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Pharmazie in unserer Zeit 13 Jochen Ziegenmeyer Haut - Vehikel - Pharmakon, Diffusion die entscheidenden Kriterien fur die percutane 1 Percutaner Absorptionsweg 4 - Wirkstoff gelost 1 I ooo \ > Diffusion 1 1 ibergang I - 5 Depot Obergang 8 / vvvv - . - Rezeptor A A A A Metabohation I 9 Diffusion I lo ( Ubergang - - 4 11 ** 12 - Rezeptor I Dermis I vvvv Metabohation AAAA (Ubergang t Em Subcutanes Fettgewebe Depot Abb. 1. Idealisierte Darstellung potentieller Einfliisse der Haut auf die percutane Ab- sorption eines suspendierten Pharmakons unter Einbeziehung seiner Liberation (Schritt 1) und Diffusion (Schritt 2) inner- halb des Tragers bis zur Grenzflache Vehi- kel/Hautoberflache, modifiziert nach B. W. Barry [l]. Weitere Einzelheiten s. Text. Richard B. Stoughton, ein renommierter For- scher, der sich seit langem mit Fragen der per- cutanen Absorption von Pharmaka beschaf- tigt, hat unlangst einmal seine Kollegen in zwei Gruppen eingeteilt, und zwar in Theore- tiker und in Praktiker. Theoretiker waren, so meint er, alle diejenigen, welche versuchten, die Permeation von Arzneistoffen mathema- tisch exakt zu fassen, zu ihrer Deutung allge- Absorption meine Theorien heranzogen, mit entspre- chend modifizierten Ableitungen untermau- erten, wobei die Basis, die Haut, u. U. auf ein- fache Membranvorstellungen reduziert wor- den sei. Auf der anderen Seite stunden die Praktiker, die Anwender. Sie gingen pragma- tisch vor, nahmen wahr, registrierten, arbeiteten vielleicht tagtaglich am lebenden Modell, moglicherweise sogar ohne Kenntnis der hoheren Mathematik, und besagen den- noch die Einsicht, dafl sich die Hautpermeabi- litat der mathematischen Interpretation gele- gentlich entziehen wird. Soweit Richard B. Stoughton. Ohne Zweifel will seine These provozieren, und das gelingt ihr in dieser etwas uberpoin- tierten Form sicherlich auch. Sie ganzlich zu entkraften, fallt schwer, wenn man seine Kernaussage heranzieht. Sie lautet: zwischen Theorie und Praxis klafft auch heutzutage noch eine groi3e Lucke. Ernsthaft wird sie kaum jemand bestreiten wollen, wobei man hochstens uber den tatsachlichen Abstand zu diskutieren hat. Speziell bei der eminent wich- tigen Fragestellung, welche Schlusselfunktio- nen denn jene entscheidenden Voraussetzun- gen liefern, um nach cutaner Applikation ei- nes Wirkstoffs am target organ zu einem ge- zielten, in Hohe und Dauer vorhersagbaren Effekt zu kommen, ist der Kenntnisstand ins- gesamt gesehen recht mager. Essentiell durften, daruber besteht seit langem Einigkeit, die Wechselwirkungen zwischen den Komponenten Haut, Vehikel und Phar- makon sein, und zwar in der Regel zwischen allen dreien. Hierzu fehlt jedoch bislang der experimentelle Beweis, und man beginnt erst jetzt, sich intensiver mit diesem Thema aus- einanderzusetzen. Wie kompliziert sich hierbei die Materie ver- halt, mag aus der Schemazeichnung der ersten Abbildung hervorgehen, die im wesentlichen von Brian W. Barry stammt [I]. Sie beschreibt in stark idealisierter Form den Weg eines Phar- makons vom Applikationsort bis hin zu den abtransportierenden Gefaflen jenseits der Pharmazie in umerer Zeit / 15. Jahrg. 1986 / Nr. I, 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, 0-6940 Weinheim, 1986 0048-3664/86/0I,09-0129 $ 02.I,O/O 129

Haut – Vehikel – Pharmakon, die entscheidenden Kriterien für die percutane Absorption

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Pharmazie in unserer Zeit

13

Jochen Ziegenmeyer Haut - Vehikel - Pharmakon,

Diffusion

die entscheidenden Kriterien fur die percutane

1

Percutaner Absorptionsweg

4 - Wirkstoff gelost 1 I ooo \ > Diffusion 1 1 ibergang I - 5

Depot Obergang

8 / v v v v --. - Rezeptor A A A A

Metabohation I 9 Diffusion I

lo ( Ubergang - -

4 11 ** 12 - Rezeptor

I Dermis I

v v v v Metabohation

A A A A

(Ubergang

t Em Subcutanes Fettgewebe Depot

Abb. 1. Idealisierte Darstellung potentieller Einfliisse der Haut auf die percutane Ab- sorption eines suspendierten Pharmakons unter Einbeziehung seiner Liberation (Schritt 1) und Diffusion (Schritt 2 ) inner- halb des Tragers bis zur Grenzflache Vehi- kel/Hautoberflache, modifiziert nach B. W. Barry [l]. Weitere Einzelheiten s. Text.

Richard B. Stoughton, ein renommierter For- scher, der sich seit langem mit Fragen der per- cutanen Absorption von Pharmaka beschaf- tigt, hat unlangst einmal seine Kollegen in zwei Gruppen eingeteilt, und zwar in Theore- tiker und in Praktiker. Theoretiker waren, so meint er, alle diejenigen, welche versuchten, die Permeation von Arzneistoffen mathema- tisch exakt zu fassen, zu ihrer Deutung allge-

Absorption

meine Theorien heranzogen, mit entspre- chend modifizierten Ableitungen untermau- erten, wobei die Basis, die Haut, u. U. auf ein- fache Membranvorstellungen reduziert wor- den sei. Auf der anderen Seite stunden die Praktiker, die Anwender. Sie gingen pragma- tisch vor, nahmen wahr, registrierten, arbeiteten vielleicht tagtaglich am lebenden Modell, moglicherweise sogar ohne Kenntnis der hoheren Mathematik, und besagen den- noch die Einsicht, dafl sich die Hautpermeabi- litat der mathematischen Interpretation gele- gentlich entziehen wird. Soweit Richard B. Stoughton.

Ohne Zweifel will seine These provozieren, und das gelingt ihr in dieser etwas uberpoin- tierten Form sicherlich auch. Sie ganzlich zu entkraften, fallt schwer, wenn man seine Kernaussage heranzieht. Sie lautet: zwischen Theorie und Praxis klafft auch heutzutage noch eine groi3e Lucke. Ernsthaft wird sie kaum jemand bestreiten wollen, wobei man hochstens uber den tatsachlichen Abstand zu diskutieren hat. Speziell bei der eminent wich- tigen Fragestellung, welche Schlusselfunktio- nen denn jene entscheidenden Voraussetzun- gen liefern, um nach cutaner Applikation ei- nes Wirkstoffs am target organ zu einem ge- zielten, in Hohe und Dauer vorhersagbaren Effekt zu kommen, ist der Kenntnisstand ins- gesamt gesehen recht mager.

Essentiell durften, daruber besteht seit langem Einigkeit, die Wechselwirkungen zwischen den Komponenten Haut, Vehikel und Phar- makon sein, und zwar in der Regel zwischen allen dreien. Hierzu fehlt jedoch bislang der experimentelle Beweis, und man beginnt erst jetzt, sich intensiver mit diesem Thema aus- einanderzusetzen.

Wie kompliziert sich hierbei die Materie ver- halt, mag aus der Schemazeichnung der ersten Abbildung hervorgehen, die im wesentlichen von Brian W. Barry stammt [I]. Sie beschreibt in stark idealisierter Form den Weg eines Phar- makons vom Applikationsort bis hin zu den abtransportierenden Gefaflen jenseits der

Pharmazie in umerer Zeit / 15. Jahrg. 1986 / Nr. I, 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, 0-6940 Weinheim, 1986 0048-3664/86/0I,09-0129 $ 02.I,O/O

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Hautbarrieren. Der EinfluB des Vehikels auf diesen ProzeB bleibt bei dieser Betrachtung weitgehend ausgespart.

Hinter den Transportvorgangen steht als trei- bende Kraft die passive Diffusion und damit die Forderung nach gelostem Arzneistoff. Liegt er, wie im vorliegenden Fall, in der Grundlage suspendiert vor, beginnt sein Weg rnit dem Ubertritt einzelner Wirkstoffmo- lekule aus der Grenzflache Feststoff/Vehikel in die nahere Umgebung (Liberation, Schritt 1). Es folgt die Diffusion entlang des Konzen- trationsgradienten innerhalb des Tragers bis hin zur Grenzflache VehikeVHaut (Schritt 2). Reaktionen mit Hautoberflachenbestandtei- len sind zu erwarten. Mitentscheidend fiir die weitere Passage ist der Teilungskoeffizient Wirkstoff/Hornschicht (Schritt 3). Nach dem Eindringen in die Hornschicht (4), kann Bin- dung der Substanz an Hautlipide, Keratine etc. stattfinden. 1st sie reversibel, spricht man haufig von einem sog. Depot (5). An der Grenzflache Hornschicht/lebender Teil der Epidermis (6) werden neue Anforderungen an den Wirkstoff gestellt. Das Hautmilieu wech- selt von stark lipophil (Hornschicht) zu stark hydrophil.

Demzufolge sind fur die weitere Passage des Pharmakons seine hydrophilen Eigenschaften entscheidender. Sind diese gering, wird der Ubertritt erschwert, so daS sich die Substanz im unteren Bereich der Hornschicht stauen und dort ein weiteres Depot ausbilden wird. In diesem Fall ist der geschwindigkeitslimitie- rende Schritt weniger die Permeation des Wirkstoffs durch die Barriere als vielmehr seine Entfernung (clearance) aus der Barriere. Wirkstoffeffekte sind grundsatzlich an leben- des Gewebe gebunden. Das target organ, der Rezeptor, kann im Bereich der Epidermis lie- gen (7). Ebenso konnen dort substanzveran- dernde Reaktionen ablaufen, die man unter dem Begriff Metabolisierung zusammenfaSt (8). Fur die Schritte Diffusion durch diesen Hautabschnitt (9) und iibertritt in die Dermis (10) werden in der Regel weniger starkc Be- hinderungen angenommen. Auch in der Der- mis sind Wechselwirkungen mit entsprechen- den Rezeptoren (1 1) bekannt, ebenfalls Meta- bolisierungsprozesse (12). Fur die meisten Wirkstoffmolekiile, denen es gelungen ist, bis in diesen Bereich votzudringen, endet der Weg mit ihrer Diffusion zu den abtransportieren- den GefaGn des Lymph- und Kapillarnetzes (13). Porenaufbau und -zusammensetzung konnen dort in Wechselwirkung treten mit spezifischen Wirkstoffstrukturen und u. U.

deren Aufnahme in den allgemeinen Kreislauf verzogern (14). Dariiber hinaus liegen einige Befunde vor, die einen weiteren, direkten Transit von vermutlich noch geringeren Wirk- stoffmengen in das darunterliegende Fettge- webe moglich erscheinen lassen (15), wobei vor allem dann, wenn die Substanz hohere Af- finitat zu Fett hat, dort eine gewisse Depotbil- dung nicht ausgeschlossen werden kann ( 16).

Der hier skizzierte Weg gilt sicherlich nicht fur alle Pharmaka im gleichen MaSe. In Abhangigkeit ihrer physikochemischen Ei- genschaften wird ihre Aufenthaltswahr- scheinlichkeit in den einzelnen Hautschichten differieren und der fur eine weitergehende Passage zur Verfugung stehende Wirkstoffan- teil unterschiedlich sein. Mit hinzuzurechnen sind die Effekte der jeweils eingesetzten For- mulierung, der Haut, ihrer Zusammenset- zung, ihr aktueller Zustand etc., so daS sich unter Einbeziehung dieser Kriterien ein zwar realistischeres, aber noch wesentlich komple- xeres Bild der Bedingungen fur die percutane Resorption eines Pharmakons ergibt.

Im folgenden sol1 der Versuch unternommen werden, anhand einer Beschreibung zunachst der Ausgangskomponenten Haut, Vehikel und Pharmakon und dann ihrer binaren bzw. ternaren Wechselwirkungen auf einige Aspek- te dieser Vorgange naher einzugehen.

Haut

Wenn man einmal Handflache und FuSsohle ausnimmt, verfiigt die menschliche Haut iiber Talgdriisen, die eine Vielzahl von Lipiden aus- scheiden. Man hat versucht, diese recht kom- plexe Mischung zu analysieren und dabei her- ausgefunden, d& sie neben freien und mit Glycerin veresterten Fettsauren eine Reihe von Wachsalkoholen, Cholesterin, zusammen rnit Kohlenwasserstoffen, insbesondere Squa- len enthalt. Auch reduzierende Substanzen wurden isoliert, die zusammen mit Phospholi- piden und a-Tmopherol im %bum antioxidie- rend wirken sollen.

Schwierig wird eine allgemeine Aussage zur Quantifizierung vor allem deswegen, weil die Sebumzusammensetzung nicht nur von Rasse, Geschlecht und Alter abhangt, sondern auch von Korperregion zu Korperregion schwankt.

Was sich so alles auf der Hautoberflache abla- gen neben Sebum, das sich mit SchweiSbe-

standteilen, losen Hautschuppen und Bakte- rien mischt, bildet eine dunne, inkoharente Schicht. Diese Schicht schatzt man auf eine Dicke von 0,4 bis etwa 10 pm. Welche Eigen- schaften ihr zukommen, ist noch vollkommen unklar. Entfernt man die Schicht, beispiels- weise durch Abreiben mit Aceton oder Ather, wird die Wasserabgabe an die Atmosphare nicht erhoht. Geht man umgekehrt vor und macht den Sebumfilm dicker, ist der wasserre- tinierende Effekt minimal. Es folgt, dai3 die Diffusion extern zugefiihrten Wassers kaum behindert wird, ebensowenig wie die anderer polarer und unpolarer Molekule. Als Faktor fur eine mogliche Beeinflussung der percuta- nen Absorption kann der Hautoberflachen- film demnach vernachlassigt werden. Albert M. Kligman geht sogar noch weiter und ver- tritt die Auffassung, das humane Sebum ist vollkommen nutzlos. Nach seiner Meinung sind die an dessen potentielle Eigenschaften geknupften Erwartungen unbegriindet: Se- bum besitzt keine Barrierefunktionen, Sebum unterbindet nicht den Wasserverlust, reguliert nicht die Oberflachenfeuchtigkeit etwa durch Emulsionsausbildung, sorgt nicht fur die Er- haltung eines antibakteriellen und antimyko- tischen Schirmes und hat auch keine Funktion als Precursor fur Vitamin D.

Ohne seine Aussage hinsichtlich ihrer Tragfa- higkeit zu bewerten, sollte man jedoch beden- ken, daS der Sebumfilm aus hydrophilen, li- pophilen und amphiphilen Bestandteilen zu- sammengesetzt ist. Da die Hautoberflache die erste Kontaktstelle fur samtliche topisch ver- abfolgten Systeme darstellt, die ihrerseits hau- fig Substanzen mit ahnlichen Eigenschaften aufweisen, ist zu erwarten, dai3 beide - Se- bum wie applizierte Materie - miteinander reagieren und sich ggfs. auch verandern konnen.

Was nun die percutane Aufnahme anbelangt, so liegt das Haupthindernis fur eindringende Substanzen eindeutig in der darauffolgenden, im Durchmesser ca. 10 pm diinnen Horn- schicht, einer gegen aui3ere Einfliisse sehr wi- derstandsfahigen, koharenten Membran aus vollkeratinisierten, mosaikartig zusammenge- semen Epithelzellen. Sie gilt als ,,tote" Oberflache der Haut und bildet wie die ubri- gen Schichten ein zwar passives, aber deswe- gen nicht notwendigerweise inertes Diffu- sionsmedium. Dabei wird allgemein akzep- tiert, daS das gesamte Stratum corneum die penetrationshemmende Barriere darstellt und nicht der kleine, schwer zu definierende Be- reich, der in der Nahe der Ubergangszone

130 PharmaZie in nnserer Zeit / 1.5. Jahg. 1986 / Nr. I

Tabelle 1. Zusammensetzung der Horn- schicht.

Bereich Zusammen- Anteil (70) setzung

Zellmembran Lipide, nichtfibrillare 5 Proteine

Zellinhalt Lipide (20%)

a-Protein (50%)

P-Protein 85

(20%)

nichtfibrillare Proteine (10%)

Zellzwischen- raum Lipide,

nichtfibrillare Proteine, 10

M U C O ~ O ~ Y - saccharide

zum lebenden Teil der Epidermis gelegen ist, wie Szakall und Mitarbeiter es angenommen haben (Abb. 2).

Die Barriere selber ist keineswegs starr kon- struiert, nicht wie ein Panzer aufzufassen, der den Organismus umschliegt, sondern eine sich standig erneuernde, standig umorientie- rende Zone: von unten (der Basalschicht) wird neugebildetes Material angeliefert, wahrend von der Oberflache ausdifferenzierte Horn- zellen als Schuppchen abgestogen werden. So- mit handelt es sich um einen dynamischen ProzeB, in dem, was die Barrierefunktion an- belangt, mehrere Vorgange nebeneinander ab- laufen: Entstehung des epidermalen Keratins (die innere Struktur der verhornten Epithel- zellen), Umwandlung der Zellplasmamem- branen in feste Hullen um das Keratin (die Hornzellgrenzschicht), Bildung von interzel- lularen Verbindungen (Funktion als Kittsub- stanz zwischen den Hornzellen).

Alle drei Strukturelemente, Keratin, Hornzell- grenzschicht und Interzellularsubstanzen, sind fur die Funktion der Barriere verantwort- lich, und das bedeutet eine Vielzahl von Ver- bindungen, intermediar gebildet oder im End- zustand vorliegend. Sie alle konnen mit auger- lich einwirkenden Substanzen reagieren.

Greift man nun eine typische Hornzelle her- aus und betrachtet sie etwas genauer, so ver- fugt sie uber eine amorphe Membran und ei- nen zum Teil hochgeordneten Zellinhalt (Ta- belle I).

Die Membran setzt sich im wesentlichen zu- sammen aus einer Reihe von Lipiden und nichtfibrillaren Proteinen. Matoltsy berichtet in diesem Zusammenhang von einem drei- schichtigen Aufbau, wobei die innere, mit ca. 70 bis 150 Angstrom (A) dickste Schicht hoch-

elastisch und augerst widerstandsfahig gegen Reagenzien und Losungsmittel sein soll.

Die Zelle besteht grogtenteils aus keratinisier- ten, fibrillaren Proteinelementen. Sie zeigen Doppelbrechung und ergeben Rontgeninter- ferenzen ahnlich dem a-Keratin der Wolle, scheinen somit teilkristalline Bereiche zu ent- halten. Daher schliegt man in Verbindung mit elektronenmikroskopischen Untersuchungen auf einen hochorganisierten, makromolekula- ren Zustand der Materie.

Die Keratinstrukturen werden hierbei als

Abb. 2. Aufbau der Haut a) Gefriermikrotomschnitt durch die Abdo- minalhaut eines Meerschweinchens. Dicke ca. 10 pin, Vergr. 80-fach, Kontrastierung durch Methylenblaufarbung. Autoradio- graphische Aufnahme nach 1-stiindiger Ap- plikation ekes Vehikel mit 3H-Tetracy- clin als Pharmakon und Dokumentierung seines Aufenthaltsbereiches anhand der Filmschwarzung. Tiefe Farbung des Appli- kationsortes, Auftreten von Wirkstoffspu- ren in der Hornschicht sowie entlang der Haarfollikel. b) Interpretation der verschiedenen Haut- regionen von Abb. a. 1: Stratum granulo- sum (keratogene Obergangszone), 2: Stra- tum spinosum (Modifizierung der lebenden Epidermiszellen unter Einbufle des groflten Teils ihrer mitotischen Eigenschaften, Syn- these spezifischer Bestandteile wie fibrillarer und amorpher Proteine, Keratinvorstufen etc.), 3: Stratum basale (Keimschicht, Or t der Bildung von Epidermiszellen).

a Vehikel + Pharmakon- 1

I

Stratum corneum

Dermis (Corium)

Haare + Follikel

Hypodermis

Pbannazie in unse~er Zeit / 15. Jabrg. 1986 / Nr. 5 131

,,low-density"-Filamente beschrieben, arm an Schwefel, jedoch eingebettet in einer schwefel- reichen, amorphen Matrix, die zwischen den Filamenten angeordnet ist. Die Keratinfila- mente ihrerseits liegen daruber hinaus in Bundeln organisiert vor, von Lipidhullen um- geben, planar orientiert, parallel zur Horn- schichtebene, wobei sie an der Zellperipherie enden. Recht nutzlich sind diese Vorstellun- gen, um gewisse Adsorptionserscheinungen von Losungsmitteln, vornehmlich die von Wasser, erklaren zu konnen.

In Gegenwart von Wasser hydratisiert sich die Hornschicht. Sie wird mazeriert. Das kann man schon nach wenigen Minuten beobach- ten. Der Quellungsvorgang geht jedoch wei- ter, Dauer bis zu 3 Tagen, zumindest in vitro. Adsorptionsort ist im wesentlichen das Kera- tin, wobei das Wasser via Osmose in die Zelle gelangt und die Matrix sukzessive verdrangt. Der VerdrangungsprozeQ der Matrix schafft elastische Gegenkrafte, die sich durch die drei- dimensionalen Netzwerkstrukturen erklaren lassen. Ein Gleichgewicht stellt sich ein, wenn die elastischen Krafte des Netzwerkes die os- motischen Krafte gerade aufheben. Und das braucht seine Zeit.

Durch Hydratation kann die percutane Auf- nahme in der Regel gesteigert werden. Welche Elemente beeinflussen den Vorgang noch? Wenn man von den beiden Spezialfallen Hornschicht-Handflache bzw. -FuQsohle ein- ma1 absieht, weniger die Dicke oder die Zahl der Zellschichten, eher Menge und Art der Li- pidzusammensetzung. Dies festzustellen ist ein augerst aufwendiges und schwieriges Un- terfangen. Peter Elias [2] hat es getan und da- bei die Lipidverteilung in der Hornschicht der FuQsohle, des Beines, des Bauches und Ge- sichtes gemessen (Tabelle 2).

Festgestellt hat er polare Lipide, vornehmlich Phospholipide, Cholesterinsulfat mit relativ hohen Anteilen im Bein- und FuQsohlenbe- reich; neutrale Lipide, zu denen freie Sterole, freie Fettsauren, Triglyceride, Sterol- und Wachsester ebenso gehoren wie Squalen und N-Alkane aus der C19- bis C,,-Reihe. Neu- trale Lipide sind absolut mehr im Gesichts- und im Bauchbereich vertreten. Hinzu kom- men schliei3lich noch Sphingolipide mit einem gewissen Ubergewicht in der Zusammenset- zung der Hornschicht der FuQsohle.

Die termini relativ und absolut beziehen sich auf die jeweiligen Anteile in der darunter an- gegebenen Lipidgesamtmenge der Tabelle 2.

~~

Tabelle 2. Lipidvertcilung in der Hornschicht (Angaben %, g/g).

Lipide FuQsohle Bein Bauch Gesicht

Polare Lipide (Phospholipide) 3,2 532 4,9 393

Cholesterinsulfat 3,4 6 4 1,5 297

Neutrale Lipide 60,4 65,7 77,7 66,4

Sphingolipide 34,8 25,9 18,8 26,5

Lipidgehalt gesamt 2,o 4,3 695 7 2

Permeabilitat < < < <

Sie nimmt zu von der FuRsohle zum Gesicht. Parallel steigt auch die Permeabilitat an, was sicherlich nicht fur alle Pharmaka gilt, vor al- len Dingen nicht fur solche, die starker hydro- phile Eigenschaften aufweisen. Doch nun zum Arzneistoff.

Pharmakon

Die meisten Substanzen werden, wenn sie auf die Hautoberflache gelangen, auch eindrin- gen. Dies betrifft nicht nur das Pharmakon, sondern, wenn man spezielle Tragersysteme einmal ausklammert, auch die Begleitstoffe.

Wie weit sie kommen, ist dagegen eine andere Frage. Ausschlaggebend hierfur durften ihre physikochemischen Eigenschaften sein, ihr struktureller Auhau, ihre MolekulgroQe etc.

Detaillierte, aus Reihenuntersuchungen er- worbene Kenntnisse beschranken sich ge- genwartig auf wenige Substanzklassen, z. B. auf Steroide, so daQ eine Aufstellung verallge- meinernder Beziehungen zwischen stoffeige- nen EinfluBgroRen und deren Effekt auf den DiffusionsprozeB mit einem gewissen Unsi- cherheitsfaktor behaftet sind. Generell 1aQt sich jedoch, wie Kligman es erst jungst wieder unternahm [3], folgendes feststellen:

1. Geringfugige Penetration ist zu erwarten nach Einsatz von

- hochmolekularen Polymeren und Makro- molekulen (z. B. Proteine, Polysaccharide, Po- lypeptide wie Insulin etc.), - Elekrolyten wie Natriumchlorid, Alumi- niumchlorid etc., - ausgesprochen wasserloslichen Substanzen wie Glucose, Harnstoff etc.

2. Gute Chancen, die Hornschicht zu per- meieren, besitzen dagegen lipidlosliche Phar- maka, vor allem dann, wenn sie unpolar sind und ein kleines bis mittleres Molekularge- wicht aufweisen. Verfugen sie daruber hinaus sowohl uber lipophile als auch hydrophile Ei- genschaften, haben sie gegenuber den anderen Verbindungen weitere Vorteile.

Anzumerken bleibt, dai3 die Permeationsrate zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Be- urteilungskriterium darstellen wird. Hinzuge- rechnet werden mug beispielsweise die biolo- gische Aktivitat der Substanz. Je potenter ein Pharmakon ist, desto kleiner kann die Menge sein, um groQe Effekte herbeizufuhren. Glei- ches gilt prinzipiell auch fur die unter Punkt 1 fallenden Verbindungen, besonders bei ent- sprechend vorkonditionierter Haut oder ei- nem spezifisch disponierten Personenkreis.

Drei Konzeptionen lassen sich mit Vehikeln verfolgen:

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Hinter der ersten steht der Versuch, die Wir- kung der Hornschicht zu verstarken, indem man die Barrierefunktionen erhoht. Ziel ist es, die darunterliegenden lebenden Teile zu schut- Zen. Dies kann gelten beispielsweise fur Son- nenschutzmittel, fur hydratisierende Prapara- te bei zu starker Austrocknung der Haut, auch fur topische Antibiotikazubereitungen, wenn die Hornschichtbarriere geschadigt ist.

Mit der zweiten Konzeption ist genau das Ge- genteil beabsichtigt. Die Vehikel oder einzelne Bestandteile von ihnen sollen die Horn- schichtbarriere reversibel ausschalten, somit das Diffusionsmilieu fur den Wirkstoff ver- bessern, um ihm die Moglichkeit zu verschaf- fen, den lebenden Teil der Epidermis oder das darunter liegende Corium in therapeutisch wirksamen Konzentrationen zu erreichen. Anschliegend, nach Resorption und damit Aufnahme in den allgemeinen Kreislauf, wird eine so hohe Verdiinnung durch die Korper- flussigkeiten erwartet, dai3 ein systemischer Effekt durch den Wirkstoff nicht zustande kommt.

Das wiederum ist das Ziel der dritten Variante. Uber die Haut, die in diesem Fall zwar den Re- sorptionsort, jedoch nicht das Zielorgan dar-

stellt, wird versucht, ein Pharmakon unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes direkt in den Kreislauf einzuschleusen. Gelingt dies in ausreichenden Konzentrationen, ist man in der Lage, uber den cutanen Weg systemisch zu therapieren. Die Transdermalen Therapeuti- schen Systeme gehoren diesem Typ von Vehi- keln an. Sie sind erfolgreich getestet und im Handel verfugbar.

Die nachstehenden Ausfuhrungen beziehen sich im wesentlichen auf Vehikel der ersten beiden Kategorien. Sie gelten als die eigentli- chen Dermatika und werden reprasentiert durch die breite Palette der Salben, Cremes, Gele, Emulsionen, Mikroemulsionen etc.

Uber ihre Eigenschaften und Bedeutung fur die topische Anwendung von Arzneistoffen liegt eine Fulle von Informationen vor, die sich zum groaten Teil in entsprechenden Stan- dardwerken bereits niedergeschlagen haben [I , 41. Ein Aspekt, der bislang etwas zu kurz kam, ist ihr kolloidchemischer Aufbau. Auf ihn wird an dieser Stelle besonders eingegan- gen, zumal in einem folgenden Abschnitt eine Beziehung zwischen der Struktur der Grund- lage und der percutanen Absorption eines Pharmakons hergestellt werden soll.

UI

0 20 40 60 SO 1 00 Wasser Tensid

Handelsubliche Dermatika konnen bis zu 10 und mehr Einzelsubstanzen enthalten. Das schafft eine Vielzahl von Wechselwirkungen untereinander, die in ihrem AusmaB nicht zu uberblicken sind. Gerade die Wechselwirkun- gen sind es jedoch, die uber den Wert des End- produktes entscheiden, sowohl hinsichtlich seiner technologischen Eigenschaften, seiner biopharmazeutischen Moglichkeiten, als auch hinsichtlich seiner Akzeptanz durch den Pa- tienten. Praformulierungsschritte gehen des ofteren auf empirisch gewonnene Erfahrun- gen zuriick.

Um eine rationalere, zielgerichtetere Entwick- lung einzuleiten, geht man heutzutage von uberschaubar zusammengesetzten Modell- grundlagen aus und versucht, uber das Stu- dium von Interaktionen auf molekularer Ebene neue Erkenntnisse zur Struktur und Wirkungsweise potentieller Kandidaten fur topische Anwendung zu gewinnen.

Unsere ersten Erfahrungen sammelten wir am nachstehenden Drei-Komponenten-Modell, das neben Wasser noch 0 1 und ein nichtioni- sches Tensid enthielt (Abb. 3).

Durch Variation ihrer jeweiligen Mischungs- anteile gelingt es, wie auch aus der Ubersicht hervorgeht, eine groi3e Zahl von Systemen zu rezeptieren und anhand bestimmter, im we- sentlichen auf kolloidchemischen Untersu- chungsmerkmalen beruhenden Kriterien auch voneinander zu differenzieren. Wie das im einzelnen erfolgte, soll an dieser Stelle nicht naher erlautert, sondern nur exemplarisch an- hand einiger Beispiele demonstriert werden. Reprasentativ ware in diesem Zusammenhang sicherlich die Phase M.

M, angelsachsisch Middle Phase, wurde man von ihrem augeren Eindruck her als ein kla- res, festes Gel bezeichnen. Mikroskopisch zei- gen sich im polarisierten Licht spezifische Texturen, die auf flussig-kristallinen und da- mit hohen inneren Ordnungszustanc! der Ma- terie hinweisen (Abb. 4).

Bei 25 000-facher VergroBerung und Einsatz der Gefrierbruchtechnik werden in den

Abb. 3. Phasendiagramm eines Drei-Kom- ponenten-Systems aus 731, Wasser und nicht- ionischem Tensid. L, = micellare Losung, M = Hexagonalphase, N = Lamellarphase, L2 = invers-micellare Phase, G = Gel (kubisch aufgebaut), C = Creme (Mischphase).

Pharmazie in unserer Zeit / 15. jahrg. 1986 / Nr. 5 133

4

Bruchebenen zylinderformige Aggregate er- kannt (Abb. 5).

5

6

Xthylenoxid-Einheit

0000 Lipophile Kette

a Wassermolekiil

Diese Aggregate liegen, wie aus rontgenfein- strukturanalytischen Untersuchungen eindeu- tig abgeleitet werden kann, in hexagonaler Anordnung vor und sind jeweils durch freie Wasseranteile voneinander getrennt. Zur bes- seren Vorstellung ihrer Struktur mag die Sche- mazeichnung der Abbildung 6 dienen.

Mit Erhohung des Tensid- und/oder des Olanteils an der Gesamtmischung wachst der Zylinderdurchmesser zunachst kontinuierlich an. Wird ein bestimmtes Phasen-/Volumen- verhaltnis iiberschritten, brechen die Aggre- gate auf. Die strukturbildenden Molekiile orientieren sich um und konnen sich beispiels- weise zu lamellaren Formen vereinigen rnit al- ternierenden, vornehmlich lipophilen bzw.

Abb. 4. I’olarisationsoptische Aufnahme der Hexagonalphase M mit blockartig erschei- nenden Texturen, Vergr. 21 0-fach.

Abb. 5. Gefrierbruchaufnahme des Systems von Abb. 4 mit zylinderformigen Aggrega- ten in den Bruchstellen der Gleitebenen, durch Pfeile gekennzeichnet, Vergr. 35 000- fach.

Abb. 6. Idealisierte Darstellung ihrer Fein- struktur. Das System verfiigt iiber einen in 2 Dimensionen periodischen Aufbau, der durch zylinderformige, in hexagonaler An- ordnung vorliegende Aggregate undefinier- ter LL%nge reprbentiert wird. Die Zylinder sind voneinander durch freie Wasseranteile getrennt, verfiigen jeweils iiber einen unpo- laren Kern und eine Hiilk aus polaren, strukturbildenden Molekiilanteilen, deren Endgruppen mit der dispergierenden Was- serphase in Kontakt stehen. Ihrem periodi- schen, fliissig-kristallinen Aufbau zufolge kann rnit Hilfe der Rontgenkleinwinkel- technik der definitionsgemiifl jeweils gleich- bleibende Abstand ihrer Ebenen zueinander gemessen werden (Netzebenenabstand d). Bei Kenntnis von d, der Konzentration der Einzelbestandteile und ihrer Partialvolu- mina ist eine Berechnung der einzelnen Strukturparameter und damit eine Ab- schatzung ihres Einflusses auf den Gesamt- aufbau moglich (dp = hexagonaler Gitter- parameter, d, = Dicke der Lipidschicht, dw = Dicke der Wasserschicht, S = mittlere Oberfliiche der hydrophilen Endgruppe an der Grenzflache zum freien Wasser).

134 Pharmazir in unserer Zeit / 15. Jahrg. 1986 / Nr. 5

8

9

- hydrophilen Schichten, wie sie in Abbildung 7 schematisch dargestellt und in Abbildung 8 elektronenmikroskopisch wahrzunehmen sind.

Neben ihrem spezifischen Rontgeninterfe- renzmuster zeigt die Lamellar-Phase N (N =

Neat Phase) polarisationsoptisch charakteri- stische streifen- bzw. bandformige Texturen, die eine eindeutige Differenzierung gegeniiber der Hexagonal-Phase erlauben (Abb. 9).

Oberhalb der micellaren L,- und M-Phase (s. Abb. 3) induzieren hohere Olanteile erneut ei- nen Strukturwechsel. Gelartig-feste, viscoela- stische Produkte entstehen mit einem auf die- sen Mischungsbereich beschrankten sog. gel- ring-effect, einem Resonanzphanomen, das auf die spezifische Struktur dieser Systeme zuriickzufiihren ist. Unter polarisiertem Licht verhalten sich Gele dieser Art im Gegensatz zu den hexagonal aufgebauten optisch isotrop. '

Dariiber hinaus liefern sie im Kleinwinkelbe- reich Rontgenreflexe, die sich weder mit dem hexagonalen noch dem lamellaren Identitats- muster vereinbaren lassen. Demzufolge han- delt es sich um eine weitere fliissig-kristalline, nach den vorliegenden Ergebnissen kubisch aufgebaute Phase (Abb. lo), der moglicher- weise eine innenzentrierte Gitteranordnung unterstellt werden kann (Abb. 11).

Direkt an die Gelphase grenzend bilden sich bei hoheren Wasseranteilen stabile, aus mehre- ren Phasen zusammengesetzte Mischungen

Abb. 7. Idealisierte Darstellung der fliissig- kristallinen Lamellarphase N mit periodi- scher Anordnung der Molekiile in einer Di- mension. Kennzeichnend fur den Aufbau ist alternierende Sequenz von polaren und unpolaren, in ihrer Langenausdehnung un- definierten Schichten. Die Tensidmolekiile liegen bimolekular in Schwanz-Schwanz- orientierung ihrer Alkylketten vor und konnen in diesen Bereichen Lipide einla- germ Mit ihren hydratisierten KBpfen ragen sie in die Schicht aus freien Wassermoleku- len. Weitere Einzelheiten s. auch Abb. 6.

Abb. 8. Gefrierbruchaufnahme der Lamel- larphase N. Schichtformiger Aufbau, Vergr. 35 000-fach.

Abb. 9. Polarisationsoptische Aufnahme mit charakteristischen, bandformig verlaufen- den Texturen, Vergr. 210-fach.

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aus. Wesentliches Ordnungselement sind ihre flussig-kristallinen Bereiche, welche diese im Sinne von Munzel als Cremes zu bezeichnen- den Formulierungen als zusammenhangen- des, dreidimensionales Gelgerust durchziehen und zur Festigkeit des Gesamtsystems beitra- gen (Abb. 12).

ZusammengefaBt ergibt sich, daB mit drei Komponenten bereits eine Vielzahl unter- schiedlich aufgebauter Systeme formuliert werden kann. Kommen noch mehr Bestand- teile hinzu, ist der Einflufl der einzelnen Sub- stanz auf den Gesamtaufbau nur schwer nach- vollziehbar. Mit einer vierten Verbindung, ei- nem mittelkettigen Alkohol, haben wir es ver- sucht, wobei die graphische Darstellung der Rezepturvarianten nunmehr dreidimensional zu erfolgen hat, beispielsweise in Form eines Tetraeders, dessen Auflenflachen die Ergeb- nisse nach Mischung von jeweils drei und das Rauminnere die Ergebnisse nach Mischung al- ler vier Komponenten wiedergeben.

Verfolgt man unter diesem Blickwinkel aus- schlieglich den Verlauf der kolloidchemisch in weiten Bereichen als invers-micellar aufzufas- senden Phase L,, einer Phase, die grob skiz-

Abb. 10. Gefrierbruchaufnahme der op- tisch-isotropen, kubischen Gelphase G, Ver- gr. 25 000-fach.

Abb. 11. Aufbauschema der kubischen Pha- se G in einer von Tardieu und Luzzati [7] vorgeschlagenen Strukturanordnung. Kur- ze, stabchenformige Aggregate gleicher Lange bilden ein dreidimensionales Netz- werk. Dargestellt ist die Vorderansicht yon 2 kafig-ahnlichen, abgeschnittenen Okta- edern, die jeweils 1 spharische Micelle um- schliefien. Die Stabchen (breite Linien) sit- zen auf den hexagonalen Flachen. Die Pak- kung der Polyeder ist raumausftillend in- nenzentriert. Aus der Position der Stabchen geht hervor, da8 die Einheitszelle primitiv aufgebaut ist mit 2 Polyedern pro Zelle.

Abb. 12. Gefrierbruchaufnahme der Creme C, einer Mischphase aus wenige 100 Ang- striim (10 A = 1 nm) groi3en kugeligen For- men (I), flachigen unstrukturierten Berei- chen (2) und granularen, geriistbildenden Zonen, in denen ein gewisses Ordnungs- prinzip in Form gelegentlich parallel ausge- richtet erscheinender S t r k g e zu erkennen ist (3).

136 Pharmazie in unserer Zeit / 15. Jahrg. 1986 / Nr. li

ziert Tensidaggregate enthalt, mit einem pola- ren Kern und einer lipophilen Hulle, gebildet durch den unpolaren Teil der in das dispergie- rende 0 1 hineinragenden Ketten der struktur- liefernden Molekule, so ergibt sich ein wel- lenformiges Gebilde mit einem Maximum bei einem Gesamtolanteil von 25 'Yo (Abb. 13).

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Dieses Maximum verschiebt sich auf 4070, wenn die Temperatur von 20' auf 40 OC und somit auf etwas oberhalb der Hauttemperatur gesteigert wird (Abb. 14).

Da sich gleichzeitig die Solubilisationskapa- zitat fur Wasser erhoht hat, findet man in den Spitzen Mischungen vor, die im Maximum ne- ben 40 YO 0 1 bis zu 40 Yo Wasser enthalten konnen, ohne dai3 sich die Phase makrosko- pisch sichtbar verandert hat. Sie bleibt eine klare, niedrigviskose Flussigkeit. Mit Hilfe des Elektronenmikroskops jedoch erkennt man kleine, vesikelartige Gebilde, wenige 100 A groi3, in nahezu monodisperser Verteilung (Abb. 15).

Systeme dieser Art, welche typischerweise 40% 0 1 , 40% Wasser enthalten und dazu 20 70, die sich Tensid und Alkohol teilen, rech- net man zu den sog. Mikroemulsionen. Ihrem hohen 0 1 - und Wassergehalt zufolge sollten sie als Trager sowohl fur hydrophile als auch lipophile Pharmaka einsetzbar sein. Demon- strieren lai3t sich das recht gut, wenn man statt der Wirkstoffe Farbstoffe wahlt, z. B. Methy- lenblau bzw. als lipophile Verbindung Dime- thylgelb (Abb. 16).

Eine klare blaue Losung ist entstanden, ebenso eine gelbe, aber auch die Mischfarbe Grun, was als Zeichen dafur gewertet werden konnte, daB sich in der Mikroemulsion gleich- zeitig lipophile und hydrophile Verbindungen inkorporieren lassen. Soweit die Ausfuhrun- gen zur Struktur von Grundlagen und mogli- chen kunftigen Entwicklungstendenzen.

Wechselwirkungen zwischen Vehikel und Pharmakon

Sicherlich naher an der Praxis orientiert sind Untersuchungen zum strukturellen Aufbau von z. Zt. eingesetzten Dermatika, z. B. von solchen zur Wasserhaltigen Hydrophilen Sal- be DAB 8, wie sie von Hans Junginger und Mitarbeitern publiziert wurden [5] (Abb. 17).

Offensichtlich verfugt die Salbe uber noch komplexere Strukturen als die im vorherge-

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Wasser

Tensid

Wasser

9lkohol

Tensid

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henden Abschnitt dargestellten Modellgrund- lagen. Worauf es an dieser Stelle ankommen soll, ist, aufzuzeigen, welche Aufenthalts- wahrscheinlichkeiten fur Pharmaka insgesamt bestehen, wenn sie in diese Salbe eingearbeitet wurden. Je nach physikochemischen Eigen- schaften der Substanz befindet sie sich entwe- der ausschlieglich oder zumindest teilweise in dem hydrophilen Gelgeriist (a), in dem inter- lamellar eingelagerten Wasser (b), in dem un- gebundenen Wasser (d) oder gar in der disper- sen Phase (e), die im wesentlichen Lipide ent- halt.

Der Ort der Einlagerung und die dort beste- henden Bindungsverhaltnisse durften mit ziemlicher Sicherheit EinfluB auf die Libera- tion des Pharmakons aus seinem Trager haben. Sind die Bindungskrafte hoch oder ist der Wirkstoff im Phaseninneren auf Dauer immo- bilisiert, wird der angestrebte therapeutische Effekt im Regelfall kaum zu erreichen sein.

Andererseits gehort seit langem zum Erfah- rungsschatz die Tatsache, daB auch der Wirk- stoff das Vehikel verandern kann. Durchaus gelaufig ist beispielsweise der Befund, dai3 eine feindisperse, als weitgehend stabil beur- teilte Emulsion eben diese Eigenschaften in Gegenwart eines Pharmakons, im vorliegen- den Fall 1 ?'a Hydrocortison, verliert, ein grobdisperses System ausbildet, das vom gale- nischen Standpunkt her als Endprodukt kaum zu akzeptieren ware (Abb. 18, 19).

Aber dieser Wechsel ist keine EinbahnstraBe. Mit demselben Wirkstoff, 1 % Hydrocorti- son, laat sich eine zunachst nur mai3ig gegluckt erscheinende Rezeptur (Abb. 20) in ein System mit flussig-kristallinen Eigenschaf- ten (Abb. 21) verwandeln.

Abb. 13. Verlauf der invers-micellaren Phase L, im Vier-Komponenten-System 01, Was- ser, Tensid, Alkohol, bei Raumtemperatur (20 * 1 "C).

Abb. 14. Gleiche Phase nach Erhohung der Versuchstemperatur auf 40 k 1 "C. Aufwei- tung des L,-Gebietes unter Ausbildung von wellenformigen Spitzen als Orten der hoch- sten Wassersolubilisation.

Abb. 15. Gefrierbruchaufnahme einer Mi- kroemulsion. Vesikelartige Gebilde mit Teil- chengrofien von 200-300 Angstrom, Vergr. 128 000-fach.

P b a m i e in unserer Zeit / 15. Jahrg. 1986 / Nr. li 137

16 Hydrocortison ist offensichtlich auch in der Lage, einen hoheren Ordnungszustand der Materie zu induzieren, wobei wir davon aus- gehen, dai3 diese Substanz mit in die sich bil- denden Strukturen eingebaut wird. 1st dies der Fall, so konnte man sich vorstellen, dai3 man Systeme erhalt, die eine sog. Sollbruchstelle aufweisen. Sollbruchstelle deswegen, weil dann, wenn der Wirkstoff aus dem Gitter durch Diffusion entfernt wird, das gesamte System zusammenbricht und einen ahnlichen Zustand einnimmt, wie er in Abb. 20 darge- stellt wurde. Findet dieser Bruch auf oder in der Haut statt, wird genau das erreicht, was im Regelfall anzustreben ist: stabil als Zuberei- tung vor der Anwendung, instabil danach, mit der Moglichkeit, dai3 die Liberation des Wirk- stoffs in geringerem Mafie behindert und sein Eindringen in tiefere Schichten in starkerem Umfang erleichtert wird.

Von moglichen Zukunftsperspektiven zuriick zur Realitat, in diesem Fall nach den Wechsel- wirkungen Pharmakon-Vehikel zu den Wech- selwirkungen Pharmakon-Haut.

Wechselwirkung Pharmakon - Haut

Angesprochen werden sol1 zunachst die Bin- dung von Wirkstoffen an Hautbestandteile. Hierbei ist davon auszugehen, dai3 eine Reihe

Abb. 16. Darstellung der potentiellen Mog- lichkeiten einer Mikroemulsion als Trager fiir geloste hydrophile und/oder lipophile Verbindungen am Beispiel der Inkorpora- tion von Methylenblau bzw. Dimethylgelb. Oben links die Bedingungen vor Ausbil- dung der Mikroemulsion: 2 miteinander weitgehend unmischbare Phasen, daneben die Losung des blauen (A), des gelben Farb- stoffs (B) und die Einbringung beider Sub- stanzen gleichzeitig (C).

Abb. 17. Strukturvorstellungen zur Wasser- haltigen Hydrophilen Salbe DAB 8 nach Junginger et al. [5]. a = hydrophiles Gel- geriist (Mischkristallisat aus Cetylstearylal- kohol und Cetylstearylalkoholsulfat); b = hydrophiles Gelgeriist (interlamellar einge- lagertes Wasser); c = Cetylstearylalkohol- Semihydrat-Gelgeriist; d = ungebundenes Wasser (koharente Phase); e = lipophile Be- standteile (disperse Phase).

Abb. 18 und 19. Emulsion vor (Abb. 18) und nach Zugabe eines Pharmakons (1 % Hydro- cortison g/g) (Abb. 19, rechts oben).

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von Verbindungen, welche die Haut absor- biert, teilweise auch an Hautproteine gebun- den oder, - im Fall entzundeter Haut - auch an Serumproteine, die aus geschadigten Gefa- Ren in das Corium oder in hoher gelegene Be- reiche der lebenden Epidermis infiltriert sind. Hautgebundene Substanzen sind inaktiv, damit jedoch auch geschutzt gegen Metabolisierungsvorgange, wobei das Ge- samtmolekul Grogenordnungen einnehmen kann, die eine Diffusion in das Lumen der Gefafie erschweren. Handelt es sich um rever- sible Bindung, stellt der gebildete Wirkstoff- Protein-Komplex ein lokales Reservoir dar, aus dem nach den Regeln des Massenwir- kungsgesetzes Wirkstoff freigesetzt werden kann.

Faktoren, welche die Zahl der Bindungsstellen und ihre Dissoziationskonstanten beeinflus- sen konnen, sind neben physikalischen Gro- f3en wie Temperatur auch chemische wie pH, pK, Ionenstarke, aber moglicherweise auch physiologische wie Alter und Krankheit. Na- hezu uberhaupt nichts weifi man derzeit dar- uber, ob es moglich ist, mit einer zweiten Sub- stanz, die hohere Affinitat zu den Bindungs- stellen hat, die erste zu verdrangen, um auf diese Weise zu einer gezielten pharmakologi- schen Wirkung zu kommen.

Ein fur die Praxis eminent wichtiges Phano- men, das zwischen Wirkstoff und Horn- schicht auftritt, aber nicht unbedingt etwas mit Bindungen zu tun haben mug, ist der sog. Reservoireffekt nach topischer Anwendung beispielsweise von Steroiden. Hierbei kann es sich durchaus nur um ganz normale Vorgange handeln, die mit geringer Diffusionsge- schwindigkeit und mangelnder Loslichkeit der Substanz im Stratum corneum zu begriin- den sind. Das Steroid bleibt in tieferen Berei- chen der Hornschicht liegen und bildet dort ein Depot. Dieses Depot kann durch externe Mafinahmen wie Okklusion oder Einsatz von Losungsmitteln, z. B. Alkohol, geleert wer- den. Der Steroideffekt kann auf diese Weise noch Tage bis Wochen nach der Applikation erneut induziert werden.

Der Weg von Bindungen des Wirkstoffs an Hautbestandteile zu Veranderungen des Wirkstoffs in der Haut durch Metabolisierung

Abb. 20 und 21. Emulsion vor und nach Zu- gabe eines Pharmakons. Auftreten von fliissig-kristallinen Bereichen in Gegenwart von 1 O h Hydrocortison (Abb. 21).

Pharmazie in unserer Zeit / I > . Jahrg. 1986 / Nr. > 139

ist relativ kurz, dennoch viel langer, als daB auf diese Vorgange an dieser Stelle ausfuhrli- cher eingegangen werden konnte. Die Anga- ben zur Biotransformation sind zahlreich. Ne- ben sog. Phase-1-Reaktionen, die im wesent- lichen Oxidations-, Reduktions- und Hydro- lysevorgange beinhalten, werden auch Phase-2-Reaktionen beschrieben wie Glucu- ronidierung, Sulfatbildung, Methylierung und Glutathionkonjugation. Hieruber ist viel pu- bliziert worden und ggfls. nachzulesen [4]. Be- sonders interessant und vielversprechend er- scheint in diesem Zusammenhang das Vorha- ben, diese Biotransformationen zu einem Wirkstoffdesign auszunutzen. Viele potente Pharmaka sind topisch nicht einsetzbar, weil sie die Hornschichtbarrieren nur in subthera- peutischen Mengen durchqueren konnen. Vorteilhaft fur die Bioverfugbarkeit ist der Weg, die Substanz zunachst in eine penetra- tionsfahigere, inaktive Form zu bringen, wel- che dann, wenn sie in das Zielgebiet der Haut gelangt ist, dort aktiviert wird, - ein typisches Prodrug-Design.

Gewahlt wurde es beispielsweise fur Acetylsa- licylsaure (ASS), der grogere antiphlogistische Potenz nachgesagt wird als der Salicylsaure und dem Hydrocortison. ASS wird verestert, damit in eine Transportform gebracht und in tieferen Hautschichten durch korpereigene Esterasen wieder zur Muttersubstanz hydroly- siert. Ahnliches versucht man mit Theophyllin, das man zur Behandlung von Entzundungs- erscheinungen einsetzen mochte, auch mit Vidarabin (ara-A) gegen genitalen Herpes.

Prodrugs auf der einen, sog. Soft-Drugs auf der anderen Seite. Letztere heiBen deswegen so, weil sie nach ihrer Wirkung am Zielort zu inaktiven Metaboliten noch im Hautbereich umgewandelt werden. Zielvorstellung ist hier, einen systemischen Effekt von vornherein auszuschalten. Topisch verabfolgte Steroide gehoren sicherlich zu den ersten Vertretern dieses neuen Typus. Weitere werden folgen.

Wechselwirkungen Vehikel - H a u t

Normalbedingungen vorausgesetzt, stellt die Haut ein System dar, das Anderungen dyna- misch ausgleichen kann, die sich im Laufe des Tages durch einen Wechsel der Aktivitaten er- geben haben. Im Nahbereich der Hautoberfla- che entsteht ein Gleichgewicht, das man ge- legentlich als Mikroklima bezeichnet. Cre- mes, Salben, Puder etc. greifen in diesen aus- balancierten Zustand ein und konnen sowohl den physikalischen Schutz der Hornschicht-

barriere als auch ihre Permeabilitat beeinflus- sen. Wird der Zustand der Hautbarriere modi- fiziert, kann dies auf verschiedene Weise erfol- gen:

1. Temperatur 2. Losungseffekte 3. Hydratation, Dehydratation

In der Regel lauft mehr als ein ProzeB gleich- zeitig ab. Von den genannten Einflussen ist der Effekt der Temperatur zu vernachlassigen. Wesentliche Permeationsanderungen erfolgen in der Regel erst bei grogen Temperaturdiffe- renzen, etwa beim Wechsel von Sauna zu Kaltluftbedingungen. Eine solche Situation ist jedoch kaum der Normalfall. Losungseffekte dagegen, die auf Reaktionen mit spezifischen Barrierebestandteilen beruhen, konnen erheb- liche Permeationsanderungen herbeifuhren. Dies betrifft sowohl den Einsatz von speziel- len Permeationsvermittlern wie Azon, DMSO etc., als auch Komponenten der Tragergrund- lage. Auch hier sei auf weiterfuhrende Litera- tur hingewiesen [6]. Naher behandelt werden sol1 der letzte Punkt: Hydratation und Dehy- dratation.

Beide Effekte beziehen sich auf Vorgange in der Hornschicht. Wird die Wasserabgabe an die Atmosphare blockiert durch eine wasser- undurchlassige Schicht auf der Hautoberfla- che, wird das darunterliegende Gewebe hy- dratisiert. Verfiigt die Schicht dagegen iiber wasseradsorbierende Bestandteile, kann Aus- trocknen der Haut iiber den Normalzustand hinaus provoziert werden.

Zur hydratisierenden Gruppe gehoren fetthal- tige Zubereitungen wie Lanolin, Isopropyl- myristat, Kohlenwasserstoffe hoherer Ket- tenlange, auch W/O-Emulsionen, letztere je- doch weit weniger wirkungsvoll als die Lipid- materialien, jedoch mehr okklusiv wirkend als O/W-Emulsionen. Im hydratisierten Zustand kann das Stratum corneum bis zu 75 70 Wasser aufgenommen haben. Mit dem Anwachsen des Feuchtigkeitsgehaltes erhoht sich die Pas- sage aller Substanzen, welche die Haut per- meieren. In Abhangigkeit ihrer physikoche- mischen Eigenschaften sind hierbei mehrere Diffusionswege moglich. Polare Substanzen sollen wafirige Schichten passieren, die sich wahrend der Hydratation nahe der Oberfla- che der Proteinfilamente gebildet haben. Nichtpolare Verbindungen dagegen losen sich in der nicht-wagrigen Lipidmatrix zwischen den Proteinfilamenten und diffundieren dort hindurch.

Das Keratin der Haut hat seinen isoelektri- schen Punkt bei 3,7 bis 4,5. Daher liege sich vorstellen, daB der pH-Wert eines Vehikels den Hydratationszustand der Haut andert. Nach Untersuchungen von Matoltsy erfolgt ein Anstieg der Diffusionsgeschwindigkeit von Wasser erst oberhalb p H 10. Mit p H 10 ist gleichzeitig ein Abfall der Wasserbindungska- pazitat der Haut verbunden, die sich durch Herauslosung von wasserbindenden Materia- lien aus der Hornschichtbarriere erklart.

Somit kann man davon ausgehen, dai3 unter normalen physiologischen Bedingungen in- nerhalb der pH-Grenzen, die ohne Hautirrita- tion und weitgehende Schadigung toleriert werden, der Vehikel-pH nur einen geringen Effekt auf die Hydratation der Haut ausubt.

Effekte der Grundlage auf die Hautoberflache lassen sich recht gut mit einer Methode verfol- gen, die man aus der zahnarztlichen Praxis seit vielen Jahren kennt. Es werden Abdrucke ge- nommen von der Haut vor der Anwendung, direkt danach und vom gleichen Tag bis Wo- chen spater. Das geschieht in vivo. Je nach Ein- fluanahme durch das Vehikel ergibt sich hier- bei folgendes Bild (Abb. 22 bis 24).

Speziell in Abb. 24 zeigt sich eine stark zerkliiftete, mit lockeren, zum Teil abgeschil- ferten Hautschuppenverbanden versehene Oberflache. Unter Einwirkung des Testvehi- kels ist ein neues Hautrelief entstanden, ver- mutlich durch Herauslosen korpereigener Substanzen.

Zugegeben, hierbei handelte es sich um ein sehr drastisch wirkendes Vehikel. Dennoch, so vermuten wir, durfte dieser Effekt, wenn- gleich in wesentlich abgemilderter Form, bei der Anwendung einer Vielzahl von Grundla- gen eine Rolle spielen.

Materialien der Haut treten mit Bestandteilen des Tragers in Wechselwirkung, wobei sich als Ergebnis dieser Interaktionen Anderungen sowohl des Applikationsortes als auch des ap- plizierten Vehikels ergeben konnten, letztes speziell im Hinblick auf den kolloidchemi- schen Aufbau bezogen und damit sicherlich auch auf die Liberation und Diffusion des in- korporierten Pharmakons.

Wechselwirkungen H a u t - Vehikel - Pharmakon

Das Kapitel der Wechselwirkungen aller drei die percutane Absorption entscheidenden

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Komponenten ist eines, uber das gegenwartig nahezu keine exakten Informationen vorlie- gen. An sich ist die Ausgangssituation klar. Vehikel und Pharmakon gelangen auf die Hautoberflache. Damit ist ein erster Kontakt zwischen Bestandteilen der Zubereitung und Bestandteilen des Hautoberflachenfilms her- gestellt. Der Film enthalt hohe Anteile an Se- bum, besonders vie1 im Bereich der Stirn, wo bis zu 120 pg/cm2 Oberflachenfett gemessen wurden. 120 pg/cm2 bedeutet rein uber- schlagsmagig gerechnet, daQ etwa ein Viertel der Fettfraktion, die ublicherweise in einer W/O-Emulsion vertreten ist, bereits am Ap- plikationsort vorliegt. Als Resultat wird dis- kutiert, daQ die Permeation von Zubereitun- gen mit hohem Gehalt an lipophilen Kompo- nenten behindert wird [4]. Gleiches gilt sicher- lich auch fur den inkorporierten Wirkstoff. Der umgekehrte Fall, niedriger Sebumgehalt, gleichzusetzen mit trockener Haut, schafft in der Regel dagegen gute Penetrationsbedin- gungen fur fetthaltige Vehikel. Soweit die gesi- cherten Informationen.

Speziell bei der Fragestellung, o b und wieweit die Grundlage selber durch Variation ihrer Struktur den percutanen Diffusionsprozell beeinflugt, betreten wir weitestgehend Neu- land. Unter Umstanden konnen hier erste ex- perimentelle Befunde weiterhelfen, die mit Modellgrundlagen erhoben wurden. Sie ent- hielten stets dieselbe Menge 0 1 und Wasser, je- weils 40 YO. Den Rest teilten sich Tensid und Alkohol. Der entscheidende Punkt bei diesen Versuchen war, dai3 sich ausschliefilich durch Verschiebung der jeweiligen Tensid-/Alkohol- anteile zueinander in den Grenzen von 0 bis 20 Yo Systeme rezeptieren liegen, die kolloidchemisch als Cremes, kubische Gele oder Mikroemulsionen anzusprechen sind.

Abb. 22-24. Abdruck (Replika) der Haut- oberflache in vivo vor und nach Applika- tion eines Vehikels auf die Bauchhaut eines Meerschweinchens.

Abb. 22. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des unbehandelten Areals (Kon- trollversuch), Lange des schwarzen Balkens 100 pm.

Abb. 23. Gleiches Areal nach 16-stiindiger Applikation unter Okklusionsbedingun- gen, Balken = 40 pm.

Abb. 24. Gleiches Areal nach 5tagiger Nach- beobachtungszeit, Balken = 40 pm.

Pharmazie in unswer Zeit / 11. Jahrg. 1986 / Nr. 1 141

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Abb. 25-27. Direkter Nachweis der Permea- tion von Tetracyclin-HC1 anhand seiner Fluoreszenz in den verschiedenen Schichten der Abdominalhaut von Meerschweinchen nach jeweils 4-stundiger Applikationszeit und Einsatz einer Creme, eines kubisch auf- gebauten Gels oder einer Mikroemulsion als Vehikel, Schnittdicke ca. 20 pm, Vergr. 160- fach.

Abb. 25. Ergebnis nach Einsatz der Creme: der Effekt beschrankt sich im wesentlichen auf den Bereich der Epidermis. Tiefere Ab- schnitte sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht worden (die darunterliegen- den helleren Bezirke deuten die Lage schrag angeschnittener Haarfollikel an).

Abb. 26. Ergebnis nach Einsatz des Gels: Zu- nahme der Permeation, intensive Fluores- zenz in der Hornschicht und dem lebenden Teil der Epidermis, deutlich erkennbare Dif- fusion des Tetracyclins entlang der Haar- balge bis in den Bereich jenseits der Haut- barrieren, Eindringen der Substanz in die Talgdrusen sowie verstarktes Auftreten von Wirkstoffspuren in subepidermalen Zo- nen.

Abb. 27. Ergebnis nach Einsatz der Mikro- emulsion: nahezu maximale Fluoreszenz in allen Hautschichten. Bezuglich des Dif- fusionsweges ergibt sich, daf3 Tetracyclin einerseits transfollikular in das Corium permeiert ist, erkennbar an den fluores- zierenden Hofen um die hier senkrecht zur Haarachse geschnittenen runden Folli- kelscheiben. Andererseits erkennt man stark fluoreszierende Anreicherungen, die keinen Bezug zu den Follikeln haben, son- dern bandformig nahezu parallel zur Epi- dermis verlaufen. Letzteres deutet auf eine weitere, wahrscheinlich inter- oder transzel- Mare Passage hin.

Rechts: Abb. 28. A Ganztierschnitt eines Meer- schweinchens, ca. 2/3 seiner natiirlichen Grofle, Schnittdicke ca. 100 pm. Applika- tion einer Mikroemulsion, Applikations- dauer 24 h. B: Makroautoradiographische Aufnahme des obigen Schnitts, etwas ver- kleinert, Expositionszeit 90 Tage. A = Appli- kationsflache, GIT = Gastrointestinaltrakt, W = Wirbelsaule, Z = Zahne, B = Brust- korb.

142 Phurmuzie in unserer Zeit / lli. Juhrg. 1986 / Nr. 5

Als Pharmakon diente Tetracyclin-HC1. Wenn man seine fluoreszierenden Eigenschaften ausnutzt, kann es als Tracer eingesetzt und sein Nachweis in den verschiedenen Haut- schichten direkt gefuhrt werden. Die Farbin- tensitat 1aQt hierbei gewisse Riickschliisse auf die penetrationsfordernden Eigenschaften der verwendeten Grundlagen zu. In Abbildung 25-27 sind die Ergebnisse nach Applikations- zeiten von jeweils 4 h dargestellt.

Anhand autoradiographischer Aufnahmen mit 3H-Tetracyclin konnte hierbei festgestellt werden, daQ der Wirkstoff percutan zur Auf- nahme gelangt (Abb. 28).

Radiomarkierte Substanz 1aQt sich im Intesti- naltrakt nachweisen und hat sich daruber hin- aus auch im Skelettbereich abgelagert.

Zusammenfassend ergibt sich, daQ offensicht- lich eine Abhangigkeit besteht zwischen der Struktur der Vehikel und ihrer Wirksamkeit als Trager fur das inkorporierte Pharmakon. Die Effektivitat nimmt zu in der Reihenfolge Creme, Gel, Mikroemulsion, wobei zu erwar- ten ist, da13 zumindest nach kurzeren Applika- tionszeiten mit Hilfe der Mikroemulsion mehr Tetracyclin pro Zeiteinheit in tiefere Hautschichten und zur Absorption gelangt als nach Anwendung des Gels oder der Creme. Wieweit sich diese Aussagen verallgemeinern lassen, wird sich in der nahen Zukunft zeigen mussen.

Ausblick

Mit den vorliegenden Ausfuhrungen sollte nicht versucht werden, den gegenwartigen 28

Kenntnisstand zur percutanen Absorption von Pharmaka in voller Breite und Ausfuhr- lichkeit darzulegen. Beabsichtigt war viel- mehr, anhand einiger Beispiele facettenartig Themenkreise aufzugreifen, die gegenwartig besonders diskutiert werden und evtl. An- satzmoglichkeiten zur Losung der Kernfrage einer Steuerung der Aufnahme therapeutisch wirksamer Konzentrationen eines Arzneistof- fes von der Hautoberflache in bestimmte Be- reiche des Organismus liefern. Die Eigen- schaften der Ausgangskomponenten Haut, Vehikel und Pharmakon beginnen wir allmah- lich zu verstehen. Was das Studium der Wech- selwirkungen zwischen ihnen anbelangt, ste- hen wir mit unseren Kenntnissen noch so ziemlich am Anfang. Wenn diese Lucke ge- schlossen werden kann, wird sich abschatzen lassen, was sich zwischen Arzneistoff und Grundlage in den Hautschichten ereignet. Gelange dies, ware eine Voraussage, welche Bedeutung den einzelnen Interaktionen fur den AbsorptionsprozeQ zukommt, in der Tat moglich. Der Weg bis zu diesem Ziel ist jedoch ohne Zweifel noch recht lang.

Literatur

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Priv.-Doz. Dr. Jochen Ziegenmeyer, geb. 20.4.1941 in Breslau, Pharmaziestudium 1965-1968 in Braunschweig, 1969 wiss. Assi- stent am Inst. f. Pharmakologie und Toxiko- logie, Braunschweig, 1972 Promotion zum Dr. rer. nat. (bei F. Meyer), 1978 Anerkennung als Fachpharmakologe, Wechsel im gleichen Jahr zu C. Fuhrer ans Inst. f. Pharmazeutische Technologie und Ernennung zum wiss. Ober- assistenten, 1981 - 1983 Zjahriger Aufenthalt am Int. Zentrum fur Dermatologische For- schung, Frankreich, ab 1984 Tatigkeit in der Pharm. Industrie, 1985 Habilitation fur das Fach ,,Pharmazeutische Technologie", TU Braunschweig.

Anschrift:

Priv.-Doz. Dr. Jochen Ziegenmeyer, Volks- gartenstr. 18a, D-4018 Langenfeld.

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