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H. Kaiser G.-R. Burmester F. Buttgereit Glucocorticoidtherapie im Wandel der Zeit Z Rheumatol 64:147–148 (2005) DOI 10.1007/s00393-005-0722-8 ZfRh 722 EDITORIAL Prof. Dr. Hanns Kaiser ( ) ) Frauentorstraße 22 86152 Augsburg Prof. Dr. Gerd-Rüdiger Burmester Prof. Dr. Frank Buttgereit Medizinische Klinik m. S. Rheumatologie und Klinische Immunologie Charité – Universitätsmedizin Berlin Schumannstraße 20/21 10117 Berlin 1936 wurde Cortison als erste hormonale Substanz aus der Ne- bennierenrinde isoliert und stand ab 1947, teilsynthetisch herge- stellt, für therapeutische Zwecke zur Verfügung. Philip Hench, der Rheumatologe der Mayo-Klinik, führte es 1948 aufgrund eines Analogieschlusses, der sich schon kurz danach als falsch erwiesen hat, in die Behandlung der rheu- matoiden Arthritis ein. Der Erfolg wurde als „Miracle“ bezeichnet, da bei allen Patienten eine deutli- che Besserung eintrat, während dies mit allen bis dahin zur Verfügung stehenden Maßnahmen nur bei etwa 15% gelang. Wäh- rend viele glaubten, dass mit die- sem Mittel das „Problem Rheu- ma“ gelöst sei, sagte Hench 1950 ganz klar, dass Cortison die rheu- matoide Arthritis nicht heilt, son- dern nur die Entzündung un- terdrückt, so lange man es ver- abreicht. Aus diesem Grunde wurden schon 1950 auch alle an- deren entzündlich-rheumatischen Krankheiten, speziell das rheuma- tische Fieber, die Arteriitis tem- poralis und der systemische Lu- pus erythematodes, mit diesem Hormon behandelt – alle mit dem gleichen günstigen symptomati- schen Effekt. Als 1951 genügend Substanz zur Verfügung stand und das Produkt auch in Tablet- tenform verfügbar war, wurde es auch bei anderen entzündlichen Krankheiten sowie bei solchen, für die es damals keine Therapie gab, versucht. Der Explosion der Indikationen folgte aber eine Ex- plosion der unerwünschten Ne- benwirkungen. Es bestand die Gefahr, dass dies das Ende der Therapie bedeutet. Schon 1950 hatte Hench fest- gestellt, dass bei 60% der behan- delten Patienten unerwünschte Wirkungen, bei ¼ davon ernst- hafte Komplikationen auftraten: Sowohl die vielfältigen Symptome des Hyperkortizismus („Cortison- Cushing“) als auch des endoge- nen Hypocortisolismus. Letzterer konnte bedrohlich werden, wenn der Patient in eine Stresssituation geriet oder wenn die Therapie plötzlich abgebrochen wurde. Bei langer Therapie drohte auch die Reaktivierung latenter Infektio- nen, speziell der Tuberkulose. Oft schon rasch nach Beginn der Therapie entwickelte sich auf- grund der Mineralocorticoidwir- kung von Cortison und der seit 1951 zur Verfügung stehenden ei- gentlichen Wirkform Cortisol ei- ne Retention von Natrium und Wasser mit der Folge von Hyper- tonie und Herzinsuffizienz sowie ein Kaliumverlust. Diese seiner- zeit sehr gefürchtete Nebenwir- kung wurde durch die 1954 ge- lungene Dehydrierung von Corti- son und Cortisol zu Prednison und Prednisolon praktisch besei- tigt. Da diese Präparate 4–5mal stärker entzündungshemmend wirkten, glaubte man, durch wei- tere Veränderungen am Molekül, insbesondere durch Einführung eines Fluoratoms, auch die ande- ren unerwünschten Wirkungen beseitigen zu können. Diese Hy- pothese erwies sich als Irrtum. Da alle Abkömmlinge an den gleichen Rezeptor binden, konn- ten die erwünschten Wirkungen nicht von den unerwünschten ge- trennt werden. Deshalb wurde seit 1962 kein weiteres Corticoid für die systemische Therapie ent- wickelt. Erst in den letzten Jahren kam wieder Bewegung in diese Frage. Heute wird versucht, Sub- stanzen herzustellen, die nur die entzündungshemmenden, nicht

Glucocorticoidtherapie im Wandel der Zeit

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H. KaiserG.-R. BurmesterF. Buttgereit

Glucocorticoidtherapie im Wandel der Zeit

Z Rheumatol 64:147–148 (2005)DOI 10.1007/s00393-005-0722-8

ZfR

h722

EDITORIAL

Prof. Dr. Hanns Kaiser ())Frauentorstraße 2286152 Augsburg

Prof. Dr. Gerd-Rüdiger BurmesterProf. Dr. Frank ButtgereitMedizinische Klinik m. S. Rheumatologieund Klinische ImmunologieCharité – Universitätsmedizin BerlinSchumannstraße 20/2110117 Berlin

1936 wurde Cortison als erstehormonale Substanz aus der Ne-bennierenrinde isoliert und standab 1947, teilsynthetisch herge-stellt, für therapeutische Zweckezur Verfügung. Philip Hench, derRheumatologe der Mayo-Klinik,führte es 1948 aufgrund einesAnalogieschlusses, der sich schonkurz danach als falsch erwiesenhat, in die Behandlung der rheu-matoiden Arthritis ein. Der Erfolgwurde als „Miracle“ bezeichnet,da bei allen Patienten eine deutli-che Besserung eintrat, währenddies mit allen bis dahin zurVerfügung stehenden Maßnahmennur bei etwa 15% gelang. Wäh-rend viele glaubten, dass mit die-sem Mittel das „Problem Rheu-ma“ gelöst sei, sagte Hench 1950

ganz klar, dass Cortison die rheu-matoide Arthritis nicht heilt, son-dern nur die Entzündung un-terdrückt, so lange man es ver-abreicht. Aus diesem Grundewurden schon 1950 auch alle an-deren entzündlich-rheumatischenKrankheiten, speziell das rheuma-tische Fieber, die Arteriitis tem-poralis und der systemische Lu-pus erythematodes, mit diesemHormon behandelt – alle mit demgleichen günstigen symptomati-schen Effekt. Als 1951 genügendSubstanz zur Verfügung standund das Produkt auch in Tablet-tenform verfügbar war, wurde esauch bei anderen entzündlichenKrankheiten sowie bei solchen,für die es damals keine Therapiegab, versucht. Der Explosion derIndikationen folgte aber eine Ex-plosion der unerwünschten Ne-benwirkungen. Es bestand dieGefahr, dass dies das Ende derTherapie bedeutet.

Schon 1950 hatte Hench fest-gestellt, dass bei 60% der behan-delten Patienten unerwünschteWirkungen, bei ¼ davon ernst-hafte Komplikationen auftraten:Sowohl die vielfältigen Symptomedes Hyperkortizismus („Cortison-Cushing“) als auch des endoge-nen Hypocortisolismus. Letztererkonnte bedrohlich werden, wennder Patient in eine Stresssituationgeriet oder wenn die Therapieplötzlich abgebrochen wurde. Bei

langer Therapie drohte auch dieReaktivierung latenter Infektio-nen, speziell der Tuberkulose. Oftschon rasch nach Beginn derTherapie entwickelte sich auf-grund der Mineralocorticoidwir-kung von Cortison und der seit1951 zur Verfügung stehenden ei-gentlichen Wirkform Cortisol ei-ne Retention von Natrium undWasser mit der Folge von Hyper-tonie und Herzinsuffizienz sowieein Kaliumverlust. Diese seiner-zeit sehr gefürchtete Nebenwir-kung wurde durch die 1954 ge-lungene Dehydrierung von Corti-son und Cortisol zu Prednisonund Prednisolon praktisch besei-tigt. Da diese Präparate 4–5malstärker entzündungshemmendwirkten, glaubte man, durch wei-tere Veränderungen am Molekül,insbesondere durch Einführungeines Fluoratoms, auch die ande-ren unerwünschten Wirkungenbeseitigen zu können. Diese Hy-pothese erwies sich als Irrtum.Da alle Abkömmlinge an dengleichen Rezeptor binden, konn-ten die erwünschten Wirkungennicht von den unerwünschten ge-trennt werden. Deshalb wurde seit1962 kein weiteres Corticoid fürdie systemische Therapie ent-wickelt. Erst in den letzten Jahrenkam wieder Bewegung in dieseFrage. Heute wird versucht, Sub-stanzen herzustellen, die nur dieentzündungshemmenden, nicht

148 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 64, Heft 3 (2005)© Steinkopff Verlag 2005

aber die hormonalen Wirkungenentfalten.

Während sich im Indikations-katalog für Corticoide im Laufeder Jahrzehnte wenig veränderthat, erwiesen sich die un-erwünschten Nebenwirkungen alswirkliches Problem. Da keinZweifel war, dass Häufigkeit undSchwere von Dosis und Dauer derTherapie abhängen, wurde dieGrenzdosis für die Langzeitthera-pie im Laufe der Jahrzehnte im-mer weiter reduziert. Das konntenur gelingen durch eine Verän-derung des Abbauschemas: jeniedriger die Dosis, umso kleinermüssen die Reduktionsschritteund umso länger die Intervallewerden. In verschiedenen Län-dern wird schon seit vielen Jah-ren nur in 1 mg-Schritten redu-ziert, wodurch es häufig gelingt,die Erhaltungsdosis in den ne-benwirkungsarmen Bereich von 5oder weniger Prednison/Tag zubringen. In Deutschland führtsich dieses Vorgehen erst langsamein. Dem gegenüber hat sich dieseit den 60er Jahren gebräuchli-che hoch dosierte intravenöseStoßtherapie („pulse therapy“)zur Einleitung einer Behandlungbei bedrohlichen und hoch aku-ten Verlaufsformen der System-krankheiten auch bei uns be-währt, da sie einen rascherenÜbergang auf niedrigere Dosenermöglicht. Durch den in denletzten Jahren gelungenen Nach-weis eines anderen Wirkungs-mechanismus hat diese Behand-lungsform eine wissenschaftlicheBegründung gefunden.

Gelingt es bei der Dosisredukti-on nicht, in einen tolerablen Be-reich zu kommen, wird mit Im-munsuppressiva kombiniert. Bei

vielen Systemkrankheiten und ins-besondere bei den Immunvaskuli-titden ist von vornherein eineKombinationsbehandlung üblich.Sehr bedeutsam für die Reduktionunerwünschter Wirkungen warauch, dass in den 60er Jahren diesog. zirkadiane Therapie ein-geführt wurde, d. h. dass in derLangzeitbehandlung mit Corticoi-den die Tagesdosis morgens aufeinmal eingenommen wird. Ins-besondere das Risiko einer Neben-nierenrinden-Insuffzienz konntedadurch deutlich vermindert wer-den. Auch durch topische Therapie– in der Rheumatologie hauptsäch-lich in Form der schon seit 1951gebräuchlichen intraartikulärenInjektion – kann die systemischeAuswirkung reduziert werden.

Schließlich tragen Vorsichts-maßnahmen bei Patienten mit Ri-sikoprofil und konsequente Über-wachung jeder Langzeittherapiemit Corticoiden erheblich zurVerminderung unerwünschterWirkungen und Komplikationenbei.

Alle diese Veränderungen inder Durchführung der Corticoid-therapie haben die Behandlungsicherer gemacht. „Cortison-Cus-hing“ und Nebennierenrindenin-suffzienz sowie gefährliche Infek-tionen spielen kaum noch eineRolle. Letztere sind allerdings injüngster Zeit in der Behandlungder Immunvaskulitiden mit derKombination von Zytostatika undCorticoiden wieder gehäuft auf-getreten, was zu einer Änderungdes Therapieschemas geführt hat.

Heute steht im Vordergrunddie Osteoporose. Sie kann, spe-ziell bei Risikopatienten, schonbei sog. Low-dose sowie unter to-pischer Therapie auftreten. Des-

halb ist bei jeder Langzeitbehand-lung eine konsequente Prophylaxeund ggf. Therapie unverzichtbar.Nicht vernachlässigt werden darfauch die regelmäßige augenärzt-liche Kontrolle wegen der Gefahreiner Kataraktbildung, die beson-ders bei Kinder und Jugendlichenerhöht ist.

Es ergibt sich also, dass dieCortisontherapie fast 60 Jahrenach ihrer Einführung immernoch in Bewegung ist. Aus diesenGründen haben wir ein Themen-heft zur Therapie mit Glucocorti-coiden zusammengestellt. Einlei-tend wird eine aktuelle Analyseder im Jahr 2001 erhobenenDaten zur Verordnung vonGlucocorticoiden bei Patientenmit rheumatoider Arthritis inDeutschland vorgestellt. Hier zei-gen sich einmal mehr Bedeutungund Qualität der Datenerfassungim Rahmen der Kerndokumenta-tion der Rheumazentren. Es er-geben sich zwei Kernaussagen:(1) Glucocorticoide gehören zuden am häufigsten eingesetztenMedikamenten überhaupt, und(2) das Risikopotential dieser Prä-parate – hier am Beispiel der Glu-cocorticoid-induzierten Osteopo-rose – ist den Rheumatologen be-kannt und führt zu einer entspre-chend risikoadaptierten Therapie.Zwei weitere Arbeiten in diesemThemenheft beleuchten aktuellund praktisch relevant die Bedeu-tung dieser wichtigen Substanz-klasse bei der Behandlung vonPatienten mit Vaskulitiden undKollagenosen. Schließlich werdenabschließend noch einige interes-sante Entwicklungen auf dem Ge-biet von neuen Glucocorticoidenbzw. Glucocorticoidrezeptorligan-den dargestellt.