibt keine Vorkehrungen für eine langfristige Aufnahme von Patienten mit chronischen Erkrankungen und keine Tagespflegeeinrichtungen für Patientengruppen mit speziellen Bedürfnissen und ebenfalls kein Sozialarbeiternetzwerk. Es gibt sieben regionale psychiatrische Kliniken, die lediglich eine langfristige Aufnahme von Patienten mit chronischen Erkrankungen bei nur geringer medizinischer Versorgung bieten.

Medizinisch-soziale Einrichtungen des Ministeriums für Arbeit und Soziales:

- Das "Stress Centre" CJSC implementiert die medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen im psychologischen Gesundheitsbereich. Das Zentrum bietet die folgenden Leistungen: Behandlung ernsthafter psychischer Syndrome, Wiederherstellung der geistigen Gesundheit bei stationärer Aufnahme und in ambulanter Umgebung, stationäre Untersuchung von MSE-Antragstellern etc.

- Das "prothetisch-orthopädische" CJSC und das "InterOrto"-LLC bieten prothetisch orthopädische Mittel.

- Die Heime Nork und Nork 1 sind gemeinnützige Organisationen, die Rentner und behinderte Senioren betreuen.

- Das "Vardenis"-Heim betreut psychisch beeinträchtigte Menschen jeden Alters.

- Das "Gyumri"-Heim betreut Rentner und behinderte Senioren.

- Das "Social Service Center of Alone old and Disabled People In-house Treatment" ist eine gemeinnützige Organisation, die Rentner und behinderte Senioren betreut (IOM 8.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- IOM - International Organization for Migration (8.2014):

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Länderinformationsblatt Armenien, http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_armenien-dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 23.11.2015

Behandlung nach Rückkehr

Rückkehrer werden nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt.

38. Es werden nur die von den armenischen Botschaften ausgestellten Heimreisedokumente oder Pässe anerkannt. Eine Rückreise ohne Vorlage eines dieser Dokumente ist nicht möglich. In Einzelfällen sind Rückführungen auch ohne die Feststellung der richtigen Identität möglich. In diesen Fällen werden Heimreisedokumente nach Autorisierung durch das Außenministerium auf Alias-Personalien ausgestellt (AA 24.4.2015).

39. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel gibt es zurzeit kein staatliches Programm zur Vorbereitung auf die Unterbringung von Heimkehrern in Armenien. Eine vorübergehende Unterkunft (maximal 2 Monate) kann den Flüchtlingen, die einen Antrag auf Asyl gestellt haben, von der Migrationsbehörde der Republik Armenien zur Verfügung gestellt werden. Jeder Fall wird jedoch ausführlich geprüft und die endgültige Entscheidung über die Bereitstellung der Unterkunft erfolgt nach dem Kollegialprinzip (IOM 08.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- IOM - International Organization for Migration (8.2014):

Länderinformationsblatt Armenien, http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_armenien-dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 23.11.2015

40. Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Das Ministerium für soziale Sicherheit unterhält 7 Waisenhäuser (mit 743 Kindern); einschließlich zweier Heime für entwicklungsverzögerte Kinder (331 Kinder). Darüber hinaus gibt es zwei nicht-öffentliche Waisenhäuser, die derzeit etwa 134 Kinder betreuen. Die Mehrzahl der Kinder in den Waisenhäusern stammt aus Familien mit nur einem Elternteil. In den letzten Jahren haben die Waisenhäuser jedoch immer mehr Kinder aus vollständigen, aber sozial benachteiligten Familien aufgenommen (IOM 8.2014).

Staatliche Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige bestehen nicht, es gibt jedoch zahlreiche Waisenhäuser, die durch Spenden aus dem Ausland zum Teil einen guten Unterbringungs- und Betreuungsstandard gewährleisten (AA 24.4.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

- IOM - International Organization for Migration (8.2014):

Länderinformationsblatt Armenien, http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_armenien-dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 23.11.2015

II.1.3. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

Es konnte nicht festgestellt werden, dass den BF in ihrem Heimatland Armenien eine begründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.

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Weiters konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung von "Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz" nicht vor und ist die Erlassung von Rückkehrentscheidungen geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Abschiebung der BF nach Armenien zulässig und möglich ist.

2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt des BF sowie jene seiner Eltern und seines Neffen Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich - vorbehaltlich der Feststellungen zur Identität - aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie den Sprach- und Ortskenntnissen.

Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage unbedenklicher nationaler Originallichtbildausweise konnte die Identität des BF nicht festgestellt werden. Soweit dieser namentlich genannt wird, dient dies lediglich der Identifizierung des BF als Verfahrenspartei. Es bedeutet jedoch nicht die Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd § 38 AVG.

Anzuführen ist, dass es dem BF aufgrund seiner Staatsangehörigkeit längst möglich gewesen wäre, seine Identität bei entsprechender Mitwirkung im Verfahren zu bescheinigen. Der Umstand, dass die Identität bis dato nicht festgestellt werden konnte ist letztlich auf die mangelnde Mitwirkung des BF an der Identitätsfeststellung zurückzuführen und sind alle daran anknüpfenden Konsequenzen daher vom BF zu vertreten.

II.2.3 Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprungeshandelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten - von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen - diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten -immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen -allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschieberelevanten Situation ist seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht eingetreten.

Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen, welche in den Länderfeststellungen getroffen wurden, nicht konkret und substantiiert entgegen.

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II.2.4.1. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten --z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche ( z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461)- zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).

Weiter ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).

II.2.4.2. Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als sie zum Schluss kommt, dass der BF in Armenien keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt war bzw. im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

II.2.5.1. Darüber hinaus hegt aber auch das BVwG erhebliche Zweifel an den Angaben des BF bzw. deren Glaubwürdigkeit. Im Wesentlich stützt sich der BF darauf, dass bereits seine Eltern in Armenien verfolgt worden seien und er deshalb ebenfalls politisch motivierte Verfolgung befürchte. Doch wurde bereits im Asylverfahren der Eltern deren Unglaubwürdigkeit vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dies im Wesentlichen mit folgender Begründung:

"Gegen die Glaubwürdigkeit der BF spricht bereits der Umstand, dass sie vorgaben, nicht zu wissen, durch welche Länder sie ab Moskau bis nach Österreich gekommen sind. Bei halbwegs vernunftbegabten Menschen - und davon ist bei den BF aufgrund der angegebenen Schulbildung auszugehen - kann man erwarten, dass sie auf ihrer Flucht zumindest mitbekommen, durch welche Länder sie gereist sind, wenn sie schon den exakten Reiseweg nicht angeben können. Offensichtlich versuchten die BF, ihren Reiseweg zu verschleiern, um nicht in das Dublinregime zu fallen.

Weiter spricht gegen die Glaubwürdigkeit der BF1 und BF2, dass diese nach den Angaben des BF1 und der BF2 bei Gericht offenbar legal mit einem Bus und unter Vorweisung ihrer Reisepässe aus Armenien ausgereist sind. Wäre der BF1 in Armenien tatsächlich staatlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen, hätte er wohl kaum diesen Weg der Ausreise gewählt, weil das Risiko viel zu groß gewesen wäre, an der Grenze von den Behörden bzw. vom KGB geschnappt zu werden. Dazu kommt, dass der BF1 bei seiner Erstbefragung dazu widersprüchlich noch behauptet hatte, die Ausreise sei illegal erfolgt.

Den eigentlichen Fluchtgrund betreffend, vermochte vor allem der BF1, auf dessen Geschichte sich die restliche Familie im Wesentlichen stützt, ebenfalls nicht von seiner Glaubwürdigkeit zu überzeugen.

So gab er auf die Frage, wer ihn in Armenien eigentlich verfolgt, bei Gericht an, dass dies Präsident Sargsyan, das Innenministerium und der Sicherheitsdienst KGB seien. Bei der Erstbefragung am 26.6.2012 hatte er widersprüchlich dazu angegeben, dass er "vermutlich von Anhängern der jetzigen Partei" verfolgt werde. Bei der Einvernahme am 10.4.2013 gab er hingegen an, dass Präsident Sargsyan 1999 ermordet worden sei und er vom KGB verfolgt würde. Bei der Einvernahme am 24.2.2015 gab er wiederum an, er werde vom KGB verfolgt und er stehe auf einer "schwarzen Liste" der armenischen Regierung. Wäre der BF1 in Armenien tatsächlich asylrelevanter staatlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen, wäre er mit Sicherheit imstande gewesen, bei jeder Einvernahme übereinstimmend seine angeblichen Verfolger anzugeben.

Außerdem fehlt es nach den Schilderungen des BF1 bei Gericht vielfach am zeitlichen Konnex zwischen angeblichen Verfolgungshandlungen und Ausreise im Jahr 2012. So behauptete er beispielsweise, die

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Verfolgung habe bereits 1996 begonnen. Würde das tatsächlich stimmen, wären die BF wohl bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt aus Armenien ausgereist. Im Übrigen hatte er bei seiner Erstbefragung widersprüchlich dazu noch angegeben, dass die Mitglieder seiner Partei erst seit 1999 verfolgt würden und er auch 1999 festgenommen worden sei. In weiterer Folge behauptete der BF1 bei seiner Einvernahme am 10.4.2013 neuerlich widersprüchlich, dass ihn seine Verhaftung am 3.3.2008 durch den KGB zur Ausreise bewogen hätte. Warum diese aber erst 4 Jahre später erfolgte, blieb dabei allerdings offen. Nicht glaubhaft ist auch, dass - hätte der KGB den BF1 tatsächlich festgenommen und wäre dieser tatsächlich als Staatsfeind auf der ominösen schwarzen Liste der Regierung gestanden - nach 3 Monaten einfach wieder frei gelassen hätte.

Würde der BF1 tatsächlich als Staatsfeind angesehen, würde in Armenien auch ein Haftbefehl existieren. Die Existenz eines solchen wurde vom BF1 bei Gericht allerdings verneint, indem er vage und ausweichend angab, es existiere "kein offizieller Haftbefehl". Nachgefragt, was das bedeuten soll, antwortete er wiederum ausweichend und unglaubhaft, dass in Armenien keine Gesetze existieren würden. Neuerlich nachgefragt, fügte er ebenso unglaubwürdig hinzu, dass es intern eine Liste von Personen gebe, die eliminiert oder inhaftiert werden sollten. Gefragt, wie er darauf kommt, dass er auf dieser Liste stünde, wich er wiederum aus, indem er angab, er gehöre zur Gruppe Armenakyan Armen, er sei 3 mal in Haft gewesen und habe 2 Mordanschläge überlebt. Im weiteren Verlauf gab der BF1 auf die Frage nach der Anzahl seiner Verhaftungen hingegen 3 bis 4 Mal an. Widersprüchlich dazu hatte der BF1 bei der Einvernahme am 10.4.2013 lediglich von 1 Verhaftung im Jahr 2008 und einem Mordanschlag im Jahr 2012 gesprochen. Wäre der BF1 tatsächlich jemals bzw. öfters verhaftet worden, wäre er mit Sicherheit in der Lage gewesen, die genaue Anzahl seiner Inhaftierungen bei jeder Einvernahme konkret und übereinstimmend anzugeben, zumal es sich dabei um äußerst einschneidende Erlebnisse im Leben eines Menschen handelt.

Ein weiterer Widerspruch ergab sich bei der Dauer der Inhaftierung im Jahr 2008. Waren es laut Angaben am 10.4.2013 3 Monate, gab der BF1 bei Gericht 4 Monate an. In weiterer Folge sprach er dann wieder von 3 1/2 bis 4 Monaten.

Komplett widersprüchlich waren auch die Angaben des BF1 zu seiner Parteizugehörigkeit. So gab er bei der Erstbefragung am 26.6.2012 an, er sei Mitglied der Partei Tigran Mec gewesen, während er bei Gericht behauptete, er sei 5,6 Jahre lang Mitglied der nationalen Volksunion Vazgen Manukyan gewesen. Bei der Einvernahme am 24.2.2015 hatte er widersprüchlich zu seinen ursprünglichen und auch den nunmehrigen Angaben behauptet, Metsn Tigan sei keine Partei, diese Organisation habe freiwillige bewaffnete Kämpfer für den Karabachkrieg rekrutiert und er sei dort 1990 Mitglied geworden.

Völlig widersprüchlich waren auch die Schilderungen des BF1 zu den angeblichen Mordanschlägen auf seine Person. Dazu ist vorauszuschicken, dass der KGB, würde er dem BF1 tatsächlich nach dem Leben trachten, diesen im Lauf der vielen Jahre der angeblichen Verfolgung und wenn der KGB den BF1, wie dieser behauptete, sogar schon mehrfach festgenommen hatte, schon längst liquidiert hätte. Zudem sprach der BF1 bei der Einvernahme am 10.4.2013 davon, dass am 21.2.2012 auf dem Heimweg gegen 20.00 Uhr auf ihn geschossen worden sei. Am 24.2.2015 behauptete er widersprüchlich dazu, am 4. oder 5.1.2010 abends sei auf ihn geschossen worden. Über Nachfrage gab er dann an, auch 2011, wahrscheinlich am 20. oder 21.2. sei noch einmal auf ihn geschossen worden, es sei gegen 22.00 Uhr gewesen. Bei Gericht gab er dann über Befragen seines Vertreters an, am 4.1.2010 und am 21.2.2011 sei auf ihn geschossen worden. Hätte der KGB tatsächlich seine Leute 2 Mal auf den BF1 schießen lassen, hätten sie den BF1 auch getroffen, da davon auszugehen ist, dass der KGB über entsprechend ausgebildete Schützen und Präzisionswaffen verfügt.

Soweit der BF1 im Rahmen der mündlichen Verhandlung vage und unbestimmt Vorkommnisse im Juni 2016 (Festnahme angeblicher Kriegskollegen, Putschversuch) ins Spiel bringt, konnte er einen Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und seiner Person nicht einmal ansatzweise glaubhaft darlegen, sodass sich in diesem Zusammenhang auch die Einholung des beantragten länderkundlichen Sachverständigengutachtens erübrigt.

Es besteht aufgrund der völligen Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF1 und der vorliegenden Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 25.5.2015 auch keinerlei Veranlassung einer weiteren Herkunftsstaatrecherche. Laut dieser Anfragebeantwortung gibt es keine Informationen oder Berichte über die Existenz einer so genannten "Schwarzen Liste". Demnach haben auch Mitglieder bzw. ehemalige Mitglieder der Metsn Tigan in Armenien auch keine besonderen Probleme. Die große Mehrheit der Mitglieder sind Zivilisten oder pensionierte Militärangehörige. Die Organisation selbst ist in den politischen Prozess nicht involviert. Die AJM-Partei (NDU) ist eine der ältesten politischen Parteien des post-sowjetischen Armeniens. Sie war in den 90er Jahren eine starke Oppositionspartei, seit über 10 Jahren ist sie loyal zur Macht und an den Rand gedrängt. Viele führende Mitglieder der Partei sind an der Regierung beteiligt.

Soweit der BF1 im Rahmen der Beschwerdeverhandlung behauptete, anlässlich der Aufnahme der Niederschrift vom 24.2.2015 sei es zu falschen Protokollierungen gekommen, ist auch das nicht glaubhaft bzw.

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nachvollziehbar: Die Niederschrift wurde dem BF1 nämlich vollständig rückübersetzt und hat er durch seine Unterschrift auch deren Richtigkeit und Vollständigkeit und die Rückübersetzung bestätigt. Vielmehr wird es so sein, dass dem BF1 bzw. seinem Rechtsvertreter die Unstimmigkeiten in den Angaben des BF1 anlässlich der Vorbereitung der Gerichtsverhandlung aufgefallen sind, und jetzt versucht werden sollte, diese auszuräumen, indem man der Einvernahmeleiterin und dem Dolmetscher mehr oder minder Amtsmissbrauch unterstellt.

Die vom BF1 anlässlich der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Unterlagen, insbesondere Veteranenausweis, Ausweis des freiwilligen Vereins Erkrapah und Bestätigung über die Kriegsteilnahme 1991 bis 1993, vermögen ebenfalls nicht, eine individuell aus einem der in der GFK genannten Gründe gegen den BF1 gerichtete Verfolgung zu belegen, zumal das Gericht durchaus einräumt, dass es möglich ist, dass der BF1 im Karabachkrieg teilgenommen hat. Eine daraus resultierende persönliche Verfolgung war allerdings nicht glaubhaft.

Letztlich waren auch die Angaben der BF2 anlässlich der Gerichtsverhandlung nicht glaubhaft. So konnte sie nicht einmal ansatzweise konkret angeben, um wen es sich bei den angeblichen Verfolgern handelt. So sprach sie zunächst "von den gleichen Personen, die uns in diesen Zustand gebracht haben." Nach Wiederholung der Frage sprach sie von "speziellen Leuten der Regierung, ihre Namen kenne sie nicht." Während sie beim BFA angab, diese Leute hätten sich ihr gegenüber ausgewiesen, verneinte sie dies bei Gericht.

Auch den behaupteten Krankenhausaufenthalt im Anschluss auf den Überfall an sie konnte die BF2 nicht belegen, obwohl sie zwischenzeitig bereits Jahre Zeit gehabt hätte, sich die Unterlagen aus Armenien zu besorgen. Stattdessen gab sie bei Gericht lediglich lapidar an, sie habe eine Epikrise, aber sie habe diese nicht bei ihr. Über Nachfrage ergänzte die BF2, dass sie Bekannte ersucht habe, ihr die Unterlagen aus Armenien zu bringen, aber sie wisse nicht, ob diese schon gebracht worden sind. Nach Erinnerung an die Wahrheitspflicht gab die BF2 neuerlich ausweichend und vage an, sie habe damals gedacht, dass ihrer Tochter keine Unterlagen ausgehändigt würden. Jetzt aber habe sie gedacht, dass sie das doch irgendwie bekommen würde.

Völlig widersprüchlich waren auch die Angaben der BF2 zu den angeblichen Verhaftungen des BF1 bzw. dessen Angaben dazu. So behauptete sie zunächst, er sei einige Male verhaftet worden. Über Nachfrage gab die BF2 an, dass es 1996 3 Monate waren, 1999 sei er auf der Flucht gewesen. Über neuerliche Nachfrage gab die BF2 an, der BF1 sei 1999 ca. 2 Monate in Haft gewesen, außerdem sei er 2008 nach dem 1.3. in Haft gewesen. Gefragt, wann genau das jeweils gewesen sei, gab die BF2 an, am 25.9.1996, nach dem 27.10.1999. gefragt, wie lange der BF1 2008 in Haft war, sprach die BF2 von einem Monat, vielleicht ein bisschen mehr.

Aufbauend auf dieser völlig abstrusen, widersprüchlichen und unplausiblen Fluchtgeschichte, deren Unglaubwürdigkeit letztlich auch durch das Rechercheergebnis aus Armenien bestätigt wird, konnte den Angaben der BF1 und BF2 kein Glauben geschenkt werden. Der BF3 gab bei Gericht selbst an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben, sondern Armenien nur wegen der Probleme des BF1 verlassen zu haben."

Der BF selbst erwie sich auch in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als hochgradig unglaubwürdig und unkooperativ.

Bei der Erstbefragung gab der BF zum Fluchtgrund an, dass seine Eltern politisch verfolgt und deswegen geflüchtet seien, daher sei er auch geflüchtet. Beim BFA verweigerte der BF überhaupt Angaben zu seinem Fluchtgrund und bei Gericht konnte er dazu nur vage, nicht nachvollziehbare Angaben machen.

In erste Widersprüche verwickelte er sich bereits bei der Frage nach Beweismitteln. So gab er an, dass Beweismittel auf dem Postweg seien. Mehrfach nachgefragt, um welche konkreten Beweismittel es sich handle, nannte der BF konkret lediglich seinen Pass. Weitere Beweismittel konnte er konkret nicht angebe, er werde diese nach Erhalt erst sichten. Was den Pass betrifft, hat er bei der Erstbefragung allerdings angegeben, dass ihm dieser vom Schlepper am Flughafen in Wien abgenommen worden sei. Beim BFA hatte er dazu widersprüchlich angegeben, er habe seinen Pass verloren.

Ebenso dreist wie bereits bei der Erstbefragung behauptete der BF auch bei Gericht, seine Eltern hätten Asyl in Österreich, obwohl die erkennende Richtern auch deren Verfahren geführt und die Beschwerden gegen die negativen erstinstanzlichen Bescheide rechtskräftig abgewiesen hat.

Seinen angeblichen jahrelangen Russlandaufenthalt stellte der BF ebenfalls widersprüchlich dar, offenbar in der Absicht, vorhandene Anknüpfungspunkte zu Armenien zu verschleiern. So gab er beim BFA an, er habe seit Februar oder März 2012 in Russland gelebt. Bei Gericht behauptete der BF plötzlich, er habe nur bis 1999 in Armenien gelebt. Gefragt von wann bis wann er dann in Russland gelebt habe, wich er zunächst aus: " Unterschiedlich, verschiedene Zeiten. Ich war immer unterwegs, von Russland in die Ukraine, Weißrussland

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oder nach Kasachstan, genaue Daten kann ich nicht angeben, da ich sie mir nicht gemerkt habe." Nachdem die Frage wiederholt wurde, gab der BF letztlich an: "Ungefähr seit 2005, vielleicht ist besser 2006." Gefragt, wann er denn das letzte Mal in Armenien gewesen sei, gab der BF plötzlich an, dass dies entweder im April oder im Mai 2016 gewesen sei. Es seien nur 3 Tage, bevor er nach Österreich geflogen ist, gewesen. Bereits die Tatsache, dass jemand, der in seiner Heimat politisch verfolgt ist, um von dort auszureisen, zurückkehrt, spricht eindeutig dafür, dass der BF nie politische Verfolgung zu befürchten hatte. Wären tatsächlich armenische Behörden hinter ihm her, wäre das Risiko, gerade bei der Ausreise am Flughafen gefasst zu werden, viel zu groß, als dass es ein nur halbwegs vernunftbegabter Mensch eingehen würde. Außerdem kehrt eine tatsächlich asylrelevant verfolgte Person auch nicht einmal für einen Tag in ihren Herkunftsstaat zurück.

Offensichtlich versuchte der BF weiter, seine tatsächliche Wohnsitzadresse in Armenien zu verschleiern. So gab er auf die Frage nach der letzten Adresse vor der Ausreise aus Armenien an, er habe zuletzt in Berg-Karabach gewohnt. Eine konkrete Adresse konnte (oder eher: wollte) der BF nicht angeben. Ebenso bestritt er - entgegen seinem Vater - dass es in Armenien noch Verwandte gebe.

Zum eigentlichen Fluchtgrund befragt, kamen seitens des BF lediglich vage, allgemeine und ausweichende Angaben. So gab er beispielsweise auf die Frage, wer konkret ihn in Armenien verfolgen solle, an: "Die ganze Regierung." Weiter gefragt, weshalb seine Eltern in Armenien politisch verfolgt würden, antwortete er: "Ja, die Eltern wurde politisch verfolgt." Nach Wiederholung der Frage gab er letztlich an: "Weil es viele Sachen gibt, die ihnen nicht passen, dass die Menschen davon Kenntnis haben. Mit "die" meine ich die Regierung."

Auf die Frage nach konkreten Verfolgungshandlungen ihm gegenüber gab der BF nach mehrmaligem Nachfragen an, dass es ihm gegenüber nur eine Verfolgungshandlung gegeben habe und zwar im Jahr 2001. Diese ist aber - wenn man sie als wahr unterstellt - aber schon insofern irrelevant, als es am zeitlichen Konnex zur Ausreise im Jahr 2016 bei weitem fehlt. Doch war der BF auch nicht einmal ansatzweise in der Lage, diese angebliche Verfolgungshandlung auch nur annähernd konkret zu schildern. So gab er auf die Frage, was 2001 konkret passiert sei, an: " Normalerweise dauert der Militärdienst in Armenien 2 Jahre, aber sie wollten mich nicht entlassen und ich habe ungefähr 3 Jahre gedient. Es begann 1999, als die Unruhen im Parlament waren, von diesem Zeitpunkt aus begann alles."

Neuerlich aufgefordert zu schildern, was ihm konkret passiert sei, antwortete der BF wieder völlig vage und unbestimmt: " Es gab mehrere solcher Vorfälle. Ich wurde beispielsweise zur Polizeidirektion gebracht, weil mir erzählt wurde, dass mein Auto kaputt ist und jetzt eine Inspektion stattfinden müsse- ich hatte aber nicht einmal ein Auto."

Der BF war auch nicht annähernd in der Lage, konkret anzugeben, wie oft er zur Polizei gebracht wurde ("Mehrmals. Nachgefragt gebe ich an, 10, 20 Mal."). Ebenso konnte er kein konkretes Datum nennen ("

Es begann 2001... ich habe in meinem Notizblock Aufzeichnungen, den habe ich aber verloren.") Ebenso konnte er nicht angeben, wann, wo und wie lange er jeweils festgehalten worden sein soll. Er konnte auch den genauen Vorwurf nicht angeben: " Nachdem ich meinen Militärdienst geleistet hatte, wollten sie mich nach Berg-Karabach bringen. Ich habe sie gefragt, ob ich dort leben soll. Aber es wurde gemeint, ich solle weiter in der Armee dienen."

Auch die Fragen nach einem Strafverfahren oder einem Haftbefehl in Armenien wurden vom BF nur ausweichend und vage beantwortet, indem er angab, es habe ein mündliches Strafverfahren gegeben und dass er im Moment nicht wisse, ob ein Haftbefehl gegen ihn existiert. Nachgefragt, welches konkrete Delikt ihm denn zur Last gelegt würde, antwortete der BF (offensichtlich amüsiert), dass das Problem sei, dass es gar nichts gibt. Die würden es so machen, wie sie wollen, die brauchen es.

Abschließend gefragt, was jetzt tatsächlich das Problem zwischen armenischer Regierung und BF sei, antwortete er - wie während der gesamten Verhandlung - allgemein und vage: " Weil ich die Regierung nicht mag. Weil sie wissen, dass ich sie nicht wählen würde, weil ich gegen die Regierung bin, Sie können das auch im Fernsehen ansehen oder im Internet anschauen, dass viele Jugendliche gegen die Regierung sind."

Ebenso unbestimmt brachte der BF über entsprechendes Befragen noch vor, dass er Mitglied einer Jugendorganisation sei, ohne allerdings deren konkreten Namen angeben zu können, was er aber bei der nächsten Frage auch wieder abschwächte, indem er plötzlich angab, kein Mitglied gewesen zu sein.

II.2.5.2. Zusammenfassend ist zum Vorbringen des BF auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben des BF - ebenso wie in jenen seiner Eltern - glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht einmal ansatzweise erkennbar waren.

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Das BVwG gewann vielmehr den Eindruck, dass der BF primär aus wirtschaftlichen bzw. privaten Gründen nach Österreich reiste und um hier das für ihn kostengünstige Sozial- und Krankensystem in Anspruch zu nehmen.

Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und nicht einmal ansatzweise nachvollziehbaren Begründung des Antrages auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen des BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung - wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung - eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurden.

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

II.2.5.3. Nach Ansicht des ho. Gerichts hat die belangte Behörde auch ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Dem BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Vom BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum er vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgeht. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen des BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.

Die vom BF in der Beschwerde behaupteten Verständigungsschwierigkeiten bei der Einvernahme durch das BFA können insofern nicht nachvollzogen werden, als die Dolmetscherin zum einen seit Jahren herangezogen wird und zum anderen 1 1/2 Stunden offenbar eine einwandfreie Verständigung geben war. Erst nach einer Pause fiel dem BF plötzlich ein, dass er einen anderen Dolmetscher möchte. Offensichtlich dürfte die Verständigung aber doch funktioniert haben, da aus der Niederschrift hervorgeht, dass diese rückübersetzt und auf Wunsch des BF auch Korrekturen vorgenommen wurden. Vielmehr kann das Gericht aus dieser Niederschrift lediglich herauslesen, dass der BF seine Mitwirkungspflichten gröblich verletzt hat.

Soweit gesundheitliche Probleme bei der Einvernahme ins Treffen geführt wurden, hat der BF nie eine psychische Beeinträchtigung behauptete oder Befunde darüber vorgelegt. Es mag durchaus sein, dass er bei der Einvernahme nervös war. Dieser Umstand wird aber auf vermutlich nahezu alle Asylwerber zutreffen. Gehprobleme dürften auf die Einvernahme hingegen keinen Einfluss haben. Atemnot wurde vom BF selbst nie behauptet und gibt es dafür auch keine medizinischen Unterlagen, sodass diese Probleme vielmehr der Phantasie seines Rechtsvertreters entspringen dürften.

Eine Einvernahme der Eltern als Zeugen konnte aufgrund der hinreichend geklärten Sachlage und unter Zugrundelegung der mit den Eltern aufgenommenen Verhandlungsschrift des BVwG unterbleiben. Außerdem wäre eine Befragung der Eltern zur gesundheitlichen Situation des BF schon deshalb nicht zielführend, da es sich bei diesen um keine Ärzte handelt.

3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

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Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Zu A)

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten

II.3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:

"§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) ...

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1.-dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2.-der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

..."

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Gegenständlicher Antrag waren nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen war.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

II.3.2.2. Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen des BF zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr "Status eines Asylberechtigten"] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die vom BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Auch kann im Rahmen einer Prognoseentscheidung (vgl. Putzer, Asylrecht Rz 51) nicht festgestellt werden, dass der BF nach einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer (weiteren) Gefahr von Übergriffen zu rechnen hätte (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

II.3.3. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat

II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1.-der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.-...

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit

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infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung

nach § 3 ... zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

..."

Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies war dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.

Art. 2 EMRK lautet:

"(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken."

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:

"Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

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Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele:

VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein "ausreichend reales Risiko" für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes ("high threshold") dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex "Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren"", derselbe in Migralex: "Abschiebeschutz von Traumatisieren"; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gem. der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

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Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtssprechung folgende Überlegungen angestellt:

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates des BF (die Todesstrafe wurde abgeschafft) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

Da sich der Herkunftsstaat des BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat des BF in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Weitere, in der Person des BF begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden. Die vom BF angegebene und ärztlicherseits belegte Erkrankung (Lumboischialgie) ist weder schwerwiegend noch lebensbedrohlich. Laut Länderfeststellungen ist eine derartige Erkrankung in Armenien auch behandelbar und stehen erforderliche Medikamente zur Verfügung. Dass die Behandlung für den BF nicht wie in Österreich kostenlos und möglicherweise nicht auf demselben hohen Niveau erfolgt, spielt nach der geltenden Rechtsprechung des EGMR dabei keine Rolle.

Zur individuellen Versorgungssituation des BF wird weiter festgestellt, dass dieser im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt. Beim BF handelt es sich um einen mobilen, arbeitsfähigen Mann. So hat er bei Gericht selbst eingeräumt, dass er im Fall, dass er in Österreich bleiben dürfte, arbeiten und seinem Beruf als Automaler nachgehen würde. Einerseits stammt der BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehört er keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

Auch steht es dem BF frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das -wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige- Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.

Ebenso kam hervor, dass der BF im Herkunftsstaat über soziale Anknüpfungspunkte und jedenfalls eine Wohngelegenheit bei den Verwandten oder - wie auch vor der Ausreise wie seine Eltern - wieder in einer Mietwohnung verfügt. Im Herkunftsstaat leben außerdem zumindest die in den Feststellungen genannten Verwandten.

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Darüber hinaus ist es dem BF unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.

Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen: § 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer

Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt." § 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von

Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen

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wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

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1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt." § 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels

gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

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(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."

§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

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2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner

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Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde." § 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich

eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die

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nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

II.3.4.2. Der gegenständliche, nach nicht rechtmäßiger Einreise in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz war abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel des drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fällt der BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Es liegen keine Umstände vor, dass den BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargelegt.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

II.3.4.4. Der BF lebt in Österreich in einer Flüchtlingsunterkunft. Eine Pflege- oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zu seinen in Österreich aufhältigen Verwandten ist nicht feststellbar. Außerdem trifft auch diese bereits eine rechtskräftige Ausreiseverpflichtung. Der BF möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und halten sich seit ca. 1 Jahr im Bundesgebiet auf. Er reiste rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein. Der BF bezieht Grundversorgung. Laut seiner Angabe besucht er im Camp einen Deutschkurs, Nachweise dafür gibt es nicht. Der BF ist in Österreich strafrechtlich bislang unbescholten.

Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.

II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens der BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

II.3.4.6. Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:

- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Der BF ist seit ca. 1 Jahr in Österreich aufhältig. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und konnte seinen Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisieren. Hätte er diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wäre er rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und er sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würde.

- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:

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Der BF verfügt über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte.

- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens

Der BF begründete sein Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt des BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.

Letztlich ist auch festzuhalten, dass der BF nicht gezwungen ist, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihm frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74 mwN).

- Grad der Integration

Der BF ist -in Bezug auf sein Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, hat hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und war im Asylverfahren nicht in der Lage, seinen Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Der BF1 hat sich laut eigener Angabe für einen Deutschkurs angemeldet, Deutschkenntnisse waren jedenfalls nicht feststellbar. Er ist auch nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und besucht auch keine Schule oder Bildungseinrichtung. Freundschaften oder Bekanntschaften mit Österreichern konnte er nicht glaubhaft machen. Der BF geht auch keiner Beschäftigung nach und bezieht Grundversorgung.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die -hier bei weitem nicht vorhandenen-Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

- Bindungen zum Herkunftsstaat

Der BF verbrachte den überwiegenden Teil seines Lebens in Armenien, wurde dort sozialisiert, bekennt sich zum dortigen Mehrheitsglauben und spricht die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Armenien Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises des Beschwerdeführers existieren, da nichts darauf hindeutet, dass er vor seiner Ausreise im Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätte. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

- strafrechtliche Unbescholtenheit

Der BF ist in Österreich bislang strafrechtlich unbescholten.

Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Der BF reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das Bundesgebiet ein.

- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Dem BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass dem BF die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war,

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da davon auszugehen ist, dass er in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätte.

- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer

Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).

Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich -abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für eine bP grundsätzlich nicht mehr möglich, ihren Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass den BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.

Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ist der BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich

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aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art "Handreichung des Staates" - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt eines BF unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

Wenn man - wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt - dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

In seinem Erkenntnis Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31. Jänner 2006, Zahl 50435/99 führte der EGMR unter Verweis auf seine Vorjudikatur aus, dass es ua. eine wichtige Überlegung darstellt, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, an dem sich die betreffenden Personen bewusst waren, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart war, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland vom vornherein unsicher war. Er stellte auch fest, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitgliedes in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirkt.

Der GH führte weiter -wiederum auf seine Vorjudikatur verweisendaus, dass Personen, welche die Behörden eines Vertragsstaates ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als "fait accompli" mit ihrem Aufenthalt konfrontieren, grundsätzlich keinerlei Berechtigung haben, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Im geschilderten Fall wurde letztlich dennoch eine Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführer getroffen, weil es der Erstbeschwerdeführerin grundsätzlich möglich gewesen wäre, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, weil sie mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers, einem Staatsbürger der Niederlande vom Juni 1994 bis Jänner 1997 eine dauerhafte Beziehung führte. Es war daher der Fall Erstbeschwerdeführerin trotz ihres vorwerfbaren sorglosen Umganges mit den niederländischen Einreisebestimmungen von jenen Fällen zu unterscheiden, in denen der EGMR befand, dass die betroffenen Personen zu keinem Zeitpunkt vernünftiger Weise erwarten konnten, ihr Familienleben im Gastland weiterzuführen. Ebenso wurde in diesem Fall der Umstand des besonderen Verhältnisses zwischen dem Kleinkind und der Mutter besonders gewürdigt.

Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:

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Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.

Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.

Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.

Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

II.3.4.7. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der vom BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnisse mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind beim BF nicht erkennbar. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Armenien eine - wenn überhaupt vorhandene - Integration in Österreich bei weitem überwiegen.

Insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer des BF in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig zu erklären wären.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

II.3.4.8. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend

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hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt.

II.3.4.9. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen des BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.

Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

II.3.4.10. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war auch die Beschwerd gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2017:L519.2141664.1.00