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Alan Noble Robert Johnson Alan Thomas Paul Bass ORGANSYSTEME VERSTEHEN Integrative Grundlagen und Fälle Herz-Kreislauf-System

Herz-Kreislauf-System - shop.elsevier.de · Jedes Organsystem wird detailliert erklärt, von der funktionellen Anatomie über die Physiologie und Biochemie bis zur Pathophysiologie

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Alan Noble Robert Johnson Alan Thomas Paul Bass

ORGANSYSTEME VERSTEHEN

Integrative Grundlagen und Fälle

Herz-Kreislauf-System

2017

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Organsysteme verstehen – die einzigartige Buchreihe erklärt Medizinstudenten in der Vorklinik die Organsysteme umfassend und mit klinischen FällenDen menschlichen Organismus verstehen statt Fächer lernen!

Für alle Studenten, die nicht nur Fächer lernen, sondern lieber wissen wollen, wie der menschliche Organismus funktioniert, ist die neue und einzigartige Buch-Reihe „Organsysteme verstehen“ die beste Wahl:

Jedes Organsystem wird detailliert erklärt, von der funktionellen Anatomie über die Physiologie und Biochemie bis zur Pathophysiologie. Man erkennt Zusammenhänge innerhalb eines Organsystems, da die relevanten Teile aus den einzelnen Grundlagenfächern integriert dargestellt werden. Das mühsame Blättern in mehreren Lehrbüchern entfällt! Ausgewählte Krankheitsbilder und klinische Fälle zeigen die Verknüpfung der Grundlagenfächer mit der Klinik. Zusätzlich enthält das Buch auch Lernziele für jedes Kapitel – ganz in Anlehnung an die neuesten Zielsetzungen zum Kompetenzerwerb des NKLM!

Bestens geeignet für Medizinstudenten in Reformstudiengängen, aber auch für Studenten im klassischen Medizinstudiengang, daneben auch für interessierte Physiotherapeuten und weitere Gesundheitsfachberufe in Bachelor-Studiengängen.

Weitere Bände sind in Arbeit.

Organsysteme verstehen – Herz-Kreislauf-SystemNoble, A. / Johnson, R. / Thomas, A. / Bass, P.2017. 200 S., 117 farb. Abb., kt.ISBN 978-3-437-42984-2 Ca. € [D] 29,99 / € [A] 30,90

Erscheint: 07/2017Interessenten: Medizinstudenten (Reformstudiengänge, klass. Studiengang)STO: Kurzlehrbuch

MEDIZINSTUDIUM

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Organsysteme verstehen – VerdauungssytemSmith, M. / Morton, D.2017. 200 S., 157 farb. Abb., kt.ISBN 978-3-437-42994-1 Ca. € [D] 29,99 / € [A] 30,90

Erscheint: 07/2017Interessenten: Medizinstudenten (Reformstudiengänge, klass. Studiengang)STO: Kurzlehrbuch

Organsysteme verstehen – NiereField, M. / Pollock, C. / Harris, D.2017. 172 S., 101 farb. Abb., kt.ISBN 978-3-437-42974-3 Ca. € [D] 29,99 / € [A] 30,90

Erscheint: 07/2017Interessenten: Medizinstudenten (Reformstudiengänge, klass. Studiengang)STO: Kurzlehrbuch

Organsysteme verstehen – AtmungssytemDavies, A. / Moores, C.2017. 182 S., 143 farb. Abb., kt.ISBN 978-3-437-41257-8 Ca. € [D] 29,99 / € [A] 30,90

Erscheint: 07/2017Interessenten: Medizinstudenten (Reformstudiengänge, klass. Studiengang)STO: Kurzlehrbuch

MEDIZINSTUDIUM

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KAPITEL

22.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.2 Die oberen Atemwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.2.1 Mund und Nase – Rhinitis, Erkältung und

obstruktives Schlafapnoesyndrom . . . . . . . . . . . . . . 122.2.2 Larynx und Intubation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.2.3 Bronchoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.3 Die unteren Atemwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3.1 Histologie der Atemwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.3.2 Bronchitis und der Reid-Index . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.3.3 Die respiratorische Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.4 Blutgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.5 Pulmonale Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.6 Lymphgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.7 Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.8 Makroskopischer Aufbau des Atmungssystems 20

2.9 Pleuritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.10 Zwerchfell und Thoraxwand . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.11 Wie die Atmung zustande kommt . . . . . . . . . . . 22

2.12 Embryologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2.13 Aufbereitung der Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.13.1 Wärme und Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.13.2 Partikel und Dämpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

2.14 Metabolische Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2.15 Metabolismus von zirkulierenden biologisch aktiven Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2.16 Nichtrespiratorische Funktionen . . . . . . . . . . . . 282.16.1 Filtration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.16.2 Blutfl uidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.16.3 Blutvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.16.4 Abkühlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.16.5 Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Funktioneller Aufbau des respiratorischen Systems

Lernziele des Kapitels Nachdem Sie sich mit diesem Kapitel befasst haben, sollten Sie Folgendes können:

1. Die Strukturen der oberen Atemwege beschreiben, die dazubeitragen, das Atmungssystem vor Umwelteinflüssen zuschützen, die zu Lungenerkrankungen führen können

2. Zwischen der Struktur der konduktiven und respiratorischenAtemwege unterscheiden und den Zusammenhang zwischendiesen Strukturen und der Ätiologie der restriktiven und derobstruktiven Lungenerkrankungen erkennen

3. Die Struktur des Bronchialbaums und die krankheitsbeding-ten Veränderungen erläutern

4. Die Histologie der Lungenregionen beschreiben und den Be-zug zur Funktion und zu pathologischen Veränderungen her-stellen

5. Die besonderen Merkmale des Lungenkreislaufs und die pul-monale Hypertonie erklären

6. Die aff erente und die eff erente Innervation der Lunge be-schreiben

7. Den groben Aufb au des Th orax und der Th oraxorgane be-schreiben und erläutern, wie sie die Atmung ermöglichenund wie die Atmung durch einen Pneumothorax beeinträch-tigt wird

8. Die embryologische Herkunft des Atmungssystems und mög-liche Fehlbildungen erklären

9. Die metabolischen und die nichtrespiratorischen Funktionendes Atmungssystems aufzählen

+41257_Davies.indb 11 06.04.2017 08:58:56

14 2 Funktioneller Aufbau des respiratorischen Systems

2

2.2.2 Larynx und Intubation

Eine häufi ge Ursache für eine Atemwegsobstruktion ist die Aspira-tion von Nahrung in die Trachea. Um dies während des Schluckvor-gangs zu verhindern, wird der Larynx, eine kastenförmige Struktur am oberen Ende der Trachea, normalerweise von dort ansetzenden

Muskeln angehoben (Richtung Kopf bewegt) und die Epiglottis legt sich nach hinten und bildet einen sehr eff ektiven Verschluss, wie eine „Falltür“ über dem Larynxeingang. Da sich diese „Falltür“ nur nach außen öffnen kann, wird der Verschluss der Epiglottis auf dem Larynx durch zunehmenden Druck im Pharynx nur noch dichter; dieser Verschluss kann erheblichen einwärts gerichteten Drücken von bis zu 100 kPa Stand halten.

Wenn dieses System, mit dem das Eintreten von festen Stoff en in die Atemwege verhindert werden soll, versagt, wird durch Nerven im Endothel von Larynx und Trachea ein sehr starker Hustenreflex ausgelöst.

Der Larynx (›Abb. 2.2) ist ein recht komplizierter Apparat, der aus Knorpelplatten besteht. Er kann verschlossen werden, indem die Muskeln der Stimmlippen sich wie zwei Vorhänge über dem Lumen des Larynx zuziehen. Wie wirkungsvoll ein Hustenstoß ist, hängt vom Verschließen und raschen Öffnen dieser „Vorhänge“ ab, die unter weniger extremen Umständen gebraucht werden, um die Töne der Sprache zu erzeugen und zu modifizieren. Die Stimmlip-pen können sich so stark zusammenziehen, dass sie luftdicht ab-schließen und auch den größten Atemanstrengungen Stand halten, die ein Mensch unternehmen kann. Dies ist natürlich nicht gut und kann unbeabsichtigt auftreten, wenn versucht wird, einen Endotra-

CA

B 15 cmD

Abb. 2.3 Bronchoskope. Dargestellt sind sowohl fl exible, fi beroptische (A und C) als auch starre Bronchoskope (B und D). Die weitaus meisten Untersuchungen werden heute mit fl exiblen Bronchoskopen durchgeführt. Beim Einführen eines starren Bronchoskops muss der Kopf des Patienten wie in der Abbildung angehoben und gedreht werden.

Epiglottis

Plica vocalis

Plica vestibularis

Plica aryepiglottica

Cartilagocuneiformis

Cartilagocorniculata

Abb. 2.2 Die Stimmlippen, wie sie sich beim Intubieren darstellen

+41257_Davies.indb 14 06.04.2017 08:58:56

12 2 Funktioneller Aufbau des respiratorischen Systems

2

2.1 Einleitung

So, wie jeder Teil des respiratorischen Systems seine besondere Funk-tion besitzt, weist jeder Teil auch seine besonderen pathologischen Veränderungen auf. Die respiratorischen Strukturen werden durchErkrankungen beeinträchtigt und der oft wiederholte Lehrspruch „Struktur bedingt Funktion“ ist nie zutreff ender als in Bezug auf Ge-sundheit und Krankheit beim respiratorischen System. Die Kenntnis des Aufb aus erleichtert das Verständnis der Funktion erheblich.

Zuerst werden die Atemwege der Lunge beschrieben und an-schließend die Gewebe, von denen die Atemwege umgeben sind.

2.2 Die oberen Atemwege

Der Hals ist der Teil zwischen dem Gesicht und dem Rumpf. Der Vor-derteil besteht aus Knorpel und ermöglicht Sprache und Atmung; er wird Luftröhre genannt.Aristoteles, Historia animalium. 4. Jahrhundert v. Chr.

Der „Knorpel“, den Aristoteles beschreibt, ist wichtig, um ein Kollabieren der oberen Atemwege zu verhindern, was wiederum für die Lungenfunktion von wesentlicher Bedeutung ist. Obwohl der Gasaustausch der Atmung tief in der Lunge erfolgt, ermögli-chen und bewirken diese als obere Atemwege bezeichneten und au-ßerhalb des Thorax liegenden Bereiche den Prozess und sind kli-nisch derart wichtig, dass sie nicht übergangen werden dürfen.

Die Strukturen der oberen Atemwege sind in einem paramedia-nen Sagittalschnitt von Kopf und Hals deutlich zu erkennen (› Abb. 2.1).

2.2.1 Mund und Nase – Rhinitis, Erkältung und obstruktives Schlafapnoesyndrom

Es ist eher unwahrscheinlich, dass einer der Leser noch nicht erlebt hat, wie unangenehm die mit einer Erkältung verbundene Behinde-rung der Atmung ist. Die größten Beschwerden ergeben sich dabei aus der Entzündung der Nase (Rhinitis ) und in schwereren Fällen der Nasennebenhöhlen. In etwa 50 % der Fälle wird diese Rhinosi-nusitis anfänglich durch Rhinoviren verursacht, in 25 % der Fälle durch Coronaviren und in den übrigen Fällen durch andere Viren. Auf eine vorübergehende Vasokonstriktion der Schleimhaut (s. u.) folgen Vasodilatation, Ödembildung und Schleimproduktion. Bei einer sekundären bakteriellen Infektion wird das Sekret zähflüssig, es enthält neutrophile Granulozyten (Eiter) sowie Bakterien und trägt zu der Atembehinderung bei.

Eine Rhinosinusitis kann auch allergisch bedingt oder idiopathisch sein (d. h. intrinsisch, ohne äußere Ursache). Vermutlich ist die idio-pathische Rhinitis auf ein Ungleichgewicht der Aktivität von sympa-thischen und parasympathischen Nerven, welche die Blutgefäße der Schleimhaut versorgen, zurückzuführen. Bei diesem Rhinitistyp kann eine Behandlung mit Anticholinergika die Symptome oft lindern.

Eine allergische Rhinitis kann als Reaktion auf Allergene wie Pol-len jahreszeitlich begrenzt auftreten. Tritt sie ganzjährig auf, ist

meistens das Allergen Der p1 im Kot der Hausstaubmilbe Dermato-phagoides pteronyssinus die Ursache.

Die Milbe ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen und ernährt sich von abgefallenen Hautschuppen, insbesondere in der Bettwä-sche des Menschen. Das Allergen von diesem Tier ist auch für viele Asthmafälle verantwortlich, die von ihm verursachte Rhinitis ist jedoch ein Beleg für die Filterfunktion der oberen Atemwege, da in diesem Fall das Allergen in der Nase festhalten wird.

Wesentlich unheilvoller und lebensbedrohlicher als die Rhinitis ist allerdings das obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSAS; apnoea = Nichtatmung). Es sollte nicht mit der zentralen Schlafapnoe ver-wechselt werden, bei der die Patienten im Schlaf keine Atemanstren-gungen mehr unternehmen. Beim OSAS werden die Atemversuche

A

Nasen-loch

Harter Gaumen

Nasenmuschel

WeicherGaumen

Zunge

Uvula

Epiglottis

LarynxÖsophagus

B

Abb. 2.1 Paramediane MRT-Aufnahme von Kopf und Hals. Der Mund ist ge-schlossen und die untersuchte Person atmet durch die Nase.

+41257_Davies.indb 12 06.04.2017 08:58:56

Lernziele ganz in Anlehnung an den Nationalen Kompetenz- basierten Lernzielkatalog NKLM.

Zahlreiche Abbildungen, Schemazeichnungen, Röntgen- oder CT-Bilder tragen zur Anschaulichkeit bei.

Funktionelle Anatomie wird mit praktischen klinischen Aspekten verknüpft.

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16 2 Funktioneller Aufbau des respiratorischen Systems

2

Die Trachea ist die erste und längste der etwa 23 Generationen der Atemwege. Die Atemwege jeder Generation entspringen der vo-rangehenden Generation als unregelmäßige, dichotome, sich ver-zweigende Bronchialäste. Dichotom deshalb, weil jeder „Mutter-Atemweg“ der Ursprung von zwei „Töchter-Atemwegen“ ist, und unregelmäßig deshalb, weil die Töchter zwar kleiner sind als die Mutter, aber nicht immer gleich groß. Die Bezeichnungen dieser Generationen sind in ›Abb. 2.4 angegeben. Die Anzahl der Atem-wege (N) in einer Generation (Z) ergibt sich aus folgender Glei-chung (die unpaare Trachea bildet die Generation 0):

N = Z2

Der Eff ekt der dichotomen Verzweigung der einzelnen Atemwe-ge auf die Gesamtquerschnittsfläche (die Summe der Quer-schnittsflächen von allen Atemwegen auf dieser Ebene) ist bemer-kenswert und in ›Abb. 2.5 dargestellt. Wichtig ist, dass die „Ge-samtquerschnittsfl äche“ auf einer logarithmischen Skala gemessen

wird und dieser Wert daher sehr viel stärker zunimmt, als es in der Abbildung scheint.

Die funktionellen Konsequenzen dieser Zunahme sind erheblich, weil dadurch die Geschwindigkeit, mit der die Luft durch die Lunge strömt, stark abnimmt. Dieser Effekt wird in ›Kapitel 5 eingehen-der besprochen. Die Dimensionen von einigen der Atemwege des Bronchialbaums sind in › Tab. 2.1 angegeben.

Wenn man tiefer in die Lunge hineingeht, zeigt es sich, dass die Anzahl der Alveolen in den Generationen der Übergangszone und der respiratorischen Zone immer weiter zunimmt, bis schließlich die Alveolarsäckchen erreicht werden, die vollständig aus Alveolen bestehen. Alveolen sehen nicht so traubenförmig oder ballonartig aus, wie dies in vielen Lehrbüchern dargestellt wird, sondern eher wie pockennarbige Höhlen mit Löchern (Kohn-Poren , K in ›Abb. 2.7C) zwischen vielen benachbarten Alveolen. Auf ihrerOberfläche bewegen sich Makrophagen, die Fremdkörper aufneh-men und verdauen (› Abb. 2.6, › Abb. 2.17).

Es ist ein Beleg für die bemerkenswerte Leistung der Evolution, dass die Abzweigwinkel und die Veränderungen im Durchmesser der Atemwege in der menschlichen Lunge bei einer Analyse von verzweigten Röhrensystemen mittels Computermodellen genau die richtigen Maße haben, um in dem kleinstmöglichen Volumen die größtmögliche Alveolaroberfläche unterzubringen.

Zusammenfassung• Die Atemwege werden unterteilt in die oberhalb und die unter-

halb des Larynx liegenden Atemwege.• Eine wesentliche Funktion der Nase ist die „Aufb ereitung“ der

Luft hinsichtlich Temperatur und Feuchtigkeit.• Der Larynx schützt die unteren Atemwege vor Fremdstoff en.• Die unteren Atemwege können in zunächst konduktive und

dann respiratorische Atemwege unterteilt werden.• Die unteren Atemwege bilden einen Bronchialbaum, der aus 23

Generationen besteht.• Die Anzahl der Atemwege nimmt sehr viel rascher zu, als ihr

Durchmesser abnimmt.• Das bedeutet, dass die Gesamtquerschnittsfl äche sehr schnell

zunimmt.• Dadurch wird die in die Lunge einströmende Luft immer lang-

samer, bis sie fast zum Stillstand kommt.

1 2 10 100 1000 10 000Gesamtquerschnittsfläche (cm2)

Gesamtquerschnitts-fläche 3 cm2

Generation 0 1 Atemweg 2 cm Durch- messer

entlangderAtem-wege

1 cm

Generation 23 3 x 108 Atemwege 0,04 cm Durchmesser

Gesamtquer-schnittsfläche 8 x 105 cm2

Abb. 2.5 Gesamtquerschnittsfläche der Atemwege beim Menschen. Die Ge-samtquerschnittsfl äche ist auf jeder Ebene des Bronchialbaums die Summe der Gesamtquerschnittsfl ächen von allen Atemwegen auf dieser Ebene.

Tab. 2.1 Größenangaben von einigen Atemwegen im menschlichen Tracheobronchialbaum. Wichtig ist die enorme Zunahme von Querschnitt und prozentualem Gesamtvolumen in den letzten Generationen.

Generation Name Durchmesser (cm) Gesamtquerschnitt (cm2) Kumulatives Volumen (%)

Anzahl

0 Trachea 1,80 2,5 1,7 1

10 Kleine Bronchien 0,13 13,0 4,0 103

14 Bronchiolen 0,08 45,0 7,0 104

18 Respiratorische Bronchiolen

0,05 540,0 31,0 3 × 105

24 Alveolen 0,04 8 × 105 100,0 3 × 108

+41257_Davies.indb 16 06.04.2017 08:58:58

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte gibt Überblick und die Sicherheit, das Wichtigste zu lernen.

172.3 Die unteren Atemwege

2

2.3.1 Histologie der Atemwege

Der histologische Wandaufb au der Atemwege verändert sich, je tie-fer man in die Lunge kommt. In ›Abb. 2.7 sind drei „Schnapp-schüsse“ von den Wandstrukturen der Atemwege dargestellt, wobei die Strukturänderungen natürlich schrittweise von Generation zu Generation erfolgen.

Die konduktiven Atemwege bestehen aus drei Schichten, die sich hinsichtlich ihrer Anteile je nach Atemwegstyp voneinander unter-scheiden:• Die innere Schleimhautoberfl äche besteht aus zilientragendem

Epithel, unter dem schleimproduzierende Becherzellen liegen.Die Aktivität der Zilien und die Absonderungen der Becherzel-len bilden den mukoziliären Transport (s. u.: Aufbereitung derLuft), die für die Beseitigung von inhalierten Partikeln aus derLunge wichtig ist.

• An der Außenseite der Schleimhautschicht befi ndet sich eineSchicht glatter Muskulatur, in der die Fasern in kontinuierlichenBündeln liegen. Diese glatte Muskulatur findet sich mit abneh-mender Menge von den größten Atemwegen bis hinunter zuden Alveoleneingängen.

• Die äußerste Schicht besteht aus Bindegewebe, das in den großen Bronchien als zusätzliche Stütze Knorpel enthält. Beim Übergangin die Lunge verlieren die Atemwege als Erstes ihre Knorpelstützeund steigt der Anteil von glatter Muskulatur in der Atemwegs-wand. Dann wandelt sich das zilientragende Epithel zu Plattenepi-thel und schließlich bildet sich die respiratorische Zone der Lunge.

2.3.2 Bronchitis und der Reid-Index

Die Anordnung der in › Abb. 2.7 dargestellten und zuvor beschriebe-nen Bronchialstruktur wird bei einer chronischen Bronchitis so verän-dert, dass eine histopathologische quantitative Diagnose der Erkran-kung ermöglicht wird. Der Reid-Index liefert ein Maß für den Anteil der Bronchialdrüsen an der Gesamtwanddicke (› Abb. 2.8). In einer gesunden Lunge machen die Schleimdrüsen weniger als 40 % der Ge-samtwanddicke aus. Bei einer chronischen Bronchitis wird dieser An-teil durch die Hyperplasie der Drüsen verändert. Ein Merkmal der chronischen Bronchitis ist die steigende Produktion dieser Drüsen.

A

A

A

P1

P1

P1

EE

C1

C2

E3 E2

C2

C2

P2

P1

E

L 5,0 μm

Abb. 2.6 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Alveole.A: Alveole; C1, C2, C3: Kapillaren; E: Endothelzelle; P1: Pneumozyten Typ I; P2: Pneumozyten Typ II; L: Lamellenkörper. (Aus Young und Heath 2000)

Becherzelle

Blutgefäße

Knorpel

GlatteMusku-latur

Schleim

Drüse

Viszerale Pleura

Epithel Lamina propriaA

1 mm

B

GlatteMuskulatur

CAlveole 1

Alveole 2

Erythrozyt

EP

EN10μm

K

Abb. 2.7 Wandaufbau der Atemwege . Die Einteilung der Atemwege hängt von den hier dargestellten Strukturmerkmalen ab. (A) Bronchus; (B) Bronchiole; (C) Alveole. K: Kohn-Poren; EP: Epithelkern; EN: Endothelkern

+41257_Davies.indb 17 06.04.2017 08:58:59

18 2 Funktioneller Aufbau des respiratorischen Systems

2

2.3.3 Die respiratorische Zone

Die Anpassungsfähigkeit der respiratorischen Zonen der Lungen ist beeindruckend. Sie fungieren als respiratorische Oberfläche und sind dabei einer verschmutzten Atmosphäre und einer mechani-schen Belastung durch Dehnung und Entspannung ausgesetzt. Letztere findet aufgrund der Atembewegungen ein Leben lang etwa zwölf Mal pro Minute statt.

Der respiratorischen Oberfl äche aller Tiere ist gemein, dass sie so dünn sein sollte, dass der Abstand zwischen dem äußeren Medium (Luft oder Wasser) und dem Blut möglichst gering ist. In der Lunge zeigt sich das besonders eindrucksvoll. Sie ist der einzige Ort im Körper, an dem Blutkapillaren direkten Kontakt mit der Außenlufthaben. Ermöglicht wird dies durch eine Fusion der Pneumozyten Typ I (die etwa 95 % der Deckschicht der respiratorischen Zone ausmachen; ›Abb. 2.6) mit dem Kapillarendothel der Lunge. Durch diese Fusion entsteht eine extrem dünne Schicht, die für die Gasdiffusion optimal geeignet ist, als Stütze allerdings weniger. In-folge der Evolution ist diese Verdünnung nur auf einer Seite der Lungenkapillaren eingetreten. Auf der anderen Seite sind die Zellen weiterhin voneinander getrennt und robuster, sodass die Kapillaren gestützt werden (› Abb. 2.9).

Die Verbindungsstellen zwischen den Endothelzellen der Kapil-laren sind „undicht“ und ermöglichen den ungehinderten Aus-tausch von Wasser und gelösten Substanzen zwischen dem Plasma und dem Interstitium. Die Verbindungsstellen zwischen den Pneu-mozyten sind hingegen so „dicht“, dass sie das Austreten von gro-ßen Molekülen, zum Beispiel von Albumin, in die Alveolen verhin-dern, da sonst ein Lungenödem entstehen würde. Makrophagen können sich problemlos durch die epithelialen Verbindungsstellen zwängen und ihrer Phagozytosetätigkeit auf der anderen Seite der Alveole nachgehen.

Die rundlichen Pneumozyten Typ II, die deutlich weniger zahl-reich sind als die Typ-I-Zellen und sich an den Verbindungsstellen der Alveolarsepten befinden, sind die Stammzellen, aus denen die Pneumozyten Typ I entstehen. Darüber hinaus sind sie wichtig für die Produktion von Surfactant (› Kap. 3).

2.4 Blutgefäße

Der Lungenkreislauf weist nur ein Sechstel des Flusswiderstands auf, als der Körperkreislauf. Er ist daher ein Niederdrucksystem, was sich an den dünnen Wänden seiner Arterien widerspiegelt. Diese Arterien folgen den Atemwegen in Bindegewebsscheiden durch die Lunge. Auch die Lungenarteriolen unterscheiden sich eindeutig von den systemischen Arteriolen und besitzen nur sehr wenig glatte Muskulatur in ihren Wänden. Die fehlende glatte Mus-kulatur in den Arteriolen und natürlich auch den Kapillaren und Venolen ist für viele Wissenschaftler der Grund dafür, die Mikro-zirkulation der Lunge als ein Ganzes anzusehen, statt die Kapillaren – die sich an etlichen Alveolarwänden entlangschlängeln, eine nach der anderen, bevor sie die Venolen erreichen – als einen Sonderfallzu betrachten. Venolen werden zu Venen, die dann anders als dieArterien die Atemwege nicht begleiten, sondern ihren eigenen Wegentlang der Septen finden, welche die Lungensegmente voneinan-der trennen. Die Atemwege und die pulmonalen Blutgefäße werden bis zu den terminalen Bronchiolen über den Bronchialkreislaufmit Nährstoff en versorgt, der sich als Bestandteil des Körperkreis-laufs vom Lungenkreislauf unterscheidet. Ein Teil des Bronchial-kreislaufs kehrt auf normale Weise zum systemischen venösen Sys-tem zurück, doch ein Teil drainiert in die Lungenvenen und „konta-miniert“ deren sauerstoffreiches Blut mit sauerstoff armem Blut.Diese Situation wird als „Shunt“ bezeichnet (› Kap. 7).

2.5 Pulmonale Hypertonie

Eine Hypertonie (hoher Blutdruck) kann im Lungenkreislauf ge-nauso auftreten wie im Körperkreislauf. Der mittlere pulmonal-ar-terielle Druck beträgt normalerweise etwa 15 mmHg. Das bedeutet, dass die wenige glatte Muskulatur im Lungenkreislauf in der Regel durchaus ausreicht, um den Blutfluss zu kontrollieren. Eine pulmo-nale Hypertonie kann durch extrapulmonale Ursachen entstehen,

Endothel

Epithel

Alveole 1Erythrozyt Basal-

membran

Alveole 2

Abb. 2.9 Die alveolokapilläre Membran . Diese Darstellung nach einer elektro-nenmikroskopischen Aufnahme zeigt, wie die alveolären und die kapillären Zel-len auf einer Seite des Alveolarseptums verschmelzen und eine extrem dünne Schicht bilden, die für die Diffusion eine nur geringe Barriere darstellt. Die ande-re Seite des Septums ist dicker und bildet eine physikalische Stütze.

Epithel

Basal-membran

Schleim-drüse

Knorpel

Perichondrium

ab

c

d

Abb. 2.8 Der Reid-Index . Der prozentuale Anteil des Drüsengewebes an der Dicke der Bronchialwand wird als Reid-Index bezeichnet und als Maß für die chronische Bronchitis verwendet.

+41257_Davies.indb 18 06.04.2017 08:58:59

Funktionelle Anatomie, Histologie, Physiologie und Biochemie werden im Zusammenhang erklärt. Ausgewählte Krankheitsbilder inkl. Pathophysiologie ergänzen den Überblick über jedes Organsystem.

MEDIZINSTUDIUM

Inhaltsverzeichnis

1 Funktionskonzept des Herz-Kreislauf-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.1 Sauerstoffverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2 Transport von Sauerstoff im Blut . . . . . . . . . . . . . 41.3 Zyanose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.4 Kampf gegen Protonen:

das Säure-Basen-Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . 61.5 Zellschädigung und Zelltod . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.6 Funktionale Gesamtstruktur des

kardiovaskulären Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.7 Zirkulationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.8 Struktur und Funktion von Blutgefäßen . . . . . . . . 111.9 Angiogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141.10 Von der Wiege bis zur Bahre –

die Klinik von Herzerkrankungen . . . . . . . . . . . . . 14

2 Struktur und Funktion der Herzmuskulatur . . 172.1 Herzmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.2 Struktur der Herzmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . 182.3 Kontraktiler Mechanismus der Herzmuskulatur . . 182.4 Kardiale elektrische Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . 202.5 Herzmedikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Das Herz als Pumpe: Funktion und Erkrankungen der Herzklappen . . . . . . . . . . . 27

3.1 Funktionelle Anatomie des Herzens . . . . . . . . . . . 273.2 Herzzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293.3 Erkrankungen der Herzklappen . . . . . . . . . . . . . . 313.4 Anamnese von Herzerkrankungen . . . . . . . . . . . . 333.5 Klinische Diagnostik des Herz-Kreislauf-Systems . . 343.6 Bildgebende Diagnostik von Herzerkrankungen . . 353.7 Plötzlicher Herztod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4 Regulierung der Herzfunktion . . . . . . . . . . . . . 394.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394.2 Venöser Rückfl uss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404.3 Regulierung des Herzminutenvolumens . . . . . . . . 404.4 Regulierung der Herzfrequenz . . . . . . . . . . . . . . . 414.5 Regulierung des Schlagvolumens . . . . . . . . . . . . . 424.6 Vorlast des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424.7 Kontraktilität des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444.8 Nachlast des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

5 Blutversorgung des Herzens . . . . . . . . . . . . . . 495.1 Anatomie der arteriellen Blutversorgung

und des venösen Abfl usses des Herzens . . . . . . . 495.2 Regulierung der Koronardurchblutung . . . . . . . . . 515.3 Ischämische Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 535.4 Thrombose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535.5 Angina pectoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555.6 Myokardinfarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575.7 Koronarangioplastie und Stenting . . . . . . . . . . . . 585.8 Koronararterien-Bypass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

6 Herzinsuffi zienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616.1 Systolische vs. diastolische Herzinsuffi zienz . . . . . 626.2 Hämodynamische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 636.3 Metabolische Faktoren bei Herzinsuffi zienz . . . . . 646.4 Neurohormonale Aspekte der Herzinsuffi zienz . . 666.5 Medikamentöse Therapie der Herzinsuffi zienz . . . 67

7 Das Elektrokardiogramm (EKG) . . . . . . . . . . . 697.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697.2 Ableitung eines 12-Kanal-EKGs . . . . . . . . . . . . . . 717.3 Abschnitte der EKG-Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737.4 Praktische Anwendung des EKGs . . . . . . . . . . . . . 747.5 EKG und Herzrhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . 767.6 Herzstruktur und EKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807.7 Ischämie und EKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817.8 Kalium und EKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827.9 Medikamente und EKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

8 Große Blutgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 848.2 Hämorheologie: die physikalischen

Eigenschaften des Blutfl usses . . . . . . . . . . . . . . . 848.3 Pathologien von Arterien und Venen . . . . . . . . . . 888.4 Atherosklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 888.5 Vaskulitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 908.6 Varikose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 918.7 Vaskuläre Komplikationen bei Diabetes mellitus . . 918.8 Aneurysmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928.9 Nicht-invasive Untersuchungs methoden

von Arterien und Venen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

9 Widerstandsgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 939.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 939.2 Blutfl usswiderstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 949.3 Vaskuläre glatte Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . 94

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VIII Inhaltsverzeichnis

9.4 Lokale Steuerung glatter Gefäßmuskulatur . . . . . 979.5 Hormonelle Steuerung der Gefäßweite . . . . . . . . 1019.6 Vegetatives (autonomes) Nervensystem

und periphere Durchblutungsregulation . . . . . . . 1049.7 Spezielle Kreisläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

10 Arterieller Blutdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10910.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10910.2 Arterielle Barorezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11110.3 Kardiopulmonale Refl exe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11210.4 Chemorezeptor-Refl exe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11310.5 Arterielle Blutdruckmessung . . . . . . . . . . . . . . . . 11310.6 Pathologische Folgen eines erhöhten

arteriellen Blutdrucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11610.7 Behandlung der Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . 11710.8 Hydrostatischer Druck im Kreislauf . . . . . . . . . . . 118

11 Kapillarfunktion und Lymphsystem . . . . . . . . 12111.1 Struktur von Kapillaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12111.2 Stofftransport durch Kapillarwände . . . . . . . . . . . 12211.3 Wassertransport durch Kapillarwände . . . . . . . . . 12311.4 Lymphatisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12611.5 Ödeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

12 Fetales Herz-Kreislauf-System und angeborene Herzfehler . . . . . . . . . . . . . . . 131

12.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13112.2 Übergang vom fetalen zum

erwachsenen Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

12.3 Normal-EKG bei Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13412.4 Angeborene Herzfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13512.5 Erste und spätere Therapie

angeborener Herzfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

13 Sport und Herz-Kreislauf-System . . . . . . . . . . 14513.1 Physiologische Antworten auf

körperliche Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14513.2 Dynamische (isotonische) Belastung . . . . . . . . . . 14613.3 Sauerstoffdefi zit und Erholungsphase

nach Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14913.4 Statische (isometrische) Belastung . . . . . . . . . . . 14913.5 Positive Trainingseffekte auf Belastungstoleranz . . 15113.6 Nutzen von Sport für die kardiovaskuläre

Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15113.7 Klinische Anwendung von Belastungstests . . . . . 151

14 Hämorrhagie und Kreislaufschock . . . . . . . . . 15314.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15314.2 Blutdruckänderungen als Reaktion

auf Hämorrhagie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15414.3 Kurzfristige Reaktionen auf Hypovolämie . . . . . . 15614.4 Langfristige Reaktionen auf Hypovolämie . . . . . . 15614.5 Dekompensierter (irreversibler) Schock

nach Hämorrhagie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15814.6 Ursachen des Schocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15814.7 Volumensubstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

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KAPITEL

22.1 Herzmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2.2 Struktur der Herzmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.3 Kontraktiler Mechanismus der Herzmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.3.1 Regulierung des intrazellulären Ca2+ im Herzmuskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.4 Kardiale elektrische Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . 202.4.1 Ruhepotenzial ventrikulärer Muskelzellen . . . . . . . . 202.4.2 Aktionspotenzial in der Ventrikelmuskulatur . . . . . . 212.4.3 Schrittmachergewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.4.4 Überleitung des kardialen Aktionspotenzials . . . . . . 22

2.5 Herzmedikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232.5.1 Arrhythmien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.5.2 Antiarrhythmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Struktur und Funktion der Herzmuskulatur

2.1 Herzmuskulatur

Das Herz erzeugt das nötige Druckgefälle, um die Körpergewebe mit Blut zu versorgen. Dafür arbeitet der Herzmuskel etwa ab der 4. Le-benswoche des Fetus bis zum Tod. Die Muskelzellen, aus denen die kontraktilen Elemente der Vorhöfe und der Ventrikel bestehen, sind hochspezialisiert. Viele ihrer Eigenschaft en gleichen denen der Ske-lett- (der willkürlichen) Muskulatur, wobei die Herzmuskulatur na-türlich nicht bewusst gesteuert werden kann. Einige ihrer Eigenschaf-ten sind eher typisch für unwillkürliche, glatte Muskulatur , der kontraktile Mechanismus gleicht jedoch weitgehend dem der Ske-lettmuskulatur. Das Herz muss einerseits rhythmisch und koordi-niert kontrahieren, andererseits darf es aber unter keinen Umständen andauernde, tetanische Kontraktionen erzeugen. Das ist eine der wichtigsten Anforderungen an die Herzmuskulatur. Die benötigte rhythmische Pumpbewegung wird durch die Spannungssensitivität der Ionenkanäle in den Muskelzellen ermöglicht. Diese Eigenschaft führt zu einem längeren Aktionspotenzial, das die dabei erzeugte me-chanische Zuckung überdauert und das Verschmelzen von Kontrakti-onssequenzen zu einer einzelnen tetanischen Kontraktion verhindert.

Anmerkung: Eine „tetanische“ Kontraktion entsteht, wenn se-parate Kontraktionen bei einer Erhöhung der Stimulationsfrequenz ab einem bestimmten Punkt zu einer einzigen, andauernden Kon-traktion verschmelzen.

In der Skelettmuskulatur können Fasern einzeln oder in Grup-pen aktiviert werden, um die Kontraktionsstärke zu variieren. In der Herzmuskulatur müssen Zellen über Gap Junctions elektrisch verbunden werden, um die über Vorhöfe und Ventrikel verteilte Reizleitungsaktivität zur koordinierten Kontraktion zu bringen. In der Skelettmuskulatur kann die Kontraktionsstärke einzelner Fa-sern durch Änderung der Aktionspotenzialfrequenz variiert wer-den. Das Herz hat diese Option nicht, da sämtliche Herzmuskelzel-len an den rhythmischen Kontraktionen beteiligt sind. Die Kon-traktionsstärke des Herzmuskels wird stattdessen wie in der glatten Muskulatur durch Anpassung der intrazellulären Kalziumkon-zentration bei der Zellaktivierung reguliert. Dadurch steht für Me-dikamente, welche die Kontraktionsstärke und somit das Herzmi-nutenvolumen beeinfl ussen, ein Target zur Verfügung. Der Wirk-mechanismus dieser „inotropen“ Arzneimittel wird in › Kap. 4 besprochen.

Lernziele des Kapitels Nach dem Studium dieses Kapitels sollten Sie in der Lage sein:

1. die Strukturmerkmale von Herzmuskelzellen zu beschreiben.2. die Rolle von Kalzium bei der Regulierung der Herzmuskel-

funktion zu erörtern.3. die Ionenbasis des Ruhepotenzials ventrikulärer Muskelzellen

zu erläutern.4. Merkmale des Schrittmacherpotenzials im Sinusknoten und

im Atrioventrikularknoten zu benennen.

5. den Einfl uss von Form und Dauer des kardialen Aktionspo-tenzials auf die Entwicklung andauernder tetanischer Kon-traktionen zu erklären.

6. die Rolle des His-Bündels und der Purkinje-Fasern bei der Erregungsweiterleitung zur Ventrikelmuskulatur zu erklären.

7. die Grundlagen einiger Herzrhythmusstörungen und die Wirkungsweise antiarrhythmischer Arzneimittel zu beschrei-ben.

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18 2 Struktur und Funktion der Herzmuskulatur

2

2.2 Struktur der Herzmuskulatur

Die kontraktile Grundeinheit sowohl der Skelett- als auch der Herz-muskulatur ist das Sarkomer (› Abb. 2.1). Diese Einheiten sind ca. 2 μm lang und an jedem Ende von einer Z-Scheibe begrenzt, die aus Protein-alpha-Aktinin gebildet wird. An den Z-Scheiben sind dünne F-Aktinfi lamente befestigt, die wiederum aus zusammenge-fügten G-Aktin-Monomeren bestehen, deren Struktur an eine spi-ralförmige Perlenkette erinnert (› Abb. 2.2). Diese dünnen Aktin-fi lamente sind in einer Sandwich-artigen Struktur parallel mit dem Protein Myosin angeordnet (dickes Filament). Im Polarisationsmi-kroskop erscheinen Aktin- und Myosinproteine streifenförmig (quergestreift ) angeordnet. Dabei bilden Myosinfi lamente das A-Band, das I-Band besteht hauptsächlich aus Aktinen (› Abb. 2.1).

Parallel liegende Bündel von Sarkomeren verbinden sich zu einer Myofi brille . Myozyten enthalten hauptsächlich Myofi brillen-Bün-del, Mitochondrien und den Zellkern, der zu einer Seite der Zelle verschoben ist. Im Gegensatz zur Skelettmuskulatur sind die Myo-zyten der Vorhöfe und Herzkammern nicht durch Sehnen an be-stimmte Ansatzstellen befestigt. Stattdessen sind die Zellen in ei-nem verzweigten Netzwerk miteinander verbunden und bilden so einen Muskelbeutel, in dem sie gegen ihre Befestigung an benach-barte Zellen kontrahieren. Beim Erwachsenen sind Myozyten 50–100 μm lang, ihr Durchmesser beträgt 10–20 μm. Um eine funktio-nierende kontraktile Einheit zu bilden und eine Reizweiterleitung im Herzmuskel zu ermöglichen, müssen die einzelnen Myozyten sowohl physisch miteinander verbunden als auch elektrisch anein-ander gekoppelt sein. Dies wird durch „Glanzstreifen“ erreicht – Zellverbindungen, in denen die Apposition und Verdickung des Sarkolemms benachbarter Zellen stattfi ndet. Glanzstreifen enthal-ten sowohl Gap Junctions mit hoher Leitfähigkeit (Connexone ), die für den elektrischen Anschluss sorgen, als auch Desmosomen , die das bindende Protein Cadherin enthalten und den entsprechenden mechanischen Zusammenhalt bereitstellen.

2.3 Kontraktiler Mechanismus der Herzmuskulatur

Ähnlich wie in der Skelettmuskulatur führt ein Anstieg der intrazel-lulären Kalziumkonzentration (Ca2+

i) in den Myokardzellen zum Ineinandergleiten von Filamenten und löst dadurch eine Kontrakti-on aus. Infolge der Lösung und Neubildung von Querbrücken zwi-schen den Filamenten gehen Aktin- und Myosinfi lamente ineinan-der über (› Abb. 2.2). Die Querbrücken werden zwischen Myosin-köpfchen und Aktinfi lamenten gebildet. Bei Anstieg des Ca2+

i binden Kalziumionen an Troponin C, eine Untergruppe des aus drei Prote-inen bestehenden Troponinkomplexes . Troponin C ist an das Pro-tein Tropomyosin angelagert, das im Ruhezustand die Myosin-Bin-dungsstelle am Aktinfi lament verdeckt. Die entstehende „Querbrü-cke“ zwischen Myosin und Aktin wird nun so konfi guriert, dass das Aktinfi lament sich über das Myosinfi lament bewegt, wobei eine klei-ne Kontraktion entsteht. Das Myosinköpfchen löst sich daraufh in und der Vorgang wird wiederholt: Das Aktin „wandert“ also über das Myosinfi lament. Die Kontraktionsstärke hängt von der Anzahl der gebildeten Querbrücken ab. Dieser Parameter wiederum ist von der Kalziumkonzentration innerhalb der Muskelzelle abhängig. Im Ru-hezustand bildet sich nur ein relativ kleiner Teil der potenziell mögli-chen Querbrückenzahl. Deshalb kann durch physiologische Stimula-tion – über eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems und Medikamente, die das intrazelluläre Ca2+ erhöhen – eine stärkere Kontraktion des Herzmuskels erzeugt werden als im Ruhezustand.

Zu jedem Querbrückenzyklus gehört die Hydrolyse eines ATP-Moleküls. Dadurch kann als Teil des Kontraktionsvorgangs das Myosinköpfchen konfi guriert werden. Herzmuskelzellen kontra-hieren fortwährend und erfordern erhebliche Mengen an Energie. Metabolisch gesehen gleichen sie „langsamen“ Skelettmuskelfasern dahin gehend, dass sie ihre Energie aus ATP beziehen, das wieder-um durch oxidative Phosphorylierung erzeugt wird. Myozyten ent-

Ca2

Myosinköpfchen

b

a

Tropomyosin G-Aktin-Monomer

F-Aktin-Filament

Myosin-filament

Troponin C

Tropomyosin

Troponin T

Troponin I

Aktin

Aktin

Abb. 2.2 a) Querbrücken zwischen Myosin- und Aktinfi lamenten im Ruhezu-stand. Jedes Aktinfi lament (F-Aktin) besteht aus zwei Ketten G-Aktin-Monome-ren, die ineinander verfl ochten sind.b) Ca2+ bindet an Troponin C, dies führt zu einer Neuanordnung des Troponin-komplexes, gefolgt von einer Bewegung des Tropomyosinfi laments und einer Freilegung der Myosin-Bindungsstelle am Aktin.

I-Band A-Band I-Band

Z-Scheibe

Sarkomer (2 m)

F-Aktin (dünnes Filament)

Myosin (dickes Filament)

Querbrücke

Abb. 2.1 Anordnung von Aktin (dünnes Filament) und Myosin (dickes Fila-ment) in der kontraktilen Einheit – dem Sarkomer – des Herzmuskels. Zwischen Myosinköpfchen und Bindungsstellen am Aktinfi lament werden Querbrücken gebildet, die sich verkürzen können.

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192.3 Kontraktiler Mechanismus der Herzmuskulatur

2

halten daher eine große Anzahl von Mitochondrien. Wie in anderen Muskelgeweben auch hemmt die Kontraktion des Herzmuskels, insbesondere die des linken Ventrikels, die Durchblutung – in die-sem Falle der Koronargefäße. Der Herzmuskel wird deshalb nur in der Entspannungsphase (Diastole) eff ektiv durchblutet (› Kap. 5). Eine Periode starker Herzkontraktionen bei hoher Frequenz (z. B. bei Belastung) kann daher dazu führen, dass die Sauerstoff versor-gung des Myokards den Anforderungen des Stoff wechsels nicht mehr ausreichend nachkommt. Körperliche Belastung wird in › Kap. 13 besprochen.

2.3.1 Regulierung des intrazellulären Ca2+ im Herzmuskel

Wie bereits erwähnt, ist die Kontraktionsstärke des Herzmuskels vom Ca2+

i abhängig. Gegenüber jeder Z-Scheibe befi ndet sich eine röhrenförmige Struktur – der T-Tubulus . Er verläuft im rechten Winkel zur Plasmamembran der Zelle (› Abb. 2.3). Die T-Tubuli unterstützen die schnelle Erregungsweiterleitung in die Zelle. Sie verlaufen nahe des sarkoplasmatischen Retikulums (SR), in dem die Kalziumionen gespeichert werden. Ca2+ wird durch die Ca2+-ATPase-Pumpe in den Speicher befördert. Diese Pumpe wird durch das inhibitorische Protein Phospholamban reguliert. Das zur Aus-lösung der Herzkontraktion verwendete Ca2+ stammt aus zwei Quellen: dem SR (zu etwa 75 %) und dem Transmembranfl uss von Ca2+ aus der extrazellulären Flüssigkeit (zu etwa 25 %). In der Ske-lettmuskulatur wird dagegen nur das im SR gespeicherte Ca2+ zur Kontraktion verwendet.

II WissenswertesDie Kontraktion aller drei Muskelarten (Skelett-, Herz- und glatte Muskulatur) wird durch einen Anstieg der intrazellulären Kalzi-umkonzentration ausgelöst. Allerdings entstammt das Ca2+ in al-len drei Geweben unterschiedlichen Quellen. II

Im Ruhezustand liegt der Kalziumspiegel bei etwa 0,1 μmol/l. Ent-steht in einer Herzmuskelzelle ein Aktionspotenzial (s. u. Aktions-potenzial in der Ventrikelmuskulatur), wird eine initiale Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration ausgelöst. Das Aktions-potenzial erzeugt einen Einwärtsstrom von Ca2+ aus der extrazellu-lären Flüssigkeit, wo ionisiertes Kalzium in einer Konzentration von etwa 1,2 mmol/l vorliegt. Das Ca2+ strömt durch L-Typ-Kalzi-umkanäle in den T-Tubuli und in der Plasmamembran. Die initiale Erhöhung des Ca2+

i verursacht die Freisetzung weiterer Ca2+ aus dem SR. Dieser Vorgang wird als Kalzium-induzierte Kalzium-freisetzung bezeichnet. Vermittelt wird diese durch eine Ca2+-Bin-dungsstelle am SR, die Teil eines Kalziumkanalproteins ist und häu-fi g als „Dihydropyridin-Rezeptor“ oder auch „Fußprotein“ bezeich-net wird (› Abb. 2.3). Infolge der Kalziumausschüttung aus dem SR steigt das Ca2+

i, normalerweise auf etwa 0,5–2 μmol/l. Bei Herz-insuffi zienz (› Kap. 6) kommt es zu erheblichen Veränderungen der Kalziumregulierung in den Myozyten.

In der Entspannungsphase muss ein Teil des Ca2+ wieder aus der Zelle geschleust und ein Teil muss im SR ersetzt werden. Ausgesto-ßen wird Ca2+ v. a. durch den 3Na+-Ca2+-Austauscher . Dabei wird die „Abwärtsbewegung“ von 3 Na+ zur Freisetzung von Ca2+ aus der Zelle genutzt (› Abb. 2.3). Dieser Vorgang verbraucht als solcher kein ATP, obwohl die Na+-K+-ATPase Na+ zur Aufrechterhaltung des elektrochemischen Natriumgradienten aktiv durch die Plasma-membran befördert. Ein anderer Teil des Ca2+ wird durch Ca2+-ATPase n aktiv durch die Plasmamembran aus der Zelle befördert. Auch beim Rücktransport von Ca2+ in das SR wird ATP verbraucht. Ein Großteil des Kalziums wird im SR als Ca2+ gespeichert. Ein Teil wird jedoch auch an Kalzium-bindende Proteine geheft et; eines der wichtigsten davon ist das Calsequestrin.

Sympathische kardiale Nervenstimulation führt zu einer Erhö-hung der Kontraktionsstärke (› Kap. 4). Die Aktivierung des β1-Adrenozeptors hat einen Anstieg des intrazellulären zyklischen AMP (cAMP, › Abb. 2.6) zur Folge. Zyklisches AMP ist ein se-kundärer Botenstoff , der mehrere Proteinkinasen aktiviert. Die an-

Abb. 2.3 Regulierung des intrazellulären Ca2+ im Herz-muskel. Die Erhöhung von Ca2+, welche zur Kontraktion führt, wird durch ein Aktionspotenzial ausgelöst. Da-durch werden L-Typ-Kalziumkanäle in der Plasmamem-bran und im T-Tubulus-System geöffnet und der Kal-ziumeinstrom aus der extrazellulären Flüssigkeit geför-dert. Über den T-Tubulus eintretende Ca2+ lösen eine weitere Kalziumfreisetzung aus dem sarkoplasmati-schen Retikulum aus. Damit es zur Muskelrelaxation kommen kann, muss Ca2+ entweder ins sarkoplasmati-sche Retikulum zurückgepumpt oder durch die Plasma-membran ausgestoßen werden. Der 3Na+-Ca2+-Austau-scher wird vom Natriumgradienten über der Plasma-membran gesteuert, der wiederum von der Na+-K+-AT-Pase aufrechterhalten wird.

ATP

AktionspotenzialPlasma-membran

K 3 Na

Ca

Ca

25%

75%

Ca

NaATPATP

Signalwege der Muskelrelaxation

Sarkoplasmatisches Retikulum

Kalziumfreisetzung

Kalziumspeicher

T-Tu

bulu

s

L-Typ-Kalzium-kanal

Kalzium-einstrom

Kalziumkanal für die Kalzium-induzierte Kalziumfreisetzung

Ca

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20 2 Struktur und Funktion der Herzmuskulatur

2

schließende Phosphorylierung des Proteins Phospholamban be-schleunigt den Transport von Ca2+ in das SR – begünstigt also die Retention von Ca2+ im SR, während der Rückfl uss durch die Plas-mamembran eingeschränkt wird. Die Herzkontraktilität erhöht sich also durch eine Steigerung des im SR gespeicherten Ca2+. Auch die Erschlaff ungsgeschwindigkeit des Herzmuskels steigt mit schnellerem Eintreten von Ca2+ in das SR. Der Einfl uss von cAMP auf diese Prozesse kann durch Medikamente und Stimulanzien wie Milrinon und Koff ein manipuliert werden. Diese wirken als Phos-phodiesterase-Hemmer und verlängern damit die Halbwertszeit von cAMP.

II WissenswertesBis Mitte der 80iger-Jahre war dilatative Kardiomyopathie eine häufi ge Erkrankung bei Hauskatzen. Meistens trat sie sekundär bei Taurinmangel auf. Durch Veränderungen der Futterzusammenset-zung ist dieses Problem mittlerweile weitgehend gelöst. II

2.4 Kardiale elektrische Aktivität

2.4.1 Ruhepotenzial ventrikulärer Muskelzellen

Das Ruhepotenzial einer Herzmuskelzelle beträgt etwa –85 mV und ist wie bei anderen erregbaren Zellen eine Folge der ionischen Kon-zentrationsgradienten, die durch die Na+-K+-ATPase (› Kap. 1) aufrechterhalten werden. Die intrazelluläre Kaliumkonzentration liegt bei etwa 140 mmol/l, während die extrazelluläre Kaliumkon-zentration etwa 4 mmol/l beträgt. Aus einer „modellhaft en“ Zelle mit einem solchen Kaliumkonzentrationsgradienten und einer zu-nächst gleichen Anzahl positiver und negativer Ladungen im Zell-inneren können Kaliumionen mithilfe eines Diff usionsgradienten heraustreten. Sie erzeugen dann ein Ladungsungleichgewicht (Po-tenzialdiff erenz) an der Zellmembran, wobei das Zellinnere negativ geladen ist. Die negative Ladung im Zellinneren wird hauptsächlich durch organische Phosphate und ionisierbare Proteingruppen er-zeugt – Moleküle, die aufgrund ihrer Größe dem K+ nicht durch die Zellmembran folgen können. Der Austritt von K+ entlang des Kon-zentrationsgradienten wird irgendwann schließlich durch den elek-trischen Gradienten ausgeglichen, der für einen Rückstrom von K+ in die Zelle sorgt. Aus dieser Balance zwischen Diff usions- und elek-trischem Gradienten leitet sich die Nernst-Gleichung ab.

Um 1 Mol K+ gegen einen elektrischen Gradienten von E Volt zu transportieren, muss folgende Leistung erbracht werden:

EZF Joules

wobei E = Potenzialdiff erenz in Volt, Z = Ionenwertigkeit (bei Na+ und K+ also 1) und F = Ladungsmenge in einem Mol Ionen (Fara-day-Konstante).

Um 1 Mol K+ gegen einen chemischen Konzentrationsgradienten zu transportieren, muss folgende Leistung erbracht werden:

RT loge (Ka/Ki) Joules

wobei R = Gaskonstante, T = Temperatur in Grad Kelvin, Ka = Kali-umkonzentration außerhalb der Zelle und Ki = Kaliumkonzentrati-on innerhalb der Zelle.In einer Gleichung:

EK ZF = RT loge (Ka/Ki)

oder

/K e a iRTE = log K K Nernst - GleichungZF

K A S T E N 2.1Goldmann -Gleichung

Das Ruhepotenzial von Nerven- und Muskelzellen wird überwiegend vom Konzentrationsgradienten und von der Zelldurchlässigkeit für Kalium-ionen bestimmt. Deshalb liegt das Ruhepotenzial nahe am Kalium-Gleich-gewichtspotenzial (EK), das mit der Nernst-Gleichung berechnet werden kann (s. Text). Aber auch andere Ionen beeinfl ussen das Ruhepotenzial. Will man Ionen wie Na+ und Ca2+ einbeziehen, kann das Membranpoten-zial mit der Goldman-Gleichung berechnet werden.

PK, PNa, PCl beziehen sich auf die Permeabilität für die einzelnen Ionen. R steht für die universelle Gaskonstante, T ist die Temperatur in Grad Kelvin, F ist die Faraday-Konstante.Sollen weitere Ionen berücksichtigt werden, kann eine komplexere Form der Gleichung verwendet werden. Der Konzentrationsgradient für negativ geladene Ionen ist umgekehrt gerichtet (im Vergleich zu Kationen).

Bei einer normalen Körpertemperatur von 37 °C (310 K) kann diese Gleichung für ein monovalentes Kation wie K+ vereinfacht werden: EK = 61,5 log10 (Ka/Ki). Dabei werden alle Konstanten multipliziert und von natürlichen Logarithmen zu Basis-10-Logarithmen umge-wandelt.

EK wird als das Gleichgewichtspotenzial für K+ bezeichnet. Das bedeutet, dass sich bei diesem Membranpotenzial der Ka+-Austritt entlang des Diff usionsgradienten exakt im Gleichgewicht mit dem Einstrom von K+ entlang des elektrischen Gradienten befi ndet. Beim Gleichgewichtspotenzial wird jeweils nur ein Ion berücksichtigt.

Das Gleichgewichtspotenzial von K+ in Herzmuskelzellen (–94 mV) ist leicht negativer als das eigentliche Ruhepotenzial (RP) der Zel-len, das bei –85 mV liegt. Das liegt daran, dass das Ruhepotenzial teilweise auch durch die Bewegung anderer Ionen als K+ beeinfl usst wird. Da jedoch die Membran relativ durchlässig für K+ ist und es einen erheblichen Kaliumgradienten gibt, der durch die Na+-K+-ATPase aufrechterhalten wird, hat Kalium normalerweise den größten Einfl uss auf die Höhe des Ruhepotenzials. In der Praxis ist die Membran in geringem Maße auch für Na+ durchlässig. Das „wahre“ Ruhepotenzial kann durch die Kombination der Konzent-rationsgradienten von K+, Na+ und anderer Ionen, gewichtet nach ihrer relativen Permeabilität, berechnet werden. Negativ geladene Ionen sorgen für eine Umkehr des Konzentrationsgradienten. Dar-aus leitet sich die Goldman-Gleichung ab (ausführliche Erklärung, › Kasten 2.1).

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212.4 Kardiale elektrische Aktivität

2

2.4.2 Aktionspotenzial in der Ventrikelmuskulatur

Das Ruhepotenzial kardialer Myozyten liegt bei –85 mV. Wird das Membranpotenzial der Herzmuskelzellen infolge einer vom Schritt-machergewebe ausgehenden Erregungswelle bis zum Schwellenpo-tenzial (–60 bis –65 mV) depolarisiert, öff nen sich die Natrium-schleusen in der Membran. Wie bei anderen erregbaren Zellen auch wird damit ein Aktionspotenzial erzeugt.

Das Aktionspotenzial der Ventrikelmuskulatur läuft in fünf Pha-sen ab (› Abb. 2.4):• In Phase 0 öff nen sich die Natriumschleusen und die Permeabi-

lität für Na+ (PNa) erhöht sich etwa um das Hundertfache, womit die Durchlässigkeit für Na+ viel höher ist als für andere Ionen, einschließlich K+. In der Folge verschiebt sich das Membranpo-tenzial auf +20 bis +30 mV, d. h., es nähert sich dem Gleichge-wichtspotenzial für Na+ (ENa), das bei +40 mV liegt. An diesem Punkt werden die Natriumschleusen durch die elektrische La-dungsverteilung an der Zellmembran „deaktiviert“ und die Nat-riumdurchlässigkeit sinkt.

• In Phase 1 beginnt die Kaliumpermeabilität (PK) zu steigen. K+ tritt sowohl entlang eines günstigen Konzentrations- als auch ei-nes elektrischen Gradienten beschleunigt aus der Zelle aus.

• Das Membranpotenzial fällt jedoch nicht sofort bis zum EK, da gleichzeitig spannungsabhängige L-Typ-Kalziumkanäle geöff net werden und es zu einem Einstrom von Ca2+ aus dem Extrazellu-larraum kommt (Phase 2). Dieser Kalziumstrom führt zu einer Plateauphase des Membranpotenzials, die genauso lange anhält wie der Kalziumstrom. Wie zuvor beschrieben, werden durch diese Vorgänge größere Mengen an Ca2+ aus dem sarkoplasma-tischen Retikulum freigesetzt. Dies führt zur Kontraktion des Herzmuskels (› Abb. 2.3). Als direkte Folge des intrazellulären Kalziumanstiegs werden die Kalziumkanäle schließlich deakti-viert.

• Durch die vermehrte Öff nung von Kaliumkanälen sinkt das Membranpotenzial (Phase 3) beinahe bis zum Kalium-Gleichge-wichtspotenzial (EK).

• In dieser Phase beginnt der Zyklus, ausgehend vom Ruhepoten-zial, von Neuem (Phase 4).

An der Spitze des Aktionspotenzials schließen sich, wie bereits be-schrieben, die Natriumkanäle der Muskelzelle. Vor Erzeugung des nächsten Aktionspotenzials müssen diese Kanäle in einen Zustand zurückversetzt werden, in dem sie zur Wiederöff nung stimuliert werden können. Während der Plateauphase des Aktionspotenzi-als (› Abb. 2.4) bleiben die Natriumkanäle geschlossen; Muskel-stimulation kann in dieser Phase kein weiteres Aktionspotenzial auslösen. Das ist die „absolute Refraktärzeit“ der Myozyten. In der Repolarisationsphase (Phase 3) sind bei Erreichen eines Memb-ranpotenzials von –50 mV viele, jedoch nicht alle, Natriumkanäle wieder geöff net. Zwischen +50 mV und der kompletten Repolarisa-tion kann ein weiteres Aktionspotenzial erzeugt werden. Die Stimu-lation muss dafür jedoch stärker sein als normalerweise. Das ist die „relative Refraktärzeit“. In der klinischen Praxis hat dies eine große Bedeutung. Hyperkaliämie , ein Anstieg der Kaliumkonzentration im Plasma, ist eine häufi ge Folge von Azidose oder unzureichender

Kaliumausscheidung (die normalerweise durch die Einwirkung von Aldosteron auf die Nieren reguliert wird). Hyperkaliämie kann le-bensbedrohlich werden, da es zu einer Depolarisation der Herz-muskelzellen führt, d. h. einer Verschiebung des Ruhepotenzials in Richtung Null. Eine Rückkehr zu einem hinreichend niedrigen (ne-gativen) Membranpotenzial, um die Öff nung aller Populationen von Natriumkanälen zu gewährleisten, fi ndet dadurch nicht statt. Es kann zu einem Herzstillstand kommen.

Die Form des kardialen Aktionspotenzials ist von zentraler Be-deutung für die Herzfunktion, da die lange Plateauphase in den Muskelzellen die mechanische Aktivität überdauert. Das bedeutet, dass einzelne Kontraktionen nicht wie in der Skelettmuskulatur zu einer andauernden tetanischen Kontraktion verschmelzen können, egal wie stark die Stimulation des Herzens ist. Das Herz schlägt da-her unweigerlich rhythmisch.

2.4.3 Schrittmachergewebe

Der Herzmuskel unterscheidet sich von Skelettmuskeln und den meisten Neuronen dahin gehend, dass das Ruhepotenzial in einigen Bereichen hier besonders instabil ist. Nach einem Aktionspotenzial geht das Membranpotenzial an diesen Stellen allmählich hoch (de-polarisiert), bis ein Schwellenpotenzial erreicht ist, bei dem die Öff nung der Natriumkanäle ausgelöst wird und die Ionenpermeabi-lität ansteigt, wodurch schnell ein weiteres Aktionspotenzial er-zeugt wird. Der Herzmuskel kann daher rhythmische Depolarisa-tionen erzeugen, die wiederum rhythmische Kontraktionen zur Folge haben. Das Herz von Säugetieren ist zu myogener Aktivität befähigt. Das kann bei Entfernen eines Herzmuskelteils aus dem le-benden Herzen beobachtet werden. Wird dieser Teil in einer künst-lichen extrazellulären Flüssigkeit temperiert und oxygeniert gehal-ten, kontrahiert und relaxiert er eine Zeit lang spontan weiter. Im Sinusknoten erzeugte Ruhe- und Aktionspotenziale sind in › Abb. 2.5 dargestellt.

Die Fähigkeit eines Teils des Herzmuskelgewebes, spontan zu de-polarisieren und damit Aktionspotenziale zu erzeugen, wird als Au-tomatizität bezeichnet. Sinusknoten, Atrioventrikularknoten und das His-Bündel mit den Purkinje-Fasern sind die Teile des Herzens, die Automatizität zeigen. Gewöhnliche Muskelzellen des Ventrikels haben normalerweise keine Automatizität.

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Abb. 2.4 Aktionspotenzial der Ventrikelmuskulatur. Die Ionenströme der fünf Phasen sind im Text beschrieben.

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22 2 Struktur und Funktion der Herzmuskulatur

2

Die Kontraktionsfrequenz eines beliebigen Muskelteils hängt von der Depolarisationsgeschwindigkeit des Ruhepotenzials in den Muskelzellen ab. Der Herzbereich mit der größten Geschwindigkeit erzeugt den schnellsten intrinsischen Rhythmus. Beim Menschen ist das der Sinusknoten (SA-Knoten), eine Gewebestruktur im rechten Atrium an der Einmündung der V. cava superior (› Abb. 2.6). Im Sinusknoten ist die Permeabilität von K+ niedri-ger, das anfängliche Ruhepotenzial (–60 mV) damit weniger nega-tiv als in anderen Herzbereichen, v. a. weil ein bestimmter Kalium-kanaltyp fehlt (der einwärts gleichrichtende Kaliumkanal). Das Membranpotenzial verschiebt sich schneller nach oben (depolari-siert) als in anderen Herzbereichen, es wird als Schrittmacherpo-tenzial bezeichnet. Die ionischen Vorgänge, die zum Schrittma-cherpotenzial beitragen, sind komplex. Dazu gehören ein Nat-riumeinwärtsstrom, ein mit der Zeit abklingender Kaliumauswärts-strom und, sobald das Schrittmacherpotenzial auf über –55 mV depolarisiert ist, ein Kalziumeinwärtsstrom. Letztgenannte Ionen-bewegung beschleunigt die Depolarisationsgeschwindigkeit in Richtung Schwellenpotenzial zwischen –55 und –40 mV, bei dem ein Aktionspotenzial ausgelöst wird (› Abb. 2.5). Im gesunden

Herzen dient der Sinusknoten als primärer Schrittmacher und be-stimmt die Schlagfrequenz des ganzen Herzens. Die intrinsische Frequenz des menschlichen Sinusknotens liegt bei etwa 110–120 Schlägen/min, im Ruhezustand wird der Knoten aber normalerwei-se durch parasympathische Nerven gehemmt. Die Ruheherzfre-quenz beträgt deshalb gewöhnlich etwa 70 Schläge/min.

Falls der Sinusknoten nicht richtig arbeitet oder vom Rest des Herzens elektrisch isoliert ist, kommt der Bereich mit dem nächst-schnellen intrinsischen Rhythmus zum Zuge – der Atrioventriku-larknoten mit etwa 50 Schlägen/min. Wird die Reizweiterleitung durch den AV-Knoten zum Ventrikel unterbrochen („kompletter Herzblock“), schlagen die Ventrikel in ihrer eigenen Frequenz mit etwa 30–40 Schlägen/min weiter. Gesteuert wird dies durch die in-trinsische Depolarisationsfrequenz der Purkinje-Fasern.

Die Regulierung der Herzfrequenz wird in › Kap. 4 behandelt. Sympathische Nervenstimulation des Sinusknotens erhöht die Depolarisationsgeschwindigkeit in Phase 4, das Schwellenpotenzial wird daher schneller erreicht und die Herzfrequenz steigt. Para-sympathische Nervenstimulation über den Vagusnerv verlang-samt die Herzfrequenz durch eine Kombination von zwei Mecha-nismen: Die Sinusknoten-Zellen werden hyperpolarisiert und die Anstiegsgeschwindigkeit des Ruhepotenzials in Phase 4 wird redu-ziert. Beides hat zur Folge, dass sich das Ruhepotenzial langsamer in Richtung Schwellenpotenzial bewegt.

In › Fallbeispiel (1) wird die Krankengeschichte eines Kindes mit einer Störung des kardialen Erregungsleitungssystems be-schrieben.

II WissenswertesSäugetierherzen benötigen zur Kontraktion keine nervale Versor-gung. Aufgrund ihrer intrinsischen Kontraktionsfähigkeit (Auto-matizität) werden sie als myogen bezeichnet. Andere Tiere wie In-sekten, Weichtiere und Schalentiere haben neurogene Herzen, die nur in Reaktion auf Nervenstimulation kontrahieren. II

2.4.4 Überleitung des kardialen Aktionspotenzials

Das kardiale Aktionspotenzial wird normalerweise im Sinusknoten erzeugt, da dieser die schnellste intrinsische Kontraktilität hat. Das Aktionspotenzial breitet sich dann über das linke und rechte Atri-um aus. Die Form des atrialen Aktionspotenzials ähnelt der des Ventrikels, die Plateauphase ist allerdings kürzer. Im Herzen befi n-den sich die Anuli fi brosi – Faserringe, die zum sog. Herzskelett gehören. Diese Bindegewebsschicht sorgt für eine Isolation zwi-schen Vorhöfen und Herzkammern, die Erregung muss daher normalerweise durch den AV-Knoten zu den Ventrikeln geleitet werden. Ein elektrisches „Leck“ im Faserring würde einer alternati-ven, direkten Verbindung für die Erregungsleitung von Vorhöfen zu Herzkammern entsprechen. Kommt es zu einem solchen zusätz-lichen Leitungsweg, spricht man vom Wolff -Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom) oder Präexzitation. Es erzeugt eine charakteristische Arrhythmie (› Kap. 7).

Schwelle

Langsame Depolarisation des Ruhe-potenzials – Schrittmacherpotenzial

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Abb. 2.5 Sinusknotenpotenzial (Schrittmacherpotenzial ). Durch Steigerung der langsamen Depolarisationskurve des Ruhepotenzials kann das Schwellenpoten-zial früher erreicht werden. Dadurch erhöht sich die Herzfrequenz.

Rechtes Atrium

Rechter Ventrikel

Rechter Bündelzweig

His-Bündel (gemeinsames His-Bündel)

Atrioventrikular-knoten

Sinusknoten

Linkes Atrium

Linker Ventrikel

Purkinje-Fasern

Linker Bündelzweig

Abb. 2.6 Erregungsleitung im gesunden Herzen. Die Erregung entsteht im Si-nusknoten, verteilt sich über die Vorhöfe und wird dann durch den AV-Knoten zu den Ventrikeln übergeleitet. Das His-Bündel hat einen rechten und einen lin-ken Schenkel, wodurch die Erregungswelle in beide Ventrikel geleitet werden kann.

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232.5 Herzmedikamente

2

Fallbeispiel Struktur und Funktion der Herzmuskulatur (1)

Digoxinvergiftung

Der 3-jährige Hans wurde von seiner Mutter in die Notaufnahme gebracht. Das Kind war mit einem Fläschchen Digoxintabletten aufgefunden worden, die seinem Großvater wegen dessen Herz-insuffi zienz verschrieben worden waren. Die Flasche war off en und auf dem Fußboden waren viele Tabletten verstreut. Es war unklar, wie viele ursprünglich in der Flasche gewesen waren und wie viele Tabletten Hans möglicherweise verschluckt hatte. Seit dem Vorfall waren bereits 2 h vergangen, da Hans´ Mutter erst ihren Arbeitsplatz verlassen hatte, um ihren Sohn ins Kranken-haus zu bringen.

Die diensthabende Ärztin in der Notaufnahme erkannte so-fort, dass es sich möglicherweise um eine schwere Vergift ung handeln könnte. Sie nahm Hans zur Beobachtung auf und legte einen Herzmonitor an, dann führte sie ein 12-Kanal-EKG durch. Der Junge klagte, dass er sich krank fühlte und das sein „Bauch

weh tut“. Die Ärztin verabreichte dem Kind oral etwas Aktivkoh-le.

Hans´ EKG zeigte eine Herzfrequenz von 63 Schlägen/min. Der Blutdruck war 76/48 mmHg. Die Dauer des PR-Intervalls war 0,21 s (normal 0,1 s). Die Ärztin nahm eine Blutprobe zur Elektrolytmessung und zur Bestimmung der Digoxinkonzentra-tion ab.

Das Ergebnis zeigte (Normwerte in Klammern):• Na+ = 137 mmol/l (135–145)• K+ = 5,7 mmol/l (3,5–5,0)• Die initiale Digoxin-Plasmakonzentration war 8 μg/l (therapeu-

tische Breite: 0,5–2,0 μg/l)1. Weshalb ist Hans´ Herzfrequenz niedrig und welche Infor-

mationen liefert das PR-Intervall?2. Weshalb ist die Kaliumkonzentration im Plasma erhöht?

Antworten auf diese Fragen fi nden sich in diesem Kapitel, in › Kasten 2.2 und in › Kap. 7.

Die Zellstruktur des AV-Knotens ähnelt der des Sinusknotens. Auch das Aktionspotenzial ist vergleichbar, nur dass das anfängli-che Ruhepotenzial bei etwa –80 mV liegt und der Overshoot (das Überschwingen) in der Depolarisationsphase +5 bis +10 mV übli-cherweise nicht übersteigt. Aufgrund des Fehlens von Natriumka-nälen ist der Depolarisationsstrom in Phase 4 langsamer. Daher ist auch die intrinsische „Zündungsgeschwindigkeit“ langsamer. Der AV-Knoten stellt eine elektrische Verbindungsstelle zwischen Vor-höfen und Kammern dar. Er sorgt außerdem auch für eine kleine Verzögerung von ca. 0,1 s (AV-Verzögerung ) in der Weiterleitung des Aktionspotenzials. Dies spiegelt sich in der eher fl achen Kurve der Phase 0 des Aktionspotenzials dieser Zellen. Es wird durch den kleinen Zelldurchmesser und die komplexe Zellmorphologie im AV-Knoten verursacht. Dank der AV-Verzögerung kann die ventri-kuläre Befüllung in der Kontraktionsphase der Vorhöfe abgeschlos-sen werden, bevor die Ventrikel kontrahieren und Blut aus dem Herzen ausstoßen.

Die Depolarisation wandert vom AV-Knoten in das His-Bündel (› Abb. 2.6), das von spezialisiertem Leitungsgewebe gebildet wird – den Purkinje-Fasern . Diese Fasern bestehen aus modifi zier-ten ventrikulären Muskelzellen und sind in einem linken und ei-nem rechten Bündel gruppiert. Die Purkinje-Zellen haben einen relativ großen Durchmesser. Sie sind die größten Zellen im Herzen und haben daher eine hohe Reizleitungsgeschwindigkeit. Zusam-men mit dem AV-Gewebe haben Purkinje-Fasern von allen Herz-muskelzellen die längste Refraktärzeit. Dies ist von funktioneller Bedeutung, da es das Herz vor Reizwiedereintritt (Reentry) aus be-nachbarten Myozyten in das Leitungsgewebe schützt. Potenziell könnte die Erregung nämlich in die Vorhöfe zurückgeleitet werden und gefährliche Herzrhythmusstörungen verursachen.

Ein weiteres Merkmal der Zellen des Reizleitungssystems ist, dass sie bei Depolarisation nicht so stark kontrahieren. Das liegt da-

ran, dass sie zwar modifi zierte Kardiomyozyten sind, dennoch aber wenige Myofi brillen besitzen.

Die Purkinje-Fasern leiten die Erregung schnell an den beiden Seiten des Septums hinunter und verteilen sie über die Ventrikel. Die Depolarisation der Ventrikel verläuft demzufolge in einer vorgegebenen Reihenfolge: Sie beginnt an den Papillarmuskeln und am Septum, geht dann auf den endokardialen (inneren) Teil der Ventrikelmuskulatur über und nach außen zur epikardialen (äuße-ren) Oberfl äche. Durch diese koordinierte Ausbreitung der elektri-schen Aktivität des Herzens kommt die Form des EKGs zustande (› Kap. 7). Die Repolarisation des Herzmuskels verläuft von der epikardialen zur endokardialen Oberfl äche, also in entgegengesetz-ter Richtung der Depolarisation. Dies erklärt, warum sowohl der QRS-Komplex (Depolarisation) als auch die T-Welle im normalen EKG aufwärtsgerichtete Ausschläge sind: Es handelt sich um Strö-me entgegengesetzter Polarität, die sich in entgegengesetzte Rich-tungen bewegen.

2.5 Herzmedikamente

Der Reizleitungsweg des kardialen Impulses und die elektrischen Eigenschaft en der Kardiomyozyten bieten wichtige therapeutische Targets für Medikamente. Nach ihrer Wirkungsweise unterscheidet man drei Hauptarten von Herzmedikamenten :• Medikamente, die die Herzfrequenz verändern• Medikamente, die den Herzrhythmus regulieren• Medikamente, die die Kontraktilität beeinfl ussenDie erste Gruppe, die allgemein die sympathische und parasympa-thische nervale Steuerung der Herzfrequenz nachahmt oder blo-ckiert, sowie die letztgenannte Gruppe (positiv und negativ inotro-pe Medikamente) werden in › Kap. 4 besprochen.

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24 2 Struktur und Funktion der Herzmuskulatur

2

2.5.1 Arrhythmien

Der Herzschlag wird normalerweise durch die spontane Tätigkeit des Sinusknotens gesteuert – man spricht daher auch vom Sinus-rhythmus des Herzens. Wenn dies nicht der Fall ist, kann es zu ei-ner Arrhythmie kommen (der wissenschaft lich exaktere Begriff Dysrhythmie wäre vorzuziehen, er ist aber nicht sehr gebräuchlich). Ursache von Arrhythmien kann eine anormale Depolarisierung von Herzgewebe sein, aufgrund derer der Herzrhythmus nicht vom Sinusknoten erzeugt wird, oder auch eine anormale Reizweiterlei-tung vom Sinusknoten (› Kap. 7).

Kann ein Teil des Herzmuskels aufgrund einer Schädigung Reize nicht weiterleiten, muss die Erregungswelle um diesen Teil herum-geführt werden – ähnlich wie eine sich bewegende Menschenmasse um beide Seiten eines Hindernisses, etwa um einen Baum, herum-laufen würde. Ist einer der beiden Umläufe viel länger als der ande-

re, kann es passieren, dass die Erregung von dort die gemeinsame Schnittstelle im gesunden Gewebe erst nach dem Impuls aus dem kürzeren Umlauf erreicht, wenn die Zellen ihre Refraktärzeit über-schritten haben und bereits wieder stimuliert werden können. Die Folge ist die Bildung eines Aktionspotenzials, das in die bestim-mungsgemäße Richtung, aber auch rückwärts (retrograd) über die kürzere Strecke geleitet wird (› Abb. 2.7). Diese Welle kann mit dem nächsten Impuls aus der anderen Richtung der kürzeren Lei-tungsbahn kollidieren und diesen neutralisieren, oder es kann zu einer Erregungsschleife kommen (Reentry-Arrhythmie ). Wenn die Ventrikelfrequenz unregelmäßig ist, können nicht alle Ventri-kelkontraktionen einen ausreichenden Blutauswurf erzeugen. Der Puls ist dann womöglich z. B. an Radial- oder Oberarmarterie nicht tastbar. Die Pulsfrequenz kann infolgedessen von der im EKG abge-leiteten Ventrikelfrequenz abweichen.

Fallbeispiel Struktur und Funktion der Herzmuskulatur (2)

Fortschreiten der Digoxinvergiftung

Hans wurde zur weiteren Behandlung in die Abteilung für Pä-diatrische Kardiologie überwiesen. 4 h nach der Aufnahme ver-schlechterte sich sein Zustand. Das EKG-Monitoring zeigte ei-ne unregelmäßige Ventrikelfrequenz. Ein EKG-Rhythmusstrei-fen wies eine atriale Frequenz von 155 Schlägen/min mit einem Herzblock zweiten Grades zwischen 2:1 und 3:1 nach. Hans´ Ventrikelfrequenz lag zwischen 60 und 80 Schlägen/min. Das EKG zeigte ein PR-Intervall von 0,24 s. Die Digoxinkonzentra-tion lag mittlerweile bei 15 μg/l.

Die Vergift ungsinformationszentrale wurde zur Beratung kontaktiert. Dort empfahl man eine Behandlung mit Lidocain (Lignocain) (einem Breitband-Membranstabilisator, der auf Natriumkanäle wirkt) und Digibind (einem monoklonalen Fab-Fragment mit spezifi scher Wirkung auf Digoxin). In den nächsten 6 h stabilisierte sich Hans´ Herzfrequenz und der Si-nusrhythmus setzte wieder ein.

1. Weshalb sind atriale und Ventrikelfrequenz unterschied-lich?

2. Welche Überlegung steckt hinter der Verabreichung von Lidocain und Antikörpern?

Antworten auf diese Fragen fi nden sich im Text dieses Kapitels und in › Kasten 2.2.

Bei manchen Störungen kann die Depolarisationswelle aus dem Si-nusknoten im AV-Knoten nicht richtig übergeleitet werden. Dies führt zu unterschiedlichen Schweregraden eines AV-Block s:• Bei einem AV-Block ersten Grades zeigt das EKG eine Verzöge-

rung des PR-Intervalls von über 0,2 s (› Kap. 7), da die Über-leitung im AV-Knoten verlangsamt ist.

• Beim AV-Block zweiten Grades kann bereits nicht mehr jede Erregungswelle aus dem Sinusknoten den AV-Knoten über-haupt durchlaufen. In der Regel gibt es dabei ein Wiederho-lungsmuster, bei dem möglicherweise jede dritte oder vierte at-riale Depolarisationswelle keine ventrikuläre Erregung mehr produziert. Aussetzende Herzschläge werden häufi g von einer

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a

Langsam regenerierendes Gewebe, nicht mehr refraktär

Normale Erregungsverteilung

„Hindernis“

Depolarisationswelle verebbt hier

Langsam regenerierendes Muskelareal – noch refraktär

Abb. 2.7 Reentry-Mechanismus oder kreisende Erregung bei der Entstehung von Arrhythmiena) Normaler Umlauf einer Depolarisationswelle um ein Areal nicht-myozytären Gewebes, z. B. Blutgefäße oder fi brotisches Gewebe aus einem früheren Herzin-farkt. Zwei Erregungswellen treffen an der anderen Seite des Hindernisses aufei-nander und verebben.b) Auf einem der Umwege um das Hindernis gibt es ein Gewebeareal mit lang-samer Repolarisation, möglicherweise aufgrund von Ischämie. Diese Strecke kann zunächst nicht erregt werden.c) Die Depolarisationswelle entlang des längeren Umlaufs um das Hindernis wird so weit verzögert, dass sie das beschädigte Gewebe erst erreicht, wenn es repolarisiert ist und nunmehr retrograd erregt werden kann. Ist die Depolarisati-onswelle einmal an dem beschädigten Gewebe vorbeigelaufen, kann sie nun immer weiter anderes gesundes Gewebe stimulieren. So entsteht ein sich selbst erneuernder Kreislauf.

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252.5 Herzmedikamente

2

progressiven Verlängerung des PR-Intervalls der zwei oder drei vorhergehenden Schläge begleitet.

• Beim AV-Block dritten Grades ist schließlich überhaupt keine Synchronizität zwischen atrialer und ventrikulärer Aktivität mehr gegeben. Gelegentlich stimmt dabei die atriale Systole mit der ventrikulären Systole überein und so versucht das rechte At-rium mit der Kontraktion Blut gegen die geschlossene Trikuspi-dalklappe zu bewegen (› Kap. 3). Wenn das passiert, fl ießt Blut aus dem rechten Atrium in die Jugularvene zurück und formt die sog. „Kanonenwellen“.

Das His-Bündel hat zwei Schenkel, einen rechten und einen linken. Die Leitungsblockade nur eines Schenkels nennt man einen Schen-kelblock . Dies wird in › Kap. 7 in Zusammenhang mit den cha-rakteristischen EKG-Mustern ausführlicher besprochen.

Die Depolarisation der Herzmuskelzellen in Phase 4 kann u. U. schneller als gewöhnlich ablaufen. Dazu kann es bei Schrittmacherzel-len kommen oder bei Zellen mit einem normalerweise stabilen Ruhe-potenzial, aber eingeschränkt stabiler Plateauphase – z. B. bei Ischä-mie. Infolgedessen kann sich in Herzbereichen, wo dies normalerwei-se nicht vorkommt, ein ektopischer Schrittmacher herausbilden. Die Fähigkeit des Herzmuskels, seine eigene Aktivität in Gang zu set-zen, sei es in natürlicherweise vorhandenem Schrittmachergewebe oder in ektopischem Gewebe, wird als „Automatizität“ bezeichnet.

K A S T E N 2.2Pharmakologische und toxische Wirkung von Digoxin

Digitalisglykoside sind Steroid-ähnliche Verbindungen, die ursprüng-lich aus der Fingerhut-Pfl anze isoliert und als Heilmittel verwendet wur-den. Unter den Glykosiden, die die Na+-K+-ATPase hemmen (› Kap. 1) und damit das intrazelluläre Na+ erhöhen, ist Digoxin der am häufi gsten verwendete Wirkstoff. Die Na+-Erhöhung senkt die Freisetzungsgeschwin-digkeit von Ca2+ über den 3Na+-Ca2+-Austauscher (› Abb. 2.3, s. a. › Abb. 4.7) und erzeugt eine positiv inotrope Wirkung, d. h. eine Steige-rung der kardialen Kontraktilität (› Kap. 4). Das war das therapeutische Ziel der Digoxinverschreibung für Hans´ Großvater. Digoxin hat außerdem einen Einfl uss auf das kardiale Aktionspotenzial und seine Weiterleitung.Durch die Erhöhung der Erregbarkeit und der Automatizität des Herzmus-kels kann Digoxin Arrhythmien erzeugen. Dabei spielen zwei Wirkmecha-nismen eine Rolle: Die Blockade der Na+-K+-ATPase führt zu einer Depola-risation der Muskelzellen, dadurch kommt es leichter zu Arrhythmien. Zweitens fördert Digoxin die Freisetzung von Ca2+ aus dem sarkoplasmati-schen Retikulum, was wiederum eine vorübergehende Depolarisation der Herzmuskelzelle unmittelbar nach einem Aktionspotenzial zur Folge hat.Einerseits wirkt Digoxin also, wie hier beschrieben, proarrhythmisch. Andererseits gibt es aber Aspekte der klinischen Wirksamkeit des Medika-ments, die der Entwicklung von Arrhythmien entgegenstehen. Diese anti-arrhythmische Wirkung erfolgt über das zentrale Nervensystem und eine Stimulation des Vagusnervs. Dadurch kommt es zu einer leichten Hemmung der Sinusknoten-Entladung. Digoxin verlangsamt aber auch die Überleitung im AV-Knoten. Diese Wirkung wird in Hans´ EKG mit der Ver-längerung des PR-Intervalls und einem AV-Block zweiten Grades deutlich.Digoxin wird im Gastrointestinaltrakt gut absorbiert. Mit 1,5 Tagen hat es eine lange Halbwertszeit, die sich bei Beeinträchtigung der Nierenfunktion noch einmal verlängert. Das war bei Hans allerdings nicht der Fall. Digoxin hat eine enge therapeutische Breite (Unterschied zwischen therapeuti-scher und toxischer Dosis einer Substanz). Da das Medikament die Auto-matizität des Herzmuskels erhöht, sind unter den toxischen Nebenwirkun-gen ventrikuläre Extrasystolen zu beobachten. Andere akute Nebenwir-

kungen sind Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Diarrhö, Verwirrtheit, allgemeines Unwohlsein, Schwindel und Gelbsehen. Durch Hypokaliämie werden diese Nebenwirkungen noch verschlimmert. Auch das war bei Hans nicht der Fall.Bei der Behandlung der Digoxintoxizität kann Atropin eingesetzt wer-den, um die Vagusnervstimulation durch das Medikament zu hemmen, sowie monoklonale Antikörper, um Digoxin zu binden und zu deaktivie-ren. Falls erforderlich, kann Kalium verabreicht werden.

2.5.2 Antiarrhythmika

Nach der weit verbreiteten Vaughan-Williams-Klassifi kation wer-den vier Klassen von Antiarrhythmika unterschieden.

Klasse I

Diese Medikamente wirken auf Phase 0 und verlangsamen die An-stiegsgeschwindigkeit des Aktionspotenzials durch Hemmung schneller Natriumkanäle. Zu Klasse I gehört eine Reihe von Medi-kamenten mit unterschiedlicher Wirkung auf Ionenkanäle. Je nach Wirkung auf die Dauer des Aktionspotenzials werden sie in drei Untergruppen kategorisiert:• 1a: verlängern die Dauer: Disopyramid, Procainamid und Chini-

din• 1b: verkürzen die Dauer: Lidocain (Lignocain) und Mexiletin• 1c: beeinfl ussen die Dauer nicht: Flecainid und Propafenon.

Klasse II

Hierbei handelt es sich um β1-Adrenozeptorantagonisten (Beta-blocker ). Sie senken sowohl im Sinusknoten als auch im AV-Kno-ten sowie in anderen Geweben, die möglicherweise ektopische Akti-vität entwickeln, die Depolarisationsgeschwindigkeit. Die Impuls-überleitung im AV-Knoten wird verlangsamt. Die gebräuchlichsten Medikamente sind Atenolol und Propranolol.

Klasse III

Diese Medikamente hemmen Kaliumkanäle, die an der Repolari-sation beteiligt sind, und verlängern dadurch die Dauer des Akti-onspotenzials und der Refraktärzeit. Zu dieser Kategorie gehören Amiodaron, Sotalol und Bretylium.

Klasse IV

Einige Kalziumantagonisten senken den Kalziumeintritt und sta-bilisieren die Phase 4 des Aktionspotenzials im Sinusknoten und insbesondere im AV-Knoten. Dadurch verlangsamt sich die Herz-frequenz. Verapamil und Diltiazem haben eine antiarrhythmische Wirkung, nicht jedoch Dihydropyridinderivate wie etwa Nifedipin.

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26 2 Struktur und Funktion der Herzmuskulatur

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Digitalisglykoside (› Kap. 4), Adenosin (› Kap. 9) und Atro-pin (ein Antagonist des muskarinischen ACh-Rezeptors) werden alle zur Modifi zierung von Herzrhythmusstörungen eingesetzt. Sie

sind in der Vaughan-Williams-Klassifi kation von Antiarrhythmika nicht erfasst.

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