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HORIZONT No 38 Etats · Kampagnen · Konzeptionen Agenturen 36 This. Here and Now. With you. Die Worte des Tattoos am Arm eines Ars- Electronica-Mitarbeiters sprechen aus, was jeder Teilnehmer dieser lokalen Denkwerkstatt globaler Visionäre fühlt. Es geht beim Motto 2014 um ein Mitei- nander, Teilnehmen, Erfahren, Disku- tieren, Gestalten. Die Energie des Zu- sammenwirkens. Kein Wunder also, dass der Prix Ars Electronica in der Kategorie Digital Communities dieses Jahr an ein autonomes Crowdsourcing- Projekt (Fumbaro Eastern Japan, fum- baro.org) geht: Wenn Top-down-Ver- waltungssysteme versagen, erschaffen Bürger proaktiv Systeme, die ihre Ex- pertisen und Talente freiwillig und für die Allgemeinheit nutzen. Dies bot ein skalierbares Projekt, von Japan nach Linz und über die Nica-Auszeichnung rund um die Welt. Heuer wurde der 35. Geburtstag des Festivals mit einem bunten Programm gefeiert, das eine besonders intensive Erfahrung für die Organisationsta- lente der Besucherschaft bot. Denn es gab mehr Standorte als sonst, andere Festivalformate, viele neue Diskussi- onssymposien über die Innenstadt verteilt. Eine Herausforderung für die „Lean back and enjoy the ride“-Crowd. „Motivation zur Interaktion“ ist schließ- lich die Stimmung des „What it takes to change“-Mottos, bei dem die Idee von Kunst als Katalysator, also als Motor für gesellschaftliche Verände- rungen, hinterfragt wird. Vom Shop zur Gutmenschen-Galerie Keine revolutionäre Idee, aber die Ein- ladung zum Gespräch über innovative Handelsoffensiven offeriert eine Shop- ping-Mall, die sich zur temporären Kunstgalerie umfunktioniert. In den Schaufenstern der Change Gallery ent- deckt man in Form von Schuhen und Edelkeramik, Videoscreens und Design- objekten ausschließlich Kunstprojekte, die irgendeine Form von Veränderung hervorgerufen haben. Und weil inzwi- schen bekannt ist, dass das der welt- weit interessanteste Salon für Kunst, Technologie und Gesellschaft sowie Inspirationsquelle für viele zeitgenös- sische Schaffensbereiche ist, stellt sich die Frage, ob die Change Gallery nicht etwa ein Vorbild für eine nachhaltige Retail-Strategie ist. Würde der Handel von einem Kunst-Kommerz-Zugang profitieren, der regelmäßig zum Pro- gramm wird? Kunstmetapher als Warnsignal Der chinesische Künstler Eric Siu ver- weist mit seinem Kamerahelm „Touchy“ auf die Isolation und das urbane Co- coon-Verhalten von Menschen und lädt zur sozialen Interaktion ein. Trägt man den Kamerahelm, ist man blind, bis man von einem Mitmenschen einige Sekunden lang berührt wird. Siu: „Tou- chy soll helfen, Probleme unserer Zeit, wie Sozialphobie, zu lösen.“ Beim An- blick von Lauren McCarthys „Happiness Hat“ muss ich an eine Haderer-Illustra- tion denken, in der sich grantige Städter morgens ihre Happiness-Maske aufset- zen. Ein biegsamer Sensor misst die Größe des Lächelns des Strickmützen- trägers. Bei Nichtlächeln aktiviert sich eine Metallspitze und drückt sich in den Hinterkopf. Ob die Zwangskonditi- onierung mittels Dauerlächeln wirklich glücklich macht, ist fraglich. Spraydose gegen Wasserpistole Immer wieder gut: die interaktiven Installationen, wie man sie von diesem Festival kennt. Kerzenlicht, das sich mittels Gehirn-Computer-Schnittstelle und intensiver Entspannung von selbst auslöscht. Aber um auf das Thema Veränderung zurückzukommen: Eine Wand aus Tausenden wasserempfind- lichen LEDs, die man nur mit einem Schwamm, Pinsel oder einer Spritz- pistole und etwas Wasser zum Leuch- ten bringt. Water Light Graffiti heißt diese Kunstform, die nichts mit Spray- dosen-Vandalismus, höchstens mit dem sensiblen ema der Light Pollu- tion in Städten zu tun hat. Wenn ein Wassertropfen die Sensoren dieser LEDs berührt, leuchten sie für kurze Zeit in voller Leuchtkraft auf. Denken wir an die regenreiche Zeit, in der wir uns befinden: Wäre es nicht schön, wenn wir Materialien für Gebäude ent- werfen könnten, die in der Lage sind, mit dem Wetter zu interagieren? ‚Star Wars‘ in Linz Das Linzer Völkchen ist exzentrische Auftritte mittlerweile gewöhnt. Beim Gespräch mit einer Mitte-sechzig-jähri- gen Dame höre ich, dass schrille Figu- ren, wie überdimensionale Roboter, die an eine Science-Fiction-Szene aus „Krieg der Sterne“ erinnern, inzwischen zur Identität der Stadt gehören, und so schlendert die Linzer Omi neben dem japanischen Skeletonics Cyborg relativ unbeeindruckt durch den Donaupark. Veränderung – proaktiv nicht reaktiv Hat denn Kunst wirklich die Macht, Partizipation und Dialog zu bewirken, um die Bürger zur Mitgestaltung zu animieren? Gerfried Stocker, künstle- rischer Leiter des Festivals, kündigt im Vorfeld an, dass es in den Diskussions- foren darum gehe, den krisenhaft besetzten Begriff der Veränderung auf- zubrechen. Veränderung sei, europa- weit betrachtet, primär mit einem negativen Gefühl besetzt. Nur wenn die Probleme groß seien, würde man den Handlungsbedarf und Wunsch zur Veränderung äußern. Diesen Zugang, so Stocker, galt es bei der Kuration für die ausgestellten Arbeiten 2014 zu ändern. Veränderung soll proaktives Denken ausdrücken und kein reaktives Fluchtverhalten sein. Die Macht der kreativen Frage Im Future Innovators Summit wurde viel über die Change Economy und neue innovative Formen von Wirt- schaftsmodellen, die keine Wertschöp- fungsketten, sondern Ökosysteme sind, geredet. Welche Arten von Storytelling benötigt man für Change? Und wie ist die Creative Question zu definieren, damit Ideen und Projekte entstehen können, die Menschen wagemutiger, sozialer und verantwortungsvoller ma- chen und sie dazu stimulieren könnten, ihr Wissen auszutauschen? Ich frage mich und übrigens auch Joachim Sauter, Oliviero Toscani und Hiroshi Ishii, ob das zum heurigen Fes- tival passende Zitat von Alan Kay, „e best way to predict the future is to invent it“, nicht der ultimative Aufruf zur Partizipation sei. Die klarste Ant- wort kommt von Sauter: „Ja, und zwar gepaart mit Innovation. Wir müssen an der Veränderung unserer Bildungs- systeme arbeiten. Raus aus der Com- fort Zone. Keinen Erwartungen mehr entsprechen. Wenn wir ein Bildungs- system erschaffen, in dem wir das Nichtangepasste zulassen, haben wir eine glänzende Zukunft vor uns.“ Daniela Krautsack Das Ars Electronica Festival 2014 bot keine definitiven Lösungen, sondern – viel spannender – es lud zum Diskurs darüber ein. Das Ergebnis ist eindeutig und heißt ‚Partizipation und Kooperation‘ Die Passwörter am Tor zur Veränderung: Partizipation und Kooperation Daniela Kraut- sack ist Ge- schäftsführerin von Cities Next (www.citiesnext. com), einer brandneuen Agentur für Bür- ger-Partizipati- onsdesign und mit der Mission, kollektive Intel- ligenz zur Lösung von Stadtproblemen zu nutzen. © cows in jackets Skurrile Erschei- nungen wie der Roboteranzug Skeletonics ma- chen die Linzer stolz, eine Stadt der Zukunfts- denker zu sein. © Tom Mesic Porträtkünstler der Zu- kunft? „5 Roboter namens Paul“ führten den Zeichen- stift im Mariendom. © Tommo Die Helmkamera erlaubt dem Träger, seine Umwelt nur durch eine mindestens zehnsekündige Berührung eines anderen zu sehen. © Tom Mesic Ein überdimensionales Netz im OK Offenen Kul- turhaus ersetzt das tradi- tionelle Stiegenhaus und lädt zum unkonventio- nellen Netzwerken und Perspektivenwechsel ein. © Marilen Hennebach Eine neue Form des Graffiti entsteht bei jedem Regentropfen. © FotoFilip © Florian Voggeneder

Horizont 38 2014 - Ars Electronica Review 2014

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Partizipation und Kooperation lauteten zwei Fokusthemen des Ars Electronica Festivals in Linz 2014. Wir haben uns die Highlights angesehen.

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Page 1: Horizont 38 2014 - Ars Electronica Review 2014

HORIZONT No 38Etats · Kampagnen · KonzeptionenAgenturen36

This. Here and Now. With you. Die Worte des Tattoos am Arm eines Ars-Electronica-Mitarbeiters sprechen aus, was jeder Teilnehmer dieser lokalen Denkwerkstatt globaler Visionäre fühlt. Es geht beim Motto 2014 um ein Mitei-nander, Teilnehmen, Erfahren, Disku-tieren, Gestalten. Die Energie des Zu-sammenwirkens. Kein Wunder also, dass der Prix Ars Electronica in der Kate gorie Digital Communities dieses Jahr an ein autonomes Crowdsourcing-Projekt (Fumbaro Eastern Japan, fum-baro.org) geht: Wenn Top-down-Ver-waltungssysteme versagen, erscha�en Bürger proaktiv Systeme, die ihre Ex-pertisen und Talente freiwillig und für die Allgemeinheit nutzen. Dies bot ein skalierbares Projekt, von Japan nach Linz und über die Nica-Auszeichnung rund um die Welt.

Heuer wurde der 35. Geburtstag des Festivals mit einem bunten Programm gefeiert, das eine besonders intensive Erfahrung für die Organisationsta-lente der Besucherschaft bot. Denn es gab mehr Standorte als sonst, andere Festivalformate, viele neue Diskussi-onssymposien über die Innenstadt verteilt. Eine Herausforderung für die „Lean back and enjoy the ride“-Crowd. „Motivation zur Interaktion“ ist schließ-lich die Stimmung des „What it takes to change“-Mottos, bei dem die Idee von Kunst als Katalysator, also als Motor für gesellschaftliche Verände-rungen, hinterfragt wird.

Vom Shop zur Gutmenschen-Galerie

Keine revolutionäre Idee, aber die Ein-ladung zum Gespräch über innovative Handelso�ensiven o�eriert eine Shop-ping-Mall, die sich zur temporären Kunstgalerie umfunktioniert. In den

Schaufenstern der Change Gallery ent-deckt man in Form von Schuhen und Edelkeramik, Videoscreens und Design-objekten ausschließlich Kunstprojekte, die irgendeine Form von Veränderung hervorgerufen haben. Und weil inzwi-schen bekannt ist, dass das der welt-weit interessanteste Salon für Kunst, Technologie und Gesellschaft sowie Inspirationsquelle für viele zeitgenös-sische Scha�ensbereiche ist, stellt sich die Frage, ob die Change Gallery nicht etwa ein Vorbild für eine nachhaltige Retail-Strategie ist. Würde der Handel von einem Kunst-Kommerz-Zugang pro"tieren, der regelmäßig zum Pro-gramm wird?

Kunstmetapher als Warnsignal

Der chinesische Künstler Eric Siu ver-weist mit seinem Kamerahelm „Touchy“ auf die Isolation und das urbane Co-coon-Verhalten von Menschen und lädt zur sozialen Interaktion ein. Trägt man den Kamerahelm, ist man blind, bis man von einem Mitmenschen einige Sekunden lang berührt wird. Siu: „Tou-chy soll helfen, Probleme unserer Zeit, wie Sozialphobie, zu lösen.“ Beim An-blick von Lauren McCarthys „Happiness Hat“ muss ich an eine Haderer-Illustra-tion denken, in der sich grantige Städter morgens ihre Happiness-Maske aufset-zen. Ein biegsamer Sensor misst die Größe des Lächelns des Strickmützen-trägers. Bei Nichtlächeln aktiviert sich eine Metallspitze und drückt sich in den Hinterkopf. Ob die Zwangskonditi-onierung mittels Dauerlächeln wirklich glücklich macht, ist fraglich.

Spraydose gegen Wasserpistole

Immer wieder gut: die interaktiven Installationen, wie man sie von diesem

Festival kennt. Kerzenlicht, das sich mittels Gehirn-Computer-Schnittstelle und intensiver Entspannung von selbst auslöscht. Aber um auf das Thema Veränderung zurückzukommen: Eine Wand aus Tausenden wasseremp"nd-lichen LEDs, die man nur mit einem Schwamm, Pinsel oder einer Spritz-pistole und etwas Wasser zum Leuch-ten bringt. Water Light Gra#ti heißt diese Kunstform, die nichts mit Spray-dosen-Vandalismus, höchstens mit dem sensiblen $ema der Light Pollu-tion in Städten zu tun hat. Wenn ein Wassertropfen die Sensoren dieser LEDs berührt, leuchten sie für kurze Zeit in voller Leuchtkraft auf. Denken wir an die regenreiche Zeit, in der wir uns be"nden: Wäre es nicht schön, wenn wir Materialien für Gebäude ent-werfen könnten, die in der Lage sind, mit dem Wetter zu interagieren?

‚Star Wars‘ in Linz

Das Linzer Völkchen ist exzentrische Auftritte mittlerweile gewöhnt. Beim Gespräch mit einer Mitte-sechzig-jähri-gen Dame höre ich, dass schrille Figu-ren, wie überdimensionale Roboter, die an eine Science-Fiction-Szene aus „Krieg der Sterne“ erinnern, inzwischen zur Identität der Stadt gehören, und so schlendert die Linzer Omi neben dem japanischen Skeletonics Cyborg relativ unbeeindruckt durch den Donaupark.

Veränderung – proaktiv nicht reaktiv

Hat denn Kunst wirklich die Macht, Partizipation und Dialog zu bewirken, um die Bürger zur Mitgestaltung zu animieren? Gerfried Stocker, künstle-rischer Leiter des Festivals, kündigt im Vorfeld an, dass es in den Diskussions-foren darum gehe, den krisenhaft

besetzten Begri� der Veränderung auf-zubrechen. Veränderung sei, europa-weit betrachtet, primär mit einem negativen Gefühl besetzt. Nur wenn die Probleme groß seien, würde man den Handlungsbedarf und Wunsch zur Veränderung äußern. Diesen Zugang, so Stocker, galt es bei der Kuration für die ausgestellten Arbeiten 2014 zu ändern. Veränderung soll proaktives Denken ausdrücken und kein reaktives Fluchtverhalten sein.

Die Macht der kreativen Frage

Im Future Innovators Summit wurde viel über die Change Economy und neue innovative Formen von Wirt-schaftsmodellen, die keine Wertschöp-fungsketten, sondern Ökosysteme sind, geredet. Welche Arten von Storytelling benötigt man für Change? Und wie ist die Creative Question zu de"nieren, damit Ideen und Projekte entstehen können, die Menschen wagemutiger, sozialer und verantwortungsvoller ma-chen und sie dazu stimulieren könnten, ihr Wissen auszutauschen?

Ich frage mich und übrigens auch Joachim Sauter, Oliviero Toscani und Hiroshi Ishii, ob das zum heurigen Fes-tival passende Zitat von Alan Kay, „$e best way to predict the future is to invent it“, nicht der ultimative Aufruf zur Partizipation sei. Die klarste Ant-wort kommt von Sauter: „Ja, und zwar gepaart mit Innovation. Wir müssen an der Veränderung unserer Bildungs-systeme arbeiten. Raus aus der Com-fort Zone. Keinen Erwartungen mehr entsprechen. Wenn wir ein Bildungs-system erschaffen, in dem wir das Nichtangepasste zulassen, haben wir eine glänzende Zukunft vor uns.“

Daniela Krautsack

Das Ars Electronica Festival 2014 bot keine definitiven Lösungen, sondern – viel spannender – es lud zum Diskurs darüber ein. Das Ergebnis ist eindeutig und heißt ‚Partizipation und Kooperation‘

Die Passwörter am Tor zur Veränderung: Partizipation und Kooperation

Daniela Kraut-

sack ist Ge-

schäftsführerin

von Cities Next

(www.citiesnext.

com), einer

brandneuen

Agentur für Bür-

ger-Partizipati-

onsdesign und

mit der Mission,

kollektive Intel-

ligenz zur

Lösung von

Stadtproblemen

zu nutzen.

© cows in jackets

Skurrile Erschei-

nungen wie der

Roboteranzug

Skeletonics ma-

chen die Linzer

stolz, eine Stadt

der Zukunfts-

denker zu sein.

© Tom Mesic

Porträtkünstler der Zu-

kunft? „5 Roboter namens

Paul“ führten den Zeichen-

stift im Mariendom. © Tommo

Die Helmkamera erlaubt

dem Träger, seine Umwelt

nur durch eine mindestens

zehnsekündige Berührung

eines anderen zu sehen.

© Tom Mesic

Ein überdimensionales

Netz im OK Offenen Kul-

turhaus ersetzt das tradi-

tionelle Stiegenhaus und

lädt zum unkonventio-nellen Netzwerken und

Perspektivenwechsel ein.

© Marilen Hennebach

Eine neue Form des

Graffiti entsteht bei jedem

Regentropfen. © FotoFilip

© Florian Voggeneder