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 Hintergrund: Ukraine Nr. 37 / Juni 2014 | 1 Schwierige Kommunalwahlen in der Ukraine Miriam Kosmehl Am 25. Mai konnten nicht nur alle Ukrainer ihren Präsidenten wählen (mit den bekannten, wesentlichen Ausnahmen in Luhansk und Donezk), sondern viele zudem ihre Bürgermeister und Stadtratsabgeordne- ten  etwa in Kiew und wichtige n Gebietshauptst ädten (Oblastzentren).  Der neue Präsident strebt auch im Donbass so bald wie möglich vorgezogene Kommunalwahlen an. Er will legitime Ansprechpartner dort, mit deren Hilfe er eine Dezentralisierung der Macht umsetzen kann. Die gerade durchgeführten Kommunalwahlen zeigen, wie wichtig es sein wird, diese Wahlen gewissenhaft zu organisieren und ge- gen Fälschungen und sonstigen Missbrauch abzusichern. Insgesamt wurden 41 Bür- germeister (Bürgermeister von Städten werden in der Ukraine Stadtvorsitzende genannt), 41 Siedlungs- und 190 Dorfvorsitzende, sowie Abgeordnete von zwei Stadt- und drei Dorfräten gewählt. Neben Kiew sind das die Bürger- meister von Odessa, Miko- lajiw und Cherson im Sü- den, Czernowitz in der West-, Tscherkassy in der Zentral- und Sumy in der Nordostukraine. Die Ämter waren unterschiedlich lange unbesetzt, zumeist weil ihre Inhaber zurückgetreten oder gestorben sind. Hintergrund: Ukraine Nr. 37 / 11. Juni 2014 Die Kommunalwahlen fanden in den gelb markierten Gebieten statt. / Quelle: http://myukraine.info/en/map  

Hintergrund Ukraine 11.06.2014

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  • Hintergrund: Ukraine Nr. 37 / Juni 2014 | 1

    Schwierige Kommunalwahlen in der Ukraine

    Miriam Kosmehl

    Am 25. Mai konnten nicht nur alle Ukrainer ihren Prsidenten whlen (mit den bekannten, wesentlichen

    Ausnahmen in Luhansk und Donezk), sondern viele zudem ihre Brgermeister und Stadtratsabgeordne-

    ten etwa in Kiew und wichtigen Gebietshauptstdten (Oblastzentren). Der neue Prsident strebt auch

    im Donbass so bald wie mglich vorgezogene Kommunalwahlen an. Er will legitime Ansprechpartner

    dort, mit deren Hilfe er eine Dezentralisierung der Macht umsetzen kann. Die gerade durchgefhrten

    Kommunalwahlen zeigen, wie wichtig es sein wird, diese Wahlen gewissenhaft zu organisieren und ge-

    gen Flschungen und sonstigen Missbrauch abzusichern.

    Insgesamt wurden 41 Br-

    germeister (Brgermeister

    von Stdten werden in der

    Ukraine Stadtvorsitzende

    genannt), 41 Siedlungs-

    und 190 Dorfvorsitzende,

    sowie Abgeordnete von

    zwei Stadt- und drei

    Dorfrten gewhlt. Neben

    Kiew sind das die Brger-

    meister von Odessa, Miko-

    lajiw und Cherson im S-

    den, Czernowitz in der

    West-, Tscherkassy in der

    Zentral- und Sumy in der

    Nordostukraine. Die mter

    waren unterschiedlich lange

    unbesetzt, zumeist weil ihre

    Inhaber zurckgetreten oder

    gestorben sind.

    Hintergrund:

    Ukraine

    Nr. 37 / 11. Juni 2014

    Die Kommunalwahlen fanden in den gelb markierten Gebieten statt. / Quelle:

    http://myukraine.info/en/map

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    Nach der ukrainischen Verfassung htten neue Wahlen schon viel frher durchgefhrt werden sollen.

    Allerdings htte das nationale Parlament sie per Gesetz ansetzen mssen.

    Dem widersetzte sich eine von der Partei der Regionen des damaligen Prsidenten Janukowytsch angefhrte Mehrheit. Der Grund: Sie sahen ihre Vertreter vor Ort ohne Chance.

    Nach der Flucht Janukowytschs fand sich im Parlament eine neue Mehrheit alter Abgeordneter, die die auerordentlichen Lokalwahlen ansetzten. Kiew war seit 2012 ohne gewhlten Brgermeister, der

    Kiewer Stadtrat seit Mai 2013 ohne Vollmachten.1 Die Kiewer hatten ihre 120 Stadtrte im Mai 2008

    auf vier Jahre gewhlt. Doch mit der Verabschiedung des Lokalwahlgesetzes vom 10.7.20102 wurde

    die Legislaturperiode des Stadtrats auf fnf Jahre verlngert, zhlbar ab 2008. Auf der Grundlage die-

    ses Gesetzes, nun mit den nderungen vom 20. April 2014, fanden am 25. Mai auerordentliche Lo-

    kalwahlen statt.

    Weil die Hlfte der Abgeordneten der Lokalrte nach Parteilisten im Verhltniswahlverfahren gewhlt

    wird, sind die Wahlergebnisse auch ein Indikator fr die Popularitt der Parteien. In Kiew werden 60

    Abgeordnete ber die Parteiliste nach Verhltniswahlrecht bestimmt, 60 weitere Abgeordnete als Di-

    rektkandidaten nach Mehrheitswahlverfahren. (Nur bei Dorf- und Siedlungsrten gilt ausschlielich

    das Mehrheitswahlverfahren.)

    Wahlbeobachter der Europischen Plattform fr Demokratische Wahlen, des Netzwerks OPORA und

    der NRO Komitee der Whler der Ukraine stellten der Durchfhrung der Lokalwahlen kein so gutes

    Zeugnis aus wie die Beobachter der gleichzeitigen Wahl des Staatsoberhaupts.

    Die Vorwrfe: mangelhafte Organisation und gezielte Flschungen

    Die neunzehn internationalen Wahlbeobachter des Europarats vom Kongress der Gemeinden und Re-

    gionen Europas waren deutlich zurckhaltender in ihrem Urteil ber die Lokalwahl, als die OSZE-

    Mission des Bros fr Demokratische Institutionen und Menschenrechte ODIHR und andere internati-

    onale Beobachter, deren Mandat sich auf die Prsidentschaftswahl beschrnkte. Es besteht Raum fr

    Verbesserungen, was die praktische Seite am Wahltag betrifft, insbesondere die Auszhlung. Wir be-

    dauern auch, dass die Lokalwahlen am selben Tag stattgefunden haben wie die Prsidentschaftswahl.

    Aber trotz des fragilen politischen Umfelds und der organisatorischen Probleme betrachtet der Kon-

    gress die Wahl als positiven Test auf der lokalen Ebene.

    Die Wahlbeteiligung lag in Kiew bei ber 60 Prozent.3 Nach Schtzung von Vitali Teslenko, dem stell-

    vertretenden Leiter vom Komitee der Whler der Ukraine, konnten in Kiew aber bis zu zehn Prozent

    aller potentiellen Whler ihre Stimme gar nicht abgeben, obwohl einige Wahllokale gleich mehrere

    Stunden lnger geffnet blieben als geplant. In einigen Wahllokalen mussten Kiewer, die insgesamt

    vier Stimmzettel auszufllen hatten (einen fr den Prsidenten; einen fr den Brgermeister; einen fr

    den Einzelkandidaten zum Stadtrat und einen fr die Parteiliste), mehrere Stunden anstehen, was

    etliche dazu brachte, auf ihr Wahlrecht zu verzichten.

    1 S. Bericht aus aktuellem Anlass No. 9 Machtkampf in der Ukraine spitzt sich zu: Europische Hauptstadt ohne Brger-

    meister Land ohne Parlament? vom 11. April 2013, http://www.freiheit.org/Politische-Berichte-aus-aktuellem-

    Anlass/415c24882i1p/index.html. 2 Gesetz der Ukraine ber die Wahlen von Abgeordneten der Werkhowna Rada der Autonomen Republik Krim, der Lokal-

    rte und Dorf-, Siedlungs- und Stadtvorsitzenden. 3 Nach Feststellung der Zentralen Wahlkommission war die Wahlbeteiligung bei der Prsidentschaftswahl in Kiew 62,7%

    (http://www.cvk.gov.ua/vp2014/wp001.html); sie ist fr die Kiewer Lokalwahlen zumindest eine Orientierung.

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    Darber hinaus gibt es Vorwrfe von Unregel-

    migkeiten bei der Auszhlung, die zuun-

    gunsten der kleineren Parteien unternommen

    worden sein sollen. Die seit 2011 registrierte

    und insbesondere von Brgerrechtsaktivisten

    des Majdan geschtzte Partei Demokratische

    Allianz setzte durch, dass teilweise neu aus-gezhlt wurde und schaffte danach auch

    knapp die Drei-Prozent-Hrde.

    Der investigative Kiewer Journalist Serhij Le-

    schtschenko sprach von Flschungen wie zu den besten Zeiten Janukowytschs. Diese Beur-

    teilung relativiert das Komitee der Whler der

    Ukraine mit seinem Urteil, die Wahlflschun-

    gen seien nicht systematisch gewesen, sondern das Resultat berforderter Kommissionen in den

    Wahllokalen, mit zu kleinen und unzureichend geschulten Teams. Konkret beobachtet habe man aber

    Verfahrensverste beim Ausgeben der Wahlzettel, dass die Geheimhaltung der Stimmabgabe nicht

    gewhrleistet worden sei, indirekten Stimmenkauf und schwarze PR (Diffamierung des politischen Gegners). Ferner bemngelte die Organisation Auslassungen auf den Whlerlisten, versptete Stimm-

    auswertungen und technische Schwierigkeiten, vor allem Sicherheitsverletzungen. Das Wahlbeobach-

    tungsnetzwerk OPORA verweist auf einen Hacker-Angriff auf das Informationssystem. Normalerweise

    mssen die Ergebnisse bis zum fnften Tag nach der Wahl auf der Website der Zentralen Wahlkom-

    mission bekannt gemacht werden; bis zum Abschluss dieses Berichts4 fehlten dort jedoch die Wahler-

    gebnisse der Lokalwahlen. Zumindest die Direktmandatstrger und die Mandatszahlen, die auf die

    einzelnen Parteien entfallen, sind seit dem 4. Juni in der offiziellen Zeitung Kiews Chreschtschatyk

    verffentlicht.5

    Die Schlussfolgerung, dass nationale Wahlen nicht zusammen mit lokalen Wahlen durchgefhrt wer-

    den sollten, ziehen alle internationalen und nationalen Beobachter.6

    Vitali Klitschko mit klarer Mehrheit Stadtchef statt Staatschef

    Vitali Klitschko gelang es am 25. Mai, mit 56,7 Prozent der Stimmen Brgermeister Kiews zu werden

    (richtig formuliert: Stadtvorsitzender). Ihm folgten Lesja Orobets mit 8,45 Prozent, Volodymyr Bonda-

    renko mit 7,95 Prozent, Oleksandr Omeltschenko mit 7,52 und Mykola Kateryntschuk mit 5,15 Pro-

    zent.7 Fr Klitschko war es nach 2006 und 2008 sein dritter Versuch. Er hatte bereits am 29. Mrz

    erklrt, Kiewer Brgermeister statt Prsident werden zu wollen. Da lag er in den Prsidentschafts-

    wahlprognosen schon mehr als 10 Prozent hinter Petro Poroschenko. Beide erklrten auf einer ge-

    meinsamen Pressekonferenz ihre Allianz: Klitschko ziehe sich als Prsidentschaftskandidat zurck,

    Poroschenko untersttze Klitschko als Brgermeister Kiews, Klitschko Poroschenko als Prsident; ihre

    Parteien UDAR und Solidarnist (Solidaritt) wrden sich vereinigen.

    Die Kooperation hat einen praktischen Hintergrund: Bislang gab es in Kiew Probleme mit der Selbst-

    verwaltung: Diese obliegt eigentlich dem Brgermeister doch faktisch trifft der vom ukrainischen

    Prsidenten nach Vorgabe des Ministerkabinetts ernannte Vorsitzende der Stadtverwaltung alle we-

    4 10.6.2014.

    5 No. 77 (4477) vom 4. Juni 2014, s. http://www.kreschatic.kiev.ua/file/rez.pdf.

    6 S. www.evu.org.ua; www.oporaua.org; www.epde.org.

    7 Alle Prozentangaben aus der Internetzeitung Ukrainska Prawda,

    http://www.pravda.com.ua/articles/2014/05/26/7026766/.

    Anstehen in einem Kiewer Wahllokal am 25. Mai

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    sentlichen Entscheidungen. Poroschenko hatte vor den Kiewer Wahlen zugesagt, Klitschko auch zum

    Vorsitzenden der Stadtverwaltung zu ernennen, falls er Prsident werde. Poroschenko selbst fehlt die

    Machtbasis einer eigenen Partei im nationalen Parlament. Seine Partei Solidarnist hat bislang keine tatschlichen Politiker hinter der Namensfassade, und zudem ist strittig, ob die Partei rechtlich ber-

    haupt noch existiert. Er drfte deshalb interessiert sein, die Strukturen der Klitschko-Partei UDAR zu nutzen, unabhngig davon, ob sich seine politischen Untersttzer knftig unter dem Dach von U-

    DAR, Solidarnist oder unter einem neuen Namen sammeln.

    Fr die Kiewer Stadtratswahl kandidierten UDAR und Solidarnist mit gemeinsamen Direktkandida-

    ten und einer gemeinsamen UDAR-Parteiliste. UDAR kam so auf voraussichtlich 40,56 Prozent. Da auerdem 47 von UDAR aufgestellte Direktkandidaten siegten (von insgesamt 60), scheint Klitschko

    mit einer absoluten UDAR-Mehrheit im Stadtrat unabhngig davon zu sein, ob Poroschenko ihn nun

    zum Stadtverwaltungschef ernennt oder nicht: Klitschko knnte mit seiner Parteimehrheit im Stadtrat

    jede Entscheidung des Stadtverwaltungschefs blockieren. Grundstzlich strebte UDAR an, beide Pos-ten zusammenzulegen, um die Kompetenzberschneidung ein fr alle Mal und personenunabhngig

    zu regeln. Dafr fand sich aber bislang im nationalen Parlament keine Mehrheit.

    Klare Mehrheit fr Klitschkos UDAR trotz

    Kritik im Vorfeld

    Die Allianz Poroschenko/Klitschko hat Frchte

    getragen, Poroschenko zudem sein Verspre-

    chen gehalten, keine Negativ-Kampagne zu

    betreiben. Beides entspricht, wohl vor allem

    wegen der zahlreichen schlechten Erfahrun-

    gen nach 2004, den Bedrfnissen der Bevlke-

    rung. Von Bedeutung ist auch Poroschenkos

    Ruf als zivilisierter Oligarch, der sich am Hauptort seiner geschftlichen Ttigkeit Win-

    nytsia in der Zentralukraine engagiert und

    dessen Unternehmen vergleichsweise gute

    Arbeitsbedingungen und Lhne bieten sollen.

    Einige in den Kiewer Stadtrat gewhlte Mitglieder veranlassen Beobachter zu der Frage, wie viele fr

    die UDAR-Fraktion Angetretene das von Klitschko vorgebrachte Hauptziel Korruptionsbekmpfung

    teilen. Vor allem sorgt fr Emprung, dass Personen aus der Fraktion des skandalumgebenen frheren

    Kiewer Brgermeisters Leonid Tschernowetski wieder im Stadtrat sitzen. Klitschko argumentiert, auf

    der UDAR-Liste sei nur ein einziger solcher Stadtrat und fr diesen habe ihm Poroschenko versichert,

    er werde knftig sauber arbeiten. Die Verantwortung fr die selbstaufgestellten Kandidaten in den

    Mehrheitswahlkreisen, auch darunter Mitglieder der Tschernowetski-Fraktion, tragen laut Klitschko

    die Kiewer Whler selbst. Zum Vorwurf, UDAR habe in solchen Wahlkreisen gezielt schwache Gegner

    aufgestellt, um den umstrittenen Kandidaten den Erfolg zu erleichtern, uerte er sich nicht.

    In jedem Fall birgt die absolute Mehrheit von UDAR die Gefahr, dass politische Auseinandersetzun-

    gen nicht ffentlich im Stadtrat debattiert werden, sondern abgeschirmt in der Fraktion. Wenn am

    Ende von Klitschkos Amtszeit Bilanz gezogen wird, kann er bei 77 UDAR-zugehrigen Stadtabgeord-

    neten von insgesamt 120 mangelhafte Erfolge jedenfalls nicht damit entschuldigen, seine Vollmach-

    ten htten nicht ausgereicht.

    Vor dem Hauptquartier von UDAR in Kiew forderte der im Abseits liegende Mykola Kateryntschuk von der Europischen Partei der

    Ukraine Vitali Klitschko zum Zweikampf als ffentliche Debatte.

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    Groes Interesse rief in der Ukraine ein Treffen von Poroschenko und Klitschko mit dem ukrainischen

    Oligarchen Dmytro Firtasch in Wien hervor, wo dieser auf die Entscheidung eines sterreichischen

    Gerichts in einem von den USA angestrengten Auslieferungsverfahren wartet. ber die Inhalte kann

    nur spekuliert werden, weil keiner der Beteiligten Details bekanntgab. ffentlich sprach sich Firtasch

    zusammen mit dem frheren Prsidialamtschef unter Janukowytsch fr eine politische Allianz Klitsch-

    ko-Poroschenkos aus.

    Einen Vorwahl-Skandal gab es um die Brgermeisterin-Kandidatur von Lesja Orobets, die nach

    Klitschko mit voraussichtlich 8,45 Prozent das zweitbeste Ergebnis erzielte. Die Kiewer Wahlkommis-

    sion unter Vorsitz eines UDAR-Mitglieds schloss die prominente Majdanaktivistin am 12. Mai unter

    einem Vorwand aus; ein Gericht setzte sie unverzglich wieder ein. Die Abgeordnete war aus der Va-

    terlandspartei ausgetreten, hatte sich als parteilose, sog. selbstaufgestellte Brgermeisterkandidatin

    registrieren lassen und fhrte die neue Partei Neues Leben an. Sie beschuldigte Klitschko ffentlich

    des unfairen Wahlkampfs.

    Neue Gesichter und Parteien in Kiew nach dem Eu-

    romajdan

    Viele Kiewer drften mit UDAR den bekannten Namen Klitschko und die Hoffnung auf die einfache Lsung ge-

    whlt haben. Dennoch haben vor allem Hauptstdter auch

    fr neue Gesichter und Parteien gesorgt und die Vater-

    landspartei Julija Timoschenkos als alte Partei deutlich

    abgewhlt, die mit voraussichtlich 4,14 Prozent nur noch

    drei Abgeordnete in den Stadtrat schickt. Bei der Parla-

    mentswahl im Oktober 2012 lag die Partei noch bei 30,99

    Prozent.

    Spannend war vor allem, wie erfolgreich die Aktivisten des

    Euromajdans sein wrden. Die vergleichsweise knappen

    Ergebnisse zeigen, wie schwer es ist, sich als neue politi-

    sche Kraft zu etablieren selbst nach einem Ereignis wie dem Euromajdan. Sie liegen aber auch daran, dass die Ak-

    teure sich nicht zusammengeschlossen haben. Die Partei

    Neues Leben von Lesja Orobets stellt drei Abgeordnete (und hat voraussichtlich 3,39 Prozent); die Demokratische Allianz kann mit den durchgesetzten Neu-

    auszhlungen und knapp ber drei Prozent zwei Abgeordnete in den Stadtrat schicken. Weitere Par-

    teien, die zum ersten Mal in den Stadtrat einziehen, sind die Radikale Partei von Oleh Liaschko mit

    sieben Abgeordneten und voraussichtlich 9,21 Prozent und die Vereinigung zur Selbsthilfe des Lem-berger Brgermeisters Sadowy mit fnf Abgeordneten und voraussichtlich 6,87 Prozent. Die sog. Frei-

    heitspartei Swoboda hat insgesamt sechs Abgeordnete (fnf ber die Liste und einen Direktkandida-ten) bei voraussichtlich 6,5 Prozent. Von den neuen Parteien haben jene besser abgeschnitten, denen

    bekannte Persnlichkeiten vorstehen. Der Lemberger Brgermeister Sadowy wird fr das Stadtma-

    nagement Lembergs geschtzt, Lesja Orobets war als Abgeordnete des nationalen Parlaments in der

    Majdanbewegung sichtbar. Ansonsten ziehen noch die Brgerliche Position des ehemaligen Verteidi-gungsministers und Parlamentsabgeordneten Anatoli Hrytsenko, der vorwiegend Intellektuelle hinter

    sich versammelt, die die bergangsregierung kritisch begleiten, und die Partei Einheit eines frheren Kiewer Brgermeisters Oleksandr Omeltschenko mit drei bzw. zwei Vertretern (und voraussichtlich

    Die zweitbeste Brgermeisterkandidatin Lesja Orobets

    konnte erst nach einem Gerichtsentscheid wieder zur

    Brgermeisterwahl antreten.

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    3,61 bzw. 3,31 Prozent) in die Kiewer Rada ein. Nicht ber die erforderlichen drei Prozent kamen die

    ganz neuen liberalen Parteien Demokraten um die Abgeordneten Volodymyr Polotschaninow und

    Andrei Pawelko, die zur Partei Front des Wandels des bergangspremiers Jatzenjuk gehrten, aber die Vereinigung mit der Vaterlandspartei im Juni 2013 nicht mitmachten, sowie die Partei 5.10 mit

    einem ausschlielich auf Steuern beschrnkten Programm (die 5 steht fr eine fnfprozentige Mehrwertsteuer und die 10 fr den entsprechenden einheitlichen Einkommenssteuersatz). Beide

    waren gerade im Fernsehen noch weniger sichtbar als etwa die anderen Kleinparteien, was in der Uk-

    raine ein deutlicher Nachteil ist.

    Dagegen drfte zum guten Abschneiden der Radikalen

    Partei Oleh Liaschkos beigetragen haben, dass ihr Partei-

    vorsitzender es mit seinen populistischen uerungen in

    fast jede Fernsehtalkshow schaffte. Der aus der Vater-

    landspartei kommende Maverick schnitt schon bei der Prsidentschaftswahl mit 8,32 Prozent als Drittbester ab.

    Solange es keine gesetzlichen Regelungen gibt, muss sich

    das ukrainische Fernsehen, mittels dessen sich der ber-

    wiegende Teil der ukrainischen Gesellschaft noch immer

    informiert, fragen lassen, ob es mit quotenorientierten

    populistischen Auftritten einzelner Kandidaten der ukrai-

    nischen Gesellschaft einen Gefallen tut. Mittlerweile

    komplimentierte Oleh Liaschko einen russischen Journalis-

    ten eigenmchtig und trotz Akkreditierung aus dem ukrai-

    nischen Parlament, was die politische Kultur der Ukraine

    nicht weiterbringt.

    In den Gebietshauptstdten Odessa,Tscherkassy,

    Mikolajiw, Cherson, Czernowitz und Sumy

    In Odessa war schon der Wahlkampf zwischen den

    Gegenkandidaten mit den besten Erfolgsaussichten,

    Eduard Gurwiz von UDAR und dem fr die Lokal-

    wahl aus dem nationalen Parlament ausgetretenen

    Gennadi Truchanow hsslich, vor allem, weil die

    Verantwortung fr den Brand in Odessa am 2. Mai,

    bei dem ber 40 Menschen gestorben waren, Wahl-

    kampfthema war. Gurwiz wurde erstaunlicherweise

    auch vom bergangsinnenminister Arsen Awakow

    von der Vaterlandspartei beschuldigt Awakow legte fr diese schwerwiegende Beschuldigung aber

    ebenso wenig Beweise vor wie irgendjemand sonst.

    Der letztliche Sieger Truchanow kommt aus der

    Partei der Regionen und erfhrt nun Unterstt-zung durch die Partei Rodina (russisch fr Vater-

    land). Illegaler Aktivitten bezichtigten sich beide

    Hinten der erfolgreiche Vitali Klitschko, vorn der als

    Prsidentschaftskandidat gescheiterte Anatoli

    Hrytsenko, dessen Partei Brgerliche Position zumindest der Einzug ins Kiewer Stadtparlament

    gelang.

    Die Wahlwerbung fr die "Radikale Partei" von Oleh Liaschko

    fr die Stadtratswahl Kiew: Ein radikaler Wechsel - das ist die

    Wahrheit.

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    Kandidaten. Auch das Thema Separatismus spielte eine Rolle, diesmal als Vorwurf an die Adresse Truchanows. Er betonte daraufhin, niemand in Odessa wolle nach Russland und niemand halte Odessa

    fr eine russische Stadt. Truchanow werden bei genannten 43,4 Prozent der Whlerstimmen und mehr

    als 11 Prozent Vorsprung vor dem Zweitplatzierten groangelegte Flschungen vorgeworfen. So wur-

    den Scke mit 13.500 Wahlzetteln gefunden, auf denen Truchanows Name angekreuzt war. Zudem

    wird die Richtigkeit von Whlerlisten angezweifelt, weil sie den unwahrscheinlichen Fall einer hhe-

    ren Wahlbeteiligung als bei der parallelen Prsidentschaftswahl dokumentiert haben.

    In Tscherkassy in der Zentralukraine, wo Brgermeister und Stadtrat gewhlt wurden, hat die Zentrale

    Wahlkommission der Ukraine die fr die Stadt zustndige sog. Territoriale Wahlkommission aufge-lst, nachdem diese entschied, die Wahlprotokolle fr beide Wahlen noch einmal zu prfen. Die neue

    Territoriale Wahlkommission besttigte den Sieger der Randpartei der Freien Demokraten und rief ihn zum Brgermeister aus. Der wiederum wirft der (alten) Territorialen Wahlkommission vor, unter

    dem Einfluss einer gegen ihn gerichteten Koalition aus der Partei der Regionen, Kommunisten und der

    Vaterlandspartei gehandelt zu haben.

    Erwartungsgem liefen die Wahlen im sdlichen Mykolajiw ab, wo die Brger sich mehrheitlich fr

    ein ehemaliges Mitglied der Partei der Regionen aus dem Stadtrat entschieden, das faktisch den

    fehlenden Brgermeister ersetzt hatte. In Cherson dagegen, ebenfalls in der Sdukraine, whlten die

    Brger ein Mitglied der Vaterlandspartei, ebenso wie im westlichen Czernowitz und im nordstlichen

    Sumy.

    Augenmerk auf der Hauptstadt

    Aufgrund des genannten Lokalwahlgesetzes ist die Amtszeit aller neu Gewhlten begrenzt. Auch die

    nchste regulre Brgermeisterwahl in Kiew findet bereits Ende Oktober 2015 statt, zusammen mit

    allen anderen Lokalwahlen.

    Vitali Klitschko wird zeigen mssen, dass er gravierende Probleme zumindest angeht. Einen Vorge-

    schmack dessen, wie schwierig es sein wird, angekndigte Ziele durchzusetzen, sprte Vitali Klitschko

    schon eine Woche nach der Wahl, als er erklrte, dass er die auf den Straen und im Kiewer Rathaus

    verbliebene Majdanbewegung einbeziehen wolle, die Barrikaden in Kiew aber nun weggerumt gehr-

    ten. Zum ersten Mal seit Februar brannten im Zentrum Kiews wieder Autoreifen.

    In der heruntergewirtschafteten Hauptstadt werden die wirtschaftlichen Herausforderungen eine

    zentrale Rolle spielen. So erhlt Kiew mit einem Budget von 25 Milliarden UAH (etwa 1,5 Milliarden

    Euro) und, nach Aussage des gegenwrtigen Verwaltungschefs, einem Defizit von 3,6 Milliarden UAH

    (etwa 230 Millionen Euro) nach allgemeiner Einschtzung aller politischen Krfte zu wenig Geld aus

    dem nationalen Budget. Kiew berweise dagegen zu viel Geld an die Regierung, beispielsweise rund

    10 Milliarden UAH (etwa 625 Millionen Euro) Einkommenssteuer physischer Personen nur in diesem

    Jahr. Klitschko hat bereits kostspielige Investitionen zugesagt, etwa den kommunalen Nahverkehr zu

    erweitern. Problematisch ist, dass heutige Tarife fr Nahverkehr, fr Wasser und andere kommunale

    Dienste schon jetzt nicht die Kosten decken. Sicher wre Geld vorhanden, wenn der Haushalt insge-

    samt transparent gemacht und etliche Abzweigungen zugunsten Einzelner unterbunden wrden, die

    wegen Gesetzeslcken oder Korruption funktionieren. Bis es soweit ist, wird es schwer, Tarife anzuhe-

    ben oder populistische Zahlungen wie zwanzigprozentige Gehaltszuschlge fr Stadtbedienstete ein-

    zustellen, die sich auch die Hauptstadt nicht leisten kann.

  • Hintergrund: Ukraine Nr. 37 / Juni 2014 | 8

    Das alte Thema die Schwierigkeiten mit der neuen politische Kultur

    Die Ukrainer nehmen altes Fehlverhalten durchaus wahr, einige resignierend, andere werden nicht mde, es zu thematisieren. Wieder andere glauben, der Zweck entschuldige die Mittel, denn das Land

    habe momentan gravierendere Probleme. So rechtfertigen etwa Abgeordnete der frheren Opposition

    das Abstimmen mit fremden Stimmkarten im nationalen Parlament so, dass wichtige Gesetze verab-

    schiedet werden mssten. Momentan emprt sich die Gesellschaft auch deshalb wenig, weil sie von

    der kritischen Lage im Osten und dem Wunsch nach Frieden und Stabilitt abgelenkt ist.

    Der neue, demokratisch legitimierte Prsident Poroschenko hat am Tag seiner Inauguration von den

    bereits vorbereiteten Dezentralisierungsvorhaben gesprochen und betont, dass dafr im Donbass

    legitime Ansprechpartner notwendig seien. Folglich werde er sich fr vorgezogene Kommunalwahlen

    auch dort einsetzen, die so bald wie mglich gehalten werden sollten.

    Die zahlreichen Schwierigkeiten bei den Lokalwahlen, die gerade stattgefunden haben, zeigen indes,

    dass die Auslagerung von Kompetenzen in die Regionen nicht ohne weiteres die Probleme lst, die die

    Ukraine mit der demokratischen Praxis hat. Grundstzlich ist mehr lokale Selbstverwaltung natrlich

    richtig. Aber es ist in einem Land mit rudimentrer politischer Kultur eine Herausforderung, sie ver-

    antwortungsbewusst zu organisieren und zu kontrollieren. Es ist ein Glck fr die Ukraine, eine aktive

    Zivilgesellschaft zu haben, auch wenn die gegenwrtige Kriegssituation naturgem auch diese in

    ihrem Handlungsspielraum einschrnkt.

    Die grundstzliche Wertschtzung lokaler Wahlen teilen brigens nicht alle. Das (sich inzwischen

    Russland zugehrig fhlende) Krim-Parlament hat die Direktwahl von Brgermeistern bereits abge-

    schafft.

    Miriam Kosmehl ist Projektleiterin der FNF fr die Ukraine und fr Belarus.

    Fotos: FNF-Projektbro Kiew

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam