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Heinrich heine und sein Einflusz in der niederländischen Literatur

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Page 1: Heinrich heine und sein Einflusz in der niederländischen Literatur

Kroes - Die Gregorlegende I75

und Treiben schildert, mit Meisterhand behandelt. Bei der Ausarbeitung hat er manchmal ,,nach berfihmten Mustern" gearbeitet; so in der Schilderung der Aussetzung, im Streit des Findlings mit den eigenen Kindern der Pflegeeltern, in der Befreiung der belagerten Dame (viele Entsprechungen in den Artussagen), im Fischwunder und in der Papsterhebung mit den damit zusammenh/ingenden Wunderzfigen.

Hartmann hat das Gedicht in seiner l~lbersetzung bedeutend erwei- tert, sodai3 sein Werk 4000 Verse z/ihlt gegen 2700 der franz6sischen Vorlage. Mit Recht weist Ehrismann darauf hin, dab der deutsche Dichter hie und da den religi6s-legendarischen Charakter verst/irkt hat; in dem Rat des Vasallen zur BuBe der Ffirsten (599 ff.); in der Reue und Bekehrung des Fischers (3305 ff. ) und in dem Bild des idealen Papstes (3793 ff.); auch darin, dab er den Seelenschmerz der Mutter fibergeht, die ihr Kind den Wellen preisgibt und die Gedanken auf die harte Pflicht der BuBe lenkt (783). Durch den franz6sischen Gregoriusdichter und durch Hartmann von Aue ist der Gregoriusstoff ein Besitz der Weltliteratur geworden; Thomas Manns Roman ,,Der Erw/ihlte" hat der alten Fabel in j/ingster Zeit eine moderne Gestalt gegeben.

Den Haag. H. w. j . KROES.

H E I N R I C H H E I N E U N D S E I N E I N F L U S Z I N D E R

N I E D E R L J ~ N D I S C H E N L I T E R A T U R .

( R a n d b e m e r k u n g e n fiber e inen ' H y p e r a m b i v a l e n t e n ' ) .

Ja, wenn die weitklaffende Todeswunde meines Herzens sprechen k6nnte, so spr~tche sie: 'Ich lache'.

(Brief an Straube, Frfihling i82i).

Die Literatur fiber Heine, in seiner Heimat und im Ausland, ist allm/ihlich unfibersehbar geworden. Und dennoch, wenn wir von ge- wissen Seiten seines Wesens, den reinen Tatsachen absehen, gab es bis vor kurzem kein einziges Werk, das ihm v611ig gerecht wurde. Es ist, als ob die problematische Existenz dieses vielleicht subjektivsten und eigenwilligsten unter den deutschen Klassikern (denn zum Klas- siker, zur historisch weit hinter uns liegenden Gestalt ist er trotz vieler uns manchmal noch so modern berfihrenden Einzelheiten nun doch endlich geworden), sogar auf den objektivsten, nach reiner Wissen- schaft Strebenden irgendwie abfarbt, seinen Blick irgendwie und irgend- wo trfibt und ihn zu Anwandlungen von extremster Subjektivit/it ver- ffihrt, die das Heinebild nach irgendeiner Seite hin verzerren.

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176 P o l a k - H e i n r i c h He i ne und d ie n i e d e r l i l n d i s c h e L i t e r a t u r

Max Brod, obgleich kein zfinftiger Philologe 1, kam in seinem H e i n r i c h H e i n e (Amsterdam I934) dem wahren Heinebild noch am n/ichsten. Selber ein sich zum Nationaljudentum bekennender deut- scher Dichter (er lebt jetzt in Israel) war er mehr als irgendeiner be- f/ihigt das ideale Heinebild zu entwerfen: aus dem Erlebnis eigener 'Doppelnationalit/it' sch6pft er das Verm6gen und die Einfiihlungs- f/ihigkeit, diesen d e u t s c h e n Dichter als solchen zu betrachten und aber hier schleicht sich nun dennoch die gef/ihrliche Subjektivit/it mit ein: ihn trotzdem an e r s t e r S te l l e ffir das Nationaljudentum in Anspruch zu nehmen; in dem fiir seine Einstellung wichtigsten Ab- schnitt (a.a.O. 302 ff.) pr/igte er ffir Heines Zweiseitigkeit die gliick- liche Formel ' R a n d e r s c h e i n u n g ' 3. Ich bin aber allm/ihlich zu der 121berzeugung gelangt, dab dasjenige, was 'j~disch' an diesem Dichter ist, nur dasjenige ist, was allen als Juden Geborenen nach Ablegung einiger in den Ghetti der Diaspora erworbenen rein /iuBerlichen, durchaus sekund/iren Eigentfimlichkeiten als manchmal un- oder schwer- verdaulicher 'Res t ' geblieben ist; es gibt aber auch F/ille, wo sogar dieser j~dische Rest nach einigen Generationen der 'Freiheit', bei gr6gerer Anpassungsf/ihigkeit und unter glficklichen VerMltnissen sogar viel frfiher, verschwindet. Juden haben im allgemeinen st/irker als andere 'V61ker' die Neigung, von jeder Seite die Kehrseite, von jeder Aktion die Reaktion, von jeder These z u g l e i c h die Antithese zu sehen oder wenigstens zu ahnen 3. Man k6nnte diese Neigung auf die Formel ' U b e r s p i t z u n g de r A m b i v a l e n z ' bringen, 121berspitzung jener allgemeinmenschlichen, namentlich in der Tiefenpsychologie eine so groBe Rolle spielenden Ambivalenz. An dieser 121berspitzung ist die tragische Geschichte des jfidischen 'Volkes' schuld, das Schicksal einer historisch eng zusammenh/ingenden Menschengruppe, die Jahrtausende lang unter manchmal ihnen nicht gar zu freundlich gesinnten 'Gast '- v61kern und durch vieltausendj/ihrige Abgeschlossenheit und Inzucht ihr nicht immer beneidenswertes Dasein gefristet hat und woran erst die Emanzipation . . . . in Heines Jugendzeit . . . . v o r f i b e r g e h e n d ein. wenig gerfittelt hat. Judentum - - das Wort ist leider so vieldeutig - - wird hier als 'historische Schicksalgemeinschaft' verstanden; das reli-

I. Die merkwfirdige Betreuung des Werkes seines frfihvollendeten Freundes Franz Kafka beweist das zur Genfige. Als Beispiel erw/ihne ich nut H. Uyttersprots jfingste Entdeckung des mit dem Romanfragment Der ProzeB getriebenen Unfugs: man ver- gleiche U.'s Beschouwingen over Franz Kafka (Sonderabdruck aus De Vlaamse Gids) und Zur Struktur von Kafkas 'Der Proze~', Versuch einer Neuordnung (S~rie Langues Vivantes Nr. 42, Sonderabdruck der belgischen Tijdschrift voor Levende Talen - - Revue des Langues Vivantes; beide Abhandlungen: Brfissel r953).

2. Selber machte der Verf. dieses Aufsatzes I923 einen/ihnlichen Fahler in seinem Vortrag fiber Heines VerMltnis zum Judentum (H. H.'s Verhouding tot het Jodendom, Sonderabdruck aus dem Centraalblud voor Isra~lieten, Amsterdam, Van Creveld en Co.).

3. Der Fanatismus mancher Juden befindet sich damit nicht im Widerspruch. Die Extreme berfihren sich immer, die Fanatiker aller V61ker bringen antithetische Stimmen im Innern gewaltsam zum Schweigen.

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gi6se Element ist manchmal verschwindend gering, sodaB der ~ber- tritt zum Christentum, ob mit oder ohne religi6se 13berzeugung (letz- teres war leider trotz Pastor Grimms naiver Tagebuchnotizen 1 Heines Fall) am allgemeinen jfidischen Schicksal nichts oder nut sehr wenig /indert 2 und so wird, bis vielleicht einmal vom Staat Israel her eine R~ickwirkung auf die Diaspora ausgeht, auch diese l~berspitzung der Ambivalenz ein Teil des j~dischen Schicksals bleiben 3.

Bei Heine tritt nun diese hochgradige Ambivalenz deshalb so grell in die Erscheinung, weil er eine feinnervige; wohl mehr oder weniger ins Pathologische hinfiberspielende K~nstlernatur war. Dazu ein ganz vonder Stimmung des Augenblicks beherrschter, schnell begeisterter, impulsiver Mensch, der manchmal im n/ichsten Moment zwangsl~ufig vergessen muBte, was er noch im vorigen empfand. Immer wahr und ehrlich, sogar im Widerspruch seiner Aussagen, ein ewiges Argernis also aller derjenigen, die sich 'lest', 'gradlinig', 'fiberzeugungstreu' . . . . w/ihnen. Ja, der Stimmungswechsel findet sich bekanntlich manchmal in demselben Gedicht, worin Romantisches, Ideales sich fast sogleich wieder aufkl~rerisch und skeptisch aufhebt, ein .~rgernis aller 'Har- monischen' oder (da es leider solche G1/icklichen kaum gibt) would- be-Harmonischen. Ein Verehrer und Verspotter des 'J/Jdischen' (nun in der ganzen Vieldeutigkeit des Wortes), d e u t s c h e r manchmal als seine 'rassenreinsten' deutschen Zeitgenossen und doch auch . . . . 'le plus spirituel des Frangais apr~s Voltaire', skeptischer Idealist und idealistischer Skeptiker, begeistert f~ir die dichterischen Seiten der vielen wechselnden historischen Ereignisse und Str6mungen, die er erlebte, ein Monarchist aus Oberzeugung, der aber die Auswfichse der franz6- sischen 'Stfitzen von Thron und Altar' bek~impfte, der Bezieher eines franz6sischen Jahresgehalts einer Regierung, die er trotzdem in ihren haBlichen Auswfichsen bek/impfte, ein Revolution/ir, der den sch6nen s humanen, t h e o r e t i s c h e n Zielen seiner revolution~iren Freunde mit seiner immer schnell aufflammenden Begeisterung zu- jubelte, dem es aber bald d a r a u f - und in der 'Matratzengruft' durch- aus - - bange urns Herz wurde, wenn er sich, weitsichtig, der Kon- sequenzen ihrer politischen Prax i s f~r die Zukunft, als . . . . aristo- kratisch f~hlender Kfinstler bewuBt wurde, so dab er dann fast in

x. Friedrich Hirt, Heinrich Heine, Bausteine zu einer Biographie, Mainz [I95o]. Das Buch bietet manch h6chstinteressantes neues Quellenmaterial, ist jedoch in seinen Schlul3folgerungen ganz unzuverl~ssig und tendenzi6s.

2. Frarm Werfel, vielleicht der christlichste unter den j/idisch-deutschen Dichtern groBen Formats, Verfasser des gerade von katholischer Seite so hochgescl~tzten Buches Das Lied yon Bernadette, hat f~r sich die Taufe, freilich aus sehr eigenwilligen Gr/inden, worin er in Zwischen Oben und Unten (Stockholm I946) Rechenschaft gibt [man vergl, ntl. S. 29o], abgelehnt.

3. Ich ~bergehe hier bewuBt den nur an unsern 'lauwe westerstranden' (wie unser niederl~ndischer Dichter Da Costa sagen w/Jrde) auffallenden Oberschwang in Klei- dung, Geb~den und Ausdrucksweise in Wort und Schrift, die wit mit vielen Be- wohnern des Ostens und S/idens teilen.

IZ Vol. ~18

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den . . . . Konservatismus zu fliehen scheint, ein fortschrittlicher 'ple- bejischer' Liberaler, der sich wohl ffihlte unter manchmal recht kon- servativen Adligen, die er aber doch prinzipiell, zusammen mit dem ihm prinzipiell noch mehr verhaBten Klerus bekimpfen muBte, ein 'blasphemisch-Religi6ser' bis in die Todesstunde, ein 'Feind aller positiven Religionen', deren poetische Seiten er aber als zartnerviger feinffihlender Dichter begeistert verherrlichen muBte, ein Sch6pfer der bissigsten und zugleich sch6nsten 'Zeitgedichte' , aber zugleich ein Bek/impfer und Verspotter derselben, nur einseitiger und philistr6ser gehandhabten literarischen Gattung bei seinen eigenen . . . . Gesinnungs- genossen, ein 'Nazarener' und 'Hellene' in einem, wobei manchmal das K6rperliche und seelische Wohlsein die jeweilige Akzentuierung einer dieser Gegens/itze bedingte, usw., usw. Man k6nnte noch Seiten- lang die Extreme h/iufen, die Tatsachen sind aber so allbekannt, dab man kaum mehr darfiber zu schreiben wagt 1.

Mit Rficksicht auf die vielen Fehlurteile stelle man aber die nicht ganz rhetorische Frage: Wer f/inde sich hier zurecht ohne nicht irgendwo und irgendwie anzustoBen, wer verffigte fiber das Einffihlungs- verm6gen, 'sine ira et studio' fiber diesen h6chstgradigen Ambivalenten ein sachliches objektives Urteil zu f/illen (ja kein Werturteil, denn da stfirzte man wieder ins Subjektive hinab !), Wesentliches vom Nur- Momentanen, Zeitbedingtes vom Ewigen zu trennen, feste Kerne aus dieser unruhig aufound abwogenden Masse herauszufinden und so ein 'wahres' Heinebild zu entwerfen?

Es ist dies endlich gelungen, soweit zeit- und menschgebundene Arbeit je gelingen kann. Vor uns liegt das von der Koninkl i jke Vlaamse

Akademie voor Taal - en Let terkunde (Reeks VI, Nr. 7 2) preisgekr6nte dickleibige Buch des Genter Germanisten und Literarhistorikers Prof . Dr. H e r m a n U y t t e r s p r o t , Heinrich Heine en zi jn Invloed in de

Nederlandse Let terkunde (Oudenaerde 1953, 528 Ss.), das der AnlaB zu diesem Aufsatz geworden ist. Man muB selber ein fiberzart ein- f~hlungsfahiges Nervensystem besitzen und dazu fiber ein profundes Wissen um fast jede Zeile yon und fiber Heine verffigen, um das erste streng wissenschaftliche und objektive Buch fiber diesen Hyper- subjektiven und Hyperambivalenten schreiben zu k6nnen. DaB der Verfasser selber eine 'Randerscheinung' zwischen Kfinstlertum und Philologentum ist, dem es gerade am wohlsten wird, wenn er sich in

i. 'Zerr i s senhe i t ' ist daffir ein viel zu schwacher Ausdruck, der fiberdies den psychologischen Hintergrund unberficksichtigt laBt. - - Ich m6chte noch aus eigen- ster Erfahrung ein Beispiel hinzuf~igen. Im Gegensatz zu Elsters Charakterisierung des Buch Legrand in seiner siebenb~ndigen Ausgabe als 'ein Tohuwabohu von bunten Einffillen' suchte ich in meinem Artikel im Neophilologus VII, 26o ft. zu beweisen, dab H. kaum je ein Werk geschrieben habe, das eine so groBe Einheit bilde wie dieser angebliche Mischmasch und ~rgerte reich I924 ein wenig, daB Elster in seiner vierb~ndigen Ausgabe ohne Nennung meines Namens meine These ~bernahm. Jetzt weiB ich aber, daB sich eben bei Heine beide Aussagen nicht ausschlieBen, dab sie im Gegenteil sich nur . . . . erg~nzen[

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Vieldeutiges, Problematisches hineinlesen und hineinleben und dann auch hineinleuchtend uns belehren daft, beweisen seine Studien fiber Heinrich von Kleist, Rilke und Kafka i. In einer dichterisch geho- benen, durch manche uns Nordniederl/ inder so wohltuend berfihrende 'Flamismen' belebten Sprache (die leider wohl auch einmal yon merk- wfirdigen Germanismen entstellt wurde, die man aber dem sich so t ier ins deutsche Geistesleben Versenkenden gern verzeiht 3), gibt er uns mi t Ausschlug des Biographischen im engern Sinne 8 nicht nur das erste vollst/indig fiberzeugende objektive Heinebild, sondern auch einen 121berblick fiber die Heinekritik bis auf unsere Tage, ffir Deutsch- land selbstverst/indlich nur in kleiner Auswahl (denn welchen Zweck h/itte es, den Wahns inn aller jener Bornierten und tendenzi6s Ver- zerrenden zu wiederholen . . . . 'nicht gedacht soll ihrer werden' m6chte man mit einer kleinen Variation dem Dichter nachsprechen); ffir Hol land und Belgien wird die Heinekrit ik aber nahezu vollst/indig gemustert. Der historische, sowohl politische wie soziale und kulturelle Hintergrund wird fiberall vortrefflich und beim UbermaB des Stoffes mit erstaunlicher Vollst/indigkeit behandelt und geh6rt zu den a u g schluBreichsten Partien des Buches; das meiste findet man im 8. Kap. des I. Teils. DaB H. in einer Zeit heftigster G/irung geboren wurde, wuBten wir alle, w ie fiberzerrissen die VerMltnisse in der lSlber- gangszeit, die H. erlebte, sowohl in Deutschland wie in Frankreich aber waren, wird uns erst in U. ' s Darstel lung v611ig bewuBt! Es war auch ein guter Gedanke, im II. Teil, der den Untert i tel een compara-

tistische studie tr/igt, die Einflfisse in Holland und Belgien scharf zu trennen; die historischen, sozialen und kulturellen Verh/iltnisse, die ich auch hier im engsten Raum nie so sch6n kontrastierend gefunden habe, waren in beiden L~indern so verschieden, dab auch die W i r k u n g H. ' s ganz verschiedene Wege zu gehen hatte: in F landern hat z.B. die 'Flaminganterie ' , die antifranz6sische und folglich zeitweilig pro- deutsche Haltung zeitweilig den Blick auf das wahre Heinebild ge- trfibt, in Holland der EinfluB der offiziellen Calvinistischen Orthodoxie, manche Hypokrisie und anderes, woffir der selbstkritische Holl/ inder

L H. v. Kleist, Inauguraldissertation, Brfigge 1947 (609 Ss.), H. v. Kleist, Proeve van een Synthese (Revue des Langues Vivantes, t946), eine statt|iche Reihe yon Auf- s/itzen fiber Heine, Rilke und Kafka, (mit manehen wunderbaren Interpretationen schwerdeutiger Stellen und Gedichte, die in sch6ner ad/iquater Sprache mit grol3er philologischer Akribie zugleich alles Geschichtliche und Lokale mitverarbeiten), in dieser belgischen Revue d. L. V. und andern belgischen Zss. (Dietse Warande en Belfort, Vlaamse Gids; von manchen gibt es auch Sonderabdrucke), im Album Baur und den Ver6ffentlichungen der Kkl. Vl. Akademie.

2. Auch in den Zitaten kommen einige kleine Entgleisungen vor, ein Goethe- Wort wird dem Sinne nach richtig, dem Wortlaut nach falsch zitiert, es fehlt stellen- weise an einem konsequenten System in der Anffihrung von Eigennamen, usw., aber das wird nur den Pedanten unter den Philologen Herzensstiche bereiten.

3. Trotzdem werden uns noch manche biographische Einzelheiten geboten: die groBe Rolle, die in U.'s Darstellung die Briefe und Gespr~iche spielen, ffihrte yon selbst dazu.

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I8o P o l a k - H e i n r i c h H e i n e und die n i e d e r l a ' n d i s c h e L i t e r a t u r

den Ausdruck ' H o l l a n d op zi jn s m a l s t ' gepr~igt hat. Mit ein wenig Nationalstolz wird aber derselbe Holl/inder den Nachweis begrfiBen, dab innerhalb s e i n e r Grenzen im Laufe der Zeiten alles Wesent- liche fiber das Heinebild bereits entdeckt wurde, leider fiberall mit Fehlerhaftem vermischt, so dab das richtige Ganze, die wahre P s y c h o ~ g r a p h i e Heines (aber glficklicherweise ohne den zunftmN3igen Jargon der Psychologen) herzustellen, dem Genter Gelehrten vorbehalten blieb. Die Wirkung von Heines W e l t a n s c h . a u u n g auf Holland war un- geheuer: kein deutscher Dichter hat jemals einen so groBen EinfluB auf unser Geistesleben gehabt, was man je nach seiner eigenen Wett- anschauung als Segen oder Fluch betrachten mag und tats/ichlich auch betrachtet hat. Der EinfluB wirkte schon sehr frfih, sogar in Zeiten und Kreisen wo man fiber ihn schwieg; fiber diese 'conspiration du silence' in Holland in der Generation von Da Costa wird S. 298 ft. Beher- zigungswertes gesagt, womit man das ganz anders geartete Pendant in Flandern, S. 450 ft. vergleichen mag. U. benutzt hier dankbar, aber immer mit scharf kritischem Blick, korrigierend und erg/inzend, die wichtigen Vorarbeiten von Mooren, Kieft und andern 1. Hier auf Einzelheiten einzugehen, ware unm6glich: man brauchte dazu mehr Raum als irgendwelche philologische Zeitschrift je zur Verffigung stellen k6nnte. Die Anffihrungen der vielen dichterischen lSIbersetzungen und Nachahmungen in Holland und Belgien sind die einzigen mehr oder wenig ermfidenden und langweiligen Partien des Buches, das sich sonst liest wie ein fesselnder Roman; an diesen weniger fesselnden Partien ist aber nur die Minderwertigkeit der Erzeugnisse der Mehr- zahl dieser Autoren schuld, die sich an Unfibersetzbarem und Un- nachahmbarem trotzdem die Z/ihne zerbeiBen wollten; nur stellen- weise leuchtet auch hier ein Goldschimmer im dfirren Wfistensand. Man lese abet das Buch ja nicht als fesselnden Roman, denn es hat sich mir herausgestellt, dab sogar die vielen in den FuBnoten gege- benen Belegstellen, Hinweise und Erg/inzungen einen ja nicht zu fiber- sehenden, wesentlichen Teil dieser Untersuchungen bilden, die das Werk erst zur unersch6pflichen Fundgrube ffir jeden Heineforscher machen. Nichts wird vertuscht oder auch nur gegl/ittet, sodaB auch Heine-Gegner bier alles finden, was ihr HaBbedfirfnis befriedigen k6nnte 2

I. Beispielweise ffihre ich hier nur an die Kritik auf Moorens Beurteilung von Heine-Einfl/issen in den niederl~ndischen Studentenalmanachen (Uyttersprot, S. 296 f.). Die Wegbereiter waren hier: namentlich R. Mooren, H. Heines Wirkung in Holland (Bonner Dissertation), Krefeld x93o und P. Kieft, H. Heine in westeuropliischer Be- urteilung. Seine Kritiker in Frankreich, England und Holland, Zutphen I938. (Weiteres in U.s Bibliografie S. 3).

2. Unverst/indlich sind mir die WidersprOche zwischen dem Fla'mischen Akademie- Bericht, in dem U. s Arbeit zur Kr6nung vorgetragen wurde und der ausffihrlichen begleitenden stark polemischen Kritik (vgl. U.s Heinebuch S. XV, FuBnote): es wird dem Verf. dort n/imlich manches vorgeworfen, was gar nicht oder ganz anders in seiner Arbeit steht und polemisiert gegen Ansichten, die dem Referenten und dem Verf.

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Polak - Heinrich Heine und die niederliindische L i t e ra tur I8I

Der f/Jr die Heineforschung auBerhalb der beiden Niederlande wich- tigste Teil ist selbstverst/indlich der erste, mit dem Untertitel: e e n

psychografische Studie (S. 1--277). Nach einem fiber die Methode des Verf. Rechenschaft gebenden, sehr instruktiven Vorwort (S. VII- -XVI) und einer aus Goedeke und K6rner zu erg/inzenden unvollst/indigen, aber sehr reichhaltigen Bibliographie (S. I - -8) werden in x I Kapiteln ix konzentrische Kreise gezogen. Kap. I (Portret) behandelt, vom K6rperlichen zum Geistigen fortschreitend, das 'Heinebild' nut in allgemeinen Z/jgen, aber, obgleich auch hier mit ausf/jhrlichen Zitaten (sie finden sich im ganzen Buch und machen es auch deshalb so fesselnd) und Hinweisen die Ausf/jhrungen belegt werden, so wird f/jr denjenigen, der Heine nicht kennt, noch manche Frage often, noch manche Lebensphase ungekl/irt bleiben. Jedes neue Kapitel f/jgt nun diesem das Ganze umschlieBenden Ring neue konzentrische Kreise hi nzu. Wiederholungen waren bei diesem Verfahren nicht zu ver- meiden, aber, wie in einer Brucknersymphonie, erscheint das bereits angestimmte Motiv durch erneute Verwendung inn neuen Zusammen- hang wieder in einer zu tieferem Verst/indnis f/jhrenden tieferen Be- deutung. Ich lasse die lSlberschriften der weitern Kapitel folgen und f/jge nur dort einige kurze Bemerkungen hinzu, wo der Titel nicht f/jr sich selbst spricht, nut das 4. Kap. hebe ich f/Jr eine SchluB- bemerkung auf, weil ich dort oben bereits Angedeutetes abrunden m6chte.

Kap. 2: Ontwikkeling behandelt den allgemeinen Bildungsgang, 3: Lazarus selbstverst/indlich den tragischen AbschluB dieses Lebens und Wirkens. Es ist dies eins der ergreifendsten Kapitel: welch ein groBer Erlebnis- und Bekenntnisdichter muB ein Mensch sein, der die f/jrchter.lichen Qualen der 'Matratzengruft' zu solchen hohen Kunstwerken umzuschaffen weiB, wie H. es vermochte, der damals sein Bestes schrieb oder, fast ganz gelahmt, diktierte und welche ge- waltigen Energien lagen hier aufgespeichert, dab dieser Ambivalente im Zusammenbruch . . . . n i ch t zusammenbrach. Es wird immer zu den peinlichsten Erfahrungen eines Heineforschers geh6ren, dab wenigstens von dieser Seite her, unser Dichter nicht mehr Verst/indnis bei den Angeh6rigen seiner eigenen Heimat gefunden hat; h/itte man von dieser Seite her ein 'menschlicheres' Verh/iltnis zu ihm gewonnen, so w/jrde der Respekt sich leicht ausgedehnt haben auf die unglaub- liche Intelligenz, die den in die Politik verirrten Dichter instand setzte, sogar auf Gebieten, wo er nur ganz oberfl/ichlich Bescheid wul3te, wie z.B. in der Philosophie, der Literatur- und Kirchengeschichte, For- mulierungen zu pr/igen, die manchmal (manchmal selbstverst/indlich

gemeinsam sind, w/ihrend manche Zitate entweder aus dem Zusammenhang heraus- gerissen oder mangelhaft wiedergegeben werden. Zuf.511igerweise war ich in der Lage, das Urmanuskript mit dem Bericht zu vergleichen und kann deshalb bezeugen, dab yon alledem nichts for die Drucklegung ge/indert wurde.

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I82 Polak - Heinrich Heine und die niederldndische Literatur

auch nicht) klarer und sch/irfer waren als besser Unterrichtete pr/igen konnten. Man nenne diesen Popularisator denn auch besser nicht (dies auch gegen U.) Vulgarisator, ja, im Zusammenhang mit seinen rich- tigen Vorahnungen sp~iterer historischer Entwicklungen, wegen seiner Vorwegnahme von Ideen Nietzsches, Dostojewskis, Berdjaiews und vieler anderen (worauf U. passim hinweist) verliert auch das Wort 'Journalismus', wenn es auf H. angewandt wird, die geringscMtzige Nebenbedeutung, die es so oft im Munde strenger Wissenschaftler hat.

Kap. 4: H. en het Jodendom (s. unten), 5 H. en het Christendom, 6 Inkeer (Einkehr, H. 's vergeblicher Kampf im Antlitz des Todes um eine endgfiltige Weltanschauung, seine Zweifel, seine Verzweif- lung; er bleibt ein 'UnerlSster', der auf Erden die Antwort auf sein Gedicht Fragen nie gehSrt hat, so dab man bei seinem Tode nur befreiend aufseufzen konnte mit den Worten aus seiner K6nigin Pomare:

Gott sei Dank, du hast geendet, Gott sei Dank und du bist tot.

Kap. 7: H. en het Saint-Simonisme. Hier wird der Leser vielleicht einiges vermissen, aber nur vorfibergehend, denn er wird bald heraus- gefunden haben, dab eine eingehendere Behandlung den eigentlichen Zweck dieses I. Teils, n~imlich eine Psychographie Heines zu geben, gestSrt h/itte: es handelt sich hier speziell um das Bild des Kfinstlers, wozu der Saintsimonismus nur das Sprungbrett herzugeben hatte.

Kap. 8 : H. en het politieke leven van zijn tijd. Wir wiesen oben schon auf diesen HShepunkt des ganzen Werks: alles Wesentlichste ist hier in bfindigster Form zusammengebracht. Die weitern Titel: 9: De Duitser (l) io: Bemiddelaar (Mittler zwischen Frankreich und Deutsch- land, seine leidenschaftlich erfaBte, leider im Verlauf der Geschichte gescheiterte Mission), I i : Wij en Heine bedfirfen keiner Nihern Er- l~iuterung.

SchlieBlich mSchte ich noch anl~iBlich des 4. Kapitels eine Erg/inzung bieten, wozu der Verf. mich selbst auffordert und angeregt hat, weil er mit Recht (S. 367, Io. - - 7. Zeile von unten) offenherzig eingesteht, dab nur der als Jude Geborene (d. h. der auch mit jfidischem Schicksal und mit jfidischer Empfindungsweise ganz Vertraute) hier das letzte Wort sprechen dfirfte. Trotzdem der Verf. dieses Heinebuchs in diesem Kapitel dem endg/iltigen Verst~indnis viel ngher gekommen ist und viel objektiver ist als seine s~imtlichen jfidischen Beurteiler bis heute, gibt es tats/ichlich einiges, was nur der Jude ganz nachzuempfinden weiB. Nur er versteht z.B. wie seine stark ambivalenten Schicksals- genossen blasphemisch werden kSnnen . . . . aus Religion und manch- mal religiSs bleiben k6nnen, w~ihrend sie . . . . blasphemieren. Die Juden haben eben im Laufe der Jahrtausende soviel Verachtung und Spott von den V61kern erfahren, unter denen sie lebten und haben

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Polak - Heinr ich Heine und die niederl~indische L i t e r a t u r I83

sich diesen V61kern doch in mancher Hinsicht so sehr angeglichen, dab bei gar zu vielen ein Teil ihres Ichs sich unter Umst/inden gegen den andern Teil kehrt: der tieftragische 'jfidische Antisemitismus' oder - - es ist dies zugleich der Titel und bildet den Inhalt des sch6nen, augerhalb jfidischer Kreise wenig bekannten Buches Theodor Les- sings, - - der jiidische SelbsthaJ3 1! Deshalb hat Heines 'Ironie' und Heines 'Humor ' (den man oft besser als 'Witz ' bezeichnen mag) eine doch andere F/irbung als was man bei andern 'Romantische Ironie' und 'Witz ' oder 'Humor ' nennt 2. Selbst sein bestes und wohl letztes Bonmot 'Dieu me pardonnera, c'est son m~tier' hat z.B. ffir jfidisches Empfinden einen eher religi6sen als blasphemischen Akzent. Es ist schade, dal3 Prof. Uyttersprot diesem Heineschen Humor nicht auch noch ein Kapitel gewidmet hat; es ist dies das einzige Fazett an seinem Heinebild, das nicht so recht hervortritt: auch hier wfirde die Hyper- ambivalenz Heines eine sch6ne Best/itigung gefunden haben. Seien wir aber dem belgischen Gelehrten dankbar f/Jr dieses erste o b j e k t i v e Heinebuch und wagen wir schlieglich noch, die Vermutung auszu- sprechen, dab er mit vielem andern, was oben bereits erw/ihnt wurde, die Bef'~higung, ein solches Buch schreiben zu k6nnen auch dem Um- stande m i t verdankt, dab er als Belgier aus Erfahrung weiB, was es heiBt, 'zwischen den Nationen' zu stehen.

' s -Gravenhage. L~oN POLAK.

SOME NOTES ON G R E G O R I O L E T I A N D HIS

" V I T A DI E L I S A B E T T A " .

Elizabeth Tudor, queen of England during one of the most important and interesting periods of its history, has been the subject of innumer- able studies. Among these studies there are excellent biographies of great historians, and it would seem wrong to call the reader's attention to this rather indifferent work of the Italian writer, if it were not for one or two remarkable facts about this Life of Elizabeth. One of the curious things about it is that the book was one of the first biographies of Elizabeth that were ever written 3. It may seem

I. Berlin, Jfidischer Verlag I93o (257 S.). 2. Es gibt fiber Heines 'Witz' eine kuriose, recht erg6tzliche Monographie von

Erich Eckertz, H. H. und sein Wi tz (Berlin I9O8, I96 Ss.) und ein kleines Bfichlein Georg Eliots, von dem mir nur eine amerikanische Volksausgabe bekannt ist: The wit of H. H. (Ten cent Pocket Series No. 216, Girard, Kansas o.J., K1. 8 ~ , 6o Ss.).

3. According to the Dictionary of National Biography it was the very first. However Camden's historical work "Annales rerum Anglicarum et Hibernicarum regnante Elizabetha" the two volumes of which were issued in ~589 and 1625 respectively may be safely regarded as a biography, of the queen. Let1 says to have written hm book with Camden's work lying open before him: ". . . ma questo posso dire, che mentre scrivevo la vita di Elisabetta havevo sempre innanzi gli occhi aperto il Libro del'Historia di questa Regina scritta dal Camden." (Gregorio Leti: Vita di Elisabetta, Amsterdam I692, vol. II, p. 58I).