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journal club 28 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (6) The NORDIC Idiopathic Int- racranial Hypertension Study Group Writing Committee. Effect of acetazolamide on visual function in patients with idiopathic intracranial hyperten- sion and mild visual loss. The idiopathic intracranial hyperten- sion treatment trial. JAMA 2014; 311: 1641 – 51 Carboanhydrasehemmer bei Pseudotumor cerebri Gesichtsfeld und Stauungspapille verbessert Fragestellung: Ist eine medikamentöse erapie mit Acetazo- lamid bei Patienten mit Pseudotumor cerebri einer Placebobe- handlung überlegen, wenn es um die Verbesserung des Visus und des eingeschränkten Gesichtsfeldes geht? Hintergrund: Der Pseudotumor cerebri, auch idiopathische in- trakranielle Hypertension (IIH) genannt, ist eine Erkrankung übergewichtiger Frauen im gebärfähigen Alter. Das Krankheits- bild geht mit Visusminderung, Gesichtsfeldeinschränkungen, Stauungspapillen und Kopfschmerzen einher. Beweisendes di- agnostisches Kriterium ist ein erhöhter Liquordruck bei der Li- quorpunktion. Die einzig bisher etablierte erapie in rando- misierten Studien war eine signifikante Gewichtsreduktion. To- piramat und Acetazolamid werden seit langem therapeutisch eingesetzt, ohne dass es hierfür bisher eine gute wissenschaſtli- che Evidenz gab. Eine große Arbeitsgruppe in den USA, finan- ziert durch das US-amerikanische National Eye Institut, führte daher eine große randomisierte Studie zum Einsatz von Aceta- zolamid durch. Patienten und Methodik: Die multizentrische randomisierte, placebokontrollierte und verblindete Studie wurde an 38 akade- mischen Zentren in den USA zwischen März 2010 und No- vember 2012 durchgeführt. Zum Zeitpunkt des Studien- einschlusses wurde eine auto- matisierte Perimetrie durch- geführt, wobei die Werte hier zwischen 0 dB bei völlig nor- malem Gesichtsfeld und um –50 dB bei Erblindung vari- ieren können. Eingeschlossen wurden Patienten mit einer mittleren perimetrischen Abwei- chung von – 2 bis – 7 dB, das mittlere Alter war 29 Jahre und fast alle Teilnehmer waren Frauen. Bei allen Patienten wurde ein Ge- wichtsreduktionsprogramm mit reduziertem Kochsalz durch- geführt. Die Patienten die in die aktive Behandlungsgruppe ein- geschlossen wurden, begannen eine medikamentöse erapie mit Acetazolamid 2 x 500 mg und erhöhten dann die Dosis bis zur maximal tolerierten Dosis. Die geplante Höchstdosis war 4 g pro Tag. Die anderen Patienten erhielten Placebo. Die Be- handlungsdauer erstreckte sich über sechs Monate. Der primäre Endpunkt der Studie war eine Änderung der mittleren Abwei- chung in der Perimetrie zwischen Einschluss in der Studie und der letzten Untersuchung nach sechs Monaten. Sekundäre End- punkte waren das Ausmaß der Stauungspapille, ein Lebensqua- litätsinstrument für Patienten mit eingeschränkter Sehfunktion, die Intensität der Kopfschmerzen und das Körpergewicht. Ergebnisse: 79 Patienten erhielten Placebo. 86 Patienten wur- den mit Acetazolamid behandelt, wobei die mittlere Dosis 2,5 g pro Tag betrug. In dieser Gruppe kam es zu einer signifi- kanten Verbesserung des Gesichtsfeldes. Der Unterschied zu Placebo war statistisch signifikant. Es ergaben sich auch statis- tisch signifikante Besserungen im Ausmaß der Stauungspapil- le, für das Lebensqualitätsinstrument für Patienten mit Sehstö- rungen. Die Patienten in der Verumgruppe erzielten eine Ge- wichtsabnahme von 7,5 kg, die in der Placebogruppe von 3,45 kg. Die Kopfschmerzintensität und die Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen waren allerdings statistisch nicht signifikant. Schlussfolgerungen: Eine sechsmonatige Behandlung mit Ace- tazolamid in einer mittleren Dosis von 2,5 g verbessert vergli- chen mit Placebo die Gesichtsfeldfunktion, das Ausmaß der Stauungspapille und führt zu einer höheren Gewichtsabnahme. Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen Verstärkte Gewichtsreduktion unter Acetazolamid Dies ist die erste und damit auch wichtigste Studie zum Einsatz von Acetazolamid bei Patienten mit Pseudotumor cerebri. Bei den meisten der eingeschlossenen Patienten waren das Aus- maß der Stauungspapille und die Einschränkung der Gesichts- feldfunktion relativ gering, sodass dramatische Therapieeffekte auch nicht zu erwarten waren. Beruhigend ist, dass nicht nur der primäre Endpunkt, sondern fast alle sekundären Endpunkte durch Acetazolamid positiv beeinflusst wurden und sich von Placebo unterschieden. Interessant ist insbesondere die Beob- achtung, dass es bei den Frauen, die alle ein Gewichtsredukti- onsprogramm durchliefen unter Acetazolamid zu einer höhe- ren Gewichtsreduktion kam, als unter Placebo, was zum Therapieeffekt beitragen dürfte. Bezüglich Nebenwirkungen gab es keine Überraschung, da Acetazolamid wie bekannt, zu Durchfall, Geschmacksstörungen, Müdigkeit und Kribbelparäs- thesien führt. Wünschenswert wäre jetzt eine weitere randomi- sierte placebokontrollierte Studie zum Einsatz von Topiramat, das ebenfalls ein Carboanhydrasehemmer ist. Weitere Infos auf springermedizin.de Pseudotumor cerebri (PTC) In diesem Artikel sind typische Symptome, Diagnosekriterien und Therapieoptionen des PTC zusammengefasst (5078196). Diesen Artikel finden Sie, indem Sie den Titel oder die in Klammern gesetzte ID-Nummer in die Suche eingeben.

Gesichtsfeld und Stauungspapille verbessert

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journal club

28 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (6)

The NORDIC Idiopathic Int-racranial Hypertension Study Group Writing Committee. Eff ect of acetazolamide on visual function in patients with idiopathic intracranial hyperten-sion and mild visual loss. The idiopathic intracranial hyperten-sion treatment trial. JAMA 2014; 311: 1641–51

Carboanhydrasehemmer bei Pseudotumor cerebri

Gesichtsfeld und Stauungspapille verbessert Fragestellung: Ist eine medikamentöse � erapie mit Acetazo-lamid bei Patienten mit Pseudotumor cerebri einer Placebobe-handlung überlegen, wenn es um die Verbesserung des Visus und des eingeschränkten Gesichtsfeldes geht?

Hintergrund: Der Pseudotumor cerebri, auch idiopathische in-trakranielle Hypertension (IIH) genannt, ist eine Erkrankung übergewichtiger Frauen im gebärfähigen Alter. Das Krankheits-bild geht mit Visusminderung, Gesichtsfeldeinschränkungen, Stauungspapillen und Kopfschmerzen einher. Beweisendes di-agnostisches Kriterium ist ein erhöhter Liquordruck bei der Li-quorpunktion. Die einzig bisher etablierte � erapie in rando-misierten Studien war eine signi� kante Gewichtsreduktion. To-piramat und Acetazolamid werden seit langem therapeutisch eingesetzt, ohne dass es hierfür bisher eine gute wissenscha� li-che Evidenz gab. Eine große Arbeitsgruppe in den USA, � nan-ziert durch das US-amerikanische National Eye Institut, führte daher eine große randomisierte Studie zum Einsatz von Acet a-zolamid durch.

Patienten und Methodik: Die multizentrische randomisierte, placebokontrollierte und verblindete Studie wurde an 38 akade-

mischen Zentren in den USA zwischen März 2010 und No-vember 2012 durchgeführt. Zum Zeitpunkt des Studien-einschlusses wurde eine auto-matisierte Perimetrie durch-geführt, wobei die Werte hier zwischen 0 dB bei völlig nor-malem Gesichtsfeld und um –50 dB bei Erblindung vari-ieren können. Eingeschlossen

wurden Patienten mit einer mittleren perimetrischen Abwei-chung von –2 bis –7 dB, das mittlere Alter war 29 Jahre und fast alle Teilnehmer waren Frauen. Bei allen Patienten wurde ein Ge-wichtsreduktionsprogramm mit reduziertem Kochsalz durch-geführt. Die Patienten die in die aktive Behandlungsgruppe ein-geschlossen wurden, begannen eine medikamentöse � erapie mit Acetazolamid 2 x 500 mg und erhöhten dann die Dosis bis zur maximal tolerierten Dosis. Die geplante Höchstdosis war 4 g pro Tag. Die anderen Patienten erhielten Placebo. Die Be-handlungsdauer erstreckte sich über sechs Monate. Der primäre Endpunkt der Studie war eine Änderung der mittleren Abwei-chung in der Perimetrie zwischen Einschluss in der Studie und der letzten Untersuchung nach sechs Monaten. Sekundäre End-punkte waren das Ausmaß der Stauungspapille, ein Lebensqua-litätsinstrument für Patienten mit eingeschränkter Sehfunktion, die Intensität der Kopfschmerzen und das Körpergewicht.

Ergebnisse: 79 Patienten erhielten Placebo. 86 Patienten wur-den mit Acetazolamid behandelt, wobei die mittlere Dosis 2,5 g pro Tag betrug. In dieser Gruppe kam es zu einer signi� -kanten Verbesserung des Gesichtsfeldes. Der Unterschied zu Placebo war statistisch signi� kant. Es ergaben sich auch statis-tisch signi� kante Besserungen im Ausmaß der Stauungspapil-le, für das Lebensqualitätsinstrument für Patienten mit Sehstö-rungen. Die Patienten in der Verumgruppe erzielten eine Ge-wichtsabnahme von 7,5 kg, die in der Placebogruppe von 3,45 kg. Die Kopfschmerzintensität und die Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen waren allerdings statistisch nicht signi� kant.

Schlussfolgerungen: Eine sechsmonatige Behandlung mit Ace-t azolamid in einer mittleren Dosis von 2,5 g verbessert vergli-chen mit Placebo die Gesichtsfeldfunktion, das Ausmaß der Stauungspapille und führt zu einer höheren Gewichtsabnahme.

– Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

Verstärkte Gewichtsreduktion unter AcetazolamidDies ist die erste und damit auch wichtigste Studie zum Einsatz von Acetazolamid bei Patienten mit Pseudotumor cerebri. Bei den meisten der eingeschlossenen Patienten waren das Aus-maß der Stauungspapille und die Einschränkung der Gesichts-feldfunktion relativ gering, sodass dramatische Therapiee� ekte auch nicht zu erwarten waren. Beruhigend ist, dass nicht nur der primäre Endpunkt, sondern fast alle sekundären Endpunkte durch Acetazolamid positiv beein� usst wurden und sich von Placebo unterschieden. Interessant ist insbesondere die Beob-achtung, dass es bei den Frauen, die alle ein Gewichtsredukti-onsprogramm durchliefen unter Acetazolamid zu einer höhe-ren Gewichtsreduktion kam, als unter Placebo, was zum Therapiee� ekt beitragen dürfte. Bezüglich Nebenwirkungen gab es keine Überraschung, da Acetazolamid wie bekannt, zu Durchfall, Geschmacksstörungen, Müdigkeit und Kribbelparäs-

thesien führt. Wünschenswert wäre jetzt eine weitere randomi-sierte placebokontrollierte Studie zum Einsatz von Topiramat, das ebenfalls ein Carboanhydrasehemmer ist.

Weitere Infos auf springermedizin.de

Pseudotumor cerebri (PTC)

In diesem Artikel sind typische Symptome, Diagnosekriterien und Therapieoptionen des PTC zusammengefasst (5078196).Diesen Artikel fi nden Sie, indem Sie den Titel oder die in Klammern gesetzte ID-Nummer in die Suche eingeben.