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GRENZENLOS BILLIG? GLOBALISIERUNG UND DISCOUNTIERUNG IM EINZELHANDEL SARAH BORMANN | CHRISTINA DECKWIRTH | SASKIA TEEPE ver di .

GRENZENLOS BILLIG? GLOBALISIERUNG UND DISCOUNTIERUNG … · allein lauten: »Grenzenlos billig«! EINLEITUNG Foto: Werner Bachmeier, Protest vor einer Schleckerfiliale, Fürth 22.5.2003

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Page 1: GRENZENLOS BILLIG? GLOBALISIERUNG UND DISCOUNTIERUNG … · allein lauten: »Grenzenlos billig«! EINLEITUNG Foto: Werner Bachmeier, Protest vor einer Schleckerfiliale, Fürth 22.5.2003

GRENZENLOS BILLIG?GLOBALISIERUNG UND DISCOUNTIERUNG IM EINZELHANDELSARAH BORMANN | CHRISTINA DECKWIRTH | SASKIA TEEPE

ver di.

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IMPRESSUMAUTORINNEN

SARAH BORMANN studierte Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut/

Berlin und Chile. Sie arbeitet bei WEED im Bereich internationale

Handels- und Investitionspolitik | [email protected]

CHRISTINA DECKWIRTH studierte Politikwissenschaft in Marburg und

York/Großbritannien. Sie arbeitet bei WEED im Bereich internationale

Handels- und Investitionspolitik | [email protected]

SASKIA TEEPE studierte Politikwissenschaft in Marburg. Sie arbeitet als

Jugendbildungsreferentin bei Ver.di Hessen | [email protected]

HERAUSGEBER

WEED – WELTWIRTSCHAFT, ÖKOLOGIE & ENTWICKLUNG

Torstraße 154 | 10115 Berlin

Tel.: (030) 27 58 21 63 | Fax: (030) 27 59 69 28

www.weed-online.org | [email protected]

Kontakt: Sarah Bormann, Christina Deckwirth, Peter Fuchs

VER.DI LANDESBEZIRK BAYERN/FACHBEREICH HANDEL

Schwanthalerstr. 64 | 80336 München | www.verdi-bayern-handel.de

Kontakt: Hubert Thiermeyer

VER.DI LANDESBEZIRK HESSEN/FACHBEREICH HANDEL

Wilhelm-Leuschner-Straße 69–77 | 60329 Frankfurt a.M.

www.verdi-hessen.de/branchen_fachbereich12

Kontakt: Bernhard Schiederig

VER.DI LANDESBEZIRK BADEN-WÜRTTEMBERG/FACHBEREICH HANDEL

Königstraße 10A | 70173 Stuttgart

www.verdi.de/baden-wuerttemberg/bereiche/fb_12

Kontakt: Werner Wild

VER.DI LANDESBEZIRK SAAR/FACHBEREICH HANDEL

St. Johannerstraße 49 | 66111 Saarbrücken | www.verdi.de/saar

Kontakt: Stefanie Nutzenberger

LAYOUT Julia Schnegg | [email protected]

DRUCK DruckVogt Berlin

TITELBILD Werner Bachmeier | www.werner-bachmeier.de

Fotos Rückseite von links nach rechts: Unite Here: Gewerkschafter

demonstrieren in den USA; Sarah Bormann: Gewerkschafter in

Brüssel; Christiana Silio: Gewerkschafter in Bangladesch

Die Publikation ist zu bestellen bei WEED e.V.

SCHUTZGEBÜHR 7 Euro, WEED-Mitglieder 5 Euro, zzgl. Versandkosten

ISBN: 3-937383-21-2

DANKSAGUNG Unser Dank gilt allen, die uns bei der Erstellung dieser

Broschüre durch ihre Kommentare und Hinweise geholfen haben,

insbesondere Hubert Thiermeyer, Peter Fuchs, Guido Siegel, Conrad

Schuhler und die Ver.di-Arbeitsgruppe »Globalisierung im Einzelhandel«.

Berlin, April 2005

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GRENZENLOS BILLIG? GLOBALISIERUNG UND DISCOUNTIERUNG IM EINZELHANDEL

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GRENZENLOS BILLIG?GLOBALISIERUNG UND DISCOUNTIERUNG IM EINZELHANDELSARAH BORMANN | CHRISTINA DECKWIRTH | SASKIA TEEPE

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INHALTSVERZEICHNISEINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1 | MENSCHEN HANDELN: DIE SITUATION DER BESCHÄFTIGTEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.1 | Hauptsache billig? ArbeitnehmerInnen im deutschen Einzelhandel . . . . . . . . . . . . 101.2 | Folgen der Discountierung für ArbeitnehmerInnen

in der Landwirtschaft und Textilindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Fazit | Discountierung der Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

2 | AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT? – KONZENTRATION UND INTERNATIONALISIERUNG DES EINZELHANDELS . . . . . . . . . . . 322.1 | Rationalisierung zu Lasten der Beschäftigten:

Die Segmentierung des Arbeitsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322.2 | Tante Emma macht das Licht aus: Expansion der Einzelhandelsunternehmen . . . . 372.3 | Die Globalisierung des Einzelhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44Fazit | Von Tante Emma zum globalen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3 | IN WESSEN INTERESSE?: DIE POLITISCHEN STRATEGIEN DER EINZELHANDELSKONZERNE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523.1 | Politik nach wessen Maßgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523.2 | Gut aufgestellt: Einzelhandelskonzerne und ihre Lobby in Deutschland . . . . . . . . 533.3 | Hauptstadt des Lobbyismus: Einzelhandelslobby in Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Fazit | Taube Ohren für Gewerkschaften, offene Arme für Konzernlobbyisten . . . . . . . . 57

4 | REGELN SIND RECHTE: REGULIERUNGEN AUF NATIONALER,EUROPÄISCHER UND GLOBALER EBENE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584.1 | Regulierung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584.2 | Die Bolkestein-Richtlinie: Neoliberaler Kahlschlag in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . 654.3 | Das GATS: Globale Zwangsregeln für den Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Fazit | Deregulierung auf allen Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

5 | DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765.1 | Wir sind der Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765.2 | Arbeitsrechte im Handel verteidigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765.3 | Solidarisierung entlang der Wertschöpfungskette:

Aufstehen, wenn Konzerne Menschenrechte verletzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805.4 | Die Einkaufspraxis der Konzerne ändern durch Verbrauchermacht . . . . . . . . . . . . 845.5 | Menschenrechte politisch verteidigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Fazit | Globale Solidarität im Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

QUELLENVERZEICHNIS DER GRAFIKEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91GLOSSAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92ORGANISATIONEN/ADRESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96TIPPS ZUM WEITERLESEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNISAG Aktiengesellschaft

AVE Außenhandelsvereinigung des

deutschen Einzelhandels

AFL-CIO American Federation of Labor –

Congress of Industrial Organizations

BAG Bundesarbeitsgemeinschaft der

Mittel- und Großbetriebe im Einzelhandel

BDA Bundesvereinigung Deutscher

Arbeitgeber

BDI Bundesverband der

Deutschen Industrie

BFS Bundesverband der Filialbetriebe und

SB-Warenhäuser

BMWA Bundesministerium für Wirtschaft

und Arbeit

CCC Clean Clothes Campaign

(Kampagne für Saubere Kleidung)

EHI Eurohandelsinstitut

ERRT European Retail Roundtable

(Europäischer Runder Tisch des

Einzelhandels)

ESF European Services Forum

(Europäisches Dienstleistungsforum)

EU Europäische Union

GWB Gesetz gegen

Wettbewerbsbeschränkungen

GATT General Agreement on Tariffs and Trade

(Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen)

GATS General Agreement on Trade in Services

(Allgemeines Abkommen über den Handel mit

Dienstleistungen)

HBV Gewerkschaft Handel, Banken und

Versicherungen

HDE Hauptverband des deutschen

Einzelhandels

ILO International Labor Organization

(Internationale Arbeitsorganisation)

NRO Nichtregierungsorganisation

SB Selbstbedienung

TIE Transnational Information Exchange

(Transnationaler Informationsaustausch)

UNI Union Network International

(Internationales Netzwerk der Gewerkschaften)

UWG Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb

WTO World Trade Organization

(Welthandelsorganisation)

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EINLEITUNGKaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist inunserem Alltag so präsent wie der Einzel-handel. Täglich erledigen wir unsere Ein-käufe und täglich sorgen viele Menschendafür, dass wir die notwendigen Warenbekommen. Funktioniert der Einzelhandelnicht, sind davon viele betroffen: Die zahl-reichen Beschäftigten und die Verbraucher-Innen, die auf eine wohnortnahe und viel-fältige Einzelhandelslandschaft angewiesensind. Im Einzelhandel können wir Tag für Tagdie Auswirkungen zweier aktueller Prozesseganz direkt selbst erleben: die Discountie-rung und die Globalisierung.

Discountierung bedeutet, dass sich zu-nehmend die Verkaufsstrategie der großenDiscounter wie Lidl und Aldi durchsetzt.Deren Hauptsache-billig-Strategie spart ander Ausstattung der Läden, beim Einkaufder Waren und vor allem an den Beschäf-tigten. Discountierung steht aber auch füreine neue Form gesellschaftlicher Armut: DieBeschäftigten bekommen immer niedrigereGehälter und viele VerbraucherInnen kön-nen sich nur noch das Billigste leisten.

Globalisierung im Einzelhandel be-schreibt die Entwicklung, dass die Einzel-handelsunternehmen zunehmend selbstihre Waren in der ganzen Welt einkaufenund im Ausland Filialen eröffnen. Die glo-bale Expansion der Einzelhandelskonzernefördert einen Verdrängungswettbewerb,der zu enormer Konzentration führt unddie Macht einiger großer Konzerne immerweiter wachsen lässt.

Globalisierung und Discountierung sindkeine rein ökonomischen Prozesse. Sie sindauch das Ergebnis bewusst gewählter poli-tischer Entscheidungen, die zunehmend aufinternationaler Ebene getroffen werden.Durch die geplante europäische Bolkestein-Richtlinie für Dienstleistungen und durch

das globale Dienstleistungsabkommen GATSwird der Abbau von Arbeitnehmer- undVerbraucherrechten weiter vorangetrieben.Die Betroffenen werden dabei immer we-niger an den politischen Entscheidungenbeteiligt.

Ob Hungerlöhne oder unsichere Beschäf-tigungsbedingungen – in unserer Broschürezeigen wir die Folgen der Globalisierung undDiscountierung für die Beschäftigten sowohlim Einzelhandel als auch in der Produktionauf. Damit möchten wir verdeutlichen, dassnicht nur VerkäuferInnen in Deutschland,sondern beispielsweise auch Näherinnenin Bangladesch von den aktuellen Entwick-lungen im Einzelhandel betroffen sind.Deswegen ist es nötig, internationale Soli-darität praktisch werden zu lassen und neueBündnisse zwischen Gewerkschaften, Nicht-regierungsorganisationen und sozialen Be-wegungen zu schließen. Denn im Interesseder Beschäftigten und VerbraucherInnendarf das Motto für den Einzelhandel nichtallein lauten: »Grenzenlos billig«!

EINLEITUNG

Foto: Werner Bachmeier, Protest vor einer

Schleckerfiliale, Fürth 22.5.2003

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MENSCHEN HANDELN

1 Die Folgen von Discountierung und Globa-lisierung bekommen die Beschäftigten imEinzelhandel zu spüren. Diese Entwicklungwirkt sich aber auch auf jene aus, die fürden Einzelhandel weltweit Waren herstellen.Milchbauern und -bäuerinnen, Orangen-pflückerInnen und Näherinnen leiden unterder Einkaufsstrategie der Einzelhandels-konzerne – wenn auch auf ganz unter-schiedliche Weise.

1.1 | HAUPTSACHE BILLIG?ARBEITNEHMERiNNEN IM DEUTSCHENEINZELHANDEL

Hauptsache billig, denken viele Konsument-Innen und gehen zum Discounter. Haupt-sache billig, denken die Discounter undmeinen damit ihre MitarbeiterInnen. Für siebedeuten Discountstrategien Gehaltskür-zungen, die oft über Stundenkürzungendurchgesetzt werden. Gerade bei Teilzeit-kräften – mittlerweile mehr als die Hälftealler Beschäftigten im Einzelhandel – reicht

MENSCHEN HANDELN: DIE SITUATION DER

BESCHÄFTIGTEN

das Geld häufig schlicht nicht zum Leben.Dabei wächst die Arbeitsbelastung: DieAusweitung von Ladenöffnungszeiten undPersonaleinsparungen erfordern eine inten-sivere Arbeitsleistung. Obwohl die realenAnforderungen steigen, sinkt das Ansehender Verkaufstätigkeit: Sie läuft unter demLabel »einfache Dienstleistungsarbeit«. Be-troffen sind alle Beschäftigten, besondersaber jene, die für Discounter wie Lidl, Aldioder Schlecker arbeiten.

1.1.1 | UMSTRUKTURIERUNG DER EINZELHANDELSBRANCHE Seit den 1960er Jahren hat der Einzelhan-del einen rasanten Strukturwandel erlebt.Auf den ersten Blick zeigt sich dieser daran,dass kleinere und selbständig geführteLäden zunehmend aus dem Straßenbildverschwinden und sich neue Betriebsforma-te wie Discounter durchsetzen. Ein Grunddafür ist der Preiskrieg zwischen Unterneh-men: Mit wilden Rabattschlachten und ge-genseitigem Unterbieten versuchen sie sichim Verdrängungswettbewerb zu behaupten.Zusätzlich verlängern sie ihre Ladenöff-nungszeiten und konkurrieren so um Kund-Innen. Dieser Verdrängungswettbewerb istdie Folge eines Verkaufsflächenüberhangs,denn die Unternehmen breiten sich in derFläche immer weiter aus, indem sie immermehr und immer größere Filialen eröffnen.

Diese Strategien der Einzelhandelsun-ternehmen müssen aber finanziert werden –vor allem dann, wenn sie sich als unrentabelerweisen. Deshalb sparen die Unternehmenan Personalkosten. Sie spalten einzelneArbeitsschritte auf und besetzen Arbeits-bereiche, für die geringere Qualifikationenerforderlich sind, mit Mini-JobberInnen. Ar-beitszeiten und Beschäftigungsverhältnissewerden flexibilisiert, Anforderungen an Ar-beitnehmerInnen erhöht, Personal abge-baut und das Einkommen gedrückt.

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11MENSCHEN HANDELN

Die Veränderungen im Einzelhandel sindnicht allein mit den ökonomischen Strate-gien der Unternehmen zu erklären. Häufigfehlt auch der politische Wille, den Einzel-handel anders zu gestalten. Zudem treibtdie neoliberale Umstrukturierung von Wirt-schaft und Gesellschaft den Discounterndie KundInnen in die Arme, denn für vieleMenschen ist der Preisvergleich zu einerbitteren Notwendigkeit geworden. Weshalbdie Einkommenssituation der Haushalte sichnicht verbessert und dadurch auch die Kauf-kraft rückläufig ist, spricht die DeutscheBank offen aus: »Schließlich kommen jaauch einige zusätzliche Belastungen aufdie Haushalte zu. So müssen die Arbeit-nehmer ab Juli 2005 die Krankenversiche-rungsbeiträge für Zahnersatz und Kranken-geld alleine zahlen (…). Ein Grund für dienur geringen Lohnzuwächse ist, dass dieZahl der Mini- und Midijobs weiter deut-lich zunehmen sollte, während die Zahl derVollerwerbstätigen weiterhin rückläufigsein dürfte. Die Sozialtransfers sollten eben-falls kaum steigen. Zum einen dürfte eskaum eine Rentenerhöhung für die knapp20 Mio. Rentner geben, und zum andernsollen durch die Hartz-IV-Reform gut EUR 1Mrd. gespart werden.« Günstiger dürftensich allerdings nach Auskunft der Deut-schen Bank die Betriebs- und Vermögen-seinkommen entwickeln, die weiterhinzulegen.

WAS IST NEOLIBERALISMUSDer Begriff Neoliberalismus geht zurück auf die Wirtschaftslehre des Ökonomen Friedrich von

Hayek aus den 1930er Jahren. Demnach soll der Staat sich zwar nicht komplett aus der Wirtschaft

zurückziehen, aber seine Aufgaben werden darauf reduziert, bestmögliche Rahmenbedingungen für

diese bereitzustellen. Bestimmungen zum Schutz von VerbraucherInnen oder ArbeitnehmerInnen

werden als Hindernis für die freie Entfaltung der Wirtschaft gebrandmarkt. Seit den 1970er Jahren

wurde zunächst in vielen Entwicklungsländern und dann auch in Industrieländern eine neoliberale

Umstrukturierung vorangetrieben, die noch nicht abgeschlossen ist.

●?

1.1.2 | FRAUEN IM EINZELHANDEL:ZWISCHEN SELBSTVERWIRKLICHUNGUND NEUER ARMUTDer Einzelhandel ist eine typische Frauen-branche. 2002 waren 70 Prozent aller Er-werbstätigen im Einzelhandel weiblich, derFrauenanteil am Verkaufspersonal liegt mitüber 80 Prozent noch deutlich höher. Dieserhohe Anteil weiblicher Erwerbsarbeit istkein Zufall, denn nach wie vor sind Männerund Frauen auf dem Arbeitsmarkt nichtgleichberechtigt: Frauen sind häufiger inBranchen beschäftigt, in denen die Ver-

Foto: Werner Bachmeier, Kommissionieren

von Milchprodukten im Kühllager

der Allgäuer Lebensmittelkette Feneberg

in Kempten

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sind als ihre Kolleginnen. Darüber hinauswerden Frauen häufig mit Teilzeitstellenoder Mini-Jobs abgespeist. Auch sind siebesonders stark von der Polarisierung derArbeitsverhältnisse entsprechend unter-schiedlicher Qualifikationsanforderungenbetroffen (siehe Kapitel 2.1). So stehen imEinzelhandel einige wenige Arbeitsplätzeim gehobenen Management und im tech-nischen Bereich (z.B. EDV) einer wachsen-den Anzahl von Arbeitsplätzen gegenüber,bei denen die geforderte Qualifikation ab-gesenkt wird und gleichzeitig die Arbeits-belastung zunimmt. Während die ersteGruppe von Arbeitsplätzen vorwiegendVollzeitarbeitsplätze sind, handelt es sichbei der zweiten Gruppe überwiegend umTeilzeitarbeit, die von Frauen verrichtet wird.Die derzeitigen Umstrukturierungen imEinzelhandel sind daher nicht geschlechts-neutral. Sie führen dazu, dass sich diePREKARISIERUNG der Arbeitsverhältnissestärker auf Frauen auswirkt.

Betrachtet man die Einkommen in derBranche, dann bleibt für die Verwirklichungpersönlicher Wünsche und Interessen nichtviel übrig. Selbst bei Vollzeitbeschäftigtenliegt der Bruttolohn für Verkaufspersonalnach Tarif derzeit zwischen knapp 1000Euro für ungelernte und 2000 Euro fürlangjährige, qualifizierte MitarbeiterInnen.Viele arbeiten jedoch als Teilzeitkräfte underhalten dementsprechend weniger. EineMinijobberin erhält beispielsweise höchs-tens 400 Euro im Monat. Dies zeigt, dassgroße Teile der Beschäftigten keine odernur begrenzte Möglichkeiten haben, einexistenzsicherndes Einkommen zu erzie-len. Vielen bringt die Arbeit nur einenZuverdienst.

Im Gegensatz zur allgemein vorherr-schenden Vorstellung von der hinzuver-dienenden Ehefrau hängt jedoch häufig derLebensunterhalt der Beschäftigten allein

12 MENSCHEN HANDELN

WELCHE BETRIEBSFORMATE GIBT ESUnterschiedliche Verkaufsstrategien im Einzelhandel werden als Betriebssformate bezeichnet.

So betreiben Discounter eine aggressive Niedrigpreispolitik und führen ein geringes Sortiment.

Fachgeschäfte bieten dagegen eine große Produktauswahl, und die KundInnen werden durch

fachkundiges Personal beraten. Meist sind die Läden relativ klein und in der Innenstadt gelegen.

Im Gegensatz dazu sind Fachmärkte größer und die Kundenberatung ist dürftig. Die so genann-

ten Tante-Emma-Läden bieten eine übersichtliche Auswahl von alltäglich benötigten Produkten

an. Sie befinden sich in der unmittelbaren Nachbarschaft, weshalb sie auch als Nachbarschaftsläden

bezeichnet werden. Supermärkte, Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser verkaufen vor allem

Lebensmittel, aber auch Kleidung oder Elektrogeräte. Die Auswahl ist größer als bei Discountern.

Warenhäuser befinden sich in der Innenstadt, und man wird hier beim Einkauf beraten. Verbrau-

chermärkte und Selbstbedienungs-Warenhäuser sind überwiegend in Gewerbegebieten gelegen.

Supermärkte sind kleiner, in Wohngebieten angesiedelt und ersetzen heute weitgehend die Tante-

Emma-Läden.

●?

links: Kai Winkler, Streik bei Netto in

Regensburg, 28.5.2003

rechts: Kurt Poppel, Streik bei Kaufhof in

Kempten, 28.5.2003

dienste vergleichsweise niedrig sind – unddazu gehört der Einzelhandel. Zwar hat sichdas Einkommen von Frauen und Männernim Handel angenährt, allerdings auffallendlangsam: Während eine sozialversicherungs-pflichtige Frau in Westdeutschland 1977durchschnittlich 66 Prozent des Gehaltseines männlichen Kollegen verdiente, warenes 1997 im Durchschnitt 70 Prozent. Mankann davon ausgehen, dass dieser Einkom-mensunterschied im Einzelhandel mindes-tens genauso groß ist. Dies liegt zum einendaran, dass Männer und Frauen selbst inden gleichen Gehaltsgruppen unterschied-liche Löhne bekommen. Ein zweiter Grundist, dass Männer im Einzelhandel in denoberen Gehaltsgruppen stärker vertreten

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Alternative darstellen. Dazu müsste sie je-doch sozial abgesichert und entsprechendbezahlt sein. Die Realität sieht aber andersaus. Nach einer Umfrage der GewerkschaftHandel, Banken und Versicherungen (HBV)aus dem Jahr 1995 gehen 57 Prozent derTeilzeitbeschäftigten in Ost- und 21 Prozentin Westdeutschland ihrer Tätigkeit unfrei-willig nach. Die flexiblen Gestaltungsmög-lichkeiten, welche die Teilzeitarbeit bietet,werden zudem in erster Linie durch denArbeitgeber bestimmt. Dies liegt nicht zu-letzt daran, dass Teilzeitbeschäftigte recht-lich wesentlich schlechter gestellt sind alsVollzeitkräfte. Die einseitige Ausrichtungauf Firmeninteressen zeigt sich außerdembei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten.

13

von diesem Gehalt ab. Zum Teil sind sogarsie es, die den einzigen Verdienst einerFamilie heimbringen. Diese Zahlen sprechenfür eine neue Qualität weiblicher Armutund in Anbetracht dessen, dass sich dieRentenansprüche aus diesen Einkommenableiten, noch verstärkt für eine Alters-armut.

1.1.3 | TEILZEITJOBS:NEUES NORMALARBEITSVERHÄLTNISIM EINZELHANDEL Im Einzelhandel werden zunehmend Ar-beitskräfte auf Teilzeitbasis eingestellt undVollzeit- in Teilzeitstellen umgewandelt. Mit-te der 1980er Jahre arbeiteten nur rund einDrittel der Beschäftigten als Teilzeitkräfte,mittlerweile sind es fast 50 Prozent, Tendenzsteigend (Siehe Grafik 1). Innerhalb von 20Jahren hat sich der Einzelhandel damit zueiner Teilzeitbranche entwickelt. Zumindestfür Frauen hat sich die Teilzeitarbeit im Ein-zelhandel zum neuen Normalarbeitsver-hältnis entwickelt. Dagegen beträgt derAnteil von Männern an Teilzeitstellen auchweiterhin nur fünf Prozent.

Der Großteil der Teilzeitbeschäftigungim Einzelhandel besteht mittlerweile aus sogenannter geringfügiger Beschäftigung. SeitEinführung der Mini-Job-Regelung im Jahr2003 stieg die Zahl geringfügig Beschäf-tigter rapide an: Innerhalb eines Jahres hatsich die Anzahl der geringfügigen Beschäf-tigungsverhältnisse um ein Drittel erhöht,inzwischen gilt jede dritte Person im deut-schen Einzelhandel als geringfügig beschäf-tigt (siehe Grafik 1). Die als Mini-Jobs be-zeichneten Arbeitsplätze bieten weder eineExistenzgrundlage noch eine eigenständigesoziale Absicherung. Statt zur Schaffungneuer Arbeitsplätze haben sie vor allemzur Prekarisierung der bereits bestehendenbeigetragen. In Anbetracht wachsender Ar-beitslosigkeit könnte Teilzeitarbeit eine echte

MENSCHEN HANDELN

■ Beschäftigte gesamt

■ Vollzeitbeschäftigte

■ sozialversicherungs-

pflichtige Teilzeit-

beschäftigte

■ geringfügig

Beschäftigte2001 2002 2003* 2004**

1.423

2.553

588

542

ZUNAHME VON MINI-JOBS ZULASTEN VON VOLLZEIT BESCHÄFTIGTENENTWICKLUNG IM EINZELHANDEL 2000–2004 ●1

Die Zahl der Beschäftigten ist im Einzelhandel insgesamt rückläufig. Jedoch steigt die Zahl geringfügigerBeschäftigungsverhältnisse zu Lasten von Vollzeit- und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen an.* vorläufige Zahlen ** Prognose

WAS IST PREKARISIERUNGDer Begriff »Prekarisierung« hat im Lateinischen zwei Bedeutungen: »durch Bitten erlangen«

oder »schwierig, unsicher«. Er bezeichnet heute die Umwandlung so genannter Normalarbeits-

verhältnisse in unsichere Arbeitsverhältnisse. Während es sich bei ersteren um unbefristete, tariflich

regulierte Vollzeitstellen handelt, mangelt es prekarisierten Arbeitsverhältnissen an diesen Sicher-

heiten. Prekarisierte Beschäftigte arbeiten oft unregelmäßig, verfügen über keinen gesicherten

Arbeitsvertrag, haben nur ein niedriges Einkommen und leiden unter fehlenden Schutzbestim-

mungen. Offensichtlich sollen sie bitten, um ihren Lohn zu sichern, anstatt Ansprüche zu stellen.

●?

1.382619

564

1.345530

659

1.286368

834

1.235 385

843

2.4632.4882.534

2.564

2000

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1.1.4 | FLEXIBLE ARBEITSZEITEN –FLEXIBEL FÜR WEN? Gemeinsame Zeit mit der Familie, demPartner oder Freunden erfordert überschau-bare und planbare Arbeitszeiten. Das sindRechte, auf die Beschäftigte einen Anspruchhaben. Häufige Überstunden und Arbeits-zeit auf Abruf erschweren jedoch für vieledie Verbindung von Arbeit und Freizeit.

Der Einzelhandel war schon immer aufflexible Arbeitszeiten angewiesen. Dies hatsich durch die Ausdehnung der Ladenöff-nungszeiten, eine rasante Verkaufsflächen-expansion und den Beschäftigtenabbau er-heblich verschärft. Um Personalkosten zusparen, versuchen die Unternehmen, denEinsatz der Beschäftigten möglichst genaudem saisonal, wöchentlich und täglichschwankenden Kundenaufkommen anzu-passen. Es geht dabei vor allem darum,möglichst wenig Beschäftigte einzusetzen.Gerade die Discounter geizen bei Personal-kosten: Geht der Umsatz ein wenig zurück,werden die Stundenzahlen sofort gekürzt.In der Praxis führt dies oft zu einer perma-nenten Unterbesetzung in den Filialen, diedie Beschäftigten dann durch Überstundenund Arbeit auf Abruf ausgleichen müssen.

Insbesondere in kleinen Filialen hat dieMehrarbeit in den letzten Jahren enorm zu-genommen. So erbringen Vollzeitbeschäf-tigte monatlich im Durchschnitt 19 Stun-den, Teilzeitbeschäftigte 13 und gering-fügig Beschäftigte 10 Stunden Mehrarbeit.Zeitliche Verfügbarkeit ist mittlerweile einesder Schlüsselkriterien bei der Einstellungneuer Beschäftigter. MitarbeiterInnen, diefür 20 Stunden bezahlt werden, sollen demBetrieb möglichst 60 Stunden zur Verfü-gung stehen. Vor allem von Teilzeit- undgeringfügig Beschäftigten wird zunehmenderwartet, dass sie auf Abruf bereit stehen.Rund 40 Prozent der Beschäftigten mit fle-xiblen Arbeitszeiten wissen weniger als vier

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UNFREIWILLIGE TEILZEITARBEIT BEI SCHLECKER

»Bei Schlecker würden alle Teilzeitbeschäf-tigten gerne länger arbeiten. Es werdenaber nur Teilzeitverträge für in der Regel16/18/20 Stunden angeboten. Die Auf-stiegschancen sind sehr gering. Bei Über-stunden (ab der 41. Stunden/Woche) musstariflich ein Zuschlag von 25 Prozent ge-zahlt werden. Das wird natürlich so gutwie nie vorkommen, das heißt eigentlichkommt es gar nicht vor, weil Schlecker keine25 Prozent zahlen möchte. Bei uns machen sie Mehrarbeit. Das ist dannauch der Zwiespalt, den man als Betriebs-rat hat, ob man Mehrstunden zustimmt odereben nicht, denn im zweiten Fall müsstenMitarbeiter eingestellt werden. Aber dieLeute brauchen einfach das Geld. Wennsie mit 18 oder 20 Stunden beschäftigtsind, möchten sie gerne etwas zuverdienen.Eine Verkäuferung in der Endstufe – alsonach dem 7. oder 8. Berufsjahr hat ca. 900Euro raus. Eine Ungelernte weniger.«

Katrin Wegener, Betriebsrätin beiSchlecker Berlin

MENSCHEN HANDELN

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ARBEITSDICHTE UND ARBEITSKOSTEN VERSCHIEDENER VERTRIEBSFORMEN 2002

Vertriebsform Umsatz je Beschäftigter Personalkostenanteil am Umsatz

Lebensmittel SB-Geschäftbis 399 qm 140.031 Euro 18,8 Prozent

Kleine Supermärkte 400 bis 799 qm 167.714 Euro 15,3 Prozent

Große Supermärkte 800 und mehr qm 183.149 Euro 12,5 Prozent

Discounter 313.547 Euro 6,8 Prozent

●2

Die Leistungsanforderungen sind bei den Discountern besonders hoch. Sie weisen den höchstenUmsatz je Beschäftigten auf und geben zugleich am wenigsten Geld für Personalkosten anteilig amUmsatz aus.

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Tage zuvor, wann sie arbeiten müssen. We-niger als 20 Prozent können ihre Arbeitszeitlänger als zwei Wochen vorher einplanen.

1.1.5 | BESCHÄFTIGUNGSABBAU UND LEISTUNGSVERDICHTUNGIm Einzelhandel findet ein rapider Perso-nalabbau statt. Seit Mitte der 1990er Jahrehat die Zahl der Beschäftigten kontinuier-lich abgenommen – seit 1996 wurdenmehr als 400 000 Arbeitsplätze vernichtet.Davon waren insbesondere Vollzeitbeschäf-tigte und sozialversicherungspflichtige Teil-zeitbeschäftigte betroffen, während sichdie Anzahl der Mini-Jobs ausgeweitet hat(siehe Grafik 1).

Vergleicht man die Zahl der abgebautenStellen mit der Zahl der abgebauten Ar-beitsstunden, so wird das Ausmaß der Um-wandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellenerst richtig deutlich. Im Jahr 2003 sank dieAnzahl der Beschäftigten um zwei Prozent.Die Zahl der geleisteten Arbeitsstundenging aber um mehr als sechs Prozent zu-rück. Setzt man dies ins Verhältnis zumEinzelhandelsumsatz so zeigt sich, dass dieBeschäftigten mit einem deutlich gerin-geren Umfang an Arbeitsstunden mehrUmsatz erzielen.

Dies ist zum einen möglich, da bestimm-te Arbeitsschritte, beispielsweise durch dieEinführung von Scannerkassen, heuteschneller bewältigt werden können. Zumanderen wird von den Beschäftigten aberein immer höherer Einsatz und immerhöhere Leistungen gefordert. Es kommtalso zu einer Leistungsverdichtung. DieFolge davon ist eine enorme Stressbe-lastung. Außerdem werden die Beschäf-tigten in Folge der Segmentierung derArbeit zunehmend einseitig belastet (zuSegmentierung siehe Kapitel 2.1). Wennz.B. eine Verkäuferin den ganzen Tag aufden Beinen ist, die nächste pausenlos an

der Kasse sitzt, eine andere nur schwereLasten hebt und ihre Kollegin den ganzenTag Regale einräumt, dann kann dies zuschweren gesundheitlichen Schäden führen.

1.1.6 | ARBEITSBEDINGUNGEN BEI DENDISCOUNTERN ALDI, LIDL UND SCHLECKERDa bei Aldi & Co. minimale Personalkostenzentraler Teil der Geschäftsstrategie sind,leiden ihre Beschäftigten unter schlech-teren Arbeitsbedingungen als dies im Ein-zelhandel generell der Fall ist. So ist derdurchschnittliche Anteil der Personalkostenam Umsatz bei Discountern viel geringer alsbei anderen Vertriebsformen (siehe Grafik2). Die meisten VerkäuferInnen arbeiten alsungelernte Teilzeitkräfte rund 20 bis 25Stunden in der Woche. Dabei sind die Ver-dienstchancen gering: Lidl und Schleckerzahlen maximal Tarifgehalt. Aldi zahlte zwarlange Jahre übertarifliche Gehälter, dochauch hier wälzt man den Preiskampf zu-nehmend auf die Gehälter ab, so dass teil-weise noch nicht einmal das Tarifgehalteingehalten wird. MitarbeiterInnen werdenhäufig nicht ihren Berufsjahren entspre-chend eingestuft, die anfallenden Über-

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ENTWICKLUNG DER EINZELHANDELSSTRUKTUR ●3

22,7

VERGLEICH NACH UMSATZANTEIL DERBETRIEBSFORMATE1991–2003

■ übrige Lebensmittel-

geschäfte

■ Supermärkte

■ Discounter

■ Lebensmittelabt.

SB-Warenhäuser/

Verbrauchermärkte

24,3 24,7 25,7 25,8 25,3 25,4

23,427,6

30,9 33,5 34,7 37 38,4

31,2 29,7 28,2 26 25,5 24,9 24,4

22,718,5 16,1 14,8 14 12,8 11,7

1991 1994 1997 2000 2001 2002 2003

Discounter vereinigen mittlerweile auf sichden größten Umsatzanteil im Lebensmittel-einzelhandel. Dagegen verloren in den letztenJahren die Supermärkte und die übrigenLebensmittelgeschäfte, zu denen vor allem auch kleinere Läden und Fachgeschäftezählen, an Umsatzanteilen.

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stunden oft nicht erfasst und vielfach fälltdas Weihnachts- und Urlaubsgeld zu nied-rig aus. Auch tarifliche Zulagen erhaltenviele Beschäftigte nicht. Anton Schleckerlandete wegen dieses Lohndumpings imJahr 1998 vor Gericht: Erst die Verurteilungzu einer Geldstrafe von umgerechnet einerMillion Euro und zehn Monate Haft aufBewährung konnten ihn dazu bewegen,Gehälter nach Tarif zu bezahlen.

Die Arbeitsbelastung bei Discounternist enorm. Oft sind Filialen unterbesetzt, sobeispielsweise bei Schlecker. Hier kommenauf eine Filiale in der Regel nur insgesamtdrei Beschäftigte, von denen zwei als Teil-zeitkräfte angestellt sind. Auch unbezahlteÜberstunden sind üblich. So ist bei Schleckerder tägliche Kassensturz am Ende desArbeitstages, der zwischen 20 und 45Minuten dauern kann, unbezahlte Mehr-arbeit. Auch bei Aldi wird erwartetet, dassdie Beschäftigten 30–45 Minuten täglichunbezahlt arbeiten, um morgens die Kassevorzubereiten und abends abzurechnen.

Bei allen drei Discountern sind die Be-schäftigten sowohl für die Kasse als auch fürdas Verräumen der Ware und das Reinigender Filiale zuständig. An den Kassen herrschtAkkordzwang: KassiererInnen bei Lidlmüssen mindestens 40 Produkte/Minuteüber die Scannerkasse ziehen. Aldi-Süd-MitarbeiterInnen sollen rund 90 KundInnenpro Stunde bedienen. Der Überwachungs-druck ist groß. Häufige Testkäufe, Durch-suchungen von Handtaschen und Spinden,Hausbesuche von Vorgesetzten nach einerKrankmeldung oder bei gewerkschaft-lichem Engagement sind keine Seltenheit.

Deutschlands zweitgrößter DiscounterLidl gilt als führend bei der Verhinderungvon Betriebsräten. Von bundesweit rund2.500 Filialen haben nur acht einenBetriebsrat. Lidl umgeht das Betriebsver-fassungsgesetz gezielt mit immer neuen

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SCHLECKER VERHINDERTBETRIEBSRATSARBEIT

Das Problem ist die Angst: Die Angestelltentrauen sich kaum, Betriebsräte zu gründen.Allein beim Wort ›Betriebsrat‹ erinnern sichdie Beschäftigten an die von den Bezirks-leitern stereotyp eingehämmerten Sätze:›Du hast hier bei Schlecker deinen Arbeits-platz, Schlecker bezahlt Dir Deinen Lohn.‹(...) Wir Betriebsräte fahren in die Filialen,in denen es keine Betriebsräte gibt underzählen, wie wir mit Hilfe des Betriebs-verfassungsgesetzes die Angestellten vorWillkür und mieser Behandlung schützenkönnen. Aber das spricht sich rum. Undwenn die Bezirksleiter hören, dass Ver.diund die Betriebsräte wieder unterwegswaren, dann fahren sie die Filialen ab undsagen den Leuten: ›Dein Arbeitgeber istSchlecker, Schlecker bezahlt Dir DeinenLohn und wehe, Du gründest jetzt einenBetriebsrat.‹ Sie finden fast immer Wege,dich klein zu machen.«Katrin Wegener, Betriebsrätin

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Foto: Achim Neumann, Berliner Schlecker-

Beschäftigte erstmalig im Streik, 8.7.2003

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Gründungen von Subunternehmen underteilt GewerkschafterInnen Hausverbot.Auch Aldi Süd, in dessen 1.500 Filialen esbislang nicht einen Betriebsrat gibt, gehtsystematisch gegen Betriebsratsgründun-gen vor. Im Frühjahr 2004 scheiterte eineBetriebsratswahl in München bereits zumzweiten Mal, nachdem sich der Filialleiterselbst zum Wahlvorsitzenden ernannt hat-te. Bereits nach dem ersten Versuch warendie MitarbeiterInnen einzeln zu Unterre-dungen mit den Vorgesetzen zitiert worden.

Von den rund 11.000 Schlecker-Filialenmit ihren 40.000 Beschäftigten hat inzwi-schen rund ein Viertel einen Betriebsrat.MitarbeiterInnen, die sich gewerkschaft-lich engagieren, müssen jedoch in allendrei Unternehmen um ihren Arbeitsplatzfürchten.

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DISZIPLINIERUNG DER ARBEITERiNNEN BEI SCHLECKER

»Wir wissen aus Erzählungen von Beschäf-tigten, dass in den Filialen bewusst Artikelplatziert werden, deren Haltbarkeitsdatumüberschritten ist, obwohl die Filialleiterinbeziehungsweise die Verkäuferin entspre-chend den gesetzlichen Notwendigkeitenund Arbeitsanweisungen vorher genau die-sen Artikel aussortiert hat. Auf wundersameWeise kommen diese Artikel dann wiederzurück in die Regale. Mittlerweile ist es sogarsoweit gekommen, dass – aus Schutzgrün-den – die Filialleiterin oder die Verkäuferindiesen bereits aussortierten Artikel mit demStift schwarz markieren, was bedeutete:›Hier ist das Mindesthaltbarkeitsdatum über-schritten.‹ Ein paar Tage später fand siedieses markierte Teil wieder im Regal derFiliale. Sehr zeitnah wurde dann durch dieBezirksleiter kontrolliert. In der arbeits-rechtlichen Konsequenz heißt das: Wird einabgelaufener Artikel gefunden – ein Ver-stoß gegen eine Arbeitsanweisung –, erhält

©die Filialleiterin/Verkäuferin eine Abmah-nung (Vorbereitung zur Kündigung). Beidrei Abmahnungen für die gleiche Sache,könnte sogar eine fristlose Kündigungfolgen. Dies passiert aber praktisch nie.Schlecker setzt dies als ein Steuerungsmittelein, um die Angst vor disziplinarischenMaßnahmen und die Angst vor einemmöglichen Verlust der Existenzgrundlageaufrecht zu erhalten. Es ist Bestandteil desSystems Schlecker. Bei Schlecker finden auch Testkäufe statt.Da wird dann z.B. eine Nagelfeile in einemKulturbeutel versteckt. Wenn die Verkäu-ferin beim Kassieren dies nicht bemerkt,bekommt sie eine Abmahnung. Testkäufemachen alle Kaufhäuser. Bei Schlecker istjedoch auffällig, dass diese Testkäufe ins-besondere in Filialen stattfinden, in denenBetriebsräte aktiv sind. Man benutzt alsodie Testkäufe, um die Arbeit der Betriebsrätezu behindern.

Achim Neumann, Ver.di

oben/links: Sepp Rauch, Streik Lagermitar-

beiter EDEKA, Gaimersheim 23.5.2003

oben/rechts: Kurt Poppel, Streik Einzelhan-

delsbeschäftigte, Kempten 20.5.2003

unten/links: Streik bei Lidl, Pfaffenhofen

27.5.2003

unten/rechts: Ver.di Bayern, Streik bei

Wal-Mart

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testen Arbeitsbedingungen vorherrschen.Obwohl es den Gewerkschaften gelang, dieArbeitnehmerInnen einiger großer Kettenwie Kroger, Safeway oder Costco zu orga-nisieren, arbeiten weiterhin über 15 Millio-nen Menschen ohne Tarifverträge undArbeitnehmervertretung.

© Worin liegt der Unterschied zwischengewerkschaftlich organisierten und nicht-organisierten Betrieben?ƒ In den nicht-organisierten Unternehmenund Betrieben sind die Arbeitsbedingungengrottenschlecht. Millionen Menschen erhal-ten nur den gesetzlichen Mindestlohn oderunwesentlich mehr, umgerechnet liegt da-mit der Stundenlohn meist zwischen vierbis sechs Euro. Besonders dramatisch sindfehlende Kranken- und Rentenversicherun-gen durch den Arbeitgeber. Die Stunden-löhne sind Bruttobeträge. Für die meistenBeschäftigten ist der Verdienst viel zu gering,um sich selbst zu versichern. Folglich sindMillionen Beschäftigte im Handel und derenFamilien nicht kranken- und rentenversi-chert. Viele Beschäftigte erhalten keineLohnerhöhungen, oder wenn es Lohn-erhöhungen gibt, dann werden diese nachVorlieben der Vorgesetzten beschlossen.Sie fallen meistens sehr niedrig aus undsind unregelmäßig. Der Erholungsurlaubliegt ohne Tarifvertrag oft nur bei ein oderzwei Wochen. Da es in den USA Lohn-fortzahlungen im Krankheitsfall gesetzlichnicht gibt, werden meist pro Jahr nur einbis drei Tage bezahlt. Teilzeitbeschäftigtewerden fast überall schlechter gestellt alsVollzeitbeschäftigte. Damit wird ein ganzgroßer Teil der Beschäftigten regelmäßigbei den Arbeitsbedingungen diskriminiert.

© Wie sieht es mit Ladenschluss und fle-xiblen Arbeitszeiten in den USA aus?ƒ Geschäfte öffnen sieben Tage die Woche.

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INTERVIEW MIT AGNES SCHREIEDER

DER US-AMERIKANISCHE EINZELHANDEL© Im Sommer 2004 bist Du für Ver.didurch die USA gereist, hast zahlreiche Ein-zelhandelsunternehmen besucht und Inter-views geführt. Wie ist Dein Eindruck vonder Einzelhandelsbranche in den USA? ƒ Die Handelslandschaft ist von immer we-niger Großkonzernen geprägt, die in hartemKonkurrenzkampf um Flächen und Umsätzestehen. Große Einkaufscenter oder Mallsin Randgebieten haben vielerorts dazu ge-führt, dass Läden in Innenstädten undWohngebieten fast verschwunden sind.Überleben können nur noch wenige Ket-ten, oft 99 Cent-Läden oder Exklusivlädenin großen Städten für die Reichen. Die Ver-ödung der Innenstädte bringt eine Vielzahlsozialer Probleme mit sich. Besonders hartenDruck übt das US-amerikanische Handels-unternehmen Wal-Mart auf bestehendeEinzelhandelsstrukturen aus. Wal-Mart ex-pandiert so aggressiv wie sonst kein Unter-nehmen in den USA. Vielerorts bedeuteteine Neuansiedlung das Aus für bestehendeLäden. Oft gibt es deshalb zwischenzeitlichBürgerproteste. Der Bundesstaat Vermonthat sogar durch einen verwaltungsrechtli-chen Akt das gesamte Staatsgebiet unterDenkmalschutz gestellt. Damit soll verhin-dert werden, dass Wal-Mart in irgendeinerGemeinde die Genehmigung zur Ansied-lung erhält.

© Und die Situation der Beschäftigten?ƒ Im gesamten Handel arbeiten über 20Millionen Beschäftigte. Der Handel ist dieBranche mit den meisten Arbeitnehmer-Innen in den USA. Die ganz große Mehrheitsind Frauen. Zugleich ist es die Branche, inder neben Reinigung, Catering, Restaurantsund anderen Dienstleistungen die schlech-

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alle Fotos: Aufnahmen der

US-amerikanischen Textil- und Hotel-

arbeitergewerkschaft »Unite Here«

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Viele öffnen von morgens bis nachts umzehn Uhr, manchmal auch durchgehend24 Stunden. Arbeitszeiten, Überstundenund flexible Zeiteinteilung sind große Pro-bleme für die Beschäftigten in den USA,weitaus mehr als das hier der Fall ist. DieBeschäftigten sind ohne Gewerkschaftenauf die – oft willkürliche – Arbeitszeitein-teilung ihrer Vorgesetzten angewiesen.Problematisch ist, dass Beschäftigte nie Ar-beitsverträge erhalten und damit auch keineStundenzahl vertraglich vereinbart wird. Da-mit ist nicht nur die Lage der Arbeitszeit,sondern auch die Stundenanzahl pro Wocheimmer ein Unsicherheitsfaktor. Für Nacht-und Sonntagsarbeit gibt es sehr selten Zu-schläge. Verkäuferinnen von H&M in NewYork berichteten mir, dass sie nach Laden-schluss um 22 Uhr häufig noch bis 1 odersogar 3 Uhr nachts den Laden aufräumen,auffüllen und für den nächsten Tag vorbe-reiten müssen. Am Morgen stehen sie dannwieder im Laden. Ein Großteil sind Teilzeit-beschäftigte, die im ersten Jahr überhauptkeinen Urlaub erhalten. Bei chronischerUnterbesetzung ist diese Arbeit so anstren-gend und kräfteraubend, dass rund dieHälfte der Beschäftigten nach drei Monatenihren Arbeitsplatz wieder verlässt.

© Hast Du auch die Situation bei Wal-Mart näher kennen gelernt? ƒ Wal-Mart, der größte Einzelhandels-konzern der Welt, lässt in keinem seinerLäden in den USA Gewerkschaften oderArbeitnehmervertretungen zu. Von den1,2 Millionen ArbeitnehmerInnen arbeitenbei Wal-Mart Hunderttausende nur für dengesetzlichen Mindestlohn und ohne Kran-kenversicherung. In den USA ist der Konzernfür Union-Busting, dem gezielten Verhin-dern und Bekämpfen von Arbeitnehmer-vertretungen und Gewerkschaften, berüch-tigt. Wal-Mart geht sogar soweit, dass selbst

Betriebsteile oder Häuser geschlossen wer-den, wenn dort die Beschäftigten eineGewerkschaft wählen wollen. Über dieArbeitsbedingungen bei Wal-Mart und diewachsende Gegenwehr von Beschäftigtenund Gewerkschaften ist jüngst das lesens-werte Buch »Selling Women Short« vonLiza Featherstone erschienen (Basic Books,New York, 2004).

© Hältst Du es aufgrund Deiner Erfahrun-gen in den USA für denkbar, dass sich inDeutschland ähnliche Bedingungen durch-setzen lassen? ƒ Wal-Mart ist ja nicht nur in den USA aktiv,und seine Methode des Union-Busting istinzwischen ein echter US-Exportschlagergeworden. Weltweit gibt es nur in Deutsch-land Gewerkschaften bei Wal-Mart. Aberauch deutsche Einzelhandelsunternehmenhaben viele Strategien der Unternehmens-und Personalführung aus den USA über-nommen. Viele Methoden der Mitarbeiter-führung und -kontrolle in verschiedenendeutschen und europäischen Handelskon-zernen kommen von dort. Vor allem abergreifen auch hier Arbeitgeber immer mas-siver Rechte von ArbeitnehmerInnen undVersuche, sich gewerkschaftlich dagegenzu wehren, an.

© Wie verhalten sich europäische Unter-nehmen in den USA?ƒ Es gibt in den USA mehrere Unterneh-men aus Europa. Z.B. gibt es Aldi-Lädenund eine Kette, die Aldi vor Jahren aufge-kauft hat, sie heißt Trader Joe’s. In den USAhaben Aldi-Läden und Trader Joe’s wegender ablehnenden Arbeitgeberhaltung keineGewerkschaft. Auch bei Lidl gab es schonPläne, in Übersee, nämlich zunächst in Kana-da, erste Läden zu eröffnen. Die schwedi-schen Unternehmen H&M und IKEA sindin den USA seit wenigen Jahren mit Filialen

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am Markt und von Anfang an auf Erfolgs-kurs. Interessant fand ich, dass H&M inden USA nach Berichten von Beschäftigtenvor knapp fünf Jahren sehr »gesittet« ein-gestiegen ist, und sie den Leuten sogarumgerechnet 7,5 Euro Lohn gezahlt haben.Die Kolleginnen bei H&M beschrieben aber,dass das Unternehmen binnen kurzer Zeitauf den US-amerikanischen Stil umge-schwenkt ist.

© Wie reagieren die Gewerkschaften?ƒ Der Stand der Gewerkschaften ist auf-grund des Mitgliederschwunds und desStrukturwandels schwierig. Noch vor rund25 Jahren waren 30 Prozent der Beschäf-tigten im Einzelhandel gewerkschaftlichorganisiert, heute sind es unter 8 Prozent.Die großen Kaufhausketten wie Macy´shatten früher fast überall Gewerkschaften,jetzt gibt es sie nur noch in den größtenFlaggschiffen von Macy's in New York oderPhiladelphia. An den anderen verbliebenenStandorten hat die Unternehmensleitung dieGewerkschaften mit ihren Tarifverträgennach und nach hinausgedrängt. Zeitgleichhaben die Gewerkschaften in einer Viel-zahl großer, in den letzten Jahren expan-dierender Ketten bislang nicht Fuß gefasst.Umso wichtiger ist eine aktuelle gemeinsa-me Entscheidungen der Gewerkschaftenund des Dachverbandes AFL-CIO, verstärktgegen Wal-Mart vorzugehen und dieOrganisierung in über 3.500 Läden in denUSA voranzutreiben. Denn die Situation imHandel hat eine starke Ausstrahlungskraftauf alle anderen Branchen. Da Wal-Martder größte Arbeitgeber ist, bestimmt derKonzern die Arbeitnehmerpolitik und dieArbeitsbedingungen in den USA ganz maß-geblich mit.1

Agnes Schreieder ist Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di

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ZWISCHENFAZIT Der Preiskrieg und die Flächenexplo-

sion im Einzelhandel wird auf dem Rückender MitarbeiterInnen ausgetragen. Die Kos-ten für diese zum Teil zunehmend unren-tablen Strategien werden vorwiegend hiereingespart. Die Folgen sind Stellen- undStundenabbau, Leistungsverdichtung, hoch-flexible Arbeitszeiten und niedrige Ein-kommen. Außerdem droht eine ganze Be-rufsgruppe zu verschwinden: die kundige,gut ausgebildete Fachverkäuferin. Frauensind von dieser Entwicklung besonders be-troffen, vor allem jene, die unter besondersbelastenden Arbeitsbedingungen bei Dis-countern angestellt sind.

1.2 | FOLGEN DER DISCOUNTIERUNG FÜR ARBEITNEHMERiNNEN IN DERLANDWIRTSCHAFT UND TEXTILINDUSTRIE

Ein Preisschlager jagt den nächsten: BietetAldi den Zehnerkarton Eier für 69 Cent an,so zieht Kaufland nach, und eine Wochespäter steht der gleiche Preis auf dem Kar-ton. Nehmen die Mütter der Rabattschlach-ten den Konkurrenzkampf auf, dann pur-zeln die Preise – häufig bis unterhalb derProduktionskosten.

Den aggressiven Wettbewerb bekom-men auch die Hersteller zu spüren, die denDruck in der WERTSCHÖPFUNGSKETTE nachunten an ihre MitarbeiterInnen abgeben.Dies soll im Folgenden für die Landwirt-schaft am Beispiel der Milch- und Oran-gensaftherstellung und für die Industrieam Beispiel der Produktion von Kleidungnachgezeichnet werden.

1.2.1 | SAURE MILCH:DER HANDEL MELKT DIE MILCHBAUERN Im Frühjahr dieses Jahres griffen Milchbau-ern und -bäuerinnen zu drastischen Maß-nahmen: Unter der Losung »Besser zurück

fi

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auf die Wiese als an Lidl verschenken«schütteten Landwirte in der Eifel mehreretausend Liter Milch aus. Andere zogen vordie Auslieferungslager der Discounter. Aus-löser für die Proteste waren die Preisver-handlungen des Lebensmitteleinzelhandelsmit der Molkereiindustrie, bei denen Aldieine Senkung des Einkaufspreises um rundeinen Cent pro Liter Milch durchsetzenkonnte. Für die Landwirte können solchePreise existenzbedrohend sein. Sie erhaltenheute von der Molkerei nur noch durch-schnittlich 27,7 Cent für den Liter Milch,15 Prozent weniger als noch 2001. LautAngaben des Deutschen Bauernverbandsliegt der Preis damit unterhalb der durch-schnittlichen Erzeugungskosten von 32 Centpro Liter Milch.

Dieser Preisverfall erklärt sich durch denaggressiven Konkurrenzkampf, den dieEinzelhandelsunternehmen untereinanderausfechten: Sie unterbieten sich gegensei-tig und zuweilen verkauft ein Discounterdie H-Milch sogar noch unter dem Ein-kaufspreis. Damit kann er weitere Markt-anteile erobern, auch wenn er kurzfristigVerlust macht. So konnten die Discounterim letzen Jahr beim Verkauf von Milchpro-dukten kräftig zulegen. Allein Aldi und Lidlverkauften etwa die Hälfte der in Deutsch-land produzierten Milch, den Rest teiltensich acht Großhändler untereinander auf.An den H-Milchverkäufen hält Aldi einensatten Marktanteil von 70 Prozent. Aller-dings bringt Lidl den Discount-Pionierzunehmend in Bedrängnis.

Wieso aber können Aldi und Lidl ihrePreisschlachten zu Lasten der Molkereienund MilchbäuerInnen austragen? Dies liegtzum einen an den großen Mengen, welchedie Discounter abnehmen. Die Angst voreiner Nullrunde, in der sie auf ihrer Milchsitzen bleiben, lässt Molkereien und Land-wirte fast jedes Angebot akzeptieren. Zum

anderen ist die Verhandlungsmacht derMolkereien aber auch schwach, weil mitAusnahme stark etablierter Markenwaren,wie z.B. Müllermilch, die Produkte nahezuaustauschbar sind.

Die Auswirkungen bekommen vor allemkleinere Molkereien und Landwirte zuspüren, die von vornherein vom Discounter-Sortiment ausgeschlossen sind. Sie könnennämlich die großen Mengen standardi-sierter Produkte, die von den Einzelhandels-unternehmen nachgefragt werden, nichtliefern.

Die zunehmende Nachfrage nach gro-ßen Absatzmengen ergibt sich durch dieKonzentrationsprozesse im Einzelhandelund der Herausbildung weniger Großab-nehmer, insbesondere den Discountern.Diese Unternehmen gehen verstärkt dazuüber, die Versorgung mit Milch nicht mehrlokal, sondern zunehmend regional undnational zu organisieren. So müssen bei-

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WAS IST EINE WERTSCHÖPFUNGSKETTEDer Begriff Wertschöpfungskette bezeichnet den Weg eines Produkts von seiner Herstellung

bis hin zum Verkauf. Durch seine Weiterverarbeitung und Vermarktung wird dem Produkt beim

Durchlaufen dieser Kette Wert hinzugefügt. Der Begriff der Kette hebt hervor, dass aufgrund der

Auslagerung von Arbeitsschritten heute ein Produkt vom Unter-Lieferanten, z.B. einer Heimar-

beiterin, über den kleinen lokalen Lieferanten, zum Systemlieferanten, zum Endhersteller und

schließlich zum Vertrieb über immer mehr Stationen weitergereicht wird. Der Begriff globale

Wertschöpfungskette bezeichnet jene Ketten, die über den gesamten Globus organisiert sind.

●?

WAS SIND AKTIONSWARENAktionswaren werden als Schnäpp-

chen und nicht im fortlaufenden Sortiment

angeboten. Für Discounter sind sie zentraler

Teil der Verkaufsstrategie. Zudem steigern sie

den Umsatz, weil sie in wenigen Tagen ver-

kauft, aber erst nach Monaten bezahlt wer-

den. Z.B. Aldi ist in die Top Ten des deutschen

Bekleidungshandels vorgestoßen.

●?●

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wicklung und Qualität sind im Wettbe-werb um Dumpingpreise nicht finanzierbar.Letztendlich entsprechen die niedrigenMilchpreise nicht den Produktionskosten,da vor allem Kosten für die Umwelt nichtin die Preisbildung miteinbezogen werden.So profitieren VerbraucherInnen zwar zu-nächst von den niedrigen Preisen, habenaber langfristig unter übersäuerten Bödenund verschmutzten Seen zu leiden.

Nicht zuletzt kann der Handel auch auf-grund einer verfehlten EU-Politik die Preisediktieren. Denn ein weiterer Grund für dieschwache Verhandlungsmacht der Molke-reien sowie Milchbauern und -bäuerinnenist die EU-Agrarpolitik, die anstatt einer öko-logischen und sozial verträglichen Milch-wirtschaft weiter die Produktion von Über-schüssen fördert. Diese Überschüsse werdenzunehmend exportiert – mit verheerendenAuswirkungen in den Entwicklungsländern,in denen durch Milchimporte zu Dumping-preisen aus der EU lokale und regionaleAgrarmärkte zerstört werden.

1.2.2 | BITTERE ORANGEN:BRASILIANISCHE PFLÜCKERiNNEN IN DERGLOBALEN WERTSCHÖPFUNGSKETTEOrangensaft ist nach Apfelsaft der zweit-liebste Fruchtsaft der Deutschen. Doch diewenigsten wissen, woher er stammt. VielenTetra-Packs und Flaschen ist das auch nichtzu entnehmen, hier liest man lediglich, fürwen sie produziert wurden – beispielsweisefür Lidl Neckarsulm. Die Wertschöpfungs-kette eines Tetrapacks Lidl-Orangensaftscheint somit schwer nachzuvollziehen. Lidlzumindest gibt keine Hinweise darüber,wo und unter welchen Bedingungen derSaft hergestellt wurde. Doch eine Vermu-tung liegt nahe: Über 80 Prozent des inDeutschland konsumierten Orangensaftsstammt nämlich aus dem brasilianischenBundesstaat São Paulo, dem größten Oran-

spielsweise die Hersteller von H-Milchpro-dukten für Lidl ihre Waren seit 2004 aneines von sechs neuen so genanntenCross-Docking-Zentren anstatt wie zuvoran eines von 26 Zentrallagern liefern.

Die Molkereien reagieren auf den Kon-zentrationsprozess im Einzelhandel mit Zu-sammenschlüssen und Kooperationen, umihre Verhandlungsmacht gegenüber demHandel zu stärken. So beliefert Deutsch-lands größte H-Milchmolkerei MUH dengrößten H-Milchverkäufer Aldi. Der Preis-krieg zwischen den Discountern beschleu-nigt also den Wandel der Milchwirtschaft.Dieser zeichnet sich vor allem durch dasSterben kleinerer Milchbetriebe und einerückläufige Zahl von Beschäftigten aus:Die Zahl der Beschäftigten sank allein zwi-schen 1995 und 2003 um 22 Prozent. Auchdie VerbraucherInnen bekommen die Aus-wirkungen der Discountierung auf die Land-wirtschaft und den damit verbundenenPreisdruck zu spüren. Anstrengungen inBezug auf Umweltschutz, nachhaltige Ent-

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Foto: RLV, Milchbauern protestieren am

29.4.2004 vor der Firmenzentrale von Aldi

gegen die Preispolitik des Discounters

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genanbaugebiet der Welt. Und die europä-ische Nachfrage nach dem Orangensaft-konzentrat aus Brasilien steigt noch: Alleinin den letzten zehn Jahren hat sie sich mehrals verdoppelt. Aus Brasilien kommt somithöchstwahrscheinlich auch der Saft, den esbei Lidl zu kaufen gibt.

Die Einkaufspraxis der großen Einzel-handelsunternehmen, die riesige Mengenabnehmen, fördert – ähnlich wie am Bei-spiel der Milchwirtschaft beschrieben –auch die Konzentration der Gemüse- undFruchthersteller in entfernten Produktions-ländern.

Im brasilianischen Orangensektor ist dieKonzentration bereits weit fortgeschritten:Es gibt acht große Hersteller und Exporteu-re, die den Markt weitgehend unter sichaufteilen. Alleine die beiden UnternehmenCitrosuco und Cutrale beherrschen gemein-sam mehr als die Hälfte der Exporte. Citro-suco, das mächtigste Unternehmen, gehtauf den deutschen Auswanderer Carl Fischerzurück, der Mitte der 1960er Jahre begann,den Orangenanbau und die Verarbeitungzu industrialisieren. Später kamen dann Mit-glieder der Familie Eckes ins Boot, die dasOrangenkonzentrat an ihre Verwandtenam Stammsitz im deutschen Niederholmschickten. Drittes Gründungsmitglied desKonzerns ist der US-Fruchtsaftriese Pasco.Citrosuco ist Teil einer Agrarelite, die inBrasilien große Teile des Landes unter sichaufteilt, während aufgrund der ungerechtenLandverteilung viele der BrasilianerInnen inabsoluter Armut leben. So verfügen einProzent der landwirtschaftlichen Betriebeüber die Hälfte des verfügbaren Landes.

Aufgrund der Industrialisierung derLandwirtschaft werden immer mehr Klein-bauern und -bäuerinnen durch die großenAgrarbetriebe verdrängt und strömen alsLandlose in die Elendsquartiere der Groß-städte. Zudem haben Mitte der 1990er

Jahre viele Konzentrathersteller kleinereProduzenten in den Ruin getrieben undPlantagen aufgekauft. Auch können vieleKleinbauern und -bäuerinnen ihre Existenznicht sichern, weil sie aufgrund der Kon-zentration im Einzelhandel keine Abnehmermehr für Exportprodukte finden, durch diesie bisher zusätzliche Einnahmen zu ihrerSubsistenzwirtschaft erzielten. So müssenviele, die einst selbst Orangen angebauthaben, heute als PflückerInnen arbeiten.

Ende der 1990er Jahre wurden vonGewerkschaften, Entwicklungsorganisatio-nen und »Fair Trade« Initiativen auf diekatastrophalen Arbeitsbedingungen derOrangenpflückerInnen hingewiesen. Vorallem Kinderarbeit mit ihren schwerengesundheitlichen Folgen sorgte für großesAufsehen. Daraufhin wurde ein fair gehan-delter Orangensaft in Österreich undDeutschland auf den Markt gebracht.Auch in Brasilien ist die Bekämpfung derKinderarbeit ein Anliegen geworden. Seit2000 führt das Arbeitsministerium regel-

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Fotos: Aufnahmen der Föderation der

Landarbeiter FETAESP in São Paulo

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mäßig Kontrollen in der Landwirtschaftdurch. Zudem versucht die Regierung Lula,das Problem der Kinderarbeit mittels einesSozialprogramms zu lindern.

Viele Probleme sind jedoch geblieben –auch wenn die Kinderarbeit zurückgegan-gen ist und aufgrund der gewerkschaftli-chen Arbeit im Bundesstaat mittlerweilemehr als die Hälfte der PflückerInnen offi-ziell als ArbeitnehmerInnen registriert sind.

Die andere Hälfte der inoffiziellen Ar-beitnehmerInnen sind jedoch weder kran-ken-, noch renten- oder arbeitslosenversi-chert, sie arbeiten zu Hungerlöhnen undmeist im Akkord. Besonders fatal sind diegesundheitlichen Folgen ihrer Arbeit, weilhäufig Pestizide gesprüht werden, ohnedass die PflückerInnen vorher von den Plan-tagen geholt wurden.

Die PlantagenarbeiterInnen bekommenfür 16 Orangen, die einen Liter Saft ergeben,umgerechnet nur 0,025 Cent. Ihr Anteilam Preis eines günstigen Liters Orangen-saft, wie er z.B. bei Lidl für ca. 50 Cent ver-kauft wird, entspricht somit annäherndeinem Zweitausendstel. Durch die geringeLohnhöhe sind die ArbeiterInnen größten-teils darauf angewiesen, dass ihre Kinderzuverdienen. Trotz der gesetzlichen Regu-lierung bei den OrangenpflückerInnen wirddie Kinderarbeit letztendlich nur in andereBranchen verdrängt, in denen die Kontrollenoder Gesetze weniger streng sind.

Zugleich werden staatliche Kontrolleurein der Landwirtschaft wie auch Gewerk-schafterInnen in ihrer Arbeit teils bedroht.2004 wurden vier Inspekteure und ihrChauffeur erschossen. Im gleichen Jahrwurde Ribamar Francisco dos Santos, einFührungsmitglied der Landarbeitergewerk-schaft, vor seinem Haus ermordet. In bei-den Fällen wird vermutet, dass die Mordevon Großgrundbesitzern in Auftrag gegebenwurden.

GESUNDHEITSSCHÄDEN DER PFLÜCKERiNNEN»Ein Pflücker füllt an einem Arbeits-tag 50 Kisten, dafür muss er unge-fähr fünftausend Orangen pflücken.Er steigt Holzkonstruktionen hochund runter, die fälschlicherweise alsLeitern bezeichnet werden –, bela-den mit einem Sack, der ihm den Halsabschnürt. Eine Kiste wiegt annäh-ernd 27 Kilogramm. Am Abend hatder Pflücker 1.350 Kilogramm Früch-te geschleppt, und das für 2,5 Dollar.›Am Ende jedes Tages schmerzen dieFüße, schmerzt der Rücken, schmer-zen die Hände, es schmerzt bis zuden Haaren‹, kommentiert João, einbrasilianischer Pflücker im Streik.

Iglesias, Gerardo: »Cuando los trabajadores dicen basta y salen del monte«, Homepage der lateinamerikanischen Sektion IUL,www.rel-uita.org.

24 MENSCHEN HANDELN

DIE SUPERREICHEN IM DEUTSCHEN HANDEL – PRIVATVERMÖGEN IN MRD. EURO

30,3 Mrd. Euro Theo & Karl Albrecht: Aldi Nord/Aldi Süd

7,2 Mrd. Euro Familie Haniel: Metro AG

6,1 Mrd. Euro Ingeburg Herz: Tchibo

6,0 Mrd. Euro Werner & Michael Otto: Otto

4,2 Mrd. Euro Otto Beisheim: Metro AG

4,2 Mrd. Euro Familien Schmidt-Ruthenbeck: Metro AG

4,15 Mrd. Euro Familie Haub: Tengelmann

3,5 Mrd. Euro Familie Brenninkmeyer: C&A

2,3 Mrd. Euro Heinz Baus: Bauhaus

1,65 Mrd. Euro Madeleine Schickedanz: KarstadtQuelle AG

1,5 Mrd. Euro Josef Boquoi: bofrost

1,25 Mrd. Euro Thomas Bruch: Globus

1,2 Mrd. Euro Hein-Horst Deichmann: Deichmann

1,15 Mrd. Euro Familie Schlecker: Schlecker

●4

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INTERVIEW DULCLAIR STERNADT ALEXANDRE

DIE ARBEITSSITUATION VON ORANGEN-PFLÜCKERiNNEN IN BRASILIEN© Wie ist die Situation der ArbeiterInnenin Brasilien?ƒ Es gibt hier ein Arbeitsgesetz, das regeltdie Wochenarbeitszeit, die Bezahlung derÜberstunden, Ferien, das 13. Monatsgehalt,den Mutterschaftsurlaub usw.. Jene Arbei-terInnen, die unter diesem Gesetz arbeiten,verfügen also über zahlreiche Rechte. Abernicht alle ArbeiterInnen sind gesetzlich re-gistriert und nicht alle Arbeitgeber respek-tieren dieses Gesetz.

© Wie hoch ist der Anteil jener, die nichtregistriert sind?Es gibt ca. 150.000 ArbeiterInnen, die offi-ziell registriert sind und die diese Rechteeinfordern können. Aber es gibt auch immernoch ca. 100.000 ohne Registrierung. Siearbeiten für so genannte »gatos« (deutsch:Kater), das sind so etwas wie Arbeitsleih-firmen. Sie haben den persönlichen Kontaktzum Arbeitgeber und ihnen gehören dieBusse, die die ArbeiterInnen zu den Planta-gen fahren. Die müssen solche Dienste vonihrem knappen Lohn teuer bezahlen.

© Wie viel verdient eine OrangenpflückerInbzw. ein Orangenpflücker?ƒ Der Grundlohn beträgt monatlich 79Euro. Wird viel gepflückt, dann kann der/diePflückerIn monatlich auf knapp 158 Eurokommen. Für die Miete eines Hauses sindmonatlich schon 40 Euro fällig. Eines unse-rer wichtigsten Ziele ist, eine angemesseneLohnzahlung zu erkämpfen, denn die jetzi-gen Einkommen reichen einfach nicht aus,um die Lebenshaltungskosten zu decken.Normalerweise arbeiten sie sechs Monateauf der Orangenplantage und suchen sich

für das restliche Jahr Arbeit auf den Kaffee-oder Zuckerrohrplantagen.

© Wie sieht ein normaler Arbeitstag einesPflückers aus? ƒ Sie wachen in der Früh um 4.30 Uhr aufund frühstücken, dann verlassen sie ihrHaus bepackt mit der Verpflegung für denganzen Tag. Mit dem Bus fahren sie zwi-schen 20 Minuten und 1,5 Stunden, um zuihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Um 11Uhr haben sie Mittagspause und am Nach-mittag noch einmal 30 Minuten Pause, umeinen Kaffee und Brot einzunehmen. Abernormalerweise machen die ArbeiterInnenkeine langen Pausen und essen sehrschnell, um keine Zeit zu verlieren. DerDruck ist hoch, denn sie sind darauf ange-wiesen, zusätzlich zum Grundlohn nochentsprechend ihrer Leistung bezahlt zuwerden. Um fünf nehmen sie dann wiederden Bus nach Hause.

© Was sind die gesundheitlichen Auswir-kungen dieser Arbeit?

MENSCHEN HANDELN

©

Foto: FETAESP, Brasilien

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ƒ Am schlimmsten sind die Probleme mitder Wirbelsäule aufgrund des Gewichts derOrangensäcke und die Hautprobleme we-gen der starken Sonneneinstrahlung. Außer-dem haben viele wegen des Einsatzes vonchemischen Pflanzenschutzmitteln Problememit der Lunge. Aber es gibt hierüber kaumUntersuchungen und auch die Arbeiter-Innen selbst sehen selten den Zusammen-hang zwischen ihren Gesundheitsproblemenund den schlechten Arbeitsbedingungen.

© Gibt es noch Kinderarbeit?ƒ Das ist gesetzlich verboten, aber es gibtnach wie vor wenige Kinder zwischen 13und 16 Jahren, die als Pflücker arbeiten.

© Was sind aus Deiner Perspektive als Ge-werkschafterin die grundlegenden Problemein diesem Sektor?ƒ Die Hauptprobleme sind die vielen nichtregistrierten ArbeiterInnen, die geringeVerwendung von Arbeitsschutzmitteln, die»gatos«, die den Lohn der ArbeiterInnendrücken, die Pflanzenschutzmittel, die inanderen Ländern aufgrund der gesund-heitlichen Schäden, die sie verursachen,verboten sind, hier aber weiter verwendetwerden, sowie der Druck der Arbeitgeber,den Wettbewerb zwischen den Arbeiter-Innen zu verschärfen. Zudem sind unsereGewerkschafterInnen nicht sehr gut aufdie Verhandlungen mit den Arbeitgebernvorbereitet. Außerdem erlauben sie keineVersammlungen während der Arbeitszeit,was aber der einzige Moment ist, wo allezusammenkommen können. Uns fehlt auchdas Geld, um die Leute zu mobilisieren,aufzuklären und das Bewusstsein für dieWichtigkeit von Gewerkschaften und eineroffiziellen Registrierung zu schaffen.1

Dulclair Sternadt Alexandre, Föderationder LandarbeiterInnen in São Paulo

DIE WERTSCHÖPFUNGSKETTE EINES ORANGENSAFTS

1 | Anbau und Pflege der Orangenbäume

2 | Ernte

3 | Transport

4 | Sortieren und Waschen 5 | Entsaften, Konzentrieren/Tiefkühlen

6 | Transport zum Hafen, Verschiffung

7 | Tiefkühllagerung in Rotterdamm8 | Rückverdünnen des

Konzentrats und Abfüllen

9 | Lager 10 | Supermarkt

11 | Konsum

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,

,

Q

Q

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Transfair

Transfair

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EINSCHUB | SAISONARBEITERiNNEN AUF DEM GLOBALEN ARBEITSMARKTPrekarisierte SaisonarbeiterInnen sind zu-nehmend auch in Europa und Deutschlandin der Erntearbeit anzutreffen. Es handeltsich vor allem um legale und illegalisierteEinwandererInnen. Auf sie wird zurückge-griffen, um Lohnkosten zu sparen und denDruck auf die übrigen Beschäftigten zu er-höhen. Sie werden schlechter gestellt als ihredeutschen KollegInnen und arbeiten unter-halb der normalen Standards. Manche re-gionalen Branchen wie z.B. die US-ameri-kanische Textilindustrie an der Westküsteoder die Landwirtschaft Südspaniens wür-den ohne diese illegalisierten Einwanderer-Innen schlicht zusammenbrechen.

Nach Deutschland kamen 2002 auflegalem Weg offiziell 265.000 temporärBeschäftigte in der Landwirtschaft, davonwaren zwischen 80 und 90 Prozent ausPolen. Nach Expertenschätzungen liegt dieZahl der illegalisierten SaisonarbeiterInnenetwa noch einmal genauso hoch. Bei derErnte von Trauben, Gurken oder Spargelwerden sie im Gegensatz zu den deut-schen ArbeiterInnen meist nach Akkordbezahlt. Die Löhne liegen durchschnittlichzwischen 3,50 und 4 Euro. Immer wiederkommt es vor, dass legale und illegalisierteSaisonarbeiterInnen diskriminiert werden.

Dies verdeutlicht ein Beispiel aus demsüdhessischen Lampertheim. Dort heuerteein Landwirt beim örtlichen ArbeitsamtJahr für Jahr osteuropäische Saisonarbeiter-Innen für die Spargelernte an – überwie-gend Frauen. Als die Arbeiterinnen ankamenund auf dem Hof des Landwirts ihre Unter-kunft bezogen, mussten sie zunächst denSchimmel von den Wänden kratzen. Erstnach drei Tagen erhielten sie Bettwäsche.Nur ein Mal die Woche wurde für die Frau-en frisches Brot auf dem Hof angeliefert.Der Landwirt behielt von dem niedrigen

SAISONARBEITERiNNEN INEUROPAS LANDWIRTSCHAFTEuropäisches BürgerInnenforum und CEDRI (Hg.): Bittere Ernte. Die moderne Sklaverei in der industriellen Land-wirtschaft Europas, Zürich 2004.

Gehalt der Frauen 8 Euro pro Tag für dieVerpflegung ein. Für die miserable Unter-kunft berechnete er weitere 6,22 Euro.Nach knapp einem Monat Arbeit auf denSpargelfeldern kündigte der Landwirt denErntehelferinnen die Arbeitsverträge aufund schickte sie nach Hause. Neben denhorrenden Unterkunfts- und Verpflegungs-kosten zog der Landwirt nun auch nochüberhöhte Sozialversicherungsbeiträge ab.Das Ergebnis: Den Arbeiterinnen bliebennach einem Monat Schuften auf dem Feldgerade noch 220 Euro. Sie klagten vor demArbeitsgericht.

Foto: Paul Glaser, Polnische Saisonarbeiter

in Brandenburg

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1.2.3 | JEDE WOCHE DIE GLEICHE WELT!ARBEITSBEDINGUNGEN IN DER TEXTILINDUSTRIE Tchibo wirbt mit dem Slogan ›Jede Wocheeine neue Welt‹. Aber für die ArbeiterInnen,die global für Tchibo, Hennes & Mauritz(H&M) oder für Aldi & Co. produzieren,beginnt jede Woche die gleiche Welt vonvorne. Eine Welt, in der sie Hungerlöhneverdienen, Überstunden erzwungen wer-den, freie Tage die Ausnahme darstellenund bei Schwangerschaft die Kündigungdroht. Manche von ihnen arbeiten in skla-venähnlichen Verhältnissen, viele Frauenunter ihnen erleben ihre Arbeit aber auchals eine Art Befreiung: Nicht selten ist esfür sie die einzige Möglichkeit, der Armutund Enge ihrer Dörfer zu entkommen undsich in einer männerdominierten Welt miteinem eigenen Einkommen ein StückchenFreiheit zu schaffen.

Die Billiganbieter, die zu NiedrigstpreisenMassenwaren auf den Markt werfen, neh-men keine Rücksicht darauf, unter welchenBedingungen diese Waren hergestellt wer-den. Diese Strategie ist erfolgreich: WährendWarenhäuser wie Karstadt und klassischeFachgeschäfte seit Jahren Umsatzrückgängezu verzeichnen haben, fahren die DiscounterGewinne ein und setzen mit ihrem wö-chentlich wechselnden Aktionswarenan-gebot die traditionellen Handelskettenunter Druck. Ein Billiganbieter von Textil-waren, der derzeit boomt, ist Tchibo. Werden Namen hört, denkt zunächst an Kaffee.Der Non-Food Bereich macht jedochmittlerweile über die Hälfte des Umsatzesaus. Rund 400 bis 500 Textil- und Be-kleidungsprodukte vertreibt der Konzernüber die hauseigene Marke TCM. So istTchibo zum achtgrößten deutschen Textil-händler aufgestiegen. In Deutschland hatdas Unternehmen rund 870 Filialen, ver-treibt seine Produkte aber auch über mehr

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KÜNDIGUNG BEI TCHIBO-ZULIEFERER URMI GARMENTS

»Bevor wir gehen durften, wurde uns münd-lich unsere fristlose Kündigung ausgespro-chen. Wir verlangten daraufhin eine uns ge-setzlich zustehende Abfindung in Höhe von3 Monatslöhnen. Bisher haben wir nichtserreicht. Die Direktoren von Urmi Garmentsmussten einmal vor Gericht erscheinen undwiesen unsere Entschädigungsforderungenstrikt zurück. Seitdem wird die Fortführungder Verhandlung immer wieder vertagt, undwir haben noch nicht einmal unser Restge-halt (…) erhalten.«

©

ARBEITSBEDINGUNGEN INDER TEXTILINDUSTRIEKampagne für Saubere Kleidung (Hg.): Tchibo. Jede Wocheeine neue Welt? Nicht für die Textilarbeiterinnen,Wuppertal, Februar 2005.

Foto: TIE, Bekleidungsfabrik in Bangladesch

Foto: Guido Siegel

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als 45.000 Verkaufsstellen in Lebensmittel-märkten, Drogerien, Bäckereien und Bau-märkten. Kaum ein Ort, wo die wöchentli-che neue Welt nicht die VerbraucherInnenerreicht. Das Konzept zahlt sich aus: Trotzder allgemeinen Wirtschaftsflaute konnteder Konzern seinen Umsatz 2003 um achtProzent auf 3,3 Milliarden Euro steigernund einen Gewinn von 300 Millionen Euroerwirtschaften.

Das Tchibo-Sortiment ändert sich wö-chentlich. Rund 18 Monate vor dem ge-planten Verkaufszeitpunkt beginnen diePlanungen für die Angebote. Etwa neunMonate vor dem Verkauf wird das Designfestgelegt, ein halbes Jahr vorher die Pro-duktionsmenge der einzelnen Artikel. Tchibokann die Preise diktieren und zahlt immerweniger – die Lieferanten müssen diesakzeptieren. In jeder Saison werden diePreise gedrückt, alle sechs Monate wirdneu verhandelt. Rund zehn Prozent seinesNon-Food-Sortiments vergibt Tchibo inzwi-schen über Internet-Auktionen, und dasheißt: Der billigste Anbieter bekommt denAuftrag (siehe Kapitel 2.3.2). Damit stehendie Lieferanten unter starkem Kostendruck,den sie an die ArbeiterInnen weitergeben.

1.2.4 | VERHALTENSKODIZES BEI TCHIBO UND H&M: PAPIER ISTGEDULDIGDie Auswirkungen seiner Einkaufspolitik in-teressieren den Konzern nicht. Zwar hat sichTchibo einen sozialen VERHALTENSKODEXzugelegt, doch der weist erhebliche Mängelauf – so fehlt beispielsweise das Recht aufTarifverhandlungen. Dieses zählt aber zuden so genannten Kernarbeitsnormen, diefür alle Mitgliedsländer der InternationalenArbeitsorganisation (ILO) verbindlich sind.

Eine unabhängige Kontrolle des Kodexlässt Tchibo auch gar nicht zu: Die Über-prüfung der Zulieferbetriebe hat Tchibo

zwar einer fremden Firma übertragen, aberdie garantiert dem Konzern, dass kein Kon-trollbericht an die Öffentlichkeit gelangt.Ohne eine unabhängige Kontrolle ist derVerhaltenskodex allerdings nicht mehr wertals das Papier, auf dem er geschrieben steht.

GewerkschafterInnen und VertreterInnenvon Nichtregierungsorganisationen wirdaußerdem der Zutritt zu den Produktions-stätten verweigert. Mit gutem Grund, wieeine aktuelle Untersuchung der Kampagnefür Saubere Kleidung nahe legt. Der Reportzeigt: In Tchibo-Zulieferfirmen in Bangla-desch wird nicht nur permanent gegen den

MENSCHEN HANDELN

WAS IST EIN VERHALTENSKODEXSeit Ende der 1990er Jahre geben immer mehr Konzerne eine freiwillige Erklärung ab, in

der sie für sich und ihre Zulieferer die Einhaltung bestimmter Sozial- und Umweltstandards garan-

tieren. Damit reagieren sie auf die aufflammende Kritik an der Unkontrollierbarkeit global agie-

render Konzerne. Mit solchen freiwilligen Selbstverpflichtungen umgehen sie die Forderung nach

rechtlich einklagbaren Regulierungen und geben sich ein sozial-ökologisches Image. Auch die

Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels (AVE), die seit 1952 die Außenhandels-

interessen deutscher Einzelhandelsunternehmen vertritt, hat einen eigenen Verhaltenskodex.

●?

Foto: TIE, Bekleidungsfabrik in Bangladesch

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Kodex des Unternehmens, sondern auchgegen das schwache nationale Arbeitsrechtverstoßen. Der gesetzliche Mindestlohn be-trägt in Bangladesch 13 Euro im Monat, diegesetzlich erlaubte Arbeitszeit 60 Stundenpro Woche. Das Land lebt von der Beklei-dungsindustrie, die rund 76 Prozent derExporterlöse erwirtschaftet. In den über3.000 Fabriken, die Kleidung für den Welt-markt produzieren, arbeiten ca. zwei Millio-nen Frauen. Meist sind sie jünger als 25Jahre. Die Bekleidungsfabriken schossen inden 1980er Jahren aus dem Boden. Unter-nehmer wandelten Privathäuser in Fabrikenum, die bis heute über keine ausreichendenSicherheitsstandards verfügen.

Die Arbeitsbedingungen in den Tchibo-Zulieferfirmen sind katastrophal: Arbeits-zeiten von zwölf bis vierzehn Stunden amTag sind die Regel, hinzu kommen oftunangekündigte Extraschichten. Gearbei-tet wird solange wie nötig – in den Haupt-produktionszeiten bis zu 90 Arbeitsstundendie Woche. Löhne werden fast immer er-heblich verspätet gezahlt, und Urlaub oderfreie Tage bei Krankheit gibt es nicht. Invielen Fabriken dürfen die ArbeiterInnennicht miteinander sprechen. Es gibt keinsauberes Trinkwasser und nur mangelndesanitäre Einrichtungen. Das Arbeitsumfeldist eng, heiß und stickig. Staub und Flusenverursachen Atembeschwerden. Nach achtbis neun Jahren in der Fabrik sind die Ar-beiterInnen gesundheitlich nicht mehr inder Lage, diesem Druck standzuhalten. Die-jenigen, die sich gewerkschaftlich organi-sieren, werden entlassen. Für sie ist Tchibos»neue Welt« eine Welt der Unfreiheit.

Auch der schwedische Bekleidungskon-zern Hennes & Mauritz (H&M) hat sich vorwenigen Jahren einen internationalen Ver-haltenskodex für seine Zulieferer auferlegt.Der Kodex bezieht sich auf das Mindestalterder Beschäftigten, Arbeitssicherheit, Arbeits-

MENSCHEN HANDELN

VERLETZUNGEN DER MENSCHENRECHTE BEI TCHIB0-

ZULIEFERER URMI GARMENTS »Das Arbeitsumfeld ist ungesund, ich hatteoft Kopfschmerzen und etwas Fieber. Daskommt von den vielen Nachtschichten, bis3 Uhr morgens manchmal. Auch an denFreitagen mussten wir arbeiten.« Eineandere Arbeiterin berichtet: »Am meistengraute mir immer vor den Hauptprodukti-onszeiten. Dann wurde ich regelmäßig zuÜberstunden gezwungen. Unsere Arbeits-zeiten betrugen bis zu 100 Stunden in derWoche. Nach meiner Tagschicht von 12,5Stunden musste ich noch weitere 4-5Stunden in der Nacht arbeiten. Auf unswurde ständiger Druck ausgeübt. Manch-mal konnte ich die Augen nicht mehr auf-halten. Dabei habe ich in der EndkontrolleFehler übersehen. Das war schlimm. DerVorarbeiter hat mich angeschrieen undauch geschlagen.«

Aus: Tchibo. Jede Woche eine neue Welt?

Foto: Guido Siegel

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Unternehmen Textilumsatz 2003 in Mrd. Euro Wachstum 2003 in Prozent

Schwarz-Gruppe 1 +33,3%

Tchibo 1,07 +26,9%

Aldi-Gruppe 1,4 +23,0%

H&M 1,8 +3,3%

KarstadtQuelle 6,35 –2,0%

Otto-Gruppe 3,66 –4,9%

Metro 3,3 –

C&A 2,7 –2,5%

Peek&Cloppenburg 1,36 –5,5%

Klingel 0,76 –3,8%

DISCOUNTER LEGEN AUCH IM TEXTILEINZELHANDEL ZUDIE TOP 10 IM BEKLEIDUNGSHANDEL

©

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Die Schwarz-Gruppe, Aldi, H&M und Tchibo steigern ihren Umsatz im Textilhandel. Dagegen ver-bucht der klassische Textileinzelhandel Umsatzeinbußen.

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bedingungen, Umweltschutz, Unterkunfts-bedingungen, Gesundheit und Hygiene.

Wie Tchibo lässt auch H&M in Bangla-desch nähen. Der Konzern hat dort zwareinen internationalen Manager, der regel-mäßig die Fertigungsstätten von H&M-Zu-lieferern besucht, unabhängige Kontrollenwerden aber auch hier nicht zugelassen.Wie eine aktuelle Befragung einer bengali-schen Textilgewerkschaft in H&M-Zuliefer-betrieben ergab, wird in allen Fabrikengegen geltendes Arbeitsrecht und auchgegen den H&M eigenen Verhaltenskodexverstoßen. Die Löhne liegen häufig nochunter dem vorgeschriebenen Mindestlohn,Überstunden werden erzwungen, pro Mo-nat gibt es höchstens ein bis zwei freieTage. Gesetzlich besteht ein Anspruch aufdrei Monate Mutterschutz, tatsächlich wer-den Schwangere häufig entlassen. Andersals der H&M-Kodex es vorsieht, sind dieArbeitsplätze nicht sauber, sondern laut,schmutzig und überfüllt. Es gibt keine Kan-tine oder einen anderen Platz zum Essen,ganz zu schweigen von der ebenfalls vor-gesehenen Kinderbetreuung und der medi-zinischen Versorgung für die Beschäftigten.Arbeiterinnen, die sich gewerkschaftlichorganisieren, werden entlassen. Zuletzt -kamen 2001 bei einem Feuer in einemH&M-Zulieferunternehmen in Bangladeschmehr als 40 Arbeiterinnen ums Leben, dadie Feuerschutzbestimmungen nicht ein-gehalten wurden.

FAZIT | DISCOUNTIERUNG DER ARBEITSBEDINGUNGEN

Discountierung und Globalisierung im Ein-zelhandel wirken sich auf die gesamteWertschöpfungskette aus. Davon betroffensind Beschäftigte im Einzelhandel genausowie ArbeitnehmerInnen in der Produktion.Gespart wird sowohl bei den eigenenBeschäftigten als auch im weltweiten Ein-

kauf, was sich wiederum dort auf die Löhneauswirkt. Obwohl viele Konzerne sich imRahmen von Verhaltenskodizes zu gewissenStandards beim Einkauf verpflichten, neh-men sie zuweilen Menschenrechtsverlet-zungen in Kauf.

Aber selbst wenn sie sich ganz »kor-rekt« verhalten, ist es doch der von ihnenverursachte Preisdruck, der dazu führt, dassMilchbauern und -bäuerinnen, Orangen-pflückerInnen und Näherinnen gleicher-maßen unter der ›Hauptsache-billig‹-Stra-tegie leiden.

MENSCHEN HANDELN

fi ●6PREISZUSAMMENSETZUNG EINES IN BANGLADESCH HERGESTELLTEN T-SHIRTS

■ Markenwerbung: 25%

■ Fabrikkosten: 13%

■ Transport und Steuern: 11%

■ Lohnkosten: 1%

■ Gewinn und Kosten des Einzelhandels: 50%

25%

1%

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11%

50%

Foto: TIE, Demonstration in Sri Lanka

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der einzelnen Arbeitsschritte im Einzelhan-del ab. Gegenstand von Rationalisierungsind meist Personalkosten, die verringertwerden sollen. Dazu verfolgen Unterneh-men im Wesentlichen drei Strategien, dieeng miteinander verzahnt sind: Erstens über-tragen sie immer mehr Dienstleistungen aufdie KundInnen. Diese Strategie markierteden Auftakt des Strukturwandels im Ein-zelhandel in den 1960er Jahren und ist engverbunden mit der Durchsetzung neuerBetriebsformate – der Ablösung von Bedie-nungsläden mit Theke durch Selbstbedie-nungsläden. Zweitens werden menschlicheDienstleistungen durch technische Innova-tionen verändert und bisweilen gar ersetzt.Ein Meilenstein der Rationalisierung im Ein-zelhandel ist die Einführung der Scanner-kasse. Drittens verfolgen Unternehmen eineStrategie der Segmentierung des Arbeits-prozesses, d.h. sie zerlegen den Verkaufs-prozess zunehmend in kleinteilige Arbeits-abschnitte wie das Anfahren und Einräumender Ware, die Reinigung, das Rückräumender Ware und das Kassieren. Sie organisie-ren dann jeden einzelnen Arbeitsabschnittentsprechend seiner speziellen Anforderun-gen allein nach dem Kriterium der Kosten-effizienz. Hier gibt es zwei Möglichkeiten:Entweder greifen Unternehmen auf Teilzeitund geringfügige Beschäftigung zurück,oder sie lagern Arbeitsschritte aus.

2.1.1 | SEGMENTIERUNG:VIELE HÄNDE SIND FLEXIBEL UND BILLIGBei dem Rückgriff auf Teilzeitbeschäftigteund Mini-JobberInnen wird der Verkaufs-prozess entsprechend den Anforderungenan die Qualifikation der Beschäftigten inunterschiedliche Einheiten aufgeteilt. Dasqualifizierte Personal erledigt jene Arbeits-schritte, die eine höhere Qualifikation unddamit auch Bezahlung verlangen. Dagegenwerden alle geringqualifizierten Tätigkeiten

Wenn die Verschlechterung der Arbeits-situation der Beschäftigten angeklagt wird,reagieren Unternehmen meist mit demArgument des ökonomischen Sachzwangs:Die Krise des Einzelhandels zwinge sie, sound nicht anders zu handeln. Doch die aktu-elle Entwicklung ist weder ein Schicksals-schlag noch alternativlos. Sie ist das Er-gebnis bewusst gewählter ökonomischerund politischer Strategien. Einige Strategiender Konzerne, die maßgeblich zu der be-schriebenen Veränderung der Arbeitsbe-dingungen geführt haben, sollen hier auf-gezeigt werden: die Segmentierung desArbeitsprozesses, die Konzentration durchExpansion und die Globalisierung des Ver-triebssystems und des Beschaffungswesens.

2.1 | RATIONALISIERUNG ZU LASTEN DERBESCHÄFTIGTEN: DIE SEGMENTIERUNGDES ARBEITSPROZESSES

Rationalisierung zielt auf eine effizientereund damit kostengünstigere Organisation

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

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AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT? – KONZENTRATION UND INTERNATIONALISIERUNG DES

EINZELHANDELS

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33AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

wie z.B. Auspacken, Ein- und Ausräumenorganisatorisch abgetrennt und kosten-günstigeren Beschäftigten zugewiesen. Bei-spielsweise wird so an Bedienungsthekendas Zuschneiden von Käse und Wurst zu-nehmend von der Bedientätigkeit abgekop-pelt. Die Tätigkeit, Kleidung einzuordnenoder Salamischeiben zu schneiden, reichtaber nicht aus, um Vollzeit- bzw. Teilzeit-stellen mit hoher Stundenzahl zu schaffen.Dementsprechend werden sie zunehmendvon geringfügig Beschäftigten erledigt, diekeine Ausbildung haben und folglich auchweniger verdienen. Aber auch im Bereichdes qualifizierten Personals führt diese Stra-tegie der Unternehmen zu einer Aushöh-lung von Vollzeitarbeit, weil Tätigkeiteneiner Vollzeitbeschäftigten beispielsweise aneine Mini-Jobberin abgegeben werden. Füralle Beschäftigten heißt das, dass die Viel-seitigkeit der Verkaufstätigkeit abnimmt,während die Belastung steigt und es immerschwieriger wird, Vollzeitstellen zu finden.Dennoch wird die qualifizierte Vollzeitstellenicht gänzlich verschwinden, denn die Un-ternehmen benötigen sie als Garant fürStetigkeit und einen reibungslosen Arbeits-ablauf: Vollzeit-Beschäftigte übernehmendie Aufgabe des »Ankers« in den Filialen.Aus Perspektive der Unternehmen ist eineFilialbesetzung ideal, bei der möglichst we-nig fest angestellte VerkäuferInnen ergänztwerden durch eine Vielzahl von Aushilfenfür die unqualifizierten Routinetätigkeiten.

Teilzeitarbeit wird besonders im Kassen-bereich und beim Wareverräumen ange-wendet. Im Kassenbereich ermöglicht sieden zeitlich flexiblen Einsatz. Hier schwanktdie Kundenzahl sehr stark und es gibt Zeitenam Tag, an denen nur wenige und andere,an denen alle Kassen besetzt werden. Inden Stoßzeiten kommen dann die Teilzeit-kräfte zum Einsatz. Anders ist es im Bereichdes Wareverräumens: Hier sind es sehr kurze

Arbeitsabschnitte von etwa zwei Stunden,die meist zu den gleichen Zeiten verrichtetwerden müssen. Diese Arbeiten werdenvielfach von neuen Beschäftigungsgruppenwie RentnerInnen, StudentInnen und Schü-lerInnen als Mini-Jobs erledigt. Sie erhöhendie Flexibilität des Unternehmens durch ihrgeringes Stundenvolumen und ihre kurzeKündigungsfrist von vier Wochen.

Die Beispiele zeigen, dass Unternehmenin erster Linie auf quantitative, also mengen-mäßige Flexibilität setzen: Je nach Bedürf-nissen werden Beschäftigte, die nur be-stimmte, abgegrenzte Tätigkeiten aus-üben, eingestellt oder entlassen bzw. ihreArbeitszeit erhöht oder reduziert. Im Gegen-satz dazu stand die Organisation des Ar-beitsprozesses zuvor unter dem Motto »Allemüssen alles können«. Dadurch wurde einequalitative Flexibilität gewährleistet, die aufder vielseitigen Einsetzbarkeit einer festenZahl von Beschäftigten basierte.

Die Segmentierung des Arbeitsprozessesentsprechend der unterschiedlichen Anfor-

Foto: Werner Bachmeier, Verpacken von

Frischfleisch für die Selbstbedienungstheke

bei Real Schwabach

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derungen an Qualifikation und zeitlicheFlexibilität führt zur Zunahme von Teilzeit-arbeit und geringfügiger Beschäftigung.Segmentierung des Arbeitsprozesses kannaber auch bedeuten, dass ein Unternehmensich entscheidet, einen bestimmten Arbeits-abschnitt an eine Fremdfirma zu vergeben.In diesem Fall wird von Outsourcing ge-sprochen – ebenfalls eine Strategie zurKostenreduzierung.

2.1.2 | AUSLAGERN STATT SELBERMACHEN: DER TREND ZUMSCHLANKEN UNTERNEHMENIm Lidl-Zentrallager der Region Unna gabes – was bei Lidl eine echte Rarität ist –über Jahre einen funktionierenden Betriebs-rat. Als man versuchte, für die Betriebsrats-wahlen 2002 einen gemeinsamen Betriebs-rat für die Bereiche Lager, Verwaltung undVerkaufsstellen im Kreis Unna aufzustellen,reagierte die Lidl-Geschäftsführung jedochprompt. Kurzerhand gliederte sie die 120Verkaufsstellen in der Region in die LidlVertriebs GmbH & Co KG aus. Ein Jahr spä-ter wurde auch der Fuhrpark des Lidl-Lagers an das Unternehmen Hägele Gruppeabgegeben. »Zufällig« traf dies auch denengagierten Betriebsratsvorsitzenden MarioSchuler, der als Fahrer für Lidl arbeitete.Diese Auslagerung in Unna ist allerdingskein Einzelfall. Ende 2004 schloss Lidl dieAuslagerung seines gesamten Fuhrparks ab.Ziel war es, den Einfluss der Beschäftigtenzu schwächen und ihre Organisation ineinem starken Betriebsrat zu verhindern.Und die Auslagerung bietet noch weitereVorteile: Leerfahrten müssen nun vom Spe-diteur bezahlt werden. Zudem sind die Spe-diteure kostengünstiger, denn nun werdendie Fahrer nicht mehr wie zuvor nach demEinzelhandelstarifvertrag, sondern nach denum rund ein Viertel niedrigeren Gehälterndes Speditionsgewerbes bezahlt.

34 AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

VERKAUFEN IN MINNESOTA:KLEIDER WEGRÄUMEN BEI WAL-MART»Im Personalbüro sagt mir jemand, dass ich bei der Damenoberbekleidung arbeite(...). Im Laufe des Tages wird dann immer deutlicher, dass unsere Arbeit darinbesteht, die Damenbekleidung »shoppable« (also »verkaufsbereit«) zu halten. (...)Zu Beginn meiner Schicht oder am Ende einer Pause schätze ich den Flurschadenab, den die Gäste in meiner Abwesenheit angerichtet haben, zähle die vollen Ein-kaufswagen, die auf mich warten, und dann lege ich los. (...) Doch nicht die Kundinnen sind meine Bezugsgruppe, sondern die Kleidungs-stücke. Und in der Hinsicht widerfährt mir in meiner dritten Schicht etwas ganzEigenartiges: Ich beginne, die Kleidungsstücke als die meinen anzusehen, aber nichtin dem Sinn, dass ich sie mitnehmen und anziehen wollte, ich bin ja auch gar nichtscharf auf sie. Nein, es sind meine, weil ich sie verwalte und unter mir habe. (...) Ich patrouilliere das Revier mit meinem Einkaufswagen, um falsch platzierte undzu Boden gefallene Artikel aufzuheben und dafür zu sorgen, dass die ganzeAbteilung wieder tiptop aussieht. Ich fummle die Kleidung nicht auseinander, wiees die Kundinnen tun, ich staple sie korrekt in Reih und Glied, befehle ihnen, ker-zengerade in Habachtstellung zu hängen oder sich der perfekten Ordnung zuunterwerfen, die ich in den Regalen durchsetze. In dieser geistigen Verfassung willich auf gar keinen Fall eine Kundin sehen, die überall rumgrabscht und wiederalles durcheinanderbringt. Ja, im Grunde hasse ich die Vorstellung, dass die Sachen verkauft und ihrer natür-lichen Umgebung entrissen werden sollen, um in irgendeinem Schrank zu ver-schwinden, in dem Gott weiß welche Unordnung herrscht. Am liebsten würde ichdie ganze Abteilung in eine riesige Plastikfolie einschweißen und zu einem sicherenOrt abtransportieren lassen, etwa in ein Museum für die Geschichte des Einzel-handels.«

Aus: Ehrenreich, Barbara: Arbeit Poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft, München 2001, S. 157ff

DER FLEXIBLE MENSCH»Flexibilität bezeichnet zugleich die Fähigkeit des Baumes zum Nachgeben wie die, sich zu

erholen, sowohl die Prüfung als auch die Wiederherstellung seiner Form. Im Idealfall sollte

menschliches Verhalten dieselbe Dehnfestigkeit haben, sich wechselnden Umständen anpassen,

ohne von ihnen gebrochen zu werden. Die heutige Gesellschaft sucht nach Wegen, die Übel der

Routine durch die Schaffung flexiblerer Institutionen zu mildern. Die Verwirklichung der Flexibilität

konzentriert sich jedoch vor allem auf die Kräfte, die die Menschen verbiegen.«

Aus: Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 2000, S. 57f.

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Für die Unternehmen stellt sich die Aus-lagerung von einzelnen Arbeitsschritten alseinfache Kostenabwägung dar: Ist es billi-ger, einen Arbeitsschritt selbst zu erledigen,bleibt er Bestandteil des Unternehmens –wenn nicht, wird er ausgelagert.

Mit dem Outsourcing wird aber nocheine zweite Strategie verfolgt: die Einbin-dung der Beschäftigten in die Rationalisie-rung des Arbeitsprozesses. Durch die öffent-liche Ausschreibung von Aufgabenbereichenwird die Konkurrenz des Marktes in dasUnternehmen hineinverlagert, denn dieBeschäftigten müssen mit denen andererFimen um einen Auftrag konkurrieren.Unterliegen sie in diesem Wettbewerb, danndroht auch ihrem Arbeitsplatz das Outsour-cing. Dieses Konkurrenzverhältnis erhöhtden Leistungsdruck, der auf den Beschäf-tigten lastet. Es bewirkt, dass sie sich vonselbst auf die Suche nach der kostengüns-tigsten Variante der Arbeitsorganisationmachen. Letztendlich müssen sie den eige-nen Arbeitsplatz erwirtschaften. Der Wett-bewerbsdruck wird noch unmittelbarer,wenn sie Seite an Seite mit den Angestellteneiner Fremdfirma arbeiten.

Im Gegensatz zur Auslagerung desFuhrparks von Lidl, handelt es sich bei derso genannten »Firma in der Firma« um dasOutsourcing von Arbeitsschritten, die räum-lich weiter im Unternehmen stattfinden.Am weitesten verbreitet ist diese Strategie

bei der Reinigung der Einzelhandelsfilialen.Ein weiteres Beispiel liefert die REWE-Grup-pe, die ihre Regale teils durch Auffülltruppseiner Fremdfirma bestücken lässt, sowiedas Outsourcing der Kassenzonen bei Kar-stadt: Im Lebensmittelbereich von Karstadtin Berlin ist beispielsweise der Großteil derBeschäftigten bei der Leiharbeitsfirma RainerSachs Time Work angestellt. Auch dasOTTO-Versandzentrum Haldensleben ver-gibt mittlerweile einen Großteil seiner Hilfs-und Wartungstätigkeiten an Leiharbeitsfir-men. Im Unternehmen entsteht dadurch einKlima des internen Arbeitsplatzkampfes.Die wenigen Festangestellten, die übriggeblieben sind, arbeiten mit der Angst, dassnoch mehr Hauspersonal durch Fremdfir-men ersetzt werden könnte. So ist es fürdie Geschäftsleitung leicht, die Beschäftig-ten gegeneinander auszuspielen. Dass diesgelingt, zeigt das Beispiel Karstadt Berlin, wodie Angestellten der Leiharbeitsfirma durchKarstadt-Angestellte von der Betriebsrats-versammlung ausgeschlossen wurden.

Insgesamt profitieren die Unternehmendurch die Strategie des Outsourcings vonden geringeren Personalkosten und derSchwächung der Interessensvertretung derBeschäftigten. Sie erhöhen ihre mengen-mäßige Flexibilität bezüglich der Beschäftig-ten, da sie je nach Bedarf aus dem Pool derLeiharbeiterInnen auf eine beliebige Anzahlvon Arbeitskräften zugreifen können.

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

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sie früher die Preise oder später dann dieArtikelnummern aller Waren auswendig, somüssen sie heute die Waren nur noch überden Laser ziehen. Dies spart Arbeitszeit unddamit Personalkosten. Zudem werden dieKassiererInnen dadurch austauschbarer underpressbarer. Ihre Einarbeitung ist fast über-flüssig geworden. Tippgeschwindigkeit undPreisüberblick spielen kaum noch eine Rolle.

Bis zum Frühjahr 2005 plant Metro,200 Self-scanning Kassen in 50 Real- undExtra-Märkten aufzustellen. Damit wirdnach der Einführung der Selbstbedienungs-märkte eine weitere Verkaufstätigkeit vomAnbieter auf die KundInnen übertragen: Siesollen ihre Waren selbst einscannen undzum Teil auch an Automaten selbst bezah-len. Self-Scanning wird nicht nur weitereArbeitsplätze wegrationalisieren, sondernentqualifiziert und verbilligt auch die Arbeitder KassiererInnen. Schon jetzt diskutierenHandelsunternehmen, ob nicht eine niedri-gere tarifliche Einstellung möglich ist, wennKassiererInnen gar nicht mehr mit Bargeldin Kontakt kommen. Mit Hilfe des Scanningssparen Unternehmen vor allem auch in derLogistik. Jederzeit kann festgestellt werden,wie oft und wie schnell eine Ware verkauftwurde. Während beispielsweise in Lidl-La-gern noch bis 2003 rein manuell und mitPapierlisten gearbeitet wurde, erhält derKommissionierer, also derjenige, der dieWaren zusammenstellt, heute seinen Auf-trag auf ein mobiles Display. Er nimmt dieWare aus dem Regal, scannt sie ein undquittiert den Auftrag. Das gewährleistet denreibungslosen, ständig überwachten Waren-fluss und wirkt sich auch auf die Herstelleraus, da die Termine für die Warenanliefe-rung immer kurzfristiger gesetzt werden.Die Einzelhandelsunternehmen können soden Lagervorrat auf das Notwendigstebegrenzen und weitere Kosten einsparen.Die nächste Rationalisierungswelle in Handel

EINSCHUB | KASSENSTURZ – DIE FOLGEN DES COMPUTERGESTÜTZTEN WARENWIRTSCHAFTSSYSTEMS Im Jahr 2003 stellte Aldi Nord als letztedeutsche Supermarktkette auf Scanner-kassen um. Diese sind Teil eines computer-gestützten Warenwirtschaftssystems, das fürdie KundInnen zunächst in Form der Kasseund der Codierung auf den Waren sichtbarwird. Dahinter steht jedoch ein umfangrei-ches Informationssystem, das es ermöglicht,in Sekundenschnelle zu jeder Tages- undNachtzeit den gesamten Warenfluss einesUnternehmens vom Einkauf über das Lagerund den Verkauf bis hin zum Personal-einsatz zu kontrollieren. Auf Basis dieserneuen Technologie rationalisieren Unterneh-men den Arbeitsprozess, indem sie die ein-zelnen Arbeitsschritte vereinfachen, flexibi-lisieren, verbilligen oder komplett streichen.

In Läden mit Scannerkassen fallen dasAuszeichnen und das manuelle Zählen derWaren zur alljährlichen Inventur komplettweg. Darüber hinaus hat sich die Tätigkeitder KassiererInnen stark verändert. Lernten

36 AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

Foto: Werner Bachmeier, Kassenarbeitsplätzeim Selbstbedienungsmarkt Real

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und Logistik wird bereits vorbereitet: derso genannte RFID-Chip (Identifizierung perFunk). Diese computergestützte Technikermöglicht es, Daten ohne Berührungs-oder Sichtkontakt per Funk zu übermitteln.Die RFID-Chips sollen in einigen Jahren als»intelligente Etiketten« die Strichcodes er-setzen. Das Zentrallager von Tchibo arbeitetbereits mit einer vergleichbaren Technik.Bestellungen werden vollautomatisch fürjeden LKW zusammengestellt, bei Bedarfwerden dort die Regale über Nacht vonRobotern aufgeräumt.

Der Einsatz dieser Technik in einzelnenGeschäften, beispielsweise Einkaufswagen,die von einer Radiokasse in kürzester Zeitohne Personal abgerechnet werden können,oder »intelligente« Regale, die verkaufteWare von selbst nachbestellen, lässt nochauf sich warten. Für die Entwicklung dieserTechnik erhielt die Metro AG aber bereitsim Jahr 2003 die Negativ-Auszeichnung fürDatenschutzverletzungen, den Big BrotherAward. Die Möglichkeiten der Rationali-sierung durch diese Technik gehen nämlichmit dem ›gläsernen Kunden‹ einher, dessenEinkaufsverhalten bis ins letzte Detail sicht-bar gemacht werden kann. Inzwischenhaben die Metro AG und Wal-Mart diegroßflächige Erprobung der RFID-Techno-logie angekündigt.

ZWISCHENFAZITDie Segmentierung des Arbeitspro-

zesses in getrennte Arbeitsschritte kannzweierlei Formen annehmen: Entwederwerden die Arbeitsschritte innerhalb einesUnternehmens auf Beschäftigte mit unter-schiedlichen Arbeitsverhältnissen und Löh-nen verteilt, oder es wird ein kompletterArbeitschritt an eine Fremdfirma vergeben.In beiden Fällen erhöht sich die Flexibilitätdes Unternehmens und sinken die Lohn-kosten – beides zu Lasten der Beschäftigten.

2.2 | TANTE EMMA MACHT DAS LICHT AUS: EXPANSION DER EINZELHANDELSUNTERNEHMEN

Den Strukturwandel des Einzelhandels er-leben alle Menschen in ihrem Alltag – alsKonsumentInnen oder als Beschäftigte.Einkaufen hat sich verändert. Man sucht dieWaren selbst aus und bald kassiert man sievielleicht auch selbst ab. Man legt heutegigantische Strecken zurück, um ein Päck-chen Butter zu ergattern oder sucht verge-bens nach einer Verkäuferin, um sie nachdem Standort des Backpulvers zu fragen.Für die Beschäftigten im Einzelhandel hatsich zunächst einmal die Anzahl der mögli-chen Arbeitgeber reduziert, zudem ist dieArbeit intensiver geworden. Auch sie hetzendurch die Gänge – für Gespräche mit Kund-Innen bleibt nur selten Zeit.

Dieser Wandel wird vorangetriebendurch das Expansionsstreben der Unterneh-men. Dieses setzt die Konzentration desEinzelhandels auf wenige große Konzernein Gang. Im Folgenden soll diese Entwick-

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

fi

Foto: Werner Bachmeier, Kassiererin beimEinscannen der Ware, EinkaufszentrumKempten

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Selbständig geführte Geschäfte sind heutenur noch selten anzutreffen, die meistenLäden sind Teil großer Ketten oder Unter-nehmensgruppen. Das ist die Folge einesharten Verdrängungswettbewerbs, der an-getrieben wird von Unternehmen wie Lidl,Aldi oder Schlecker, die Unmengen vonFilialen aus dem Boden stampfen, um ihreMarktanteile auszudehnen. Sie gehen dabeiwie folgt vor: Baut Aldi eine neue Filiale, sosetzt Lidl sich direkt daneben, eröffnet Ross-mann eine neue Drogerie, so muss man aufSchlecker nicht lange warten. Wer nichtmithalten kann, muss schließen oder wirdaufgekauft.

Die erste Phase der Konzentration wardie Flächenausdehnung: Bis in die 1960erJahre war die Einzelhandelsstruktur geprägtvon einzelnen Warenhäusern in größerenOrtschaften, einem Versandhandel, der vorallem die ländlichen Regionen belieferte undeiner Vielzahl von kleineren Fachgeschäftenund selbständig geführten Läden in derNachbarschaft. Letztere waren oftmals inEinkaufsgenossenschaften wie REWE oderEDEKA zusammengeschlossen. Angetriebendurch die steigende Nachfrage in den1950er und 1960er Jahren begannen ein-zelne Unternehmen wie z.B. Aldi damit, dieAnzahl ihrer Filialen und schließlich auchdie Verkaufsfläche der einzelnen Geschäftezu steigern. Aufgrund dieser Flächenexpan-sion bildete sich eine Anzahl großer Unter-nehmen heraus, die ihren Anteil am Marktimmer mehr steigern konnten.

In den 1980er Jahren brach eine zweitePhase des Konzentrationsprozesses an: derVerdrängungswettbewerb. In diesem Zu-sammenhang wird häufig von Marktsätti-gung gesprochen. Der Begriff Marktsätti-gung lässt ein Bild entstehen von gefülltenVorratskammern und glücklichen Menschenmit gestillten Konsumbedürfnissen. Tatsäch-lich geht es jedoch um etwas anderes: Zum

lung näher beschrieben und durch Ver-gleiche zwischen deutscher Einzelhandels-struktur und den Strukturen in Großbritan-nien, Italien und Polen veranschaulichtwerden.

2.2.1 | LADENSCHLUSS:KONZENTRATION DURCH EXPANSION Zwischen den Unternehmen in Deutsch-land herrscht ein harter Konkurrenzkampf.

38 AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

DIE GESCHICHTE DER GENOSSENSCHAFTSLÄDEN AM BEISPIEL »EDEKA«Im Jahr 1898 wurde die »Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler Berlin im

Bezirk Hallisches Tor« (ursprünglich EdK) gegründet. In der seit 1911 als EDEKA bezeichneten

Handelsgemeinschaft schlossen sich kleinere und mittelständische Lebensmitteleinzelhändler

zusammen, um den Einkauf zentral zu organisieren. Diese Tradition hat sich bis heute fortgesetzt,

auch wenn das Bild der EDEKA sich in den vergangenen 100 Jahren gewandelt hat. Noch heute

sind die Lebensmitteleinzelhändler zugleich Mitglieder und Aktionäre der Einkaufsgenossen-

schaft. Im Jahr 2000 begannen sie, den Einkauf deutschlandweit zu organisieren, um durch die

Abnahme größerer Mengen günstigere Preise erzielen zu können. Die EDEKA besteht heute aus

vierzehn Genossenschaften und sieben Großhandelsbetrieben. Die Anzahl der Geschäfte und der

Mitglieder ist seit 1970 stark zurückgegangen, obwohl der Umsatz steigt. 1965 waren es noch

42.500, 2003 nur noch 9.100 Geschäfte. Der Wandel der Einzelhandelsstruktur spiegelt sich also

auch im Wandel der EDEKA wieder. Obwohl die EDEKA-Geschäfte mit einer durchschnittlichen

Verkaufsfläche von knapp 600 qm noch eher zu den kleinen Selbstbedienungssupermärkten

gehören, haben sie den mittelständischen Charakter der alten Nachbarschaftsläden weitgehend

verloren. Der selbständige Einzelhandel macht heute nur noch knapp ein Drittel des Nettoumsatzes

der EDEKA-Gruppe aus. Auch bei der Einkaufsgenossenschaft REWE erwirtschaften heute Filial-

unternehmen fast dreimal soviel Umsatz wie selbständige Einzelhändler.

●?

FLÄCHENEXPANSION IM EINZELHANDELVERKAUFSFLÄCHE IN MILLIONEN QUADRATMETER

39

●7

106 108 110 111 113 114

1970 2000 2001 2002 2003 2004 2005

63

1980

77

1990

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einen sinkt mit der zunehmenden Umver-teilung gesellschaftlichen Reichtums vonunten nach oben die Kaufkraft vieler Men-schen. Zum anderen führt die Expansion derUnternehmen zu einem Verkaufsflächen-überhang. Man spricht hier von einemÜberhang, weil diese Verkaufsfläche nichtrentabel bewirtschaftet werden kann. BestesBeispiel hierfür ist die Strategie der Num-mer Eins der europäischen Drogeriemärkte:Anton Schlecker war ständig auf der Suchenach leeren Geschäften, um immer weitereLäden zu eröffnen und die gesamte Repu-blik mit einem Netz blau-weißer Schlecker-Filialen zu überspannen. Die Grundlagenseiner Expansion sind bis heute günstigeMieten und miserable Löhne. Im Ergebnisführte dies dazu, dass zuweilen die Filialenuntereinander konkurrierten und Schleckernun erstmals Geschäfte im größeren Stilschließen muss. Leidtragende sind über1.000 Schlecker-Beschäftigte, deren Arbeits-plätze nun bedroht sind.

Die so genannte Marktsättigung ist alsoin erster Linie ein hausgemachtes Problem.Da keine neuen Märkte mehr erschlossenwerden können, erfolgt nun die Expansionverstärkt durch die Übernahme bereits be-stehender Standorte und Unternehmen.Marktanteile werden fast nur noch durch dieVerdrängung von unliebsamen Wettbewer-bern gewonnen. Besonders hoch ist dieKonzentration mittlerweile im Lebensmittel-einzelhandel. In Deutschland vereinigen diefünf größten Unternehmen über 60 Pro-zent des Lebensmittelumsatzes auf sich.

Gemessen am weltweiten Gesamtum-satz ist deutscher Top Player die MetroGruppe: Der Konzern, zu dem u.a. die Ver-brauchermarktkette Real, die ElektroriesenSaturn und Mediamarkt sowie die Kauf-hof-Kette gehören, ist das größte deutscheHandelsunternehmen. Platz zwei fällt denAldi Brüdern zu, denen Aldi-Nord und

Aldi-Süd gehören. Weiter geht die Rang-liste mit der REWE-Gruppe. Sie umfasst dieDiscountkette Penny, die Fachmärkte HLund Minimal, die Drogeriekette Idea sowiedie Verbraucher- und Baumarktkette toom.Zudem ist REWE seit kurzem auch in ande-ren Geschäftsbereichen aktiv: Das Unter-nehmen unterhält z.B. eine Beteiligung amFernsehsender Pro Sieben, am Atlas-Reise-büro, den Reiseveranstaltern IST-Reisen,

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

DIE TOP FÜNF DES DEUTSCHEN EINZELHANDELS ●8+4

%

53,6

Metro Gruppe

■ Gesamtumsatz 2003weltweit in Mrd. Euro■ Gesamtumsatz 2003 in Deuschland in Mrd. Euro

+4,68

%

39,18

+2

%

31,16

k.A.

39,31

k.A.

24,68

REWE-Gruppe

EDEKA/AVA-Gruppe

Aldi-Gruppe*

Schwarz-Gruppe*

■ Beschäftigte weltweit ■ Beschäftigte inDeuschland

*geschätzt

+2,15

%

28,3

–0,14

%

29,16

+1,8

%

29,5

+4,3

%

24

+13,2

%

21,50

DER KONZENTRATIONSPROZESS HÄLT AN:SINKENDE ANZAHL DER UNTERNEHMEN IM EINZELHANDEL ●9

1995 1996 1997 1998 1999 2000

gh

110.

601

k.A

.

198.

486

135.

799

192.

613

gh gh

gh gh

325.348307.140 294.104 280.434 284.522 277.412

130.

000

200.

000

100.

000

k.A

.

k.A

.

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DERTOUR und LTU (Jahn-Reisen, Tjaereborg,Meiers Weltreisen). Auf Platz vier rangiertdie EDEKA/AVA-Gruppe, die wie REWE ineiner genossenschaftlichen Tradition steht.Den letzten Platz besetzt das Handelsim-perium von Dieter Schwarz. Die Schwarz-Gruppe sorgte 2003 mit dem SB-WarenhausKaufland und vor allem dem Discounter Lidlfür Furore. Denn während der Einzelhandellitt, erzielte Lidl ein Umsatz- wachstum von13,2 Prozent und rückte auf dem heimi-schen Markt dem Discount-Pionier Aldi zuLeibe. Wer bei diesem Verdrängungswettbe-werb nicht mithalten kann, der wird über-nommen oder muss dicht machen. Betroffensind vor allem kleine, selbständig geführteLäden. Die Anzahl der Unternehmen verrin-gert sich stetig: Allein zwischen 1995 und2000 sank sie um 15 Prozent. Eine Studieder Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMGgeht davon aus, dass in 6 Jahren allenfallsnoch in ländlichen Regionen selbständigeLebensmittelgeschäfte anzutreffen sind.

Dramatisch ist diese Entwicklung vorallem in Hinblick auf die herrschende Ar-

beitslosigkeit, gerade bei Frauen. Denn derEinzelhandel ist der beschäftigungsinten-sivste Dienstleistungssektor. Hier arbeitenüber 2,5 Millionen Menschen.

Zu den Verlierern gehören aber auchdie VerbraucherInnen. Kommen in Italienauf 100.000 Einwohner 124 Läden, so sindes in Deutschland nur 50 (siehe Grafik 10).Betroffen sind davon besonders diejenigen,die aufgrund ihres Alters oder mangelnderMobilität auf eine wohnortnahe Versor-gung angewiesen sind. So gibt es zwarräumlich geballte »Einkaufsparadiese«,Grundnahrungsmittel sind vor Ort aberkaum noch zu erwerben.

EINSCHUB | ALDIS AUFSTIEG ZUM DISCOUNT-PIONIERIm Jahr 1946 übernahmen Theo und KarlAlbrecht den Tante-Emma-Laden ihrer El-tern in Essen. Im Wirtschaftsboom der Nach-kriegszeit eröffneten die Brüder bis 1960fast 300 Aldi-Filialen. Kurz darauf erfandensie das Format des Discounters. Es verbindetniedrige Preise, ein kleines Sortiment undeine funktionalistische Ladeneinrichtung mitniedrigen Löhnen. Zusammen ermöglichtdies eine hohe Arbeits- und Flächenpro-duktivität.

1962 teilten die Brüder das Unterneh-men. Seitdem wird Aldi-Nord von Theo undAldi-Süd von Karl Albrecht geführt. Obwohlsie gemeinsam die Aldi-Gruppe bilden, tref-fen sie nur die wichtigen Entscheidungenzusammen, wie z.B. die Wahl der Zuliefererund wichtige Preisentscheidungen. Heuteunterhält die Aldi-Gruppe neben unterge-ordneten Aktivitäten wie Immobilien undeine Kaffeerösterei über 4.000 Läden inDeutschland und mehr als 2.500 im Aus-land. In Europa steht sie damit an sechsterStelle unter den Lebensmitteleinzelhändlern.Aldi-Nord ist u.a. in Frankreich, den Nieder-landen und Belgien aktiv, während Aldi-

40 AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

Foto: Guido Siegel, Berlin

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Süd auch im außereuropäischen Auslandwie in den USA und in Australien Filialenbesitzt.

Ihre preisaggressive Geschäftsstrategiebehielten die Albrechts bei, wenngleich sichAldi-Süd in den letzten Jahren nicht nur umeine Verbesserung des Ladenbildes bemüh-te, sondern auch den Personaleinsatz er-höhte. Ziel ist es, die Kundschaft um weiteKreise der oberen Mittelschicht zu erweitern.In der Tat gelang es Aldi-Süd, einen Trendin Deutschland zu verstärken: Der Begriff»Discount« wird nicht länger mit »arm«assoziiert, was die Aldi-Klassiker AlaskaWildlachs oder der Aldi-Champagner ver-deutlichen. Die Aldi-Gruppe ist mit den sogenannten Aktionsartikeln auch zunehmendim Non-Food-Bereich aktiv. So hat sich derVerkauf von Aldi-Computern zum lukrativenGeschäft gemausert: Aldi ist Deutschlandswichtigster PC-Händler mit einem Markt-anteil von satten 21,5 Prozent.

Die Albrecht-Brüder kamen durch ihreGeschäfte bis auf Platz drei der Liste derreichsten Männer der Welt. Wer das Unter-nehmen kaufen wollte, müsste schon denGegenwert von DaimlerChrysler oder dasAchtfache der Lufthansa hinblättern.

2.2.2 | EUROPÄISIERUNG DER EINZELHANDELSSTRUKTURUrlauberInnen haben es heute schwer, imbritischen Superstore oder dem italienischenAlimentari ein Mitbringsel zu finden, dasman nicht auch in Deutschland bekäme.Dies hängt mit der Standardisierung vonWaren zusammen, der Herausbildung euro-paweiter Unternehmensstrukturen und derin allen Ländern nach einem ähnlichenMuster stattfindenden Rationalisierung vonPersonalkosten sowie der Konzentrationder Unternehmen. Mit der europaweitenExpansion vor allem französischer Hyper-und Supermärkte und deutscher Discounter

wird in Europa die Angleichung der Einzel-handelsstruktur beschleunigt. Und dennochgibt es nach wie vor zentrale Unterschiede.

Zum einen im Einkaufsverhalten: Wäh-rend Aldi in Deutschland den Mittelstand fürsich gewinnen konnte, sind in Großbritan-nien KundInnen von Aldi und dem engli-schen Unternehmen Sainsbury weiterhindurch eine Klassenschranke getrennt. Zumanderen gibt es politische Gestaltungs-spielräume, die national nach wie vor unter-schiedlich genutzt werden. Dies gilt z.B.für die Ansiedlungspolitik.

Insgesamt gibt es einen deutlichen Nord-Süd-Kontrast in der europäischen Einzel-handelsstruktur: In den südlichen Ländernwie Italien, Spanien oder Portugal wird derEinzelhandel traditionell von vielen kleinenNachbarschaftsläden bestimmt, die über-wiegend selbständig geführt werden undeine wohnortnahe Versorgung garantieren.Dagegen sind im Norden Europas die Super-und Hypermärkte der großen Konzernestärker verbreitet. Im Folgenden sollen am

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

Foto: Sarah Bormann, Stettin/Polen

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– die Nummer Eins des britischen Einzel-handels – ist auch international aktiv. DieUnternehmen erwirtschaften hohe Umsätze,da im Gegensatz zu Deutschland und ins-besondere zu Italien, die Filialdichte geringerist (siehe Grafik 10).

Im europäischen Vergleich haben sich inGroßbritannien verhältnismäßig früh Ein-kaufszentren, Superstores und Einzelhan-delsparks angesiedelt. In den 1980er Jahrenwurden unter Margret Thatcher zahlreicheRegulierungen im Einzelhandel abgeschafft.So wurden u.a. die Ladenöffnungszeiten fastvollkommen liberalisiert. Dadurch erfuhrender Konzentrationsprozess und die Ansied-lung auf der Grünen Wiese einen neuenSchub.

Heute gibt es in Großbritannien nur nochwenige Familienbetriebe und selbständiggeführte Läden. So weist das Land im Ver-gleich zu Deutschland, Italien und Polenden geringsten Anteil an Selbständigen imEinzelhandel auf. Mitte der 1990er Jahrewurden die Folgen des Wegzugs des Ein-zelhandels aus den Innenstädten immerschwerwiegender. 1993 galten die Innen-städte Londons, Edinburghs und Newcastlesnoch als die umsatzstärksten Einkaufsstand-orte. Bereits zwei Jahre später standen ander Spitze dagegen drei große regionaleShopping Center, die außerhalb von Innen-städten und Wohngebieten angesiedeltsind. Seit Mitte der 1990er Jahre wird nunwieder versucht, die Ansiedlung in denInnenstädten politisch zu fördern.

BEISPIEL 2 | ITALIEN:VIELZAHL KLEINER GESCHÄFTE Im europäischen Vergleich gibt es in Italienbesonders viele Einzelhandelsunternehmen.Gemessen an der Anzahl der Beschäftigtensind diese – wie auch in Polen – sehr klein(siehe Grafik 10). Nach wie vor wird einGroßteil der Lebensmittelgeschäfte selb-

Beispiel der Länder Großbritannien, Polenund Italien Gemeinsamkeiten und Unter-schiede zur deutschen Einzelhandelsstrukturdargestellt werden.

BEISPIEL 1 | GROßBRITANNIEN:ORIENTIERUNG AUF DEN HEIMATMARKTAuch in Großbritannien gibt es eine starkeUnternehmenskonzentration im Lebensmit-teleinzelhandel. Die vier großen britischenUnternehmen sind Tesco, Asda, Sainsburyund Safeway. Im Gegensatz zu Deutschlandsind diese Unternehmen jedoch stark aufden Heimatmarkt ausgerichtet, einzig Tesco

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

EINZELHANDELSSTRUKTUR IN DEUTSCHLAND,GROßBRITANNIEN, ITALIEN UND POLEN IM VERGLEICH ●10

Großbritannien Deutschland Italien Polen

Anzahl der Selbständigenin Prozent* 11,9% 15,0% 58,9% 58,3%

Anzahl der Beschäftigtenpro Betrieb* k.A. 9 2,4 2,4

Betriebe pro 100.000 EinwohnerInnen 37 50 124 105

Anteil der Top Fünf

am Umsatz des

Lebensmitteleinzelhandel

2003 in Prozent** 55,7% 66,4% 38,9% 23,6%

* Zahlen für 2001, nur für Polen 2002, ** Zahlen aus dem Zeitraum 1997–1999

42

links: Tesco Malaysien, rechts: Safeway GB

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ständig geführt. Meist handelt es sich dabeium kleinere oder mittlere Supermärkte. Zu-dem spielen Genossenschaften eine wich-tige Rolle. Der Marktanteil der fünf größtenUnternehmen im Lebensmitteleinzelhandelliegt unter 40 Prozent. Damit ist europaweitnur noch die Unternehmenskonzentrationin Polen und der Slowakei niedriger. Unterden Top 30 der Handelsunternehmen Euro-pas ist kein einziges italienisches Unterneh-men vertreten, nur wenige sind überhauptinternational aktiv. Aber auch in Italiensetzen sich zunehmend größere Betriebs-formate durch. Vor allem im Norden desLandes gewinnen die großen Super- undHypermärkte an Bedeutung. Dagegen lebenim Süden zu wenige und zu viele armeMenschen, als dass sich dort für die Unter-nehmen großflächige Läden lohnen würden.Seit Anfang der 1990er Jahre expandierenvor allem französische und deutsche Ein-zelhandelsunternehmen nach Italien – vorallem in die nördlichen Regionen – undtreiben auch hier die Konzentration voran.

Hohe Marktanteile konnten der französi-sche Carrefour-Konzern und die deutschenUnternehmen Metro und REWE erzielen.Auch die Discounter Lidl – seit 1991 – undSchlecker – seit 1999 – sind mit Filialenvertreten. Sie profitieren von der Deregu-lierung des italienischen Einzelhandelssek-tors. Seit 1998 hat die italienische Regierungdie Ansiedlung von neuen Geschäften er-heblich erleichtert.

BEISPIEL 3 | POLEN:MARKTTREIBER UND SHOPPING MALLS In Polen erfuhr die Einzelhandelslandschaftin den letzten 15 Jahren einen rasantenWandel. Vor 1990 gab es – ähnlich wie inder Deutschen Demokratischen Republik –nur wenige Läden, die nicht staatlich warenoder genossenschaftlich geführt wurden.Dies änderte sich mit dem Zusammenbruch

des Sozialismus schlagartig. Die Läden wur-den privatisiert, und eine wachsende An-zahl von Arbeitslosen suchte ein neues Aus-kommen. Viele wurden im Einzelhandeltätig, eröffneten Buden und kleine Lädenoder verkauften Waren auf Märkten.

Heute ist der Einzelhandel in Polen ge-spalten. Die Statistik zeigt, dass es vieleSelbständige gibt, eine große Anzahl klei-ner Läden und nur eine geringe Unterneh-menskonzentration (Grafik 10). Gleichzei-tig gibt es aber einen Boom an Hyper- undSupermärkten. Es entstehen riesige Ein-

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

Foto: Sarah Bormann, Stettin/Polen

WAS IST GLOBALISIERUNGWeltweiter Handel und auch die Produktion im Ausland sind bereits seit der Kolonialzeit

bekannt. Neu an der Globalisierung ist aber, dass sich globale Finanzmärkte herausgebildet haben,

dass die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien das Tempo des Austausches

erheblich beschleunigen und dass so genannte transnationale Konzerne weltweit aktiv sind. Es

sind die Nationalstaaten selbst, die durch die Liberalisierung die Standortkonkurrenz fördern. Sie

übertragen Entscheidungsbefugnisse an die EU und die WTO und bauen dann mit Verweis auf

den Druck »von oben« soziale Rechte und Arbeitsrechte ab.

●?

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findet kaum eine öffentliche Debatte überdie Gestaltung von Städten und Ortschaftenstatt.

ZWISCHENFAZITDie Einzelhandelsriesen führen in

dem Bestreben nach Expansion einen Ver-drängungswettbewerb durch. Dadurch lö-sen sie einen Konzentrationsprozess aus, derim Lebensmitteleinzelhandel besonders weitfortgeschritten ist. In der Folge kommt es zueinem Ladensterben. Vor allem kleinere Lä-den müssen schließen. Negative Auswirkun-gen hat dies besonders auf Verbraucher-Innen in ländlichen Gegenden.

Im europäischen Vergleich ist der Kon-zentrationsprozess in Deutschland weit fort-geschritten. Da deutsche Unternehmenauch stark ins Ausland expandieren, ist voneiner europaweiten Angleichung der Einzel-handelsstruktur auszugehen. Unterschied-liche politische Regulierungen setzen dieserjedoch auch Grenzen.

2.3 | DIE GLOBALISIERUNG DES EINZELHANDELS

Die Globalisierung des Einzelhandels nimmtzwei Formen an. Zum einen die Internatio-nalisierung des Vertriebssystems, also desVerkaufs von Waren. Seit den 1990er Jahrenexpandierten Einzelhandelsunternehmenverstärkt ins Ausland. In großem Umfangwurde dies erst durch die schrittweise Libe-ralisierung des Handels und der Dienstleis-tungsmärkte möglich. Die zweite Form istdie Internationalisierung des Beschaffungs-wesens, also des Einkaufs der Waren. DassWaren aus den unterschiedlichsten Ländernstammen, ist zwar nichts neues – sonst wür-den wir immer noch Getreidekaffee trinkenund auf Pfeffer ganz verzichten müssen.Neu ist allerdings, dass es zunehmend dieEinzelhandelsunternehmen selbst sind, die

kaufszentren – überwiegend an den Stadt-rändern. Diese Entwicklung beschränkt sichaber vor allem auf die Großstädte. Zudemwird sie fast ausschließlich von ausländi-schen Unternehmen getragen. Unter denzehn umsatzstärksten Einzelhandelsunter-nehmen finden sich zwar französische,deutsche und ein britisches Unternehmen,aber kein polnisches. Bislang wird nochblind der unsichtbaren Hand des Marktesvertraut, denn in Polen gibt es keine Erfah-rung mit großflächigen Einzelhandelsge-schäften. Obwohl zunehmend Anwohner-Innen und Umweltgruppen protestieren,

44 AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

fi

Foto: Österreichisches Einzelhandelsunter-

nehmen Billa, Rumänien

links: REWE Italien, rechts: Billa Österreich

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weltweit bei den Produzenten ihre Wareneinkaufen – und zwar in immer größerenMengen. Trotz des Verkaufsflächenüber-hangs und der sinkenden Kaufkraft erzielenEinzelhandelsunternehmen in Deutschlandnach wie vor sehr hohe Gewinne. Der Grundfür die Expansion ins Ausland sind also nichtfehlende Einnahmen, sondern vielmehr daspermanente Streben nach neuen Märkten,neuen Absatzgruppen und einer Gewinn-steigerung. Zunächst expandierten deutscheUnternehmen ins westeuropäische Ausland.

Eins der ersten war Aldi, das bereits 1967ein österreichisches Unternehmen über-nahm und frühzeitig außerhalb Europas inden USA und in Australien aktiv wurde.Auch die Schwarz-Gruppe eröffnete in den1980er Jahren Filialen im europäischen Aus-land. Ausgelöst durch den europäischenBinnenmarkt sowie den Zusammenbruchund die Öffnung der staatssozialistischenLänder erfolgte in den 1990er Jahren einstarker Internationalisierungsschub.

Die Metro AG ist eines der führendenwesteuropäischen Handelsunternehmen invielen mittel- und osteuropäischen Ländern.In Tschechien, Ungarn und Polen ist dieGruppe die Nummer Eins. In Polen unter-hält sie über 83 Geschäfte, unter denen vorallem der SB-Supermarkt Real eine heraus-ragende Position erlangt hat. Darüber hin-aus ist Metro in Ungarn, Tschechien, Rumä-nien, der Slowakei, Bulgarien, Serbien undRussland aktiv. In den osteuropäischen Län-dern beschäftigt Metro über 42.000 Men-schen, fast ein Viertel ihrer Beschäftigtenweltweit. Auch REWE hat in vielen mittel-und osteuropäischen Ländern Filialen eröff-net. Die Gruppe startete vor allem mit ihremDiscounter Penny durch. Zudem sind Netto,Aldi und Lidl in Osteuropa mit ihrer ›Gren-zenlos-Billig‹-Strategie anzutreffen. Damitbreitet sich die Discountierung des Einzel-handels auch außerhalb Deutschlands aus.

Lidl eröffnete seine ersten Filialen inMittel- und Osteuropa verhältnismäßig spät,dann aber Schlag auf Schlag. Bereits jetzthaben dort ca. 120 Häuser die Tore geöff-net. Geplant sind weitere Filialen in der Slo-wakei, Kroatien, Rumänien und Bulgarien.Dabei verfolgt Lidl seine ›Hauptsache- Billig‹-Strategie besonders aggressiv. In Tschechienverstieß der Discounter gleich kurz nachder Niederlassung gegen die geltendenQualitätsstandards: Unter der EigenmarkeBellarom verkaufte das Unternehmen »hol-ländischen Kakao«, der jedoch tatsächlichnur zu 30 Prozent aus Kakaopulver und zu

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

INTERNATIONALER HANDEL ZU ZEITEN DER FUGGER UND WELSERDie derzeit stattfindende Globalisierung ist mehr als die Schaffung einer »Weltwirtschaft«,

die in unterschiedlichen Ausprägungen bereits im Mittelalter bestand. Damals war es der Handel,

der große Gebiete der Erde miteinander verband. Anfangs war der Handel im Mittelalter in den mei-

sten Gegenden Europas noch lokal ausgerichtet: Er spielte sich im Rahmen persönlicher Kontakte ab,

und es wurden nur kleine Summen bewegt. Im ausgehenden Mittelalter hatte der Handel dann zwei

Gesichter: Neben der geschlossenen, lokal begrenzten Wirtschaft der städtischen Zünfte hatte sich

ein internationaler Groß- und Fernhandel der Kaufherren und Handelsgesellschaften herausgebildet.

Zwei der bedeutendsten Kaufmannsfamilien des 14. und 15. Jahrhunderts waren die in Augsburg

ansässigen Fugger und Welser. Letztere waren nicht nur im Waren- und Seehandel mit einer eigenen

Flotte aktiv, sondern hatten auch ein Reedereigeschäft und einen eigenen Geldverleih. Auch die

Fugger errichteten ein Wirtschaftsimperium und verbanden Kaufmannstätigkeit und Bankierstum.

Bereits im 15. Jahrhundert investierten die Welser den größten Anteil ihres Vermögens in eine

Indienfahrt, um Gewürzquellen aufzuspüren und versuchten, Venezuela zu kolonisieren. Waren die

beiden Häuser Anfang des 16. Jahrhunderts noch wichtige Teilnehmer bei der Kolonisierung der

»neuen Welt«, so wurden sie später von den aufstrebenden Mächten Spanien und Portugal vom

Spielbrett gedrängt.

●?

links: XXL Rumänien, rechts: Metro Asien

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2.3.1 | ERSCHLIEßUNG NEUER ›ZUKUNFTSMÄRKTE‹ UND DIE FOLGENNach der fortgeschrittenen Erschließungdes osteuropäischen Marktes strecken dieEinzelhandelsunternehmen ihre Fühler nunweiter aus. Als so genannte Zukunftsmärktegelten China, Japan, Indien und zum Teilauch einige lateinamerikanische Märkte wieBrasilien. Allerdings ist die Expansion indiese Länder mit enormen Kosten verbun-den, denn zunächst werden hier nur geringeoder gar keine Gewinne erwirtschaftet. AlsZukunftsmärkte gelten sie dennoch, da manerwartet, dass im Zuge eines wirtschaftli-chen Aufschwungs auch die Kaufkraft derBevölkerung zunehmen wird.

Der »internationalste« deutsche Han-delskonzern ist die Metro AG mit 2.400Betriebsstätten in 28 Ländern. Seit 1996 istder Konzern auch auf dem chinesischenMarkt aktiv und unterhält dort 23 Cash &Carry Märkte. China gilt als einer der wich-tigsten Zukunftsmärkte. Schon heute istChina weltweit das viertgrößte Exportlandund hat das siebtgrößte Bruttoinlandspro-dukt. Dieser Wirtschaftsboom basiert aufeinem repressiven, undemokratischen Staat,sehr niedrigen Löhnen und dem Verbotfreier Gewerkschaftsorganisationen.

Der chinesische Großhandel besteht bisheute aus vielen spezialisierten Händlern,die relativ kleine Mengen an Stammkundenabgeben. Die Käufer sind Gastronomenoder Einzelhändler, die meist selbständigkleine Läden führen. Filialunternehmen sindkaum bekannt und es gibt nur 200 Hyper-märkte. Davon fallen allein 44 Märkte aufdas französische Unternehmen Carrefour.Allerdings setzen auch in China bereitsKonzentrationsprozesse im Handel ein. DieMetro AG hat sich jetzt schon eine guteStellung auf dem Markt gesichert undmuss nun hoffen, dass der erwartete Auf-schwung auch tatsächlich stattfindet.

70 Prozent aus Stärke bestand. In Ungarn istdas Amt für Verbraucherschutz alarmiert.Es kritisiert die unzureichende Kennzeich-nung vieler importierter Produkte. Auch kames in Ungarn kurz nach der Eröffnung derersten zwölf Filialen zu heftigen Protestenvon GemüsebäuerInnen. Sie warfen demDiscounter Dumping vor. Zur Eröffnung wur-den die KundInnen mit Obst und Gemüsezu Spottpreisen gelockt. Kiwis wurden bei-spielsweise für umgerechnet knapp einenhalben Cent angeboten.

Die Produzenten sind oft negativ be-troffen, wenn die Discounter einen Marktneu betreten. Diese machen Gewinne, in-dem sie europaweit ein nahezu einheitlichesSortiment anbieten, das sie in großen Men-gen von einer begrenzten Zahl von Zuliefe-rern abnehmen. Häufig verlieren dadurchlokale Industrie und Landwirte ihre Absatz-märkte. Zudem ist aber auch der Druck aufdie heimischen Einzelhandelsunternehmenstark. Diese versuchen mitzuhalten, indemsie ihre Preise senken, ansonsten werdensie vom Markt verdrängt. Die Verbraucher-Innen profitieren nur vorübergehend vonden niedrigeren Preisen, denn gerade in denLändern, in denen es eine Vielzahl kleinererund mittlerer Läden gibt, führt Discountie-rung zu einem massiven Ladensterben. Fürdie AnwohnerInnen verschlechtert sich diewohnortnahe Versorgung und viele Beschäf-tigte werden arbeitslos.

46 AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

WIE DIETER SCHWARZ SEINE EXPANSIONSWUT FINANZIERTNach eigener Auskunft wollte Dieter Schwarz im Jahr 2004 2,5 Mrd. Euro in die Eröffnung

neuer Lidl- und Kaufland-Filialen investieren. Damit hätte er sogar die Investitionssumme der Metro

AG übertroffen. Einen Teil seiner Investitionen finanziert Schwarz über die Ausgabe von so

genannten Genussscheinen. Diese entsprechen in etwa einer Aktie, nur dass der Inhaber kein

Mitspracherecht erhält. U.a. unterstützt Anton Schlecker mit dem Kauf dieser Scheine die Expansion.

Ansonsten spart Schwarz wo es geht, vor allem an den Löhnen und auch an Steuern. So hat er

sich das deutsche Steuerrecht zunutze gemacht und durch hohe Abschreibungen und Verlust-

vorträge für die enorme Expansion gut zehn Jahre fast gar keine Körperschaftssteuer bezahlt.

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Mit der Internationalisierung der Ver-triebssysteme verändert sich die Handels-struktur in den Zielländern, was sich auchauf die Produzenten auswirkt. Besondersverheerend sind die Folgen in Entwicklungs-ländern. So ist beispielsweise in Brasilien dieKonzentration im Einzelhandel noch sehrgering, kleinere und mittlere Läden wieauch Märkte, auf denen KleinbäuerInnenihre Lebensmittel vertreiben, haben großeBedeutung. Wenn sich nun die Einzelhan-delsstruktur in Brasilien dahingehend ver-ändert, dass lokale Bauernmärkte und kleineLäden von großen Supermarktketten ver-drängt werden, verlieren sie ihre Absatz-märkte. Denn weder können sie die Mengenanbieten, die die Supermärkte fordern,noch erfüllen sie die hohen Qualitätsstan-dards. Stattdessen werden die großen Ein-zelhandelsunternehmen ihre Waren vonGroßbauern abnehmen oder importieren.

Eine weitere Folge der Internationalisie-rung des Vertriebsystems ist ein Konzentra-tionsprozess auf europäischer und globalerEbene. Seit Mitte der 1990er Jahre sind fast50 Prozent der Geschäftsübernahmen undZusammenschlüsse im Lebensmitteleinzel-handel grenzüberschreitend erfolgt. Wäh-rend auf dem deutschen Markt ausländischeUnternehmen lange Zeit kaum vertretenwaren, hat sich dies Ende der 1990er Jahremit der Übernahme von Wertkauf durch dasUS-amerikanische Unternehmen Wal-Mart

sowie der Übernahme von Spar durch diefranzösischen ITM-Intermarché grundlegendgeändert. Wal-Mart ist heute weltweit dergrößte Lebensmitteleinzelhändler. Allerdingsliegt dies weniger an der starken Interna-tionalisierung des Unternehmens, als ander Größe des US-amerikanischen Heimat-marktes, auf dem Wal-Mart einen Großteilseines Umsatzes erwirtschaftet. Weltweitkonzentriert sich heute bereits ein Vierteldes Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandelauf die fünfzehn größten Lebensmittelein-zelhändler der Welt, zu denen neben Wal-Mart auch das französische Carrefour unddie deutsche Metro-Gruppe zählen. Ähnlichist die Entwicklung in Europa. Hier erzielendie sieben größten Lebensmittelunterneh-men bereits über 23 Prozent des Gesamt-umsatzes der Branche. Den Markt beherr-schen vor allem deutsche und französischeUnternehmen.

2.3.2 | GLOBALISIERUNG DES BESCHAFFUNGSWESEN: KONTROLLE VONDER PRODUKTION BIS INS REGALDie Einzelhandelsunternehmen beziehenihre Waren aus der ganzen Welt. Sie wer-den dort eingekauft, wo sie am billigstenhergestellt werden. Seit den 1960er Jahrenwächst der Anteil arbeitsintensiver Güter,die aus Niedriglohnländern wie Brasilien,Mexiko, Taiwan oder Indien eingeführt wer-den. Die Entfernung zum Verkaufsort spielt

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

links: Wal-Mart China,

Mitte: Wal-Mart Chile, rechts: Wal-Mart GB

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gleiche Hemd als Aktionsware anbietet,nimmt das Unternehmen riesige Mengenab. Dadurch kann Lidl in den Verhandlungenden Preis drücken (siehe Kapitel 1.2) undist tatsächlich unschlagbar billig. Zum ande-ren schaltet der Einzelhandel zunehmendden Großhandel aus und kauft direkt beimProduzenten. So bezieht KarstadtQuellemittlerweile ein Viertel seiner Importe ausChina. Der viertgrößte Exporteur der Weltproduziert inzwischen 50 Prozent allerSchuhe, 75 Prozent des Spielzeugs und 80Prozent aller DVD-Laufwerke, die weltweitin den Handel kommen. China spielt alsonicht nur als Absatzmarkt, sondern momen-tan vor allem als Produktionsstätte eineherausragende Rolle. KarstadtQuelle, OBIund Metro sind im Gegensatz zu Aldi, dieihre Aktionswaren in China über einenAgenten einkaufen, direkt vor Ort miteinem Einkaufsbüro vertreten. Durch dieeigene Beschaffung umgehen sie dieKosten für Agenten und Großhändler. Sieverhandeln direkt mit dem Hersteller überdie Qualität der Produkte, Lieferzeiten undden Preis. Häufig lassen die Einkäufer Klei-dungsstücke wie Hemden auch noch gleichvon chinesischen ArbeiterInnen etikettierenund auf den Bügel hängen, um in Deutsch-land Personal einzusparen. Man kauft alsonicht nur die Hemden, sondern auch nochgleich die Dienstleistung in China ein.

Die Einzelhandelsunternehmen machenimmer genauere Vorgaben in Bezug aufQualität, Entwicklung der Produkte, Preiseund Lieferzeiten. Ein Beispiel hierfür ist dieEinkaufsstrategie des britischen KonzernsTesco. Der weltweit achtgrößte Lebensmit-teleinzelhändler kaufte seinen Wein inSüdafrika nicht beim Großhändler, sonderndirekt vom Winzer. Dabei machte er klareVorgaben für die Produktion, indem ereine bestimmte Filterung anordnete. Außer-dem verlangte er bei der Abfüllung die

dabei nur eine untergeordnete Rolle. Dashat zwei Gründe: Zum einen sind die Lohn-kosten und die geltenden Standards im Be-reich Umwelt- und Arbeitsschutz sehr unter-schiedlich, zum anderen sind die Transport-kosten sehr gering. Wie kann es sich aberlohnen, ein niedersächsisches Schwein inRumänien schlachten und verarbeiten zulassen und als Mettwurst wieder in deut-sche Supermärkte zu bringen? Das ist nurmöglich, weil ein großer Teil der Kosten fürden Transport in die ferne Zukunft verlagertwird. So wird zwar der Sprit gezahlt, abernicht die Schäden an Mensch und Natur.

Es gibt mehrere Gründe dafür, dass dieEinzelhandelsunternehmen gegenüber Indu-strie und Landwirtschaft an Macht gewin-nen und einen immer stärkeren Einfluss aufdie gesamte Wertschöpfungskette ausüben.Zum einen verbessern sie allein aufgrundihrer Größe und damit der Einkaufsmengeihre Verhandlungsposition gegenüber Her-stellern und Zulieferern. Dies trifft verstärktauf Discounter zu, weil sie in allen Ländernein nahezu gleiches Angebot an Warenhaben und – wie z.B. Schlecker – die Ein-kaufspreise europaweit aushandeln. Wennbeispielsweise Lidl in all seinen Filialen das

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DIE ZEHN GRÖßTEN UNTERNEHMEN IM LEBENSMITTELEINZELHANDELNETTOUMSATZ 2003 IN MILLIONEN EURO ●11

Carrefour (Frankreich) 61.231 Mio.Euro

Metro Gruppe (Deutschland) 52.523 Mio.Euro

Tesco (Großbritannien) 40.474 Mio.Euro

REWE Gruppe (Deutschland) 39.180 Mio.Euro

ITM Intermarché (Frankreich) 33.400 Mio.Euro

Aldi (Deutschland) 31.808 Mio.Euro

EDEKA/AVA Gruppe (Deutschland) 31.160 Mio.Euro

Schwarz Gruppe (Deutschland) 29.534 Mio.Euro

Auchan (Frankreich) 27.292 Mio.Euro

Leclerc (Frankreich) 23.200 Mio.Euro

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Verwendung von Plastikkorken. Ein Jahrspäter entschied Tesco, den Wein aus demSortiment zu nehmen und kündigte denVertrag. Den Wein in Südafrika mit Plastik-korken anzubieten, wäre jedoch vergleich-bar mit dem Versuch, in Deutschland einenguten Silvaner mit Premiummarke im Tetra-pack zu vermarkten. Plastikkorken stehenin Südafrika schlicht für eine miserableQualität, und auch die in Auftrag gegebeneFilterung ist dort nicht üblich. Der Winzerwird also auf seinen Flaschen sitzen bleiben.Die Einkaufspraxis der großen Einzelhan-delskonzerne kann kleinere Produzentenund Exporteure somit den Kopf kosten.Viel schlimmer ist jedoch, dass sie meistensbereits von vornherein die Bedingungennicht erfüllen können, um überhaupt alsLieferant berücksichtig zu werden. Diehohen Vorgaben der globalisierten Einzel-handelsunternehmen führen so zur Kon-zentration der Produktion auf wenige großeFarmen oder Industrieunternehmen. Auchder Export liegt in den Händen dieser we-nigen Unternehmen. So führt die Konzen-tration im Einzelhandel also auch zu einerKonzentration in der Produktion.

EINSCHUB | KONTROLLE UND BESCHAFFUNG DURCH DAS INTERNETDie Kontrolle der Wertschöpfungskette wirdunterstützt durch die neuen Informations-und Kommunikationstechnologien, vorallem durch das Internet. Es ermöglicht denEinzelhandelsunternehmen, ständig Infor-mationen über den Warenfluss einzuholenund die Lieferungen termingenau zu orga-nisieren. Ein Beispiel hierfür liefert dasdeutsche Fruchthandelsunternehmen Co-bana. Der Großhändler kauft Obst undGemüse weltweit in Ländern wie Ecuador,Costa Rica, Kolumbien, Chile und Südafrikaein. Den Großteil der Ware bezieht erdirekt von den Produzenten, d.h. er kauft

die Äpfel sozusagen, wenn sie noch amBaum hängen. Internetgestützt kontrolliertund steuert der Großhändler die Kettevom Anbau über Ernte und Verpackungbis zur Einfuhr nach Deutschland. »Wirwollen von der Produktion bis ins Regal diegesamte Kette im Blick haben,« so ein Mit-arbeiter von Cobana. Das Internet spieltfür das globale Beschaffungssystem zuneh-mend auch dann eine Rolle, wenn Aufträgeper Mausklick vergeben werden. REWEschreibt z.B. Aufträge für Weine im Inter-net aus. Derzeit holt das Unternehmen aufdiese Weise Angebote für 17 Millionen Fla-schen Wein ein, die bei Penny verkauftwerden sollen. Auch geeignete Weine ausChile, Kalifornien und Südafrika sucht dasUnternehmen über Online-Ausschreibun-gen. Online-Sourcing – der Bezug vonWaren über das Internet – ist oft mit Preis-Auktionen verbunden. So hat die öster-reichische REWE vor kurzem eine dreistelligeTonnenmenge Schinken im Internet erstei-gert, die beim österreichischen Billa verkauftwird. Bei der deutschen REWE werdenheute ca. 200 Einkaufsaktionen pro Jahrgeschaltet und auch Metro kauft vieleLebensmittel bei Internetauktionen.

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

DIE ZEHN GRÖßTEN UNTERNEHMEN IM LEBENSMITTELEINZELHANDELWELTWEIT – UMSATZ 2003 IN MILLIARDEN US-DOLLAR ●12

Wal-Mart (USA) 256,329 Mrd. USD

Carrefour (Frankreich) 79,609 Mrd. USD

Ahold (Niederlande) 63,325 Mrd. USD

Metro (Deutschland) 60,532 Mrd. USD

Kroger (USA) 53,791 Mrd. USD

Tesco (Großbritannien) 50,326Mrd. USD

Target Corp (USA) 48,163Mrd. USD

REWE (Deutschland) 44,251Mrd. USD

Costco Wholesale (USA) 41,693Mrd. USD

Aldi (Deutschland) 41,011Mrd. USD

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der Auktion ist der Zulieferer, der den Preismöglichst weit nach unten gedrückt hat.KarstadtQuelle spart damit eine MengeGeld. Der Zulieferer gibt den Druck meistnach unten an die Beschäftigten weiter.Dies schlägt sich häufig in unbezahltenÜberstunden, einer schlechten Ausstattungdes Arbeitsplatzes oder niedrigen Löhnennieder.

Für KarstadtQuelle zahlen sich die Inter-net-Auktionen aus: Sie senken den Be-schaffungspreis um bis zu fünfzehn Prozent,so Schätzungen des eigenen Managements.KarstadtQuelle wendet dieses Verfahrenbereits seit 1999 an. Bislang beträgt derAnteil der im Internet beschafften Wareunter 10 Prozent. Die Karstadt-Zentrale willihn jedoch langfristig auf ein knappes Drittelin allen Produktsparten steigern.

2.3.3 | ANGST VOR AUSLISTUNG: AUSTAUSCHBARKEIT DER HANDELSMARKENSelbst starke Markenhersteller können durchden Einzelhandel unter Druck gesetzt wer-den. Die Angst, ausgelistet zu werden, führtdazu, dass die Hersteller sich die Preise dik-tieren lassen. 2003 bot Lidl das Kartenspiel»Uno« von der Marke Mattel zu 4,99 Euroan. Dies sind zwei Euro weniger als es in denRofu-Fachmärkten kostet. Und diese rea-gierten prompt mit einer Preissenkung.Nachsehen hat der Hersteller, denn der Fach-markt holte sich den Einkommensverlust vonihm zurück. Ein Manager, dessen Firma so-wohl Aldi als auch Lidl beliefert, berichtetedem Handelsblatt: »Senkt Aldi die Preisefür ein Produkt X, will Lidl nachziehen undverhaftet dafür den Lieferanten. Und wenndu dann nicht mitmachst, bist Du ganzschnell draußen.« Die Metro-Gruppe ern-tete bereits eine Abmahnung vom Bundes-kartellamt wegen der rigorosen Ausnut-zung der Nachfragemacht gegenüber Zu-

Ein weiteres Beispiel ist die Beschaffungvon Polohemden, die KarstadtQuelle überden E-Marktplatz Texyard für seine haus-eigene Marke Le Frog ordert. Karstadt-Quelle stellt das Angebot mit genauenVorgaben bzgl. des Stoffes, des Garns, derVerarbeitung, der Lieferfrist und eines Preis-vorschlags ins Internet. Das Design ist ent-wickelt und Fotos zeigen, wie alles aussehensoll. Nun beginnen die Zulieferer, die welt-weit an ihren Computern sitzen, sich ineinem gnadenlosen globalen Preiswettbe-werb gegenseitig zu unterbieten. Gewinner

50 AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

Foto: Sarah Bormann, Berlin

links: Sarah Bormann

rechts: Sarah Bormann, Leerstand in

Neukölln/Berlin

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lieferfirmen. Denn nach Übernahme derAllkauf-Märkte 1998 wollte der Konzernvon deren Zulieferern rückwirkend günsti-gere Konditionen erzwingen.

Besonders stark ist der Druck auf Her-steller, die Handelsmarken liefern. Bei Dis-countern besteht ein Großteil des Sorti-ments aus Handelsmarken. Aber auch dieSB-Warenhäuser vertreiben zunehmend die-se »Aldinativen«. Im Lebensmitteleinzelhan-del stellen sie ein Drittel des Umsatzes dar.Der Unterschied zu den Markenproduktenbesteht darin, dass das Einzelhandelsunter-nehmen – wie beim Beispiel »Polohemd« –klare Vorgaben macht, in welcher Qualitätund Verpackung es ein Produkt kaufenmöchte. Im Gegensatz zu einem Marken-artikel wie z.B. Nutella, ist das Einzelhandels-unternehmen nicht an einen bestimmtenHersteller gebunden. D.h. es kann das Pro-dukt jederzeit austauschen und sich voneinem anderen Hersteller beliefern lassen.

Handelsmarken stehen aber auch fürdas neue Verhältnis zwischen Einzelhandelund Industrie bzw. Landwirtschaft. Sie sindein Beispiel dafür, dass der Einzelhandelzunehmend steuernd auf die gesamte Wert-schöpfungskette einwirkt. Denn er tritt nichtmehr in seiner herkömmlichen Rolle auf,vom Hersteller entwickelte, produzierte undzum Teil auch beworbene Waren an dieKundInnen zu bringen. Er selbst über-nimmt teilweise diese Aufgaben und lässtdie Produkte nach seinen Vorgaben her-stellen.

FAZIT | VON TANTE EMMA ZUM GLOBALEN KONZERN

Der Einzelhandel war bislang stark nationalausgerichtet, auch wenn einzelne Produkteschon immer aus fernen Ländern kamen.Die Organisation des Vertriebs orientiertesich am lokalen und nationalen Umfeld.Heute gibt es jedoch einen Trend hin zum

globalen Supermarkt. Das Sortiment gleichtsich an und zunehmend ähneln sich dieBetriebsformate. Auch die Folgen unter-scheiden sich kaum: Weltweit findet einstarker Konzentrationsprozess statt, demkleinere Geschäfte zum Opfer fallen.

Weltweit leiden Beschäftigte unter dergleichen miserablen Behandlung in denBetrieben. Nicht zuletzt verändert sich auchdie Aufgabenteilung zwischen Einzelhandelund Produktion – der Einzelhandel steuertmehr und mehr die gesamte globale Wert-schöpfungskette.

AUF DEM WEG ZUM GLOBALEN SUPERMARKT

●13

24,8%

2000

27,1%

2001

30,8%

2002

32,1%

2003

BEDEUTUNGSGEWINN DER HANDELSMARKEN VON 2000 BIS 2003

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Foto: Sarah Bormann, Berlin

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IN WESSEN INTERESSE?5252

Mit aller Macht und raffinierten Methodenversuchen die Arbeitgeber im Einzelhandelihre Interessen in der Politik durchzusetzen.Denn noch gibt es zahlreiche Regulierungen,die den reinen Gewinninteressen der großenEinzelhandelskonzerne Schranken setzen:Dumpingverbote und Genehmigungserfor-dernisse bei der Ansiedlung verhindernden ungehemmten Verdrängungswettbe-werb, und das gesetzliche Arbeitsrecht ge-bietet dem billigen Zugriff auf ArbeitkräfteEinhalt.

So können die Einzelhandelskonzerneihre ökonomischen Strategien nur dannuneingeschränkt verfolgen, wenn die Politikihnen dafür den Weg ebnet. Durch Lobby-arbeit nehmen sie deshalb gezielten Ein-fluss auf EntscheidungsträgerInnen – undstoßen dabei auf offene Arme. Denn Kon-zerne und politische Entscheidungsträgerverfolgen in Deutschland und auch in derEuropäischen Union die gleichen Interessenfür den Einzelhandel: Hauptsache global,Hauptsache groß.

3.1 | POLITIK NACH WESSEN MAßGABE?Auf EntscheidungsträgerInnen in der PolitikEinfluss zu nehmen, ist nichts Verwerfliches.Das tun auch Gewerkschaften und Ver-braucherverbände. Unternehmen verfügenaber zum einen über mehr Mittel und Wege,um ihre Interessen geltend zu machen. Zumanderen tragen politische Entscheidungs-trägerInnen selbst dazu bei, diese unglei-chen Machtverhältnisse zwischen den ver-schiedenen Interessensgruppen zu erhaltenund zu verschärfen: Sie schenken vor allemgroßen Konzernlobbyisten Aufmerksamkeit,verschaffen ihnen privilegierten Zugang zuInformationen, befragen sie ausdrücklichnach ihren Interessen und Wünschen undrichten ihre Politik danach aus. Immer häu-figer ist zu beobachten, dass Konzernlobby-isten aktiv in Beratungen einbezogen wer-den. Gewerkschaften und Nichtregierungs-organisationen (NRO) sitzen dabei höchstensam Katzentisch. Damit stellt sich die Fragenach der Demokratie: Was bedeutet es,wenn sich nur diejenigen durchsetzen, diesich die beste Lobbyarbeit leisten können?Vor allem aber ist entscheidend, nach wel-chen Interessen die politischen Entschei-dungsträgerInnen selbst handeln.

Die Wünsche der Arbeitgeber- undKonzernvertreter kommen bei PolitikerInnengut an: Man ist einer Meinung, dass Tarif-löhne Investitionshemmnisse, Verbraucher-belange, Wachstumshürden und Maßnah-men zur Regulierung der AnsiedlungspolitikBausteine einer »verkrusteten Bürokratie«sind. Während Konzernvertreter und Politi-ker Schutzrechte für VerbraucherInnen undBeschäftigte unisono als »Wachstums-hemmnisse« brandmarken, werden klarewirtschaftliche Interessen in windelweicheWorte verpackt: So ist in den Chefetagenund in Regierungskreisen statt von Sozialab-bau von »Reformen« die Rede. Ob Arbeits-marktreform, Reform des Ladenschlussge-

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IN WESSEN INTERESSE? DIE POLITISCHEN STRATEGIEN DER EINZELHANDELS-

KONZERNE3

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setzes oder Reform der Tarifautonomie –das Wort beschönigt einen systematischenAbbau von Rechten der Beschäftigten. EinBeispiel für diese neoliberale Rhetorik lie-ferte Metro-Chef Hans-Joachim Körber inseiner Rede auf der Hauptversammlung derMetro AG am 4. Juni 2004 in Düsseldorf:»Es zählt zu den großen Herausforderungenunserer Zeit, über Jahrzehnte gewachsenegesellschaftliche Verkrustungen aufzubre-chen«. Gewerkschaften tat er als »einzelnepolitische Kreise« ab, die die »Ausbreitungvon lediglich Lethargie und Zukunftsverwei-gerung« fördern. Die Interessen und Rechteder Beschäftigten stehen dabei hintan.

So ist es ein besonderer Skandal, wennArbeitgeber- und Wirtschaftsverbände ge-genüber der Politik im Namen des Einzel-handels auftreten und dennoch allein dieInteressen der Unternehmen befördern. DasMotto lautet: Was uns höhere Gewinneoder bessere Expansionsmöglichkeiten ver-schafft, ist gut für das ganze Land. Dochder Einzelhandel besteht nicht allein ausUnternehmerInnen. Und was den Einzelhan-delskonzernen zu mehr Gewinn verhilft,führt bei Beschäftigten eher zum Verlustvon Einkommen und sozialer Sicherheit.Deshalb darf die Interessensvertretung desEinzelhandels keinesfalls auf die Lobbyver-bände der Wirtschaft beschränkt bleiben.Schließlich sind es die 2,5 Millionen Be-schäftigten, die entscheidend dazu beitra-gen, dass die Unternehmen einen Jahres-umsatz von 370 Milliarden Euro einfahren.Die VerbraucherInnen wiederum habenAnrecht auf gute Versorgung und Service-leistungen. Diese Stimmen, das heißt dieder Gewerkschaften und kritischen Ver-braucherInnen, müssen gehört werden,wenn es um die Zukunft des Einzelhandelsgeht! Doch davon wollen weder die Einzel-handelskonzerne und ihre Verbände nochdie Politik etwas wissen.

3.2 | GUT AUFGESTELLT:EINZELHANDELSKONZERNE UND IHRELOBBY IN DEUTSCHLANDDie klassische Interessensvertretung derArbeitgeber im deutschen Einzelhandel istgeteilt: In der Bundesvereinigung der Ar-beitgeberverbände (BDA) gelten der Haupt-verband des deutschen Einzelhandels (HDE)und die Bundesarbeitsgemeinschaft derMittel- und Großbetriebe im Einzelhandel(BAG) als die beiden größten Interessens-verbände der Arbeitgeber im Einzelhandel.

Mit rund 400.000 Mitgliedsunterneh-men vertritt der HDE den Großteil derdeutschen Einzelhandelsbranche. Auch dieregionalen Tarifverhandlungen werden zumgroßen Teil von HDE-Landesverbändengeführt. Früher vertrat der HDE vor allemkleinere und mittlere Unternehmen. Daszeigt sich noch in manchen Positionspapie-ren, in denen beispielsweise gegen die Dis-countierung und Rabattschlachten im Ein-zelhandel gewettert wird. Im Jahr 2002schloss sich der HDE allerdings mit dem

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Foto: Werner Bachmeier, Auszubildende

beim Wareauffüllen in der Obst-

und Gemüseabteilung bei Kaufhof in

Ingolstadt

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Konzerne im Einzelhandel bestimmt: Kar-stadtQuelle stellt schon seit Jahren den Vor-stand der BAG. Der Machtkampf zwischenMetro als größtem Einzelhandelskonzernund KarstadtQuelle als größtem Waren-hauskonzern setzt sich auch auf Verbands-ebene fort: Als Metro 1996 aus der vonKarstadtQuelle dominierten BAG ausstieg,zog KarstadtQuelle kurze Zeit später nachund kehrte dem HDE, in dem Metro dieFäden in der Hand hält, den Rücken.

Neben den deutschen Verbänden nutzendie großen Einzelhandelskonzerne aberschon längst auch andere Instrumente fürihre Lobby-Strategien. Metro hat Verträgemit den Beratungsfirmen Deloitte&Toucheund Roland Berger geschlossen und lässtsich das hohe Summen kosten: Das Tages-gehalt eines Unternehmensberaters beiRoland Berger verdient eine Verkäuferin imEinzelhandel annähernd in zwei Monaten.Außerdem lassen die Konzerne exklusiveKongresse ausrichten, um persönliche Kon-takte mit hochrangigen politischen Ent-scheidungsträgerInnen zu pflegen.

»Genießen Sie einen spannenden Abendmit Top-Gästen aus Handel, Politik undWirtschaft (…). In einem einzigartigen Am-biente, in historischer Architektur umgebenvon edlen Automobilen, erwartet Sie ein›Berliner Abend‹ mit Buffet, Getränken undzahlreichen Gästen. Nutzen Sie die Ge-legenheit, Ihr Netzwerk an interessantenKontakten zu pflegen und auszubauen.«Mit diesen Worten luden beispielsweisedie Veranstalter zum Deutschen Handels-kongress 2004 ein. Der jährliche Handels-kongress, den u.a. der HDE ausrichtet undder von Metro gesponsert wird, dient alsKontaktbörse zwischen Politik und Wirt-schaft – in exklusivem Ambiente. Hier wer-den mit hochrangigen Entscheidungsträger-Innen aus der Politik die wichtigsten Inter-essen der Einzelhandelsunternehmen dis-

Bundesverband der Filialbetriebe und SB-Warenhäuser (BFS) zusammen. Damit ge-wannen die großen Filialisten an Einflussauf die Politik des Verbandes. Vor allemMetro sicherte sich den Zugriff auf die Ent-scheidungen des HDE.

Die BAG ist wesentlich kleiner als derHDE. Insgesamt umfasst sie rund 5.000Einzelhandelsgeschäfte, die Hälfte davonmittelständische und konzerngebundeneKauf- und Warenhäuser. Die BAG macht sichvor allem stark für den »Standort Innen-stadt« als Gegenkonzept zum Standort»Grüne Wiese«. Auch die Politik der BAGwird maßgeblich durch einen der größten

54 IN WESSEN INTERESSE?

WAS IST LOBBYINGFrüher hielten Interessensvertreter im Vorraum bzw. der Lobby des Parlaments Abgeord-

nete auf, um sie auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Daher stammt der Begriff des Lobbying.

Er bezeichnet die bewusste Einflussnahme verschiedener Interessensgruppen auf unterschiedliche

politische EntscheidungsträgerInnen – seien es ParlamentarierInnen oder RegierungsvertreterInnen.

Die Methoden des Lobbyings sind vielfältig: Sie reichen von der Erstellung von Expertisen und

Positionspapieren über Hinterzimmergespräche bis hin zu Methoden, die an Korruption grenzen.

●?

Foto: Georg J. Lopata/axentis.de,

Auszeichnung der Media Markt & Saturn

GmbH auf dem Deutschen Handelskongress

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kutiert. Im Jahr 2004 war CDU-ChefinAngela Merkel als Hauptrednerin für dieBegrüßungsveranstaltung geladen. Das»Top-Forum Handel-Wirtschaft-Politik« ver-einigte auf dem Podium »hochkarätige Ver-treter« aus den Bereichen Politik, Medien,Hersteller und Lobbyverbände. Einträchtigplauderten dort die wirtschaftspolitischeSprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion Dagmar Wöhrl, der Focus-Chefredak-teur Helmut Markwort, der Vorsitzendevon Unilever Deutschland sowie der HDE-Präsident Hermann Franzen. Beschäftigteoder GewerkschafterInnen waren auf kei-nem Podium anzutreffen. Während sichpolitische EntscheidungsträgerInnen undUnternehmen regelmäßig auf gemeinsameLinien einigen, bleiben Gewerkschaften undVerbraucherverbände außen vor.

3.3 | HAUPTSTADT DES LOBBYISMUS:EINZELHANDELSLOBBY IN BRÜSSELZentrale Entscheidungen für die Einzelhan-delsbranche werden bereits jetzt auf euro-päischer und globaler Ebene getroffen. InBrüssel werden nicht nur die Verordnungenund Richtlinien für die EU-Mitgliedsstaatenerlassen, sondern die EU-Kommission führtauch die Verhandlungen innerhalb derWelthandelsorganisation WTO. Folglich hatsich vor einigen Jahren in der EU-Haupt-stadt Brüssel die Lobby der Einzelhandels-unternehmen formiert.

Hier versammeln sich über 15.000 pro-fessionelle Lobbyisten, von denen etwa 70Prozent die Interessen der Wirtschaft vertre-ten. Nur etwa 20 Prozent arbeiten für Um-weltverbände, Gewerkschaften oder ähn-liche Gruppen. Etwa zehn Prozent sind imInteresse einer bestimmten Region, einerStadt oder einer internationalen Organisa-tion tätig. Neben den klassischen Lobby-verbänden zählt die Brüsseler Szene weitüber 1.000 Lobbygruppen sowie hunderte

PR-Agenturen und Anwaltskanzleien, dieden europäischen Konzernen zu Dienstenstehen.

Auch die deutsche Einzelhandelslobbyist mittlerweile nach Brüssel gezogen. DerHDE eröffnete dort bereits im Jahr 1998ein Büro. Unterstützung findet er in Brüsselvor allem bei EuroCommerce, dem euro-päischen Lobbyverband des Einzelhandels,in dem auch die BAG und die Metro AGMitglied sind. EuroCommerce bezeichnetsich selbst, unter völliger Ignoranz der Inter-essen der Beschäftigten und Verbraucher-Innen, als die »Stimme des Handels inBrüssel«. Der Verband vertritt über 100 Mit-

IN WESSEN INTERESSE?

Foto: European Community

Foto: European Community,

José Manuel Barroso, Präsident der

EU-Kommission

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schusswesen der Dreh- und Angelpunktder politischen Entscheidungsprozesse – daseuropäische Parlament hat nur wenig mitzu-entscheiden, selbst die nationalen Minister-Innen winken die Gesetzesvorschläge derBürokraten aus der Kommission in der Regeldurch. In der Kommission trifft die Verwal-tung mit den Lobbyexperten zusammen.Denn die Brüsseler Beamten sind auf Exper-tenwissen angewiesen – und das liefernihnen zahlreiche Wirtschaftsverbände freiHaus. Doch dieses Expertenwissen ist seltenneutral. Für die, die genügend Geld in derHinterhand haben, um Experten bereit zustellen, sind deshalb die Bedingungen gera-dezu ideal, um wirksam Einfluss auszuüben.

Zahlreiche Brüsseler Initiativen sind vonBedeutung für den Einzelhandel. Doch werkann sich gleichzeitig in die neuen Richt-linien zur Verkaufsförderung, zu Leiharbeit,zu Berufsqualifikationen oder Verbraucher-schutz einarbeiten? Gewerkschaften fehlenvielfach die Ressourcen, um neben Arbeits-kämpfen und Einflussnahme im Inlandauch noch hochkomplexe Entscheidungs-prozesse in Brüssel mitzuverfolgen. Dochdas sollte auch gar nicht ihre Aufgabe sein.Vielmehr müsste die Politik transparenteStrukturen und effektive sowie übersichtli-che Informationsmöglichkeiten schaffen,so dass eine spezialisierte private »Experto-kratie« gar nicht erst nötig wäre.

Meist muss sich die Konzern-Lobby nochnicht einmal selbst bemühen, um ihrenEinfluss geltend zu machen. Getreu demMotto »Wie hätten Sie’s denn gern?« bietetihr die EU-Kommission privilegierten Zu-gang zu Informationen und fordert sie aus-drücklich zur Eingabe ihrer Wünsche undInteressen auf. So berichtet der Handels-lobbyverband EuroCommerce in seinemJahresbericht 2003: »Die Kommission ihrer-seits bat um konkrete Beispiele von Hinder-nissen, welche die Unternehmen antrafen,

glieder, darunter überwiegend nationaleArbeitgeberverbände, aber auch einzelneKonzerne, wie Metro und IKEA. Mit zahl-reichen Positionspapieren und Vorlagen fürdie EntscheidungsträgerInnen in Brüsselmischt sich der Verband direkt ins politi-sche Tagesgeschäft ein.

Ein wahrer Saurier der Lobbyverbändein Brüssel ist der European Retail Roundtable(ERRT), der »Runde Tisch« des europäischenEinzelhandels. Die Mitgliedschaft ist exklu-siv: Nur die größten EinzelhandelskonzerneEuropas sind dabei. Dies dient dem Macht-erhalt und der Bündelung der Interessender wirklich Großen im Einzelhandel. DerERRT vertritt beispielsweise Carrefour, RoyalAhold, C&A und Tesco. Einziger deutscherKonzern im ERRT ist die Metro Gruppe.

Es ist kein Zufall, dass gerade in Brüsseldie Konzernlobby so stark vertreten ist.Hier werden nicht nur wichtige Entschei-dungen getroffen, sondern insbesonderedie EU-Kommission zeigt sich auch äußerstoffen für die Interessen der Konzerne. Undsie ist mit ihrem unübersichtlichen Aus-

56 IN WESSEN INTERESSE?

Foto: axentis.de, Deutscher

Handelskongress 2004

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als sie sich im Ausland niederlassen bzw.Dienstleistungen erbringen wollten.« Euro-Commerce nennt vor allem Ladenschluss-zeiten, Arbeitszeitregelungen und Geneh-migungsanforderungen bei der Ansiedlungals solche »Hindernisse«. Während der letz-ten WTO-Ministerkonferenz war EuroCom-merce erstmalig als Mitglied der offiziellenEU-Delegation vor Ort vertreten.

Darüber hinaus fordert die EU sogarselbst ausdrücklich zur Gründung von Lob-bygruppen auf. Ein Beispiel dafür ist dasEuropean Services Forum (ESF). Dieser Zu-sammenschluss der europäischen Dienst-leistungskonzerne dient dazu, die EU-Kom-mission in den Dienstleistungsverhandlun-gen im Rahmen der WTO zu beraten.

Der zuständige EU-Kommissar hatte denbritischen Profi-Lobbyisten Andrew Buxtonmit der Gründung dieses Lobbyverbandsbeauftragt und sicherte den Konzernvertre-tern bei der Gründung des ESF im Jahr1999 zu, dass er ihre Eingaben und ihreInteressen direkt in die WTO-Verhandlun-gen einbringen würde. Neben dem briti-schen Marks and Spencer und dem nieder-ländischen Royal Ahold ist die Metro AG alseinziges deutsches Einzelhandelsunterneh-men im ESF vertreten. Auch der exklusiveERRT sowie EuroCommerce mischen im ESFmit. Nicht nur im ESF – in Brüssel funktio-niert die Zusammenarbeit zwischen EU-Kommission und den Konzernen wie geölt.Da überrascht es nur noch wenig, dass sichdie Vorschläge der EU-Kommission für Ver-ordnungen und Richtlinien meist so lesen,als hätten Metro oder Carrefour sie denEU-Bürokraten direkt in die Feder diktiert.

FAZIT | TAUBE OHREN FÜR GEWERKSCHAFTEN, OFFENE ARME

FÜR KONZERNLOBBYISTENKonzerne versuchen, ihre ökonomischen In-teressen auch auf politischer Ebene durch-

zusetzen. Dabei sind sie äußerst erfolg-reich – sowohl in Berlin als auch in Brüssel.Sie mobilisieren hohe Summen, um professi-onelle Lobbyisten zu engagieren. Vor allemaber gewährt ihnen die Politik privilegiertenZugang zu Informationen und bezieht siedirekt in Entscheidungsprozesse ein. Dasliegt insbesondere daran, dass in Regie-rungskreisen systematisch eine konzern-freundliche Politik betrieben wird, bei derdie Interessen der Beschäftigten hintenangestellt werden. Das Ganze wird dannals »Reformpolitik« verkauft.

Gewerkschaften und kritische Verbrau-cherInnen dürfen sich nichts vormachenlassen: Gegen die gemeinsamen Kampag-nen von Politik und Wirtschaft müssen sieihre eigenen Kräfte einsetzen. Um auf Miss-stände wie z.B. den Abbau von Arbeits-plätzen aufmerksam zu machen, müssensie die betroffenen Menschen informieren,durch Bildungsarbeit qualifizieren und fürihre Interessen mobilisieren. Ihre Lobbyarbeitmuss mit diesen Menschen stattfinden undnicht ohne sie in Hinterzimmern.

IN WESSEN INTERESSE?

DIE KÖNIGIN DES LOBBYING – DIE METRO GRUPPE »Auf die Politik können wir jedenfalls nicht hoffen, wir müssen selbst etwas tun«, so begrün-

det Metro-Vorstandschef Hans-Joachim Körber die intensive Lobbyarbeit seines Konzerns. Die Metro

ist nicht nur die Nummer Eins im deutschen Einzelhandel, sondern auch führend in ihren deutschen

und europaweiten Lobbyaktivitäten. Vertreter des Konzerns finden sich in vielen Lobbyverbänden:

Der HDE wird maßgeblich durch Metro gesteuert, im ERRT ist Metro als einer der vierzehn größten

Einzelhandelskonzerne Europas vertreten. Sogar bei EuroCommerce – vorrangig ein Dachverband

für Arbeitgeberverbände – ist Metro Mitglied. Metro stellt zudem den Präsidenten der Außen-

handelsvereinigung des deutschen Einzelhandels (AVE), drängt mit Hilfe des ESF auf die weltweite

Liberalisierung des Einzelhandelssektors und lenkt als Mitglied des Eurohandelsinstituts (EHI) auch die

Geschicke der Forschung im Bereich Einzelhandel. In der BDA stellt Metro mit seinem Vorstandsvor-

sitzenden Körber den Vizepräsidenten. Im Jahr 2004 fungierte Metro als Hauptsponsor des Deut-

schen Handelskongresses und besetzte einen Posten als Beirat. Da ist es kein Wunder, dass Unter-

nehmen aus der Metro-Gruppe am Ende des Tages mit Preisen ausgezeichnet werden: 2004 nahm

u.a. Leopold Stiefel für Media Markt und Saturn den Deutschen Handelspreis entgegen. Sowohl

in Deutschland als auch in der EU arbeitet Metro mit verschiedenen Beratungsfirmen zusammen.

Metro bereitet derzeit die Einrichtungen von Hauptstadtbüros in Berlin und Brüssel vor.

●?

fi

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Verbraucherrechte und Menschenrechte imBetrieb werden durch gesetzliche Regelun-gen verankert. Ein Wochenende für dieFamilie? Nur eine Regelung zu Ladenöff-nungszeiten kann dies sichern. Faire Preise?Nur gesetzliche Regelungen können Dum-ping unterbinden. Läden, die auch zu Fußzu erreichen sind? Nur die Regelung derAnsiedlungen von Geschäften in der Kom-mune kann den Erhalt eines wohnortnahenEinzelhandels gewährleisten.

Solche Regeln sind soziale Errungen-schaften. Sie schreiben politische Verant-wortung fest und bieten Schutz für dieSchwächeren im Machtungleichgewichtzwischen Arbeitgebern und Beschäftigten.Im Interesse eines gut funktionierendenEinzelhandels müssen Regeln und Rechteerhalten bleiben.

Doch derzeit findet ein Abbau vonSchutzrechten auf nationaler Ebene statt.Zudem werden zunehmend Entscheidungs-kompetenzen nationaler Regierungen aufdie Europäische Union und die Welthandels-

REGELN SIND RECHTE

organisation WTO verlagert. Dadurch wirdauch die Einflussnahme der betroffenenMenschen zunehmend schwieriger.

4.1 | REGULIERUNG IN DEUTSCHLAND

Die kommunale, regionale und nationaleEbene ist noch immer das wichtigste Feld,auf dem Politik gestaltet und vor allem auchumgesetzt wird. Für den Einzelhandel sinddrei Bereiche besonders wichtig, im Rahmenderer die Bedürfnisse von VerbraucherInnenund Beschäftigten reguliert werden: Ar-beitsbedingungen, Preispolitik und Ansied-lungspolitik. Unter der Devise der DEREGU-LIERUNG werden Regulierungen auf natio-naler Ebene entweder gänzlich abgeschafft,durch die Praxis aufgeweicht oder aufgrundfehlenden politischen Willens gar nichtmehr angewandt. Argumentiert wird hiermit Arbeitsplätzen und Globalisierungs-druck. Letztlich geht es jedoch darum,grundlegende Rechte von Arbeitnehmer-Innen abzubauen, um den Unternehmenden Zugriff auf die »Ware Arbeitskraft« zuerleichtern. Zudem ebnet diese Deregulie-rungspolitik der weiteren Expansion derKonzerne und Discountierung des Einzel-handels den Weg.

4.1.1 | DARF’S ETWAS WENIGER SEIN?:MINI-JOBS BEDROHEN GESICHERTE ARBEITSVERHÄLTNISSE Im Einzelhandel gibt es derzeit einen echtenBoom an Mini-Jobs, wodurch versiche-rungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitstellenzunehmend verdrängt werden (siehe Kapi-tel 1). Mini-Jobs sind Teil der Konzernstra-tegie der Segmentierung – also einer Zer-stückelung der Arbeitsprozesse in einzelneTätigkeiten unterschiedlicher Qualifikation(siehe Kapitel 2). Die Regelung der gering-fügigen Beschäftigung wurde in den letztenJahren mehrmals geändert. 1998 hob die

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REGELN SIND RECHTE: REGULIERUNGEN AUF NATIONALER, EUROPÄISCHER UND GLOBALER

EBENE4

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59REGELN SIND RECHTE

rot-grüne Regierung die Sozialversiche-rungsfreiheit für die damals noch als 630-Mark-Jobs bezeichneten Mini-Jobs wiederauf, um die Sozialkassen zu füllen. MitHartz II wurde im Jahr 2003 diese Reformwieder einkassiert und erneut ein für Ar-beitnehmerInnen abgabenfreies Arbeitsver-hältnis geschaffen. Zwar zahlen die Arbeit-geber monatlich pauschal Kranken- undRentenversicherung, den Mini-JobberInnenkommt das jedoch kaum zugute. Sie erhal-ten keinen Anspruch auf Krankenversiche-rungsschutz und die Rentenansprüchesind minimal. Die 48 Euro, die der Arbeit-geber im Monat an die Rentenversicherungabgibt, erhöhen die Rentenansprüche vonMini-JobberInnen monatlich gerade einmalum 22 Cent in Ost- bzw. um 23 Cent inWestdeutschland. Eine der zentralen Er-neuerungen von Hartz II ist, dass die bishe-rige Begrenzung der Arbeitszeit auf fünf-zehn Wochenstunden wegfällt. Für 400Euro kann man nun beliebig lange schuften.Damit wird deutlich, dass es hier in ersterLinie um den Ausbau eines Niedriglohn-sektors geht, der erheblichen Druck aufalle Vollzeitbeschäftigten ausübt. So erklärtdas übrigens auch Ulla Schmidt, Bundes-ministerin für Gesundheit und sozialeSicherheit, in einer Broschüre des gleichna-migen Ministeriums: »Durch diese Neuord-nung wird diese Beschäftigungsform zu-kunftsfähig und attraktiv gestaltet, so dass

die Wirtschaft wieder flexible Gestaltungs-möglichkeiten für Beschäftigungen imNiedriglohnbereich erhält.« Und was kommtals nächstes – darf’s etwas weniger sein?Der Weg vom Mini-Job zum 1-Euro-Job istnicht weit.

4.1.2 | SCHLEICHENDER AUSSTIEG AUS DEN TARIFVERTRÄGENFür Beschäftigte sind Tarifverträge nochimmer eines der wirksamsten Mittel, umgrundlegende Rechte u.a. zu Arbeitszeiten,Urlaubsansprüchen sowie Löhnen und Ge-

WAS IST DEREGULIERUNGDer Begriff Deregulierung bezeichnet die Auflösung von bestehenden gesetzlichen Rege-

lungen, wie z.B. Bestimmungen zum Kündigungsschutz. Dies wird mit dem neoliberalen Argument

begründet, dass die Wirtschaft bei möglichst geringen staatlichen Eingriffen am besten gedeiht.

Meistens sollen bestimmte Bereiche wie Arbeitsmarkt, Preisbildung oder Umweltbestimmungen

dereguliert werden. Staatliche Eingriffe beispielsweise bei Subventionen oder Patentrechten bleiben

aber bestehen. In der Praxis ist Deregulierung zudem meist mit dem Erlass neuer Regelungen ver-

bunden – wie z.B. die Minijob-Regelung. Diese setzen jedoch einseitig die Forderungen der

Unternehmen zu Lasten der Beschäftigten durch.

●?

Foto: Werner Bachmeier, Dekorateurin

beim Aufbau einer Schaufensterpuppe

bei Kaufhof in Krefeld

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Dies trifft bei weitem nicht mehr für alleEinzelhandelsbetriebe zu. Bis 1999 galtenin der Mehrheit der Bundesländer noch insämtlichen Betrieben des Einzelhandels dieEinkommenstarifverträge, gestützt durcheine Allgemeinverbindlichkeitserklärung.Eine solche Erklärung dehnt die Wirkungvon Flächentarifverträgen auch auf nichttarifgebundene Unternehmen und Beschäf-tigte aus. Hierzu kann der Minister für Wirt-schaft und Arbeit im Einvernehmen mitdem Tarifausschuss, dem je drei Vertreterder Spitzenverbände der Arbeitgeber undArbeitnehmer angehören, den jeweiligenTarifvertrag für allgemeinverbindlich erklä-ren. Seit 2000 wurde diese Regulierungs-möglichkeit im Einzelhandel auf ein Mini-mum zurückgeschraubt – vor allem dankdes Arbeitgeberverbands BDA, der in denregionalen Tarifausschüssen regelmäßig einVeto gegen solche Erklärungen einlegt.Mittlerweile gibt es im Einzelhandel wederallgemeinverbindliche Manteltarifverträge,die Arbeitsbedingungen regeln, noch all-gemeinverbindliche Gehaltstarifverträge.

Insbesondere im Osten ist die Tarifbin-dung stark rückläufig. Zum Teil sind dort nurunter 20 Prozent der ArbeitnehmerInnenwie auch der Betriebe tariflich gebunden.In Bayern sind zwar auch nur 11.500 von71.000 Betrieben im Einzelhandel tarifge-bunden. Diese beschäftigen allerdings über50 Prozent der ArbeitnehmerInnen. Selbsttarifgebundene Betriebe geraten unterDruck: Mit Verweis auf die Krise des Einzel-handels fordern die Arbeitgeber immerwieder die Einführung tariflicher Öffnungs-und Härtefallklauseln. Solche Klauseln er-lauben Ausnahmen vom Flächentarifvertrag,wie z.B. niedrigere Löhne oder längere undflexiblere Arbeitszeiten. Angeblich solltensolche Klauseln vor allem den Unternehmenin Ostdeutschland ermöglichen, bei schwie-riger wirtschaftlicher Lage von vereinbarten

hältern im Betrieb durchzusetzen. Doch ge-rade deswegen werden insbesondere Flä-chentarifverträge von Unternehmen undunternehmensfreundlichen PolitikerInnenimmer wieder als so genannte Wirtschafts-hemmnisse gebrandmarkt. »Man müsste einLagerfeuer machen und erst mal die ganzenFlächentarifverträge verbrennen«, fordertez.B. Michael Rogowski, der frühere Präsi-dent des Bundesverbandes der DeutschenIndustrie (BDI). Flächentarifverträge sind diewichtigsten Tarifverträge, da sie für eineBranche bzw. eine Teilbranche – je nachVereinbarung – entweder bundesweit oderzumindest in einer gesamten Region gelten.Im Gegensatz zu Firmen- und Haustarifver-trägen werden die Beschäftigten in denTarifverhandlungen von verhandlungssiche-ren Tarifausschüssen vertreten und könnenihren Interessen bei einem Scheitern derVerhandlungen durch Arbeitskämpfe Nach-druck verleihen.

Tarifverträge nützen in der Regel nurdann, wenn ein Betrieb tarifgebunden ist.

60 REGELN SIND RECHTE

Foto: Kurt Poppel, Demonstration

Kempten 3.12.2003

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Tarifverträgen abzuweichen. Mittlerweiledienen sie aber vor allem dazu, bestehendeFlächentarifverträge weiter zu unterlaufen.

Im Vergleich zu anderen Branchen, wieder Metallindustrie, konnten sich die Be-schäftigten im Einzelhandel bislang nochvergleichsweise erfolgreich gegen Angriffeauf Flächentarifverträge wehren. Doch dieGründe für diesen Sonderweg im Einzel-handel sind ernüchternd: Durch die Mög-lichkeit, z.B. Vollzeitstellen in Mini-Jobsumzuwandeln, steht den Unternehmen imEinzelhandel ohnehin schon ein Instrumentzur Kostenersparnis und zur Umgehung vonTarifverträgen zur Verfügung. Dennoch istim Einzelhandel mit weiteren Ausstiegenaus Tarifverträgen und der systematischenAushöhlung von Flächentarifverträgen zurechnen. Das wird die Beschäftigten im Ein-zelhandel besonders hart treffen, denn invielen Betrieben und Unternehmen machtein niedriger Organisationsgrad eine be-triebliche Durchsetzung von Mindeststan-dards nahezu unmöglich.

4.1.3 | PREISKRIEG AM RANDE DER LEGALITÄTRabattjagden, »Mega Sale«, Kundenkartenund Event-Verkäufe – mit immer neuenMethoden versuchen Unternehmen, dieKundschaft in ihre Geschäfte zu locken. ImTeufelskreis des wachsenden Verdrängungs-wettbewerbs und der sinkenden Umsätzegreifen Einzelhandelsunternehmen zu zwei-felhaften Preiskampfstrategien. Ermöglichtwurde diese Entwicklung vor allem durchdie Aufhebung des Rabattgesetzes undder Zugabeverordnung im Juli 2001. Dieseschützten KundInnen noch vor übereiltenKäufen, ausgelöst durch irreführende Preise,lockende Zugaben oder missbräuchlicheRabatte. Seit Sommer 2004 sind auch dieRegelungen für Saisonschlussverkäufe ge-fallen: Wilde Rabattschlachten sind nun

über das ganze Jahr verteilt möglich. Dochdies ist erst der Anfang.

Noch gibt es in Deutschland Regelungen,die einem reinen »Wildwest-Marketing«Einhalt gebieten. So verbietet das »Gesetzgegen unlauteren Wettbewerb« (UWG)Werbung oder Zugaben, die gegen »dieguten Sitten« verstoßen, psychologischenKaufzwang ausüben oder übertriebeneKaufanreize darstellen. Doch die Einzelhan-delskonzerne finden ihre eigenen Wege, wiesie die Gesetzgebung umgehen können –und schlittern dabei nicht selten am Randeder Legalität. Das beste Beispiel dafür istMedia Markt: Pünktlich zum Jahreswechsel2004/2005 kündigte der Elektronik-Fach-markt an: »Am 3. Januar zahlt Deutschlandkeine Mehrwertsteuer. Alle Produkte da-durch 16 Prozent billiger«. Doch natürlichmuss Media Markt auch an diesem Tag dieMehrwertsteuer abführen. Die Werbungist also in jedem Fall irreführend und damitverboten. Schon im Sommer hatte MediaMarkt während der Fußball-Europameister-

REGELN SIND RECHTE

Fotos: Guido Siegel

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Dumping. Dies soll verhindern, dass Kon-zerne ihre Monopolstellung gegenüber denProduzenten und ihren Konkurrenten zusehr ausnutzen. Dass eine solche Regelungbitter nötig ist, zeigt das Beispiel Wal-Mart:Bei seinem Eintritt in den deutschen Marktversuchte der US-amerikanische Konzern,die Konkurrenz mit Dumpingpreisen ausdem Feld zu schlagen. REWE, Lidl oder Aldikonterten mit Gegenangeboten und liefer-ten sich einen ruinösen Preiskampf. SowohlWal-Mart als auch Lidl und Aldi botendabei Grundnahrungsmittel wie Milch oderZucker teilweise unter den Einkaufspreisenan. Im September 2000 konnte das Bundes-kartellamt auf der Grundlage des Dumping-verbots diesen zerstörerischen Wettkampfnoch stoppen. Zu spüren bekommen solchePreiskämpfe nicht nur ein paar glücklicheSchnäppchenjäger. Denn gespart wird beiden Beschäftigten, beim Service und beider Produktqualität. Und schließlich führtder ungezügelte Preiskrieg auch zu einemVerdrängungswettbewerb in der Einzelhan-delsbranche. Nur die Großen können essich dauerhaft leisten, »Dauertiefstpreise«in einer Produktsparte durch Einnahmen ausanderen Bereichen auszugleichen. Für alleanderen werden angemessene Preise zuWettbewerbsnachteilen. So graben sich dieEinzelhandelsunternehmen mit spektakulä-ren Rabatt- und Werbeaktionen letztend-lich selbst das Wasser ab.

Diese Entwicklung werden auch diebestehenden Regelungen zum Schutz derVerbraucherInnen, der Produzenten undeiner vielfältigen Einzelhandelslandschaftnicht mehr lange aufhalten: Juristen sagtenbereits nach der Aufhebung der Rabatt-und Zugabeordnung eine weitere Aufwei-chung von Regelungen voraus. Denn imZuge der Deregulierungspolitik bestehtkaum ein politischer Wille, die Regelungenstreng anzuwenden und aufrechtzuerhal-

schaft mit einer spektakulären Aktion aufsich aufmerksam gemacht: Wer am 1. Julieinen Fernseher kaufte, dem versprachMedia Markt, den Preis zurückzuerstatten,falls Deutschland Fußball-Europameisterwürde. Das Hamburger Landgericht konntezumindest in vier Hamburger Filialen dieAktion stoppen: Es handele sich um einenklaren Verstoß gegen das UWG. Dennochging die Wette für den Elektronik-Händlerauf: In allen übrigen Filialen verkaufte er aneinem Tag viermal so viele Fernseher wiesonst. Was Media Markt als innovative Mar-keting-Strategie einsetzt, führte bei Kundenim Nachhinein zu Ärger. Durch übereilteKäufe haben sich manche zu Schuldnerngemacht. Auch die Konkurrenten fühlensich durch solche Aktionen ausgebootet.

Auch das deutsche Dumpingverbotversuchen die Einzelhandelskonzerne zuumgehen: Die Kartellgesetzgebung (Gesetzgegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB)verbietet den ständigen Verkauf von Warenunter dem Einstandspreis, das so genannte

62 REGELN SIND RECHTE

Foto: Sarah Bormann, Berlin Ostbahnhof,

Sonntagsöffnung ist bereits Realität

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ten. Was jetzt also noch zum Teil verbotenist, könnte in Zukunft gang und gäbe sein –und dann ganz legal.

4.1.4 | LADENSCHLUSS: WOCHEN OHNE ENDE – ABENDE OHNE FEIERNFür Beschäftigte im Einzelhandel ist Zeit fürden Freundeskreis, den Sportverein oder dieFamilie schon längst keine Selbstverständ-lichkeit mehr. Selbst in ihrer Freizeit müssenviele Beschäftigte auch am Abend und anden Wochenenden auf Abruf bereit stehen(siehe Kapitel 1). Bisher schützt das Laden-schlussgesetz die Beschäftigten im Einzel-handel noch davor, bis tief in die Nacht zuarbeiten oder Sonntagsschichten einzule-gen. Früher gehörten auch die Abende undder Samstag noch zur Freizeit, doch damitist schon lange Schluss. Der erste Angriffauf den Feierabend begann im Jahr 1989mit der Einrichtung des »langen Donners-tags«. 1996 wurde die Ladenöffnung bis20 Uhr auf alle anderen Wochentage aus-geweitet und für den Samstag von 14 auf16 Uhr verlängert. Ab Sommer 2003 stan-den »Wochenenden ohne Ende« auf demProgramm: Die Öffnung des Einzelhandelsist heute auch Samstags bis 20 Uhr erlaubt.

Die Folgen längerer Öffnungszeiten sindbekannt. Sie führen zu einer höheren Bela-stung für die Beschäftigten, da entwedernur Mini-Jobs geschaffen werden, oder dieBeschäftigten länger arbeiten müssen. Zu-dem beschleunigen sie den Verdrängungs-wettbewerb: Statt einer Umsatzsteigerungbezwecken sie, dass VerbraucherInnen zuanderen Zeiten und an anderen Orten ein-kaufen – in großen Einkaufszentren statt inkleineren Geschäften, die um 18 Uhrschließen. Letztlich werden deshalb auchdie VerbraucherInnen darunter leiden, dassihre Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarerNähe nicht zu früh, sondern gleich völligschließen müssen.

Dennoch wird der Abbau des Laden-schlussgesetzes weiter vorangetrieben: ImApril 2004 forderte WirtschaftsministerWolfgang Clement unter der Losung des»Bürokratieabbaus« gar die völlige Ab-schaffung des Gesetzes. Die Metro-TochterKaufhof legte sogar eine Verfassungsbe-schwerde ein. Das Karlsruher Verfassungs-gericht lehnte diese allerdings im Juni 2004ab und erklärte das Ladenschlussgesetz fürrechtmäßig. Nun steht der Angriff auf denfreien Sonntag auf dem Programm, undder geht bereits jetzt schleichend voran:Immer häufiger werden Sonderverkaufsver-anstaltungen an Sonntagen durchgeführt,bei denen auch bei Überschreitung dergesetzlichen Regelungen oft ein Auge zu-gedrückt wird. Ein Beispiel ist IKEA: SeitHerbst 2004 öffnet der Möbelhändlerregelmäßig zwischen 11 und 17 Uhr für sogenannte »Schausonntage« die Pforten.Der Protest war groß: Mit dem Slogan»Arbeitest Du bei IKEA oder lebst Duschon?« rief die Katholische Arbeitnehmer-

REGELN SIND RECHTE

Foto: Protestbrief gegen die

Schausonntage bei IKEA

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Wettkampf der Bürgermeister um den größ-ten Supermarkt ist in vollem Gange. Ange-trieben wird dies durch finanzstarke Immo-bilienmakler, die die Kommunen als »City-Manager« bei ihrer Ansiedlungspolitik be-raten. Doch dabei geht es nicht nur umdas Prestige. Die völlig unterfinanziertendeutschen Kommunen tun alles, um ihreEinnahmen auch durch Neuansiedlungenzu erhöhen. Denn eine ihrer wichtigstenEinnahmequelle ist die Gewerbesteuer. DerErhalt eines vielseitigen und flächendecken-den Einzelhandels gerät dabei leicht insHintertreffen. Dabei stehen den Kommunenhierfür zahlreiche Regulierungsmöglich-keiten zur Verfügung. Es fehlt allerdingsder politische Wille zur Anwendung dieserRegelungen.

Lokale Wirtschaftsförderung zum Erhalteiner wohnortnahen Versorgung kann eineKommune beispielsweise über Zuschüssezum Denkmalsschutz, zur Verschönerungder Innenstädte oder zum Ausbau desöffentlichen Nahverkehrs betreiben.

Das wichtigste Instrument zur räumli-chen Planung des Einzelhandels sind Be-bauungspläne. Über die Ausweisung be-stimmter Baugebiete kann die Kommunevor allem der permanenten Ausdehnung derEinzelhandelsverkaufsflächen Einhalt gebie-ten. Die Baunutzungsverordnung schreibt inParagraph 11, Absatz 3 vor, dass »groß-flächige Handelsbetriebe«, d.h. in der RegelEinzelhandelsunternehmen mit einer Ge-schossfläche von über 1.200 qm, nur inGebieten errichtet werden dürfen, die alsSondergebiete ausgewiesen sind.

Laut Gesetz muss dabei insbesonderedie Sicherung der »verbrauchernahen Ver-sorgung« berücksichtigt werden. Auch beikleineren Läden gibt es Steuerungsmög-lichkeiten. Eine Kommune kann im Bebau-ungsplan für bestimmte Gebiete zumBeispiel festlegen, welche Sortimente sie

Bewegung (KAB) zu einer Kunden-Brief-aktion auf. IKEA reagierte auf die Protesteder Belegschaft mit der Drohung, Fremd-personal einzusetzen. Auch die Umwand-lung von Bahnhöfen in riesige Shopping-center, in denen ganz nebenbei auch nochZüge ein- und ausfahren, untergräbt dieSonntagsregelung: Ob Kleidung, ein kom-plettes Supermarktangebot oder sogarHandy-Läden – hier dürfen Geschäfte aucham Sonntag »Reiseproviant« verkaufen.

4.1.5 | KOMMUNALE ANSIEDLUNGSPOLITIK:WETTKAMPF DER BÜRGERMEISTER UM DENGRÖßTEN SUPERMARKTIn den innerstädtischen Fußgängerzonen istes leerer geworden: Das Ladensterben gehtum. Statt einer vielfältigen Einzelhandels-landschaft sprießen nun die Discounter ausdem Boden, und draußen auf der grünenWiese entstehen riesige Einkaufszentren.Diese Konzentrationsstrategie der großenKonzerne (siehe Kapitel 2.2) wird von derkommunale Politik vielfach unterstützt. Der

64 REGELN SIND RECHTE

Foto: Peter Wahl, Einkaufszentrum,

Stadtrand Berlin

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ansiedeln bzw. ausschließen will, Flächen-vorgaben machen und die Anzahl derBetriebe begrenzen.

ZWISCHENFAZIT: KEIN POLITISCHER WILLE FÜR REGELN

Noch gibt es in Deutschland Regeln zumSchutz von Beschäftigten und Verbraucher,zur Steuerung der Preis- und Ansiedlungs-politik. Doch sie werden von mehreren Sei-ten angegriffen. Die Politik treibt den Abbaugesetzlicher Regelungen voran. Gleichzeitigwerden bestehende Regulierungen durchraffinierte Methoden der Einzelhandels-unternehmen unterlaufen. Schließlich wer-den geltende Regulierungen auch gar nichtmehr angewandt. Offensichtlich fehlt derpolitische Wille, einen Einzelhandel zu ge-stalten, der den Bedürfnissen der Verbrau-cherInnen und Beschäftigten entspricht.Stattdessen wird den großen Einzelhandels-ketten eine ungehemmte Expansion ermög-licht. In Zukunft wird sich diese Entwicklungnoch verstärken, denn die Verlagerung vonEntscheidungen auf die europäische undglobale Ebene wird gezielt für einen weite-ren Abbau von Regulierungen benutzt.

4.2 | DIE BOLKESTEIN-RICHTLINIE:NEOLIBERALER KAHLSCHLAG IN DER EU

Die Idee eines vereinigten Europas könnteChancen bieten: Sie kann Grenzen über-winden und dem Nationalismus entgegen-wirken. Das Projekt EU gehorcht allerdingszunehmend einer anderen Logik: Mittler-weile stehen die Belange der europäischenKonzerne an erster Stelle. Mit Richtlinienund Verordnungen schreibt die EU vor,dass nationale Gesetze in vielen Bereichenangeglichen werden müssen und ebnetdamit zahlreiche nationale Schutzbestim-mungen auf das im EU-weiten Vergleichniedrigste Niveau ein. So geht beispielswei-

se die Abschaffung der Rabatt- und Zugabe-verordnung direkt auf eine EU-Richtliniezurück. Der neueste Angriff – die so ge-nannte Bolkestein-Richtlinie – soll die LIBE-RALISIERUNG von Dienstleistungen im euro-päischen Binnenmarkt weiter vorantreiben.Damit setzt sich auf europäischer Ebene fort,was auf nationaler Ebene begonnen hat.Der Unterschied: Im Gewirr europäischerBürokraten, Lobbygruppen und der durchund durch undemokratischen Strukturenist die demokratische Einflussnahme nochweiter eingeschränkt, als auf der Ebene derKommune, des Landes oder des Bundes.

4.2.1 | VOM WIRTSCHAFTSPROGRAMM INLISSABON ZUR BOLKESTEIN-RICHTLINIEMit dem Vorschlag für eine neue EU-Dienst-leistungsrichtlinie steht nun ein neuer neo-liberaler Kahlschlag in Europa bevor. Diezentrale Stoßrichtung der so genanntenBolkestein-Richtlinie ist es, den aggressivenExpansionsstrategien der europäischen Kon-zerne durch den Abbau von Schutzbestim-

REGELN SIND RECHTE

WAS HEIßT LIBERALISIERUNGLiberalisierung bedeutet, dass durch den Abbau von Schutzbestimmungen die Entwicklung

in bislang staatlich regulierten Bereichen den Mechanismen von Markt und Wettbewerb überlassen

wird. Betroffen sind auch Sozial- und Umweltstandards sowie Steuerungsmöglichkeiten in der Preis-

und Ansiedlungspolitik. Innerhalb der EU und der Welthandelsorganisation WTO wird unter Libera-

lisierung der Abbau von Regulierungen bezüglich Handels- und Investitionstätigkeiten verstanden.

●?

WAS IST DIE EU-KOMMISSIONDie EU-Kommission ist die mächtigste

Institution auf EU-Ebene. Sie schlägt Geset-

ze vor und setzt sie um. Im Ministerrat ver-

ständigen sich die nationalen MinisterInnen

auf eine gemeinsame Linie und stimmen

über Vorschläge aus der EU-Kommission ab.

Das europäische Parlament hat in der euro-

päischen Politik kaum etwas mitzureden.

●?

fi

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»wirtschaftlichen Dynamik« zu überholen.»Die nationalen Vorschriften sind zum Teilarchaisch, übertrieben aufwendig und ver-stoßen gegen das EU-Recht. Diese Vor-schriften müssen schlichtweg verschwin-den« – so beschreibt der frühere EU-Bin-nenmarktkommissar Frits Bolkestein seinProgramm. Aus seinem Hause stammt derVorschlag für eine neue Richtlinie zur Libera-lisierung von Dienstleistungen im EU-Bin-nenmarkt und wird deswegen auch Bolke-stein-Richtlinie genannt. Die Bolkestein-Richtlinie liegt bislang nur als Entwurf vor.Der Abschluss der Verhandlungen ist für dasJahr 2005 vorgesehen. Bis 2007 müsstendie Bestimmungen dann in nationales Rechtumgesetzt werden.

4.2.2 | DAS HERKUNFTSLANDPRINZIP:ABWÄRTSSPIRALE BEI SCHUTZBESTIMMUNGENKern der Bolkestein-Richtlinie ist das Her-kunftslandprinzip. Danach sollen Unter-nehmen, die im Ausland zeitlich befristetDienstleistungen anbieten, nur noch denBestimmungen ihres Herkunftslandes unter-liegen. Als Herkunftsland gilt dabei dasLand, in dem das Unternehmen formalregistriert ist, und nicht das tatsächlicheBetätigungsland. Was Unternehmen dieExpansion ins Ausland erleichtern soll, ver-langt von VerbraucherInnen und Arbeit-nehmerInnen, dass sie sich in über zwanzigunterschiedliche Rechtssysteme einarbeiten.Die Folgen sind ein völliges Rechtschaosund Rechtsunsicherheit.

Weitaus dramatischer sind noch dieAuswirkungen des Herkunftslandprinzipsauf Löhne und nationales Arbeitsrecht.Denn bereits jetzt nutzen viele Unterneh-men niedrigere Löhne und Sozialstandardsin bestimmten europäischen Ländern aus,indem sie Teile des Arbeitsprozesses vonausländischen Dienstleistungsfirmen erle-

mungen für VerbraucherInnen und Beschäf-tigte weiter den Weg zu ebnen. Auch imEinzelhandel sollen durch die Bolkestein-Richtlinie Rechte weiter eingeschränkt wer-den. Der Richtlinienvorschlag ist Teil einerumfassenderen europäischen Liberalisie-rungsagenda: Im März 2000 verabschiede-ten die EU-Regierungschefs auf ihremGipfeltreffen in Lissabon ein Wirtschafts-programm, das den europäischen Binnen-markt weiter vereinheitlichen soll. Darinsetzt sich die EU zum Ziel, durch Sozialab-bau und Weltmachtkurs die USA in ihrer

66 REGELN SIND RECHTE

Foto: European Community

Mitglieder der EU-Kommission unter

Führung von José Manuel Barroso

Foto: Sarah Bormann, »Ein anderes Europa

ist möglich«, Brüssel 19.3.2005

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digen lassen, für die niedrigere Standardsgelten. Zwar sichert die Europäische Entsen-derichtlinie in ihrer deutschen Umsetzung –dem Arbeitnehmerentsendegesetz –, dassgesetzliche Mindeststandards zu Gesund-heits- und Sicherheitsvorschriften sowieArbeitszeitregelungen auch für entsandteArbeitnehmer zumindest die ersten drei bissechs Monate lang eingehalten werden.Nur für die Baubranche gelten jedoch all-gemeinverbindliche Tarifverträge auch fürausländische Unternehmen. Regelungen zuMitbestimmung und Interessensvertretungsowie die Tarifverträge sämtlicher andererBranchen gelten für entsandte Arbeitneh-merInnen nicht. Hier müsste generell dasArbeitsortprinzip gelten, um Lohn- und Sozialdumping zu vermeiden. Mit der neuenDienstleistungsrichtlinie wird nun aber dasHerkunftslandprinzip – mit Ausnahmeweniger Mindeststandards – zum alleingültigen Gesetz erhoben. Neu ist vor allem,dass zukünftig ausländisches Arbeitsrechtauch für inländische Arbeitnehmer geltenwird, wenn sie bei einem ausländischenUnternehmen beschäftigt sind. Dies wirddazu führen, dass über 20 Rechtssystemeinnerhalb eines Betriebs miteinander kon-kurrieren und sich auf dem niedrigstenNiveau angleichen werden.

Doch damit nicht genug: Die Bolke-stein-Richtlinie stellt verschiedene Mecha-nismen zur Verfügung, wie Unternehmenzukünftig nationale Schutzbestimmungenund das Entsendegesetz umgehen können.Insbesondere wird der »Ausflaggung« vonUnternehmen, das heißt der Verlagerungeines Unternehmens in das jeweils billigsteLand, Tür und Tor geöffnet. Denn wenn einUnternehmen seinen »Sitz« verlagern will,darf in Zukunft in keinem EU-Mitglieds-staat mehr der Nachweis einer Niederlas-sung eingefordert werden, ein Briefkastenreicht völlig. Auch die Registrierung in

mehreren Ländern gleichzeitig wird durchdie Bolkestein-Richtlinie ermöglicht. Aben-teuerliche Unternehmenskonstruktionenund das schnelle Gründen von Briefkasten-firmen werden dadurch zunehmen. SolcheAusflaggungen werden auch benutzt, umSteuern zu umgehen, Portokosten zu spa-ren oder eben um Sozialstandards zu unter-laufen. Schließlich wundern wir uns schonheute manchmal, warum deutsche Unter-nehmen Briefe aus den Niederlanden ver-schicken oder ein dänischer Tanker unterlibyscher Flagge fährt. Auch im Einzelhandel

REGELN SIND RECHTE

WAS IST DAS ENTSENDEGESETZDas deutsche Arbeitnehmerentsendegesetz ist die Umsetzung der europäischen Entsen-

derichtlinie in deutsches Recht. Die europäische Entsenderichtlinie wurde 1996 erlassen. Sie sollte

davor schützen, dass sich durch die Entsendung von ArbeiternehmerInnen ins Ausland die

Arbeitsbestimmungen EU-weit auf dem niedrigsten Niveau angleichen. Als entsandte Arbeitnehmer

gelten alle Beschäftigten, die zeitlich befristet in einem anderen Land arbeiten, als in dem Land,

in dem sie einen Arbeitsvertrag unterschrieben haben. In Deutschland gelten nur in der Bau-

brachne allgemeinverbindliche Tarifverträge auch für ausländische Unternehmen.

●?

Foto: Sarah Bormann, »Beschäftigung mit

Qualität. Nein zur Bolkestein-Richtlinie«,

spanische Gewerkschafter, Brüssel 19.3.2005

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deutsche Einzelhandelsunternehmen ver-mitteln, könnten schnell eine Briefkasten-firma mit Sitz in Polen, Portugal oder Groß-britannien gründen. Dabei können sie sichdie laxesten Auflagen für einzelne Bereicheheraussuchen: britisches Gewerkschafts-recht, griechische Löhne, polnische Arbeits-zeiten – ganz nach Belieben. Ein Wettkampfum die geringsten Standards steht bevor.Die Standortkonkurrenz, die bislang mitdem Drohmittel der Produktionsverlagerungins Ausland wirkte, kann nun in jedemLand direkt vor Ort eingesetzt werden.

Selbst die Kontrolle der Unternehmensoll zukünftig aus dem Herkunftsland er-folgen. Dort wird man weder ein besonde-res Interesse haben, noch über die nötigenMittel verfügen, um z.B. die Arbeitsbedin-gungen bei den Auslandsaktivitäten derUnternehmen zu kontrollieren. Zumal wennes sich nur um Briefkastenfirmen handelt.In der Praxis wären rechtliche Standards nurnoch für inländisch tätige Betriebe gültig.Dies wird den Druck auf die Schutzmecha-nismen erhöhen und weitere Angleichungnach unten fördern. Selbst die Minimal-standards, die die Entsenderichtlinie denentsandten Arbeitnehmern in der EU zusi-chert und die neben der Bolkestein-Richtlinieweiterhin gelten sollen, geraten so in Ge-fahr. Denn was bringen den Beschäftigtenund den VerbraucherInnen Regelungen,die nicht überprüft werden können?

4.2.3 | BOLKESTEIN UND EINZELHANDEL –AUSVERKAUF DER ARBEITNEHMERRECHTEOutsourcing, Firma in der Firma, kurzfristi-ges Aufstocken der Belegschaft zu Stoß-zeiten: Im Einzelhandel ist häufig nur nocheine Kernbelegschaft mit gesicherten Ar-beitsverhältnissen beschäftigt. Ob Kaufhof,Lidl oder IKEA – Unternehmen könnenzukünftig entweder Dienstleistungsunter-nehmen aus dem Ausland mit bestimmten

könnten Ausflaggungen in Zukunft zurRegel werden. Schon heute gibt es denTrend, dass sich Einzelhandelsunternehmennur noch auf das so genannte Kernge-schäft beschränken. Ob der Kassenbereich,der Fuhrpark oder Auffülltätigkeiten – be-reits jetzt lagern Einzelhandelsunternehmenan andere Dienstleistungsunternehmen aus(siehe Kapitel 2). Zukünftig könnten dieseFremdfirmen nun ihre Niederlassungen –zumindest formal – dort ansiedeln, wo dieLöhne am billigsten sind: Unternehmen,die ArbeitnehmerInnen vorübergehend an

68 REGELN SIND RECHTE

Foto: Kai Winkler, Streiktag bei REWE

und Tengelmann, München 3.6.2003

Foto: Sarah Bormann, kroatische

GewerkschafterInnen, Brüssel 19.3.2005

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Tätigkeiten beauftragen oder einfach selbstein Subunternehmen gründen und sich ineinem Land registrieren, in dem Lohn- undSozialstandards niedriger sind. Die Arbeits-bedingungen im deutschen Einzelhandelsind schon jetzt miserabel: Durch die Bolke-stein-Richtlinie werden sie nun zum einen insAusland exportiert, zum anderen geraten siedurch noch schlechtere Bedingungen inanderen EU-Ländern weiter unter Druck.Denn für die Beschäftigten mit Arbeitsver-trägen aus Großbritannien oder Griechen-land – gleich ob Briten, Griechen oderDeutsche – würden weder deutsche Tarif-verträge noch hiesiges Gewerkschaftsrechtgelten. Dies führt nicht nur zu einer weiterenSpaltung der Belegschaft, sondern auchzur Aushöhlung bestehender Tarifverträge.

4.2.4 | NIEDERLASSUNGSFREIHEIT:FREIES FELD FÜR KONZERNEDas Herkunftslandprinzip ist zwar das weit-reichendste, aber nicht das einzige Mittelder Bolkestein-Richtlinie, das Regulierungenim Einzelhandel angreift. Unter dem Vorsatzder Niederlassungsfreiheit werden zahlrei-che nationale Bestimmungen eingeschränkt,die es Kommunen und Ländern erlauben,wirtschaftliche Aktivitäten zum Schutz derAllgemeinheit zu regulieren. Bisher ermög-lichen es Genehmigungsverfahren, den Ein-zelhandel im Interesse der VerbraucherInnenund AnwohnerInnen zu regulieren (s.o.).So kann z.B. eine Kommune die Ansiedlungeines Einkaufszentrums verhindern, wenndadurch die innerstädtische Einzelhandels-struktur zerstört wird. Solche Maßnahmenwird die Richtlinie in Zukunft massiv er-schweren. Vor allem in einigen skandinavi-schen Ländern konnten Aldi und Lidl nochnicht Fuß fassen. Öffentlicher Protest undstrenge Genehmigungsverfahren erschwer-ten die Ansiedlung. Mit der Bolkestein-Richtlinie könnten die Konzerne nun mit

neuem Geschütz die weitere Expansion inAngriff nehmen.

Neben Genehmigungs- und Registrie-rungsauflagen sollen auch weitere Regulie-rungen durch ein strenges gegenseitigesÜberprüfungsverfahren der EU-Länder un-ter die Lupe genommen werden. Ausgerüs-tet mit dem Rotstift sollen die Regierungengegenseitig ihre Gesetze durchforsten undalles streichen, was nicht den ökonomi-schen Anforderungen entspricht. Für denEinzelhandel ist besonders relevant, dassauch Deutschland zukünftig hieb- und stich-

REGELN SIND RECHTE

WAS IST NIEDERLASSUNGSFREIHEITIm Rahmen des Europäischen Binnenmarktes soll durch die Niederlassungsfreiheit die

Möglichkeit der Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten, insbesondere auch

die Gründung und Leitung von Unternehmen gegen mögliche bestehenden nationalen Beschrän-

kungen durchgesetzt werden. Dies beinhaltet den schrittweisen Abbau von Niederlassungsbe-

schränkungen, wie z.B. Ansiedlungsbestimmungen oder Auflagen zur Wahl einer Rechtsform.

Die Bolkestein-Richtlinie soll die Umsetzung dieses Prinzips beschleunigen.

KALT GESTELLT: ARBEITSKAMPF UNTER BOLKESTEINDie Bolkestein-Richtlinie stellt auch einen Angriff auf Gewerkschaften dar. Will Ver.di z.B.

eine Aldi-Filiale bestreiken, in der vorübergehend Kassiererinnen mit tschechischen Arbeitsverträgen

arbeiten, könnte dies zukünftig fatale Folgen haben. Denn ein Streik, der nach deutschem Recht

legal ist, kann für die Beschäftigten mit tschechischem Arbeitsvertrag – gleich ob Deutsche oder

TschechInnen – schnell zum Kündigungsgrund werden. Im Unterschied zu deutschem Streikrecht

muss in Tschechien der Streikbeginn mitsamt den Zielen drei Tage im Voraus dem Arbeitgeber

mitgeteilt werden. Außerdem muss eine Liste mit den Namen der Streikenden vorgelegt werden.

WWW.STOPBOLKESTEIN.ORG

●?

●?

Foto: Metro-Prospekt aus Ungarn: gute

Exportchancen für »Geiz-ist-geil«

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prüft und so unter EU-Vormundschaft ge-stellt. Die Folge ist ein Verlust von demo-kratischen Mitbestimmungsmöglichkeitenauf allen Ebenen. Das könnte zum Beispieldie Ansiedlungspolitik in Italien treffen:Nachdem die italienische Einzelhandels-landschaft seit der Liberalisierung der An-siedlungspolitik Ende der 1990er Jahre nurdurch einige große Konzerne beherrschtzu werden droht, rudert man jetzt zurück.Derzeit wird diskutiert, kleinere Geschäftestärker gesetzlich zu schützen. Mit der Bol-kestein-Richtlinie wird eine solche »Re-Regulierung« kaum noch möglich sein.

ZWISCHENFAZITDie Bestimmungen der Bolkestein-

Richtlinie kommen einem Kahlschlag gleich.Sie beschleunigen die Liberalisierungsagen-da der Europäischen Union und führen soeuropaweit zu einer Angleichung zahlrei-cher Standards auf dem niedrigsten Niveau.Besonders das Herkunftslandprinzip wirdTarifverträge und Gewerkschaftsrechte aus-hebeln und abenteuerliche Unternehmens-konstruktionen ermöglichen. Im Einzelhan-del steht durch Vergabe einzelner Arbeits-schritte an ausländische Firmen eine Ab-wärtsspirale bei Gehältern und Sozialstan-dards bevor. Nicht zuletzt sind auch dasDumpingverbot und die Steuerungsmög-lichkeiten von Unternehmensansiedlung be-droht. Deshalb müssen vor allem Gewerk-schaften nun europaweit Widerstand gegendie Bolkestein-Richtlinie organisieren.

4.3 | DAS GATS: GLOBALE ZWANGSREGELNFÜR DEN EINZELHANDEL

Mit der Gründung der Welthandelsorgani-sation WTO im Jahr 1995 trat auch dasinternationale DienstleistungsabkommenGATS (General Agreement on Trade in Ser-vices, allgemeines Abkommen über den

fest nachweisen muss, dass das deutscheDumpingverbot dringend »erforderlich« ist.Ob dieser Nachweis von der deutschenRegierung überhaupt versucht wird, istfraglich – eine weitere Aufweichung dieserRegelung steht bevor.

Darüber hinaus erschwert die Bolke-stein-Richtlinie, auf neue Anforderungenim Dienstleistungssektor mit den notwen-digen Regulierungen zu reagieren. Dennjede Gesetzesinitiative würde schon im Sta-dium des Entwurfes von der EU-Kommissionstrengstens auf ihre »Erforderlichkeit« über-

70 REGELN SIND RECHTE

fi

Foto: Peter Fuchs, Proteste gegen WTO-

Ministerkonferenz, Cancún September 2003

Foto: Malte Kreutzfeldt, Attac-Aktion

gegen das GATS im Bundestag, März 2003

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Handel mit Dienstleistungen) in Kraft. Lang-fristiges Ziel des GATS ist eine vollständigeLiberalisierung der weltweiten Dienstleis-tungsmärkte, also auch des Einzelhandels.Das GATS ist das wichtigste und macht-vollste Instrument, um die globale Expansionder europäischen, US-amerikanischen undjapanischen Einzelhandelsunternehmen vo-ranzutreiben. Ähnlich wie bei der Bolke-stein-Richtlinie sollen durch das GATS zahl-reiche Steuerungsinstrumente und Regulie-rungsmöglichkeiten ausgehebelt werden.

4.3.1 | SCHRITTWEISE LIBERALISIERUNGDURCH DAS GATSDas GATS ist nicht nur ein einmal abge-schlossenes Abkommen, sondern es setztauch einen fortlaufender Verhandlungs-prozess in Gang. Denn Liberalisierung imRahmen des GATS erfolgt schrittweise: Zu-nächst gelten die Liberalisierungsmechanis-men in einem Land nur dann, wenn diesesLand in einem bestimmten Dienstleistungs-sektor, wie z.B. im Gesundheitssektor oderim Einzelhandel, ausdrücklich Verpflichtun-gen zur Liberalisierung eingegangen ist.Ausländische Unternehmen erhalten dannzum einen verbesserten Marktzugang undzum anderen müssen sie genauso wie in-ländische Unternehmen behandelt werden.Eine gezielte Förderung der eigenen wirt-schaftlichen Tätigkeit z.B. in Entwicklungs-ländern wird so verhindert. Zudem werdenviele Steuerungsmöglichkeiten wie Geneh-migungserfordernisse oder wirtschaftlicheBedarfstests als Handelshemmnisse ge-brandmarkt und sollen deshalb dem GATSzum Opfer fallen. Zukünftig sollen auchnationale Regulierungen zu Ladenöffnungs-zeiten oder zur Preispolitik unter die Rege-lungen des GATS fallen.

Seit dem Jahr 2000 wird das GATS neuverhandelt. Insbesondere die USA, Kanada,die EU und Japan drängen auf eine weitere

Liberalisierung aller Dienstleistungssektoren.Stetig wird betont, dass die Liberalisierungim Rahmen des GATS freiwillig erfolgt. Inder Tat stehen jedoch gerade Entwicklungs-länder unter starkem Druck. So könnte zumBeispiel Indien theoretisch die Öffnung sei-nes Einzelhandelssektors verweigern. Dafürkönnte es gute Gründe haben, z.B. um deneigenen Markt zu schützen und ihn nichtder Konkurrenz deutscher, französischerund US-amerikanischer Konzerne auszu-liefern. Oder um sicherzustellen, dass beiausländischen Investitionen die erwirtschaf-

REGELN SIND RECHTE

WAS IST DIE WELTHANDELSORGANISATION (WTO)Am 1. Januar 1995 nahm die Welthandelsorganisation WTO ihre Arbeit in Genf auf. Sie

ist die Nachfolgeorganisation des alten Zoll- und Handelsabkommens (GATT) von 1944, das

inzwischen in der WTO aufgegangen ist.

Mittlerweile sind 148 Staaten sowie die EU Mitglied der WTO – und damit unterliegen etwa 90

Prozent des globalen Handels dem WTO-Regelwerk. In den verschiedenen Abkommen der WTO zur

Liberalisierung von Gütern, Landwirtschaft und Dienstleistungen sind die Ziele der Organisation

festgelegt: Es geht um den stetigen Abbau von so genannten Handelshemmnissen jeglicher Art.

Zölle, Quoten, aber auch nationale Regulierungen und Standards etwa in den Bereichen Arbeits-

und Verbraucherrechte stehen zur Disposition.

Das höchste Entscheidungsgremium der WTO ist die alle zwei Jahre tagende Ministerkonferenz.

Nach dem Scheitern der Konferenz in Seattle (USA) 1999 konnten sich die WTO-Mitglieder 2001

in Doha (Katar) auf ein neues Verhandlungspaket einigen, das laut Präambel die Interessen und

Bedürfnisse der Entwicklungsländer in den Mittelpunkt stellt.

Dieses Versprechen der Industrieländer blieb allerdings ohne Substanz, so dass die letzte WTO-

Ministerkonferenz in Cancún (Mexiko) 2003 am Widerstand der Entwicklungsländer scheiterte.

Auf der nächsten Ministerkonferenz im Dezember 2005 in Hongkong soll die derzeitige WTO-

Verhandlungsrunde mit weiteren Liberalisierungsschritten vorangebracht werden.

●?

Foto: Indymedia, Berlin-Alexanderplatz:

GATS-Aktionstag 13.3.2003

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Schweden und Finnland Ausnahmen fürdie Freigabe alkoholischer Getränke gesi-chert. Andere Länder grenzen den Eingriffin ihre nationale Gesetzgebung zu Tabak-waren und Arzneimitteln ein. Zudem be-halten sich mehrere EU-Mitgliedsländervor, große Kaufhäuser einem »wirtschaftli-chen Bedarfstest«, d.h. einem Prüfungs-verfahren vor der Niederlassung zu unter-ziehen. Deutschland hat solche Ausnahmennicht eingereicht und damit beispielsweisedie bestehenden Instrumente zur Steuerungder Ansiedlung von Unternehmen preisge-geben. Die bisherigen Liberalisierungen kön-nen bereits jetzt weit reichende Folgenhaben: Beispielsweise dürfen die EU-Mit-gliedsländer außereuropäischen Investorenim Einzelhandel keinerlei Beschränkungenhinsichtlich der Anzahl ihrer Filialen in einerbestimmten Region oder der Wahl einerbestimmten Unternehmensform auferlegen.

Konkret könnte das Folgendes bedeuten:Eine Kommune beschließt beispielsweise,dass sie den Bau einer neuen Wal-Mart-Filiale verhindern möchte, weil sie dadurchden innerstädtischen Einzelhandel und diewohnortnahe Versorgung gefährdet sieht.Dazu greift sie auf die Baunutzungsverord-nung zurück, die ihr nach dem geltendendeutschen Recht diese Steuerungsmög-lichkeiten einräumt. Dies könnte bereitsjetzt als ein Verstoß gegen das GATS ge-wertet werden. Wal-Mart könnte sein Her-kunftsland, also in diesem Fall die USA auf-fordern, gegen diese Politik vor die WTO-Streitschlichtungsstelle zu ziehen undDeutschland zu verklagen. Denn für dasGATS als ein Teilabkommen der WTO giltauch ihr Streitschlichtungsverfahren, eineArt internationales Gericht für Handels-fragen. Diese Einrichtung sichert dem GATSdie notwendige Macht, Vorschriften welt-weit durchzusetzen. Zu diesem Extremfallwürde es Deutschland jedoch wahrschein-

teten Gewinne nicht alle ins Ausland ab-fließen. In der Praxis setzen jedoch diemächtigen Länder in der WTO – also vorallem die USA, Kanada, Japan und die EU –die schwächeren Länder unter Druck. Sokönnte die EU bestimmten Ländern bei-spielsweise Kredite oder erhöhte Entwick-lungshilfe zur Verfügung stellen, wenn siebereit sind, ihre Märkte für Metro, Carre-four oder Tesco zu öffnen.

4.3.2 | DIE LIBERALISIERUNG DESEUROPÄISCHEN EINZELHANDELSSEKTORS Die EU hat ihren Einzelhandelssektor imRahmen des GATS bereits zu großen Teilenliberalisiert und für die Ansiedlung außer-europäischer Konzerne geöffnet. Da die EUim Namen ihrer Mitgliedsstaaten für dieWTO-Verhandlungen zuständig ist, gilt diesauch für den deutschen Einzelhandel. Ein-zelne EU-Länder haben die Möglichkeitgenutzt, Ausnahmen einzureichen, die nurfür sie, aber nicht für die gesamte EU gel-ten. Beispielsweise haben sich Irland,

72 REGELN SIND RECHTE

Foto: www.photothek.net

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lich gar nicht erst kommen lassen. Das GATSwirkt allein schon durch die Möglichkeiteiner Klage, denn die schreckt jede Kom-mune davor ab, die Ansiedlung beispiels-weise einer Wal-Mart-Filiale zu blockieren.Das Abkommen bewirkt damit schon jetzt,dass Gesetzgeber nationale Schutzauflagenim Einzelhandel nur noch äußerst vorsichtiganwenden.

Noch weitere Eingriffe durch das GATSstehen im Rahmen der aktuellen Verhand-lungsrunde bevor. Im Einzelhandel sollenzahlreiche bestehende Regulierungen der148 WTO-Mitglieder auf den Prüfstandgeraten. So gibt es viele Liberalisierungs-forderungen und Vorschläge zum Abbauvon Schutzmaßnahmen. Beispielsweise for-dert die USA von der EU die Lockerung derLadenöffnungszeiten und die Aufhebung»wirtschaftlicher Bedarfstests« für großeWarenhäuser. Auch Beschränkungen zurGröße und zum Ort des Baus von Einzel-handelsunternehmen benennen die USA alsunerwünschte »Investitionshemmnisse«. DieWTO selbst nennt städteplanerische Regu-lierungen wie die »Kontrolle des Land-gebrauchs«, »Bauerlaubnisse und -inspek-tionen«, »Bauregulierungen und technischeAnforderungen« sowie »Ladenöffnungs-zeiten«, »Preis- und Wettbewerbspolitik«und sogar das Arbeitsrecht als »handels-hemmende Maßnahmen«, die unter Bezug-nahme auf das GATS angefochten werdenkönnen. US-amerikanische Konzerne wieWal-Mart und der Textileinzelhändler GAPwaren bislang noch nicht besonders erfol-greich in Deutschland. Über das GATSkönnten sie nun die Möglichkeit bekom-men, sich den Markt in Deutschland undanderen EU-Ländern leichter zu erschlie-ßen. In den USA sind die meisten Wal-Mart-Filialen rund um die Uhr geöffnet – dieskönnte Wal-Mart künftig über das GATSauch für Deutschland fordern. Auch seine

REGELN SIND RECHTE

aggressive Dumping-Strategie, die nochgegen deutsche Gesetzgebung verstößt,könnte der Konzern mit Hilfe des GATS indie EU exportieren.

4.3.3 | EU-INTERESSEN IN DER WELTNicht nur Schutzmaßnahmen in Deutsch-land und anderen EU-Staaten werden überdas GATS angegriffen, ebenso aggressivwie die USA richtet auch die EU Liberalisie-rungs-Forderungen an andere Länder. Sieverfolgt das Ziel, sich den Weg für dieExpansion ihrer Konzerne in »lukrative Län-der« wie Indien, China oder Brasilien zusichern (vgl. Kapitel 2.3.2). Dazu fordert sievon 60 Ländern die weitere Liberalisierungihres Einzelhandelssektors. Neben dem fran-zösischen Einzelhandelsunternehmen Car-refour, dem niederländischen Royal Aholdund dem britischen Tesco hat auch diedeutsche Metro AG ein Interesse an ver-besserten Expansionsbedingungen durchdas GATS. So sind z.B. Indien und Indone-sien noch keinerlei Liberalisierungsver-

THAILAND: EUROPÄISCHE KONZERNE ZERSTÖREN DEN EINZELHANDELWas die GATS-Forderungen in einem Land auslösen können, lässt sich am Beispiel Thailand

verdeutlichen. Dort greift die EU mit ihren Liberalisierungs-Forderungen in einen heftig umkämpften

Bereich ein. Seit der Liberalisierung des thailändischen Einzelhandelssektors in den späten 1980er

Jahren mussten nach und nach zahlreiche kleine traditionelle Geschäfte schließen. Denn große

Supermarktketten verdrängten sie vom Markt. Kleinen Händlern und ihren Familien ging damit

die Existenzgrundlage verloren, und sie gerieten in Armut. Es kam zu großen Protesten gegen Tes-

co und andere europäische Einzelhandelskonzerne.

Daraufhin gab es in Thailand im Jahr 2002 eine Gesetzesinitiative, um die massive Expansion vor

allem der britischen Supermarktkette Tesco aufzuhalten und auf diese Weise den lokalen klein-

teiligen Einzelhandel wieder zu stärken. Die EU will nun diese Re-Regulierungsversuche im Inter-

esse ihrer großen Einzelhandelsketten untergraben. Deshalb stellt sie an Thailand im Rahmen der

GATS-Verhandlungen Liberalisierungsforderungen für den Einzelhandelssektor. Diese Forderungen

erzeugen einen enormen Druck auf die thailändische Regierung und Wunsch vieler thailändischer

VerbraucherInnen nach Regulierung. Die Forderungen der EU zeigten bereits Wirkung: Der

thailändische Gesetzesentwurf zur Regulierung des Einzelhandels wurde abgeschwächt, um – so

sagt es die Regierung – ausländische Investoren nicht zu verschrecken.

●?

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führen könnte. Die EU nimmt auf dieseBefürchtungen keine Rücksicht und stellt anIndien die Forderung, gleich den gesamtenEinzelhandelssektor den GATS-Regeln zuunterwerfen.

EINSCHUB | GLOBALER HANDEL MITDIENSTLEISTUNGEN DURCH WELTWEITEPERSONALVERSCHICKUNGDas GATS regelt auch die Verschickung vonArbeitnehmerInnen ins Ausland. Dennauch hier soll schrittweise eine Liberalisie-rung durchgesetzt werden. Allerdings weh-ren sich bislang die Regierungen der Indu-strieländer, Liberalisierungszugeständnissezu machen: Sie schotten ihre nationalenArbeitsmärkte entweder vollständig ab, odersie fordern, dass ihr Arbeitsmarkt nur fürhochqualifizierte ArbeitnehmerInnen geöff-net wird, wie das z.B. Deutschland tut.

Entwicklungsländer dagegen befürwor-ten eine möglichst uneingeschränkte Ver-schickung von ArbeitnehmerInnen. Sie ver-suchen durchzusetzen, dass gering quali-fizierte Arbeitskräfte nicht von der Liberali-sierung ausgenommen werden. Denn sieverfügen über ein großes »Angebot« angering qualifizierten Arbeitskräften. Oft sindRücküberweisungen von Arbeitnehmer-Innen, die im Ausland beschäftigt sind, fürdiese Länder eine wichtige Einnahmequelle.In Jordanien beispielsweise betrug der An-teil der Rücküberweisungen am Bruttoin-landsprodukt im Jahr 2000 21,8 Prozent.

Die Mehrheit der Gewerkschaften wen-det sich gegen eine Liberalisierung, da siezu Recht eine Schwächung der gewerk-schaftlichen Interessensvertretung und eineweitere Prekarisierung der Arbeitsverhält-nisse in Industrieländern befürchten. Bislanggibt es noch keine Bestimmungen dazu,unter welchen Bedingungen und zu wel-cher Bezahlung die entsandten Arbeits-kräfte in Deutschland beschäftigt werden

pflichtungen im Bereich Einzelhandel ein-gegangen. Insbesondere Indien verfolgt da-mit das Ziel, seinen Einzelhandelssektor vordem Aufkauf durch US-amerikanische undeuropäische Konzerne zu schützen. Der indi-sche Einzelhandel wird von kleinen Anbie-tern beherrscht, nur vier Prozent der ge-samten Fläche des Einzelhandels gehören zuLäden mit einer Fläche von über 500 qm.Die kleineren Händler fürchten, dass aus-ländische Investoren diese Struktur zerstörenund dies zu einer Welle von Geschäftsauf-gaben und damit auch zu Arbeitslosigkeit

74 REGELN SIND RECHTE

Foto: Christian Aid/Kim Naylor, Indien

Foto: Peter Fuchs, WTO-Ministerkonferenz

Cancún/Mexiko, September 2003

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sollen. Es kann jedoch davon ausgegangenwerden, dass – wie bei der Bolkestein-Richtlinie – das Herkunftslandprinzip geltenwürde (s.o.).

Eine kritische Position muss vor allemeines klarstellen: Es geht hier nicht um denHandel mit Waren, sondern um Menschen.Und Menschen lassen sich nicht auf dierein ökonomischen Maßstäbe eines WTO-Handelsvertrags reduzieren. Deshalb gibtes bei diesem Streitpunkt der GATS-Ver-handlungen auch keinen Kompromiss, undman sollte sich weder auf die Seite derIndustrie- noch der Entwicklungsländerschlagen. Stattdessen gilt es, eine men-schengerechte Einwanderungspolitik einzu-fordern, die ausländische Arbeitskräfte nichtdiskriminiert und allein nach ihrem Nutzenfür den Wirtschaftsstandort bewertet.

ZWISCHENFAZITDas GATS schreibt die schrittweise

Liberalisierung von Dienstleistungen bin-dend in internationalem Recht fest. Damitwird es Regulierungsmöglichkeiten im Ein-zelhandel in Zukunft massiv erschweren.Das Abkommen wird nicht nur in Deutsch-land über kurz oder lang die Ansiedlungs-politik weiter liberalisieren und das Laden-schlussgesetz aufweichen, sondern außer-dem Konzernen wie Wal-Mart aggressiveDumpingstrategien ermöglichen. Darüberhinaus wird es europäischen Einzelhandels-riesen ermöglichen, Märkte in Entwicklungs-ländern zu erobern.

FAZIT | DEREGULIERUNG AUF ALLEN EBENEN

Auf allen Ebenen werden Regulierungen indie Zange genommen oder gar nicht mehrangewandt. Dabei sind diejenigen Akteure,die auf nationaler Ebene eine knallharteDeregulierungspolitik durchsetzen, die glei-chen, die auch über die Bolkestein-Richt-

linie und das GATS eine Liberalisierung vorantreiben. Die Bolkestein-Richtlinie unddas GATS erweisen sich als zwei Seiten einerMedaille: Während die Bolkestein-Richtlinieden Weg für die Expansion innerhalb derEU frei räumt, ermöglicht das GATS diesauf globaler Ebene. Auch der deutsche Ein-zelhandel wird betroffen sein: Durch dieneuen Vorschriften auf europäischer undglobaler Ebene werden nationale Schutz-bestimmungen ausgehebelt und diese De-regulierungsmaßnahmen unumkehrbar ininternationalem Recht festgeschrieben.

REGELN SIND RECHTE

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Foto: www.photothek.net, Metro AG

in Indien

Foto: Peter Fuchs, WTO-Ministerkonferenz

Cancún/Mexiko, September 2003

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DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!7676

Wie könnte ein idealer Einzelhandel in Zu-kunft aussehen? Viele Dinge fallen einem daein: Die Beratung muss stimmen, der Ladenmuss gut zu erreichen sein, die Arbeitszeitendürfen nicht das Familienleben einschrän-ken, und Überstunden sollten auch bezahltwerden. Vieles davon mag selbstverständlichklingen, ist es aber leider nicht. Deshalbmuss der Einzelhandel neu gestaltet werden.Es gibt bereits zahlreiche gute Ansätze, diehier vorgestellt werden sollen: Ver.di stärktBetriebsräte bei Discountern, internationaleSolidarität wird praktisch, Verbraucherbe-wusstsein wird geschärft, und Menschenstellen sich dem Abbau von Rechten, wie erauf nationaler, europäischer und globalerEbene betrieben wird, entgegen.

5.1 | WIR SIND DER EINZELHANDEL

Der Einzelhandel sind nicht nur die Unter-nehmen. Sondern der Einzelhandel sind vorallem jene, die tagtäglich dafür sorgen, dassdie Waren angeliefert, einsortiert und ver-

kauft werden. Der Einzelhandel wird aberauch von den Kunden gestaltet. Es ist ihreEntscheidung, wo und was sie einkaufen.Und nicht zuletzt ist der Einzelhandel dasEnde der Wertschöpfungskette, da hier dieLebensmittel, Kleidung, Spielzeuge und alldie anderen Dinge, die auf der ganzen Welthergestellt werden, die VerbraucherInnenerreichen. Somit ist ein Laden nicht irgend-ein Betrieb, sondern hier treffen unter-schiedliche Geschichten von Menschen,ihre Bedürfnisse und Interessen aufeinan-der: Für die Beschäftigten in den Filialen undin der Logistik, die ArbeiterInnen in derLandwirtschaft und in der Fabrik sowie dieKunden ist der Handel Teil ihres Alltags.

5.2 | ARBEITSRECHTE IM HANDEL VERTEIDIGEN

Wenn Discounter Arbeitsrechte mit Füßentreten, wenn die Belegschaft eines Unter-nehmens in Mini-JobberInnen, Leiharbeiter-Innen und Vollbeschäftigte gespalten wird,und wenn Unternehmen global ausbeutenund lokal Gewerkschaften verbieten, dannmuss Solidarität praktisch werden.

5.2.1 | VER.DI MACHT MOBIL GEGEN DISCOUNTERVer.di versucht seit einigen Jahren verstärkt,Arbeitsrechte bei den Discountern Aldi,Schlecker und Lidl zu verteidigen. BeiSchlecker setzte Ver.di bereits 1995 einenTarifvertrag über die Wahl von Betriebs-räten und 2001 Tarifverträge zur Anerken-nung der Einzelhandelstarifverträge durch.Die ersten Schlecker-Streiks gab es in derTarifrunde 1999 in Mannheim. Zudem führ-te Ver.di bei Schlecker Anti-Mobbing-Kam-pagnen durch und reagierte mit dem Ak-tionstag Schutzengel auf die Ermordungeiner Kollegin, die bei einem Raubüberfallauf eine Filiale im April 2004 ums Leben

5DEN EINZELHANDEL

NEU GESTALTEN!

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kam. Im Moment stehen die Schlecker-Ver-käuferinnen wieder auf, um gegen die droh-ende Entlassung von 1.000 Kolleginnen zuprotestieren!

Bei Aldi Süd versucht das Unternehmendie Gründung von Betriebsräten mit allenMitteln zu verhindern. Auch bei Lidl wirdden Beschäftigten in den meisten Filialenimmer noch eine gewählte Interessensver-tretung verweigert. Um auf die menschen-unwürdige Situation bei dem Discounterhinzuweisen, veröffentlichte Ver.di nun das»Schwarzbuch Lidl«. Zudem tauschen sichaktive und ehemalige Beschäftigte in einemeigens eingerichteten Internet-Forum »Lidl-Weblog« über ihre Arbeitssituation aus.Sogar Beschäftigte und Gewerkschafter-Innen aus Frankreich, Italien, Kroatien undKanada beteiligen sich daran. Ein solcherErfahrungsaustausch könnte in ZukunftGrundlage für eine stärkere Zusammen-arbeit mit Beschäftigten aus anderen Län-dern bieten. Ein gutes Beispiel, wie inter-nationale Solidarität im Einzelhandel prak-tisch wird, lieferte Ver.di bereits mit seinemEngagement in der Türkei.

5.2.2 | SOLIDARITÄT MIT BESCHÄFTIGTENIM AUSLAND UND VON FREMDFIRMEN Seit 1990 ist Metro in der Türkei aktiv undseit 1997 kommt es in seinen Cash & Carry-Märkten zu Menschenrechtsverletzungen.Über 1.000 Mitgliedern der GewerkschaftTez-Koop-Is wurde gekündigt, oder sie wur-den zur Kündigung gedrängt. Damit wollteMetro den Organisationsgrad unter 51 Pro-zent drücken. Denn nach türkischem Ar-beitsrecht ist eine freie gewerkschaftlicheBetätigung dann nicht mehr möglich. Nach-dem die Proteste türkischer Gewerkschafternicht ausreichten, wandten sie sich an deninternationalen Dachverband Union Net-work International (UNI) und die deutscheGewerkschaft Handel, Banken und Versi-

cherungen (HBV). Der internationale Druckwuchs, doch der Konzern lenkte nicht ein.Stattdessen stärkte er eine andere Gewerk-schaft, mit der er offensichtlich Absprachengetroffen hatte. Die Konzernzentrale in Düs-seldorf billigte dies. Aufgrund der Kämpfevor Ort und des Drucks von Ver.di aufMetro wurde Tez-Koop-Is anerkannt. 2003konnten die Beschäftigten wieder in ihreGewerkschaft eintreten. Dies ist nur einBeispiel dafür, wie eine breite Solidaritäts-arbeit vor Ort Unterstützung bieten kann.Der erste Schritt ist dabei: Kontakt aufneh-men, sich informieren und KollegInnen undFreunden berichten. Was bei Metro funk-tioniert hat, sollte in Zukunft verstärkt inden mittel- und osteuropäischen Nachbar-ländern wie Polen und Tschechien verfolgtwerden. Und zwar aus folgenden Gründen:Die Einzelhandelsunternehmen expandierenverstärkt in diese Länder, und die niedrigenLohnkosten werden häufig als Drohunggegen Beschäftigte in Deutschland ange-wandt. Außerdem sind konkrete Menschen-

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Foto: Werner Bachmeier,

Beratungsgespräch bei Kaufhof, Ingolstadt

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INTERVIEW THOMAS SCHMIDT

METRO-BESCHÄFTIGTE IN DER TÜRKEI© Du bist Betriebsrat bei Neckermann undengagierst Dich außerdem im Arbeitskreis»Codes of Conduct« für internationale ge-werkschaftliche Solidarität. Wie kamst Dudazu, Dich für Gewerkschaftsrechte in an-deren Ländern einzusetzen? ƒ Ich tue das aus der Grundüberzeugung,dass sich hier wie dort die Probleme ähneln.Ich will das an einem Beispiel erläutern: DieSuche nach dem Standort mit den billig-sten Löhne betrifft uns hier genauso wiedie Beschäftigten in der Türkei. Die Unter-nehmen im Textilsektor sind zunächst indie Türkei abgewandert, jetzt wandern sieauch von dort ab. Sie wollen von den nochbilligeren Löhnen in China profitieren. Wirkönnen diesen Wettlauf um die billigstenLöhne nicht gewinnen.

© Wie wollt Ihr hier ansetzen?ƒ Die Waren in unserem Konzern kommenaus der ganzen Welt, die Menschen, diebei uns arbeiten, kommen aus der ganzenWelt und auch unser Konzern ist europa-weit aufgestellt. Deshalb muss auch diegewerkschaftliche Arbeit international sein.Wir müssen Gewerkschaften durch inter-nationale Bündnisse besser vernetzen. Ichhalte es aber für die wirksamste Strategie,die gewerkschaftlichen Organisationen inLändern wie der Türkei oder China zu stär-ken. Dabei dürfen wir allerdings nicht alsPaten anderer Gewerkschaften auftreten.Wir setzen auf die gewerkschaftliche Selbst-organisation vor Ort.

© Wie baut ihr vor Ort internationale ge-werkschaftliche Solidarität auf? ƒ Wir beteiligen uns an Austausch-Pro-grammen. Es kommen beispielsweise Kol-

rechtsverletzungen bekannt geworden, undnicht zuletzt ermöglicht die räumliche Näheeinen intensiven Austausch.

Konzerne spielen aber nicht nur dieBeschäftigten verschiedener Standorte ge-geneinander aus. Auch innerhalb der Einzel-handelsunternehmen gibt es eine klareHierarchie zwischen Mini-JobberInnen sowieTeilzeit- und Vollzeitbeschäftigten. An un-terster Stelle stehen jene, die nicht zumUnternehmen gehören, sondern für eineFremdfirma arbeiten. Aus Angst, dass auchder eigene Arbeitsplatz ausgelagert oderdurch drei Mini-Jobs ersetzt werden könnte,grenzen sich ArbeitnehmerInnen zuweilenvon diesen ab – im Glauben, dadurch ihreeigene Position verteidigen zu können. Dieeigenen Interessen können aber nur vertei-digt werden, wenn die Beschäftigten vonFremdfirmen nicht als Konkurrenten, son-dern als KollegInnen behandelt werden, undfür sie die gleichen Rechte erkämpft werden.Ein erster Schritt wäre, die Angestellten derLeiharbeitsfirma zur Teilnahme an der Be-triebsratsversammlung zu ermutigen.

78 DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

ICH WÜNSCH MIR EINEN LADEN, ...m der zu Fuß zuerreichen ist!m in dem es Spaß macht einzukaufen! m in dem fachkundig beraten wird! m in dem ich den Orangensaft nichterst selbst auspacken muss, bevor er inmeinen Einkaufswagen wandert!m in dem ich nicht so lange an derKasse stehen muss!m in dem ich mir sicher sein kann,dass die Produkte, die ich kaufe zuguten Arbeitsbedingungen hergestelltwurden!

ICH WÜNSCH MIR EINEN LADEN, ...m in dem ich dieKundenInnen nicht als meine Feinde sehe! m aus dem ich am Abend pünktlichnach Hause gehen kann!m in dem ich meine Überstundenimmer bezahlt bekomme!m in dem ein Betriebsrat sich für meine Rechte einsetzt!m in dem ich informiert bin, woherdie Waren kommen, die ich verkaufe!m in dem ich weiß, dass auch meineKollegInnen in der Produktion gutbezahlt werden!

©

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leginnen und Kollegen aus Bangladesch zuuns in den Betrieb, oder wir fahren selbstin die Türkei. Bei Neckermann selbst sindsehr viele Menschen beschäftigt, die ausder Türkei stammen. Wir wollten derenLand kennen lernen, um ihren Hintergrundbesser zu verstehen. Zudem wollten wir dieArbeitsbedingung der Menschen kennenlernen, die die Waren produzieren, die wirtäglich in den Händen halten – sei es beimAuspacken, Einräumen, beim Fotografierenoder Versenden. Zu diesen Menschen habenwir über die Waren schließlich eine direkteVerbindung.

© Was habt ihr über Arbeits- und Produk-tionsbedingungen in der Türkei erfahren?ƒ Wir haben uns nur Betriebe direkt inIstanbul angesehen und haben damit nurdie »Schokoladenseite« gesehen. Das heißt:Die Arbeitsbedingungen waren dort nochvergleichsweise gut. Allerdings sind dieBedingungen für gewerkschaftliche Arbeitschwierig. Das Beispiel Metro ist kein Einzel-fall, häufig wird massiver Druck auf dieBeschäftigten ausgeübt, um gewerkschaft-liche Politik im Unternehmen zu verhindern.

© Wie waren die Erfahrungen währendEures Aufenthalts in der Türkei?ƒ Unsere Gastgeber waren alle sehr anunserer Arbeit interessiert. Immer wiederkonnten wir hören: »Wir brauchen inter-nationale Kontakte«. Im Arbeitskampf beiMetro in der Türkei hat es zum Beispiel sehrviel geholfen, dass viele auch in Deutsch-land darauf aufmerksam wurden.

© Habt Ihr nach Eurer Rückkehr diese Er-fahrungen weitergegeben? ƒ Wir haben über die Reise berichtet, z.B.bei den gewerkschaftlichen Vertrauensleu-ten bei Neckermann in Frankfurt. Leidererreichen wir mit diesen Themen nur kleine

Gruppen. Es ist schwer, politische Ausein-andersetzung zu führen. Und es gibt keinestarke Lobby für Fragen der internationalengewerkschaftlichen Solidarität. Aber mandarf trotzdem nicht aufgeben und mussweiter versuchen, diese Themen zu verbrei-ten. Wir müssen noch dicke Bretter bohren.

© Was sind Eure Handlungsmöglichkeitenhier in Deutschland?ƒ Hier unterschätzen wir häufig unserenEinfluss. Wir als Beschäftigte können sehrgut auf die Einhaltung von Standards inner-halb des Unternehmens hinwirken. Z.B. inunserem Arbeitskreis Nachhaltigkeit, indem wir uns auch für soziale Fragen ein-setzen. Wir können unsere Konzerne immerwieder fragen, ob sie den Verhaltenskodexder Außenhandelsvereinigung des Deut-schen Einzelhandels (AVE) einhalten. Wirkönnen unsere Arbeitgeber auffordern,uns zu berichten und uns konkrete Ergeb-nisse vorzulegen. Und wir können natürlichauch Öffentlichkeit herstellen, wenn nichtspassiert.

DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

oben: Tez-Koop-is, Gewerkschafter von

Tez-Koop-is protestieren vor einer

Metro-Filiale in der Türkei

unten: Kurt Poppel, Streiktag bei Kaufland,

Peißenberg 26.5.03

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5.3 | SOLIDARISIERUNG ENTLANG DER WERTSCHÖPFUNGSKETTE:AUFSTEHEN, WENN KONZERNE MENSCHENRECHTE VERLETZEN

Seit den 1990er Jahren wird eine rege Dis-kussion um die Einführung und die Einhal-tung von Verhaltenskodizes geführt. Auslö-ser dieser Diskussion ist die Globalisierung:Eine Ware durchläuft von ihrer Entstehungbis zu ihrem Verkauf in einem Laden vieleStationen. Häufig sind diese über den Glo-bus verteilt: Die Wertschöpfungskette istlang. Nichtregierungsorganisationen (NRO)und Gewerkschaften fordern deshalb vonden Konzernen, dass sie weltweit für ihreigenes Verhalten haften und auch Verant-wortung für das Handeln ihrer Zuliefererübernehmen. Sie sollen die Einhaltung vonUmwelt-, Arbeits- und Sozialstandards ge-währleisten. Mittlerweile verfügen viele gro-ße Einzelhandelskonzerne wie z.B. Karstadt-Quelle, H&M, Metro und Tchibo über eigeneVerhaltenskodizes. Auch die Außenhandels-vereinigung des deutschen Einzelhandels(AVE) hat einen eigenen Kodex und ver-kündet auf geduldigem Papier: »Die Sicher-stellung der Würde aller Menschen und dieHerstellung sozialer Gerechtigkeit gehörenebenso wie der Umweltschutz zu denwichtigsten globalen Aufgaben der Gegen-wart und der Zukunft. Dazu bekennen sichdie Mitgliedsfirmen der AVE.«

Verhaltenkodizes haben im Gegensatzzu nationalem Arbeitsrecht den Vorteil, dasssie für Konzerne, die international aufge-stellt sind, auf all ihre Standorte anwendbarsind. Zudem umfassen sie die gesamteWertschöpfungskette. Der Haken dieser Ko-dizes ist, dass sie auf Freiwilligkeit basieren.Folglich gibt es bei Verstößen keine rechtli-chen Möglichkeiten, wie Gewerkschaftenoder NROs gegen Konzerne vorgehen kön-nen. Verstöße werden aber auch nur selten

© Aber sitzt der Konzern nicht dochimmer am längeren Hebel?ƒ Ja, aber es wäre auf jeden Fall schonsehr viel gewonnen, wenn wir vorhandeneMechanismen, wie z.B. Verhaltenskodizesnutzen, um überhaupt etwas zu bewirken.

© Wie könnte man hier Abhilfe leisten?ƒ Wir müssen in jedem Fall unsere Bünd-nisarbeit ausweiten und auch außerhalbdes Betriebs aktiv werden. So sollten zumBeispiel Kunden und Beschäftigte stärkerzusammenarbeiten. Wir müssen unsereKollegen in anderen Ländern dabei unter-stützen, sich selbst zu organisieren. ZumBeispiel durch das exChains-Projekt von TIE.Der einfache Boykottaufruf reicht nicht undkann sogar falsch sein. Entscheidend ist,dass die Beschäftigten in der Textilindustrieihre eigenen Ziele formulieren, dafür streitenund wir in diesen AuseinandersetzungenSolidarität praktizieren. Wir können finanzi-elle Unterstützung von gewerkschaftlichenOrganisatoren und Strukturen leisten. Oderwir können Öffentlichkeit schaffen, indemwir Kontakt mit Journalisten aufnehmen,wenn Kollegen aus den Produktionsstättenin unseren Betrieb kommen.

© Hast Du einen Rat für Kolleginnen undKollegen aus anderen Betrieben?ƒ Insgesamt wäre auf jeden Fall schon vielgetan, wenn wir das Thema in die regu-lären Abläufe integrieren könnten, in demz.B. auf Betriebsversammlung oder in denBesprechungen mit den Vertrauensleutenein Tagesordnungspunkt »Produktionsbe-dingungen unserer Zulieferer« integriertwird. 1

Thomas Schmidt, Betriebsratsvorsitzender bei Neckermann Frankfurt, Mitglied im Arbeitskreis »Codes of Conduct«(deutsch: Verhaltensrichtlinien)

80 DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

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bekannt, da in vielen Unternehmen keineunabhängigen Kontrollen stattfinden. So istmancher Verhaltenskodex nicht mehr wertals sein Papier.

Unternehmen geben sich häufig einenVerhaltenskodex, um sich ein soziales Imagezu verpassen. Gerade gegenüber ihren Zu-lieferunternehmen in Entwicklungsländernstellen sie sich dann gerne als Missionare fürWohlstand und Gerechtigkeit dar. Vieler-orts sind es aber gerade die Beschaffungs-strategien der Einzelhandelskonzerne, diedurch ihren starken Preisdruck auf die Her-steller Menschenrechtsverletzungen provo-zieren oder zumindest in Kauf nehmen.

Trotz dieser Kritik können Verhaltens-kodizes ein nützliches Mittel für politischeund gewerkschaftliche Arbeit sein. Auchwenn der Verhaltenskodex eines Konzernsnur dem Image dient, können Verbraucher-Innen und Beschäftigte doch prüfen, ob die-ses selbst geschaffene Image einen realenHintergrund hat und gegebenenfalls dieScheinheiligkeit bloßstellen. Der Kodex gibtihnen dazu einen Maßstab, den sie anlegenund anhand dessen sie das Verhalten einesKonzerns bewerten können. Die Kodizessind für Kampagnen und Öffentlichkeitsar-beit sehr wirksam. Es können dadurch aberauch reale Verbesserungen für Arbeitneh-merInnen in Entwicklungsländern erreichtwerden. Dennoch kann ein Verhaltenskodexniemals eine wirksame gewerkschaftlicheOrganisierung ersetzen. Deshalb ist es wich-tiger, dass die Beschäftigten vor Ort gestärktwerden, um ihre Interessen selbst vertretenzu können. Ein Projekt, das diesen Ansatzverfolgt ist exChains. Hier begannen dieBeschäftigten eines Einzelhandelsunter-nehmen nachzuforschen, woher die Warekommt, die sie verkaufen. Sie nahmen mitden ProduzentInnen Kontakt auf. DieserAnsatz lässt globale Solidarität entlang derWertschöpfungskette praktisch werden.

INTERVIEWINGE WENISCH | MIA LINDEMANN

DAS PROJEKT EXCHAINS.© Was ist der Ansatz von exChains?ƒ Mia: Unser Ziel ist es, Verbindungen zwi-schen Beschäftigten des Einzelhandels sowieder Textil- und Bekleidungsindustrie ausEuropa und Asien herzustellen. Wir arbeitenauch mit TIE zusammen, was für Transna-tionalen Informationsaustausch steht. TIEorganisiert über fünf Kontinente Basis-Kon-takte zwischen GewerkschafterInnen – sei

DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

©Foto: Dieses und die folgenden Fotos von

Christiana Silio entstanden auf einer Reise

27.2–5.3.2005 nach Bangladesch, die TIE

gemeinsam mit der National Garments

Workers Federation (NGWF) organisierte.

oben: Besuch Gewerkschaftsbüro NGWF.

links: Begrüßung im Büro der NGWF

rechts: Treffen mit Management einer

Textilfabrik in einer Freien Produktions-

zone, wo für H&M produziert wird

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© Was sind die Ziele Eurer Arbeit?ƒ Mia: Wir organisieren Solidarität entlangder Wertschöpfungskette, in diesem Fall derTextil- und Bekleidungskette. Wir diskutier-ten den Ansatz der »Kampagne für SaubereKleidung« über das Einverkaufsverhalten,Druck auf Konzerne auszuüben, um ihnenVerhaltenskodizes aufzuzwingen. Aber wirhatten den Eindruck, dass die Kontrolle vorOrt kaum funktioniert. Unser Weg sollte einanderer sein: Die Arbeitnehmer sollten inKontakt miteinander treten, ihre Problemekennen lernen, Möglichkeiten des gemein-samen Kampfes entdecken.ƒ Inge: Das Recht, sich gewerkschaftlich zuorganisieren, soll auch dort durchgesetztwerden. Wir müssen wegen der Globalisie-rung zusammenhalten. Auch bei uns istnicht alles Gold, was glänzt. Von hier wan-dern Firmen ab, weil es für sie billiger ist,dort zu produzieren – auch weil das Le-benshaltungsniveau nicht so hoch ist. Wennwir zusammen kämpfen, können auch dortdie Löhne steigen und die Sozialstandardshaben hier und dort eine Chance.

© Wie versucht Ihr, diese Ziele umzusetzen?ƒ Inge: Mit Hilfe der TIE-Büros in Sri Lankaund Bangladesch haben wir zuerst Labelsverglichen, um Zulieferer herauszufinden.Wir wurden fündig. Gleichzeitig konnten wirmit Hilfe von TIE den Kontakt zu den dorti-gen Gewerkschaften herstellen und selbstnach Sri Lanka reisen. Wir achten darauf,dass Solidaritätsaktionen von den Arbeiter-Innen dort initiiert werden. Unbedachte Soli-daritätsaktionen ohne Verbindung mit denkämpfenden KollegInnen können zur Ab-wanderung des Kapitals und zum Verlustvon Arbeitsplätzen führen.

© Welche Erfolge konntet Ihr erzielen?ƒ Inge: Wir haben die Ergebnisse unsererReise auch unserem Gesamtbetriebsrat von

es in der Automobilindustrie oder jetzt inder Textil- und Bekleidungsindustrie unddem Einzelhandel.

© Wieso engagiert Ihr Euch in dieser Form?ƒ Inge: Wir haben von den entwürdigendenArbeitsbedingungen gehört, unter denendie Textilarbeiterinnen auf der Insel Saipanfür Wal-Mart schuften. Wir knüpften Kon-takte mit den Gewerkschaften aus Sri Lankaund Bangladesch, stellten Kontakte zwi-schen Arbeiterinnen und Verkäuferinnen herund organisierten ein Austauschprogramm.

82 DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

Foto: Besichtigung einer Textilfabrik, die

für H&M produziert

Fotos: Besichtigung einer Textilfabrik, die

für H&M produziert

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H&M vorgestellt und haben viele unsererKolleginnen dafür gewinnen können. So ha-ben wir Verbindung zu unserer Konzern-zentrale in Schweden aufgenommen. Wirhaben erreicht, dass H&M Gewerkschafter-Innen aus Bangladesch und den USA mit unszusammen eingeladen hat. Auch ist H&Mmit einer Gewerkschaft in Bangladesch inKontakt getreten. H&M hat versprochen, infünf Fabriken in Bangladesch Beschwerdenwegen Missachtung des Verhaltenskodexvon H&M nachzugehen und auch die Er-gebnisse von Ver.di mit einzubeziehen.

© Was sind Eure Forderungen? ƒ Inge: Die Hauptforderungen an H&Msind: Einmal in der Woche arbeitsfrei, Aus-stellung von Arbeitsnachweispapieren unddas Recht auf gewerkschaftliche Organisie-rung. H&M hat diese Forderungen als be-rechtigt anerkannt.ƒ Mia: Ein anderer Erfolg war die Durch-setzung der betrieblichen Gewerkschafts-wahlen in Jaqualanka in Sri Lanka. Erfolg-reicher waren internationale Protestbriefe,die an das Management, die Aufsichts-behörde für die »Freien Produktionszonen«und an die Regierungsstellen in Sri Lankageschickt wurden.

© Und stoßt Ihr mit Eurer Arbeit auch inDeutschland auf Interesse?ƒ Mia: Wir konnten das Netzwerk exChainsbis zu Neckermann ausweiten, innerhalbvon H&M und bei Wal-Mart etablieren.

© Welche Projekte werdet Ihr als nächstesin Angriff nehmen?ƒ Inge: Gerade steht die nächste Reise nachBangladesch an. Daran nehmen H&M-Kol-legInnen, GewerkschafterInnen von Ver.diund TIE teil. Das Ziel der Reise ist es, dieKontrolle der Verhaltenskodizes in den Zu-liefererbetrieben voranzutreiben. Außerdem

wollen wir die Kontakte nach Mexiko und indie USA zur Gewerkschaft UNITED vertiefen.

© Wie können sich Interessierte bei ex-Chains engagieren?ƒ Inge: Einfach bei TIE anmelden und anSeminaren und Treffen von exChains teil-nehmen!

Inge Wenisch, Betriebsrätin H&M MannheimMia Lindemann, GewerkschaftssekretärinVer.di Baden-Württemberg, FachbereichHandel

DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

Foto: Demonstration für Anhebung des

Mindestlohns in Bangladesch

links: Näherin in ihrer Unterkunft

rechts: Demonstration

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allem in Weltläden, aber auch schon in vie-len Supermärkten angeboten werden. DasAnliegen des fairen Handels ist es, einengerechten Preis an die ProduzentInnen inden Entwicklungsländern zu zahlen, umihnen eine menschenwürdige Existenz zuermöglichen. Zahlreiche Produkte wie fairgehandelter Kaffee, Honig und Bananen,Orangensaft und Wein können bereitserworben werden. Mit dem Kauf eines fairgehandelten Produkts im Supermarkt, neh-men die KundInnen Einfluss auf die Ein-kaufspraxis des Unternehmens. Sie vermit-teln, dass es ihnen nicht gleichgültig ist,unter welchen Umständen die Produktehergestellt werden. Zudem haben Kund-Innen damit die Möglichkeit, die Situationder ProduzentInnen direkt zu verbessern.

Allerdings hat dieser Ansatz auch klareGrenzen. Obwohl mit dem Einzug fair ge-handelter Produkte in die Supermärkte ihreVerbreitung zunahm, fristen sie immer nochein Nischendasein. Der Anteil des fair gehan-delten Kaffees am Gesamtkonsum beträgtin etwa nur ein Prozent. Der faire Handelstößt aber zuweilen auch bei dem Blick inden eigenen Geldbeutel an seine Grenzen.Wer wenig verdient, kann auch nur wenigausgeben. Und nicht zuletzt reicht es nicht,im Supermarkt nur zum fair gehandeltenProdukt zu greifen, um sein eigenes Gewis-sen zu beruhigen. Deshalb ist es wichtig,die ursprüngliche Idee des fairen Handels,nämlich konkrete Hilfe für ProduzentInnenin den Entwicklungsländern, bei den Kon-sumentInnen in den Industrieländern wiederstärker bewusst zu machen. Beim Verkaufin den Weltläden gibt es zu den Produktennoch immer Informationen über ihre Her-kunft und es wird über die Benachteiligungder Entwicklungsländer in der Weltwirt-schaft aufgeklärt. Außerdem sind die Pro-dukte Teil einer eigenständigen Partner-schaft zwischen ProduzentInnen in den Ent-

5.4 | DIE EINKAUFSPRAXIS DER KONZERNEÄNDERN DURCH VERBRAUCHERMACHT

Auch KundInnen können sich im Alltagsolidarisch zeigen, indem sie z.B. nach demFilialleiter fragen, wenn die Kassen unter-besetzt sind, anstatt sich bei der Kassiererinzu beschweren. Beim Einkauf bei Aldi Südkönnen sie sich erkundigen, ob der Be-triebsrat schon gewählt wurde. Auch beiStreiks können sie direkt ihre Solidarität mitden Beschäftigten zum Ausdruck bringenoder aber auch kollektiv handeln und beidrohenden Verlagerungen oder Kündigun-gen zum Boykott aufrufen. Vor allem könnenKundInnen aber ihre Macht als Verbrau-cherInnen nutzen, wenn es darum geht dieEinkaufspraxis der Konzerne zu ändern.

5.4.1 | FAIRER HANDELIndividuelle Handlungsmöglichkeiten bietensich für einen jeden tagtäglich beim Ein-kaufen an. Eine konkrete Alternative stellendie fair gehandelten Produkte dar, die vor

84 DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

Foto: Unite Here, Protestaktion von

Beschäftigten bei H&M in den USA

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wicklungsländern und jenen, die die Produk-te hier verkaufen und konsumieren. Andersist dies bei der Vergabe von Siegeln, diebeispielsweise von Transfair vergeben wer-den oder auch firmeneigenen Siegeln, wiebeispielsweise »Fairkauf«, deren Kriterienweniger streng sind und deren Einhaltungauch nicht kontrolliert wird. Trotzdem ist esals Verbraucher durchaus sinnvoll, für dieseProdukte zu werben und über diesen WegGespräche über die Herstellungsbedingun-gen in vielen Entwicklungsländern und dasProblem der ungerechten Weltwirtschaftanzuregen. So könnte in Zukunft auch beiBetriebsratssitzungen fair gehandelter Kaf-fee oder Orangensaft ausgeschenkt werden.

5.4.2 | NACHFRAGEN, WOHER DIE WARE KOMMT Jeder kann beim Einkauf die Verkäufer-Innen fragen, aus welchem Land eine Warestammt und unter welchen Bedingungendiese dort hergestellt wurde. Erhält mankeine Auskunft, so bietet z.B. die so ge-nannte Kundenkarte eine Möglichkeit fürgezieltes Nachhaken bei Textilprodukten.Diese wird von der »Kampagne für SaubereKleidung« herausgegeben. Die KundInnengeben die Karte an einen Angestellten imGeschäft mit der Bitte ab, sie an die Ge-schäftsführung weiterzuleiten. Ein kurzerText weist darauf hin, dass man gerne Kun-de werden würde, aber dafür wissen müsse,unter welchen Bedingungen die Kleidunghergestellt wird. Auf der Karte stehen bei-spielsweise die Fragen, ob angemesseneLöhne gezahlt werden, ob gewerkschaft-liche Organisierung erlaubt ist und obArbeitsschutzbestimmungen angemesseneingehalten werden.

Auf diese Weise üben KundInnen Druckauf die Einkaufspraxis des Unternehmensaus und regen Gespräche zwischen denBeschäftigten an.

INTERVIEWANGELIKA EBELING

ÜBER DIE KAMPAGNE FÜR SAUBERE KLEIDUNG© Warum engagierst Du Dich für die Ver-besserung der Arbeitsrechte in Entwick-lungsländern?ƒ Für mich war es ein Schlüsselerlebnis,als ich das erste Mal zu einem Workshop,veranstaltet von der Friedrich Ebert Stiftung,in Indonesien war. Im Laufe dieser Wochehabe ich auch eine Fabrik besucht. Vermitteltwurde dies durch das Karstadt Einkaufs-büro in Jakarta. Dort habe ich das erste Malgesehen, unter welchen Bedingungen dieWare produziert wird, die in allen Karstadt-filialen zu kaufen ist. Bei Karstadt gibt es einen Verhaltenskodex,der auch jeweils Bestandteil des Lieferver-trages mit den produzierenden Firmen ist.Ich wollte einfach wissen, ob die Arbeiter-Innen vor Ort diesen Kodex kennen bzw.ob er von den Unternehmen angewandtwird.

© Was kann den so ein Verhaltenskodexvon Karstadt den Näherinnen in Indonesiennützen? ƒ In dem Kodex sind Mindestbedingungenfestgeschrieben. Die Arbeitsbedingungenin den Fabriken sind mit unseren nicht zuvergleichen. Das gesamte Arbeitsumfeldwie Beleuchtung, Luft, freie Fluchtwege,Toilette etc. ist viel schlechter. Die Arbeiter-Innen müssen wissen, das sie bestimmteRechte einfordern können. Das geht abernur, wenn sie aufgeklärt werden.

© Aber ist es nicht viel wichtiger, direkt dieArbeiterinnen vor Ort zu stärken als denUmweg über die Unternehmensleitungvon Karstadt und den Verweis auf seinefreiwillige Selbstverpflichtung zu wählen?

DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

©

Fotos: Sarah Bormann

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Weile ihre Existenz sichern und die Beset-zung fortsetzen. So sollte konkrete Unter-stützung aussehen. Bei der kommendenBetriebsrätekonferenz werde ich natürlichdarüber berichten.© Aber was bleibt davon hängen?ƒ Nach einiger Zeit haben die Betriebsrätees wieder vergessen oder es wird vom All-tagsgeschäft verdrängt. Es bleibt aberimmer ein Eindruck zurück, woran mananknüpfen kann. Bei den Beschäftigten imEinzelhandel ist das Interesse häufig ehermäßig. Deshalb finde ich auch die Initiativeder »Kampagne für Saubere Kleidung« mitder Kundenkarte sehr gut. Denn mit derKundenkarte verweist man auf den Miss-stand, dass die Kollegen tatsächlich nichtinformiert werden, wo und wie unsereWaren produziert werden.

© Die Kundenkarte kann da mit Sicherheiteinen Anstoß geben, aber klüger wird mandadurch ja auch nicht?ƒ Deshalb bemühe ich mich derzeit umeine Weiterbildungsprogramm bei Karstadtzu den Themen: Herkunft der Ware, Um-welt, Verhaltenskodex. Dazu entwickelte ichBausteine, die im Intranet für alle Beschäf-tigten abrufbar sein sollen. Derzeit werdendie Weiterbildungsbausteine vom Ausschussdes Gesamtbetriebsrats zusammen mit demzuständigen Ressort Unternehmenspolitikbesprochen.

© Ist es nicht schwierig in der derzeitigenSituation bei Karstadt, die Beschäftigtenfür die Probleme anderer zu sensibilisieren?ƒ In guten Zeiten wäre es mit Sicherheitleichter, aber unsere Aufgabe ist es eben zugucken, wie es trotz der Krise vorangehenkann.

© Nun richtet sich die Arbeit der Kampag-ne für Saubere Kleidung vor allem auch an

Natürlich müssen die ArbeiterInnen vor Ortfür ihre Rechte kämpfen. Dazu gehört auchdie Bildung von Gewerkschaften. Aber Kar-stadt hat durch den Verhaltenskodex aucheine Verantwortung und diese Verantwor-tung sollen sie meiner Meinung nach auchübernehmen. Hier ein Beispiel: Vor Jahren wurden ineinem Zuliefererbetrieb Arbeiter entlassen.Durch die Medien wurde dieser Vorfall auchbei uns bekannt. Der Ausschuss des Ge-samtbetriebsrates, der sich mit der ThematikVerhaltenskodex beschäftigt, hat dann beider Unternehmensleitung interveniert. Erhat sie aufgefordert, in dem Zulieferbe-trieb mit der dortigen GeschäftsleitungKontakt aufzunehmen. Unser Ziel war es,dass die Arbeiter wieder eingestellt oderihnen zumindest die geforderte Abfindunggezahlt wird. Karstadt hat sich nach langen sträuben dochin den Konflikt eingeschaltet und versuchtzwischen den Parteien zu vermitteln. DieseVorgehensweise war nur mit dem nötigenDruck von unserer Seite aus möglich.

© Berichtest Du auch zurück in Deutschlandvon Deinen Reisen? Und wie sind die Reak-tionen auf Deine Erzählungen?ƒ Ja, natürlich. Auf der Betriebsrätekonfe-renz im Juni 2004 habe ich von einer Fabrikin der Nähe von Jakarta berichtet. DieseFabrik wurde geschlossen, weil der Besitzersich nach Singapur abgesetzt hat und einenTeil der Maschinen gleich mitnahm. Die Ar-beiterInnen haben daraufhin die Fabrik be-setzt und bewachten sie Tag und Nacht,um damit zu verhindern, dass die nochverbliebenen Maschinen vom Besitzer ab-geholt werden. Die Betriebsräte bei Karstadt haben sofortGeld gespendet. Ich habe dafür gesorgt,dass das Geld unmittelbar zu den Betroffe-nen kam und diese konnten damit eine

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die Verbraucher, welche Erfahrungen hastDu hier gemacht? ƒ Beim Otto-Normalverbraucher ist es eherschwierig, sie über das Thema Textilien an-zusprechen. Ein Problem ist, dass man dieFrage, woher die Ware kommt, meist nichtbeantworten kann. Denn trotz der Etikettenist es nicht nachvollziehbar. Zum Beispielhabe ich in Indonesien bei einer Fabrikbe-sichtigung eine Jacke entdeckt, die für dieKarstadt Eigenmarke Alex produziert wird.Auf dem Schildchen steht dagegen »Madein Turkey«, wo die Etiketten eingenähtwerden. Bei Lebensmitteln ist es insgesamteinfacher. Hier ist das Problem bereits be-kannt und folglich auch das Bewusstseinviel größer. Auch sind die Alternativen vielkonkreter.

© Von wem erhältst Du Unterstützung fürDeine Arbeit?ƒ Insgesamt sind Kooperationen wichtig,um die Debatte zu verbreitern. Ich finde derKontakt zur Kampagne für Saubere Klei-dung sollte weiter ausgebaut werden undmehr lokale Gruppen gegründet werden.Zwischen Ver.di und der Kampagne bestehtzwar offiziell eine Kooperation, aber aufder Bundesebene und auch nach innenpassiert meines Erachtens bisher zu wenig. Uni Commerce ist dagegen problematisch,weil sie ihre Arbeit auf Europa beschränken.Soziale Verantwortung im Handel zu über-nehmen, heißt aber nun mal zu fragen, wodie Sachen herkommen und sich anzu-schauen, wie die Situation vor Ort ist, und damuss man dann eben auch nach Indonesienund China gucken.

Angelika EbelingBetriebsrätin von KarstadtQuelle Hannover, engagiert sich bei der Kampagne für Saubere Kleidung

5.5 | MENSCHENRECHTE POLITISCH VERTEIDIGEN!

Die Rechte, die uns auf nationaler, euro-päischer und globaler Ebene genommenwerden, müssen verteidigt werden: auf derStraße, mit Aktionen und in einem gemein-samen Bündnis aus VerbraucherInnen, Ge-werkschaften, NROs und sozialen Bewe-gungen. Hierfür gibt es bereits zahlreicheBeispiele.

Als in der Braunschweiger Innenstadtauf dem Gelände des Schlossparks derHamburger Marketing-Konzern ECE einMegaprojekt bauen wollte, regte sich beiden Anwohnern Unmut. Hier soll auf einerBaufläche von 25.000 Quadratmetern eindreigeschossiges Einkaufszentrum für rund125 Läden entstehen. Am 1. September2004 wurde der Bauantrag genehmigt.Betroffen sind hiervon sowohl die Bewoh-nerInnen Braunschweigs als auch die an-sässigen Einzelhandelsunternehmen undihre Beschäftigten. Für die AnwohnerInnen

DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

Foto: Arbeiterfotographie, Näherin und

Gewerkschafterin Sonja Lara Campos aus

El Salvador beim Aktionstag »Grobes Foul

von adidas & Co: Satte Gewinne statt Fair

Play« Innenstadt Köln, 12.6.2004

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haben musste gestoppt werden. Der Bür-germeister von Ebern verteidigt jedoch dasProjekt Lidl – mit dem Arbeitsplatzargument.Lidl soll nun seine Filiale auf einer anderenFläche eröffnen. Insgesamt regt sich vorOrt jedoch zunehmend Unmut gegen denDiscounter. Die AnwohnerInnen befürchten,dass Lidl wenig neue Arbeitsplätze schafftund bestehende bedroht. Zudem sind sie aufdas Schwarzbuch Lidl von Ver.di aufmerk-sam geworden und haben nun auch mitder Gewerkschaft Kontakt aufgenommen.

Gegen das internationale Dienstleis-tungsabkommen GATS formierte sich inDeutschland 2003 eine Kampagne. Initiatorwar das globalisierungskritische NetzwerkAttac, das nun gemeinsam mit kirchlichenGruppen, Studentenorganisationen undVer.di mobilisiert.

Die Proteste sind vielfältig: Viele Men-schen gingen bereits unter dem Slogan»Stopp GATS« auf die Straße. Im Frühjahr2003 fanden im Rahmen eines europa-weiten Aktionstages in über 50 StädtenAktionen statt. Zudem gab es eine großePostkartenaktionen, zahlreiche Informa-tionsveranstaltungen in ganz Deutschland –und auch in Supermärkten wurden Stopp-GATS-Preisschilder verklebt.

Auch die Welthandelskampagne »Ge-rechtigkeit Jetzt« ist ein Beispiel für einBündnis von Umweltgruppen, entwick-lungspolitischen Verbänden, Kirchen undGewerkschaften. Sie setzen sich gemeinsamfür einen gerechten Welthandel ein undprotestieren auch gegen das GATS: MitteApril 2005 findet eine große Aktionswochefür globale Gerechtigkeit mit zahlreichenAktionen, Infoständen und einer Postkarten-aktion statt. Im europäischen Ausland wur-den zudem zahlreiche symbolische GATS-freie Zonen eingerichtet, in denen die Kom-munen sich mit den Protestbewegungensolidarisch zeigten und auf die mögliche

des Schlossparks geht ein Erholungsraumverloren. Auch ist in Anbetracht der starkenÜberbauung der Stadt das Projekt keines-wegs ökologisch. Neben den Anwohner-Innen des Schlossparks befürchten aberauch VerbraucherInnen und Beschäftigteder innenstädtischen Einzelhandelsunter-nehmen die Verdrängung der gewachse-nen Einzelhandelsstruktur durch das Mega-projekt. Gemeinsam engagieren sich nunBürgerInnen, Braunschweiger Kaufleute undArchitektInnen für den Erhalt des Schloss-parks. Nachdem ein Bürgerbegehren abge-schmettert wurde, versuchen sie nun durchLeserbriefe, Protestschreiben und Veran-staltungen unter dem Motto »Zukunft ge-stalten – Schlosspark erhalten« das Bau-projekt aufzuhalten.

Auch im fränkischen Ebern wurden An-wohnerInnen, LokalpolitikerInnen und Um-weltschützerInnen aktiv, als Lidl eine Filialemitten in eine Grünfläche bauen wollte. ImMai 2004 wurde ein erfolgreicher Bürger-entscheid durchgeführt, und das Bauvor-

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Foto: Karsten Hennig, Gemeinsamer

Aktionstag der Gewerkschaftsjugend

und Attac, Köln 14.9.2002

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Einschränkung der kommunalen Regulie-rungstätigkeit aufmerksam machten.

Die Proteste zeigen Erfolge: Nicht nursind viele Menschen auf die Auswirkungendes GATS aufmerksam geworden, sondernauch der Bundestag hat einen Antrag ver-abschiedet, in dem mehr Transparenz inden GATS-Verhandlungen gefordert wird.Die GATS-Verhandlungen sollen bis zurnächsten WTO-Ministerkonferenz im De-zember 2005 möglichst weit voranschreiten.Die wichtigen Verhandlungen laufen indiesem Jahr. Dies sollte auch Ver.di zumAnlass nehmen, um gegen das GATS ver-stärkt Flagge zu zeigen.

Was das GATS im außereuropäischenAusland bewirkt, das soll die Bolkestein-Richtlinie innerhalb der EU erreichen (vgl.Kapitel 4.2). Belgische Gewerkschaftersind früh darauf aufmerksam geworden,welche dramatischen Auswirkungen derBolkestein-Hammer auf ihre Arbeitsbedin-gungen haben könnte. Aber auch in denanderen europäischen Ländern kommtlangsam Bewegung in die Bolkestein-Pro-teste: In Deutschland bringen die Gewerk-schaften gemeinsam mit Attac und denWohlfahrtsverbänden die skandalösen Aus-wirkungen der Bolkestein-Richtlinie ansLicht der Öffentlichkeit. Vor allem klärensie auf und mobilisierten für eine großeeuropaweite Demonstration während desEU-Gipfels im März 2005 in Brüssel. DieProteste zeigen bereits erste Erfolge undeine Überarbeitung der Richtlinie wurdeangekündigt. Allerdings besteht noch keinAnlass aufzuatmen, da das Resultat derÜberarbeitung noch nicht abzusehen ist.Deshalb ist mehr denn je eine europaweiteVernetzung gefragt. Aber – was in der EUgeplant wird, ist den meisten Menschennoch immer unbekannt. Hier haben kriti-sche Verbraucher und Beschäftigte, diewichtige Aufgabe, Aufklärung zu leisten.

FAZIT | GLOBALE SOLIDARITÄT IM EINZELHANDEL

Die Einzelhandelskonzerne gewinnen im-mer mehr Macht und agieren zunehmendglobal. Sie schwächen die Gewerkschaftenund spielen die Beschäftigten gegenein-ander aus. Die Politik ebnet ihnen dafürauf nationaler, europäischer und globalerEbene den Weg.

Auf diese Entwicklung müssen wir mitneuen Strategien reagieren: Wir müssenvor allem die Beschäftigten vor Ort – imEinzelhandel wie in der Produktion durchgewerkschaftliche Organisierung und Zu-sammenarbeit stärken. Dies können wirnur leisten, wenn wir uns auch global ver-netzen und solidarisieren.

Doch gewerkschaftliche Organisierungreicht alleine nicht aus: In Zukunft müssenwir gemeinsam – also Beschäftigte, Ver-braucherInnen, NROs und soziale Bewe-gungen – auf die Straße gehen, unsereRechte verteidigen und neue Bündnisseschließen.

DEN EINZELHANDEL NEU GESTALTEN!

fi

Foto: Christiana Silio, Abschied im

Büro der Gewerkschaft NGWF

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AUSBLICK90

nehmen aber noch lange nicht, dass siekeine Gewinne mehr erwirtschaften.

Den Beschäftigten wird eingeredet, dasseine ausreichende Bezahlung, soziale Siche-rung, Zeit für Freunde und Familie, über-höhte Ansprüche seien, die dem Wirt-schaftsaufschwung im Wege stehen. Ganzso, als ob sie überflüssig seien, und dieKartoffel in naher Zukunft allein in denSupermarkt läuft und sich dort selbst zumVerkauf anpreist. Das Gerede von der Krisedes Einzelhandels, dem angeblichen Sach-zwang der Globalisierung und der Peitsche»Standortschwäche« dient also vorrangigdazu, dass all jene, die für soziale Gerech-tigkeit und Sicherung des Sozialstaateseintreten, als Ewiggestrige abgestempeltwerden. Diese neoliberale Argumentationführt mit Volldampf in die Sackgasse.

Tatsächlich kurbeln die Konzerne selbst,gemeinsam mit neoliberalen PolitikerInnen,einen ruinösen Wettbewerb an. Sie expan-dieren immer stärker, ohne sich darum zuscheren, wer noch die KäuferInnen sein sol-len. In Deutschland hat dies bereits zu einemkatastrophalen Verdrängungswettbewerbgeführt. Nun expandieren die Einzelhandels-unternehmen verstärkt nach Mittel- undOsteuropa und in die EntwicklungsländerAsiens und Südamerikas. Dort zerstören siedie Lebensgrundlagen vieler Menschen, in-dem sie kleine Läden und Händler verdrän-gen und Kleinbauern und -produzenten vomMarkt ausschließen. Zunehmend arbeiten imAuftrag der Einzelhandelskonzerne welt-weit Menschen zu miserablen Bedingungenin der Industrie und der Landwirtschaft. DieGlobalisierung und Discountierung desEinzelhandels zeigt hier wie dort: WennKonzerne global aufgestellt sind und globalausbeuten und politische Entscheidungendies noch vorantreiben, dann müssen auchwir uns global vernetzen, Informationenaustauschen und uns solidarisieren.

Die aktuelle Entwicklung des Einzelhandelsist geprägt von der Globalisierung, Konzen-tration und Discountierung. Dies ist verbun-den mit dem Abbau von Rechten für Ver-braucherInnen und Beschäftigte. Die Libe-ralisierung der Ladenöffnungszeiten, dieMini-Job-Regelung, der Versuch im Rahmender Bolkestein-Richtlinie das Herkunftslands-prinzip durchzusetzen – das alles sind Stra-tegien, die nur einem Ziel folgen: freiesFeld für Konzerne.

Schon längst hat sich aber gezeigt, dassdas Versprechen – geht es meiner Firma gut,so geht es auch mir gut – nicht eingelöstwird. Ohne Zweifel sind bestimmte Be-triebsformate von Umsatzeinbußen betrof-fen. Gründe dafür sind vor allem die sinken-de Kaufkraft durch den Ausfall von Lohn-erhöhungen und den massiven Rückbaudes Sozialstaats, aber auch der ruinöse Ver-drängungswettbewerb der Einzelhandels-konzerne selbst. Wenn die Umsätze nichtmehr so schnell wachsen wie noch vorzehn Jahren, bedeutet dies für die Unter-

AUSBLICK

Foto: Werner Bachmeier,

Umgestalten des Kofferverkaufsstandes

bei Kaufhof, Nürnberg

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QUELLENVERZEICHNIS DER GRAFIKENGRAFIK 1 | Warich (2004): Branchenreport Einzelhandel – Prognose 2004GRAFIK 2 | EuroHandelsinstitut (2004): Handel aktuell 2004GRAFIK 3 | ebd.GRAFIK 4 | Ver.di Handel Nr. 5, November 2004GRAFIK 5 | TextilWirtschaft 2004GRAFIK 6 | Kampagne für Saubere Kleidung (2005): Tchibo –Jede Woche eine neue WeltGRAFIK 7 | www.einzelhandel.deGRAFIK 8 | Geschäftsbericht Metro 2003; GeschäftsberichtREWE 2003; Geschäftsbericht EDEKA 2003; Lebensmittel Praxis Nr. 5, März 2004; EuroHandelsinstitut(2004): Handel aktuell 2004GRAFIK 9 | Ernst & Young (2004): Händler am Scheideweg. Chancen und Risiken auf dem Weg aus der Krise,www.ey.comGRAFIK 10 | Eurostat (2001): Handel in Europa; Eurostat (2002): Unternehmen in den Kandidatenländern; European Commission (1998): Retailing in the EuropeanEconomic Area – 1997; Walter, Mareile (2004): Einzel-handelsentwicklung und Raumplanung in Polen, in: Raum-Planung 113; Metro Group (2004): Metro, Handelslexikon2004/2005GRAFIK 11 | Metro Group (2004): Metro Handelslexikon2004/2005GRAFIK 12 | Lebensmittelzeitung Online Ausgabe,www.lz-net.deGRAFIK 13 | EuroHandelsinstitut (2004): Handel aktuell 2004

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GLOSSARALLGEMEINVERBINDLICHKEITSERKLÄRUNG Grundsätzlichgelten Flächentarifverträge nur für gewerkschaftlich orga-nisierte Beschäftigte und für Unternehmer, die Mitglied in derbetreffenden Arbeitgebervereinigung sind. Der Arbeitsminis-ter kann allerdings im Einvernehmen mit dem Tarifausschuss,dem je drei Vertreter der Spitzenverbände der Arbeitgeberund Arbeitnehmer angehören, einen Flächentarifvertragfür allgemeinverbindlich erklären, womit er für alle Beschäf-tigten gilt. Seit Beginn der 1990er Jahre ist die Zahl der fürallgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge in Deutschlandum mehr als 50 Prozent zurückgegangen.AKTIONSWAREN Produkte, die nur für einen kurzen Zeit-raum, meist in großen Mengen und zu niedrigen Preisenangeboten werden. Vor allem Discounter wie Lidl und Aldiwerben mit Aktionswaren Kunden. AUSFLAGGUNG Der Begriff stammt ursprünglich aus derSchifffahrt und bezeichnet die Praxis, dass Schiffe aus Indus-trieländern unter der Flagge eines anderen Landes fahren,um die dort geltenden niedrigeren Umwelt-, Sicherheits-oder Sozialstandards auszunutzen. Hier bezieht er sich aufdie Registrierung von Unternehmen im Ausland mit demgleichen Zweck.BAUNUTZUNGSVERORDNUNG Gesetz, das u.a. die Ansied-lung von Einzelhandelsunternehmen regelt, indem es fest-legt, wie bestimmte Flächen, z.B. Gewerbe- oder Wohnge-biete, bebaut werden dürfen.BETRIEBFORMAT Siehe VertriebsformBOLKESTEIN-RICHTLINIE Nach dem ehemaligen EU-Kommis-sar Frits Bolkestein benannter Vorschlag einer EU-Dienst-leistungsrichtlinie zur weiteren Liberalisierung des Dienstleis-tungssektors in Europa. Ihre Umsetzung würde einen wei-teren Abbau von Beschäftigten- und Verbraucherrechtenbedeuten.BRIEFKASTENFIRMA Scheinfirma, die am offiziellen Unter-nehmenssitz keinen reellen Umsatz erwirtschaftet. Ein Unter-nehmen kann z.B. in einem anderen Land eine Briefkasten-firma errichten, um von den dort geltenden gesetzlichenRegelungen zu profitieren, wie z.B. niedrigeren Steuersätzen.CASH & CARRY Großhandel, der wie ein Supermarkt fürGroßkunden funktioniert, d.h. die Kunden stellen die Wareselbst zusammen und transportieren sie eigenständig ab.

DEREGULIERUNG Abbau gesetzlicher oder tarifpolitischerRegeln, meist solcher, die dem Schutz von Beschäftigtenund Verbrauchern dienen.DISCOUNTER Vertriebsformat im Einzelhandel. Eine kleineAuswahl von Produkten wird ohne großen Aufwand undohne Beratungsservice verkauft. Durch eine aggressive Nied-rigpreispolitik können Waren billiger als in anderen Ver-triebsformen angeboten werden.DUMPING Verkauf von Waren unter dem Einstandspreis. Eswird eingesetzt, um den eigenen Marktanteil auf Kostender Mitbewerber auszubauen oder diese vom Markt zu ver-drängen. In Deutschland ist der ständige Einsatz von Dum-ping durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG)und die Kartellgesetzgebung verboten.EINKAUFSGENOSSENSCHAFT Zusammenschluss von Unter-nehmen, um den Einkauf zentral zu organisieren und damitbilliger zu gestalten.EINZELHANDEL Im Gegensatz zum Großhandel werden dieProdukte an den Endverbraucher verkauft. Der Einzelhandelbildet die Schnittstelle zwischen Produktion und Konsum.ENTSENDEGESETZ Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie indeutsches Recht. Die Entsenderichtlinie soll verhindern, dassnationale Sozialstandards durch den Einsatz ausländischerArbeitskräfte umgangen werden.ENTWICKLUNGSLÄNDER Arme und wirtschaftlich wenigerentwickelte Länder. Merkmale sind eine schlechte Versor-gung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln, ein nied-riges Durchschnittseinkommen, ein mangelhaftes Gesund-heitssystem und geringer Zugang zu Bildung. Ihre Wirt-schaftskraft ist der von Industrieländern unterlegen. Die Be-zeichnung »Entwicklungsländer« ist umstritten, eine allge-mein akzeptierte Begriffsbestimmung gibt es nicht. Kritikerbemängeln, dass mit dem Begriff Unterentwicklung als einvorübergehender Zustand dargestellt wird und die struktu-relle Ungleichheit zwischen den Ländern ausgeblendet wird.EUROPÄISCHE UNION Setzt sich heute aus 25 Mitgliedslän-dern zusammen. Bei ihrer Gründung lag der Schwerpunktauf der Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit,die immer stärker durch eine Kooperation auf politischer,militärischer und sozialer Ebene ergänzt wurde. Mittlerwei-le beeinflussen Richtlinien und Verordnungen aus der EUdie gesamte deutsche Gesetzgebung. Zum Teil fördert dieEU den Abbau von Regulierungen, der bereits auf nationa-ler Ebene voranschreitet.

GLOSSAR

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EU-AGRARSUBVENTIONEN Die EU gewährt ihrer Landwirt-schaft auf vielfältige Weise Unterstützung, z.B. durch die Ga-rantie von Mindestabnahmepreisen. Zudem zahlt die UnionExportsubventionen, um ihre Produkte billig auf dem Welt-markt abzusetzen. Werden diese Produkte in andere Länderverkauft, bedrohen sie die dortige Landwirtschaft, da diesemit den Billigimporten aus der EU nicht konkurrieren kann.EU-KOMMISSION Wichtigste Behörde der Entscheidungs-findung auf EU-Ebene, vergleichbar mit einer Regierung ineinem Nationalstaat. Momentan stellt jedes EU-Land einKommissionsmitglied. Die Kommissionsmitglieder werdennicht von der Bevölkerung gewählt, sondern von den natio-nalen Regierungen bestimmt. Das demokratisch gewählteEU-Parlament hat im Vergleich zur Kommission kaum Ein-flussmöglichkeiten.EU-MINISTERRAT Der Rat der Europäischen Union erlässtGesetze auf EU-Ebene. Je nach Thema ist jedes Land durchdie zuständigen Fachminister vertreten. Bei wirtschaftlichenFragen treffen sich beispielsweise sämtliche Wirtschafts-bzw. Handelsminister der EU.EU-PARLAMENT Abgeordnetenhaus auf europäischer Ebene,vergleichbar mit dem Bundestag.EUROCOMMERCE Lobbyorganisation mit Sitz in Brüssel, dieversucht, die europäische Politik zu Gunsten der Unterneh-men zu beeinflussen. Mitglieder sind vor allem nationaleArbeitgeberverbände, aber auch Einzelhandelskonzerne wiez.B. die Metro AG oder IKEA.EXPANSION Ausdehnung eines Unternehmens oder einerBranche durch Ausweitung des Tätigkeitsbereiches, Erhöh-ung der Umsätze oder das Vordringen auf neue Märkte.FACHGESCHÄFT Vertriebsformat im Einzelhandel. Eine großeAuswahl aus einem bestimmten Bereich wird durch Dienst-leistungen wie z.B. einen Reparaturservice und geschultes,fachkundiges Personal ergänzt. FACHMARKT Bieten wie Fachgeschäfte eine große Auswahlvon Waren aus einem bestimmten Bereich an, sind aber grö-ßer und beschäftigen gemessen an der größeren Verkaufs-fläche viel weniger Personal.FILIALE Verkaufsstelle eines Einzelhandelsunternehmens,also ein Geschäft oder ein Laden.FIRMEN- ODER HAUSTARIFVERTRAG Wird zwischen Ge-werkschaften und einzelnen Unternehmen, die keinem Ar-beitgeberverband angehören, abgeschlossen. Er gilt nur fürden jeweiligen Betrieb auf der einen, und die gewerkschaft-

lich organisierten ArbeitnehmerInnen dieses Betriebes aufder anderen Seite (im Unterschied zum Flächentarifvertrag).FLÄCHENEXPANSION Hier: Ausdehnung der Verkaufsflächeeines Unternehmens, indem es immer größere oder immermehr Filialen eröffnet.FLÄCHENTARIFVERTRAG Tarifvertrag, der zwischen einerGewerkschaft und einem Unternehmerverband geschlossenwird. Er gilt jeweils für eine (Teil-)Branche. Je nach Verein-barung ist er entweder bundesweit oder für bestimmteRegionen gültig. GATS (General Agreement on Trade in Services) Abkommenzum weltweiten Handel mit Dienstleistungen. Es umfasstsämtliche Dienstleistungssektoren, wie z.B. Finanzen, Bau,aber auch öffentliche Dienstleistungen wie das Gesundheits-und Bildungswesen sowie die Wasserversorgung. Auch derEinzelhandel fällt unter die Regelungen des GATS. Durchden Abbau von staatlichen Regulierungen ebnet das GATSder globalen Expansion der Konzerne in diesen Branchenden Weg. GLOBALISIERUNG Bezeichnung für die grenzüberschreitendeZunahme insbesondere der wirtschaftlichen, aber auchanderer Beziehungen. Eine globalisierte Wirtschaft ist nichtauf den Binnenmarkt eines Landes ausgerichtet, sondernsucht weltweit nach Produktionsstätten und Absatzmärkten.Außerdem bildet sich ein globaler Finanzmarkt heraus. Einewichtige Voraussetzung für diese Entwicklung sind neueInformations- und Kommunikationstechnologien wie dasInternet. Politisch werden nationalstaatliche Regulierungenabgebaut, beispielsweise im Rahmen der EU oder der WTO. GROßHANDEL Handel, der seine Produkte nicht an Konsu-menten sondern an Wiederverkäufer (z.B. den Einzelhandel)oder gewerbliche Verbraucher (z.B. Restaurants) verkauft.GRÜNE WIESE Gewerbe- und Industriegebiete außerhalbder Innenstädte.HANDELSHEMMNIS Im Sprachgebrauch der WTO werdensämtliche Regulierungen wie z.B. Zölle oder Einfuhrquoten,aber auch Bestimmungen in den Bereichen Arbeits- undVerbraucherrechte, als Handelshemmnisse gebrandmarkt,die es abzuschaffen gilt.HANDELSMARKEN Im Gegensatz zu Markenproduktenwerden Eigenmarken speziell für einzelne Supermarktkettenhergestellt. Damit erhöhen die Handelsunternehmen denDruck auf die Produzenten, da diese problemlos austausch-bar sind.

GLOSSAR

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HERKUNFTSLANDPRINZIP Hier: Im Gegensatz zum Arbeits-ortprinzip, sollen für ein im Ausland tätiges Dienstleistungs-unternehmen und deren Beschäftigte die Gesetze des Landesgelten, in dem das Unternehmen seine Niederlassung hat. DasHerkunftslandprinzip ist Bestandteil der Bolkestein-Richtlinie.ILO (Internationale Arbeitsorganisation) Eigenständige Unter-organisation der Vereinten Nationen zur Überwachung derEinhaltung von Arbeitsrechten. Im Gegensatz zur Welthan-delsorganisation hat sie nur wenige Möglichkeiten, ihreZiele wirkungsvoll durchzusetzen.KERNARBEITSNORMEN Hier: Von der ILO festgelegte Min-deststandards über grundlegende Rechte von Beschäftigten.KOMMUNALE ANSIEDLUNGSPOLITIK Durch verschiedeneGesetze, wie vor allem der Baunutzungsverordnung könnenlokale Entscheidungsträger beeinflussen, welche Betriebesich in der Kommune ansiedeln.KONZENTRATION Anhäufung von Marktanteilen in denHänden eines oder weniger Anbieter. LADENSCHLUSSGESETZ Regelt in Deutschland die Laden-öffnungszeiten. Es wurde seit 1989 immer weiter liberalisiert.LIBERALISIERUNG Durch den Abbau von Schutzbestim-mungen werden in bislang staatlich regulierten Bereichenwie z.B. in der Preis- und Ansiedlungspolitik zunehmendMarkt- und Wettbewerbsbedingungen geschaffen. LOBBYING Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger.MINDESTLOHN Durch Gesetze oder Tarifvertrag garantiertesMindesteinkommen. Im Gegensatz zu fast allen europäi-schen Ländern und den USA gibt es in Deutschland keinenfestgelegten Mindestlohn.MINI-JOB Ein für Arbeitnehmer sozialversicherungsfreierJob, bei dem der Höchstverdienst bei 400 Euro liegt. Mit derUmsetzung der Hartz II-Vorschläge werden Mini-Jobs massivausgebaut.MINISTERKONFERENZ Zusammenkunft von MinisterInnen.Hier: Höchstes Entscheidungsgremium der WTO, das etwaalle zwei Jahre zusammen tritt.NEOLIBERALISMUS Denkrichtung und politisches Projekt,dessen Vertreter die Funktion des Staates darauf beschränkenwollen, dass er der Wirtschaft die besten Rahmenbedin-gungen verschafft.NICHTREGIERUNGSORGANISATIONEN Hier: Nichtstaatlicheund nicht gewinnorientierte Organisationen, die sich fürgemeinnützige Zwecke wie z.B. Menschenrechte, Umwelt-schutz oder Sozialstandards engagieren.

NIEDERLASSUNGSFREIHEIT Soll in der EU die Aufnahme undAusübung selbständiger Erwerbstätigkeiten, insbesondereauch die Gründung von Unternehmen durch schrittweisenAbbau von Niederlassungsbeschränkungen wie z.B. Ansied-lungsbestimmungen oder Auflagen zur Wahl einer Rechts-form erleichtern. Die Bolkestein-Richtlinie soll die Durchset-zung dieses Prinzips beschleunigen.NORMALARBEITSVERHÄLTNIS Arbeitsverhältnis, das sich imGegensatz zu prekarisierten Arbeitsverhältnissen durch gere-gelte Arbeitszeiten, Sozialversicherung und höhere Löhneauszeichnet.ONLINE-SOURCING Bezug von Ware über das Internet.OUTSOURCING Auslagerung von Aufgaben, die ein Unter-nehmen bislang selbst erledigt hat, an andere Firmen.PUBLIC RELATIONS-AGENTUREN Organisieren für großeUnternehmen die Öffentlichkeitsarbeit, um ihnen ein gutesImage und Einfluss auf politische Entscheidungen zu ver-schaffen.PREISKRIEG Versuch konkurrierender Anbieter, sich gegen-seitig mit niedrigen Preisen bis hin zu Dumping zu unter-bieten, um Kunden zu gewinnen. Dadurch wird der Druckauf alle »Kostenfaktoren«, also vor allem Beschäftigte undZulieferer weiter erhöht. PREKARISIERUNG Umwandlung so genannter Normalar-beitsverhältnissen in prekäre, d.h. unsichere, flexibilisierteArbeitsverhältnisse, bei denen der Lohn oder das Gehalt oftnicht zum Leben reicht. RABATT- UND ZUGABEVERORDNUNG Gesetz, das unverhält-nismäßig hohe Preisnachlässe bzw. die Gewährung über-mäßig wertvoller Zugaben im Einzelhandel untersagt.RATIONALISIERUNG Steigerung der Produktivität durch denEinsatz von Maschinen oder eine Neuorganisation desArbeitsprozesses. Führt zu Personalabbau.REGULIERUNG Hier: Gesetzliche oder tarifpolitische Regelnzum Schutz von Beschäftigten und Verbrauchern.SEGMENTIERUNG Hier: Unterteilung des Verkaufsprozessesin kleinteilige Arbeitsschritte mit dem Ziel, jeden einzelnendieser Schritte möglichst kostengünstig zu organisieren. STANDORTKONKURRENZ Wettbewerb zwischen Staatenoder Kommunen um die Ansiedlung von Unternehmen. SUPERMARKT Vertriebsform im Einzelhandel. Angebotenwerden vor allem Lebensmittel aber auch z.B. Kleidung oderElektrogeräte. Meist in Wohngebieten angesiedelt ersetzter heute die Tante-Emma-Läden.

GLOSSAR

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TANTE-EMMA-LADEN Vertriebsform im Einzelhandel. Einübersichtliches Sortiment von alltäglich benötigten Dingenwird durch einen guten Service wie z.B. Hauslieferungenergänzt. Finden sich meist in Wohngebieten oder auf demLande in kleinen Orten.TARIFLICHE ÖFFNUNGS- UND HÄRTEFALLKLAUSEL Damitkann ein Flächentarifvertrag zu wirtschaftlichen Krisenzeitenteilweise außer Kraft gesetzt werden. Umgehung des Tarif-vertrags, wie z.B. durch niedrige Löhne oder längere Ar-beitszeiten, wird so rechtmäßig.VERBRAUCHERMARKT Vertriebsform im Einzelhandel. Ver-gleichbar mit Supermärkten, allerdings auf größerer Flächeund meist außerhalb der Innenstädte angesiedelt.VERDRÄNGUNGSWETTBEWERB Wettbewerb zwischen Un-ternehmen, die dadurch versuchen, den eigenen Marktanteilauf Kosten von Mitbewerbern zu vergrößern.VERHALTENSKODEX Freiwillige Erklärung von Konzernen,in der sie sich auf die Einhaltung bestimmter Sozial- undUmweltstandards festlegen.VERKAUFSFLÄCHENÜBERHANG Das Angebot an Einzel-handelsgeschäften ist größer als die Nachfrage durch dieVerbraucherInnen. Führt zu einer Konzentration des Einzel-handels.VERTRIEBSSYSTEM Das gesamte System eines Unternehmenszum Vertrieb von Produkten, dazu zählt das Lagersystem,Fuhrpark, Verkauf.

VERTRIEBSFORM (Auch: Betriebsformat) UnterschiedlicheFormen der Verkaufsstrategie im Einzelhandel, also bei-spielsweise Discounter, Warenhaus oder Tante Emma LadenWARENHAUS/KAUFHAUS Vertriebsform im Einzelhandel.Bietet eine sehr große Auswahl an Lebensmitteln, Beklei-dung, Haushaltswaren und Elektrogeräten, außerdem einenRestaurantbereich. Für die verschiedenen Bereiche gibt esspeziell geschultes Personal. Warenhäuser befinden sichmeist in der Innenstadt.WERTSCHÖPFUNGSKETTE Der gesamte Weg eines Produk-tes von seinem Grundzustand bis zum Endverbraucher mitseinen verschiedenen Schritten der Weiterverarbeitung undder damit einhergehenden Wertsteigerung.WIRTSCHAFTLICHER BEDARFSTEST Hier: Überprüfungsver-fahren, bei dem z.B. vor der Genehmigung zur Ansiedlunggroßer Kaufhäuser kontrolliert wird, ob ein wirtschaftlicherBedarf besteht oder die Nachfrage durch ein ausreichendesAngebot gedeckt wird. Ziel ist es zu verhindern, dass vor-handene Einzelhandelsunternehmen verdrängt werden. ImRahmen der GATS-Verhandlungen und der Bolkestein-Richt-linie sollen wirtschaftliche Bedarfstests ausgehebelt werden.WTO Welthandelsorganisation, in der zwischen den 148Mitgliedsstaaten Vereinbarungen über globale Handelsregelngetroffen werden. Gegenstand sind der Handel mit Gütern,Dienstleistungen und die Regelung geistiger Eigentums-rechte. Ziel der WTO ist es, Regulierungen und Schutzbe-stimmungen abzubauen.ZULIEFERER Unternehmen, die entweder den Handel oderandere Unternehmen mit Waren beliefern.

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ORGANISATIONEN/ADRESSENNATIONALE GEWERKSCHAFTEN UND GEWERKSCHAFTSNAHE ORGANISATIONEN

Ver.di 1 (030) 69 56-0 Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft, Fachbereich Handel www.verdi.de/handel

Landesbezirk Bayern www.verdi-bayern-handel.de

Landesbezirk Baden-Württemberg www.verdi.de/baden-wuerttemberg/bereiche/fb_12

Landesbezirk Hessen www.verdi-hessen.de/branchen_fachbereich12

Web-Blog (Informationsaustausch von Lidl-Beschäftigten) www.verdi-blog.de/lidl

ISW – Institut für sozial-ökologische 1 (089) 13 00 41Wirtschaftsforschung www.isw-muenchen.de

LabourNet GermanyInternetplattform der Gewerkschaftslinken www.labournet.de

ANG – Gewerkschaft für Agrar Nahrung Genuss Österreich 1 (+43 (0) 1) 501 46(Informationen zu Welthandel und fairen Handel) www.ang.at

INTERNATIONALE GEWERKSCHAFTEN UND GEWERKSCHAFTSNAHE ORGANISATIONEN

IUL – Internationale Union der Lebensmittel-, 1 (+41 (0) 22) 793 22 33Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und www.iuf.org/deGenussmittelarbeiter-Gewerkschaften

TIE – Transnational Information Exchange 1 (069) 88 50 07 (Transnationaler Informationsaustausch) www.tie-germany.org

exChains – Gewerkschaftsprojekt zur www.exchains.verdi.deSolidarisierung mit Beschäftigten in der internationalen Bekleidungsindustrie

ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT, INTERNATIONALE HANDELSPOLITIK

WEED – Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung 1 (030) 27 58 21 63www.weed-online.org

Gerechtigkeit Jetzt!– Bündnis zahlreicher 1 (02 28) 3 68 10 10Organisationen, die zum Thema gerechte www.gerechtigkeit-jetzt.deHandelspolitik arbeiten

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Attac – Globalisierungskritisches Netzwerk 1 (069) 900 281-10 www.attac.de

www.attac.de/bolkestein/www.attac.de/gats

CIR – Christliche Initiative Romero 1 (02 51) 895 03Informationen zu Arbeitsbedingungen in Mittelamerika www.ci-romero.de

Kampagne für Saubere Kleidung 1 (02 02) 89 00 4316www.saubere-kleidung.de

Südwind – Institut Ökonomie und Ökumene 1 (022 41) 5 36 17www.suedwind-institut.de

LEBENSMITTELSICHERHEIT

Greenpeace 1 (040) 30 61 80www.greenpeace.de

AbL – Arbeitsgemeinschaft bäuerliche 1 (023 81) 9 05 31 71Landwirtschaft www.abl-ev.de

BUND – Bund für Umwelt- und Naturschutz 1 (030) 27 58 64-0www.bund.net

FAIRER HANDEL

BanaFair 1 (060 51) 83 66 0www.banafair.de

Weltladen Dachverband 1 (061 31) 689 07 80www.weltlaeden.de

Fair Trade www.fairtrade.de

VERBRAUCHERSCHUTZ

Die Verbraucher Initiative 1 (030) 5 36 07 33www.verbraucher.org

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TIPPS ZUM WEITERLESENZUR SITUATION DER BESCHÄFTIGTEN IM EINZELHANDELHamann, Andreas/Giese, Gudrun (2004): Schwarzbuch

Lidl – Billig auf Kosten der Beschäftigten. Berlin. Zu bestellen bei Ver.di.

Voss-Dahm Dorothea/Lehndorff, Steffen (2003):Lust und Frust in moderner Verkaufsarbeit. Graue Reihe des Instituts Arbeit und Technik Nr. 2003-02. Kostenloser download: http://iat-info.iatge.de

Ehrenreich, Barbara (2001): Arbeit Poor – Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft. München.

DATEN ZUR ENTWICKLUNG DES EINZELHANDELSWarich, Bert (2005): Branchenreport Einzelhandel –

Prognose 2004, Januar. Kostenloser download: www.verdi.de/handel/einzelhandel/branchendaten/ branchendaten/branchenreport_einzelhandel-prognose_2004.

Warich, Bert (2004): Minijobs im Einzelhandel. Kostenloser download: www.verdi.de/handel/einzelhandel/branchendaten/minijobs.

AUSWIRKUNGEN DES EINZELHANDELS AUF DIE LANDWIRTSCHAFTEuropäisches BürgerInnenforum/CEDRI [Hg.] (2004):

Bittere Ernte – Die moderne Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft Europas. Zürich.

ARBEITSBEDINGUNGEN IN DER TEXTILPRODUKTIONOxfam [Hg.] (2004): Unsere Rechte im Ausverkauf –

Frauen in globalen Lieferketten von Supermärkten undBekleidungsunternehmen. Berlin. Zu bestellen bei Oxfam oder kostenloser download:www.oxfam.de/downloads/Arbeiterinnen.pdf.

Oxfam/Clean Clothes Campaign/ICFTU [Hg.] (2004): Play fair bei Olympia – Arbeitsbedingungen in derSportbekleidungsindustrie. Berlin. Bestellung bei Oxfamoder kostenloser download: www.fairolympics.org/en/report/olympicreportde2.pdf.

KONZENTRATION UND INTERNATIONALISIERUNG DES EINZELHANDELSWortmann, Michael (2003): Strukturwandel und

Globalisierung des deutschen Einzelhandels. Berlin.Kostenloser download: http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2003/iii03-202a.pdf.

Rudolph, Hedwig [Hg.] (2001): Aldi oder Arkaden? Unternehmen und Arbeit im europäischen Einzelhandel.Berlin.

LOBBYISMUSMüller, Ulrich/Giegold, Sven/Arhelger, Malte [Hg.] (2004):

Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten Politikund Öffentlichkeit beeinflussen. Hamburg.

Balanyá, Belén/Doherty, Ann/Hoedeman, Olivier/Ma’anit,Adam/Wesselius, Erik (2001): Konzern Europa – Die unkontrollierte Macht der Unternehmen. Zürich.

NATIONALE REGULIERUNGHans-Böckler-Stiftung/Ver.di [Hg.] (2001): Arbeitshilfe

zur Bewertung der Ansiedlung von Einzelhandels-einrichtungen. Düsseldorf. Zu bestellen bei Ver.di.

Ver.di [Hg.] (2002): Strukturwandel – Grenzen oder Chancen für die Qualität im Einzelhandel. Berlin.Kostenloser Download: www.verdi.de/handel/einzel-handel/positionen_zur_entwicklung_im_einzelhandel/strukturwandel.

BOLKESTEIN-RICHTLINIEFritz, Thomas (2004): Auf dem Weg zur Sonderwirt-

schaftszone – Die Dienstleistungsrichtlinie der EU. Berlin.Kostenloser Download: www.blue21.de/Fritz-vs-Bolkestein.pdf.

GATSFritz, Thomas (2003): Die letzte Grenze – GATS: Die

Dienstleistungsverhandlungen in der WTO, Sachstand,Probleme, Alternativen. Bonn/Berlin. Bestellung über www.weed-online.org.

Deckwirth, Christina/Fette, Dominik/ Rügemer, Werner (2004): GATS lokal – Privatisierung in der Kommuneund die Rolle des GATS. Berlin/Bonn. Bestellung über www.weed-online.org.

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WEED – WELTWIRTSCHAFT, ÖKOLOGIE & ENTWICKLUNG

WEED wurde 1990 gegründet und ist eine unabhängige Nichtregie-rungsorganisation. Wir sind mit dem Ziel angetreten, in Deutschlandmehr Bewusstsein für die Ursachen der weltweiten Armuts- undUmweltprobleme zu schaffen. WEED engagiert sich in nationalenund internationalen Netzwerken und führt Organisationen und Initiativen in Nord und Süd zusammen.

THEMENSCHWERPUNKTE■ Internationale Verschuldung, Entschuldungsinitiativen und die

Rolle Deutschlands■ IWF und Weltbank: Politik, Projekte und Programme■ Reform und Demokratisierung der internationalen Finanzmärkte■ Internationale Handelspolitik und WTO■ Nord-Süd-Politik der Europäischen Union■ Internationale Umwelt- und Entwicklungspolitik

DIE INSTRUMENTE UNSERER ARBEIT■ Wir erstellen Recherchen, Hintergrundmaterialien

und Arbeitspapiere, z.B. den periodisch erscheinenden »WEED-Schuldenreport«.

■ WEED führt Kampagnen durch, informiert politische Entscheidungsträger und interveniert in politische Entscheidungsprozesse.

■ Wir wollen Bewusstsein schaffen durch die Veranstaltung vonSeminaren, Workshops und Tagungen. Wir kooperieren intensivmit Medien und betreiben Öffentlichkeitsarbeit.

■ WEED arbeitet in nationalen und internationalen NRO-Netzwerken mit.

SCHREIBEN SIE UNS ODER RUFEN SIE EINFACH AN WEED Torstraße 154, D-10115 BerlinTel.: (+49 (0) 30) 27 58-21 63 | Fax: (+49 (0) 30) 27 59-69 [email protected] | www.weed-online.org

WEED BEWEGT – BEWEGEN SIE WEED!Unterstützen Sie die Arbeit von WEED und spenden Sie.Bank für Sozialwirtschaft BLZ 100 205 00 | Konto-Nr. 3220600Online-Spenden: www.weed-online.org/about/spenden/index.htmlWerden Sie Mitglied! Beitrittsformular:www.weed-online.org/about/join.html

WEED

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