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Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft

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Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft

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Grundbegriffe derGeschichtswissenschaft

Herausgegeben vonStefan Jordan

Reclam

Page 4: Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 196092002, 2019 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH,Siemensstraße 32, 71254 DitzingenUmschlagabbildung: © Mikhail Leonov – stock.adobe.comDruck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG,Am Buchweg 1, 87452 Altusried-KrugzellPrinted in Germany 2019RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK undRECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Markender Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-019609-0

www.reclam.de

Page 5: Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger . . . . . . 13

Hundert Grundbegriffe

Alltagsgeschichte (Alf Lüdtke) . . . . . . . . . . . . . 21Annalen (Norbert H. Ott) . . . . . . . . . . . . . . . 24Annales (Lutz Raphael) . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Anschaulichkeit (Jörg Christöphler) . . . . . . . . . . 31Aufklärungshistorie (Horst Walter Blanke) . . . . . . 34Autobiographie (Winfried Schulze) . . . . . . . . . . 37Begriffsgeschichte (Reinhart Koselleck) . . . . . . . . 40Biographie (Margit Szöllösi-Janze) . . . . . . . . . . . 44Chronik (Norbert H. Ott) . . . . . . . . . . . . . . . 48Chronologie (Arndt Brendecke) . . . . . . . . . . . . 52Dekadenz (Alexander Demandt) . . . . . . . . . . . . 54Diskurs (Willibald Steinmetz) . . . . . . . . . . . . . 56Disziplinäre Matrix (Jörn Rüsen) . . . . . . . . . . . . 61Eigensinn (Alf Lüdtke) . . . . . . . . . . . . . . . . . 64Entwicklung (Marc Schalenberg) . . . . . . . . . . . . 67Epoche (Christoph Cornelißen) . . . . . . . . . . . . 70Ereignis (Lucian Hölscher) . . . . . . . . . . . . . . . 72Erfahrung (Friedrich Jaeger) . . . . . . . . . . . . . . 74Erinnern/Vergessen (Jakob Tanner) . . . . . . . . . . 77Erklären (Thomas Welskopp) . . . . . . . . . . . . . . 81Erzählung (Johannes Süßmann) . . . . . . . . . . . . 85Evolution (Annette Wittkau-Horgby) . . . . . . . . . 88Fiktion (Richard J. Evans) . . . . . . . . . . . . . . . 90

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6 Inhalt

Fortschritt (Alexander Demandt) . . . . . . . . . . 94Gedächtnis (Jan Assmann) . . . . . . . . . . . . . . 97Geistesgeschichte (Gangolf Hübinger) . . . . . . . . 101Geschichtsbewusstsein (Bodo von Borries) . . . . . 104Geschichtsdidaktik (Friedrich Jaeger) . . . . . . . . 108Geschichtskultur (Wolfgang Hardtwig) . . . . . . . 112Geschichtsphilosophie (Heinz Dieter Kittsteiner) 116Geschichtstheorie (Jörn Rüsen) . . . . . . . . . . . . 120Geschichtswissenschaft (Rüdiger vom Bruch) . . . 124Geschlechtergeschichte (Christiane Eifert) . . . . . 130Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen (Paul Nolte) 134Heilsgeschichte (Norbert H. Ott) . . . . . . . . . . 137Heuristik (Chris Lorenz) . . . . . . . . . . . . . . . 139Histoire totale (Peter Schöttler) . . . . . . . . . . . 142Historia magistra vitae (Benjamin Herzog) . . . . . 145Historik (Horst Walter Blanke) . . . . . . . . . . . 148Historiographie (Daniel Fulda) . . . . . . . . . . . . 152Historiographiegeschichte (Horst Walter Blanke) 155Historische Anthropologie (Hans Medick) . . . . . 157Historische Hilfswissenschaften (Walter Koch) . . . 161Historische Sozialwissenschaft (Jürgen Kocka) . . . 164Historischer Materialismus (Wolfgang Küttler) . . . 167Historismus (Stefan Jordan) . . . . . . . . . . . . . 171Ideengeschichte (Luise Schorn-Schütte) . . . . . . . 174Individualität (Ulrich Muhlack) . . . . . . . . . . . 179Kausalität (Detlef Junker) . . . . . . . . . . . . . . . 181Konstruktivismus (Wolfgang Ernst) . . . . . . . . . 184Kontinuität/Wandel (Thomas Prüfer) . . . . . . . . 187Kontrafaktische Geschichte (Alexander Demandt) 190Krisen (Rudolf Vierhaus) . . . . . . . . . . . . . . . 193Kulturgeschichte (Gangolf Hübinger) . . . . . . . . 198Longue durée (Lutz Raphael) . . . . . . . . . . . . 202

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Inhalt 7

Mentalitäten (Peter Schöttler) . . . . . . . . . . . . . 205Metaphern (Alexander Demandt) . . . . . . . . . . 209Methode, historische (Markus Völkel) . . . . . . . . 211Mikrohistorie (Hans Medick) . . . . . . . . . . . . . 215Modernisierungstheorien (Paul Nolte) . . . . . . . . 218Mythos (Martin Dehli) . . . . . . . . . . . . . . . . 222Nomothetisch/idiographisch (Eckhardt Fuchs) . . . 224Objektivität/Parteilichkeit (Detlef Junker) . . . . . 227Oral History (Alexander von Plato) . . . . . . . . . 231Periodisierung (Ursula A. J. Becher) . . . . . . . . . 234Plausibilität (Peter Th. Walther) . . . . . . . . . . . 236Politische Geschichte (Siegfried Weichlein) . . . . . 238Positivismus (Eckhardt Fuchs) . . . . . . . . . . . . 242Posthistoire (Lutz Niethammer) . . . . . . . . . . . 245Psychohistorie (Hedwig Röckelein) . . . . . . . . . 249Quellen (Klaus Arnold) . . . . . . . . . . . . . . . . 251Quellenkritik (Klaus Arnold) . . . . . . . . . . . . . 255Res gestae / Historia rerum gestarum

(Benjamin Herzog) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257Roman, historischer (Johann Holzner) . . . . . . . 260Sinn, historischer (Jörn Rüsen) . . . . . . . . . . . . 263Sozialgeschichte (Jürgen Kocka) . . . . . . . . . . . 265Strukturgeschichte (Thomas Welskopp) . . . . . . . 270Subjekt, historisches (Friedrich Jaeger) . . . . . . . 273Subjektivität/Intersubjektivität (Thomas Prüfer) . . 276Systematik (Chris Lorenz) . . . . . . . . . . . . . . 280Tatsache (Arndt Brendecke) . . . . . . . . . . . . . 282Topik (Daniel Fulda) . . . . . . . . . . . . . . . . . 285Tradition (Aleida Assmann) . . . . . . . . . . . . . . 288Trope (Hayden White) . . . . . . . . . . . . . . . . 291Typus (Karl-Ludwig Ay) . . . . . . . . . . . . . . . 294Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen (e. o. plauen) 297

Page 8: Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft

8 Inhalt

Utopie (Lucian Hölscher) . . . . . . . . . . . . . . . 298Vergangenheit (Markus Völkel) . . . . . . . . . . . 300Vergleich, historischer (Hartmut Kaelble) . . . . . . 303Vernunft, historische (Herbert Schnädelbach) . . . 306Verstehen (Ulrich Muhlack) . . . . . . . . . . . . . 310Voraussage (Arnd Hoffmann) . . . . . . . . . . . . 314Wahrheit, historische (Paul Ricœur) . . . . . . . . 316Weltgeschichte (Jürgen Osterhammel) . . . . . . . . 320Werte (Gangolf Hübinger) . . . . . . . . . . . . . . 325Wirklichkeit (Hans-Jürgen Goertz) . . . . . . . . . 328Zeit (Reinhart Koselleck) . . . . . . . . . . . . . . . 331Zeitgeschichte (Norbert Frei) . . . . . . . . . . . . 336Zufall (Arnd Hoffmann) . . . . . . . . . . . . . . . 339Zukunft (Lucian Hölscher) . . . . . . . . . . . . . 342Zyklentheorie (Jochen Schlobach) . . . . . . . . . . 345

Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 349Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

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Einleitung

Der vorliegende Band erschien erstmals im Jahr 2002 unterdem Titel Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grund-begriffe. Seither ist einige Zeit vergangen: Manche der da-mals jüngeren Autorinnen und Autoren sind in Amt undWürden auf-, andere aus dem Wissenschaftsbetrieb ausge-stiegen; die meisten der damals älteren Autoren sind inzwi-schen emeritiert, einige mittlerweile verstorben. Die Listeder ausgewählten Grundbegriffe würde heute vielleicht et-was anders aussehen. Derzeit viel diskutierte Konzepte wie»Globalgeschichte«, »Digital Humanities« oder »Histori-sche Netzwerkforschung« verdienen inwzischen wohl denRang eines Grundbegriffs.

Dass sich Verlag und Herausgeber dennoch entschiedenhaben, den Band in nahezu unveränderter Form neu aufzu-legen, hat mehrere Gründe. Das Hauptargument für dieEntscheidung war, dass viele der als Originalbeiträge ver-fassten Artikel mittlerweile kanonischen Status erlangt ha-ben. Die prägnanten Begriffsdefinitionen und konzentrier-ten kurzen Darstellungen komplexer Sachverhalte, für dieder Herausgeber den Autorinnen und Autoren bis heutedankbar ist, haben dazu geführt, dass viele Artikel ganzoder in Auszügen als grundlegende Referenzen in andereÜbersichtswerke eingegangen sind – von Schulbüchern an-gefangen, über Handbücher zur Theorie und Geschichteder Geschichtswissenschaft bis hin zu Abhandlungen übereinzelne der im Rahmen der Grundbegriffe behandeltenThemen.

Die seinerzeit beabsichtigte Zielsetzung, mit den Grund-begriffen ein basales Referenzwerk mit wissenschaftlichembeziehungsweise wissenschaftspropädeutischem Anspruchvorzulegen, konnte nicht nur inhaltlich, sondern auch for-mal eingelöst werden. Die Idee fand sogar internationalNachahmer: Im Jahr 2004 erschienen in Frankreich Lesmots de l’Historien, die viele Lemmata der deutschen Vor-

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10 Einleitung

lage aufgriffen und deren Artikel sich formal an denGrundbegriffen orientierten; für das laufende Jahr 2019 istdas Erscheinen des – freilich kulturkomparativ angelegten –englischsprachigen Lexikons Core Concepts of HistoricalThinking angekündigt, das sich ebenfalls ausdrücklich aufdie Grundbegriffe beruft.1

Etwas schwerer als bei der Entscheidung, Auswahl undInhalte der Artikel zu belassen, taten sich Verlag und He-rausgeber bei der Frage, ob die Auswahlliteratur zu den ein-zelnen Artikeln und die Bibliographie mit »Weiterführen-der Literatur« am Ende des Bandes aktualisiert werden soll-ten. Dass sie sich auch hier dazu entschlossen haben, dieVorlage ohne Änderungen beizubehalten, ist darauf zurück-zuführen, dass die Autorinnen und Autoren der Grundbe-griffe seinerzeit angehalten waren, nicht auf die neuestenErscheinungen zu ihrem jeweiligen Thema hinzuweisen,sondern auf solche Publikationen, die als einschlägig geltendürfen. Der Hinweis auf derartige Veröffentlichungen hatauch heute seinen Wert nicht eingebüßt und dient nach wievor der Einführung in die nähere Beschäftigung mit deneinzelnen Themen.

Die Grundbegriffe verfolgen das Ziel, Studienanfängernund sogenannten Laien einen Einstieg in das Vokabular vonHistorikerinnen und Historikern zu ermöglichen, obwohldie Geschichtswissenschaft eigentlich keine ›eigene Sprache‹hat. Im Gegensatz etwa zu den Naturwissenschaften, dieüber ausgeprägte Systeme formalisierter und um Eindeutig-keit bemühter Sprachen verfügen, bedient sich die Ge-schichtswissenschaft der Normalsprache oder entlehnt ihreFachbegriffe aus anderen Wissenschaften und der Philoso-phie. Allerdings schreibt sie ihnen meist einen spezifisch ge-schichtswissenschaftlichen Sinn zu, dessen Kenntnis eine

1 Les mots de l’historien, von Nicolas Offenstadt unter Mitarb. von Gré-gory Dufaud und Hervé Mazurel, Toulouse 2004; Core Concepts of His-torical Thinking, hrsg. von Ulrich Timme Kragh, Jörn Rüsen, AchimMittag und Masayuki Sato [im Erscheinen].

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Einleitung 11

notwendige Voraussetzung ist, um die Debatten unsererDisziplin richtig zu verstehen. Um die Grundlagen für einbesseres Verständnis der Geschichtswissenschaft zu schaf-fen, werden im Folgenden solche Begriffe behandelt, die einebestimmte Forschungsrichtung bezeichnen, mit der ein be-sonderer methodisch-theoretischer Anspruch verbunden ist(›Begriffsgeschichte‹, ›Annales‹ etc.). Auch finden sich Arti-kel über Kategorien methodischen Arbeitens bzw. histo-risch-zeitliche Denkmodelle (›Erklären‹, ›Dekadenz‹, ›Ver-gangenheit‹ etc.). Damit unterscheidet sich dieses Lexikonvon der großen Zahl historischer Wörterbücher, die dieseBegrifflichkeiten – wenn überhaupt – nur am Rande führenund stattdessen inhaltlich-systematische Termini wie ›Libe-ralismus‹ oder ›Markgraf‹ erklären. Weil sich die Grundbe-griffe nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu die-sen Wörterbüchern verstehen, ist im Anhang dieses Bandeseine kurze Liste mit einführenden und Übersichtswerken zufinden, welche die Stichworte zu vertiefen helfen oder aufSammlungen systematischer Grundbegriffe verweisen.

Der Aufbau der Artikel folgt einem Schema, das von Fallzu Fall leicht variiert: An die Nennung des Stichwortsschließen sich eine Kurzdefinition, dann eine begriffsge-schichtlich orientierte Problematisierung des Begriffs undschließlich ein Ausblick auf die gegenwärtige Diskussionund ihre Perspektiven an. Am Schluss der Artikel stehenAuswahlbibliographien mit bis zu fünf Titeln, die vor allemeinschlägigen Charakter haben, um einen leichten Einstiegin die nähere Beschäftigung mit einzelnen Begriffen zu ge-statten. Querverweise auf andere Stichworte sind in den Ar-tikeln mit einem Pfeil (�) gekennzeichnet. Die Abkürzungder Stichworte kann sich auf Singular und Plural beziehen;so kann ›M.‹ im betreffenden Artikel sowohl ›Mythos‹ alsauch ›Mythen‹ bedeuten. Genus, Numerus und Kasus so-wie Flexionen bleiben in der Abkürzung ebenfalls unbe-rücksichtigt. Ausschließlich mit Rücksicht auf den sehr be-grenzten Raum für die Darstellung der Themen wurde auf

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das Gendern der Bezeichnungen für Personengruppen ver-zichtet. Es sei daher an dieser Stelle ausdrücklich daraufhingewiesen, dass weibliche Personengruppen oder Anteilean Personengruppen immer mitbedacht wurden.

Alle Beiträge dieses Lexikons sind Originalartikel, wur-den also ausschließlich für diese Publikation verfasst. Diefremdsprachigen Beiträge übertrugen Markus Sedlaczekaus dem Französischen (›Wahrheit‹), Karin Schuller ausdem Englischen (›Trope‹, ›Fiktion‹) und die Redaktion desReclam Verlags aus dem Niederländischen (›Heuristik‹).Ihnen und vor allem den Autorinnen und Autoren giltauch für die nun unter neuem Titel vorliegende Neuauflagemein herzlicher Dank.

München, im Januar 2019 Stefan Jordan

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Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Klaus Arnold, Jg. 1942, Dr. phil., Professor für Geschich-te des Mittelalters an der Helmut-Schmidt-Universität –Universität der Bundeswehr Hamburg.

Aleida Assmann, Jg. 1947, Dr. phil., Dr. h. c., Professorinfür Englische Literatur und Allgemeine Literaturwissen-schaft an der Universität Konstanz.

Jan Assmann, Jg. 1938, Dr. phil., Dr. theol. h. c., Drs. h. c.,Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg.

Karl-Ludwig Ay, Jg. 1940, Dr. phil., Redaktor der »MaxWeber-Gesamtausgabe« der Bayerischen Akademie derWissenschaften, München.

Ursula A. J. Becher, Jg. 1934, Dr. phil., Professorin em.für Theorie und Didaktik an der Katholischen UniversitätEichstätt.

Horst Walter Blanke, Jg. 1954, Dr. phil., apl. Professorfür Neuere Geschichte an der Universität Bielefeld.

Bodo von Borries, Jg. 1943, Dr. phil., Professor für Er-ziehungswissenschaft (unter besonderer Berücksichtigungder Didaktik der Geschichte), Universität Hamburg.

Arndt Brendecke, Jg. 1970, Dr. phil., Professor für Ge-schichte der Frühen Neuzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Rüdiger vom Bruch (1944–2017), Dr. phil., Professor fürWissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität Ber-lin.

Jörg Christöphler, Jg. 1961, Dr. phil., Rothenburg obder Tauber.

Christoph Cornelissen, Jg. 1958, Dr. phil., Professor fürNeueste Geschichte an der Goethe-Universität, Frankfurt a.M.

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14 Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Martin Dehli, Jg. 1971, Dr. phil., Lehrbeauftragter an derHochschule für Musik und Theater, München.

Alexander Demandt, Jg. 1937, Dr. phil., Professor fürAlte Geschichte an der Freien Universität Berlin.

Christiane Eifert, Dr. phil., Privatdozentin für NeuereGeschichte an der Freien Universität Berlin.

Wolfgang Ernst, Jg. 1959, Dr. phil., Professor für Me-dientheorien an der Humboldt-Universität Berlin.

Sir Richard J. Evans, Jg. 1947, DPhil., Professor of Mod-ern History an der Universität Cambridge.

Norbert Frei, Jg. 1955, Dr. phil., Professor für Neuereund Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller Universi-tät, Jena.

Eckhardt Fuchs, Jg. 1961, Dr. phil., Professor, Direktordes Georg-Eckert-Instituts, Braunschweig.

Daniel Fulda, Jg. 1966, Dr. phil., Professor für Neueredeutsche Literaturwissenschaft an der Martin-Luther-Uni-versität Halle-Wittenberg.

Hans-Jürgen Goertz, Jg. 1937, Dr. theol., Professor fürSozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Ham-burg.

Wolfgang Hardtwig, Jg. 1944, Dr. phil., Professor fürNeuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Univer-sität Berlin.

Benjamin Herzog, Jg. 1973, Dr. phil., Fakultät für Ge-schichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum.

Arnd Hoffmann, Jg. 1967, Dr. phil., Integrationslehrer,Köln.

Lucian Hölscher, Jg. 1948, Dr. phil., Professor für Neue-re Geschichte und Theorie der Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum.

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Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger 15

Johann Holzner, Jg. 1948, Dr. phil., Professor für NeuereDeutsche Literatur an der Universität Innsbruck.

Gangolf Hübinger, Jg. 1950, Dr. phil., Professor für Ver-gleichende Kulturgeschichte der Neuzeit an der UniversitätViadrina, Frankfurt a.d.O.

Friedrich Jaeger, Dr. phil., Jg. 1956, apl. Professor fürNeuere Geschichte an der Universität Witten/Herdeckeund Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen.

Stefan Jordan, Jg. 1967, Dr. phil., Wiss. Angestellter derHistorischen Kommission bei der Bayerischen Akademieder Wissenschaften, München.

Detlef Junker, Jg. 1939, Dr. phil., Dr. h. c., Curt-Engel-horn-Stiftungsprofessor für Amerikanische Geschichte ander Universität Heidelberg.

Hartmut Kaelble, Jg. 1940, Dr. phil., Dr. h. c., Professorfür Sozialgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin.

Heinz Dieter Kittsteiner (1942–2008), Dr. phil., Profes-sor für Vergleichende Europäische Geschichte der Neuzeitan der Universität Viadrina, Frankfurt a.d.O.

Walter Koch, Jg. 1942, Dr. phil., Professor für Geschicht-liche Hilfswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Uni-versität München.

Jürgen Kocka, Jg. 1941, Dr. phil., Drs. h.c., Professor fürdie Geschichte der Industriellen Welt an der Freien Univer-sität Berlin und Präsident des Wissenschaftszentrums Ber-lin für Sozialforschung (WZB).

Reinhart Koselleck (1923–2006), Dr. phil., Drs. h.c.,Professor für Theorie der Geschichte und Neuere Ge-schichte an der Universität Bielefeld.

Wolfgang Küttler, Jg. 1936, Dr. sc., Professor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin.

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16 Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Chris Lorenz, Jg. 1950, Dr. phil., Professor für Ge-schichtstheorie an der Universität Leiden und an der FreienUniversität Amsterdam.

Alf Lüdtke, Jg. 1943, Dr. phil, Honorarprofessor für His-torische Anthropologie an der Universität Erfurt.

Hans Medick, Jg. 1939, Dr. phil., Professor für Histori-sche Anthropologie an der Universität Erfurt.

Ulrich Muhlack, Jg. 1940, Dr. phil., Professor für Allge-meine historische Methodenlehre und Geschichte der Ge-schichtsschreibung an der Goethe-Universität Frankfurta.M.

Lutz Niethammer, Jg. 1939, Dr. phil., Professor fürNeuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Paul Nolte, Jg. 1963, Dr. phil., Professor für Neuere Ge-schichte mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der FreienUniversität Berlin.

Jürgen Osterhammel, Jg. 1952, Dr. phil., Dr. h. c., Profes-sor für Neuere und Neueste Geschichte an der UniversitätKonstanz.

Norbert H. Ott, Jg. 1942, Dr. phil., Bayerische Akademieder Wissenschaften, München.

Alexander von Plato, Jg. 1942, Leiter des Instituts fürGeschichte und Biographie an der FernUniversität Hagen.

e. o. plauen (d. i. Erich Oser, 1903–1944), Zeichner undKarikaturist in Leipzig und Berlin.

Thomas Prüfer, Jg. 1963, Dr. phil., Geschichtsbüro Reder,Roeseling & Prüfer, Köln.

Lutz Raphael, Jg. 1955, Dr. phil., Professor für Neuereund Neueste Geschichte an der Universität Trier.

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Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger 17

Paul Ricœur (1913–2005), Ph. D., Drs. h.c., Professor fürPhilosophie an der Universität von Paris.

Hedwig Röckelein, Jg. 1956, Dr. phil., Professorin fürMittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttin-gen.

Jörn Rüsen, Jg. 1938, Dr. phil., Drs. h.c., Präsident desKulturwissenschaftlichen Instituts im Wissenschaftszen-trum Nordrhein-Westfalen, Essen; Professor für Allgemei-ne Geschichte und Geschichtskultur an der UniversitätWitten/Herdecke.

Marc Schalenberg, Jg. 1970, Dr. phil., Wiss. Referent amZentrum für interdisziplinäre Forschung der UniversitätBielefeld.

Jochen Schlobach (1938–2003), Dr. phil., Professor fürRomanische Sprachen und Literaturen an der Universitätdes Saarlandes, Saarbrücken.

Herbert Schnädelbach, Jg. 1936, Dr. phil., Professor fürTheoretische Philosophie an der Humboldt-UniversitätBerlin.

Peter Schöttler, Jg. 1950, Dr. phil., Professor am CentreNational de la Recherche Scientifique / Centre Marc Bloch,Berlin.

Luise Schorn-Schütte, Jg. 1949, Dr. phil., Professorinfür Neuere Allgemeine Geschichte an der Goethe-Univer-sität Frankfurt a.M.

Winfried Schulze, Jg. 1942, Dr. phil., Professor für Ge-schichte der Frühen Neuzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor des Mercator ResearchCenter Ruhr, Essen.

Willibald Steinmetz, Jg. 1957, Dr. phil., Professor fürAllgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung

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18 Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

der Historischen Politikforschung (20. Jahrhundert) an derUniversität Bielefeld.Johannes Süssmann, Jg. 1964, Dr. phil., Professor für Ge-schichte der Frühen Neuzeit an der Universität Paderborn.Margit Szöllösi-Janze, Jg. 1957, Dr. phil., Professorinfür Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.Jakob Tanner, Jg. 1950, Dr. phil., Dr. h. c., Professor fürGeschichte der Neuzeit an der Universität Zürich.Rudolf Vierhaus (1922–2011), Dr. phil., Dr. h. c. Profes-sor für Mittlere und Neuere Geschichte an der UniversitätGöttingen und Direktor am Max-Planck-Institut für Ge-schichte, Göttingen.Markus Völkel, Jg. 1953, Dr. phil., Professor für Euro-päische Geistesgeschichte und historische Methodologie ander Universität Rostock.Peter Th. Walther, Jg. 1952, Ph. D., Wiss. Mitarbeiter ander Philosophischen Fakultät I der Humboldt-UniversitätBerlin.Siegfried Weichlein, Jg. 1960, Dr. phil., Professor fürEuropäische und Schweizerische Zeitgeschichte an derUniversität Fribourg.Thomas Welskopp, Jg. 1961, Dr. phil., Professor für Allge-meine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung derGeschichte moderner Gesellschaften an der UniversitätBielefeld.Hayden White (1928–2018), Professor for the History ofConsciousness, University of California, Santa Cruz.Annette Wittkau-Horgby, Jg. 1961, Dr. phil., Professo-rin an der Leibniz Universität Hannover.

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Hundert Grundbegriffe

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Alltagsgeschichte

Der Begriff ›A.‹ bezeichnet eine Perspektive, nicht abereinen besonderen Gegenstand. Die Rede von einer ›Ge-schichte der kleinen Leute‹ verweist hingegen auf wichtigeAspekte, geht aber fehl in der Begrenzung auf einen Teilbe-reich von Gesellschaft. Eine andere häufige Formulierung,›Geschichte von unten‹, zeigt einen Blickwandel an: Es gehtnicht um die Sicht von den ›Kommandohöhen‹; zentralsind vielmehr die Praktiken, in denen diese besetzt und be-festigt werden, sowie die Lasten und Leiden, die den ›Vie-len‹ zugemutet werden oder die diese sich selbst auferlegen.

(1) Die Betonung des Alltäglichen entstand als Kritik derKritik. Kritisiert wurde jene Neuorientierung, die ab1967/68 als � Historische Sozialwissenschaft auftrat. DieseRichtung (z. B. Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka) hatteihrerseits vehement die herkömmliche, historistisch-staats-orientierte (� Historismus, Politische Geschichte) Ge-schichtswissenschaft kritisiert und richtete ihr Interesse aufdie Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Gesellschaftund Politik. So grundsätzlich diese Revision angelegt war,so galt sie später manchen als defizitär. Kritiker vermisstenhinter dem Vorzeichen der � Modernisierungstheorie dieBeschäftigung mit den Lasten und Kosten moderner Um-wälzungen. Welches waren die Wahrnehmungen, � Erfah-rungen und Verhaltensweisen derer, die zu ›klein‹ für dieMakroperspektive, z. B. der Industrialisierung, waren? Wasbedeutete es, Herrschaft und Ausbeutung auch als transna-tionale Momente der Moderne zu begreifen?

(2) Zur Perspektive von A. gehören Handlungsorientie-rungen. Der Titel des Buchs, das der schwed. Gewerk-schaftler Sven Lindquist 1977 vorlegte, wurde Programm:Grabe, wo du stehst! (dt. 1989). Das hieß auch: überlasstdie eigene Geschichte nicht dem Betrieb der professionellenGeschichtswissenschaft! Jenseits universitärer Forschungentstanden um 1980 als Reaktion auf diese Forderung und

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22 Alltagsgeschichte

nach dem Vorbild engl. history workshops in der Bundes-republik lokale ›Geschichtswerkstätten‹, die bald eine na-tionale Vernetzung (und eigene Zeitschrift) auf den Wegbrachten. In den Werkstätten wurden (mancherorts anhal-tende) Aktivitäten entwickelt, die ›große‹ Geschichte nichtnur ›klein zu schreiben‹, sondern ›von unten herauf‹ neu zubegreifen und darzustellen.

(3) Seit alltagsgeschichtliche Fragen in Seminaren undVorlesungen akzeptiert sind, ist A. eine Dimension zahlrei-cher Projekte und Darstellungen. Nach wie vor sind unter-schiedliche Deutungen zu erkennen. Selbst da, wo es nichtum einen Teilbereich des historischen gesellschaftlichen Le-bens geht, konkurrieren zwei Lesarten: Die eine konzen-triert sich auf die Routinen und Gleichförmigkeiten; ihrgelten exzeptionelles oder spektakuläres Verhalten, auchKalkül und Ekstase als vom Alltag unterschieden. Einezweite Sichtweise meint mit ›Alltag‹ hingegen jene vielfälti-ge Praxis, in der die Menschen ihre Situation wahrnehmenund sich ›aneignen‹. Selbst in extremen Notsituationenseien die Interpretations- und Variationsmöglichkeiten nie-mals völlig reduziert. Autobiographische (� Autobiogra-phie) Rekonstruktionen des Alltags in dt. Konzentrations-lagern des Nationalsozialismus belegten dies z. B. ebensowie die literarische Verarbeitung dieser Erfahrung, etwadurch Primo Levi, Ruth Klüger oder Imre Kertész.

Solche Deutungen boten zunächst Anlass für Missver-ständnisse. Manche alltagsgeschichtliche Studien zeigtenAnzeichen einer Heroisierung oder Romantisierung derangeblich Namenlosen. Industrielle Proletarier, Gesinde,Landarbeiter und Soldaten erschienen als bisher verkannteHelden der Widerständigkeit. Genaue Untersuchungen derGemengelagen des Alltags zeigen aber ein anderes Profil. Inden Studien zur massenhaften Denunziationspraxis im dt.Faschismus (z. B. Gerhard Paul / Klaus Mallmann; RobertGellately) ist deutlich geworden, dass die Praxis der ›An-eignung‹ Voraussetzung für die Intensität und mörderische

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Alltagsgeschichte 23

Destruktivität nationalsozialistischer Herrschaft war. Fürdie große Mehrheit der Deutschen gehörten neben indivi-duell-egoistischen Motiven auch ein Streben nach Eintau-chen und Anerkennung im sozialen Umfeld zu jenen Trieb-federn, deren emotionale Seite weit wichtiger war, als es ingängigen normativen Konzepten von Demokratie undMassenteilnahme am Politischen wahrgenommen wird.

(4) Die alltagsgeschichtlichen Studien zum Nationalso-zialismus könnten nahe legen, diese Sicht tauge v. a. für dieAnalyse der Diktaturen des 20. Jh. Entscheidend aber wäre,Alltäglichkeit ›quer‹ zu den Gesellschafts- und Herrschafts-kontexten zu erkunden. Denn erst Einblicke in alltäglichesVerhalten lassen erkennen, wie die Menschen und Gruppenihre � Wirklichkeit sahen und herstellten. Allein in diesemKontext lässt sich rekonstruieren, auf welche Weise undin welchem Maße jene Vorgaben und Erwartungen Fol-gen hatten, die ›von oben‹ oder durch institutionelle Zu-sammenhänge propagiert oder durchzusetzen versuchtwurden (vgl. für frühere Zeiten Norbert Schindler, Wilde-rer im Zeitalter der Französischen Revolution, 2001).

Deshalb wären Alltagswirklichkeiten in Relation zu set-zen. Das gilt z. B. für den New Deal der USA und die spä-ten 1930er Jahre in Großbritannien, die mit dem Alltag inden faschistischen und stalinistischen Staaten verglichenwerden könnten oder für den � Vergleich der dt.-dt. Nach-kriegsgeschichte. Zu fragen wäre nach Ähnlichkeit bzw.Differenz sozialer Praktiken und Emotionen, kulturellerStandards und Bilder.

Alltäglichkeit ist die Arena, in der Mitmachen und Zu-stimmen, aber auch eigensinnige Distanz, Ausweichen undwomöglich Widerstehen kreiert und praktiziert werden.Hier entwickeln sich die Wechselbewegungen, mit denenMenschen zwischen scheinbar gegensätzlichen Orientie-rungen lavieren. In dieser Sicht ist Alltäglichkeit nicht The-ma einer einzelnen Disziplin. Beteiligt sind die visuellen,performativen und literarischen Künste ebenso wie die

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Wissenschaften, die sich auf diese Ausdrucksformen inihrer Geschichtlichkeit beziehen. Insofern ist A. wederein isoliertes Unternehmen noch eine Eintagsfliege.

Alf Lüdtke

Alf Lüdtke (Hrsg.): Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktionhistorischer Erfahrungen und Lebensweisen. Frankfurta. M. / New York 1989.

Gerhard Paul / Klaus Mallmann: Herrschaft und Alltag: einIndustrierevier im Dritten Reich. Bonn 1991.

Gerhard Hirschfeld [u. a.] (Hrsg.): »Keiner fühlt sich hiermehr als Mensch«. Erlebnis und Wirkung des ErstenWeltkriegs. Essen 1993.

Hans Medick / Benigna von Krusenstjern (Hrsg.): Zwi-schen Alltag und Katastrophe: Der Dreißigjährige Kriegaus der Nähe. Göttingen 1999.

Robert Gellately: Hingeschaut und weggesehen. Hitler undsein Volk. Stuttgart 2002.

Annalen

Mit ›A.‹ (lat. annales [libri ] ›Jahrbücher‹) wird eine spezi-fisch mittelalterliche Form der � Geschichtsschreibung be-zeichnet, bei der ohne literarische Ambitionen und ohneBerücksichtigung sonstiger Strukturmodelle zu jedem Jahrneben historischen auch naturgeschichtliche � Ereignisseund biographische Fakten knapp aneinander gereiht wer-den (� Biographie).

Für die Herausbildung der historiographischen Gattung›Annalistik‹ können zwei Gründe angeführt werden: Zumeinen haben die seit dem 8. Jh. überlieferten A. wohl Vor-läufer in den in die Namenslisten der Antike inserierten

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Aufzeichnungen historischer Ereignisse (z. B. assyr. Lim-mu-A., seit 1200 v. Chr.; A. der pontifices maximi, etwa130/115 v. Chr.; spätantike Konsullisten; Zeittafeln des Eu-sebios von Caesarea, Ende 3. / Anfang 4. Jh.), die wieder-um auf die formale Struktur der Chroniken des 6. und7. Jh. (z. B. Cassiodor, Victor Tunnunensis, Fredegar) ein-wirkten; zum anderen entstanden die A. aus Rand- und In-terlinearnotizen in den Ostertafeln, die zur Berechnung derbeweglichen Termine des das Kirchenjahr regierendenOsterfestes dienten. Erst die durch die Ostertafeln vermit-telte, mit Christi Geburt beginnende, heilsgeschichtlicheZeitrechnung (Inkarnationsdatierung) lieferte eine verbind-liche, die bloß individuellen Herrscherjahre überwölbendeOrientierungshilfe (� Chronologie, Zeit).

Im Unterschied zu � Chroniken, die sich als auch litera-risch geformte Werke eines Einzelautors an ein breiteresPublikum wenden, sind A. ursprünglich von mehrerenanonymen Autoren stück- und jahrweise hintereinanderverfasste Aufzeichnungen. Oft von zahlreichen Händenüber Generationen fortgeführt und gelegentlich mit Nach-trägen zu früheren Daten versehen, sind sie ohne literari-schen Anspruch und fast ausschließlich für den Gebrauchder eigenen, meist klösterlichen Kommunikationsgemein-schaft bestimmt, jedoch häufig zwischen mehreren Klös-tern ausgetauscht und ausgeschrieben. Der geographischeBerichtshorizont ist daher fast stets regional eng begrenzt;nicht auf die eigene Region bezogene Eintragungen (z. B.militärischer Taten) jedoch lassen Schlüsse auf Entstehungund Gebrauch der frühen A. im Umkreis der den Karolin-gern nahe stehenden Abteien zu. Die vielseitige Verwend-barkeit und den politischen Deutungsanspruch der A.macht nicht nur ihre im 8. und 9. Jh. mitunter gemeinsameÜberlieferung mit Gesetzes- und Kapitularientexten deut-lich; ihr verdanken auch die seit den letzten Jahrzehntendes 8. Jh. aufgezeichneten Fränk. Reichs-A. ihre Entste-hung. Diese wurden von der Verwaltung des Karolinger-