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dtv Taschenbücher Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution. 1680 - 1789 von Rolf Grimminger 1. Auflage Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart – Grimminger schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Sozialgeschichte, Gender Studies dtv München 1980 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 423 04345 8

Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur … · Die

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>Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur< schlägt einenneuen Weg der Literaturgeschichtsschreibung ein, sie stellt Litera-tur nicht mehr in einen scheinbar freien geistesgeschichtlichenRaum, sondern bezieht sie unmittelbar auf ihre sozialhistorischeEntstehung und Wirkung.Die Gliederung richtet sich nach den politischen und kulturge-schichtlichen Daten, die für die Entwicklung der bürgerlichen Ge-sellschaft bestimmend wurden. Die Institutionen der Öffentlichkeit— der literarische Markt, die Bildungsinstitutionen und Medien —wie auch die Literatur der Alltagswelt werden dabei besonders

berücksichtigt.Die ersten Teile jedes Bandes behandeln politische, ökonomischeund gesellschaftliche Verhältnisse, soziale Mentalität und literari-sche Kultur der jeweiligen Epoche. In den folgenden Teilen werdenliterarische Gattungen, aber auch einzelne Autoren und Werke so-wie gesamteuropäische Konstellationen der Literatur im sozialen

Wandel untersucht.

Das Einleitungskapitel dieses Bandes über die Literatur der deut-schen Aufklärung vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Französi-schen Revolution greift den problematischen Begriff »Aufklärung«unmittelbar und mit dem Ziel auf, den Zusammenhang von Litera-tur- und Sozialgeschichte zu «rekonstruieren«. Die folgenden Ka-pitel differenzieren die Gesamtdarstellung nach Institutionen, Pha-sen und literarischen Gattungen. Die Reihenfolge der Kapitel zurGattungsgeschichte orientiert sich an der historischen Gattungs-poetik des 18. Jahrhunderts, an der Einteilung in poetische undrhetorische, »hohe« und »niedrige« Gattungen. Die Skala reichtvom »hohen>< Versepos bis zu den »pragmatischen«, in die Lebens-welt des Publikums unmittelbar eingreifenden Texten der Reisebe-schreibungen, der Popularphilosophie und der Kinderliteratur.

Hansers Sozialgeschichteder deutschen Literaturvom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Herausgegeben von Rolf Grimminger

Band 3

Deutsche Aufklärungbis zur Französischen Revolution1680-1789

Herausgegeben von Rolf Grimminger

DeutscherTaschenbuchVerlag

1. Auflage März 1980

2., durchgesehene Auflage

Dezember 1984; 9. bis 12. TausendDeutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,München© 1980 Carl Hanser Verlag München WienUmschlaggestaltung: Celestino PiattiPrinted in GermanyISBN 3-446-12700-3 (Hanser)ISBN 3-423-04345-8 (dtv)

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Inhalt

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Einleitung

Rolf GrimmingerAufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen. Überden notwendigen Zusammenhang von Literatur, Gesellschaftund Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts . . . . . . 15

Erster TeilInstitutionen der Aufklärung

Reiner WildStadtkultur, Bildungswesen und Aufklärungsgesellschaften 103

Wolfgang von Ungern-SternbergSchriftsteller und literarischer Markt . . . . . . . . . . . . 133

Reinhart MeyerVon der Wanderbühne zum Hof- und Nationaltheater . . . 186

Zweiter TeilPhasen der Aufklärung

Gerhard Sauder>Galante Ethica< und aufgeklärte Öffentlichkeit in der Gelehr-

tenrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Gerhard SauderChristian Thomasius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 9

Gerhard SauderErbauungslfteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Gerhard SauderMoralische Wochenschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Christoph SiegristPoetik und Ästhetik von Gottsched bis Baumgarten . . . . . 280

6 INHALT

Jochen Schulte-SassePoetik und Ästhetik Lessings und seiner Zeitgenossen . . . . 304

Gerhard SauderGeniekult im Sturm und Drang . . . . . . . . . . . . . . . 327

Wolfgang RuppertVolksaufklärung im späten 18. Jahrhundert . . . . . . . . . 341

Dritter TeilSozialer Wandel und literarische Gattungen

Anselm MalerVersepos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 65

Jochen Schulte-SasseDrama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

Hans- Wolf JägerLehrdichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 00

Wolfgang ProßLyrik in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . 545

Wolfgang PromiesLyrik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . 569

Gert UedingPopularphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605

Rolf GrimmingerRoman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635

Winfried FreundProsa-Satire. Satirische Romane im späten 18. Jahrhundert . 716

Wolfgang GriepReiseliteratur im späten 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . 739

Wolfgang PromiesKinderliteratur im späten 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . 765

AnhangAnmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3 5Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 939

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1089

Vorbemerkung

<Sozialgeschichte> wird hier nicht als Begriff für eine Sektorwissen-schaft, sondern in ihrer umfassenden Bedeutung verstanden. Sieschließt also mit der Geschichte gesellschaftlichen Handelns auchpolitische, Wirtschafts- und Bewußtseinsgeschichte so weit ein, alsdies für ein angemessenes Verständnis von Literatur erforderlichist. Denn selbst literarische Kunstwerke oder philosophische Lite-ratur können ohne Kenntnis jener sozialen Wirklichkeit, die sie inihren Sprachformen stets schon zu Sinnzusammenhängen verarbei-tet haben, nur unzureichend oder gar falsch verstanden werden.Insofern ist nicht nur pragmatische oder rein >unterhaltsame<, son-dern auch die sogenannte Höhenkammliteratur unmittelbar aufdie historisch bestehenden Möglichkeiten des Bewußtseins undHandelns in der Gesellschaft bezogen.

Zugleich aber sind literarische Texte nie schlechterdings damitidentisch, und gerade die >hohe< Literatur weicht wegen ihrerästhetisch und philosophisch besonderen Qualität sowohl von denBestimmungen sozialer Praxis als auch vom Bewußtsein, das dieserzugeordnet zu sein pflegt, meist erheblich ab. Insofern verhält siesich auch negativ dazu. Solche Übereinstimmungen und Differen-zen zwischen der Literatur und der Lebenspraxis einer Gesellschaftsind für jeden Leser wichtig und daher selbst als soziale Tatsachezu bewerten: Sie steuern seinen Willen zur Lektüre, zur Teilhabe ander literarischen Kommunikation.

Die <Sozialgeschichte der deutschen Literatur< verfolgt das Ziel,Literaturgeschichte gerade in ihrer mehrdeutigen Beziehung zurhistorischen Lebenspraxis zu erschließen. Dies verbietet es, die be-sondere Qualität literarisch artikulierter Sinnzusammenhänge aufdas Schema starr vorgegebener Wissenschaftssysteme oder Schulen— etwa der >Widerspiegelung> oder der empirischen Literatursozio-logie — zu reduzieren. Literatur soll und muß gerade unter sozialge-schichtlichen Voraussetzungen jederzeit als Literatur interpretiert,in der Eigenart ihres unmittelbar an Sprache und künstlerischeAusdrucksformen gebundenen Bewußtseins beschrieben werden.

VORBEMERKUNG

Davon abzusehen hieße im übrigen, mit der Literaturwissenschaftals relativ eigenständiger Disziplin auch jene kritische Vermittlungvon literarischer Kultur zu zerstören, die ihre erste und wichtigsteAufgabe ist. >Kritik< aber bedeutet hier, die Praxis und die literari-sche Verständigung in einer Gesellschaft sowohl in ihrem Zusam-menhang als auch in ihrer — kulturbestimmenden — Differenz er-kennen und beurteilen zu können.

Dem skizzierten Programm folgt die Gliederung der einzelnenBände. Einleitende Teile behandeln politische, ökonomische undgesellschaftliche Verhältnisse, soziale Mentalität und literarischeKultur einer Epoche in ihrem Zusammenhang. Die Institutionender Öffentlichkeit — so der literarische Markt, die Bildungsinstitu-tionen und Medien — spielen dabei eine besondere Rolle. Sie sindder Literatur nicht äußerlich, sondern prägen ihre Qualität undihren Umfang sowie die Art ihrer Rezeption in jeder Epoche ent-scheidend. Die sozialgeschichtlichen Voraussetzungen von Produk-tion, Rezeption und späterer wissenschaftlicher Aufarbeitung lite-rarischer Texte werden — im Unterschied zu beliebigen >Vorurtei-len< — wissenschaftlich begründet, also nicht nur aus der Literaturerschlossen, sondern unmißverständlich auch aus der historischenWirklichkeit abgeleitet. Soweit die einleitenden Teile. Die weiterenorientieren sich an den vorausgehenden Abschnitten, bleiben je-doch speziell der Untersuchung literarischer Gattungen, einzelnerAutoren und Werke sowie gesamteuropäischer Konstellationen derLiteratur selbst vorbehalten.

Erst der Gesamtzusammenhang — signalisiert auch durch zahl-reiche Querverweise — ermöglicht eine begründeteSozialge-schichte der Literatur<. Er besteht in der Einheit der beiden Teile,die sowohl vom Verstehen und Bewältigen der stets problemati-schen historischen Wirklichkeit durch Literatur als auch von dieserWirklichkeit selbst handeln. Literaturgeschichte wird also nicht anSozialgeschichte angehängt, und Sozialgeschichte wird nicht nachder beliebten Metapher des >Hintergrunds< der Interpretation vonLiteratur ferngehalten. Daß gleichwohl zwei voneinander unter-scheidbare Teile vorhanden sind, ergibt sich aus dem Erkenntnisin-teresse und den Darstellungszwängen sozialgeschichtlich betriebe-ner Literaturgeschichtsschreibung selbst. Sie läßt sich nämlich we-

VORBEMERKUNG

der in den bloßen Kategorien zum historischen Gesamtprozeßnoch im puren Material der literarischen Werke allein betreiben.Sie braucht jene notwendige Verbindung zwischen beiden, die inder Gliederung abgebildet ist.

Das unter den Herausgebern und Autoren während zahlreicherKolloquien vielfach diskutierte und auch in der Zukunft noch kri-tisch aufzugreifende Konzept dient als heuristische Vorgabe aneine Systematik, die sowohl individuelle Schreib- und Erkenntnis-interessen der einzelnen Autoren als auch historisch bedingte Ver-änderungen in den verschiedenen Bänden zuläßt. Jedes Kapitel undjeder Band steht für sich im Rahmen eines Gesamtkonzepts, das dieAufgabe hat, die von einem Handbuch zu Recht geforderte Einheitdes Verschiedenen zu wahren. Ihr dient auch die durchgehendeHerausgeber- und Redaktionsarbeit. Sie sorgt in Absprache mitden Autoren nicht zuletzt für die Lesbarkeit der Bände und also füreine so wenig wie möglich von akademischen Sprachkonventionenverstellte Schreibweise. Gegenbeispiele einer schlechten wissen-schaftlichen Fachsprache, die hermetische Begriffe meist aus demlateinischen Wörterbuch häuft und einer Grammatik das Wortredet, die den Gepflogenheiten des Amtsstils mindestens ähnelt,zeigt die Geschichte leider auch der Literaturwissenschaft in denletzten Jahren ohnehin genug.

Die <Sozialgeschichte der deutschen Literatur< beginnt mit demallmählichen Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft der Neuzeitim 16. Jahrhundert. Die Gesamtgliederung richtet sich nach denpolitischen und kulturgeschichtlichen Daten, die für die Entwick-lung dieser Gesellschaft und ihrer >Epochen< bestimmend sind. Als>Epochen< gelten historische Perioden, in denen ungleichzeitig ent-standene Kräfte einander beeinflussen, Vergangenes nachwirkt,Zukünftiges sich schon ankündigt und allein die bestimmte Einheitsolcher Spannungen und Widersprüche für historisch erkennbareAbgrenzungen sorgt, die freilich nie absolut gültig sind. Geschichteist kontinuierlich und diskontinuierlich zugleich, fortlaufend nurim Wandel und den Brüchen ihrer Traditionen.

10 VORBEMERKUNG

Zumal über Beginn und Dauer der deutschen Aufklärung des18. Jahrhunderts gibt es widersprüchliche Ansichten. In den letztenzehn Jahren, die zu einer verstärkten Erforschung der bislang ver-nachlässigten Aufklärung geführt haben, fand man indes zur Über-einstimmung wenigstens darüber, daß sie mit Christian Weise,Christian Thomasius, Gottfried Wilhelm Leibniz u. a. noch amEnde des 17. Jahrhunderts einsetzt und mit der Französischen Re-volution von 1789 in ihre Endphase gerät.

Dies sind auch die Grenzdaten jenes Zeitraums, mit dem sich die<Sozialgeschichte der deutschen Literatur< im vorliegenden Bandbeschäftigt. Sie sind auf den verschiedenen Ebenen gesellschafts-und bildungspolitischer Prozesse und eines politischen Ereignissesvon weltgeschichtlicher Tragv<eite angesiedelt, und sie besagenauch wenig, solange nicht deutlich ist, was inhaltlich als >Aufklä-rung< gelten soll. Darüber gehen die Ansichten aber nach wie vorso weit auseinander, wie das für jede Wissenschaft notwendig ist.Wo sie keine Widersprüche zu bewältigen hat, existiert sie nichtmehr.

Aus dieser Situation heraus ist auch das Einleitungskapitel ge-schrieben. Es greift den problematischen Begriff >Aufklärung< un-mittelbar und mit dem Ziel auf, den Zusammenhang von Litera -

tur- und Sozialgeschichte im 18. Jahrhundert insgesamt zu <rekon-struieren<. Es wagt sich also an eine Gesamtdarstellung, die es bisjetzt noch nicht gab, und es beansprucht damit zwar nicht, eineverbindliche Lösung des Problems >Aufklärung< zu geben, wohlaber einen neuen Anstoß dazu.

Solche Epochenrekonstruktion verlangt nach einer theoriegelei-teten Abhandlung, deren Gegenstand diejenigen >Strukturen< oderGesetzmäßigkeiten abgeben, die für die Aufklärung durchgängigund generell bestimmend sind. Der traditionelle Anspruch anjede Literaturgeschichtsschreibung, das Aufzählen ereignishafter>Werke<, das Zitieren und das Erzählen über hervorragende Auto-ren, kann daher im Einleitungskapitel nur bedingt erfüllt werden.Werke und Autoren tauchen hier nur exemplarisch, als illustrativeBeispiele auf, häufig werden sie auch nur in den Anmerkungengenannt. Nicht das Wissen um einzelne Texte und Autoren, son-dern eine systematisch geführte Argumentation über den histori-

VORBEMERKUNG 11

schen Gesamtprozeß soll vermittelt werden. Ihn produktiv nachzu-vollziehen, erfordert freilich außer einer reflexionsbetonten Lese-haltung, die im Gegensatz zum bloß konsumierenden Hinnehmensteht, auch gewisse Vorkenntnisse. Dennoch mag das Einleitungs-kapitel, das gerade wegen der Komplexität seines Inhalts bewußtso alltagssprachlich und unterminologisch wie möglich geschrie-ben ist, auch als Einführung in das 18. Jahrhundert dienen.

Von der jedem philosophischen Denken eigenen AbstraktionAbstand zu nehmen, von der Geschichte der Literatur in der Auf-klärung wieder zu erzählen — dies bleibt die Aufgabe vor allemjener Kapitel, in denen die verschiedenen Phasen der Aufklärungund der Wandel der literarischen Gattungen dargestellt werden.Gattungen sind keine >Naturformen> der Literatur, sondern sozial-geschichtlich labile Konventionen literarischer Verständigung übereine problematische Lebenswirklichkeit, motiviert durch geregelteErwartungen des Publikums an literarische Verständigungsakteund durch das Selbstbewußtsein der Autoren.

Die Reihenfolge der Kapitel zur Gattungsgeschichte orientiert

sich im wesentlichen an der historischen Gattungspoetik des18. Jahrhunderts, in der aus der poetologischen Tradition und ih-rer Einteilung in poetische und rhetorische, >hohe< und >niedrige>Gattungen neue Beurteilungskriterien entwickelt werden. Sie gel-ten der Erziehung des Publikums und seiner Empfindungen durchLiteratur. Die Skala, die der Band anbietet, reicht deshalb vom>hohen< Versepos bis zur Trivialliteratur und zu den >pragmati-schen<, in die Lebenswelt des Publikums unmittelbar eingreifendenTexten der Reisebeschreibung, Popularphilosophie und Kinderlite-

ratur.

Gedankt sei allen Personen und Institutionen, die an der Realisie-rung des Projekts und dieses Bandes mitgewirkt haben, namentlichDr. Jürgen Kolbe, der zu den Initiatoren der Anfangsphase ge-hörte, Meinhard Hasenbein für Hilfe bei der Satzeinrichtung undKorrektur, Reinhard Kapfer für bibliographisches Verifizieren, Dr.Agathe Jais für das Einrichten von Anmerkungen und Bibliogra-

12 VORBEMERKUNG

phie, Karsten Trzcionka für die Zusammenstellung der Register,Peter Wille für Unterstützung im Lektorat, dem Hanser-Verlag fürdie großzügige Förderung des Unternehmens und nicht zuletzt denAutoren, die viel Verständnis für redaktionelle Maßnahmen, not-wendige Kürzungen und unvermeidliche, dennoch bedrückendeTerminzwänge aufgebracht haben.

Bielefeld, Herausgeber undMünchen, im August 1979 Redaktion

Einleitung

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Rolf Grimminger

Aufklärung, Absolutismus und bürgerlicheIndividuen. Über den notwendigenZusammenhang von Literatur, Gesellschaftund Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts

Erkenntnisprozesse, Glaubensangelegenheiten und Handlungsbe-reitschaften, Begriffe und Gefühle werden in den folgenden Ab-schnitten (I ff .) in der Kategorie >Bewußtsein< zusammengefaßt undauf die sozialgeschichtliche Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts be-zogen. >Bewußtsein< ist zumal in der Literatur äußerst komplexzusammengesetzt und in seiner jeweiligen Art stets geschichtlichbestimmt. Dies in einem präzisen Sinn: Es formt und verändert sichin der ständigen Herausforderung durch die lebensweltliche Praxisund im ständigen Eingriff in diese; es ist mit dem dauernden Ver-such beschäftigt, Realität und sich selbst zu bewältigen; es ist >end-liches<, im historischen Dasein und seinen Konflikten tätiges Be-wußtsein, nicht mehr, aber auch nie weniger.

Als >literarisch< gelten nicht nur die Werke der sogenanntenschönen Literatur, sondern auch andere Texte, hauptsächlich phi-losophischer Herkunft. Der Begriff >schöne Literatur< ist konven-tionell abgenutzt, gerade deshalb weiß aber auch jedermann, wasdamit gemeint ist, weshalb er hier benutzt werden soll. Er erleich-tert umweglose Verständigung.

Die folgenden Abschnitte handeln zwar stets von den sozialge-schichtlichen Bedingungen der schönen und anderer Literatur, so-lange aber deren Bewußtsein mit Hilfe jener interpretiert wird,können sie selbst nicht ausführlich genug entfaltet und klar genugbegründet werden. Dies holen die weiteren Abschnitte (IIff.) nach.

Sie begründen die sozialgeschichtlichen Voraussetzungen der Inter-pretation durch eine Analyse der historischen Realität: der Lebens-wirklichkeit bürgerlicher Individuen im absolutistischen Staat undin der Ständegesellschaft des 18. Jahrhunderts.

16 AUFKLÄRUNG, ABSOLUTISMUS, BÜRGERLICHE INDIVIDUEN

I Bewußtseins- und Sozialgeschichte der Aufklärung.Die bürgerliche Utopie der Vernunft, ihre Dialektik undderen Entwicklung

1. Systematische Bestimmungen

In den deutschen Literaturgeschichten war es weitgehend üblich,das sogenannte >Rokoko<, die >Empfindsamkeit< und den >Sturmund Drang< in teilweise erhebliche Opposition gegen die >Aufklä-

rung< zu setzen. Diese wurde dann am engen Konzept einer Ver-nunft gemessen, die sich mit den sprachlichen Mitteln des Begriffsund der rational begründenden Redeformen zu äußern und eineüberaus dogmatische Moral zu vertreten hatte.' Die folgende Dar-stellung geht davon zugunsten der These ab, daß >Aufklärung< alsübergeordnete Kategorie zu gelten habe. Sie umfaßt also die unter-schiedliche und teils widersprüchliche Literatur mehr rationaleroder mehr irrationaler Herkunft im 18. Jahrhundert und kanndaher auch nur in der Einheit ihrer Unterschiede und Widersprü-che historisch zutreffend beschrieben werden.

Freilich muß es dann trotz aller Widersprüchlichkeit zwischenden verschiedenen Strömungen der Aufklärung auch gemeinsameund allgemein akzeptierte Grundsätze geben, die ihre Einheit si-chern und eine zusammenfassende Bezeichnung rechtfertigen. Esgibt diese Grundsätze in der Tat auf einer verhältnismäßig hohenStufe von Allgemeinheit, sie existieren als bewußtseinsleitendeWerte von universaler Reichweite, nämlich als Aufklärungsutopievom <glückseligen< Leben in der Welt.

Die Utopie der vernünftigen Praxis.Von der >Glückseligkeit< und ihren Widersprüchen

Die Aufklärung orientiert sich in letzter Instanz — man weiß es — ander Kategorie der >Vernunft<. Als >Vernunft< gilt im 18. Jahrhun-dert das autonome, nämlich nur in seiner Freiheit zur Selbstbestim-mung beruhende >Vermögen< des Menschen, planvoll und wider-spruchsfrei nach einem begründbaren und allgemein gültigen End-zweck denken, fühlen und handeln, kurz, sich verhalten zu kön-

UTOPIE DER GLÜCKSELIGKEIT 17

nen. Vernunft ist immer Ordnung, und sie äußert sich stets in derÜbereinstimmung aller möglichen Mittel mit allgemein gültigenZwecken. In ihr offenbart sich die Utopie einer Welt, die auchdann noch zweck- und planmäßig eingerichtet sein soll, wenn etwadas Vergnügen an ihr vorherrscht. Dies ist unter anderem in derschönen Literatur der Fall. Denn dort wird bekanntlich die >Sinn-lichkeit< angesprochen, die >Empfindung< angeregt und das >Herzgerührt<, was durchaus mit den Zwecken der Vernunft harmonie-ren kann, wenn auch nicht unbedingt muß.

Wo die Kategorie der Vernunft nach den strikten Maßstäben der

Logik und Erkenntnistheorie durchdacht und ausformuliert wird,verbindet sie sich meist mit der Physik und ihrer logischen Kern-wissenschaft, der Mathematik. Entsprechend vorbildlich für diemenschliche Welt gilt deshalb auch die nichtmenschlich-physikali-sche >Natur<, da sie durch naturwissenschaftliche Gesetze >klar<,<deutlich< und mechanisch widerspruchsfrei geregelt wird. 2 Dieausdrückliche Formalisierung der Naturwissenschaft besitzt zwarkeine allgemeine, die aufgeklärte Vernunft in all ihren Erschei-nungsformen überhaupt charakterisierende Verbindlichkeit. Ver-bindlich bleibt sie jedoch insofern, als auch die menschliche Weltdie Geltung naturwissenschaftlicher Gesetze wenigstens einigerma-ßen abbilden soll.

Gerade die Utopie der vernünftigen Praxis, in der sich die ge-samte Aufklärung des 18. Jahrhunderts grundsätzlich einig ist,zeigt dies deutlich. Der praktische Endzweck der Vernunft ist die>vollkommene Glückseligkeit< der Menschen, das ungestörte >Ge-meinwohl< von Gesellschaft und Staat. Sie sind nur dann möglich,wenn Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Vernunft die lebenswelt-liche Praxis auch umfassend steuern. Die Glückseligkeit des Ge-meinwohls entsteht also vernünftigerweise dort, wo Widersprücheund Konflikte ausgeschaltet oder nur an der Oberfläche einer tie-fen, <prästabilierten< Harmonie, eines grundsätzlich geregelten Zu-sammenhangs vorhanden sind; wo die Kontinuität der Vernunftim ständigen Wechsel der Zeit und der Umstände erhalten werdenkann.

Es macht dann keinen Unterschied, auf welchen materialen Aus-schnitt von Welt und welche Tätigkeit des Menschen die Ord-

18 AUFKLÄRUNG, ABSOLUTISMUS, BÜRGERLICHE INDIVIDUEN

nungsidee der Vernunft bezogen wird: ob auf die theoretische Er-kenntnis (das >Wahre<), auf das ökonomische und politische Han-deln (das >Nützliche< im engeren Sinn), auf das Vergnügen über-haupt und in der Kunst insbesondere (das >Angenehme< und>Schöne>). So eingeschränkte Ziele all diese Tätigkeiten verfolgen,sie bleiben, solange es Aufklärung gibt, stets auf jenen Endzweckder allgemeinen Glückseligkeit bezogen, den Kant am Ende desJahrhunderts mit der weltbürgerlichen Idee des >ewigen Friedens>benennt': auf das >Gute< oder auch >Nützliche< im weiteren Sinn,auf die friedlich-harmonische Existenz von Gesellschaft und Staat.Dies ist zugleich das Gebiet, dem die sogenannte >praktische Ver-nunft< des gesamten Jahrhunderts zugeordnet ist.

So kommt es zum Primat der praktischen Vernunft in der Auf-klärung. Er sorgt dafür, daß das Gemeinwohl auch in den entfern-testen Untersuchungen über die Logik oder in den speziellsten Ge-bieten der Literaturkritik noch eine wesentliche Rolle spielt, und eräußert sich in der bekannten Vorherrschaft der >Moral<, der >Tu-gend<. Die Moral ist ein >traditionales < 4 Regulativ der Gesellschaftvon außerordentlichem und in der Aufklärung verstärkt hervorge-hobenem >Nutzen<. Sie ist nützlich in einer sehr weiten, allgemei-nen Bedeutung für das soziale Handeln überhaupt: Sie existiert alsGewissensappell an die einzelnen, stets die Gesetze des Guten,Schicklichen und Ehrbaren zu wahren.

Noch in der Erinnerung an die mitteleuropäische Katastrophedes Dreißigjährigen Kriegs und schon im Eindruck der Ordnungs-ansprüche absolutistischer Hofpolitik [--- 73 ff.; —* 105 f.] entstehtam Ende des 17. Jahrhunderts mit der Utopie des Friedens auch diedes ökonomischen Fortschritts zur >Wohlfahrt<. Die moralischenGewissensappelle enthalten deshalb von Anfang an genügendRichtlinien, die ausdrücklich auf den ehrbar-bürgerlichen Erwerbund die >kluge> Karriere in staatlichen Institutionen zugeschnittensind, auf das Nützliche im engeren und rein utilitaristischen Sinndes ökonomisch meßbaren Erfolgs. Daß man alles und jedes nachdem Diktat des Nutzens klug zu beurteilen habe und es lernenmüsse, sowohl menschliches Handeln als auch die außermenschli-che Natur einem Erwerbszweck instrumentell unterzuordnen, ge-hört zu den grundlegenden Lehren der gesamten Aufklärung. Ihre