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15 Clara Fritsch Datenschutzexper- tin in der Abteilung Arbeit & Technik der GPA-djp Wolfgang Greif Leiter der Abteilung Europa, Konzerne, Internationale Beziehungen in der GPA-djp Torben Schenk EU-Binnenmarkt- experte der gewerkschaftlichen Dienstleistungsin- ternationale UNI Europa in Brüssel Gestalten oder bestaunen? – Der steinige Weg Europas durch die „digitale Revolution“. Anforderungen zur Digitalisierung der Arbeitswelt aus gewerkschaftlicher Perspektive 1. Technikgetriebener Strukturwandel verlangt politische Intervention 16 2. Veränderungen durch Digitalisierung in Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung 17 3. Beschäftigungseffekte: „Blinder Fleck“ in der EU-Strategie zum digitalen Binnenmarkt 20 4. Beschäftigtendatenschutz: vernachlässigte Größe in der Digitalen Agenda und in der EU-Datenschutz- Grundverordnung 22 betrieblicher und überbetrieblicher Ebene 24 6. Soziale Absicherung: Auswirkungen auf bestehende Größen am Arbeitsmarkt 28 7. Der digitale Wandel – auch eine Frage der Verteilung 31 Auszug aus WISO 4/2015 Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Volksgartenstraße 40 A-4020 Linz, Austria Tel.: +43 (0)732 66 92 73, Fax: +43 (0)732 66 92 73 - 2889 E-Mail: [email protected] Internet: www.isw-linz.at

Gestalten oder bestaunen? – Der steinige Weg Europas ... · in der Digitalen Agenda und in der EU-Datenschutz- Grundverordnung 22 ... Kommission wie solche zu Auswirkungen der Digitalisierung

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Clara Fritsch

Datenschutzexper-tin in der Abteilung Arbeit & Technik der GPA-djp

Wolfgang Greif

Leiter der Abteilung Europa, Konzerne, Internationale Beziehungen in der GPA-djp

Torben Schenk

EU-Binnenmarkt-experte der gewerkschaftlichen Dienstleistungsin-ternationale UNI Europa in Brüssel

Gestalten oder bestaunen? – Der steinige Weg Europas durch die „digitale Revolution“.

Anforderungen zur Digitalisierung der Arbeitswelt aus gewerkschaftlicher Perspektive

1. Technikgetriebener Strukturwandel verlangt politische Intervention 16

2. Veränderungen durch Digitalisierung in Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung 17

3. Beschäftigungseffekte: „Blinder Fleck“ in der EU-Strategie zum digitalen Binnenmarkt 20

4. Beschäftigtendatenschutz: vernachlässigte Größe in der Digitalen Agenda und in der EU-Datenschutz- Grundverordnung 22

betrieblicher und überbetrieblicher Ebene 24

6. Soziale Absicherung: Auswirkungen auf bestehende Größen am Arbeitsmarkt 28

7. Der digitale Wandel – auch eine Frage der Verteilung 31

Auszug aus WISO 4/2015

Institut für Sozial- und WirtschaftswissenschaftenVolksgartenstraße 40A-4020 Linz, Austria

Tel.: +43 (0)732 66 92 73, Fax: +43 (0)732 66 92 73 - 2889 E-Mail: [email protected]: www.isw-linz.at

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1. Technikgetriebener Strukturwandel verlangt politische In-tervention

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche ist in ganz Europa evident. Rechen-, Speicher- und Übertragungskapazitäten vervielfachen, beschleunigen und verbilligen sich immer weiter und in immer höherem Tempo. Dank digitaler Innovationen, wie etwa Formen der künstlichen Intelligenz, können immer mehr Tätigkeiten und zunehmend auch nicht routinemäßige und inter-pretative Aufgaben automatisiert werden. Die dadurch gebotenen Möglichkeiten werden schneller als je zuvor in neue Produkte und Dienstleistungen umgesetzt.

Klar ist, dass „die Digitalisierung“ als homogene Entwicklung in Europa so nicht existiert. Eine dermaßen vielschichtige Entwick-lung, bei der technische, soziale, juristische und nicht zuletzt wirtschaftliche Komponenten miteinander verwoben sind, kann im europäischen Kontext wohl kaum in einer einheitlichen De-

– zeitigen ebenso verschiedenartige Auswirkungen.

Dennoch ist festzustellen, dass die Digitalisierung die Staaten

Teils radikal neue Unternehmensstrukturen und Arbeitsprozesse verändern die Arbeitswelt derart tiefgreifend, dass ein Anpas-sungsdruck entsteht, dem sich auch gewachsene und bewährte Größen im Bereich des Arbeitsmarktes und des Arbeitsrechts, aber auch im Bildungs- und Sozialversicherungssystem in allen Staaten Europas gleichermaßen zu stellen haben.

Klar ist somit auch, dass Gestaltung nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene gefordert ist. Wenig überraschend daher, dass seit gut fünf Jahren eine Reihe von Initiativen in der EU verfolgt wird, die sich die Gestaltung des „digitalen Zeitalters“ zum Ziel setzt. Leider ist jedoch zu konsta-tieren, dass beschäftigungs-, sozial- und arbeitsmarktpolitische Aspekte bei diesen Initiativen bislang kaum zur Geltung kommen.

leisten: Zunächst werden die Veränderungen am Arbeitsmarkt

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

Rahmenbe-dingungen der Digitalisierung

heterogene und homogene

Aspekte

internationale Gestaltung erforderlich

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Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

und in der Arbeitsorganisation skizziert. Im Anschluss wird ein Überblick zu bestehenden EU-Initiativen im Bereich digitaler Po-

von Prozessen und AkteurInnen, die sich mit dem Wandel von Beschäftigung und Arbeitsmärkten im digitalen Zeitalter befassen. Darauf aufbauend konzentriert sich der Blick darauf, wesentliche Elemente einer notwendigen Agenda für gute digitale Arbeit und

Gewerkschaftssicht in diesem Kontext aufzuzeigen.

2. Veränderungen durch Digitalisierung in Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung

Digitale Technologien und ihr „Ökosystem“ – das Internet – entfalten ein mächtiges ökonomisches Potenzial. Durch die grenzenlose und dauerhafte Vernetzung „von allem mit allem“ werden Formen der Produktion und Dienstleistungserbringung möglich, die ihren

teils um ein Vielfaches überlegen sind. So lassen sich – durch die „smarte“ Vernetzung von Betrieben, Maschinen, Beschäftigten und Materialien – Geschäftsprozesse millisekundengenau überwachen, steuern und optimieren. Daneben können VerbraucherInnen dank gesunkener Such- und Transaktionskosten online Offerte global vergleichen.

In immer mehr Bereichen wird deutlich, wie die kommerzielle Nut-zung digitaler Technologien Raum und Zeit förmlich zerschmelzen

fungsprozesse möglich werden. Um im Wirtschaftswettbewerb nicht zu unterliegen, passen Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und Verwertungsprozesse, inklusive des Personalmanagements, an die Anfordernisse und Möglichkeiten digitaler Technologien an. Für die Beschäftigten bleibt das nicht ohne Folgen:

- Sollen die Technologien genutzt, gewartet und – wie teils erwartet – auch fortentwickelt werden, benötigen Beschäf-tigte „digitale Kompetenzen“, die regelmäßiger Erweiterung bedürfen.

- Durch Digitalisierung können immer mehr Tätigkeiten räumlich

technologischer Wandel

Auswirkungen auf die Arbeits-platzgestaltung bezüglich:

Kompetenzen

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Beschäftigten einen Zuwachs an Autonomie bedeuten kann. Gleichsam kann das aber auch „Entgrenzung“ von Arbeit und Privatsphäre bedeuten, wenn zunehmend erwartet wird, jederzeit und überall für ArbeitgeberInnen, KollegInnen und KundInnen erreichbar zu sein.

- Permanente Ablenkung durch implizite Multitasking-Erfor-dernisse und erhöhte Mobilität verlangen den Beschäftigten Enormes ab, wenn deren Verfügbarkeit nicht begrenzt wird

-leben nicht durch ein Recht, mobile Kommunikationsgeräte und -kanäle zeitweise abzuschalten, geschützt wird.

- ArbeitnehmerInnen, die digitalisierte Tätigkeiten ausüben, produzieren große Mengen an personenbezogenen Daten mit Informationen darüber, wo sie was, wann und in Zusammen-arbeit mit wem tun, was massive Eingriffe in die Privatsphäre möglich macht. Damit wachsen die Anforderungen an den Datenschutz – gerade auch den betrieblichen.

- Die zunehmende Entgrenzung von Arbeitsorten und Arbeits-zeiten eröffnet theoretisch die Möglichkeit, Arbeit selbstbe-stimmter zu organisieren, birgt jedoch auch die Gefahr einer verstärkten Individualisierung von Belegschaften in sich und damit eine faktische Erschwernis in der Durchsetzung ihrer Interessen. Arbeitsverdichtung und Entgrenzung der Arbeit führen zudem dazu, dass psychische Belastungen steigen.

- Zugleich kann Digitalisierung auch die Einschränkung der Autonomie von Beschäftigten bedeuten. So entstehen auch

-sierte Routinetätigkeiten beschränkt (z.B. in Logistikzentren

-talgeräte detaillierte Anweisungen zum Arbeitsablauf erteilt werden).

- Mit der Polarisierung der Arbeitsformen, also der gleichzei-tigen Zunahme entweder stark autonomiegeprägter oder stark routinebestimmter Arbeitsplätze, wird auch mit der Polarisierung von Arbeitseinkommen zu rechnen sein.1 So wird die digitale Durchdringung von Arbeitswelten mittlerweile

Selbstbe-stimmung und

Entgrenzung

Privatsphäre

Datenschutz

Gesundheit

-rung von Arbeit

Einkommen

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

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in mehreren Studien als eine der maßgeblichen Triebfedern von Tendenzen zunehmender Einkommensungleichheit in Europa benannt.2 Um hier entgegenzuwirken, müssten für ArbeitnehmerInnen, die im Rahmen analoger und digitaler Geschäftsmodelle derselben Branche beschäftigt werden, dieselben Kollektivverträge gelten.

- Zunehmend steht Unternehmen auch die Möglichkeit offen,

Internet zu rekrutieren. So expandieren derzeit sogenannte „Crowdsourcing“-Plattformen, auf denen Arbeitsaufträge ausgeschrieben werden, für die sich die globale Gemeinde der Internet-User bewerben kann. Durch solche Praktiken wächst im digitalen Raum eine Gruppe von zumeist selb-ständig erwerbsstätigen „Crowdworkern“ heran, die aufgrund ihrer Beschäftigungsform i.d.R. weder an Kollektivverträge und Arbeitsrecht gebunden sind noch über Zugang zu den traditionellen Sozialversicherungssystemen verfügen.3

-zustellen, welche Rechtsvorschriften auch in Bezug auf das

Bestimmungen im konkreten Fall anwendbar sind. Somit operiert manch neues Geschäftsmodell in einer rechtlichen Grauzone und übt somit Druck auf die Beschäftigung in Un-ternehmen aus, die im Rahmen der geltenden Gesetze und Kollektivverträge operieren.

- Trotz erwarteter Beschäftigungseffekte in Segmenten des Arbeitsmarktes4 bergen die hohen Rationalisierungen, die sich durch den technologischen Fortschritt z.B. im Bereich der künstlichen Intelligenz ergeben werden, auch – freilich

Arbeitsplatzverluste. Zumindest Teile der Wirtschaftswissen-schaften gehen davon aus, dass das Produktivitätswachstum in einer digitalen Wirtschaft nicht länger automatisch zu Beschäftigungswachstum führt, welches den zu erwarteten Verlust von Arbeitsplätzen kompensiert.5

Mit solchen Zukunftsprognosen ist höchst vorsichtig umzugehen. Die konkreten Folgen des umfassenden technologiebedingten

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

soziale Sicherung

rechtliche Grundlagen

Beschäftigung

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Wandels sind unmöglich genau vorherzusagen, doch liegt auf

höchster Aufmerksamkeit der Politik und entsprechender Gestal-tung unter Einbindung aller Betroffener – insbesondere auch der Sozialpartner – bedarf. Gefragt ist Steuerung auf nationaler und europäischer Ebene, da die skizzierten Entwicklungen, mögli-cherweise in unterschiedlichen Intensitäten, auf alle EU-Staaten zutreffen. „Chancen nutzen und Risiken vermeiden“ muss dabei die Maxime digitaler Politik lauten. Ob und inwieweit insbesondere die europäische Politik diesem Anspruch bereits gerecht wird, dem soll im Folgenden nachgegangen werden.

3. Beschäftigungseffekte: „Blinder Fleck“ in der EU-Strategie zum Digitalen Binnenmarkt

Mit ihrer „Digitalen Agenda für Europa“ und der „Initiative für den digitalen Binnenmarkt“ baut die EU-Kommission auf der im Jahr 2010 als Teil der „Europa 2020 Strategie“ verfassten Digitalen Agenda auf. Die neue Kommission Juncker deklarierte die „Digitale Agenda“ zu einem vorrangigen Vorhaben der Union, mit deren Umsetzung nicht weniger als sieben KommissarInnen beauftragt wurden. Im Mai 2015 stellte die Kommission mit ihrer Mitteilung „Eine digitale Binnenmarktstrategie für Europa“6 ein umfassendes Programm vor. Wie dessen Titel bereits vermuten lässt, bleibt dieses Programm jedoch einer engen Sicht auf Fragen zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes und dem Abbau von Einschränkungen und Kosten für digitale Transaktionen verhaftet.7

Auf den Bereich Arbeit und Beschäftigung geht das digitale Binnenmarkt-Paket nur am Rande ein, lediglich die Notwendig-keit, Bildungssysteme „digitaltauglich“ zu aktualisieren, findet Erwähnung. Andere beschäftigungspolitische Implikationen der Digitalisierung bleiben unbeachtet. So werden auch Fragen bezüglich der Qualität von Arbeit unter den Vorzeichen von Digitalisierung kaum ins Visier genommen. Abschätzungen, was die „digitale Revolution“ für die Arbeitsplatzsicherheit bedeu-ten könnte, sucht man ebenso vergebens in der Strategie der Kommission wie solche zu Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsorganisation, Beschäftigung, Arbeitsmärkte und die soziale Organisation. Es fehlt der Digitalen Agenda für Europa

unterschiedliche Zukunfts-

prognosen

wirtschaftslastige Gestaltung der

Digitalen Agenda

Bildung als kleinster

gemeinsamer Nenner

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also eine gezielte Strategie zur Gestaltung guter digitaler Arbeit. Betroffen sind die BürgerInnen in dieser Sichtweise bestenfalls als KonsumentInnen, nicht jedoch auch an ihren Arbeitsplätzen.

Umso erfreulicher, dass sich andere EU-Institutionen dieser verengten Sichtweise nicht anschließen.

- So fordern mehrere im Europäischen Parlament vertretene Fraktionen auch auf europäischer Ebene eine Gestaltung des digitalen Wandels am Arbeitsplatz ein. Im September 2015 arbeiten zudem mehrere Ausschüsse des Parlaments an Berichten und Stellungnahmen, welche die Europäische Kommission auffordern, die beschäftigungspolitischen Impli-kationen der Digitalisierung zu erkennen und anzugehen.8 Daneben stellt eine im Jänner 2015 veröffentlichte Studie zur wachsenden Einkommensungleichheit in Europa fest, dass digitale Technologien insbesondere Beschäftigung im mittleren

Aufmerksamkeit erfordere.9

- Auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) thematisiert in einer Sondierungsstellungnahme für die luxemburgische Ratspräsidentschaft wesentliche, bislang in der Digitalen Agenda außer Acht gelassene digitalisierungsgetrie-bene Veränderungen der Arbeit und deren Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte und die Beschäftigung. Weiters skizziert er zentrale Gestaltungsherausforderungen in den Mitgliedstaaten und auf europäischer Ebene und legt in einer fast einstimmigen Beschlussfassung – somit mit Zustimmung der Arbeitgeber – Empfehlungen zur politischen Bewältigung vor.10

Diese Initiativen können durchaus als Reaktion auf gewerk-schaftliche Initiativen gesehen werden. Konkret wird von Gewerkschaftsseite gefordert, einen breiteren europäischen Dialog zu beginnen und die Digitalisierung keinesfalls als bloß technologische Angelegenheit bzw. Frage des Marktes zu se-

eines angemessenen Übergangs von traditionellen zu digitalen Arbeitsplätzen in der Industrie wie auch in der Dienstleistungs-wirtschaft eingemahnt. In diese Richtung melden sich in letzter Zeit zunehmend der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB)

Kritik kommt vom Europäischen Parlament …

… dem Euro-päischen Wirt-schafts- und Sozialausschuss

Initiativen der europäischen Gewerkschafts-verbände

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Kontroll-möglichkeiten

nehmen zu

rechtliche und betriebliche Realität im

Datenschutz

und mit ihm die europäischen Branchenverbände zu Wort, allen voran der gewerkschaftliche Dienstleistungsverband UNI Europa und der Industriegewerkschaftsverband IndustriAll.11

Obwohl Gewerkschaften, wie oben dargelegt, mit solchen Anliegen auf erste Resonanz stoßen, scheint es derzeit noch schwer, diese auch in laufenden Verfahren der europäischen Politik und Gesetzgebung wirklich zum Tragen zu bringen. Dies zeigen nicht zuletzt die laufenden Verhandlungen zur EU-Datenschutz-Grundverordnung, denen wir uns im nächsten Schritt zuwenden.

4. Beschäftigtendatenschutz: vernachlässigte Größe in der Digitalen Agenda und in der EU-Datenschutz-Grundver-ordnung

Mit der Digitalisierung der Arbeitswelt wachsen die Anforderungen an den Datenschutz, insbesondere auch des betrieblichen Daten-schutzes. Jede/r hinterlässt digitale Spuren und wird dadurch in erweitertem Maß mess- und (scheinbar) beurteilbar. Viele Unter-nehmen versuchen diese Spuren gewinnbringend zu verwerten. Aber nicht nur die kommerzielle (digitale) Überwachung12 nimmt zu, sondern auch die (digitalen) Kontrollmöglichkeiten durch die ArbeitgeberInnen. Tragfähige Bestimmungen zum Schutz per-sonenbezogener Arbeitnehmerdaten sind notwendiger denn je, um die Privatsphäre am Arbeitsplatz zu schützen.

In Österreich steht BetriebsrätInnen – vergleichbar der Lage in Deutschland – ein Bündel an Mitwirkungsrechten zu, die im Ar-beitsverfassungsgesetz geregelt sind. Im Fall, dass technische Systeme die Menschenwürde berühren, reichen diese bis hin zum Vetorecht. Werden personenbezogene Daten der Arbeit-nehmerInnen über die gesetzliche Notwendigkeit hinaus automa-tionsunterstützt verarbeitet, existiert ein Mitbestimmungsrecht.

Zunehmend versuchen Betriebsratskörperschaften diese Rechte bei der Verwendung technischer Systeme in den Betrieben auch einzufordern, stoßen dabei jedoch immer wieder auf Unverständ-nis, Unwissen oder schlicht Ablehnung auf Arbeitgeberseite.

kann beobachtet werden, weil diese an Konzernvorgaben oder

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(internationale) Verträge mit Geschäftspartnern gebunden sind.Die innerhalb der EU unterschiedlich gestalteten europäischen Datenschutzregulative auf hohem Niveau zu harmonisieren wäre daher durchaus geboten. Die derzeit geltende Richtlinie zum europäischen Datenschutz wurde 1995 in Kraft gesetzt, also zu einem Zeitpunkt, als die technischen Möglichkeiten nicht mit den heutigen vergleichbar waren.

seit 2011, als die EU-Kommission einen Konsultationsprozess zur Datenschutz-Richtlinie von 1995 in Gang setzte, auch den Beschäftigtendatenschutz zu thematisieren. Seit 2012, als der Kommissionsvorschlag „für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr“13 veröffentlicht wurde, gingen die Anstrengungen dahin, die Interessen von ArbeitnehmerInnen auf europäischer Ebene in diese Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mit einzubauen.14

Zahlreiche Forderungen wurden hier von Gewerkschaftsseite vorgebracht, wobei zwei davon im Mittelpunkt stehen:

- Erstens geht es um einen eigenen Artikel zum Beschäftigten-datenschutz, in dem möglichst hohe Standards vorzusehen sind, die den Mitgliedstaaten aber zusätzliche Schutzregu-lierung ermöglichen. Die Verordnung sollte deshalb eine entsprechende „Öffnungsklausel“ enthalten.

- Zweitens soll ein/eine betriebliche/r Datenschutzbeauftragte/r (DSB) implementiert werden, die/der ergänzend zur gewähl-ten ArbeitnehmerInnenvertretung die datenschutzrechtlichen Interessen der ArbeitnehmerInnen vertritt. Der Arbeitneh-merInnenvertretung mangelt es in der Praxis oft an Zeit- und Personalressourcen, um sich des Persönlichkeitsschutzes der ArbeitnehmerInnen anzunehmen.

Die Bestimmungen zur/zum DSB, die in den derzeit im Trilog zur Verhandlung stehenden Verordnungsentwürfen vorgesehen sind, entsprechen leider wenig den Vorstellungen der Gewerkschaften, da weder eine Mitbestimmung des Betriebsrates vorgesehen ist,

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

europäischer Datenschutz muss reformiert werden

Gewerkschafts-positionen zum betrieblichen Datenschutz

Schwächen der derzeitigen Regelung zur/zum …

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wurde. Außerdem wurde die effektive Zahl der gesetzlich erfor-derlichen DSB äußerst gering gehalten, indem nur die europä-

Position zu bestellen, sowie Klein- und Mittelunternehmen von

Zum Beschäftigtendatenschutz hingegen konnten einige Vor-schläge der Gewerkschaft im EU-Parlament bereits in erster Lesung durchgesetzt werden:15

- Verbot von „schwarzen Listen“, die ArbeitnehmerInnen von einer zukünftigen Beschäftigung bei anderen Unternehmen ausschließen (z.B. aufgrund ihrer Gewerkschaftszugehörig-keit).

- Überwachung nur bei konkreten Verdachtsmomenten sowie Verbot heimlicher Überwachung und der Überwachung in Sanitär-, Umkleide-, Pausen oder Schlafräumen.

- Die Zustimmung zur Datenverwendung im Arbeitsverhältnis stellt keine Rechtsgrundlage dar, womit der „freiwillige Zwang“ zur Leistung von Unterschriften wegfallen wird.

- Die Möglichkeit zur Regelung der Privatnutzung von E-Mail und Internet auf kollektivvertraglicher Basis, was diese so-zialpartnerschaftliche Verhandlungsebene stärkt.

Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Bestimmungen im Wege der weiteren Verhandlungen nicht doch noch aufgeweicht werden. Somit bleibt das Thema Datenschutz ein Gebiet, auf dem die EU weiterhin den Beweis schuldig bleibt, ob ihre Digitalpolitik zur Realisierung von Verbesserungen für Beschäftigte imstande ist. Gleiches gilt übrigens auch im Bereich der europäischen Politik

und überbetrieblicher Ebene

Laut den von der Europäischen Kommission vorgelegten Daten werden schon bald 90% aller Arbeitsplätze ein gewis-

… betrieblichen Datenschutzbe-

auftragten

Stärken der Regelungen zum

Beschäftigten-datenschutz

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ses Maß an digitalen Kompetenzen erfordern.16 Die gleichen Datenquellen besagen, dass 47% der ArbeitnehmerInnen in der EU über unzureichende digitale Kompetenzen verfügen. Prognosen gehen davon aus, dass es zu einer Bipolarität in der Arbeitsorganisation – also auch der Qualifikationsbedarfe am Arbeitsmarkt – kommen wird.17

- Jene ArbeitnehmerInnen, die standardisierbare, repetitive Tätigkeiten ausüben, werden weitgehend von Software oder

Maschinen und ihre Produkte kommunizieren weitgehend selbst miteinander, die Beschäftigten „füttern“ die Maschinen mit Daten, d.h. es bleiben nur mehr fragmentierte Tätigkeiten in den Automationslücken oder Tätigkeiten, für die der Einsatz von Maschinen zu teuer wäre.18

verfügen, die die Maschinen und Software entwickeln, warten, verkaufen etc. In diesem Segment werden deutlich erhöhte Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungsanforde-rungen auf die Beschäftigten zukommen.

Auf lange Sicht rechnen Fachleute allerdings nicht mit umwälzen-

werden sich auf Dauer Mischformen und Zwischenlösungen einspielen“19, lautet die Grundaussage. Um den Anforderungen Rechnung zu tragen, werden aller Voraussicht nach neue Ausbil-dungsangebote im Bereich der sekundären und tertiären Bildung implementiert werden und die primären Bildungseinrichtungen die „vierte Kulturtechnik: Computerkenntnisse“ stärker in den Fokus nehmen müssen – soweit die altbekannten Entwürfe im Umgang mit Wandel.

digitalisierten Rahmenbedingungen stellt sich aber zusätzlich zur klassischen (Berufs-)Ausbildung und der (über-)betrieblichen Weiterbildung noch von einer ganz anderen Seite: Es muss ein Angebot geben, das in Richtung „training-on-the job“ geht.

-schen Beschäftigungskontext als sinnvoll.“20 Die Beschäftigten

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

Zukünftig zwei Extreme?

Oder Entwick-lung von Zwi-schenformen?

Anforderungen für Bildungsge-staltung

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müssen sich daher je nach konkreter Tätigkeit und konkretem

extrem verringert hat (Schätzungen gehen davon aus, dass alle

ausschlaggebend sein.

Weiterbildung entsprechend aktualisiert und diesbezügli-che Ausbildungsmaßnahmen durchgeführt werden, sowie

werden.

- Darüber hinaus sollte u.a. auch auf EU-Ebene ein rechtlicher Rahmen zur Gewährleistung eines Mindestanspruchs auf bezahlte Bildungsfreistellung geschaffen werden, um dadurch den Zugang der ArbeitnehmerInnen zum Erwerb passender

Mehrere Reformen, die als Bausteine für außerbetriebliche Qua--

teressenvertretungen der ArbeitnehmerInnen bereits verwirklicht bzw. in Arbeit. Dazu zählt die Einführung der Bildungskarenz, die seit 1998 existiert und seit ihrer substantiellen Novellierung 2008 auch für erst seit einem Jahr im Betrieb Beschäftigte zur Verfügung steht. Auch die in einer aktuellen Kampagne gefor-derte Arbeitszeitverkürzung würde eine Möglichkeit erschließen, Weiterbildung zu realisieren. Auf gewerkschaftlicher Ebene wird in Österreich außerdem ein Recht auf Weiterbildung sowie ein innerbetriebliches Aus- und Weiterbildungsangebot gefordert. Dass überbetriebliche Weiterbildung der ArbeitnehmerInnen ein wichtiges gewerkschaftliches Anliegen ist, lässt sich an beste-henden Weiterbildungs- und Veranstaltungsangeboten ablesen.21

Im Zuge der Digitalisierung wäre es darüber hinaus zielführend,

stellen; ArbeitnehmerInnen sollen in die Produktion von Technik am Arbeitsplatz direkt eingebunden sein, statt nur eingeschult zu werden an der weitgehend unveränderlichen, fertig program-

öffentliche Investitionen in

„digitale“ Bildung

EU-weite Bil-dungsfreistellung

erste Umset-zungs-Schritte

in Österreich vonseiten der Gewerkschaft

unumgänglich: Partizipation der

Arbeitnehmer-Innen bei der

Technikgestal-tung

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

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Arbeiten übernehmen, für die sie sich besser eignen als Men-schen (z.B. Informationen speichern, gezielt durchsuchen und

müssen technische Systeme gemeinsam mit denen entwickelt werden, die zukünftig an den Maschinen und Programmen arbeiten. Erfahrungen und Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen

zum Tagesgeschäft, sondern mit eigens dafür zur Verfügung gestellten Zeitressourcen.

Nur wenn neue technische Systeme gemeinsam von TechnikerIn--

den“ konstruiert werden (bzw. würde für den Angestelltenbereich vielleicht eher die Metapher vom Büroschreibtisch passen), können sie ihre Zwecke erfüllen. Dazu braucht es eine „extrem partizipa-tive Gestaltung“, wie es Sabine Pfeiffer formuliert. Was Pfeiffer bei ihren Forschungen als große Schwäche festgestellt hat, ist die Fähigkeit der Unternehmen, echte Beteiligung bei der Gestal-tung von Technik zuzulassen.22

ArbeitnehmerInnen sind aber in der Lage, die Maschinen und

würde sich erübrigen, wenn nicht die ArbeitnehmerInnen an die von anderen AkteurInnen entwickelte Technik adaptiert, sondern die konkrete, am Arbeitsplatz eingesetzte Technik partizipativ gestaltet wird. Diese Vorgehensweise würde die klassische Weiterbildung weitgehend ersetzen und zeitigt drei wesentliche Effekte:

- Die vermittelten Kenntnisse sind anhaltend und müssen nicht extra in die betriebliche Praxis „übersetzt“ werden, da „Learning-by-doing“ eine direkte Anwendung der Lerninhalte in der Praxis ermöglicht;

- die partizipativ gestalteten Produkte, Dienstleistungen und Prozesse sind weniger fehleranfällig, weil sie an die Bedürf-nisse und das Erfahrungswissen der ArbeitnehmerInnen angepasst sind;

- es bildet sich ein anerkanntes ExpertInnenteam rund um die selbst gestaltete Technik und Boykottmaßnahmen sind kaum zu erwarten, was die Akzeptanz, die alles andere als neben-

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

„auf dem Hallenboden“

Win-win-Situati-on durch echte Mitsprache

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sächlich bei der Einführung von technischen Systemen ist, erhöht.

Daher fordern ÖGB und AK: „Bei der Einführung von neuen Technologien sollen MitarbeiterInnen – falls vorhanden in Form des Betriebsrates – aus Gesundheits- und Datenschutzgründen stärker einbezogen werden. Mitbestimmungsrechte müssen hier ausgebaut werden.“23 Eine Anpassung der gesetzlichen und kol-lektivrechtlichen Bestimmungen zum ArbeitnehmerInnenschutz an digitale und mobile Arbeit ist erforderlich. Die gesetzliche

Belastungen an Arbeitsplätzen soll explizit darauf hin erweitert werden, dass die Rahmenbedingungen zu prüfen sind, die sich durch die Digitalisierung der Arbeit ergeben und welche Auswir-kungen die Digitalisierung (z.B. von innerbetrieblichen Prozessen) auf die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen hat.

Wie die Diskussion zeigt, bestehen im nationalen Kontext wie auch in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur klare Ideen,

und soll. Eine europäische Digitalpolitik, die konkret wirken will, täte also gut daran, solche Ideen aufzugreifen.

6. Soziale Absicherung: Auswirkungen auf bestehende Grö-ßen am Arbeitsmarkt

Der mit der Digitalisierung einhergehende Innovationsschub birgt Rationalisierungspotentiale in sich; das gilt für die Sach-güterproduktion gleichsam wie für Dienstleistungssektoren. Die dabei freigesetzten Fliehkräfte sind imstande, Sozial- und Arbeits-marktmodelle in Europa derart einschneidend zu transformieren, dass politische Intervention zur Gestaltung dieses Wandels

erfordert. Nicht zuletzt deshalb, weil in einem Europa der freien Märkte grundlegende Strukturanpassungen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt nur dann Erfolg bringend realisiert werden können, wenn dem Standort-, Steuer- und Arbeitskostenwettbewerb durch

fortgesetzte digitale Automation von Geschäftsmodellen (z.B. durch

gesetzlicher und tarifrechtlicher Anpassungs-

bedarf

kollektives EU-weites

Handeln erforderlich

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

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Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

Selbstbedienungs-Terminals und Online-Portale) sowie Fortschrit-ten in der Robotik, Arbeit deutlich weniger beschäftigungsintensiv wird. So gehen etwa Frey und Osborne von der Universität Oxford davon aus, dass Beschäftigungen und Tätigkeiten mit mittlerem Einkommen besonders stark von Automatisierung betroffen sein werden. Bei ca. 50% der heutigen Arbeitsplätze besteht das Risiko, dass sie in den kommenden 20 Jahren durch digitale Technologie ersetzt werden.24 Eine Studie der Brüsseler Denkfabrik Bruegel berechnet, dass die verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zwischen 40-60% der aktuell verfügbaren Arbeitsplätze durch Tendenzen der fortschreitenden Automatisierung verlieren könnten.25 Bryn-jolffsson und McAffee vom Massachusetts Institute of Technology bezweifeln, dass sich Steigerungen der Gesamtproduktivität in der digitalen Wirtschaft wie in früheren Phasen der industriellen Entwicklungen unmittelbar und automatisch als Zuwachs bei der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung niederschlagen und somit der mögliche Verlust von Arbeitsplätzen kompensiert wird.26

Andererseits kommt eine Studie im Auftrag des deutschen Bun-desministeriums für Arbeit und Soziales zu weit weniger dramati-schen Zahlen für Deutschland (12% seien von Wegfall bedroht), weil sie davon ausgehen, dass nicht alles, was rationalisierbar ist, auch rationalisiert wird.27 Ebenso kritisieren die Soziologinnen

Osborne, weil sie nicht mit der Arbeitsrealität in digitalisierten Betrieben übereinstimme und mittels des in Europa vorliegenden Statistikmaterials auch nicht wirklich übertragbar sei.28

In dieser Bandbreite bewegen sich die Prognosen. Ihre Rezeption zeigt jedenfalls, dass es erhöhter politischer Aufmerksamkeit bedarf. Die Erhaltung eines dauerhaft hohen Beschäftigungs-niveaus erfordert politische Intervention. Den entsprechenden

-besondere jene Staaten Europas, die Teil der Wirtschafts- und Währungsunion sind, auch am Brüsseler Verhandlungstisch erkämpfen müssen. Daneben sollte aber die Stützung von Be-schäftigungsniveaus auch im Wege der Arbeitszeitverkürzung ernsthaft ins Auge gefasst werden.

Digitale Technologien ermöglichen aufgespaltete Geschäfts-modelle und Wertschöpfungsketten, was starre, funktional und

die vielfältigen Stimmen der Wissenschaft

politischen Spiel-raum schaffen auch für Arbeits-zeitverkürzung

Crowdworking als …

WISO 38. Jg. (2015), Nr. 430

nicht mehr in dem Maße erforderlich macht. Unternehmen

Praktiken wie Crowdworking werden zu einer weiteren Zunahme der selbständigen Erwerbstätigkeit führen. So ist etwa der Anteil selbständig Erwerbstätiger in Branchen wie IKT, Medien oder Verwaltungs- und Unterstützungsdiensten deutlich gestiegen.29

Auf manchen dieser Crowdsourcing-Portale wird ein Unterbietungs-wettbewerb unter den zumeist selbständigen „Crowdworkern“ ange-reizt. Es herrscht eine grenzüberschreitende Konkurrenz um Arbeit mit Bietern aus Orten mit weit niedrigeren Lebenshaltungskosten und mitunter komplett fehlenden sozialen Sicherheitsstandards.

von Geringverdienern Vorschub geleistet, die mitunter bereits als „Cybertatiat“ bezeichnet wird.30 -

selbstverständlich können CrowdworkerIn und AuftraggeberIn in unterschiedlichen Ländern angesiedelt sein, was die Durchsetzung rein nationalen Rechts in der Regel schwierig gestaltet.

-schäftigungsformen, die in der Sogwelle der stark wachsenden Sharing Economy entstehen. Bei Geschäftsmodellen wie Airbnb, Lyft oder Uber bleiben das Arbeitsverhältnis und der rechtliche Status der Beteiligten oftmals unklar. Die Frage etwa, ob der Fahrer eines Privatfahrzeugs, das über eine Online-Plattform bestellt werden kann, selbständig erwerbstätig ist oder abhängig beschäftigt wird und wenn ja, von wem – dem Fahrgast oder dem

welche Rechtsvorschriften, sowohl hinsichtlich der Beschäf-

kollektivvertraglich vereinbarten Bestimmungen im konkreten Fall anwendbar wären.

Die starke Zunahme nicht gesetzlich geregelter und abgesicherter Beschäftigungsformen bewirkt, dass feste Größen des Arbeits-markts wie Beschäftigungsschutz, Systeme für Gesundheits-schutz, Sicherheit am Arbeitsplatz und Kollektivverträge in ihrer

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

… fragwürdiges Geschäftsmodell

Sharing Econo-my-Angebote

fordern Rechtslage

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Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

Wirkung herausgefordert werden. Gelten keine der bestehenden Gesetzes- und Kollektivvertragskategorien, bewegt sich die Sha-ring Economy in einer Grauzone. Dies führt zu Wettbewerbsdruck auf die Beschäftigung und Unternehmen, die im Rahmen der geltenden Gesetze und Kollektivverträge operieren.

Aus Gewerkschaftssicht kann hier nur gelten: Ein fairer und inte-grativer Arbeitsmarkt setzt voraus, dass alle ArbeitnehmerInnen, auch solche in nicht standardmäßigen Beschäftigungsverhält-

bestehender und bewährter sozial- und arbeitsrechtlicher Stan-dards durch Crowdworking (Auslagerung von Entwicklungs- und Produktionsschritten) zu verhindern und andererseits die soziale Absicherung auch der Crowd-WorkerInnen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang müssen Wege eröffnet werden, wie der Geltungsbereich sozialer Normen und des arbeitsrechtlichen Schutzes auf die durch Digitalisierung entstehenden neuen und zunehmenden Beschäftigungsformen ausgedehnt werden kann. Dazu gehören auch Initiativen für eine angepasste De-

digitalen Arbeitswelt widerspiegeln. Darüber hinaus wäre eine

Selbständige denkbar.

Solche Reformen sind in einem Europa der freien und integrier-

sinnvoll durchzuführen. Daher fordern Gewerkschaften auch in diesem Bereich eine aktiv gestaltende europäische Politik ein, die gemeinsam mit Mitgliedstaaten und Sozialpartnern digitalen Wandel im Interesse von Beschäftigten ermöglicht.

7. Der digitale Wandel – auch eine Frage der Verteilung

Durch die Digitalisierung wird ein Potenzial für zuvor nicht exis-

was die Einrichtung vieler verstreuter kleiner Verkaufsstellen förderte, so ist es nun möglich, ein einziges großes E-Commerce-Zentrum für ein unendlich großes, weil von prekär beschäftigten Zulieferern versorgtes Gebiet zu eröffnen. Solche Neuerungen generieren produktivitätsmäßig gesehen eine enorme „Digita-

Wer schöpft den Gewinn ab?

ungleicher Wettbewerb im sozialen Netz

soziale Normen, arbeitsrecht-lichen Schutz ausweiten

WISO 38. Jg. (2015), Nr. 432

lisierungsdividende“. Die Gewinne aus digitalen Innovationen verbleiben jedoch derzeit meist bei den Unternehmen, während die Beschäftigten neben der permanenten Erreichbarkeit, Über-wachung und Einsatzbereitschaft auch noch die anwachsenden Unsicherheiten ihrer Erwerbstätigkeit zu tragen haben.

Mit der Gestaltung der Auswirkungen der Digitalisierung stellen sich somit verteilungspolitische Fragen: hinsichtlich der Vertei-lung des Arbeitsvolumens, im Bereich der Steuern und Abgaben, der Arbeitszeit sowie der betrieblichen Partizipation. Wenn die Chancen der Digitalisierung so genutzt werden sollen, dass sie möglichst vielen Menschen zugutekommen, dann bedarf es auch hier entsprechender politischer Interventionen. Die digitalen Po-tenziale müssen gute Arbeit, Gemeinwohlorientierung, Wohlstand, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit fördern. Die Gewerkschaft sieht dazu u.a. folgende Maßnahmen als geeignet an:

- gezielte Förderung arbeitsschaffender Innovationen durch die -

tivitätsgewinnen, die aus der Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen lukriert werden, in gesellschaftlichen Bedarfsfeldern, wie etwa Finanzierung sozialer Dienstleis-tungen („Digitalisierungsdividende“);

- Beschäftigten Weiterbildung und Umschulung ermöglichen,

wie auch in der Privatwirtschaft, wobei insbesondere „Trai-

Investitionen in die Entwicklung notwendiger Skills, um den mit der Digitalisierung einhergehenden Verschiebungen der

- Wege der Arbeitszeitverkürzung ernsthaft ins Auge fassen;

- nachhaltige Intensivierung der Arbeits-, Produktions- und

Veränderungen, die eine digitalisierte Arbeitswelt und völlig neue Produktionsbedingungen auf die Arbeitsorganisation und die Beschäftigung mit sich bringen (Bereitstellung ange-

Wie kann der Gewinn fair

verteilt werden?

Investitionen, wo sozialer Bedarf

besteht

Investition in

Arbeitszeit-verkürzung

Investition in Forschung

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

WISO 38. Jg. (2015), Nr. 4 33

- politische Maßnahmen und Rechtsbestimmungen, mit denen für sämtliche Beschäftigte, auch selbständig Erwerbstätige, per Crowdworking und in der Digital Economy Beschäftigte, ein gesetzlicher Sozialversicherungsschutz auf hohem Niveau sichergestellt wird.

All das kostet und muss auch durch eine gerechte Verteilung der

werden. Daher sind Steuersysteme zu reformieren, damit sowohl die in den konventionell organisierten Bereichen als auch in der Share Economy erwirtschafteten Einkommen in vergleichbarer

-einkommens und den lohnabhängigen Sozialversicherungsabga-ben, aber auch gewinn- und vermögensbezogenen Steuern nicht genügend Einnahmen für die Systeme der sozialen Sicherung erzielt werden können, müssen neue Einnahmequellen erschlossen

-tätsabhängige Abgaben besteuert werden. Das gilt gerade auch für digitale Wertschöpfung, v.a. auch im Bereich der Share Economy sowie für Unternehmen, die mit Daten handeln. Es ist in diesem Sinn Zeit für eine gerechte Nutzung der „Digitalisierungsdividende“.

Anmerkungen1. Goos, Maarten / Manning, Alan / Salomons, Anna (2009): Job Polarization in

Europe, American Economic Review: Papers & Proceedings 2009, 99: 2, S. 58-63.2. Siehe u.a. Europäisches Parlament (2015): Wage and Income Inequality in

the European Union, Brüssel; Eurofound (2015): Upgrading or polarisation? Longterm and global shifts in the employment structure: European Jobs Monitor 2015, Luxembourg.

3. am Main, 2015.

4. Vgl. Bühler, Joachim / Gürtler, Christoph (2013): Digitale Arbeitswelt: Gesamt-wirtschaftliche Effekte, BUT-KOM, Berlin.

5. Siehe Literaturangaben in den Fußnoten 24-26.6. Europäische Kommission: Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa,

single-market/index_de.htm.7. Siehe: Beckmann, Martin / Schenk, Torben: Die europäische Dimension digitaler

Digitalisierung. Prozessanalysen und Gestaltungsperspektiven für eine humane Arbeitswelt, Berlin, 2015, S. 48-57.

8. 9. Wage and income inequality in the European Union, Study for the EMPL Com-

mittee of the European Parliament, 2015 Brüssel, p. 15-16.10. Siehe dazu u.a. Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus-

schusses (EWSA) zu „Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigung in der Dienstleistungswirtschaft“ im Rahmen der Beratenden Kommission für

Brüssel 2015.

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk

soziale Absicherung schaffen

faires Steuer- und Abgaben-system für die digitalisierte Arbeitswelt schaffen

gerechte Nutzung der Digitalisierungs-dividende

WISO 38. Jg. (2015), Nr. 434

11. The digital agenda of the European Commission: Preliminary ETUC assess-ment - Endorsed by the Executive Committee at its meeting on 17-18 June 2015; siehe auch: Positionen von UNI Europa: http://www.uniglobalunion.org/news/uni-europa-ogb-and-gpa-djp-issue-declaration-digitalisation-work-and-employment-eu; IndustriAll: http://www.industriall-europe.eu/

12. im Auftrag der Bundesarbeitskammer.

13.

14. Fritsch, Clara (2015): Data Processing in the Employment Relations; Impacts of the European General Data Protection Regulation Focusing on the Data

-ropean Data Protection Law. Law, Governance and Technology Series 290. Springer, S. 147-167.

15. Vgl. Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014, Artikel 82.

16. http://ec.europa.eu/priorities/digital-single-market/docs/dsm-factsheet_de.pdf.17.

die Arbeitswelt? In: WISO, Dezember 2014.18. -

rie 4.0“ – eine arbeitssoziologische Einschätzung, Zwischenpräsentation der Forschungsergebnisse.

19. 20. -

schaftliche Konstruktion. Europäische Zeitschrift für Berufsbildung, http://www.amsforschungsnetzwerk.at/deutsch/publikationen/ (abgerufen am 8.7.2015)

21. So wurde beispielsweise in der GPA-djp eine Seminarreihe zum betrieblichen Datenschutz für BetriebsrätInnen implementiert, die sich großer TeilnehmerIn-nenzahlen erfreut, sowie dem Datenschutz in den Betriebsräte-Schulungen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes immer mehr Gewicht eingeräumt.

22. Pfeiffer, Sabine / Suphan, Anne (2015): Der AV-Index. Lebendiges Arbeitsver--

heim Working Paper 2015. https://soziologie.uni-hohenheim.de/63295?&tx_

(abgerufen am 13.7.2015).23. Österreichischer Gewerkschaftsbund und Bundesarbeiterkammer (2015):

Industriepolitik für Beschäftigung und langfristigen Wohlstand. Der Blick der ArbeitnehmerInnen auf den produzierenden Sektor in Österreich. Wien. http://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeitsmarkt/Big_Deal_fuer_Be-schaeftigung.html (abgerufen am 7.7.2015).

24. are jobs to computerisation?; Pajarinen, M. / Rouvinen, P. / Ekeland, A. (2015): Computerization Threatens One-Third of Finnish and Norwegian Employment, ETLA, 2015.

25. Bruegel (2014): The computerisation of European jobs.26. Siehe Bowles, J. (2014): The computerisation of European jobs who will win and

who will lose from the impact of new technology onto old areas of employment?27.

von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland. Zentrum für Europäische Wirt-schaftsforschung. Mannheim.

28. -henheim.

29. UNI Europa (2015): Towards a Fair Future for European Services: http://-

ture_for_european_services.pdf.30.

Comes of Age. Monthly Review Press, New York.

Digitale Revolution: Gestalten oder bestaunen? – C. Fritsch, W. Greif, T. Schenk