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REPORTAGE 11 Titelthema Identität Das Ich in uns. Gedanken zur Realität unserer Identität Dreads, Spice Girls oder Tofu – und wohin gehörst du? I lost my virginity, but not my identity 12 15 16 Und wieviel Österreicher steckt in dir? 17 Reis oder Kartoffel 18 Titelthema

Identität – Das ich in uns

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Essay zum Thema Identität. Der Leitartikel für das Titelthema des joe magazins 3.

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REPORTAGE

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Titelthema

IdentitätDas Ich in uns.

Gedanken zur Realität unserer Identität

Dreads, Spice Girls oder Tofu – und wohin gehörst du?

I lost my virginity, but not my identity

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Und wieviel Österreicher steckt in dir?17

Reis oder Kartoffel18

Titelthema

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Titelthema

Das Ich in uns.

Ein Kosmonaut schwebt in der sterilen Stille seiner Raumkapsel und sieht aus einem der Fen-

ster hinab auf den Flecken, den er einmal Heimat nannte. Ohne Halt treibt es ihn, während er sich erinnert. An seine Jugend, seine Leidenschaft, der er sich hingegeben hat. Und an den Drang nach einem Ziel, der ihn schließlich hier hinauf in die Leere des Alls gebracht hat. Dieser Kosmonaut ist das Ich.

Gedanken zur Realität unserer Identität Text: Hubertus J. Schwarz

IdentitätIrgendwo in Niemandsland Rinnstein, zwischen vorbei strömendem Regen-wasser und faulendem Laub, da liegt ein Teddy. Steif noch vom Frost der Nacht. Zerrupft von vielen Händen. Und leer. Teddy ist leer und hohl. Man hat ihm seine wollene Füllung heraus-gerissen um Platz zu schaffen für ein Päckchen illegalen, weißen Vergessens. Ohne Augen starrt Teddy in ein nimmer müdes Dunkel. Keiner be-merkt das braungraue Elend zwi schen

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Das Ich in uns.

nach, wie er selber auf seine Identität Einfluss nimmt. Der Blick des Teddys geht dagegen nach außen und stellt sich dem, was andere aus ihm gemacht haben. Keiner dieser Blickwinkel ist der Richtige. Genauso wie keiner der Falsche ist. Und das ist es auch, was oft bei der Frage nach Identität herauskommt. Es gibt keine goldene Mitte, keinen besten Weg. Und in einer Zeit, wo Individuali tät und Selbstverwirklich-ung zum guten Ton gehören, lässt sich so etwas wie eine ideale Schnitt-stelle ohnehin kaum ausmachen. Oder doch? Und was ist eine Identität eigentlich?

Identität ist, wenn ein Ichbewusst-sein versucht, sich in der Welt, in der es sich gefunden hat, eine Rolle zu geben. Dieser Platz rührt von ganz unterschiedlichen Gegebenheiten her. Alles trägt zu einer Identität bei. Man selber, die Familie, das soziale Umfeld, Ort und Zeit, in der man lebt. Identität ist also nicht nur, wie ich mich sehe oder gern sehen würde, sondern auch wie andere mich sehen und sehen möchten.

Der Teddy im Regen ist das Bild des Menschen, der versucht sich dem gewahr zu werden, was andere aus ihm gemacht haben. Der Teddy im Regen versinnbildlicht, dass wir machtlos dem gegenüberstehen wie andere uns sehen. Oder, wenn schon nicht ganz machtlos, so doch zumindest beschränkt. Denn was wir registrieren können, ist allein das, was andere Iden-titäten an Reaktionen erkennen lassen. Und unsere Reaktion darauf ist nur wie-der der Anlass für eine nächste Hand-lung unseres Gegenübers. Identität ist also auch ein stetes Wechselspiel aus

Aktion und Reaktion. Kommunikation. Ein ewiges Abwägen, inwieweit wir das Gesendete aufnehmen oder es ignorieren. In einem Wort: zwischen-menschlich.

Der einsame Kosmonaut sieht nicht auf die anderen. Ihn kümmert keine Kommunikation, kein zwischen-menschliches Verhalten. Er blickt nur auf sein Selbst und den Weg, auf dem er sich bis ins Jetzt gebracht hat. Er verdeutlicht ein Bewusstsein, das sich selber zu erkennen versucht. Diesen Prozess durchleben wir ständig. Wir schauen in den Spiegel und ver-suchen das, was uns dort entgegen-blickt mit dem zu vereinbaren, von dem wir gern hätten, dass es uns ent-gegenblickt. Wir reflektieren, manipu-lieren und korrigieren uns. Bewusst, in-dem wir Eyeliner und Rasierer zücken. Unbewusst, indem wir aus unserem Umfeld Mechanismen annehmen und ausführen, ohne das aktiv zu steuern. Frei nach dem Motto: Was zur Hölle suche ich eigentlich vor dem Spiegel? Identität ist also auch reflektierend.

Egal, aus welchem Blickwinkel wir Identität betrachten. Identität bleibt einzigartig. Denn jeder Mensch besitzt Eigentümlichkeiten seines Wesens, die ihn als Individuum kennzeichnen. Sie entsteht aus zwei Prozessen: Selbster-kenntnis und Selbstgestaltung. Aus dem Willen sich abzugrenzen und jenem dazuzugehören. Also aus einem Ich-Gefühl und einem Wir-Gefühl. Es ist für die Erfahrung „Identität“ wichtig, dass es eine Gruppe gibt, an der wir uns messen können. Die sowohl als Anker für Gemeinsamkeiten wirkt, uns aber auch die Unterschiede zu anderen aufzeigt. Diese Gruppe kann von Familie über Freunde bis hin

all dem anderen Abschaum. Und so macht sich auch niemand Gedanken, was Teddy hierher gebracht hat. Was ihn zu dem werden ließ, der er heute ist. Auch dieser Teddy ist ein Ich.

Beide Blickwinkel haben einen sehr differenzierten Standpunkt von dem aus sie ihre Identitäten betrachten. Dabei aber einen völlig Entgegen-gesetzten. Der des Kosmonauten richtet sich nach innen und fragt da-

Foto: Wolfgang Schnuderl

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zu einem Volk, einer ganzen Ethnie, alles Mögliche sein. Auch Staat und Gesllschaft.

Die moderne Gesellschaft hat einen großen Einfluss auf unsere Identität. Denn sie repräsentiert in weiten Teilen unser Umfeld. Und so nimmt sie auch Anteil an unserer Identität. Das drückt sich in einer sozialen Stellung, in Namen, Titeln und Rängen aus. Aber auch in Werten und moralischen Richt-linien, an die wir uns anpassen. Teilen wir einige dieser Normen nicht, gelten wir schnell als störende Fremdkörper.

Auch der Staat baut auf solche Raster: Haben wir keinen Pass, keine Geburts-urkunde und keine Versicherungs-nummer, keinen eingetragenen Wohnort oder dokumentierte Bindung, dann sind wir für den Staat praktisch nicht existent. Identität als Werkzeug zur Identifikation eines Individuums. Dafür braucht es diese Existenzzeug-nisse. Nur so kann man in einem bürokratischen System als Teil akzep-tiert werden. Da heißt es: entweder ganz oder gar nicht. Wie die Biene in ihrem Stamm nur dann toleriert wird, wenn sie sich einfügt. Tut sie das nicht, wird sie ent-weder ausgestoßen oder getötet. Wie auch wir bestraft werden, sofern wir uns nicht an das System anpassen und den Staat mittragen. Beispielsweise durch Besachwalterung oder dadurch, dass wir die Vorzüge aus einem staatlich organisierten System nicht mehr beanspruchen können. Ein sozialer Grundkonflikt. Geben wir bis zu einem gewissen Grad unsere Freiheit auf, bekommen wir dafür den Schutz und die Privilegien einer Gemeinschaft. Wir bleiben Individuen, sind aber dennoch Teil des großen Ganzen – Staat. Beharren wir auf unserer Autonomie, sind wir weniger abhängig, können

aber das soziale Sicherheitsnetz nicht beanspruchen. Freiheit auf Kosten der Sicherheit. Zwischen diesen Extremen pendeln wir unser Leben lang. Manch-mal schlagen wir mehr in Richtung Freiheit, dann wieder in Richtung Gemeinschaft aus. Unser (Un)Bewusstsein formt so eine Identität, die ständig im Fluss ist. Wir passen uns an. Das gelingt mal mehr, mal weniger. Wir entpassen einander. Und doch bleibt die Frage: Gibt es eine ideale Schnittstelle?

Angenommen, das was andere in einem sehen und die Art auf die man sich selber als gut wahrnimmt, stimmen überein. Wenn man sich also nicht ver-stellen muss, um als das eigene Ideal-bild, wie auch das des Gegenübers zu gelten. Dann hat man die goldene Mitte erreicht. Die völlige Ausge-wogenheit zwischen sich und der Um-welt. Manchmal erreichen wir diesen Zustand für einen Moment. Dann, wenn sich alles fügt: Man sich in seiner Umgebung genauso zuhause fühlt, wie auch alles um einen herum erkennen lässt, dass man nicht nur akzeptiert, sondern auch verstanden und geachtet wird. Du ok, ich ok, wir ok. Aber da genauso wir, wie alles andere in Veränderung begriffen ist, kann dieser Moment nicht von Dauer sein. Sondern muss und kann immer wieder aufs Neue entdeckt werden.

Letztendlich bleibt Identität also ein Begriff, der nicht zu greifen ist. Ein bisschen Kosmonaut, ein wenig alter Teddy, alles mit einer Prise Staat und Kommunikation. Ein Hybrid aus so vielen Deutungen und Versionen seiner selbst, dass er nicht umfassend ver-standen werden kann. Und vielleicht ist genau das auch der Sinn dabei. Identität will im Kern von jedem ganz individuell verstanden werden. Identität ist Identität.

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Ein paar typische Merkmale und alles ist klar. Die Szene, die Lebenseinstellung. Dieser eine Blick - ein Ganzkörperscan mit den Augen - und man glaubt, alles über die Person zu wissen.

Und wohin gehörst du?

Kaufst du Bio-Gemüse oder gar beim Gärtner ein? Öko. Verbringst du deine Abende daheim mit Horrorfilmen und trägst bevorzugt

schwarz? Gruftie. Stehst du auf Nirvana und trägst Chucks? Alternativer. Du trägst weite Hosen und stehst auf elektronische Musik? Raver. So einfach kann es sein, jemanden einzuschätzen. Seine Vorlieben, seine Ticks, politische Einstellung, Freunde, Feinde – alles auf einen Blick erkennbar. „Nur ein Blick von dir und ich wusste genau, was du denkst, was du fühlst…“ sangen damals TicTacToe (wenn auch in einem etwas anderen Kontext). Aber denken wir das nicht alle? Emos heulen bloß, Punks sind immer dagegen, Tussis hohl und Ökos halten sich für die großen Weltverbesserer. Natürlich sind das Vorurteile. Weiß auch jeder. „Aber selbst Vorurteile kommen nicht von irgendwoher“, hör’ ich ein paar von euch murmeln. Na klar, einige lebende Beispiele verkörpern diese Vorurteile. Und Vorurteile basieren schließlich auf Erfahrung. Zwar nicht der eigenen, aber der der anderen. Und dann muss es doch stimmen, oder? Ich kenne Metal-Typen, Emos, Skater, Prolos, ja sogar Neuzeit-Hippies und jede Menge Rasta fari. Ich verstehe Aspekte und Gründe warum sie so sind, wie sie sind. Auch wenn ich mich mit keiner dieser Szenen komplett identifizieren könnte. Denn dazwischen liegen so viele Facetten, die ich nie außer Acht lassen wollen würde.

Die Frage ist, kann man überhaupt nicht zu einer Szene gehören? In irgendeine Schublade passt doch jeder von uns. Und wenn man wirklich so anders ist, dass jede Zuordnung zu einer Sparte eine Beleidigung wäre, begründet man eben etwas Eigenes. Denn Szenen basieren auf Lebenseinstellungen. Und die muss man ja mit niemandem teilen. Dazu kommt, dass sich mit der Zeit alles ändert. Jede Meinung, jede Ansicht, jede Ein-stellung wandelt sich im Laufe eines Lebens. Ich war zum Beispiel mal Metal-Punk-Alternativ-Gruftie. Und jetzt? Würde ich mich als außergewöhnlich speziellen Normalo bezeichnen.

Text: Simone Steurer

Dreads, Spice Girls oder Tofu

Foto: Wolfgang Schnuderl