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197 Studieren in Leipzig Im Osten was Neues Ein eigenartiges Gefiihl - hier sitze ich, im dritten Stock des altehr- wiirdigen Gemauers, welches die hiesige Anorganische und Orga- nische Chemie beherbergt, und wundere mich zum wiederholten Male dariiber, wo besagtes Gemauer steht: in Leipzig. Hatte mir das jemand anno '87, als ich mein Chemiestudium in Bochum be- gann, zu prophezeien gewagt ... Aber sei's drum; wir waren alle iiberrascht von den politischen Ereignissen, in deren Gefolge es meinen Chef und einen ganzen Haufen Diplomanden und Dokto- randen im Friihjahr 1994 schliefllich hierher verschlug. Ja - ich bin tatsachlich hier, und nun fallt es mir zu, einen Erfahrungsbericht zu verfassen, der aber zugleich, der Idee dieser Rubrik folgend, auch Werbung sein soll, die Chemiker in spe dazu veranlassen moge, ausgerechnet hier zu studieren. Gleich vorneweg: Ein einfacher, bequemer Artikel wird dies nicht, und enden wird er mit einem breiten Silberstreif am Horizont. Warum also Leipzig? Die Argu- mente, die ich schon im ersten Beitrag in dieser Rubrik gefunden habe, als es um Dresden ging, gelten natiirlich auch hier fast alle. Auch hier in Leipzig sind die Fakultat und der Studienablauf iiberschaubar; die Professoren und -innen lernen ihre Pappen- heimer sehr schnell kennen (ich hoffe, dies wertet jetzt niemand als Nachteil!), und in der Tat: Selten der Student, der nicht nach 10 Semestern sein Diplom ge- macht hat. Das Ganze ist geregelt und sicher, erweist sich leider aber als sehr starr, sobald man meint, etwas anders machen zu miissen. Unbiirokratischer geht's hier namlich keineswegs zu. Al- lerdings etwas freundlicher, wie ich meine: Man kennt sich eben, man bemiiht sich um die Studen- ten, und das zahlenmafiige Ver- haltnis von Studenten zu Assi- stenten ist fur jemanden meines Jahrgangs nahezu unfai3lich (das rituelle Siezen der Assistenten wirkte allerdings zunachst etwas unbehaglich auf mich). Uberhaupt ist der Kontakt unter den Studenten hier anders: Studi- Clubs zuhauf (die ,,Destille" ist derjenige der Chemiker), Knei- penkultur, ein wahrhaftiger Chemie-Elferrat, der sich um die Ausrichtung des Faschings kiimmert, welcher traditionell mit dem Kiirzen professoraler Schlipse, aufwendigen und ver- raucherten Schauvorlesungen und immer wieder gern gesehenen Biirgerumfragen verbunden ist. Das Studentenleben, das ich in Bochum niemals kennengelernt habe, bliiht hier in allen Formen. Aber Obacht: Zusammen mit zu- vor envahnter fast unausweichli- cher Diplomierung kann derlei Mugiggang dazu fiihren, dafi man sich hier zu leicht durchs Studium mogelt. Moge es jeder mit sich selbst ausmachen, ob er die Selbstdisziplin aufbringt, sich noch Wissen anzueignen, auch wenn's scheinbar kaum vonnoten ist. Man kann hier eine sehr ange- nehme Zeit haben, wahrlich; Leip- zig ist zum Teil eine sehr schone Stadt (der andere Ted wird's in einigen Jahren auch wieder sein), aber hier soll es schliefilich um ein Chemiestudium gehen . .. Nun aber langsam in die Kurve, hinter der dann der Silberstreifen auszumachen ist: der Neubau. Eins der grogen Probleme der Anorganischen und der Organi- schen Chemie in Leipzig ist der bauliche Zustand vieler Labors (eins der Gebaude wird sogar halboffiziell ,,Die Ruine" ge- nannt). Analytische und Tech- nische Chemie befinden sich in einem halbwegs modernen Ge- baude aus den Soern, aber die Praktikumssale im alten Haus - uff. Man hat vie1 Platz, sicher, aber das ist auch schon das einzig Positive. Und hier kommt der groae Vorteil von Leipzig: Der Baubeginn fur ein neues Chemie- gebaude (nicht sonderlich schon, aber funktional, sagen mir die Plane) ist im Sommer '96. Wer es also direkt ab Studienbeginn lu- xurios haben will, sollte erst nach Ende '98 hier anfangen. Wer aber jetzt ein wenig weiterdenkt, mag hier ganz andere Moglichkeiten fur sich sehen: Fangt man jetzt in Leipzig an, so ist man vor der Jahrtausendwende einer der Diplomanden und Doktoranden, die, genugend Engagement vor- ausgesetzt, beim Umzug mit- helfen und beim Umkrempeln mitentscheiden werden. Hardy Range,Leipztg Anorganisch- und Organisch-chemischesInstitut in Leipzig (Altbau) Weitere Informationen zur Chemie in Leipzig gibt's bei: Prof. Dr. H. Wilde Fakultat fur Chemie Universitat Leipzig Talstrage 35 04103 Leipzig Tel. 03 41 / 9 73 65 71 0 Chemie in unserer Zeit / 30. Jahrg. 1996 / NK 4

Im Osten was Neues

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Studieren in Leipzig

Im Osten was Neues Ein eigenartiges Gefiihl - hier sitze ich, im dritten Stock des altehr- wiirdigen Gemauers, welches die hiesige Anorganische und Orga- nische Chemie beherbergt, und wundere mich zum wiederholten Male dariiber, wo besagtes Gemauer steht: in Leipzig. Hatte mir das jemand anno '87, als ich mein Chemiestudium in Bochum be- gann, zu prophezeien gewagt ... Aber sei's drum; wir waren alle iiberrascht von den politischen Ereignissen, in deren Gefolge es meinen Chef und einen ganzen Haufen Diplomanden und Dokto- randen im Friihjahr 1994 schliefllich hierher verschlug. Ja - ich bin tatsachlich hier, und nun fallt es mir zu, einen Erfahrungsbericht zu verfassen, der aber zugleich, der Idee dieser Rubrik folgend, auch Werbung sein soll, die Chemiker in spe dazu veranlassen moge, ausgerechnet hier zu studieren. Gleich vorneweg: Ein einfacher, bequemer Artikel wird dies nicht, und enden wird er mit einem breiten Silberstreif am Horizont.

Warum also Leipzig? Die Argu- mente, die ich schon im ersten Beitrag in dieser Rubrik gefunden habe, als es um Dresden ging, gelten natiirlich auch hier fast alle. Auch hier in Leipzig sind die Fakultat und der Studienablauf iiberschaubar; die Professoren und -innen lernen ihre Pappen- heimer sehr schnell kennen (ich hoffe, dies wertet jetzt niemand als Nachteil!), und in der Tat: Selten der Student, der nicht nach 10 Semestern sein Diplom ge- macht hat. Das Ganze ist geregelt und sicher, erweist sich leider aber als sehr starr, sobald man meint, etwas anders machen zu miissen. Unbiirokratischer geht's hier namlich keineswegs zu. Al- lerdings etwas freundlicher, wie ich meine: Man kennt sich eben, man bemiiht sich um die Studen- ten, und das zahlenmafiige Ver- haltnis von Studenten zu Assi- stenten ist fur jemanden meines Jahrgangs nahezu unfai3lich (das rituelle Siezen der Assistenten wirkte allerdings zunachst etwas unbehaglich auf mich).

Uberhaupt ist der Kontakt unter den Studenten hier anders: Studi- Clubs zuhauf (die ,,Destille" ist derjenige der Chemiker), Knei- penkultur, ein wahrhaftiger Chemie-Elferrat, der sich um die Ausrichtung des Faschings kiimmert, welcher traditionell mit dem Kiirzen professoraler Schlipse, aufwendigen und ver- raucherten Schauvorlesungen und immer wieder gern gesehenen Biirgerumfragen verbunden ist. Das Studentenleben, das ich in Bochum niemals kennengelernt habe, bliiht hier in allen Formen. Aber Obacht: Zusammen mit zu- vor envahnter fast unausweichli- cher Diplomierung kann derlei Mugiggang dazu fiihren, dafi

man sich hier zu leicht durchs Studium mogelt. Moge es jeder mit sich selbst ausmachen, ob er die Selbstdisziplin aufbringt, sich noch Wissen anzueignen, auch wenn's scheinbar kaum vonnoten ist. Man kann hier eine sehr ange- nehme Zeit haben, wahrlich; Leip- zig ist zum Teil eine sehr schone Stadt (der andere Ted wird's in einigen Jahren auch wieder sein), aber hier soll es schliefilich um ein Chemiestudium gehen . . .

Nun aber langsam in die Kurve, hinter der dann der Silberstreifen auszumachen ist: der Neubau. Eins der grogen Probleme der Anorganischen und der Organi- schen Chemie in Leipzig ist der bauliche Zustand vieler Labors (eins der Gebaude wird sogar halboffiziell ,,Die Ruine" ge- nannt). Analytische und Tech- nische Chemie befinden sich in einem halbwegs modernen Ge- baude aus den Soern, aber die Praktikumssale im alten Haus - uff. Man hat vie1 Platz, sicher, aber das ist auch schon das einzig Positive. Und hier kommt der groae Vorteil von Leipzig: Der Baubeginn fur ein neues Chemie- gebaude (nicht sonderlich schon, aber funktional, sagen mir die Plane) ist im Sommer '96. Wer es also direkt ab Studienbeginn lu- xurios haben will, sollte erst nach Ende '98 hier anfangen. Wer aber jetzt ein wenig weiterdenkt, mag hier ganz andere Moglichkeiten fur sich sehen: Fangt man jetzt in Leipzig an, so ist man vor der Jahrtausendwende einer der Diplomanden und Doktoranden, die, genugend Engagement vor- ausgesetzt, beim Umzug mit- helfen und beim Umkrempeln mitentscheiden werden.

Hardy Range,Leipztg

Anorganisch- und Organisch-chemisches Institut in Leipzig (Altbau)

Weitere Informationen zur Chemie in Leipzig gibt's bei:

Prof. Dr. H. Wilde Fakultat fur Chemie Universitat Leipzig Talstrage 35 04103 Leipzig Tel. 03 41 / 9 73 65 71 0

Chemie in unserer Zeit / 30. Jahrg. 1996 / NK 4