Hamacher 1984 Beben Der Darstellung

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Der Abdruck der Novelle Das Erdbeben in Chili erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags, Miinchen und Wien, nach der Ausgabe Heinrich von Kleist, Samtliche Werke und Briefe. Herausgegeben von Helmut Sembdner. 6 1952, 7.. erganzte und revidierte Auflage 1984. 3e

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Heinrich von Kleist Das Erdbeben in Chili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Diskursanalyse Friedrich A. Kittler Ein Erdbeben in Chili und PreuRen . . . . Hermeneutik Norbert Altenhofer Der erschiitterte Sinn Hermeneutische ~berlegungen Kleisrs zu Das Erdbeben in Chili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 : (

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Kommunikationstheorie~ragmat~k Karlheinz Stierle Das Beben des BewuRtse~ns. narrative Struktur von Kleists Die Das Erdbeben in Chili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 4 David E. Wellbery Semiotische Anmerkungen zu Kleists Das Erdbeben in Chili . . 69 Institutionssoziologie Christa Burger Statt einer Interpretation. Anmerkungen zu Kleists Erzahlen . . 88 S o z i a l g e s c h i c h t l i c h ~ r k i terpretation n Helmut J. Schneider Der Zusammensturz des Allgemeinen . . .Theorie der Mythologie/Anthropologie Rend Girard Mythos und Gegenn~ythos: Kleists Das Erdbeben in Chili . Zu!

CIP-Kurztitelnufnahme der Deutschen BibliothekPositionen der Literatunuissenschaft : 8 Modellanalyscn am Beispiel von Kleists Das Erdbeben in Chili 1 hrsg. vorl David E. Wellbery. - M ~ i n c h e ~ Beck, 1985. :l (Beck'sche Elementarbusher) ISBN 3 406 30522 9

NE: TC'eIlbery, David E. [Hrsg.]

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ISBN 3 4 0 6 3 0 5 2 2 9

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* * *Werner Hamacher Das Beben der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 . Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .192

U m s ~ h l a ~ c n t w u von Walter Kraus. Miinchen, unter Verwendung rf zweier Scherenschnitte der Goethezeic (links: Goethe, a n o n y m u m 1 7 8 0 ; rechts: Uhland von L.Dutcenhofer, 1817) @C.H.Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), Miinchen 1 9 8 5 Satz u n d Druck: Appl, Wemding Printed in Germany

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Renk Girard (Anthropologie)

Vorkommnisse: zu solchen Zeiten mug die Panik unbedingt ausbrechen. und der hchter mug ihr a u s Notwendigkeit n a ~ h ~ e b e n . " ~ Kleist geht natiirlich vie1 weiter, indem er zeigt, wie die Krise der Nicht-Unterscheidung, auf die shaftesbOury in der eben zitierten Passage hinweist, in der spontanen Wahl des Opfers gipfelt, die die Krise lost und der Gemeinde Frieden bringt. Er macht anschaulich, wie Mythos und Ritual aus diesem Ereignis hervorgehen, das wohl in Erinnerung bewahrt wird, dessen eigentlicher Hergang jedoch gleichzeitig verfalscht wird. In diesem Sinn konnen wir von einer myth01 gischen Dimension in Kleists Text sprechen Die Novelle folgt der Lo& des Mythos und stellt diese gleichzeitig blog; sie ist ein Werk tnimetischer Enthiilluhg. Dieser Aspekt d e r N o v e l k kann jedoch im Rahmen der traditionellen Literaturwissenschaft nicht erfaRt werden, sei sie formalistischer oder historischer N a tur. Auch mit den Begriffen von Lkvi-Strauss kann er nicht adaquat verstanden werden. Fur Ltvi-Strauss ist der Mythos blog eine Allegorisierung des Denkprozesses, das heifit, der Schaffung vun Unterscheidungen. Weil er das Problem des Mythos als ein blog logisches ansieht, als eine Frage der symbolischen Vermittlung kontradiktorischer Terme, bleibt ihm die Rolle der Gewalt verborgen. Indem wir diese Rolle zum Vorschein bringen, entdecken wir nicht bloR die ,affektivenCAspekte des Mythos, seine Fahigkeit, Geheimnisvolles zu suggerieren und ein Gefiihl von Terror zu erwecken. Wir lenken vielmehr die Aufmerksamkeit auf die Formen des Gruppenverhaltens, denen Mythos und Ritual e n t b i n gen, und vor allem auf die Gewalttatigkeit, die alle Aspekte des Mythos dominiert, seine Logik und Signifikation miteingeschlossen. GewalttBkigkeit lauert hinter allen mythologischen Themen, und nur ein Verstehen ihrer Rolle kann diesen Themen Klarheit verleihen. (Obersetzt von Hans-Jakob Werlen)

Werner Hanzacher

Das Beben der Darstellung,,Le monde n'est qu'une -i.re p~nn_e.fioutes choses y branlent sans cesse: la terre. l e s ~ h e r du s Caucase, les pyramides d'Aegypte, et du branle public et d u Leurda constance mesme n'est autre chose qu'un branle plus languissant.de ne puis asseurer mon object." Monraigne, Essais 111 2

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Z u den allgemein respektierten Basissatzen sowohl der hedonistischen wie der kritischen Lektiire literarischer Texte gehort der, d a g k s p r a c h liche Darstellungen s i n d . l i i r den Konsqns iiber dj_er sen Satz bleibt es Wirkli~hkeitdie der gesellschafto b unter Darstellung e i n e skifische .,Fqrp, der . Ngchbildung, der ~.o. n-s~ r u k t i ~ ? . ~ ~ o d e r . ~ d e s . t Avsdrucks z . ~verstehenisx.{ber Vorzug der E\iidqz, dem dieser Satz seine , ~ t h k v i t i zu danken hat, wird teuer bezahlt mit einer hermeneutit schen Konsequenz, die aus ihm nicht zu ziehen unmijglich ist/Er dispo&.L(. nlert namlich die Texte der Literatur zu empirischen Gegenstanden, die auf dem Wege einer mehr oder weniger mechanischen Reduktion in ihre Bedeutungskorrelate sollen zuriickiibersetzt werden k 6 n n e n . k o muRI / sich die literaturwissenschaftliche Forschung unter dem Diktat dieses i Satzes als systematische Restitution jener Wirklichkeiten, der die literarischen Texte selber korrespondieren s o l l e n h e r Darstellungsmittel, die zum Zwecke der Anmessung an solche Wirklichkeiten eingesetzt werden+," und der Transformationen, die ie Erfahrung durch ihre literarische Artikulation erleidet, verstehen. s mildert die Zumutungen, die ein solches I Verstandnis der Literatur und ihrer Lektiire enthalt, nur unzureichend, re Texte als Wirklichkeitserfahrung sui generis eingeschatzt wers o problematisch das Theorem der Reduzierbarkeit dadurch wird, daR in den Werken der Literatur selbst eine letzte Instanz und ein N o v u m der Wirklichkeit anerkannt wird, s o uniibersehbar bleibt doch, daR diese Maximalthese iiber den Realitatscharakter der Literatur. auf~

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Das Beben der Darstellung ,,eine zufallige Uiolbung"

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/der Flucht vor einer schlecht begriffenen Spannung zwischen Erfahrun to h i . v r u k rund ihrer Darstellung, beide zu einer nicht minder schlechten ~ e c k u n ~ s gleichheit bringt/Befreit sich der redliche Versuch, Literatur als Darstellung auf eine - und sei's auch ihrerseits bereits literarisch p-raformierte Wirklichkeit zu beziehen, von d e m das sie ist, auf dem -wege einer sozialgeschichtlichen, psychologischen und weiterhin anthropologischen Reduktion auf empirische Daten und geht dabei mit zielstrebiger befreit Sicherheit in die Falle des Empirismus oder des ~ i s t o r i s m u s ; b o die Hypostase des literarischen Textes zum i reduziblen Novum diesen von den Zumutungen der Verstiindlichkeit/Crt der Begriff der Darstellung im einen Falle die Lizenz, von ihr zu dem iiberzugehen, wovon sie die Darstellung sein soll, so im anderen, in dem sie zur Selbstdarstellung einer Wirklichkeit gereinigt erscheint, das Verbot, aus keiner a n d e G n Wirklichkeit als der ihren zu ihr iiberzugehen/In beiden Fillen w&r T5F~.~ac_h_Maiilgabe --. ..--.-.--.--..--,---. einer Okonomie d~_Bedeutsa&.it.ausgelegt, d u r c h .. . . ll . dje entweder die S t a b l i t a t d s D a r g e s t e._ t e n. .- o b Bewui3tsk&age,.Af____ ..-.fekt oder historisches Faktum - oder.die der Darstellung selbstals Darstellung - o b kreativer uktur ,-~der..immanentes Verweisungsspiel - . beiden Fallen, die sich als kontrare Konsequenzen aus der gemeinsamen Maxime, Literatur sei Darstellung, ergeben, wird zur Wahrung des theoretischen Sicherungsbediirfnisses aber die Moglichkeit iibersehen, daiil es die Sache der Literatur eben nicht ist, den Begriff der Darstellung zu erfiillen, s- o n d o . seidtr.uktllr_~,n_d-s_ein.e. kation-e.n-durch.eine-bwt_e Form d_er Impli

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ne wissenschaft daran liegt, die Texte, die sie sich zum Gegenstand wahlt, nicht durch die Unterwerfung unter sprachtheoretische und asthetische Konventionen a priori zu verfehlen und keine Maiilstabe an sie anzulegen, deren Geltung von ihnen bestritten wird, solange muiil die Offnung auf diese, zunachst nur logische, Moglichkeit i die heuristischen Prinzipien ihres Verfahrens aufgenommen werde . Damit ist noch nicht gesagt, daiil Literatur in jidem Falle eine von der Darstellung toto coelo verschiedene F o r m sprachlicher Praxis s e i h o h l aber, daiil sie, und e r z r e c h t eine Reihe ihrer herausragenden Texte, die methodologischen Pramissen der Literaturwissenschaft und dariiber hinaus der philosophischen Asthetik, statt sich ihnen riickhaltlos zu fiigen, in Zweifel ziehen kijnnte/ W o sie es tut, ist Literatur nicht mehr bloiil senschaft, sondern diese, ordo inuerso, ein Literatur.

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Das Erdbeben, das bei Descartes als das methodische der a n sich selbst zweifelnden Erkenntnis die terre mouvante' der Vorstellungsinhalte des Denkens abschiittelte und allein in sich selbst das fundamentum inconcussum fiir die Selbstgewiiilheit, die Festigkeit der Erkenntnisgegenstande und die Legitimitat des Glaubens an Gott zu finden bestimmt war - dies methodische Erdbeben, das das intelligible Ich a n seinen Vorstellungen lipi. exekutiert, bugt angesichts der katastmphalen Konsequenzen eines Erd'bebens in der Erfahrungswelt seine Sicherungs- und Begriindungsfunkt i o n m s zeigt sich e s s t , daiil der intelligible Kern der Vernunft, die sich in-dem von ihr ausgelosten Beben rein auf sich selbst beziehen soll, bereits empirisch affiziert ist: und sei's auch nur in d e Weise, daiil er zu seiner Artikulation der Metapher des Bebens b e d a r f . L i i l sich die Konsequenzen dieser Metapher fur die Wirksamkeit der Vernunft von der Vernunft selbst nicht kontrollieren lassen, wird noch vor ihrer historischen Entfaltung an der Paradoxie deutlich, zu der sie den Gedanken des Ich n zeigt sich die Stazwingt: nur die Erschu~t-ergng>teht..fest~u r ~ m B e b e n bilitat .eer e d--dm Eindruck des Erdbebens von Lissabon, der die . europaische Intelligenz in einer ihrer empfindlichsten historischen Epochen trifft2, verliert die Metaphorik von Grund und Erschiitterung vollends die scheinbare Unschuld der bloiil figiirlichen Rede In den Texten Voltaires, die auf das Ereignis von Lissabon reagieren - dem Pokme sur le Dksastre de Lisbonne und dem Candide -, und in anderer Weise auch ~ in Rousseaus V o l t a i r e - ~ r i e fvom August 1 7 5 6 und in Kants drei naturwissenschaftlichen StudienS von 1 7 5 6 ist das Erdbeben, ohne doch den Rahmen seiner Metaphorizitat ganz verlassen zu konnen - vor allem historisches Datum, natur- und weltgeschichtlicher Referent einer Rede, die die Ungeheuerlichkeit des Faktums nicht zu bannen vermag und ihr Versagen vor ihm nicht nur in den theoretischen Konsequenzen, die sie daraus ziehen, sondern in der unmetaphorischen Nennung eines Namens und einer Reihe von Zahlen eingesteht/6iese Markierung seines vernunftlosen, unkontrollierbaren und uniibersteigbaren Charakters tragt die Figur des Erdbebens auch im Candide, der sie zu einem literarischen Sujet und dariiber hinaus zu einem antiteleologischen Argument rnacht, und noch nachdriicklicher in dem bedeutendsten Text, der die Gewalt der Erdbeben-Metapher in ihrer ganz Kleists Erzahlung Das Erdbeben in Chi1

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g u r der Unverlaiillichkeit nicht nur der physischen, sondern auch der

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Erkenntniswelt geworden/us einer Metapher der Reprasentation, durch die die Form des Vo'rstellens selbst vergegenwartigt werden sollte, ist eine Figur der Undurchschaubarkeit der Welt und der Uniibersetzb keit ihrer Erscheinung in einen ihr transzendenten Sinn geworden/l?e Metapher hat aufgehort, ein Fakturn rnit seinern Sinn, ein Bild rnit seiner Bedeutung zusarnrnenzuhalten und eins ins andere iibertragen zu konnen/ Irn selben Moment, in dern die Metapher des Bebens beginnt, ihre rnetaphorische Potenz einzubiigen und zurn Zitat eines aktenkundigen historischen Ereignisses wird, das sich durch keine teleologische Erklarung rnehr heiligen laCt, verstarkt sich ihre Tendenz, sich als Zitat einer literarischen Bilder- und Thernenkonvention darzustellen und darnit ihren geche Fakturn augerlichen, ihren Kontingenzcharakter ofdoppelte Bruch der Bildlichkeit der klassischen in Kleists Erdbeben-Erzahlung besonders krat3 zuwie in fast allen seinen Erzahlungen, besonderen Nachdruck auf die historische Authentizitat der von ihrn vorgetragenen Geschichte, indern er nachpriifbare Zahlen und Narnen nennt: ,.In St. Jago, der Hauptstadt des Konigreichs Chili,. . . in dern Augenblicke der grogen Erderschutterung vorn Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden . . ."(ll) Zurn anderen ist es, obgleich bislang nicht erkannt, u n v e r k e a a r , dat3 wichtige Teile des stofflichen Vorwurfs zu Kleists Text in einer Reihe von Szenen des Candide vorgebildet sind, der seinerseits bereits eine Travestie auf die Klischees der zeitgenijssischen Rornanproduktion enthilt.7 Kleists Erzahlung ist keine bloBe Variation von Voltaires pkiilosophis/cher ~ u f f o n e r i e h n d e r nsie ankniipft an deren inhaltliche Mornente - die zufallige Betroffenheit durch ein Erdbeben, das als Beginn der Apokalypse interpretiert wird, die Urnwandlung der Todesart, die zufallige Errettung vorn Opfertod, das zufallige Wiederfinden der Geliebten -, und auch a n kompositorische Mittel wie die Binnenerzahlungen, in denen parallele Handlungsverlaufe nacheinander vorgefiihrt werden, und insbesondere a n die philosophische Frage des Candide nach der Rechtfertigung des Obels in der Welt und nach dern providentiellen Grund individueller und kollektiver Schicksale, gibt sie sich als Replik auf die aufklarerische Satire zu Icsen, in der, was in dieser nur episodisch und gleichsarn frivol abgehandelt wurde, ins Z ntrurn geruckt und seines spielerischen Charakters entkleidet wird. as Biindnis der Ordnungsmachte von Staat, Besitzbiirgerturn und katholischern Klerus mit dern philosophischen l i e o r e m der Teleologic in der besten der rnoglichen Welten wird bei Kleist nicht krasser exponiert als bei Voltaire, aber die individuelle Anfalligkeit f u r teleologische Erklarungen wird aus einern lacherlichen Tic, n, von dern Autor und Publikurn sich frei g l a ~ ~ b ezur zwanghaften Selbst-

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tauschung, die keinern Leser sdffisante Distanz zu wahren e r l a u b t h von Voltaire aus offenkundig didaktischen Griinden inszenierte Zufall wird bei Kleist zur dorni ierenden Ereignisforrn eines undurchschaubar gewordenen Weltlaufs.& Jiterarisch' Kleists Replik auf Voltaires Roman sein mag: er ist in allern eine Kritik an den Distanzierungs- und ~ c h u t z ~ e b a r d der Literatur, die Voltaire schreibt, und der ~ e r s u c ha u s en , der Sprache - und nicht nur rnit deren Mitteln - jenes factumbuLkrwr zu erzeugen, ?Is das ein Erdbeben in die Welt der geordneten politischen, literarischen und rnoralischen Verhdltnisse einbricht./ Die Kollision voneT und_Zufall und ihre Essentialisierung des Kontingenten ist freilich nicht dern auch Leibnizens Therna irn Essai d e faute heureuse, der wechselseitig sich aufhebenden Obel - bina uenena juuant7 - gehort zurn ironischen Kornpositionsprinzip von Voltaires Roman, wurde aber ganz unironisch in die Maxirnen der Aufklarun philosophie aufgenornrnen, durch die er Kleist bekannt geworden ist ur Zeit der mutrnai3lichen Niederschrift der Erdbeben-Erzahlung, im November 1806, schreibt Kleist in einem Brief, er ernpfinde ,,die Wahrheit des D'Alembertschen Grundsatzes, dai3 zwei Ubel, zusarnmengenommen, zu, einer Trostung werden konnen; denn eins zerstreute mich vorn andern''? Kleists Erzahlung bietet sich als die systernatische Durchfiihrung dieser Strukturforrnel des bina uenena juuant dar und scheint auf diese Weise nicht bloB einen Gedanken aus dern Urnkreis der Theodizee aufzunehmen, sondern selber fiir sie Partei zu e r g r e i f e d b e r Kleists Erzihlung ist Durchfiihrung dieser Strukturforrnel bis in ihre Urnkehrung, d a g das doppelte Gliick Verderben bringt, und Relativierung dieser Forrnel insofern, als sie sie als giilti allein aus der wechselnden Perspektive ihrer Protagonisten b e s t i m r n 6 o kann das Erdbeben irn Hinblick auf die Befreiung des Jeronirno als gottlich sanktioniert und seine Errettung durch he eine N a t u r k a t a ~ t r o ~ als Wunder angesehen werden: ,,Er senkte sich so tief, da13 seine Stirn den B den beriihrte, Gott fur seine wunderbare Errettung zu d a n k e n U ( l 3 ) . h b a l d er aber seine Geliebte verloren glaubt, heii3t es: ,,und fiirchterlich schien ihrn das Wesen, das iiber den Wolken waltet"(l3)/ais die beiden, durch gleiche Zufille dern Tod Entkornrnenen einander wiedergefunden haben, ist es wieder eln ,,Wunder des Himrnels", das sie gerettet hat, und der Tod von ,,vielen tausend h4enschcn" scheint gerechtfertigt durch das Oberleben dieser zwei und ihres Kindes: ,,[sic] waren sehr geriihrt, wenn sie dachten, wie lend iiber die Welt kornrnen rnugte, darnit sie gliicklich der Ereignisse, der ihr Gliick als sche Interpretation der Zufalle faute heureuse und der D'Alernbertsche Grundsatz werden nicht als ontologische Prinzipien, sondern als instabile Erklarungsfiguren gebraucht,

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die sich auf bestimmte Druck ihrer Veranderung und die gl~uckljiih~K~oinzidenz boser Zufalle bieten keinen gesicherten ..... - -- - . . -. Grund,-auf..dem.sich feste VorstelIungen. von der:WeTt und ihrer Bezleh;ig zu einem hochsten Wesen a frichten lieBen, son&& sind i-hrerseits gsnzlich dern Zufall a u s g e s e t z d e i s t s Erzahlung - diese wie jede andere - handelt nicht von glii klichen oder ungliicklichen Zufallen, sondern t von ihrer Zufalligkeit/ ~ c h von kontingenten Ereignissen, sondern von ihrer unversicherbaren ~ o r i t i n ~ e n z & c h von Fallen, die unter keine Ret gel gebracht onnen, sondern davon, daB diese Falle auch selber inszeniert den Prozei3 einer nicht-synthetischen Dialektik der Kontingenz. Unter Zufall ist bei Kleist nicht blofi ein Ereignis zu verstehen, zu dessen Erklarung weder die Gesetze der Mechanik, noch die Regelvorstellungen der Ontotheologie ausreichen, sondern ein irregulares Zusamn Ereignissen, die selber aus dern Zerfall von Regeln der von Kleist privilegierten ist die Bedeutung, zum ersten Ma1 sechs Allegorien diesem Begriff Jahre vor jenem Brief auf, in dern er den D'Alembertsc tiert, den man als ihre begriffliche Abbreviatur lesen k Lehrbriefe an seine Braut Wilhelmine von Zenge beschreibt Kleist im November 1800 eine Erfahrung, die er ,,an jenem Abend vor dern wichtigsten Tag meines Lebens" gemacht hat, der f u r ihn, wie er rneinte, die Entscheidung iiber Leben und Tod bringen wiirde:~-

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Zufall ist d e r ~ n i-.-e . . in dem mindestens zwei Falle einer Regel der.- g Fall, -. . . . . arfau~kJF_andeFstoBen, daB sie nicht mehr dieser Regel selber unterliegen./ Dennoch ist der Zufall keine Ausnahme von der Regel, sondern dasjenige Ereignis, in dern die Regel rnit sich selber kollidiert und eine neue, hochst zweideutige, namlich den Gesetzen der N a t u r zugleich entsprechende und sie auBer Kraft setzende Ordnung schafftflo zwei Falle einer Regel miteinander kollidieren, wird rnit der Regel zugleich auch ihr Fall unter sie suspendiert: im Zufall ihrer Kollision bewahren ihre Elemente mehr ihren begrifflich gesicherten r auch der Fall der Regel selber - hebt sich a u d ~ hebt sich auf in dern Sinne, daB er seiner Tendenz, die seine Identitat bestimmt, nur gehemmt folgt: er ist nicht ,,der Fall", sondern - durch Parenthese aufgehalten ,,der, seinem langsamen Fall begegnende, Fall"; er hebt sich auf, indem, eses Falls, in der Schwebe bleibt und eine ,,zufallige er hebt sich schliefllich auf, indem er gleichwohl er Zufall - in all seinen als Kollaps, Kon-

,,Da g' g ich, in mich gekehrt, durch das gewolbte Tor, sinnend zuriick ihdie ' Stadt.J arum, dachte ich, sinkt wohl das Gewolbe nicht ein, da es doch keine Stiitze hat'.;~ssteht, antwortete ich, weil alle Steine auf einmal einstiirzen wollen - . . ."9. Die illusionsloseste aller Selbsterhaltungstheorien: Der gleichzeitige Sturz aller Elemente auf ein gemeinsames Gravitationszentrum, das nicht Leben heiBt, sondern T d, erhalt sie, durch gegenseitige Hemmung, fur eine Zeitlang a u f r e c h t 2 i e s e n Gedanken des gemeinsamen Falls, der sich alt, verbindet die Erdbeben-Erzahlung rnit dern Begriff des von jenem Strick die Rede y a r , der Jeronimo dieser Welt ,,entreiBenN sollte und ,,den ihm der Zufall gelassen hatte", heifit es: ,,Der Boden wankte unter seinen Fiigen, alle Wande des Gefsngnisses rissen, der ganze Bau neigte sich, nach der Strage zu einzustiirzen, und nur der, s e i n h langsamen Fall begegnende, Fall des gegeniiberstehenden Gebaudes verhind rte, durch eine zufallige Wolbung, die ganzliche Zubodenstreckung desselbe . Zitternd . . . glitt Jeronimo . . . der Offnung zu, die der Zusammenschlag beider Hauser in die vordere Wand des Gefangnisses eingerissen hatte". (12: Hervorhebungen von mlr. - W.H.)

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entspricht, stabilisiert sich die Unterbrechung seines Sturzes nicht zur dauernden Synthesis, sondern geht in die Fortsetzung des Sturzes "be/ Die Aufhebung des Zufalls - u~~darin.un_te~sch.e_ide_t.,s~ch1 e s t s c h e 1h~K yon der & g & h e n - ~ ~ a n t _ ~ *-- - wird selbst ._-_._---- aufgehoben. Was den Zufall innerhalb der Kleistschen Erzahlung so auis'erordentlich bedeutsam macht, ist der Umstand, dai3 das gesamte Spektrum der Wirklichkeit, it dern ihre Gestalten konfrontiert sind, unter seinem Zeichen s t e h t A h t nur stiirzen zwei einander gegenuberliegende Mauern ein und halten einander in all so, daB Jeronimo durch ihre Wol- / bung hindurchschliipfen Erdbeben, das sie zu Fall bringt, erschiittert die Stadt ,,gerade in dern Augenblick", in dern er sich erhenken will und in dern seine Gfliebte ,,auf ihrem Gang zum Tode, dern Richtplatze schon ganz nahe" ist: und wie die Kollision der beiden Hauserwande s o halt die Kollision von gesellschaftlicher Gewalt und Naturgewalt den Tod, den jede isoliert dern Paar bereitet hatte, auf, bildet gleichsam eine Wolbung, unter der das Paar rnit seinem Kind entfliehen kann und stiirzt, wie jene Mauerwolbung, rnit der zweiten Erschiitterung der gesellschaftlichen Verhaltnisse erst a m Ende der Erzahlung iiber sie zusammen - und auch in diesem Fall nicht ohne eine Liicke zu lassen, durch die diesmal ihr Kind gerettet lung wird also nicht nur bewegt und skandiert von einer langen Serie von Zufallen - die Stereot pe ,,in demselben Augenblicke" weist jeweils ausdriicklich auf sie h i n die verschiedenen Phasen der Erzahlung selber

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stelle in ihrer Abfolge auch die drei Bestimmungsmomente des Zufalls dar: die Kollision zweier todlicher Gewalten im ersten Teil des Triptychons, ihre wechselseitige Suspendierung in seinem zweiten n d in seinem letzten die Vollstreckung ihrer morderischen Tendenz. o bildet die Erzahlung selber die ,,zufallige Wolbung", von der in ihr die Rede ist, den Einstand widerstreitender Momente, die Verzogerung d e Falls, der die Regel des N a t u r - und des Staatsgesetzes zu erfullen ha . Sie ist also Darstellung der in ihr beschriebenen Vorgange nur, soweit sie selbst das Bild ihres Zerfalls stellt. Der Zufall, den Kleist inszeniert, hat, gerade weil er gliicklich ist, den Charakter einer Erkenntnisfalle: seinen Protagonisten stellt er sich nicht in seiner Kontingenz, sondern ausschliei3lich in seiner Beziehungauf ein notwendiges We e n dar, das die Naturereignisse zu ihren Gunsten planvoll lenken sol . So wird die Fiktion einer teleologischen Ordnung fur Jeronimo und Josephe zur objektiven Erkenntnis des Weltgrundes, der Zufall der N a t u r in ihrer privaten Heilsgeschichte zur ~ o t w e n d i ~ k e i t . & i e Massierung der Zufalle, denen der Kleistsch Text seine Protagonisten aussetzt, provoziert n u n aber nicht bloi3 in eren Augen den Anschein der RegelmaRigkeit, sondern lost, ebenso systematisch wie exzessiv, den Kontingenzcharakter'des Zufalls und den Normcharakter der Regel soweit auf, daR f u r den gesamten Umfang und f u r die Reichweite dieses Textes der Distinktionswert er Oppositionsbegriffe von Regel und Fall, Regel und Zufall erlischt eide sind von Kleists Darstellung in einem Sturz begriffen, in dem ihr Erkenntniswert suspendiert und sowohl die Generalisierbarkeit des von i beschriebenen Ausnahmefalls wie seine uniibertragbare Einzigkeit sowohl der Zusammenbruch von Erfahrungsregeln wie ihre Fortgeltung - im Sturz - bewahrt werdenfiicht allein die Architektur der Kleistschen Erzahlung, auch ihr Verfahren im Umgang mit Regelbegriffen fol dem Schema der sturzenden und im Sturz sich aufhaltenden Steine. arstellw--suspendierter,Sturzf Der gezielten Auflosung von Erfahrungskonventionen korrespondiert auf der sprachlichen Ebene die Sprengung der konventionel en, verstandnisregulierenden Bedeutungseinheit des Wortes ,Zufall' Denn ,Zufall' bedeutet in Kleists Text nicht mehr einfach nur das, was in der konventionalisierten Sprache unter einem Zufall verstanden w i r d k n ihm ist namlich der begriffliche Valeur von ,Zufall', den Kant in der Anmerkung zur Vierten Antinomie als das bestimmt, ,,dessen kontradiktorisches Gegenteil moglich ist", nicht weniger gegenwartig als der metaphoriscbe von Sturz, und beide werden durch ihre Assoziation mit benachbarten Wortern und durch ihr Arrangement zu einer narrativen Struktur in ihrer univoken Bedeutung erschiittert und semantisch neu organisiert/Die Reihe: Zufall - einstiirzte - versank - umzufallen - einzustiirzen - Fall - Fall - zufallige - Zusan~menschlag- zusammenfiel . . . bindet das

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W o r t ,Zufall' in ein verbales Netz ein, das ihm, iiber die konventionelle Bedeutung der Kontingenz hinaus, noch mindestens zwei ander poet]tungen, die von Konvergenz und die von Kollaps, zuschreibt ieBedeusche Logik des Zufalls in Kleists Text ist weder die lineare der bloRen Naturkausalitiit noch die numinore eines gottlichen ~ i n ~ r i f f s iste die k i die Logik des Begriffs s o wenig wie die der ~ e t a ~ h e dist e sprachliche Logik einer Kombination von Wortern, die in einer strengen sachlichen und formalen Beziehung zueinander stehen, in der sie sich weder zu einer vagen Einheit mischen noch isoliert bloR nebeneinander stehen, sondern konvergierend, aneinanderstogend und wechselweise ihre Bedeutungstendenz hemmend sich zu einem latenten Syntagma zusammenschlieRen, das seine Elemente gegen den konventionellen Sprachgebrauch ebenso schwebend erhalt, wie e ,,zufallige Wolbung" die ihren gegen das Gesetz der Gravitation. e lastender das semantische Schwergewicht der Worte - und bei ,Fallc und ,ZufallList es extrem -, desto gespannter der Bogen ihrer Konnotationen e fugendichter die sernantischen und formalen Kontiguitatsbeziehungen, desto hartnackiger widersetze ihre Elemente der Reduktion auf isolierte Bedeutungseinheiten ie Kombination von ,,Fallu, ,,Zufall", ,,ZusamrnenschlagUund ,,Zusammenfall" etc. bewirkt in dem MaRe, in dem durch sie jedes einzel e Glied ihrer Kette re-determiniert wird, ihre progressive Entdeutung icht nur hebt sich der Fall auf, auch die Bedingung der Allegorie, die er darstellt: die semantische und formale Einheit des Wortes ,Fall', wird defiguriert und disseminiert": sie wird in all ihren Schattierungen iiber den gesamten Text versprengt und multipliziert, und sie wird ihrer Homogenitat, Linearitat und ihres univoken Sinnes b e r a u b t b a s ist eine der Weisen, in denen Kleist seine poetologische Maxime realisiert: ,,die Kunst kann, in bezug auf sie [die Rede], auf nichts gehen, als sie moglichst verschwinden zu m a ~ h e n . " ' ~ / b e r Zufall ist in der Sprache Kleists nicht das Dargestellte einer darstellenden Rede, sondern ein sprachliches Ereignis, in dern die ~ a r s t e l l u n ~ s f u n k t i z n Rede selbst zu Fall gebracht und vermoge ihres der Zusamrpen-Falls, gehemmt und potenziert zugleich, dennoch in Kraft bleibt,,~,'~ufall'ist eine Sprachfigur jenseits von Begriff und Metapher, in der sich die Sprachlichkeit der Sprache als Suspendierung eines ihr transzendenten Sinns artikuliert.

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Das gesamte Wortfeld von ,Fall' und ,ErhebungGund dte korrespondierenden antithetischen Bewegungen, die Kleist in seiner Erzahlung ausbreitet, folgen in ihrer Organisation dem dynam~schenPrinz~p, dat3 etwas erst da steigt. w o es fiillt, und stiirzt, w o es den Gipfel seiner Prinzip permanenter Pertpethie, das VokaErhebung erreicht h a d ~ i e s e s

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bular und Ereignisfolge der Erzahlung vom ersten bis zum letzten Satz reguliert, ist dern des Dynamisch-Erhabenen in der Natur nachgebildet, das Kant in der Kritik der Urteilskrafr (KdU) a n a ~ ~ s i e r t . ' ~ ihrem /~n 28.Paragraphen, ,,Von der Natur als einer Macht", nennt Kant neben Ungewitter, Sturm, Vulkanausbriichen und Orkanen ausdriicklich auch das Erdbeben als eine Macht, die das Gefiihl des Erhabenen in uns erweckt, ,,wed sie die Seelenstarke iiber ihr gewohnliches Mittelmag erhohen und ein Vermogen zu widerstehen von ganz anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns M u t macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu konnen". KdU, S. 104) Die schlechthinnige GroBe der Natur, die sich in diesen Erscheinungeh off nbart, laBt sich durch keine sinnliche Darstellung angemessen errassenbas unendli: che Defizit der menschlichen Sinnlichkeit gegeniiber derjenigen der Natur zwingt die Einbildungskraft, in einem anderen als den Vermogen der Anschauung und des namlich in der sittlichen Idee der ,,Menschheit in unserer dU, S. 105) Halt fur ihre Darstellung zu suchen. Doch auch erreicht die Einbildungskraft nicht Angemessenheit, sondern ,,Oberlegenheit iiber die Natur selbst in ihrer Unermesslichkeit" ( K d U , S. 104), so dafi sie dern Naturphanomen, des.... sen garstellung sie intendiert, in k z w e i s e - . w s i t i-.. k ~ r r e s ~ o.n a i e r e n v k a e n versagt zwar das Darstellungsvermogen vor der erhabenen Natur, aber die Einbildungskraft kann ihr Versagen vor einem iibermachtigen Sinnenphanomen interpretieren als Versagen sinnlicher Anschauung vor einer Idee, die jeder Sinnlichkeit iiberlegen ist ie &r Natur inkommensurable Darstellung wird z Darstellung der Inkommensurabilitat jeder Darstellung an die IdeeJdieser Wendung beiieht sich die Einbildungskraft negativ auf sich selbst und erzeugt aus der Fahigkeit, sich selber Abbruch zu tun und in Differenz zu sich zu treten, als diese Differenzdie Achtung vor der sittlichen Darstellung der Unangemessenheit der lein die Differenz der Darstellung an a limine noch zu bezeichnen, und erst im Scheitern jeder gung geht, als ihr ~ f f e z t die Geienwart der Idee im , In dern MaBe, in dern die Macht der Natur die des Menschen niederbeugt, erhebt sich diejenige menschliche Kraf , ,,die nicht Natur ist" und folglich nicht unter ihren Gesetzen steht/ln dern MaRe. in dern der Mensch als physisches Wesen den Naturgewalten unterliegt, steigt er als moralisches und iibersteigt noch die Macht, die seine physische Exisfenz vernichten k o n n t e / ~ i e Unfahigkeit d e s Menschen als eines Verstandesund Sinnenwesens, sich gegen die Naturgewalten selbst zu erhalten; wird aufgewogen durch ,,eine Selbsterhaltung von ganz anderer Art": durch das Vermogen seiner Einbildungskraft, Achtung fur ,,die Idee der Menschheit in unserem Subjekte" ( K . d . U . , S. 97) zu wecken. Dieser Dia-

lektik des Dynamisch-Erhabenen folgen in der Rhythmik von Fall und Erhebung, Aufrichtung und Sturz nicht nur die Geschehnisse in Kleists Erzahlung, auch die theoretischen Reflexionen ihrer Protagonisten enrsprechen bis ins Detail ihrem Modell: ,,Und in der Tat schien, mitten in diesen granlichen Augenblicken, in welchen alle irdischen Giiter der Menschen zu Grunde gingen, und die ganze Natur verschiittet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine schone Blume, aufzugehn."(l7) Im Zugrundegehen der irdischen Giiter - und wie bei Kant gehort auch bei Kleist das Leben dazu - geht ,,der menschliche Geist selbst" auf, das also, was Kant mit zierlicher Korrektheit als ,,Idee der Menschheit in unserem Subjekte" bezeichnetxn der Verschiittung derjenigen Natur, die noch nach dern Prinzip der Zweckmagigkeit ausgelegt werden konnte, offnet sich die Natur in ihrer Schonheit, zweckmagig, aber selbst ohne Zweckflit der Formulierung vom Aufgang der schonen Rlume des menschlichen Geistes spricht aber Kleist, wie aus dern Zentrum der kantischen Kritik, nicht allein von einem bestimmten Gegenstand seiner Erzahlung, dern er mit einer Metapher poetischen Glanz verleiht, sondern vom Aufgang: von der Entstehung, der Aufrichtung und Offnung der Darstellung selbst.,denn der Vergleich des menschlichen Geistes mit einer schonen Blume assoziiert ihm nicht nur die Idee der Schonheit und deren fragile ZweckmaBigkeit ohne Zweck, von der auch die Kritik der Urteilskrafr a m Beispiel der Blume handelt ( K d U , S. 61); er vergleicht ihn - denn ,,BlurneU ist eine Metapher fur die Metapher selbst - der poetischen Darstellung, die er in eben diesem Vergleich selber erfahrt.,He Metapher des ,,menschlichen Geistes" ist zugleich Metapher der Darstellung;/er Aufgang der ,,Menschheit in unserer Person" zugleich die Genesis der sprache@er menschliche Geist in seiner sprachlichen Gestalt geht genau dort auf, w o er aufhort, Objekt der Bezeichnung sein zu konn e d r s t w o er a u f h h t , Dargestelltes zu sein, beginnt er: die Ankunft sei-, ner selbst aus der Differenz zu jeder postiv bestimrhten Gestalt./ Der Aufgang von Menschlichkeit und Sprache ist als antithetisches Resultat gebunden an die Erfahrung des Zerfalls samtlicher Normbegriffe vom-hvlenschen und der Unve IaBlichkeit nicht nur seiner, sondern auch der Natur, die er bewohnt. prache, ,,menschlicher Geist", wie sie von Kleist - und von Kant - gedacht werden, sind Effekte negativer Selbstaffektion der Einbildungskraft, nicht Position, sondern unvordenklicher ProzeR der De-Position, Ent-Stellung. s solche sind ihre Produkte, strictu sensu, keiner literaturwissensc iaftlichen, sol1 heif3en historisch-rhetorischen Analyse zuganglich, denn s'e sind der Ursprung von Rhetorizitat und geschichtlicher Erfahrung. rst wo die Blume des menschlichen Geistes aufgeht, gibt es die Moglichkeir einer ,BlumeLund

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