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1 Handlungsorientierter Unterricht Teilmodul: VL Regionale Systemanalyse / Geographiedidaktik II im Modul 6: Geographiedidaktik 2 Prof. Dr. Detlef Kanwischer (31.05.2011)

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Handlungsorientierter Unterricht

Teilmodul:VL Regionale Systemanalyse / Geographiedidaktik IIim Modul 6: Geographiedidaktik 2

Prof. Dr. Detlef Kanwischer(31.05.2011)

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Termine und Inhalte der VL

Verständnisintensives, imaginatives, narratives Lernen19.07.13

Vortrag: (Des-)Orientierung? Reflexive Geomedienarbeit im schulischen Kontext

12.07.12

Perspektivenwechsel, Reflexion und Raumperspektiven05.07.11

Vortrag: Lernen in authentischen Kontexten28.06.10

Vortrag: Qualitative Forschungsmethoden im Unterricht - Theoretische Grundlagen und praxiserprobte Anwendungen

21.06.09

Pfingsten 14.06.08

Handlungsorientierter Unterricht07.06.07

Rekonstruktion, Dekonstruktion und Konstruktion 31.05.06

Syndromkonzept / Vernetztes Denken24.05.05

Vortrag: Düngemittel – kein langweiliges Thema im Unterricht17.05.04

Geographie und Fächer übergreifender Unterricht10.05.03

Bildungsstandards und Kompetenzen 03.05.02

Organisatorisches Vortrag: Das Grüne Klassenzimmer – Konzept und Wirkungen

26.04.01

ThemaDatumSitzung

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Gliederung

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung (Re-, De- und Konstruktion und Raumperspektiven)

2. Handlung im Geographieunterricht: Methode und/oder Inhalt?

3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

4. Handlungsorientierung als methodische Ausrichtung

5. Handlung im Geographieunterricht: Unterrichtspraktische Anregung

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Nach Siebert (1994) bevorzugen Lernende meist Methoden, die sie von früher her kennen und die einen rezeptiv-lehrerzentrierten Charakter haben.

(Siebert, H. (1994): Seminarplanung und -organisation. In: Tippelt, R. (Hrsg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Opladen, S. 640-653.)

Meueler (1994) kommt sogar zu dem Schluss, dass dies zur Folge hat, „dass immer wieder ihre Wiederholung erwartet und jede Abweichung als irritierend erlebt wird“

(Meueler, E. (1994): Didaktik der Erwachsenenbildung / Weiterbildung als offenes Projekt. In: Tippelt (Hrsg.): Handbuch Erwachsenenbildung / Weiterbildung. Opladen, S. 615 - 628, S. 627).

Faulstich ist der Ansicht: „Zu lange war statt eines lernorientierten ein lehrzentriertes Denken üblich, und es beherrscht noch die Köpfe der Lehrenden, aber auch der Lernenden selbst“

(Faulstich, P. (2001): Offene Fragen zum Schluss. In: Dietrich, S. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der Weiterbildungspraxis. Bielefeld, S. 314-317., S. 314).

Auch in Bezug auf die Lehrerbildung stellen Arnold & Schüßler (1998) fest, dass nicht die Lehrerbildung an sich das Problem ist, „sondern auch in diesem Bereich ist es die Lernkultur einer toten, frontalunterrichtlichen Wissensmast, die unser Bildungssystem und auch die Lehrerbildung durchdringt“

(Arnold, R. & Schüßler, I. (1998): Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendiges Lernen. Darmstadt, S. 49).

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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… so dass die Didaktik heute zwischen Versicherung bestimmten Erfolgs und Verunsicherung eben dieses Erfolgs steht.

… der Fortschritt zeigt sich als abhängig von den Deutungen unterschiedlicher Beobachter, die auch Risiken des Fortschritts markieren,…

Didaktik steht unter dem Zwang oder Wunsch eines Fortschrittglaubens, aber …

… zu didaktischer Ambivalenz zwischen Freiheit der Wahlen und Notwendigkeit einer solidarischen Perspektive mit dem Lernen führt.

… das Nach- und Nebeneinander verschiedener Geltungsansätze verstört und verunsichert; Bildung und Didaktik sind ein gesellschaftspolitischer Streitfall, der …

Didaktische Professionalisierung soll die Universalisierung durch Errichtung von Normen, Werten, formalen Prozeduren als Selbstzwang ausbilden, aber …

… so dass universalistische Ansprüche scheitern; die Postmoderne ist pluralistisch, widersprüchlich, unübersichtlich, ambivalent.

… passt kein Modell auf alles; keine Analyse ist je vollständig, keine Handlungsanleitung ist in ihren Wirkungen langfristig abschätzbar …

Formale Modelle mit universalistischem Kode erzeugen einheitliche Lösungen für möglichst viele Fälle, aber in einer komplexen Welt …

… und verliert ihre zentrale Stellung: sie ist heute an Beziehungs- und Kommunikationsformen, unterschiedliche Kontexte gebunden.

… zeigt sich mehr und mehr als ein unzulänglicher, unsicherer Zugang …

Rationalität als bester und erfolgreichster Zugang zur inhaltlichen Bestimmung der Didaktik …

in der Postmoderneals ÜbergangIn der Moderne

Didaktik

Reich, K. (2006): Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool. Weinheim und Basel. 3. völlig neu bearbeitete Auflage, S. 46.

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Fünf LeitlinienLeitlinie 1: Situiert und anhand authentischer Probleme lernenMinimale Realisierung: Bei einer systematischen Darbietung neuer Inhalte an aktuelle

Probleme, authentische Fälle oder persönliche Erfahrungen anknüpfen.Maximale Realisierung: Lernende in authentische Problemsituationen versetzen, die reales

Handeln erfordert.Leitlinie 2: In multiplen Kontexten lernenMinimale Realisierung: Bei einer systematischen Darbietung neuer Inhalte auf mehrere

unterschiedliche Anwendungssituationen verweisen.Maximale Realisierung: Die Lernenden dazu anregen, das Gelernte in mehreren

unterschiedlichen Problemstellungen konkret anzuwenden.Leitlinie 3. Unter multiplen Perspektiven LernenMinimale Realisierung: Bei der systematischen Darbietung neuer Inhalte mehrere

verschiedene Sichtweisen deutlich machen (z.B. im Hinblick auf mögliche Erklärungen eines Sachverhalts).

Maximale Realisierung: Die Lernenden dazu anregen, das Gelernte in mehreren unterschiedlichen Problemstellungen konkret anzuwenden.

Leitlinie 4: In einem sozialen Kontext lernenMinimale Realisierung: In den Unterricht werden gelegentlich Phasen mit Partner- und

Gruppenarbeit eingebaut.Maximale Realisierung: Die Lernenden erwerben ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und

Einstellungen dadurch, dass sie in einer Expertengemeinschaft lernen und arbeiten.Leitlinie 5: Mit instruktionaler Unterstützung lernen

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Reich (2005) bezeichnet die aus der konstruktivistischen Erkenntnistheorie abgeleiteten Beobachterperspektiven Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion als neue Muster pädagogischen Denkens.

Konstruktion

Rekonstruktion

Dekonstruktion

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Konstruktion: „Wir sind die Erfinder unserer Wirklichkeit“Hier trifft die erkenntnistheoretische Perspektive der Konstruktion auf die didaktische

Handlung des Konstruierens. Hierbei greifen Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung notwendigerweise ineinander. Das Selbst erfahren, das Ausprobieren und das Experimentieren muss immer in eigene Konstruktionen ideeller oder materieller Art überführt werden und in den Bedeutungen für die individuellen Interessen-, Motivations- und Gefühlslagen thematisiert werden. Eine konstruktivistische Pädagogik, die sich auf bloße kognitive Konstruktionsarbeit reduzieren lässt, würde ihr eigenes Postulat der wechselnden Beobachter mit unterschiedlichen Konstruktionsebenen schnell unterlaufen. Wir erfinden uns eben auch die Beziehungen, in denen wir existieren. Erleben wir hierin die Macht unserer Konstruktionen, dann werden wir Selbstvertrauen gewinnen können, solche Beziehungen als veränderbar zu erfahren. Vor diesem Hintergrund lautet eine Grundforderung an Pädagogen: „So viel Konstruktion wie möglich!“

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Rekonstruktion: „Wir sind die Entdecker unserer Wirklichkeit“Eine konstruktivistische Didaktik will und kann Rekonstruktionen nicht zum

Verschwinden bringen, aber sie will sich hüten, diese Perspektive übermäßig dominant im Lernen oder Unterricht werden zu lassen. Da die Welt voller Rekonstruktionsmöglichkeiten und –notwendigkeiten ist, kommt es besonders darauf an, den eigenen Erfindergeist auch gegen das Bestehende und hin zu eigenen Lösungen zu wenden. In der Kombination von eigenen Lösungen mit Übernahmen von vorhandenen Lösungen kann auch oft mit kleinen Modifikationen und kritischen Transfer das eigene Nachdenken gestärkt und gegen bloß gedankenlose Übernahme geschützt werden. Wir fragen auch nach Motiven und wollen nicht bloß Fakten lernen. Wir behaupten, dass wir Fakten dann sinnverstehend besser behalten, wenn wir etwas über die Motive – und in diesem Zusammenhang immer auch über unsere Motive – erfahren. Vor diesem Hintergrund lautet eine Grundforderung an Pädagogen: „Keine Rekonstruktion um ihrer selbst willen!“

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Dekonstruktion: „Es könnte auch anders sein! Wir sind die Enttarner unserer Wirklichkeit!“

Hierbei ist nicht einfach ein skeptischer Zweifel an allem gemeint, was hervorgebracht wird, damit vor allem nicht ein zynisches Besserwissertum. Vielmehr geht es bei der Dekonstruktion vor allem um die Auslassungen, die möglichen anderen Blickwinkel, die sich im Nachentdecken der Erfindungen Anderer oder in der Selbstgefälligkeit der eigenen Erfindung so gerne verstellen. Wo sind diese Konstruktionen unvollständig geblieben? Wenn ich als Beobachter etwas in Zweifel ziehe, wenn ich nach Auslassungen frage, Ergänzungen einbringe, den Blickwinkel verschiebe, den Beobachterstandpunkt fundamental wechsle und so andere Sichtweisen gewinne, dann kann ich zugleich sehen und enttarnen. Vor diesem Hintergrund lautet eineGrundforderung an Pädagogen: „Keine Konstruktion ohne Verstörungen!“

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Unterrichtsbeispiel: Das Paradigma vom Kampf der Kulturen

Das geopolitische Leitbild vom „Kampf der Kulturen“, das Huntington 1993 verfasst hat, kann in einem ersten Schritt dahingehend rekonstruiert werden, welche Abgrenzungskriterien zugrunde gelegt werden und welchen Nutzen es hat, z.B. Erklärung bestimmter Facetten der Globalisierung.

In einem weiteren Schritt kann im Rahmen der Dekonstruktion die Offenlegung der biographischen Entstehungsbedingungen, in diesem Fall die Mitgliedschaft in einem außenpolitischen ‚think tank’ der amerikanischen Regierung, thematisiert werden und darauf aufbauend die Enttarnung des Leitbildes als geopolitisches Machtinstrument, insbesondere vor dem Hintergrund der Anschläge vom „9/11“.

Abschließend können sich die Schüler auf die Suche nach Alternativen für das Leitbild vom „Kampf der Kulturen“ begeben und ein neues Leitbild konstruieren.

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Unterrichtsbeispiel: (Un-)Sicherheit in der Flensburger Neustadt

Schule kaum ein Kind ohne „Sicherheitshintergrund“

Verräumlichung von Sicherheit Angst- bzw. Risikoräume

Potential gesellschaftliche Konstitution von Räumen

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Unterrichtsbeispiel: (Un-)Sicherheit in der Flensburger Neustadt

Leitfragen für die Unterrichtsarbeit:

Warum hat dieser Stadtteil so ein schlechtes Image und ist er im Vergleich mit anderen Stadtteilen wirklich unsicher?

Für wen ist die Neustadt ein Risikoraum?

Wie lässt sich das Image hinsichtlich der Sicherheit verbessern?

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Unterrichtsbeispiel: (Un-)Sicherheit in der Flensburger Neustadt

Rekonstruktion

Besuch

des Stadtteils

Historisch-

genetische

Stadtentwicklung

Analyse von

statistischen

Kennziffern

Dekonstruktion

Interviews mit

Bürgern aus

verschiedenen

Stadtteilen

Diskussion:

Sicherheit

als Konstrukt

Konstruktion

Generierung

von Handlungs-

optionen und

Präventions-

maßnahmen

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Raumperspektiven:Verankert in den Bildungsstandards und im Curriculum 2000+

Neue Kulturgeographie bietet günstige Bedingungen, um dieLernprozesse der Schüler anzuregen und eine subjektiveAnschließung zu gewährleisten.

Bestimmte Inhalte brauchen eine bestimmte Form

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Wozu brauche ich verschiedene Raumkonzepte in der Schule?

„Forschungsansätze (Raumkonzepte, Erg.d.Verf.) kann man mit Brillen vergleichen, durch die man die Wirklichkeit – oder zumindest das, was wir dafür halten – unterschiedlich sieht. Jede Forschungsperspektive (jedes Raumkonzept, Erg.d.Verf.) hat, je nach Zuständigkeitsbereich, spezifische Sehschärfen, aber auch tote Winkel“ (Werlen, B. (2000): Sozialgeographie. Bern.Stuttgart.Wien. S. 13).

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Erstens werden „Räume“ im realistischen Sinne als „Container“ aufgefasst, in denen bestimmte Sachverhalte der physisch-materiellen Welt enthalten sind.

Zweitens werden „Räume“ als Systeme von Lagebeziehungen materieller Objekte betrachtet.

Drittens werden „Räume“ als Kategorie der Sinneswahrnehmung und damit als „Anschauungsformen“ gesehen, mit deren Hilfe Individuen und Institutionen ihre Wahrnehmung einordnen und so Welt in ihren Handlungen „räumlich“differenzieren.

Das bedingt, dass „Räume“ viertens auch in der Perspektive ihrer sozialen, technischen und gesellschaftlichen Konstruiertheit aufgefasst werden müssen, indem danach gefragt wird, wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Interesse wie über bestimmte Räume kommuniziert und sie durch alltägliches Handeln fortlaufend produziert und reproduziert“.

(Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie, 2002, S. 5)

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Fragestellungen hinsichtlich Tourismus:

Was ist in einem Raum in Bezug auf den Tourismus enthalten und wie wird dies zur Voraussetzung einer touristischen Nutzung? (Raumperspektive: Containerraum)

Welche Einzugsbereiche, Nachfrage- und Organisationsstrukturen, regionalwirtschaftlichen Effekte und Raumentwicklungspotenziale gehen mit dem Tourismus einher? (Raumperspektive: Raum-Lagebeziehung)

Welche positiven oder negativen Einstellungen zu Urlaubslandschaften gibt es? Wie wird die vorhandene Infrastruktur unter den spezifischen Anforderungen spezieller Nutzerkreise beurteilt? (Raumperspektive: Wahrnehmungsraum)

Wer präsentiert die einzelnen Regionen wie? Welche Strategien werden damit verfolgt? (Raumperspektive: Sozial konstruierter Raum)

(Wardenga, U. (2002): Alte und neue Raumkonzepte für den Geographieunterricht. In: geographie heute, H. 200, S. 8-11.)

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Unterrichtspraktische Anwendung:

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko kann durch verschiedene Brillen betrachtet werden. Versetzen Sie sich in die Situation eines Lehrers, der im Rahmen einer aktuellen Stunde die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im Unterricht thematisieren möchte.

Aufgabe (5 Min.): 1. Diskutieren Sie im Partnergespräch mögliche Brillen bzw. Fragestellungen, die

aus Ihrer Sicht interessant für den Geographieunterricht sind. 2. Schreiben Sie zwei Fragestellungen auf.

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Containerraum System von Lagebeziehungen

Wahrnehmungsraum konstruierter Raum

Welche Auswirkungen hat die Katastrophe auf die touristischen Regionen?

Wieviel Küstenkilometer sind verseucht?

Wie wird die Ölkatatrohe aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen?

Wie wirkt sich das Bild über die USA durch das Katarophenmanagement auf uns aus?

Welche globalen Auswikrungen hat die Öl Katastrophe?

Wie ist die Katastrophe entstanden

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Die Welt und ihre räumlichen Probleme sind komplex und vielschichtig!

Geographieunterricht muss die Vielperspektivität akzeptieren und diese für die didaktische Umsetzung von Lehrinhalten nutzen Vielfalt darstellbar und bearbeitbar machen.

„Die Welt so einfach darstellen wie möglich, aber nicht einfacher“ (Einstein)

1. Zusammenfassung der letzten Sitzung

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Das Plurale zum Ausgangspunkt neuer geistiger Entdeckungen machen!

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„Handlung“ strukturierende Relevanz auf zwei Ebenen

Methodische Konzeption von Unterricht durch Handlungsorientierung

Inhaltliche Konzeption durch Ausrichtung von Unterricht an der „Weltordnung der handelnden Subjekte bzw. deren Bezüge des Handelns“ (Daum und Werlen, 2002, S. 8)

Daum, E. & Werlen, B. (2002): Geographie des eigenen Lebens – Globalisierte Wirklichkeiten. In: Praxis Geographie 32, 4, S. 4-9.

2. Handlung im Geographieunterricht: Methode und/oder Inhalt?

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3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

„Die Erfahrungshorizonte der Menschen (…) sind nicht mehr an die lokalen Verhältnisse, die lokalen Traditionen und Lebensformen gefesselt“(Werlen, 2000, S. 6)

Werlen, B. (2000): Die Geographie der Globalisierung. Perspektiven der Sozialgeographie. In: Geographische Revue, Nr. 1, S. 5–20.

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Zeitliche und räumliche Aspekte traditioneller Lebensformen(nach Werlen, 2000,S. 9):

Traditionen verknüpfen Vergangenheit und Zukunft.

Verwandtschaftsbeziehungen organisieren und stabilisieren soziale Bande in zeitlicher Hinsicht.

Herkunft, Alter und Geschlecht bestimmen soziale Positionen.

Face-to-face Situationen prägen die Kommunikation.

Geringe interregionale Kommunikation.

Das lokale Dorf bildet den vertrauten Lebenskontext

Traditionelle Lebensformen sind (…) stabil und räumlich eng begrenzt

Traditionelle Lebensformen sind räumlich und zeitich „verankert“.

3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

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3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

Enge räumliche Kammerungin traditionellen Lebensformen

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Zeitliche und räumliche Aspekte spät-moderner Lebensformen(nach Werlen, 2000,S. 10):

Global auftretende Generationskulturen, Lebensformen und –stile.

Produktion und bewertete Leistung bestimmen soziale Position.

Abstrakte Systeme (wie Plastikgeld, Schrift und Expertensysteme) ermöglichen mediatisierte Beziehungen über große Distanzen hinweg.

Weltweite Kommunikationssysteme.

Das globale Dorf ist der weitgehend anonyme Erfahrungskontext.

Spät-moderne Lebensformen sind räumlich und zeitich „entankert“.

Spät-moderne Praktiken sind nicht durch lokale Traditionen fixiert, sondern an global auftretenden Lebensmustern orientiert.

3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

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3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

Spät-moderne Lebensformen

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Jedes Handeln findet zwar weitestgehend in lokalen Kontexte statt, ist aber immer mehr in globalen Bezügen ausgerichtet.

Räumliche Kammerung nimmt ab Beispiele: Frühstückstisch, Textilien

3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

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3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

Weltreise einer Jeans (Quelle: Knox und Marston, 2008, S. 103)

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„Globalisierung ist vor allem ein neuer Modus des alltäglichen Geographie-Machens“ (Werlen, 2000, S. 5)

Handlungen an einem Ort wirken sich an einem viele Kilometer entfernten Ortaus.

„Wer globale Wahlmöglichkeiten in Anspruch nimmt, ist auch mit globalen Verantwortlichkeiten zu konfrontieren“ (Werlen, 2000, S. 13)

3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

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Um Verantwortlichkeiten zu identifizieren, müssen die Zusammenhänge globalisierter Handlungsbezüge deutlich werden

Drei Hauptdimensionen der Globalisierung als Orientierungsleitlinien:

PRODUKTIV-KONSUMTIVE (ökonomisch)

NORMATIV-POLITISCHE (politisch)

INFORMATIV-SIGNIFIKATIVE (kulturell)

3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

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3. Handlungsorientierung als inhaltliche Ausrichtung: Alltägliche Regionalisierungen in einer globalisierten Lebenswelt

Wie werden Urlaubsparadiese medial konstruiert?

Geographien symbolischer Aneignung

Verbreitungskreise und Kontrolle der Information

Geographien der Information

AlltäglicheINFORMATIV-SIGNIFIKATIVE

(kulturell)

„Achse des Bösen“, „Achsenmächte“

Geographien der Kontrolle

ApartheitsregimeGeographien normativer Aneignung

AlltäglicheNORMATIV-POLITISCHE

(politisch)

Warenströme der

Konsumtion

Geographien der Konsumtion

Warenströme der ProduktionGeographien der Produktion

AlltäglichePRODUKTIV-KONSUMTIVE

(ökonomisch)

BeispieleForschungsbereicheHaupttypen

Typen alltäglicher Regionalisierungen (nach Werlen, 2000, S. 14)

Werlen, B. (2000): Die Geographie der Globalisierung. Perspektiven der Sozialgeographie. In: Geographische Revue, Nr. 1, S. 5–20.

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Handlungsorientierung ist nicht oberflächlicher Aktionismus!

4. Handlungsorientierung als methodische Ausrichtung

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Merkmale handlungsorientierten Unterrichts:

Lehrer und Schüler versuchen gemeinsam etwas mit Kopf, Herz, Händen, Füßen und allen Sinnen zu machen. Dabei können Handlungsergebnisse entstehen, die für den Lehrer und die Schüler einen sinnvollen Gebrauchswert haben.

An der Festlegung der Handlungsergebnisse und an der Gestaltung der Handlungsprozesse, die zu ihnen führen, sollen die Schüler beteiligt werden. Die Schüler sollen dabei schrittweise zu einer immer größeren Selbstbestimmung bei der Festlegung der Handlungsziele geführt werden.

Im handlungsorientierten Unterricht soll versucht werden, den Klassenraum zu verlassen und mit den Handlungsergebnissen in reale gesellschaftliche Entwicklungen einzugreifen.

(Quelle: Meyer, 1980, zitiert nach Bönsch, M. (1990): Handlungsorientierter Unterricht. Bestimmungsmerkmale und Dimensionen. In: Praxis Geographie, H. 7/8, S. 6-10.)

4. Handlungsorientierung als methodische Ausrichtung

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Historische Wurzeln des handlungsorientierten Unterrichts:

Comenius (1592 - 1670) fordert Stoffvermittlung unter Einbezug aller Sinne

Pestalozzi (1746 - 1827) prägt den Begriff vom Lernen mit Kopf, Herz und Hand

Reformpädagogik:

Maria Montessori (1870 - 1952): “Hilf` mir, es selbst zu tun”

Kerschensteiner (1854 - 1932): das selbsttätige, manuelle Tun

Gaudig (1860 - 1932): “freie geistige Arbeit”

Vertreter des amerikanischen Pragmatismus:

John Dewey (1859 - 1952) und William Kilpatrick (1871 - 1965):Learning by doing Handeln als Garant eines erfolgreichen Lernprozesses

Meyer, H. (1987): Unterrichtsmethoden. Band I: Theorieband; Band II: Praxisband. Scriptor Verlag, Frankfurt am Main.

4. Handlungsorientierung als methodische Ausrichtung

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Begründung handlungsorientierten Unterrichts:

Piaget und Aebli: “Denken geht aus dem Handeln hervor”, “im Denken ordnen wir unser Tun Tun - Verstehen - Verinnerlichen - Automatisieren.

Denken ist letztendlich verinnerlichtes Handeln.

Ergebnis einer Untersuchung der American Audiovisuell Society zur Behaltensleistung von Menschen (in Witzenbacher 1985):

20% behalten wir von dem, was wir hören30% von dem, was wir sehen80% von dem, was wir selber formulieren können90% von dem, was wir tun

4. Handlungsorientierung als methodische Ausrichtung

Meyer, H. (1987): Unterrichtsmethoden. Band I: Theorieband; Band II: Praxisband. Scriptor Verlag, Frankfurt am Main.

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Begründung handlungsorientierten Unterrichts:

4. Handlungsorientierung als methodische Ausrichtung

Lenz, T. (2003): Handlungsorientierung im Geographieunterricht. In Geographie Heute, Nr. 210, S. 2 - 7

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Didaktisch-methodische Dimensionen:

Die klassische Variante: Projektarbeit

Simulierte Handlungen: Rollenspiel, Planspiel

Entdeckendes Lernen

Materialisierung/Visualisierung (Erstellen von Handlungsprodukten)

Bönsch, M. (1990): Handlungsorientierter Unterricht. Bestimmungsmerkmale und Dimensionen. In: Praxis Geographie, H. 7/8, S. 6-10

4. Handlungsorientierung als methodische Ausrichtung

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5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

Thierer, A. (2006): Handlung im Geographieunterricht: Inhalt und/oder Methode? In: Dickel, M. & D. Kanwischer (Hrsg.):TatOrte. Neue Raumkonzepte didaktisch inszeniert. Praxis Neue Kulturgeographie, Band 3. Berlin, S. 229 – 247

Ciudad Guayana – Entwicklungspol(Quelle: Diercke-Atlas 1996, S.207)

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Mögliche Aufgaben zu Ciudad Guayana aus raumwissenschaftlicher Perspektive:

• Ciudad Guayana ist eine erst 1961 gegründete Industriestadt. Listen Sie mit Hilfe der Karte und des Atlas mögliche Faktoren auf, die für diesen Standort gesprochen haben könnten.

• Stellen Sie den Potenzialfaktoren für eine wirtschaftliche Entwicklung Ciudad Guayanas die Engpassfaktoren gegenüber.

• Ciudad Guayana setzt sich aus Puerto Ordaz und San Félix zusammen. Beschreiben Sie mithilfe der Karte die sozial-räumlichen Unterschiede zwischen den beiden Stadtteilen.

• Analysieren Sie die räumliche Verteilung der Wohngebiete schlechter Qualität (Ranchos). Finden Sie Erklärungen hierfür.

• Ciudad Guayana wird häufig als "venezolanisches Ruhrgebiet" bezeichnet. Erläutern Sie Parallelen.

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

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Mögliche Aufgaben zu Ciudad Guayana aus subjektzentrierter Perspektive:

Mental map eines Bewohners des Barrio La Laja in San Félix

Hier ist die Mental-map eines Bewohners des Unterschichtviertels La Laja in Ciudad Guayana abgebildet. Diskutieren Sie in der Gruppe, wie die Mental-map eines Bewohners eines Oberschichtviertels von Ciudad Guayana aussehen könnte. Fertigen Sie hierzu eine Skizze an.

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

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Mögliche Aufgaben zu Ciudad Guayana aus subjektzentrierter Perspektive:

"Ich kam hierher am 12. Juni 1950. Es war noch ein kleines Barrio, es gab viel Land. Wir verbrachten viel Zeit damit, die Wege zu säubern, um durchkommen zu können. Wir begannen, diese Häuser zu bauen. Es gab kein Wasser. Es gab kein Licht. Es gab keine Straßen. Es fehlten viele Dinge, es war sehr ländlich, auch mit Tieren, bis hin zu Schlangen! [...] Die Leute waren sehr liebenswert, sehr gute Menschen. Deshalb wurde es manchmal auch Barrio Unión genannt, wegen der unión der Menschen (...)“. „Wenn der Fluss etwas möchte, gibt er uns Zeichen. Der Fluss hat einen Ausdruck in den Wellen. Wir wissen, wenn er wütend ist. Aber es gibt Augenblicke, in denen es einen sanften, sanften, sanften Wellengang gibt, der

gefährlich ist"

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

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Mögliche Aufgaben zu Ciudad Guayana aus subjektzentrierter Perspektive:

Lesen Sie die Lebensgeschichte des Einwohners von La Laja. Versetzen Sie sich in die Zeit vor seiner Abwanderung nach Ciudad Guayana. Stellen Sie sich vor, es ist der Vorabend der Abreise und sie überlegen noch ein letztes Mal, ob die Abwanderung nach Ciudad Guayana die richtige Entscheidung ist, oder ob es andere Alternativen gibt. Notieren Sie Stichworte und stellen Sie dann die Gedanken der Klasse in Form eines inneren Monologs vor.

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

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Mögliche Aufgaben zu Ciudad Guayana aus subjektzentrierter Perspektive:

„Wenn der Fluss etwas möchte, gibt er uns Zeichen. Der Fluss hat einen Ausdruck in den Wellen. Wir wissen, wenn er wütend ist. Aber es gibt Augenblicke, in denen

es einen sanften, sanften, sanften Wellengang gibt, der gefährlich ist"

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

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Mögliche Aufgaben zu Ciudad Guayana aus subjektzentrierter Perspektive:

Wählen Sie ein Objekt (Gebäude, Platz, Straße…) in ihrer Heimatstadt aus, das für Sie wichtig ist. Informieren Sie sich über die offizielle Bedeutung(en) dieses Objekts und stellen Sie dies der Bedeutung gegenüber, die es für Sie hat. Gestalten Sie hierzu ein Wandplakat. Ergänzend: Fotografieren oder skizzieren Sie das Objekt so, dass es Ihrer persönlichen Sichtweise entspricht.

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

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Mögliche Aufgaben zu Ciudad Guayana aus subjektzentrierter Perspektive:

Betrachten Sie das Foto der Straßenszene in La Laja. Stellen Sie sich vor, Sie würden auf dem freien Stuhl Platz nehmen, welche Fragen würden Sie den Menschen auf dem Bild stellen? Was denken Sie, würden die Personen Sie fragen? Entwerfen Sie hierzu in einer Gruppe ein Rollenspiel.

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana

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„Es lohnt sich, Ciudad Guayana sowohl aus traditionell raumwissenschaftlichen als auch subjektzentriertem Blickwinkel zu betrachten. Die Kontrastierung und Problematisierung dieser Raumkonzepte ermöglicht den Schülern gewinnbringende Einblicke in die Denkweisen moderner, subjektzentrierter Sozialgeographie.“ (Thierer, 2006, S. 241)

5. Handlung im Geographieunterricht: Das Beispiel Ciudad Guayana