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Hessische Staatskanzlei Abschlussdokumentation Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum

Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum · 4 Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“ Liebe Bürgerinnen und Bürger Das Jahr 2015

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Hessische Staatskanzlei

Abschlussdokumentation

Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum

Modellvorhaben

Stand: 19. Februar 2018

Integration von Flüchtlingen im ländlichen RaumAbschlussdokumentation

Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“4 Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“4

Liebe Bürgerinnen und Bürger

Das Jahr 2015 hat Deutschland und Hessen verändert. So viele Flüchtlingewie nie zuvor suchten Zuflucht in unserem Land, flohen vor Krieg, Zerstörungund Hoffnungslosigkeit insbesondere in den Ländern des Mittleren und desNahen Ostens. Mehr als 112.000 Personen – Männer, Frauen und Kinder, alteund insbesondere viele junge Menschen – kamen auf teils lebensgefährlichenund oft monatelangen Reisen allein in diesem Jahr in Hessen an. Immerhin75.000 davon sind geblieben. Wenn auch auf deutlich geringerem Niveauhält der Zuzug seitdem an und stellt das Land Hessen und die gesamteGesellschaft vor neue Herausforderungen.

Die Hessen reagierten auf den massenhaften Zuzug von hilfesuchenden Menschen mit einer unglaublichen Welle der Hilfsbereitschaft: An nahezuallen Orten, an denen Flüchtlinge untergebracht waren, boten sie ihre Unter-stützung an, brachten Hilfsmittel vorbei und halfen mit, den Ansturm in ge -ordnete Bahnen zu lenken. Ohne dieses Engagement wäre es wohl kaumgelungen, den Flüchtlingen so schnell ein festes Dach über dem Kopf, aus-reichende Versorgung und insbesondere menschliche Nähe und ein Gefühlvon Sicherheit zu geben. Hierfür möchte ich mich auch an dieser Stellebedanken.

Lag in den turbulenten Monaten des ausgehenden Jahres 2015 und Anfang2016 der Schwerpunkt des Regierungshandelns naturgemäß bei der Sicher-stellung der Unterbringung und Versorgung, so wurde doch schnell klar:Damit ist es auf Dauer nicht getan. Viele der zugereisten Menschen werdenbleiben, werden hier ihren neuen Lebensmittelpunkt haben. Damit rücktenFragen der Integration in den Vordergrund. Wie kann es gelingen, so vieleMenschen in unsere Gesellschaft zu integrieren? Wo können sie wohnen,arbeiten und ihre Freizeit verbringen? Wo die deutsche Sprache lernen, ihreKinder in die Schule schicken und sich auf die Arbeitswelt vorbereiten?

Der schon vor 2015 einsetzende verstärkte Zuzug nach Hessen hatte nocheine andere Auswirkung: Anders als jahrelang prognostiziert, entwickelteHessen sich in der Folge von einem aufgrund des demografischen Wandelsschrumpfenden zu einem nun wieder wachsenden Land. Seit 2011 nimmt dieBevölkerungszahl in Hessen wieder zu, und das in erster Linie aufgrund derZuwanderung – nicht nur, aber auch aus dem außereuropäischen Ausland.Allerdings findet das Wachstum überwiegend in den Städten statt – ländlicheRegionen profitieren in weit geringerem Maße davon.

Daher lag 2015 die Überlegung nahe, Flüchtlinge mit Bleibeperspektivegezielt für den ländlichen Raum zu interessieren und ihnen dort eine neueHeimat zu geben. Dies schien insbesondere dort vielversprechend, wo auchBürgermeister und einheimische Bevölkerung im Zuzug von Flüchtlingeneine Chance sahen, den demografischen Wandel aufhalten und ihren Ortzukunftsfest machen zu können.

Grußwort 55

Vor diesem Hintergrund beschloss die Landesregierung im Jahr 2015, ineinem Modellvorhaben interessierte ländliche Kommunen mit gravierendemBevölkerungsrückgang dabei zu unterstützen, Flüchtlinge mit Bleibeperspek-tive dauerhaft in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren. Sie sollten beispiel-hafte Ansätze erproben und Erfahrungen sammeln, die andere Kommunensich zunutze machen können.

Mit dieser Abschlussdokumentation liegen nun erste Erfahrungen der siebenModellkommunen vor, die diese in der eineinhalbjährigen Projektlaufzeit gewin-nen konnten. Niemand erwartet, dass in einem so kurzen Zeitraum Integrationvollständig gelingen kann. Dennoch enthält der Bericht aus meiner Sicht wich-tige Erkenntnisse und Erfahrungen und kann anderen Kommunen Hinweisegeben, welche Strukturen unterstützend wirken, welche Prioritäten zu setzensind und wie das Miteinander im Ort gelingen kann. Deshalb wünsche ich mir,dass diese Dokumentation eine weite Verbreitung und Anwendung findet.

Bei den sieben Modellkommunen Aarbergen (Rheingau-Taunus-Kreis),Alheim (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Bad Sooden-Allendorf (Werra-Meiß-ner-Kreis), Diemelstadt (Landkreis Waldeck-Frankenberg), Laubach (LandkreisGießen), Mengerskirchen (Landkreis Limburg-Weilburg) und Neustadt/Hessen (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und ihren Bürgerinnen und Bürgernbedanke ich mich für ihre Bereitschaft, aktiv an diesem Projekt mitzuwirkenund ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben. Die Ansiedlung von Flücht-lingen im ländlichen Raum stellt die Kommunen vor große Herausforderungen,birgt aber – das haben die Beispiele gezeigt – für die Kommunen wie für dieFlüchtlinge Chancen und Nutzen für viele Beteiligte.

Ich wünsche eine anregende Lektüre.

Axel WintermeyerStaatsministerChef der Hessischen StaatskanzleiDemografie-Beauftragter der Hessischen Landesregierung

Kolumnentitel 7Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“6 Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“6

Seit der Anwerbung von Arbeitskräften in den 1950er und 1960er Jahren kon-zentriert sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in den städtischenBallungsräumen. Migration und Integration sind aber nicht zuletzt durch dieBewältigung der Flüchtlingssituation 2014/2015 zu einem prägenden Phä-nomen und einer zentralen Herausforderung auch in den kleineren und mitt-leren Kommunen geworden.

In ländlichen Regionen ist es grundsätzlich schwieriger, ein ausreichendes,bedarfsgerechtes und differenziertes Integrationsangebot für die Zuwandererzu gewährleisten – bedingt durch eine niedrigere Siedlungsdichte, fehlendeHilfs- und Bildungsstrukturen oder eine größere räumliche Entfernung ins -besondere in den „Flächengemeinden“.

Mehr noch: Vor Ort verbindet sich die Aufnahme von Zuwanderern mit struk-turpolitischen Herausforderungen wie dem Wohnungsleerstand, der Schlie-ßung von Schulen oder der Ausdünnung des ÖPNV. Eine Chance, diese Ent-wicklung im ländlichen Raum zu bremsen, kann in einer offensiven Förderungvon Zuwanderung, u.a. von Flüchtlingen mit dauerhaftem Bleiberecht, liegen.Dies umfasst sowohl die aktive Anwerbung von Flüchtlingen aus dem städti-schen Raum als auch Ansätze, bereits zugewiesene Flüchtlinge, die sich mitAbwanderungsgedanken tragen, an den derzeitigen Wohnort zu binden.

Vielfach haben Bürgermeisterinnen und Bürgermeister kleinerer ländlicherGemeinden die Vorzüge des Zuzugs von Flüchtlingen mit dauerhafter Bleibe -perspektive bereits erkannt und bemühen sich, ihre Gemeinde für diese Ziel-gruppe attraktiv zu machen. Dies ist nicht leicht, da die meisten Flüchtlingemit festen Vorstellungen über das Leben in der Stadt und auf dem Land nachDeutschland kommen und sich häufig vom Leben in der Stadt ein besseresLeben versprechen: Arbeitsplätze, bessere Karriereaussichten, höherer Ver-dienst, Kontakte zu bereits ansässigen Mitgliedern der eigenen Ethnie, etc.

Von einer Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum können jedochalle Seiten profitieren. Da die Wohnungssituation im Ballungsraum auf Grundder neuen Zuwanderung mehr als angespannt ist und die soziale Struktur inden Großstädten unter Druck steht, eröffnet die Ansiedlung von Zuwanderernin ländlichen Regionen auch eine wichtige strukturpolitische Funktion. DieKommunen müssen aber auch auf diese Chancen vorbereitet werden.

Die Erfahrungen im Modellvorhaben „Integration von Flüchtlingen im länd-lichen Raum“ haben gezeigt, dass die Integration von Flüchtlingen in länd -lichen Räumen erfolgreich sein kann, wenn sie mit den Bürgerinnen und Bür-gern gestaltet wird. Der Hessische Städte- und Gemeindebund als Verbandder kreisangehörigen Kommunen hat der Begleitung von bürgerschaftlichenProjekten, die passgenaue Lösungen für die einzelne Kommune entwickelnhelfen, seit jeher eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Für ihn stehtdie Hilfe zur Selbsthilfe, die Beteiligung der Menschen vor Ort und das zivil-gesellschaftliche Engagement dabei wesentlich im Vordergrund.

Menschen vor Ort können helfen, Ideen, Projekte und eine neue Willkom-menskultur zu entwickeln. Starke Argumente für eine entsprechende Bürger-beteiligung sind das allgemeine Interesse an der Zukunftsfähigkeit des eige-nen Gemeinwesens, die Notwendigkeit, die demografische Entwicklungpositiv zu gestalten sowie die Nutzung der Potentiale von Zuwanderern undFlüchtlingen. Hier sei auf positive Beispiele in den Städten und Gemeindendes Modellprogramms verwiesen.

Wir danken allen Kommunen, die sich an dem Modellvorhaben „Integrationvon Flüchtlingen im ländlichen Raum“ beteiligt haben und möchten sieermuntern, ihre Erfahrungen und Einsichten den ländlichen Städten undGemeinden weiterzugeben.

Karl-Christian SchelzkeGeschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes

Grußwort 7

Inhalt 9Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“8

4 ► Grußworte

4 ► Grußwort Axel Wintermeyer Staatsminister, Chef der Hessischen Staatskanzlei Demografie-Beauftragter der Hessischen Landesregierung

6 ► Grußwort Christian Schelzke Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes

10 ►Das Modellvorhaben

10 ► Hintergrund

11 ► Zielsetzung und Durchführung

14 ► Ergebnisse an den Modellstandorten

14 ► Vielfalt leben in Aarbergen

22 ► Alheimer Flüchtlingshilfe

30 ► Vision: Integration und Ansiedlung von Flüchtlingen in Bad Sooden-Allendorf

38 ► Zukunftswerkstatt 2.0 in der Stadt Diemelstadt

46 ► Angekommen in Laubach

54 ► Integration von Flüchtlingen im Marktflecken Mengerskirchen

62 ► Neustadt wird bunter und jünger

70 ►Resümee und Schlussfolgerungen

78 ► Impressum

Das Modellvorhaben

Eine Chance zur Abfederung und im besten Fall Umkehr dieser Entwick-lung kann auch in einer offensiven Förderung von Zuwanderung in länd-lichen Regionen liegen, auch von Flüchtlingen mit dauerhaftem Bleibe-recht.

Wanderungsbewegungen unterliegen allerdings im Zeitverlauf ausgepräg-ten Schwankungen. Wirtschaftskonjunkturen und -krisen, politische Ereignisseund Entscheidungen, aber auch Kriege und Naturkatastrophen können dabeiselbst kurzfristig zu erheblichen Änderungen führen und sind daher in derRegel kaum vorhersehbar. Dies verdeutlicht der Blick auf die Wanderungs-salden Hessens.

Zielsetzung und Durchführung des Modellvorhabens

Mit dem Modellvorhaben „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“reagierte die Hessische Landesregierung auf die starke Zuwanderung vonFlüchtlingen der letzten Jahre, die im Jahr 2015 mit rund 110.000 Menschenihren Höchststand erreichte. Davon sind 75.000 Flüchtlinge in Hessen ge -blieben, gegenüber 17.453 im Jahr 2014 und 20.500 im Jahr 2016. Auchwenn im Jahr 2017 die Zahl der Flüchtlinge weiter zurückging, erreicht sienoch nicht das vor 2014 liegende Niveau von unter 10.000 Flüchtlingen imJahr. Insgesamt entspricht dies, unter Berücksichtigung der mehr als 20.000Geflüchteten, die Hessen wieder verlassen haben, einem Zuwachs von über100.000 Flüchtlingen in den letzten vier Jahren.

11Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“10

Hintergrund des Modellvorhabens

Die regionalen Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung in Hessen nehmen seit Jahren zu. Hessens Bevölkerung bleibt zwar insgesamt stabilbzw. wird in den nächsten Jahren noch zunehmen, weil Zuwanderungs -gewinne das bestehende Geburtendefizit mehr als ausgleichen. Die Zu -wanderung findet jedoch nicht gleichmäßig statt: prognostiziert wird, dassdie städtischen Räume zukünftig weiterwachsen werden, während ländlicheRegionen abseits der großstädtischen Ballungsräume im positiven Falle denBevölkerungsrückgang der letzten Jahre bestenfalls lindern, aber nichtumkehren können.

Dies hat unter anderem zur Folge, dass der Druck auf den Wohnungsmarktder großen Städte weiter zunimmt und auch die sonstige Infrastruktur, wieStraßen, Verkehrsmittel oder Schulen und Kindergärten, an ihre Kapazitäts-grenzen stoßen. Gleichzeitig verstärken sich im ländlichen Raum die mit demBevölkerungsrückgang einhergehenden Herausforderungen der Sicherungder Grundversorgung und Erhaltung der Attraktivität, wie Wohnungsleerstand,Ausdünnung des ÖPNV, fehlende kulturelle und sportliche Angebote etc.

Das Modellvorhaben

Bevölkerungsentwicklung in Hessen auf Gemeindeebene

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Wanderungssalden Hessens von 1970 bis 2016

Das Modellvorhaben

sahen, die Zukunftsfähigkeit ihrer Kommune zu verbessern. Teilnehmen konn-ten daher nur Kommunen, die im ländlichen Raum in Hessen gelegen sind,zwischen 5.000 und 10.000 Einwohner (einschließlich aller Ortsteile) hattenund nachweislich vom demografischen Wandel betroffen sind. Dies wurdean dem vom Basisjahr 2015 an prognostizierten Bevölkerungsrückgang biszum Jahr 2030 festgemacht.

Diese Kriterien trafen auf ca. 100 Städte und Gemeinden zu, die im Februar2016 vom Chef der Staatskanzlei über das Modellvorhaben informiert undzu einer Bewerbung aufgefordert wurden. Im Mai 2016 wählte eine Jury sie-ben Kommunen aus, die im Juni 2016 mit ihren Projekten starten konnten.Die Förderung lief Ende des Jahres 2017 aus, das Modellvorhaben solltejedoch so angelegt sein, dass die Projekte auch über diesen Zeitraum hinausvon den Kommunen eigenständig weitergeführt werden können.

In den Modellkommunen war ein modellhaftes und zielgerichtetes Vorgehengefragt, aus dem grundsätzliche Empfehlungen für andere Kommunen ab -geleitet werden können. Es sollte Wege zeigen, wie Vernetzung effektiv auf-gebaut und betrieben werden kann, welche Akteure zwingend zu beteiligensind und wie die Bürgerinnen und Bürger der Aufnahmegesellschaft mit -genommen werden können. Auch sollte Wert daraufgelegt werden, dassüber Politik und Verwaltung hinaus auch gesellschaftliche Akteure unter-schiedlicher Bereiche sowie die heimische Wirtschaft eingebunden werden.Die Landesregierung hat den hessischen Kommunen mit verschiedenen Pro-grammen, z. B. dem „Hessischen Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingenund Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“, dem „KommunalenInvestitionsprogramm“, dem Landesprogramm WIR – Wegweisende Integra-tionsansätze Realisieren“ oder dem Programm „Sport für Flüchtlinge“ Finanz-mittel in erheblicher Größenordnung verfügbar gemacht. Die Modellvorha-ben sollten diese sowie ggf. weitere Förderprogramme aktiv in ihreKonzeption einbinden und aufzeigen, wie sie sie für die Umsetzung ihrer Inte-grationsziele einsetzen wollen.

Während der Projektlaufzeit wurden innerhalb der Modellkommunen meh-rere Netzwerktreffen organisiert, in denen Erfahrungen ausgetauscht und ein-zelne Problemstellungen vertieft diskutiert werden konnten. Da die Erfahrungender Modellkommunen als Anregung für Städte und Gemeinden mit ähnlicherInteressen- und Problemlage dienen sollten, wurden schon zum Auftakt imJuni 2016, zum Erfahrungsaustausch zur Mitte der Projektlaufzeit im März 2017sowie zum Abschluss des Projekts im März 2018 andere interessierte Kom-munen eingeladen, sich über das Modellvorhaben, über Erkenntnisse ausPraxis und Wissenschaft sowie erste Ergebnisse aus den Modellkommunenzu informieren und sich miteinander zu vernetzen. Mit der vorliegendenAbschlussdokumentation werden die Erfahrungen weiteren interessiertenKreisen zur Verfügung gestellt.

13Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“12

Bereits zu einem frühen Zeitpunkt zeichnete es sich ab, dass nach der Erst-versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge auch deren längerfristigerVerbleib eine Herausforderung für das gesamte Land werden würde. Auf-grund der hohen Zuzugszahlen erfolgte die Zuweisung der Flüchtlinge auchin die ländlichen Regionen. In einigen ländlichen Kommunen wurden dabeiauch die Chancen des Zuzugs von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive gese-hen. Allerdings hatten weder Kommunen noch Flüchtlinge einen Einfluss aufdie Auswahl ihrer potentiellen künftigen Mitbürger bzw. ihrer möglichenneuen Heimat. In der Tendenz zieht es Flüchtlinge in die größeren Städte, indenen sie sich Arbeitsplätze, Kontakte zum eigenen Kulturkreis und insge-samt ein besseres Leben versprechen. Sollte das Muster der Verteilung derausländischen Bevölkerung in Hessen auch in der Zuwanderung der letztenvier Jahre fortgeschrieben werden, so würde sich allerdings das Ungleichge-wicht zwischen den hessischen Regionen zusätzlich verstärken.

Vor diesem Hintergrund entschied sich die Hessische Staatskanzlei, in einemModellvorhaben gezielt interessierte ländliche Kommunen zu unterstützen, diesich aktiv um eine dauerhafte Ansiedlung von Flüchtlingen in ihrer Gemeindebzw. Stadt bemühen. Die Kommunen sollten dazu darlegen, wie sie eine lang-fristige Bindung der Zuwanderer an den Ort gewährleisten möchten, innovativeLösungen suchen und individuelle Anreize für den Zuzug bzw. den Verbleibbereits ansässiger Flüchtlinge mit rechtlich dauerhafter Bleibeperspektive zuschaffen, z.B. in den Bereichen Bildungs- oder Integrationskurse, Kinderbetreu-ung, Wohnraum, Vereinsaktivitäten, Möglichkeiten der Integration in denArbeitsmarkt o.ä. Auch Maßnahmen, die auf die Vorbereitung und Einbezie-hung der Aufnahmegesellschaft zielen und geeignet sind, ein aufnahmeberei-tes Umfeld zu schaffen, zählten hierzu. Für dieses Modellvorhaben stellte dieStaatskanzlei in den Jahren 2016 und 2017 jeweils 150.000 € zur Verfügung.

Das Modellvorhaben richtete sich an Städte und Gemeinden im ländlichenRaum, die von den Folgen des demografischen Wandels betroffen sind unddie in der Integration von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive einen Weg

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2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

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In Hessen verbliebene Flüchtlinge 2008-2017

Anteil der Nichtdeutschen an der Bevölkerung in Hessen zum31.12.2014 in %

Vielfalt leben in Aarbergen

Aarbergen liegt in der Mittel -gebirgslandschaft des westlichenUntertaunus im Rheingau-Taunus-Kreis. Das Gebiet der Gemeindewird landschaftlich durch das mitt-lere Aartal mit Seitentälern, Wiesenund Wäldern geprägt. Die Gemar-kungsfläche besteht zu mehr als 40%aus Wald. Die Gemeinde umfasst dieOrtsteile Kettenbach, Michelbach,Hausen über Aar, Rückers hausen,Panrod und Daisbach. Bereits im 17.Jhd. wurde hier die „MichelbacherHütte“ zur Weiter verarbeitung vonRoheisen gegründet. Neben großenIndustriebetrieben, wie die ACO Pas-savant Guss GmbH und die Aqsep-tence Group, und dem DRK sind inAarbergen auch mittelständigeDienstleistungs- und Handwerksbe-triebe ansässig.

Von allen Ortsteilen aus fahren regel-mäßig Busse nach Wiesbaden (30Kilometer südlich), Limburg (19 Kilo-meter nördlich) und Bad Schwalbach(17 Kilometer südlich). Aarbergenliegt direkt an der Bundesstraße B54. Der nächste Anschluss zur A 3 istca. 19 Kilometer entfernt, der Flugha-fen Frankfurt etwa 60 Kilometer.

15Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“14

Vielfalt leben in Aarbergen – Modellkommune

• Unterstützung von Unternehmen durch Informationsveranstaltungen undBeratungen zu Praktika, Ausbildungsplätzen und Arbeitsstellen fürGeflüchtete

• Unterstützung von Ehrenamtlichen durch Schulungen und Coaching• Sprach- und Bildungsangebote, insbesondere auch für Analphabeten, mit

dem Angebot einer Betreuung für Kleinstkinder, um deren Müttern die Teil-nahme zu ermöglichen

63 Geflüchtete waren aktiv an der Umsetzung der Maßnahmen beteiligt.

Umsetzung der Maßnahmen

Zu Beginn des Modellprojekts wurde unter Hinzuziehung von Fachleuten einIntegrationskonzept erstellt. Dabei wurden die Arbeitsmarktintegration, dieSprachförderung von Flüchtlingen und Angebote, die sich speziell an Frauenrichten, als thematische Schwerpunkte festgelegt. Das Konzept wurde im Zeit-verlauf entsprechend der tatsächlichen Bedarfe überarbeitet, angepasst undweiterentwickelt.

Informationsveranstaltungen für Geflüchtete zur Schulung von Alltagskom-petenzen, beispielsweise zum Thema Mülltrennung, wurden wie ursprüng-lich vorgesehen durchgeführt. In der Weitergabe von Informationen hat sicheine direkte Ansprache der Flüchtlinge als wichtig und förderlich erwiesen.

Vielfalt leben in Aarbergen 17Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“16

Die Zahl der Beschäftigten, die eine auswärtige Arbeitsstelle haben, überstiegdie der Einpendler nach Aarbergen im Mittel der letzten fünf Jahre um das2,3-fache. (Datenquelle: Hessische Gemeindedatenbank)

In Aarbergen lebten im November 2017 78 männliche und 53 weiblicheGeflüchtete. Neben 25 Ehepaaren gab es 81 ledige Personen. Bei rund 40 %der Geflüchteten handelte es sich um Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jah-ren. Nur eine Person war älter als 50 Jahre. Rund 35 % der Geflüchteten hattenkeine Schule besucht. 30 % gaben einen Schulbesuch von bis zu 8 Jahren an.Bei 35 % lag ein Schulbesuch von 10 bis 12 Jahren vor.

Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts

Das Projekt „Vielfalt leben in Aarbergen“ verfolgte das Ziel, Flüchtlinge mit dau-erhafter Bleibeperspektive in Aarbergen anzusiedeln und in den Arbeitsmarktzu integrieren. Hierzu sollten folgende Maßnahmen durchgeführt werden:• Erarbeitung und Umsetzung eines Integrationskonzepts• Einbeziehung der örtlichen Gemeinschaft durch Informationsveranstaltungen

und Öffentlichkeitsarbeit

Ausländer und aufgenommene

Flüchtlinge

Ausländeranteil Januar 2018 ca. 18 %

Aufgenommene Flüchtlinge Anzahl Ende 2017 131 (ca. 2,2 % der Bevölkerung)

Aufgenommene Flüchtlinge maximale Anzahl 2016 121 (ca. 2 % der Bevölkerung)

Herkunftsländer Afghanistan, Syrien, Algerien, Eritrea, Irak,Pakistan, Türkei, Russische Föderation

Akteure und Ressourcen

Projektträger Gemeinde Aarbergen

Netzwerkpartner

• Unternehmen• Aarbergener Schulen und Kindergärten• Vereine, darunter Fresko e. V. und Sportvereine• Volkshochschule Rheingau-Taunus• Kirchen• Wohnungsbauunternehmen• Bildungswerk Hessen• Pro Job Rheingau-Taunus• Industrie- und Handelskammer• Handwerkskammer• Rheingau-Taunus-Kreis, JobCenter, Amt für Migration, WIR-Koordinatorinnen, Ausländerbehörde• Integrationslotsinnen und andere Ehrenamtliche

Eingesetzte Ressourcen

• 57.000 €• Projektmittel• Räumlichkeiten • Fahrtkosten Verwaltungsfachangestellte• Verwaltungsfachangestellte mit ca. 15 Wochenstunden

Strukturdaten Aarbergen Hessen

Einwohner am 31.12.2015 ca. 6.000 6.365.000

Anzahl Ortsteile 6

Einwohner 2030 (Prognose) +0,2 % +3,1 %

Durchschnittsalter 2015 46,0 Jahre 43,7 Jahre

Durchschnittsalter 2030 (Prognose) 50,5 Jahre 46,7 Jahre

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 2000 – 2015 -15,6 % +10,8 %

Quelle: Hessische Gemeindedatenbank auf Basis von Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes (2016) und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016)

Vielfalt leben in Aarbergen

Als wichtige Maßnahme zur Arbeitsmarktintegration wurde der ProfilPass zurKompetenzerfassung der Bertelsmann Stiftung eingesetzt. Hierbei handeltes sich um eine Methode, mit der in einem Beratungsprozess die beruflicheund persönliche Eignung, die darüber hinausgehenden vorhandenen Kennt-nisse, Wünsche und ggf. Hindernisse von Flüchtlingen sichtbar und für denweiteren Berufs- und Lebensweg nutzbar werden. Zwei Integrationslotsinnenund zwei weitere Ehrenamtliche wurden in der Anwendung dieser Methodegeschult. Eine sozialpädagogisch-therapeutische Fachkraft begleitete bei derUmsetzung sowie dem Kontakt zwischen Geflüchteten und Unternehmenoder Qualifizierungsanbietern.

Die Ergebnisse der Bemühungen, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu inte-grieren, sind vielfältig: Beim Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft konntezwei Flüchtlingen die Teilnahme an einem Kurs zur Qualifizierung für diePflege ermöglicht werden. Drei Geflüchtete nahmen an einem Kurs zurBerufsorientierung und -qualifizierung teil. Außerdem wurden 23 Flüchtlingein Praktika vermittelt. Ein Geflüchteter leistet einen Bundesfreiwilligendienst,drei haben eine Ausbildung begonnen und neun Geflüchtete gehen bereitseiner Arbeit nach.

19Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“18

Gleichzeitig wurde die Bevölkerung über das Modellprojekt informiert.Neben der eng in den Prozess eingebundenen örtlichen Presse berichtetenauch überregionale Zeitungen und ein Radiosender darüber. Des Weiterenwurden Plakate erstellt, um für Aktionen und Veranstaltungen zu werben. Beiunterschiedlichen Veranstaltungen wurden zusätzlich Informationsstände ein-gesetzt. Eine Internetseite, welche das Projekt vorstellt und Informationen zuden Inhalten und Angeboten bereithält, steht vor der Fertigstellung.

Als ein Teilprojekt ist „Aarbergen schafft Nähe“ entstanden. In ihm wurdenwie geplant Angebote für Frauen geschaffen. Beispielsweise können sichFrauen unterschiedlicher Herkunft in einem wöchentlich stattfindenden Nähkurs austauschen und ihre Sprachkenntnisse verbessern. Bei den geflüch-teten Frauen ist bereits ein erstarktes Selbstbewusstsein zu erkennen. Auchder Theaterworkshop „Zeit für mich“ stieß auf sehr große Resonanz, bereiteteden Teilnehmerinnen viel Freude und förderte soziale Kontakte, auch zu ein-heimischen Frauen.

Eine Informationsveranstaltung für Unternehmen wurde aufgrund knapperzeitlicher Kapazitäten der Gewerbetreibenden nicht realisiert. Stattdessenwurde zunächst der Bedarf der Firmen an Unterstützung bei der Beschäf -tigung von Geflüchteten ermittelt. Daraufhin wurde ein fester Ansprechpart-ner in der Verwaltung eingesetzt, um die Gewerbetreibenden zu beraten, inbürokratischen Angelegenheiten zu unterstützen und eine gute Kooperationmit dem Ausländeramt sicherzustellen.

Vielfalt leben in Aarbergen

Deutschkurse wurde als besonders positiv erlebt. Sehr interessant z. B. warder Vergleich, wie in anderen Kulturen gelernt und gelehrt wird. In den Kursenfanden sich auch andere Bürger Aarbergens mit ausländischen Wurzeln ein,um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern.

Nachhaltigkeit

Die Anlaufstelle für Unternehmen in der Verwaltung bleibt in Aarbergenerhalten. Die Akteure sind dank des Projekts noch besser vernetzt. Die Pro-jektverantwortlichen gehen davon aus, dass sich dank der geschaffenenStrukturen, insbesondere zur Integration in den Arbeitsmarkt, auch zukünftigFlüchtlinge in Aarbergen ansiedeln werden.

Übertragbarkeit

Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der bei der Kommune Beschäftigen isteine gute Basis für die gelungene Umsetzung eines Projekts zur Flüchtlings-integration; auch die Schaffung einer hauptamtlichen Stelle ist hierfür förder-lich. Die Förderung der Selbstständigkeit der Flüchtlinge spielt in Aarbergenaußerdem eine zentrale Rolle. Darüber hinaus ist laut den Verantwortlichenbei der Arbeit mit den Geflüchteten wichtig, dass zunächst geschaut wird, wel-che Grundbedürfnisse vorrangig befriedigt werden müssen und dass stets dieKultur der Heimatländer respektiert wird. Großer Wert wird auch darauf gelegt,dass die Ehrenamtlichen unterstützt und wertgeschätzt werden.

21Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“20

Es war zu Projektbeginn geplant, ehrenamtliche Patenschaften für Geflüch-tete, beispielsweise in der Begleitung des Berufseinstiegs, zu etablieren. Indiesem Zusammenhang wurde im Rahmen des Modellprojekts die„Mach-mit-Kampagne“ entwickelt. In ihr wurde – weit über den Bereich derHilfe für Flüchtlinge hinaus – für ein Engagement in den unterschiedlichstenBereichen geworben. Eine insgesamt gute Resonanz konnte hierbei verzeich-net werden.

Angebote zur Unterstützung von Ehrenamtlichen, wie beispielsweise Schu-lungen zur interkulturellen Kompetenz, wurden nicht nachgefragt. Stattdes-sen wurden sie durch Gesprächsrunden und einen festen Ansprechpartnerunterstützt. Bisher hat noch kein ehrenamtlich Engagierter seine Tätigkeit auf-grund einer zu großen Belastung aufgegeben.

Schließlich wurden Sprachkurse für Anfänger und Fortgeschrittene unter denFlüchtlingen durchgeführt. Die Einrichtung einer Kinderbetreuung war nichtnotwendig, da Kinder fast alle in Kitas oder Schulen untergebracht sind undbetreut werden. Auch gab es keinen Bedarf an Alphabetisierungskursen, wiebei der Konzepterstellung angenommen wurde, da die Schulung der weni-gen Analphabeten über die Volkshochschule gewährleistet wurde.

Erfahrungen

Dank des Einsatzes der Integrationslotsinnen und der Anlaufstelle in der Ver-waltung für Betriebe und Flüchtlinge konnte vielfach Problemen in derArbeitsmarktintegration vorgebeugt werden. Das Beispiel eines Geflüchteten,der seine Ausbildung aufgrund von Sprachproblemen abbrechen musste,zeigt die Wichtigkeit des vorgeschalteten Spracherwerbs. Die Kooperationmit Akteuren wie Bildungseinrichtungen und Handwerkskammer wurde alsgelungen erlebt.

Gute Erfahrungen wurden damit gemacht, dass die ehrenamtlichen Funktio-nen auf mehrere Schultern verteilt werden. Ehrenamtliche Sprachlehrer kon-zentrierten sich auf den Unterricht, die darüber hinausgehende Betreuungder Flüchtlinge erfolgte durch die von der Kommune eingesetztenIntegrations lotsinnen und -lotsen. Dadurch wurden alle Beteiligten vor einemzu engen Verhältnis geschützt und die Selbstständigkeit der Geflüchtetengefördert. Frustrationen traten jedoch dann auf, wenn erfolgreich integrierteFlüchtlinge abgeschoben wurden.

Die Nachfrage zu Sprachförderangeboten in Aarbergen nahm ab. VieleGeflüchtete besuchen inzwischen Kurse in größeren Städten. Das Angebotvor Ort ist inzwischen vor allem für Mütter interessant, während ihre KinderSchulen oder Kitas besuchen.

Der unerwartet intensive kulturelle Austausch während der ehrenamtlichen

Gemeindeverwaltung

Aarbergen

Beate Schmitt

Rathausstraße 1

65236 Aarbergen

[email protected]

www.aarbergen.de

Kontaktdaten

„Menschen fühlen sich gestärkt,wenn sie in dem gesehen werden,was sie an Fähigkeiten mitbringenund nicht nur in dem, was defizitärist.“ Christa Leber,

Informationsstelle Integration

durch Arbeit

„Ich möchte jetzt Deutsch lernenund eine Ausbildung machen. Dasist mein Ziel!“ Shakhadat Khamerzaeva,

Geflüchtete

Alheimer Flüchtlingshilfe 23Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“22

Alheim besteht aus zehn Ortsteilen(Baumbach, Erdpenhausen, Heine-bach, Hergershausen, Liche rode,Niederellenbach, Niedergude, Obe-rellenbach, Obergude, Sterkelshau-sen) und liegt ca. 40 km südöstlichzwischen Kassel und Bad Hersfeld,eingebettet im Fuldatal mit einerabwechslungsreichen Wald- undHügellandschaft des nordhessischenBerglandes. Alheim ist eine mehr-fach ausgezeichnete Modellkom-mune in den Bereichen ErneuerbareEnergien, Bildung und Flüchtlings-hilfe. In der Kategorie „Deutschlandsnachhaltigste Kleinstädte undGemeinden 2016“ erreichte Alheimden ersten Platz.

Die Kirchner Solar Group ist dergrößte Arbeitgeber der Gemeinde.In der näheren Umgebung bietenVW in Baunatal, die B. Braun Melsun-gen AG, Neumayer Tekfor in Roten-burg, Siemens VDO in Bebra sowieAmazon in Bad Hersfeld ein großesSpektrum an Arbeitsplätzen.

Alheim liegt direkt an der B 83 mitAutobahnanschluss zur A 7 (Nord-Süd-Richtung) und zur A 4 (Ost- West-Richtung) sowie an der DB-StreckeKassel-Bebra-Erfurt in RichtungOsten und Fulda in Richtung Südenmit Bahnhof im Ortsteil Heinebach.

Alheimer Flüchtlingshilfe – Modellkommune

• Fortführung und Ausbau des bestehenden Patenschaftsprojekts, unteranderem durch finanzielle Entlastung der Ehrenamtlichen durch die Über-nahme von Fahrtkosten

• Förderung des Austausches zwischen Einheimischen und Flüchtlingendurch die Etablierung eines Begegnungs-Cafés und die Veranstaltunggemeinsamer Feste und Konzerte

• Vermittlung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt durch eine Dienst -leistungs- und Arbeitsmarktbörse in Form eines Portals, auf dem sich Arbeit-geber und Flüchtlinge präsentieren können

Umsetzung der Maßnahmen

Ein wichtiges Element der Alheimer Flüchtlingshilfe sind die ehrenamtlichenPaten, die die Geflüchteten im Alltag unterstützen und für sie wichtigeBezugspersonen und Ansprechpartner sind. Um weitere Paten zu gewinnen,wurden Informationsveranstaltungen für interessierte Bürger durchgeführt.Außerdem fanden gemeinsame Feiern für Flüchtlingsfamilien und Paten statt.Das Ziel, für jede Flüchtlingsfamilie jeweils einen männlichen und einen weib-lichen Paten zu finden, konnte erreicht werden. Zur Unterstützung der Patenwurden Reflexionstreffen angeboten, bei denen sich die Paten über ihreErfahrungen austauschen konnten. Die Förderung der ehrenamtlichen Arbeitdurch Fahrtkostenerstattung verlief nicht wie erwartet. Fahrtkosten wurdennur vereinzelt abgerechnet, dann aber in der Regel wieder gespendet.

Die Maßnahmen zur Vermittlung der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt erwie-sen sich im Nachhinein als nicht notwendig. Inzwischen sind fast alle geflüch-teten Männer in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in einemBio-Geflügelzuchtbetrieb tätig; dieser nutzt die Entwicklung, um auch Halal-Produkte ins Sortiment aufzunehmen. Auch ein Drittel der Frauen sind sozial -versicherungspflichtig beschäftigt. Das Begegnungscafé hätte im letzten Drit-tel der Projektlaufzeit aufgebaut werden sollen. Weil seine Nutzunginzwischen fraglich ist, wurde es jedoch nicht realisiert.

Akteure und Ressourcen

Die Zahl der Beschäftigten, die eine auswärtige Arbeitsstelle haben, überstiegdie der Einpendler nach Alheim im Mittel der letzten fünf Jahre um das 3,3-fache. (Datenquelle: Hessische Gemeindedatenbank)

Das Geschlechterverhältnis war Ende 2017 mit 15 weiblichen und 17 männ-lichen Geflüchteten fast ausgeglichen. Es handelte sich um 10 Ehepaare mitinsgesamt 12 Kindern im Alter von bis zu 15 Jahren; fast alle besuchten eineSchule oder Kindertagesstätte. Nur fünf Geflüchtete waren älter als 35 Jahre.Vier Geflüchtete verfügten über eine abgeschlossene Ausbildung oderArbeitserfahrungen. Bei drei Personen handelte es sich um Analphabeten.

Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts

Das Projekt „Alheimer Flüchtlingshilfe“ wurde im Herbst 2015 ins Leben geru-fen, um die Zuwanderung von Familien und internationalen Fachkräften zufördern und damit die finanzielle und demografische Gesamtlage derGemeinde nachhaltig zu verbessern. Folgende Maßnahmen waren in diesemZusammenhang vorgesehen:

Alheimer Flüchtlingshilfe 25Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“24

Ausländer und aufgenommene

Flüchtlinge

Ausländeranteil Januar 2018 ca. 5 %

Aufgenommene Flüchtlinge Anzahl Ende 2017 32 (ca. 0,6 % der Bevölkerung)

Aufgenommene Flüchtlinge maximale Anzahl 2016 30 (ca. 0,6 % der Bevölkerung)

Herkunftsländer Afghanistan, Syrien, Irak

Projektträger Gemeinde Alheim

Netzwerkpartner• Örtliche Vereine• Unternehmen• Flüchtlingshilfe Alheim

Eingesetzte Ressourcen• 10.000 € Projektmittel• 1.100 € Eigenmittel für eine Fachkraft für den Deutschunterricht• Räumlichkeiten

Strukturdaten Alheim Hessen

Einwohner am 31.12.2015 ca. 5.000 6.365.000

Anzahl Ortsteile 10

Einwohner 2030 (Prognose) +0,9 % +3,1 %

Durchschnittsalter 2015 43,7 Jahre 43,7 Jahre

Durchschnittsalter 2030 (Prognose) 47,7 Jahre 46,7 Jahre

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 2000 – 2015 +6,9 % +10,8 %

Quelle: Hessische Gemeindedatenbank auf Basis von Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes (2016) und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016)

Alheimer Flüchtlingshilfe

Das Interesse an bürgerschaftlichem Engagement und der Mitarbeit in Vereinenmüssen begleitet und am Leben gehalten werden. Alle Geflüchteten in Alheimhaben ein Mobiltelefon, sind in WhatsApp-Gruppen organisiert und in derRegel bereit zu helfen, wenn sie gefragt werden. Es wurde von Anfang an Wertdarauf gelegt, dass Kommunikation erfolgt, Informationen gegeben werdenund eine persönliche Einführung in die Angebote erfolgt.

Vorhandene Mittel wurden genutzt, um Geflüchteten eine Haftpflichtver -sicherung zu finanzieren und damit das Risiko zu verringern, dass durch sieverursachte Schäden nicht kompensiert werden können. Entsprechende Vor-kommnisse an anderen Orten führten zu großem Unmut in der heimischenBevölkerung. Darüber hinaus wurde ein WLAN-Hotspot im Familienzentrumeingerichtet, um einen kostenlosen Internet-Zugang zu ermöglichen. Tabletsfür den Deutschunterricht wurden angeschafft und zur Verfügung gestellt. Sieerleichterten das Selbststudium und trugen dazu bei, die extremen Unter-schiede im Niveau der Deutschkenntnisse auszugleichen.

Zweimal wurden Feste der Begegnung und Konzerte in der Kirche Sterkels-hausen veranstaltet. Diese wurden auch von Flüchtlingen sehr gut angenom-men und stellten ein wichtiges Ereignis im Gemeindeleben dar.

27Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“26

Stattdessen wurde das Konzept während der Umsetzung um einzelneAspekte erweitert. Der Schwerpunkt der Integration wurde nunmehr daraufgelegt, Geflüchtete in örtliche Vereine einzubinden und ihren Spracherwerbzu intensivieren.

Alle geflüchteten Männer wurden mit der Arbeit der Feuerwehr vertrautgemacht und sind mit einer Ausnahme inzwischen fest in sie eingebunden.Mütter mit Kindern werden durch das Familienzentrum integriert. Der Anteilvon Frauen unter den Analphabeten ist besonders hoch. Dennoch kann dieHälfte von ihnen aufgrund von Bildungsangeboten inzwischen lesen undschreiben. Frauen ergreifen ihre Bildungschancen begieriger als Männer.Viele von ihnen erkennen, dass es ihnen in Deutschland besser als in ihremHeimatland geht. Auch die schulische Integration geflüchteter Kinder ist gutgelöst. Es gibt u. a. eine Nachmittagsbetreuung zur Unterstützung bei denHausaufgaben und Bewegungsangebote. Freundschaften zwischen einhei-mischen und geflüchteten Kindern haben sich entwickelt.

Wenn Geflüchtete in Vereine integriert werden, müssen im Vorfeld die beider-seitigen Interessen geklärt und kontinuierlich reflektiert werden. Wer Musikin-strumente beherrscht, findet leicht Anschluss in den entsprechenden Vereinen.

Gemeindeverwaltung Alheim

Katharina Weller

Alheimerstraße 2

36211 Alheim

[email protected]

www.alheim.de

Alheimer Flüchtlingshilfe

Nachhaltigkeit

Nach Einschätzung der Projektverantwortlichen werden die durchgeführtenMaßnahmen nachhaltig dazu beitragen, auch bei steigenden Zuweisungenvon Flüchtlingen ein geregeltes Integrationsverfahren auf hohem Qualitäts-niveau zu sichern und die Zuwanderung in die Gemeinde Alheim zu fördern.

Übertragbarkeit

Ein Kernelement des Alheimer Konzepts, das auch an anderen Orten für eineerfolgreiche Umsetzung gegeben sein sollte, besteht darin, Vertreterinnenund Vertreter aller politischen, kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Interes-sengruppen an einen Tisch zu holen. Dann ist jeder angesprochen, und es istein Projekt für alle. Entscheidungen wurden nicht „von oben“, sondern stetsgemeinschaftlich getroffen. Ein solch breites Engagement braucht eine Kulturder Anerkennung und Wertschätzung.

Die verhältnismäßig geringe Einwohnerzahl von Alheim ist hierbei zweifellosvon Vorteil. In größeren Städten könnten ähnliche Lösungen auf Quartiers-ebene realisiert werden. Auf jeden Fall sollte vermieden werden, dass Ent-scheidungen durch Professionelle in den Dezernaten vorgegeben werden.Sonst ist ein von der Bürgerschaft getragener Ansatz nicht mehr möglich.

29Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“28

Erfahrungen

Es überraschte die Verantwortlichen, wie viele Menschen bereit waren, sichfür die Integration von Flüchtlingen einzusetzen. Der Zusammenhalt in Alheimist dadurch noch stärker geworden. Kontakte und Beziehungen zwischen denMenschen haben sich intensiviert. Einladungen von fremden Menschen undbei fremden Menschen, Essen aus anderen Kulturkreisen und Erfahrungenmit fremder Kultur haben das Leben in Alheim vielfältiger gemacht. Vorbe-halte gegen Flüchtlinge wurden selbst bei skeptischen Menschen abgebaut.Aufgrund der intensiven Betreuung, die Geflüchtete erhielten, brauchtenEhrenamtliche immer wieder auch einmal eine Auszeit. Dann war die Moti-vation wieder hergestellt.

Insgesamt verlief die Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt undin örtliche Vereine erfolgreich. Auch die Arbeit der Feuerwehr konnte von derhohen Engagement- und Hilfsbereitschaft der Geflüchteten profitieren.

Sehr wichtig für das Gelingen des Projekts war es, dass sich die Gremien derGemeinde Alheim schon zu Beginn der Zuwanderungswelle eindeutig dafürausgesprochen haben, Flüchtlinge zu integrieren. Seitens der Politik wurdender Arbeit keinerlei Steine in den Weg gelegt, denn Alheim braucht Neubür-gerinnen und Neubürger. Bisher sind keine Flüchtlinge abgewandert; imGegenteil gibt es Anfragen von Geflüchteten aus anderen Orten, nach Alheimkommen zu können. Noch immer gibt es Leerstände bei Wohnungen in ver-schiedenen Ortsteilen, weil die mangelhafte Anbindung an den ÖPNV dieWohnlage unattraktiv macht.

Kontaktdaten

„Nicht wegducken, sondern mitge-stalten. Dann kann man späterauch darüber urteilen.“ Michael Wollert, Ehrenamtlicher

„Man kann als Bürgermeister stolzsein, dass es Menschen in derGemeinde gibt, die einen hierbegleitet haben. Das, was in diesemProzess geleistet wurde, war bei-spielhaft. Da bin ich stolz drauf.“Georg Lüdtke, Bürgermeister

Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“30 Vision: Integration und Ansiedlung von Flüchtlingen in Bad Sooden-Allendorf 31

Bad Sooden-Allendorf liegt einge-bettet in eine Mittelgebirgsland-schaft am Dreiländereck Hessen- Thüringen-Niedersachsen imWerratal. Die Stadt hat sich vomwohlhabenden Salinen-Ort im Mittel-alter zu einem Sole-Heilbad entwi-ckelt. Die lokale Geschäftswelt kon-zentriert sich in den Innenstädtenvon Bad Sooden und Allendorf, dievon Fachwerkhäusern geprägt sind.Der Einzelhandel kämpft jedoch umseinen Bestand, und nicht seltenschließen Geschäfte. In einem Indus-triegebiet befinden sich großeSupermärkte. Neben einigen Hotelsist die hohe Zahl von Privatpensio-nen, vor allem im Stadtteil Sooden,erwähnenswert. Verschiedene Klini-ken gehören zu den größten Arbeit-gebern der Stadt.

Durch die Bundesstraßen B 27 und B 80 ist Bad Sooden-Allendorf mitden Autobahnen A 7 (Nord-Süd) und A 44 und A 5 (Ost-West) verbun-den. Mit der Regionalbahn sind dieICE-Bahnhöfe Göttingen und Kasselerreichbar.

Vision: Integration und Ansiedlung von Flüchtlingen in Bad Sooden-Allendorf –Modellkommune

• Vernetzung aller integrationsrelevantern Vereine, Akteure und Einrichtungen• Ausbau der vorhandenen Ehrenamtsstruktur durch ein Patenschaftsprojekt• Strukturelle Verankerung der Integrationspolitik• Förderung von Spracherwerb und Bildung bei den Geflüchteten durch

Motivierung zur Teilnahme und Angebote der Kinderbetreuung, Schulungdes Kita- und Schulpersonals in interkultureller Kompetenz und Koopera-tion relevanter Einrichtungen beim Übergang in den Arbeitsmarkt

• Einbeziehung von Vereinen, Initiativen und Ehrenamtlichen in den Integra-tionsprozess

• Information von Geflüchteten über die Stadt und deren Angebote undErfassung ihrer Potenziale zur Förderung des Bürgerschaftlichen Engage-ments von Neu- und Altmigranten

• Schaffung von Transparenz und die Einbindung von Bürgerinnen undBürgern

Umsetzung der Maßnahmen

In einem ersten Schritt ging es darum, die unterschiedlichen Aufgabenberei-che zu koordinieren. Neben dem bereits bestehenden Arbeitskreis Asylwurde der Flüchtlingsrat ins Leben gerufen, um zweimal im Monat über dieaktuelle Situation und die Bedarfe der Flüchtlinge zu beraten. Zur besserenVernetzung der Kooperationspartner wurde außerdem ein vierteljährlichzusammenkommendes Koordinierungsgremium initiiert.

Die Zahl der Beschäftigten, die eine auswärtige Arbeitsstelle haben, glich sichmit der der Einpendler nach Bad Sooden-Allendorf im Mittel der letzten fünfJahre weitgehend aus. (Datenquelle: Hessische Gemeindedatenbank)

Von den Geflüchteten konnten bis Ende 2017 70 Personen dezentral ange-siedelt werden. Die anderen Geflüchteten lebten in Gemeinschaftsunterkünf-ten. Das Geschlechterverhältnis war mit 52 weiblichen Geflüchteten und 53männlichen Geflüchteten nahezu ausgeglichen. Unter ihnen gab es 17 Ehe-paare sowie 60 Kinder und Jugendliche. Die älteste Geflüchtete stammte ausdem Irak und war 88 Jahre alt. Das Bildungsniveau variierte stark und reichtevom Analphabeten bis hin zu ehemaligen Studenten.

Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts

Das Projekt in Bad Sooden-Allendorf wollte dem demografischen Wandelund der negativen Bevölkerungsprognose entgegenwirken. Ziel war es, einBündnis aufzubauen und ein Konzept zur Umsetzung folgender Maßnahmenzu entwickeln:

Vision: Integration und Ansiedlung von Flüchtlingen in Bad Sooden-Allendorf 33Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“32

Ausländer und aufgenommene

Flüchtlinge

Ausländeranteil Januar 2018 ca. 7 %

Aufgenommene Flüchtlinge Anzahl Ende 2017 105 (ca. 1,2 % der Bevölkerung)

Aufgenommene Flüchtlinge maximale Anzahl 2016 102 (ca. 1,2 % der Bevölkerung)

Herkunftsländer Syrien, Eritrea, Irak, Afghanistan, Äthiopien,Somalia

Akteure und Ressourcen

Projektträger Stadt Bad Sooden-Allendorf

Netzwerkpartner

• Bündnis für Familie (Dachorganisation)• FamilienZentrum BSA• Sozialkreis• Bildungseinrichtungen • Unternehmen• Kirchengemeinden• Schulen• Kitas • Wohlfahrtsverbände• Sport- und Städtepartnerschaftsvereine• Ehrenamtliche, darunter Sportcoaches• Freiwilligenagentur• Industrie- und Handelskammer• Städtische Ämter• Stabsstelle Migration der Kreisverwaltung• Stadtverordnete und Magistrat

Eingesetzte Ressourcen

• 42.000 € Projektmittel• 4 Wochenstunden Ehrenamtskoordination, finanziert über die Landeskirche Kurhessen-Waldeck• 12 Wochenstunden Stadtsozialarbeit• Räumlichkeiten, Arbeitsmaterialien, Telefon, Internet

Strukturdaten Bad Sooden- Hessen Allendorf

Einwohner am 31.12.2015 ca. 8.500 6.365.000

Anzahl Stadtteile 9

Einwohner 2030 (Prognose) -10,2 % +3,1 %

Durchschnittsalter 2015 48,2 Jahre 43,7 Jahre

Durchschnittsalter 2030 (Prognose) 50,4 Jahre 46,7 Jahre

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 2000 – 2015 -1,0 % +10,8 %

Quelle: Hessische Gemeindedatenbank auf Basis von Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes (2016) und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016)

Vision: Integration und Ansiedlung von Flüchtlingen in Bad Sooden-Allendorf

Die Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements der Flüchtlinge wurdedurch den engen Kontakt mit den ehrenamtlichen Paten erreicht. Außerdemwurde ein Freiwilligentag durchgeführt. Flüchtlinge engagieren sich beispiels-weise beim Umbau eines städtischen Gebäudes oder in der Kleiderkammer.

Um niedrigschwellige und gut zu erreichende Informationen über die Flücht-linge, ihre Lebenssituation und Fluchtmotivation zu bieten, wurde die Foto-Ausstellung „Alte Heimat – neue Heimat“ ausgerichtet. Die durchgeführtenInformationsabende wurden allerdings von den Bürgern nicht so zahlreichbesucht wie erhofft. Einen großen Zulauf hingegen verzeichneten die Veran-stalter eines gemeinsamen Friedensgebetes, bei dem Gläubige unterschied-licher Religionen und Konfessionen zusammenkamen.

Erfahrungen

Als besonders positiv empfanden die Beteiligten die enge und gelungeneZusammenarbeit von hauptamtlich und ehrenamtlich Tätigen und die aktiveEinbindung ehemaliger Geflüchteter. Insbesondere zu der jesidischenGemeinde in Bad Sooden-Allendorf entstand ein enger Kontakt. Ihre Mitglie-der wirkten als Kulturvermittler, waren als Übersetzer tätig und gaben Tippsim Umgang mit Geflüchteten. Der Austausch von Geflüchteten aus unter-schiedlichen Herkunftsländern führte zum Abbau von Vorbehalten, die auchzwischen den Communities der Geflüchteten zu finden sind.

35Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“34

Eine zentrale Rolle spielte darüber hinaus das Patenschaftsprojekt, das wiegeplant umgesetzt werden konnte. Fast allen geflüchteten Familien konnteeine Patenfamilie zur Seite gestellt werden. Die Paten helfen den Geflüchtetenbei der ersten Orientierung vor Ort, bei alltäglichen Problemen und bei derVerbesserung ihrer Sprachkenntnisse. In regelmäßigen Treffen tauschen sichdie Paten untereinander aus, und sie erhalten regelmäßige Supervisionsan-gebote. Weiterhin wurden ihnen eine Qualifizierung in interkultureller Kom-petenz und eine Informationsveranstaltung zum Islam angeboten. Für diegeplante Erstellung eines Leitfadens für Ehrenamtliche blieb in der Projekt-phase nicht genügend Zeit.

Erarbeitet wurde jedoch die Broschüre, die neu ankommende Flüchtlingewillkommen heißt. Sie enthält in der jeweiligen Landessprache Informationenzu relevanten Einrichtungen und ihren Kontaktdaten. Die Broschüren werdenneben kleinen Give-aways in bedruckten Taschen an die Geflüchteten verteilt.Auch eine Website wurde erstellt, auf der sich Flüchtlinge und andere Inte-ressierte über die Strukturen und Angebote vor Ort informieren können.

Ein weiteres Projektzielziel bestand darin, die Themen Integration und inter-kulturelle Öffnung in der kommunalen Politik zu verankern und zur Chefsachezu erklären. Hierzu wurde ein Leitbild verfasst, das von allen Kommunalpoli-tikern unterzeichnet wurde. Für die Beschäftigten der Stadtverwaltung, die indirektem Kontakt mit Flüchtlingen stehen, wurde ein Training zur Förderunginterkultureller Kompetenzen entwickelt, das auf große Resonanz stieß.

Fast alle Kleinkinder der Flüchtlingsfamilien sind in den Kitas integriert. Diegeplante Weiterbildung der Kita-Mitarbeiter wurde aufgrund der geringenResonanz nicht durchgeführt. Der Informationsaustausch zwischen Erziehernbzw. Lehrern und den Eltern der Kinder aus Flüchtlingsfamilien wird zudemdurch die Paten gewährleistet. Ebenfalls wurden die ursprünglich geplantenMaßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt zurückgestellt, weil dieserBereich in die Zuständigkeit der Stabsstelle Migration fällt. Stattdessen wurdeder Schwerpunkt auf die Sprachförderung gelegt. An vier Tagen in der Wochewurde von Ehrenamtlichen Deutschunterricht angeboten.

Die Angebote der Sportcoaches (Fußball für Männer und Frauen, Schwim-men, etc.) haben dazu geführt, dass einige Flüchtlinge bereits erfolgreich inSportvereine integriert werden konnten. Nach anfänglichen Schwierigkeitenhaben sich die Vereine umgestellt und die Angebote stärker an den Interes-sen der Flüchtlinge ausgerichtet. Gleichzeitig werden die Potenziale undBedürfnisse der Flüchtlinge systematisch erfasst. Auf diese Weise entstandenbeispielsweise ein Repair-Café, die Projekte „Nähen bringt Freu(n)de“,„Küche International“ und „Spielen(d) lernen“, die Mutter-Kind-Gruppe„Regen bogen“, eine Kleiderkammer und ein Internationaler Garten. Insbe-sondere bei den geflüchteten Frauen stoßen diese Angebote auf großeResonanz.

Vision: Integration und Ansiedlung von Flüchtlingen in Bad Sooden-Allendorf

Nachhaltigkeit

Die seit vielen Jahren vorhandene gute Ehrenamtsstruktur vor Ort und diegute Zusammenarbeit der Organisationen unter dem Dach des Bündnissesfür Familie werden die Nachhaltigkeit der Ergebnisse begünstigen. DerZusammenhalt ist sogar noch größer geworden, seitdem es die gemein -samen Anstrengungen zur Integration der Geflüchteten gibt.

Viele Geflüchtete sind inzwischen in Bad Sooden-Allendorf verwurzelt undwollen nicht mehr wegziehen. Darüber hinaus bemühen sich Flüchtlinge ausanderen Kommunen darum, sich in Bad Sooden-Allendorf anzusiedeln. Wäh-rend viele benachbarte Gemeinden Bevölkerung verlieren, wächst Bad Sooden-Allendorf aktuell.

Übertragbarkeit

Um das Projekt an anderen Standorten zu realisieren, bedarf es dort einersoliden Basis für Bürgerschaftliches Engagement. Materielle und ideelle För-derstrukturen müssen vorhanden sein, die eine Überbelastung von Ehren-amtlichen ausschließen. Für bestimmte Aufgaben muss Geld aufgewandtwerden; nicht alles lässt sich unbezahlt leisten.

Wichtig ist, dass die Kommune, Schulen, Vereine und andere Akteure mitei-nander und zielorientiert arbeiten und Partikularinteressen zurückgestellt wer-den. Nur gemeinsam können die Ziele eines so anspruchsvollen Integrations-projekts erreicht werden.

37Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“36

In Bad Sooden-Allendorf wurde die Erfahrung gemacht, dass die Flüchtlingeinsbesondere dann ein hohes Maß an Eigeninitiative und Motivation zur Teil-nahme an den Sprachkursen zeigen, wenn die Gruppen möglichst kleingehalten werden. Hierbei musste dem Umstand Rechnung getragen werden,dass die Geflüchteten hinsichtlich ihrer Vorbildung große Unterschiede auf-weisen. Den größten Erfolg hat die Lerngruppe im FamilienZentrum, die aucheine Kinderbetreuung anbietet.

Eine Herausforderung war es jedoch, eine Übersicht zu erstellen, welcheAngebote zur Sprachförderung von Drittanbietern es bereits gibt und wervon den Geflüchteten bereits welchen Kurs besucht.

Bei der Suche nach Wohnungen für Flüchtlinge ist es erfolgversprechend,wenn die Kontaktaufnahme mit Vermietern über die Paten erfolgt. Nach derAuflösung von Gemeinschaftsunterkünften kam es aber vor, dass Geflüchtete,die gerne in Bad Sooden-Allendorf geblieben wären, aufgrund mangelndenWohnraums keine Wohnung fanden. Dies war für alle Beteiligten sehr belas-tend. Für das Patenschaftsprojekt war es eine Herausforderung, als die Stelleder Ehrenamtskoordinatorin gestrichen wurde und vieles neu organisiert wer-den musste. Auch für die Öffentlichkeitsarbeit wurde weiterer personellerBedarf ausgemacht.

„Ohne das Modellprojekt und dieGeflüchteten hätte sich die Inte-gration der Jesidischen Gemeindenicht verselbstständigt.“ Annette Ruske-Wolf,

Büro für Sozialarbeit der Stadt

Bad Sooden-Allendorf

„Es kann nur funktionieren, wennBindungen aufgebaut werden können.Milena Vaupel-Kenter, Sport Coach

Stadtverwaltung

Bad Sooden-Allendorf

Annette Ruske-Wolf

Marktplatz 8

37242 Bad Sooden-Allendorf

a.ruske-wolf@bad-sooden-

allendorf.de

www.bad-sooden-allendorf.de

Kontaktdaten

Zukunftswerkstatt 2.0 in der Stadt Diemelstadt 39Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“38

Diemelstadt mit den neun Stadttei-len Ammenhausen, Dehausen, Helmighausen, Hesperinghausen,Neudorf, Orpethal, Rhoden, Wethenund Wrexen ist ein Wirtschaftsstand-ort in der Mitte Deutschlands, der imNorden des Landes Hessen im Land-kreis Waldeck-Frankenberg liegt.Zahlreiche mittelständische Unter-nehmen, familiengeführte Hand-werksbetriebe und insbesondere diepapierverarbeitende Industrie bildengemeinsam mit mehreren örtlichenSpeditionen den wirtschaftlichenSchwerpunkt der Kommune. Es liegtsomit ein großes Potenzial anArbeitsplätzen vor, die auch ohneumfangreiche Ausbildung besetztwerden können.

Der Knotenpunkt der Auto bahn A 44sowie die Bundestraßen B 252, B 68und B 7 bieten eine gute Anbindungan den Fernverkehr. Der ICE-Bahn-hof Warburg (Westfalen) ist 15 kmentfernt.

Zukunftswerkstatt 2.0 in der Stadt Diemelstadt – Modellkommune

Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts

Das Projekt „Zukunftswerkstatt 2.0“ wurde ins Leben gerufen, um integrations -fördernde Maßnahmen zu entwickeln, die sich sowohl an vorübergehend auf-genommene als auch an längerfristig bleibende Geflüchtete richten und vondenen auch Einheimische profitieren. Im Fokus der Integration der Geflüch-teten sollten der zügige Spracherwerb, die Akzeptanz der deutschen Kulturund Werte sowie die Förderung der Alltagskompetenzen im Sozialraum stehen. Als besonders wichtig erachten die Beteiligten dabei, dass alle dafürnotwendigen Maßnahmen unter der frühzeitigen Einbeziehung der Bevölke-rung in die Entscheidungsprozesse erfolgen sollten. Folgende Maßnahmenwaren vorgesehen:• Durchführung von Workshops für haupt- und ehrenamtlich Engagierte und

interessierte Bürgerschaft• Partizipative Erarbeitung, Verabschiedung und Umsetzung eines Inte -

grationskonzepts• Förderung der Integration geflüchteter Menschen durch erweiterte Ange-

bote zum Spracherwerb, ein Angebot zur Verkehrsschulung, Maßnahmenzur Verbesserung der Mobilität und die Schulung von Alltagskompetenzen

Umsetzung der Maßnahmen

Die Weichen für die Integrationsbemühungen in Diemelstadt wurdenbereits im Jahr 2015 gestellt. Zu diesem Zeitpunkt wurde erstmals einegemeinsame Kommission „Zuwanderung als Chance“ gegründet, welchespäter zur Steuerungsgruppe des Modellprojektes wurde. Diese bestandmit wechselnder Zusammensetzung bis Mitte 2017 und trug maßgeblichzum Gesamterfolg bei.

Akteure und Ressourcen

Zukunftswerkstatt 2.0 in der Stadt Diemelstadt 41Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“40

Die Zahl der Beschäftigten, die eine auswärtige Arbeitsstelle haben, glich sichmit der der Einpendler nach Diemelstadt im Mittel der letzten fünf Jahre inetwa aus. (Datenquelle: Hessische Gemeindedatenbank)

In Diemelstadt lebten im November 2017 80 männliche und 32 weiblicheGeflüchtete, darunter 22 Ehepaare. Fast alle waren jünger als 45 Jahre. DieHälfte der Geflüchteten, vorwiegend Einzelpersonen, war in zwei Gemein-schaftsunterkünften untergebracht. Die andere Hälfte, bei der es sich über-wiegend um Familien handelt, lebte in 13 Wohnungen. Das Bildungsniveauder Geflüchteten war im Wesentlichen geprägt von Personen, die keine oderkaum Nachweise über ihren möglichen Abschluss einer dualen Berufsaus -bildung erbringen können. Im Vergleich mit den geflüchteten Frauen, die oft-mals auch in ihrer Vergangenheit keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangensind, waren die männlichen Geflüchteten in ihren Herkunftsländern häufig alsKraftfahrer, Lagerarbeiter oder als handwerkliche Hilfskräfte tätig.

Ausländer und aufgenommene

Flüchtlinge

Ausländeranteil Januar 2018 11 %

Aufgenommene Flüchtlinge Anzahl Ende 2017 114 (ca. 2,2 % der Bevölkerung)

Aufgenommene Flüchtlinge maximale Anzahl 2016 156 (ca. 2,9 % der Bevölkerung)

HerkunftsländerSyrien, Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, Irak,Palästina,Tschetschenien, Mazedonien,Somalia, Algerien, Jemen

Projektträger Stadt Diemelstadt

Netzwerkpartner

• Evangelische Kirche• Schulen, Kindergärten• Sprachschule USB Korbach• Örtliche Vereine• Externe Experten

Eingesetzte Ressourcen• 42.000 € Projektmittel• Räumlichkeiten• Unterstützung durch städtischen Bauhof

Strukturdaten Diemelstadt Hessen

Einwohner am 31.12.2015 ca. 5.300 6.365.000

Anzahl Stadtteile 9

Einwohner 2030 (Prognose) -8,9 % +3,1 %

Durchschnittsalter 2015 46,3 Jahre 43,7 Jahre

Durchschnittsalter 2030 (Prognose) 50,1 Jahre 46,7 Jahre

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 2000 – 2015 +25,9 % +10,8 %

Quelle: Hessische Gemeindedatenbank auf Basis von Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes (2016) und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016

Zukunftswerkstatt 2.0 in der Stadt Diemelstadt

Sprachkurse, die interaktive Sprachkursunterstützung mit der Software „Papa-gei“, die Kleiderkammer „Schatzkiste“ im Dorfgemeinschaftshaus, das inter-kulturelle Kochen in Zusammenar beit mit der evangelischen Kirche sowiediverse Informationsveranstaltungen für Geflüch tete zur Schulung von Alltags-kompetenzen in Zusammenarbeit mit der Polizei und der Ausländerbehörde.

Zur Förderung der Mobilität wurden Fahrradkarten für die Geflüchtetenerstellt, auf denen die wichtigsten Orte und Wege dahin veranschaulicht sind.Ein ursprünglich geplantes Angebot zur Verkehrsschulung wurde aufgrundgeringer Nachfrage vonseiten der Flüchtlinge nicht realisiert.

Den Auftakt der im Rahmen der vorangegangenen Workshops geplantenZukunftswerkstatt 2.0 „Diemelstadt 2030“ am 14.01.2017 bildete ein Impuls-vortrag des renommierten Demografieexperten Dr. Winfried Kösters. Im wei-teren Verlauf erhielten die Teilnehmer die Möglichkeit, sich an den angebo-tenen Informationsständen der örtlichen Vereine über deren Angebote zuinformieren. Abgerundet wurde die Veranstaltung durch die Einrichtung von16 thematischen Worldcafés, die von den Mitgliedern der Steuerungsgruppemoderiert wurden. Diese Arbeitsgruppen nutzten die ca. 160 Teilnehmer, umintegrationsrelevante Themen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zuerörtern und gemeinsam mögliche Lösungen zu erarbeiten. Ergänzt wurdendie Präsentationen durch mehrere Videointerviews mit Flüchtlingen aus Die-melstadt, die darin ihre Fluchtbiographien beschreiben. Die gesammeltenIdeen und Anregungen der Zukunftswerkstatt 2.0 wurden in einem abschlie-ßenden Workshop der Steuerungsgruppe zu einem strategischen Zukunfts-programm zusammengefasst. Das große Interesse der Bevölkerung und dierege Teilnahme an der Zukunftswerkstatt zeigen, dass das Ziel, die Bevölke-rung mit ihren Wünschen in den Prozess der Ausgestaltung der Integrations-arbeit einzubeziehen, erreicht wurde.

Erfahrungen

Die Stadt Diemelstadt zieht am Ende des Modellprojektes eine positive Bilanzder zahlreichen Work shops und Einzelmaßnahmen. Mit Blick auf die kooperie-rende Arbeit von Haupt- und Ehrenamt konnte die Stadtverwaltung mit Hilfeder neu eingerichteten Stelle der Flüchtlingskoordinatorin neue Strukturen auf-bauen und über 60 Ehrenamtliche für die Arbeit mit Geflüchteten gewinnen.Grundsätzlich sind die Offenheit, die Toleranz und die Hilfsbereit schaft derBevölkerung in Diemelstadt durch die Projekte, Maßnahmen und begleitendeÖffentlichkeitsarbeit sehr transparent geworden. Aufgrund der Zusammen-setzung der Steuerungsgruppe aus unterschiedlichen Partnern, insbesonderedurch die Teilnahme der Sprecher der Nationen, war bereits die Vorbereitungaller Projekte und Maßnahmen ein wichtiger Meilenstein nachhaltiger Inte-gration. Alle Beteiligten arbeiteten bedarfsorientiert, nachhaltig und mit einer

43Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“42

Das Modellprojekt startete im August 2016 mit einem Kick-Off-Meeting derSteuerungsgruppe, die nach einer umfangreichen Ist-Analyse die nach -folgende Vision für Diemelstadt definierte: „Bis zum Jahr 2020 wollen wir einDrittel der in der Stadt lebenden Flüchtlinge zu finanziell unabhängi gen Bürgern machen.“

Daraufhin folgten zwei weitere Workshops mit externen Moderatoren zu denThemen Faktoren des Spracherwerbs, der Sprachentwicklung und der inter-kulturellen Kompetenz sowie zur Vorbereitung der Zukunftswerkstatt 2.0 „Die-melstadt 2030“. Interessierte Geflüchtete mit guten Deutschkenntnissen wur-den zu diesen Workshops eingeladen, um als Sprecher ihrer Nationen in derSteuerungsgruppe mitzuwirken. Im Verlauf der Workshops definierte dieSteuerungsgruppe die Diemelstädter Grundhaltung zur Integration vonFlüchtlingen wie folgt:

„WIR sehen zuwandernde Menschen, egal woher sie kommen, als Chanceund Bereicherung für Diemelstadt. WIR begegnen diesen Menschen mit Neu-gier und Offenheit und heißen sie willkommen, eine gemeinsame, vongegenseitigem Respekt und Verständnis geprägte, friedvolle Zukunft zugestalten. WIR erwarten die Bereitschaft, die deutsche Sprache zu erlernenund sich in die lokale Gemeinschaft einzubringen. Ziel soll es sein, Diemel-stadt als Heimat für alle Generationen und Kulturen auf der Grundlagegemeinsamer Werte und Ziele zu gestalten.“

Parallel zur Arbeit der Steuerungsgruppe wurden sowohl von der Verwaltungals auch von den Bürgern der Stadt wertvolle Einzelmaßnahmen und Projektemit dem Ziel des guten Zusammenlebens in einer Art „Wohlfühlgemeinde“organisiert und durchgeführt. Exemplarisch dafür stehen der interkulturelleSport- und Begegnungstag der Sportvereine, die vielen ehrenamtlichen

Zukunftswerkstatt 2.0 in der Stadt Diemelstadt

Nachhaltigkeit

Einerseits werden nach Schätzung der Verantwortlichen etwa ein Drittel deranerkannten Flüchtlinge, insbesondere Familien, ihren Wohnsitz dauerhaft inDiemelstadt behalten. Sie werden von der Bevölkerung in Diemelstadt nichtmehr als Flüchtlinge, sondern vielmehr wie Nachbarn, Bekannte oderFreunde angesehen und zeigen, dass Zuwanderung durchaus als vielfältigeChance für alle Beteiligten gesehen werden kann. Andererseits sind einigeder gewachsenen Strukturen aus Haupt-und Ehrenamt weiterhin aktiv undentwickeln sich ständig und stetig weiter.

Übertragbarkeit

Grundsätzlich sind alle durchgeführten Maßnahmen und Projekte, die in Die-melstadt im Rahmen des Modellprojektes geplant, organisiert und durchge-führt wurden, auf weitere Kommunen übertragbar. Eine Grundvoraussetzungdafür ist aus Sicht der Stadt Diemelstadt, gemeinsam mit den Bürgern einepositive Haltung zum Thema Integration zu definieren. Eine weitere Voraus-setzung ist aus Sicht der Beteiligten die Einrichtung einer hauptamtlichen Ver-bindungsstelle für das Ehrenamt im Handlungsfeld Flüchtlinge und Integra-tion. Neben der Betreuung der Geflüchteten gehört es im Wesentlichen zuihren Aufgaben, alle beteiligten Akteure möglichst gut zu vernetzen und denAustausch auf verschiedenen Plattformen zu fördern. Zudem müssen alleMaßnahmen und Projekte dynamisch an die jeweiligen Bedarfe aller Betei-ligten, also der Bürger, der ehrenamtlichen Kümmerer und der Flüchtlingeangepasst werden. Aller dings ist hierbei abschließend festzuhalten, dass ein-wohnerstärkere Kommunen mit großer Sicherheit nicht auf ein teildynami-sches und strukturiertes Integrationskonzept verzichten können.

45Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“44

gemeinsamen Zielsetzung gemäß der vereinbarten Vision und Haltung. Durchdie Zukunftswerkstatt gelang es, Wünsche und Ziele sowie das Know-how allerBeteiligten zusammenzufassen und ein Wir-Gefühl in der Bevölkerung für die„Integration im ländlichen Raum“ zu entwickeln. Genau so erfreulich sind auchdie Nebeneffekte des Modellprojektes. So gewann das Gemeinschaftshausfür die Allgemeinheit wieder neu an Bedeutung. Die Vereine vernetzten sichstärker und durch deren interkulturelle Öffnung konnten neue Mitgliedergewonnen werden. In Diemelstadt wird Integration nicht als Einbahnstraßeverstanden, sondern es gilt das Prinzip „Fördern und Fordern“.

Besonders positiv ist die Tatsache, dass Flüchtlinge im öffentlichen Raum derStadt integriert und akzeptiert sind. Erste Freundschaften zwischen Ein -heimischen und Geflüchteten konnten geknüpft werden und einige derFlüchtlinge konnten bereits auf dem Arbeitsmarkt erste Erfolge verzeichnen.Als Herausforderung wurde hingegen betrachtet, dass nicht alle Geflüchtetenan den Angeboten zur Sprachförderung kontinuierlich teilgenommen habenund hinsichtlich der Motivation zur Integration große individuelle Unter-schiede zwischen den Geflüchteten bestanden. Dies führte auch bei einerViel zahl von ehrenamtlichen Helfern zu Demotivation und in Folge dessenzum Rückgang des angebotenen Sprachunterrichts. Aufgrund dessen emp-fehlen die Projektverantwortlichen eine Anpassung der angebotenen Maß-nahmen an die Bleibeperspektive und Motivationslage der Teilnehmer. DenEinsatz einer elektronischen Sprachkurssoftware betrachtet man in Diemel-stadt als nicht vielversprechend, da viele der Geflüchteten eher auf konven-tionelle Art und Weise Fortschritte im Spracherwerb zeigten.

Die Stadt Diemelstadt ist über das Modellprojekt auch als Projektkommunedes Thünen Institutes in Braunschweig an einem zweitägigen Workshopbeteiligt worden und die Ergebnisse sind in dem Thünen Report 53 „Auf-nahme und Integration von Flüchtlingen in ländliche Räume“ eingeflossen.Außerdem hat die Universität Kassel im Rahmen ihres Projektes „SozialeStadt“ in Verbindung mit der Friedrich-Ebert-Stiftung die Ergebnisse desModellprojektes vor Ort besichtigt und analysiert.

„Bei den Sportvereinen sind dieFlüchtlinge sehr gefragt. Die Volleyballmannschaft würde esohne die Flüchtlinge gar nichtmehr geben.“Daniela Scholz, Fachdienstleiterin

für das Referat des Bürgermeisters

Stadtverwaltung Diemelstadt

Bürgermeister Elmar Schröder

Lange Straße 6

34474 Diemelstadt

schrö[email protected]

Telefon: 05694/9798-18

www.diemelstadt.de

Kontaktdaten

Angekommen in Laubach 47Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“46

Am Fuße des Hohen Vogelsberges,des größten erloschenen VulkansEuropas, liegen Laubach und seineStadtteile Altenhain, Freienseen,Gonterskirchen, Lauter, Münster,Röthges, Ruppertsburg mit derGewerbesiedlung Friedrichshütteund Wetterfeld. Die umgebendeLandschaft ist durch ausgedehnteWälder gekennzeichnet, historischeDorfkerne und die in vielen Teilengut erhaltene Altstadt der Kernstadtsind charakteristisch für Laubach.Das Stadtbild wird dominiert vomSchloss mit Park im Norden. Eine jün-gere Wohnsiedlung liegt im Osten,eine moderne Wohnsiedlung imNordwesten. Im Westen erstrecktsich entlang der Bahnlinie ein Indus-triegebiet. Die größten Arbeitgeberin Laubach sind die Firmen Römheldund Dexion sowie das Ober -hessische Diakoniezentrum.

Von Laubach aus erreicht man aufder B 49 die Autobahnanschluss-stelle Reiskirchen, die auf die A 5Richtung Frankfurt führt. Diverse Bus-linien verbinden Laubach mit denumliegenden Gemeinden und wei-ter entfernten Städten.

Angekommen in Laubach – Modellkommune

Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts

In Laubach bestand das Ziel darin, Geflüchteten die Attraktivität des ländli-chen Raums zu vermitteln und sie in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren.Folgende Maßnahmen, die von einem externen Büro koordiniert und beglei-tet wurden, waren vorgesehen:• Ausbau des Betreuungs- und Schulstandorts Laubach für Flüchtlinge durch

Workshops zu flüchtlingsspezifischen Fragestellungen und interkulturellerSensibilisierung für Erzieherinnen, Lehrkräfte und Multiplikatoren

• Hilfe zur Selbsthilfe für Flüchtlingsfamilien durch Informationsveranstaltun-gen zu Kita- und Bildungs- und anderen Unterstützungsangeboten undmehrsprachige Informationsmaterialien

• Ermittlung des Wohnraumbedarfs und Akquirierung von Wohnraum durcheine Informationskampagne

• Förderung der gesellschaftlichen Integration in Vereine durch Schulungenfür ihre Vertreterinnen und Vertreter

• Förderung von Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen durchInformationsveranstaltungen für Arbeitgeber und Flüchtlinge

• Umsetzung einer Willkommenskultur durch Stadtführungen, einen Tag derKulturen und Gewinnung von Paten

• Sensibilisierung der städtischen Verwaltung durch Workshops und Semi-nare zu interkulturellen Fragestellungen

• Öffentlichkeitsarbeit durch Erstellung einer Online-Präsentation, Nutzungvon Printmedien und Pressearbeit

Akteure und Ressourcen

Angekommen in Laubach 49Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“48

Die Zahl der Beschäftigten, die eine auswärtige Arbeitsstelle haben, überstiegdie der Einpendler nach Laubach im Mittel der letzten fünf Jahre um das 2-fache. (Datenquelle: Hessische Gemeindedatenbank)

Bei den aufgenommenen Flüchtlingen handelte es sich Ende 2017 um 27Ehepaare. Rund zwei Drittel waren alleinreisend. Mit 75 Frauen und Mädchenund 66 Männern und Jungen überwog im Geschlechterverhältnis der weib-liche Anteil. Rund die Hälfte der in Laubach ansässigen Flüchtlinge waren Kin-der und Jugendliche. 57 Personen waren im Alter zwischen 21 und 40 Jahren,16 Personen zwischen 41 und 60 Jahren, und eine Geflüchtete war älter als60. Die Erwachsenen verfügten mehrheitlich über eine Grund- und Haupt-schulbildung. Bei rund 10 % handelte es sich um Analphabeten, weitere 10%hatten ein mit dem Abitur vergleichbaren Bildungsabschluss.

Ausländer und aufgenommene

Flüchtlinge

Ausländeranteil Januar 2018 ca. 6 %

Aufgenommene Flüchtlinge Anzahl Ende 2017 151 (ca. 1,6 % der Bevölkerung)

Aufgenommene Flüchtlinge maximale Anzahl 2016 279 (ca. 2,9 % der Bevölkerung)

HerkunftsländerSyrien, Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, Irak,Palästina,Tschetschenien, Mazedonien, Somalia, Algerien, Jemen

Projektträger Stadt Laubach

Netzwerkpartner

• Freundeskreis Asyl• Laubach Kolleg• Friedensinitiative Laubach• Schulen und Kindertagesstätten• Jobcenter Gießen• Unternehmen: Römheld GmbH und Autodienst Oemler• Oberhessisches Diakoniezentrum• Planungs- und Koordinationsbüro DENKSTRUKTUREN

Eingesetzte Ressourcen • 35.000 € Projektmittel• Räumlichkeiten

Strukturdaten Laubach Hessen

Einwohner am 31.12.2015 ca. 9.600 6.365.000

Anzahl Stadtteile 8

Einwohner 2030 (Prognose) -2,3 % +3,1 %

Durchschnittsalter 2015 46,2 Jahre 43,7 Jahre

Durchschnittsalter 2030 (Prognose) 50,7 Jahre 46,7 Jahre

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 2000 – 2015 +7,5 % +10,8 %

Quelle: Hessische Gemeindedatenbank auf Basis von Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes (2016) und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016)

Angekommen in Laubach

Möglichkeit, direkt mit den Firmen in Kontakt zu treten. Durch die Maßnah-men zur Förderung der Beschäftigung konnten Praktikumsplätze und ein Aus-bildungsplatz vermittelt werden.

Die geplanten Stadtführungen für Flüchtlinge wurden nicht umgesetzt, aberein „Tag der Kulturen“ mit musikalischen Angeboten, Erzählungen, Tanz undkulinarischen Köstlichkeiten wurde durchgeführt. Als Symbol einer starkenWillkommenskultur entstand eine 30 m lange Wand, die von den Teil -nehmenden gestaltet wurde. Das Ereignis stieß bei der Bevölkerung aufgroße Resonanz. Viele Gruppen unterschiedlicher Herkunft und Religionszu-gehörigkeit, wie türkisch- und russischstämmige Menschen oder die alevitischeund muslimische Gemeinde, feierten zusammen.

Damit dem kulturellen Hintergrund der Flüchtlinge mit Respekt begegnetwird, wurden die Mitarbeiter der städtischen Verwaltung mit Publikumsver-kehr durch Workshops in interkulturellen Fragestellungen geschult. Die Reso-nanz der Teilnehmenden war durchweg positiv. Allerdings sollte im Vorfelddarüber informiert werden, warum die Teilnahme an einer Veranstaltung zurSensibilisierung sinnvoll ist.

51Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“50

Umsetzung der Maßnahmen

Um Laubach als Betreuungs- und Schulstandort für Flüchtlinge auszubauen,waren Workshops für Er zie her und Lehrkräfte geplant, um sie zu flüchtlings-spezifischen Fragestellungen zu schulen und kulturell zu sensibilisieren. Nach-dem das evangelische Gymnasium Laubach Kolleg ein Bildungs- und Wohn-angebot für Geflüchtete, von denen alle einen Realschulabschluss anstreben,geschaffen hatte, waren diese Maßnahmen für Lehrkräfte nicht mehr notwendig.Die Dienstpläne der Erzieher und die Verfügbarkeit der Referenten für Work-shops wiederum haben keinen gemeinsamen Termin ermöglicht.

Die Flüchtlinge im Laubach Kolleg werden von einer Sozialpädagogin mitsyrischen Wurzeln betreut. Im Rahmen des Projekts konnten die Geflüchtetenaußerdem in Zusammenarbeit mit dem Laubach Kolleg einen Computerkursbelegen und die Prüfung zum Europäischen Computerführerschein (ECDL)ablegen.

Des Weiteren waren Informationsveranstaltungen und -materialien für Flücht-linge geplant. Durch den Freundeskreis Asyl und den Sozialkoordinator fürden Fachbereich Flüchtlinge werden die Geflüchteten jedoch umfassend per-sönlich informiert, wobei auf individuelle Bedarfe eingegangen werden kann.Der Freundeskreis Asyl ist ein strukturiertes Netzwerk, in welchem sich über70 Menschen ehrenamtlich engagieren.

Ein weiteres Ziel des Modellprojekts war die Beschaffung von Wohnraum fürGeflüchtete. Der Versand des Flyers „Laubach will wachsen“ an alle Haushalteführte aber nur zu einer Rückmeldung. Die Wohnungsvermittlung konnteschließlich durch das kommunale Leerstandsmanagement und den Freun-deskreis Asyl zufriedenstellend realisiert werden. Auch die geplanten Paten-schaften und Familienaktivitäten wurden durch den Freundeskreis Asyl durch-geführt.

Ein weiteres Anliegen der Projektverantwortlichen war die Integration derGeflüchteten durch Sport und Vereinsarbeit. Die geplante Informationsveran-staltung für Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen stieß auf wenig Interesse.

Ein Schwerpunkt des Projekts war die Förderung von Ausbildung undBeschäftigung von Flüchtlingen. Hierzu gab es eine Informationsveranstal-tung für Gewerbetreibende der Gemeinde Laubach unter Beteiligung derAgentur für Arbeit, dem Jobcenter und anderen Netzwerkpartnern. Die Teil-nehmer wurden über die Voraussetzungen für Praktika, Ausbildung undBeschäftigung von Flüchtlingen informiert. Außerdem wurde für die Flücht-linge eine Bustour zum Besuch und Kennenlernen unterschiedlicher Unter-nehmen durchgeführt. Dabei wurde vermittelt, wie Firmen und das Ausbil-dungssystem in Deutschland funktionieren und an welche Institutionen sichArbeitssuchende wenden können. Für die Teilnehmer bestand außerdem die

Angekommen in Laubach

Übertragbarkeit

Das Projekt „Angekommen“ konnte in vielen Aspekten an bereits vorhandeneStrukturen anknüpfen, da bereits ein verlässliches, gewachsenes Netzwerk vonAkteuren in der Flüchtlingsintegration vorhanden war. Insbesondere der Freun-deskreis Asyl hat das Projekt maßgeblich unterstützt. Begleitet wurde das Projektvon einem Projektplanungs- und Koordinierungsbüro und einer Steuerungs-gruppe, die in regelmäßigen Treffen über das weitere Vorgehen beraten hat.

Entscheidend für das Gelingen von integrationsfördernden Maßnahmen sindder direkte und persönliche Kontakt mit den Geflüchteten und eine guteKooperation zwischen den Akteuren. Ein Projekt zur Flüchtlingsintegrationsollte darüber hinaus berücksichtigen, dass die ehrenamtlichen Akteure best-möglich unterstützt werden. Ein Integrationskonzept sollte flexibel gestaltetsein, sodass es den Gegebenheiten und Erfahrungen stets angepasst werdenkann. Die Angebote und Maßnahmen zur Integration müssen sich an denWünschen und Bedarfen der Flüchtlinge orientieren.

53Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“52

Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit rundeten das Projekt „Angekommen“ab. In der lokalen Presse, über Facebook und auf der Homepage der Kom-mune wurde über Aktionen im Rahmen des Projekts informiert. Eineursprünglich geplante Homepage über das Projekt wurde deshalb als nichtsinnvoll erachtet.

Erfahrungen

Die Eingliederung der jungen Erwachsenen in Bildungseinrichtungen wurdedurch das Engagement des Laubach Kollegs zum Selbstläufer. Es wird allenSchülern einen Abschluss ermöglichen. Auch eine Laubacherin aus der Türkeihat sich der Klasse angeschlossen, um ihren Schulabschluss nachzuholen.Das Angebot der Betreuung der Kinder aus Flüchtlingsfamilien in Kitas hin-gegen wurde nur zurückhaltend angenommen, weil derartige Einrichtungennicht vertraut waren.

Im Gegensatz zur Verteilung von Flyern an alle Haushalte erwies sich die per-sönliche Ansprache der Vermieter als ein geeignetes Vorgehen, um Vorbe-halte gegenüber Flüchtlingen auszuräumen.

Bezüglich der Integration in die Vereine kam es aufgrund unterschiedlicherkultureller Gepflogenheiten zu Missverständnissen. Flüchtlinge hatten dieTeilnahme an Angeboten zugesagt, erschienen dann aber nicht. Es wäre ausSicht der Geflüchteten unhöflich gewesen, ein für sie nicht interessantesAngebot abzulehnen. Bei den Vereinen führte diese Erfahrung zu einer gerin-gen Bereitschaft, sich um die Integration der Flüchtlinge zu bemühen.

Die Durchführung der Bustour wurde von allen Beteiligten als positiv erlebt,und es wurden viele Fragen beantwortet. Gute Erfahrungen wurden insbe-sondere damit gemacht, Gruppen mit ähnlichem Bildungsstand undDeutschkenntnissen zu bilden, um diese gezielter zu informieren. Eine guteKooperation mit dem Jobcenter unterstützte die Vermittlung von Geflüchte-ten in den Arbeitsmarkt.

Nachhaltigkeit

Durch den interkulturellen Austausch zwischen Geflüchteten und LaubacherBürgern haben beide Seiten Einsicht in die Hintergründe und Lebensweisender anderen Seite erhalten. Die Zusammenarbeit der Netzwerkpartner wurdedurch das Modellprojekt weiter gefördert. Damit ist ein wichtiger Grundsteinfür das Gelingen weiterer Integrationsmaßnahmen gelegt. Einige Flüchtlingehaben sich mittlerweile aktiv in die Dorfgemeinschaft eingebracht und inte-griert. Bei den im Laubach Kolleg wohnenden Flüchtlingen ist es wahrschein-lich, dass sie sich dauerhaft in Laubach ansiedeln.

„Sie benötigen Zeit, um Integrationsolide leisten zu können und Dingeanzustoßen.“Peter Klug, Bürgermeister

„Wir haben tolle neue Bürger!“Jochen Bantz, Sozialkoordinator

TOKOLive gUG

Majid Salhab

(Sozialkoordinator)

Am Sonnenhang 1

35321 Laubach

[email protected]

www.laubach-online.de

Kontaktdaten

Integration von Flüchtlingen im Marktflecken Mengerskirchen 55Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“54

Der Marktflecken ist eineGemeinde im mittelhessischenLandkreis Limburg-Weilburg undbesteht aus den fünf Ortsteilen Men-gerskirchen, Waldernbach, Winkels,Probbach und Dillhausen. Nicht nurder Marktflecken Mengerskirchen,sondern auch die nähere Umgebungist landschaftlich und kulturell reiz-voll. 2014 erhielt Mengerskirchenvom Verein TransFair e. V. erstmaligdie Auszeichnung für das Engage-ment im fairen Handel. Arbeitsplätzebieten neben der Firma Setex inMengerskirchen vor allem die FirmaBeck und Heun sowie die FirmaRoka-Werke im Ortsteil Waldern-bach.

Von allen Ortseilen des MarktfleckenMengerskirchen aus erreicht man inunmittelbarer Nähe die B  49. Vondort erreicht man jeweils innerhalbvon 20 Minuten eine Anbindung andie Autobahnanschlussstelle Lim-burg (A 3 Richtung Köln und Frank-furt) und die Autobahnanschluss-stelle Wetzlar (A  45 RichtungDortmund und Frankfurt). DiverseBuslinien verbinden Mengerskirchenmit den umliegenden Gemeindenund weiter entfernten Städten.

Integration von Flüchtlingen im MarktfleckenMengerskirchen – Modellkommune

Integration von Flüchtlingen im Marktflecken Mengerskirchen

Folgende Maßnahmen waren vorgesehen:• Unterbringung aller Flüchtlingskinder in Kitas und Schulen sowie Vermitt-

lung von Praktika und Ausbildungsplätzen an Jugendliche, Beratungs -angebote zu beruflichen Laufbahnen und Unterstützung bei der Integrationin die Dorfgemeinschaft

• Bewirtschaftung von Gärten zum Kompetenz- und Spracherwerb und zumgelebten Miteinander mit einheimischen Familien

Rund 100 Geflüchtete waren an den beiden Projekten beteiligt.

Eine Besonderheit in Mengerskirchen ist die Unterbringung der Geflüchtetenin insgesamt acht Einrich tungen. Die Betreiber der Gemeinschaftsunterkünftewerden in die Pflicht genommen, einen Bei trag zur Finanzierung der Integra-tionsmaßnahmen zu leisten. Schließlich profitieren auch diese davon, wennihre Bewohner von der Kommune unterstützt werden. Mit diesen Einnahmenkann die Kommune auf Minijob-Basis Ehrenamtskoordinatoren beschäftigen,die sowohl als Ansprechpartner dienen als auch Entlastungsmöglichkeitenfür ehrenamtliche Paten bieten.

Umsetzung der Maßnahmen

Im ersten Teilprojekt lag der Schwerpunkt auf der Bildung von Kindern undJugendlichen. Im Marktflecken Mengerskirchen besuchen 36 Kinder ausFlüchtlingsfamilien die Schule, und sie wurden sofort in das Ganztagsangebotmit Hausaufgabenbetreuung integriert. Hierdurch machten die Kinder inner-

57Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“56

Die Zahl der Beschäftigten, die eine auswärtige Arbeitsstelle haben, überstiegdie der Einpendler nach Mengerskirchen im Mittel der letzten fünf Jahre umdas 2,5-fache. (Datenquelle: Hessische Gemeindedatenbank)

Mit rund zwei Dritteln machten männliche Geflüchtete in Mengerskirchen imNovember 2017 die Mehrheit aus. Die Gruppe der Geflüchteten war hier ver-gleichsweise jung; nur etwa 10 % waren älter als 40 Jahre. Der überwiegendeAnteil der geflüchteten Jugendlichen und Erwachsenen verfügte über ein Bildungsniveau analog zum Hauptschlussabschluss. Insgesamt erstreckte sichdas Bildungsniveau vom Analphabeten bis hin zum Akademiker.

Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts

Zur Integration von Geflüchteten in Mengerskirchen sollten zwei Teilprojekteinitiiert werden: das Projekt „Integration durch Bildung und zielführende Tätig-keiten“ für asylsuchende Kinder und Jugendliche und das Gartenprojekt„Selbstversorgung“ zur Vorbereitung von Geflüchteten auf die Arbeitswelt.

Ausländer und aufgenommene

Flüchtlinge

Ausländeranteil Januar 2018 ca. 5,9 %

Aufgenommene Flüchtlinge Anzahl Ende 2017 105 (ca. 1,8 % der Bevölkerung)

Aufgenommene Flüchtlinge maximale Anzahl 2016 175 (ca. 3 % der Bevölkerung)

Herkunftsländer Afghanistan, Libanon, Irak, Iran, Pakistan,Syrien, Äthiopien, Somalia, Eritrea, Albanien

Strukturdaten Mengerskirchen Hessen

Einwohner am 31.12.2015 ca. 5.800 6.365.000

Anzahl Ortsteile 5

Einwohner 2030 (Prognose) -4,0 % +3,1 %

Durchschnittsalter 2015 43,3 Jahre 43,7 Jahre

Durchschnittsalter 2030 (Prognose) 47,2 Jahre 46,7 Jahre

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 2000 – 2015 +19,1 % +10,8 %

Quelle: Hessische Gemeindedatenbank auf Basis von Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes (2016) und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016)

Akteure und Ressourcen

Projektträger Marktflecken Mengerskirchen

Netzwerkpartner

• Gewerbetreibende• Bildungsforum Mengerskirchen• Familienzentrum „Alte Schule“• Grund-, Haupt- und Realschule• Kindertagesstätten• Bauhof• Betreiber der Gemeinschaftsunterkünfte• Arbeitskreis „Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber in Mengerskirchen“

Eingesetzte Ressourcen

• 23.000 € Projektmittel• 5.000 € zusätzliche Drittmittel• 18.000 € Eigenmittel• Ausbildungsstellen• Schulungsräume und Lehrmittel• Personen mit fachlicher und pädagogischer Ausbildung• Gartenland

Integration von Flüchtlingen im Marktflecken Mengerskirchen

Weiterhin wurden mit den unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern Will-kommensspaziergänge in der Umgebung von Mengerskirchen durchgeführt.In öffentlichen Gemeinschaftsräumen gab es Kennenlern-Spiele. Auch warendie unbegleiteten Jugendlichen regelmäßige Teilnehmer bei Festen und kul-turellen Veranstaltungen in allen Ortsteilen der Gemeinde, darunter das „Festder Vielfalt“, in das neben Flüchtlingen auch Menschen mit Behinderung ein-bezogen waren. Zum Fest kamen mehr als 200 Besucherinnen und Besucher– weitaus mehr als die Veranstalter erhofft hatten.

Als weiterer Bestandteil des Modellvorhabens wurde das Gartenprojekt„Selbstversorgung“ ins Leben gerufen. Hier wurden von Geflüchteten undPaten aus der Gemeinde gemeinsam Gärten angelegt, bepflanzt, gepflegtund schließlich die „Früchte der Arbeit“ geerntet. Vor allem die Möglichkeit,sich selbst mit Lebensmitteln versorgen zu können, stieß bei den Geflüchte-ten auf großen Anklang. Auch das gemeinsame Gartenprojekt in einer Schuleund einem Kindergarten wurde gut angenommen, weil die Familien hier mitden Räumlichkeiten bereits gut vertraut waren. Der Spracherwerb derGeflüchteten wurde gefördert, indem bei der gemeinsamen Arbeit nurDeutsch gesprochen wurde. Darüber hinaus konnten die Flüchtlinge einerverantwortungsvollen Tätigkeit nachgehen und Struktur in ihren Tagesablaufbringen.

Erfahrungen

Die ursprüngliche Idee, für das Gartenprojekt zentral gelegene Flächen zurVerfügung zu stellen, wurde zugunsten von mehreren kleinen Gärten bei denGemeinschaftsunterkünften aufgegeben. Bei einem zentralen Ort hätten dieGeflüchteten längere Wege auf sich nehmen müssen, sodass ihre Mitwirkungfraglich gewesen wäre. Die dezentralen Gärten führten dazu, dass sich dieFlüchtlinge gerne und zahlreich an dem Projekt beteiligten. Erfreulich war,dass auch mit den Nachbarn der Gemeinschaftsunterkünfte Kontaktegeknüpft werden konnten und diese beispielsweise zum Grillen eingeladenwurden.

Als besonders positiv wurde die kulturelle Bereicherung durch die Flüchtlingeerlebt, sei es in der Schule oder in den Vereinen. Die Kinder aus Flüchtlings-familien bereicherten den Schulalltag beispielsweise dadurch, dass sie dendeutschen Kindern ihre Sprache näherbrachten. Auf einer Modenschau zeig-ten sie, welche Kleidung in ihrem Herkunftsland zu besonderen Anlässengetragen wird. Bei der Teilnahme am Schulmittagessen konnte der Fortschrittder Integration besonders gut beobachtet werden: Zunächst trauten sich vieleKinder aus Flüchtlingsfamilien nicht, die ihnen unbekannten Speisen zu essen.

59Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“58

halb kurzer Zeit große Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache.Arbeitsgemeinschaften von Vereinen mit schulischen Angeboten führten häu-fig auch zu einer Vereinsmitgliedschaft.

Nachdem eine Gemeinschaftsunterkunft für unbegleitete minderjährigeFlüchtlinge in eine andere Kommune verlegt wurde, entschieden sich neunJugendliche, in Mengerskirchen zu bleiben. Sie wurden angehalten, Steck-briefe mit ihren Interessen und Berufswünschen zu erstellen. Diese bildetendie Grundlage für die Auswahl von Praktika, Ausbildungsstellen, aber auchfür ehrenamtliche Paten. Die Paten förderten die Integration der unbegleite-ten Jugendlichen auch in jeder anderen Hinsicht.

Ausgehend vom Unterstützungsbedarf, der von den Jugendlichen formuliertwurde, wurden Nachhilfen in Form intensiver Einzelbetreuung nach dem täg-lichen Schulbesuch organisiert. Es unterstützte sie beim Erwerb von beruf -lichen Qualifikationen oder Schulabschlüssen. Die Nachhilfen wurden vonStudenten und ehemaligen Lehrkräften auf Honorarbasis durchgeführt.

Integration von Flüchtlingen im Marktflecken Mengerskirchen

ration mit dem Kreis Limburg-Weilburg, insbesondere mit dem Sozialamt,erleichterte die Integrationsbemühungen. Die Kommune hatte die Möglich-keit, ihre Kontakte und Netzwerke zu nutzen, um Geflüchtete in den Arbeits-markt zu integrieren.

Nachhaltigkeit

Bislang haben sich sechs Flüchtlingsfamilien und neun unbegleitete minder-jährige Asylsuchende bewusst entschieden, weiterhin in Mengerskirchen zuleben. Das Gartenprojekt wird auch zukünftig fortgeführt, und es ist geplant,es um Streuobstwiesen auszuweiten.

Übertragbarkeit

Damit Integration gelingt, sollten die Projekte an die bestehenden Strukturenund Netzwerke der Kommune anknüpfen. Wichtig ist, die Bevölkerung vonBeginn an einzubeziehen, ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen und Inte-gration zur „Chefsache“ zu erklären. Um die Akzeptanz der Maßnahmen zufördern, wurden auch im Marktflecken Mengerskirchen Angebote geschaffen,wie das Nachhilfeprogramm oder die Kleiderkammer, von denen alle Bürgerprofitieren.

61Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“60

Nach und nach verloren sie ihre Bedenken. Inzwischen unterscheiden sie sichin ihrem Verhalten nicht mehr von den anderen Kindern. Durch die Nach -hilfemaßnahmen haben die Kinder und Jugendlichen erfahren, dass sie durcheigene Anstrengung viel erreichen können und haben Ehrgeiz entwickelt.

Der Besitzer eines ehemaligen Hotels, in dem eine Gemeinschaftsunterkunftfür Flüchtlinge eingerichtet wurde, war von der Flüchtlingsarbeit im Marktfle-cken Mengerskirchen so angetan, dass er anbot, diese Räumlichkeiten kos-tenlos für eine Kleiderkammer zur Verfügung zu stellen.

Positive Erfahrungen wurden weiterhin in der Zusammenarbeit mit den Trä-gern der kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte gemacht. Auch die Koope-

„Mit der Ausbildungsbegleitungdem Menschen das Gefühl zugeben: Du bist etwas und du kannstetwas! Das ist ganz entscheidend.“Thomas Scholz, Bürgermeister

„Man muss den Menschen vonvornherein das Gefühl geben, dassdas Zusammenleben ein Gebenund Nehmen ist.“ Nicole Schäfer, Sprecherin des Bil-

dungsforums Mengerskirchen

Marktflecken Mengerskirchen

Steffen Droß

Schlossstraße 3

35794 Mengerskirchen

[email protected]

www.mengerskirchen.de

Kontaktdaten

Neustadt wird bunter und jünger 63Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“62

Neustadt ist eine Kleinstadt undliegt im mittelhessischen Berglandim äußersten Osten des LandkreisesMarburg-Biedenkopf. Das Stadtbildder Kernstadt wird insbesonderedurch den um 1480 erbauten Junker-Hansen-Turm, das ehemalige Schlossmit spätmittelalterlichen Nebenge-bäuden, eine zu Beginn des 16. Jahr-hunderts erbaute Pfarrkirche undreizvolle Fachwerkhäuser geprägt.Zu den wichtigsten Arbeitgebern vorOrt zählen die FELO-WerkzeugfabrikHolland-Letz, Will Werkzeuge unddie Außenstelle der Hessischen Erst-aufnahmeeinrichtung (HEAE). In derRegion befinden sich außerdem dieFirmen Fritz Winter Eisengießereiund Ferrero sowie der Baustoff -hersteller Hoppe in Stadtallendorf.

Die Zentren Frankfurt am Main – ca.100 km südlich – und Kassel – ca. 80km nördlich – sind über die A 5 mitden Anschlussstellen Alsfeld undHomberg/Ohm zu erreichen. DieAuffahrt auf die A 49 befindet sich inBischhausen (ca. 15 km). Regelmä-ßige Regionalbahnverbindungenbestehen von Neustadt nach Kassel,Marburg, Gießen und Frankfurt.

Neustadt wird bunter und jünger –Modellkommune

Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts

Das Projekt „Neustadt wird bunter und jünger“ wollte mit einer lebendigenBildungs- und Kulturlandschaft, einer verbesserten Mobilität und innovativenBeteiligungsstrukturen insbesondere Flüchtlingsfamilien mit Bleiberecht einattraktives Lebensumfeld mit individuellen Perspektiven bieten. FolgendeMaßnahmen waren vorgesehen:

• Schaffung einer Willkommenskultur durch den Aufbau eines Netzwerks, dasvon einem Integrationslotsen begleitet wird, den Aufbau eines Gründer-zentrums und Beratungspools und die Durchführung von Mikroprojektenals Ergebnis eines Ideenwettbewerbs

• Bindung junger Familien durch die Erprobung neuer Zugänge zu Vereinen,Bildungs- und Betreuungsinstitutionen, die Weiterbildung von Erzieherinnen,Veranstaltungen für Flüchtlingsfamilien, den Aufbau von Familienpatenschaf-ten und die Unterstützung von Projekten einer „Schule ohne Rassismus“

• Ausbau der Nahmobilität durch die Erhebung der Bedarfe, Sammlungenvon Informationen zu Projekten in anderen Regionen und Beratung zu Fördermöglichkeiten

Mehr als 100 Geflüchtete waren in die Umsetzung des Projekts einbezogen.

Umsetzung der Maßnahmen

Im Projekt „Neustadt wird bunter und jünger“ wurde zunächst ein Integrati-onslotse eingesetzt, der die Ehrenamtlichen begleitete. Darüber hinaus über-nahm der Lotse die für die Integration in den Arbeitsmarkt notwendigeumfassende Beratung und Unterstützung der Flüchtlinge.

Im Verlauf des Projekts wurden die für die Integration wesentlichen Aspekteidentifiziert und einige Schwerpunkte neu definiert. Auf diese Weise war es

Neustadt wird bunter und jünger 65Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“64

Die Zahl der Beschäftigten, die eine auswärtige Arbeitsstelle haben, über-steigt die der Einpendler nach Neustadt im Mittel der letzten fünf Jahre umdas 5,6-fache. (Datenquelle: Hessische Gemeindedatenbank)

Die Ende 2017 in Neustadt lebenden Geflüchteten setzten sich aus Männernund Frauen zusammen, deren Alter schwerpunktmäßig zwischen 20 und 30Jahren lag. Nur wenige Flüchtlinge waren älter als 50 Jahre. Die Geflüchtetenaus Afghanistan, Syrien und Eritrea verfügten meist über eine gute Bildung.Bei Geflüchteten aus anderen Ländern variierte das Bildungsniveau. DieQuote der Analphabetinnen und Analphabeten betrug 15 – 20 %; meistwaren dies Frauen und Geflüchtete aus dem ländlichen Raum. Rund die Hälfteder in Neustadt lebenden Flüchtlinge hatte mindestens sechs Jahre dieSchule besucht. Eine nicht unerhebliche Anzahl verfügte über eine Hoch-schulberechtigung oder einen Hochschulabschluss. Dessen formale An -erkennung ist aber oft schwierig oder nicht möglich.

Ausländer und aufgenommene

Flüchtlinge

Ausländeranteil Januar 2018 ca. 6 %

Aufgenommene Flüchtlinge Anzahl Ende 2017 ca. 291 (ca. 3 % der Bevölkerung)

Aufgenommene Flüchtlinge maximale Anzahl 2016 ca. 245 (ca. 2,5 % der Bevölkerung)

Herkunftsländer Afghanistan, Syrien, Äthiopien, Kongo, Eritrea,Irak, Pakistan, Senegal, Somalia

Strukturdaten Neustadt Hessen

Einwohner am 31.12.2015 ca. 9.800 6.365.000

Anzahl Stadtteile 4

Einwohner 2030 (Prognose) -15,2 % +3,1 %

Durchschnittsalter 2015 41,6 Jahre 43,7 Jahre

Durchschnittsalter 2030 (Prognose) 49,1 Jahre 46,7 Jahre

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 2000 – 2015 -2,3 % +10,8 %

Quelle: Hessische Gemeindedatenbank auf Basis von Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes (2016) und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016)

Akteure und Ressourcen

Projektträger Stadt Neustadt

Netzwerkpartner • bsj Marburg e. V• .Förderlotsinnen und -lotsen

Eingesetzte Ressourcen

• 42.000 € Projektmittel• 6.000 € Eigenmittel• Räumlichkeiten• Arbeitskraft und Know-How

Neustadt wird bunter und jünger

möglich, die Maßnahmen flexibel an die Erfahrungen und Bedarfe anzupassen.Insbesondere die Förderung des Spracherwerbs und der Mobilität stelltensich als zentrale Voraussetzung für die Integration in den Arbeitsmarkt dar. EinIntensivsprachkurs über 6 Monate, der von einem pensionierten Schulrektordurchgeführt wurde, bezog auch Flüchtlinge mit ungeklärtem Aufenthalts -status ein. Alle Teilnehmer des Sprachkurses sind inzwischen in Arbeits- oderAusbildungsstellen vermittelt. Neben dem Sprachkurs beherbergt das im Rah-men des Projekts eingerichtete Gründerzentrum in einem ehemaligen Laden-geschäft in der Stadtmitte eine Näh- und Fahrradselbsthilfewerkstatt. Dasursprünglich geplante Vorhaben, einen Ideenwettbewerb auszuloben, uminnovative Ideen und Mikroprojekte zu generieren, wurde nicht realisiert.

Insbesondere durch die enge Zusammenarbeit des Integrationslotsen mitder städtischen Gemeinwesenarbeit, dem Förderprogramm „Soziale Stadt“,der Jugendarbeit sowie der Schulsozialarbeit konnte die strukturelle Öffnungder Freizeit- und Bildungslandschaft vorangetrieben werden. Die Integrationin die Vereine war aufgrund ihrer interkulturellen Offenheit ein Selbstläufer.Besonders Aktionen der Sportvereine, wie die monatliche Jugendsportnacht,wurden von den Flüchtlingen gut angenommen. Auch in die Angebote derGemeinwesenarbeit, wie Länderabende, Kochgruppen, Gartenfeste undviele sportliche Aktivitäten, wurden Geflüchtete erfolgreich integriert. Dasangestrebte Ziel, die Patenschaften weiter auszubauen, konnte ebenfallserreicht werden: Es fanden sich zunehmend ehrenamtliche Einzelpersonenund Familien, die geflüchtete Familien und Einzelpersonen unterstützten.

Die Weiterbildung der Erzieherinnen zweier Kitas, z. B. zum Umgang mit trau-matisierten Flüchtlingskindern, wurde wie vorgesehen durchgeführt. Weiter-

67Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“66

Neustadt wird bunter und jünger

Besonders positive Erfahrungen wurden mit der Fahrradwerkstatt im Orts-zentrum gemacht. Zum einen belebt sie ein leerstehendes Geschäft und istein für alle sichtbares Zeichen der kulturellen Vielfalt. Manche zufällige Pas-santen entschieden sich spontan dafür, dem Projekt Fahrräder zu spenden.Zum anderen konnten das Engagement und die Zuverlässigkeit der dortarbeitenden Flüchtlinge Vorurteile in der Bevölkerung abbauen. Die Neu-städter freuen sich, ihre Fahrräder nun in Neustadt reparieren lassen zu können.

Nachhaltigkeit

Das im Rahmen des Projekts angemietete Geschäft wird auch über den Pro-jektzeitraum hinaus für die Gemeinwesensarbeit genutzt. Mit dem Parcours istzudem ein langfristiges Freizeitangebot in Neustadt entstanden. Im Ergebniskonnte Neustadt bereits einen Zuzug aus anderen Gemeinden verzeichnen.

Übertragbarkeit

Um eine positive Haltung den Flüchtlingen gegenüber zu fördern, ist es wich-tig, etwas wie den Parcours oder die zentral gelegene Fahrradwerkstatt zuschaffen, von dem alle Einwohner profitieren. Außerdem sollte darauf geach-tet werden, bei der Auswahl der Maßnahmen Prioritäten zu setzen und sichauf die wesentlichen Bereiche zu konzentrieren. Darüber hinaus sollten dieEhrenamtlichen von einem hauptamtlichen Ansprechpartner unterstützt wer-den, um dauerhaft tragfähige Strukturen zu schaffen. Auch ein Intensivsprach-kurs ist ohne Honorarmittel nicht kontinuierlich umsetzbar.

69Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“68

hin wurde in den Schulungen thematisiert, wie am besten mit Jungen umge-gangen werden kann, die eher männliche Personen als Autorität respektieren.

Die Gesamtschule in Neustadt wurde darin unterstützt, sich am Projekt„Schule ohne Rassismus“ zu beteiligen. Hierbei beschäftigten sich die Schülerbeispielsweise durch die Arbeit in Projektgruppen mit dem Thema Flucht.Weiterhin konnten in der Schule die Ausstellung „Gesichter und Geschichten“über die Fluchterfahrungen dreier syrischer Jugendlicher gezeigt und einLändervortrag von einer afghanischen Flüchtlingsfamilie organisiert werden.Auf diese Weise konnte den Kindern und Jugendlichen die oftmals abstrak-ten Fluchthintergründe zugänglich gemacht werden.

In Zusammenarbeit mit dem Familienbildungszentrum wurde ein für alle Teil-nehmenden kostenloser Ausflug an den Edersee angeboten, der den Kontaktzwischen geflüchteten und nicht geflüchteten Familien förderte. Als ein wei-teres Mikroprojekt wurde zusammen mit Flüchtlingen ein Parcours errichtet.Diese gemeinsame Arbeit von geflüchteten und nicht geflüchteten Jugend-lichen ließ in der Stadtmitte ein attraktives und sichtbares Freizeitangebot fürjunge Menschen entstehen.

Ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs war nicht umsetzbar und nicht not-wendig, da die weniger gut an den Nahverkehr angebundenen Ortsteilenicht als Wohnort für Flüchtlingsfamilien in Anspruch genommen wurden.Stattdessen wurde der Führerscheinerwerb durch Geflüchtete gefördert, dafür die Integration in den Arbeitsmarkt im ländlichen Raum die individuelleMobilität von besonderer Bedeutung ist. Als Ausgleich für die Bezuschussungdes Führerscheins, was von zehn Personen in Anspruch genommen wurde,leisteten die Geflüchteten ehrenamtliche Gemeinwesenarbeit. Darüberhinaus verbessern auch die gespendeten und in der Fahrradwerkstatt repa-rierten Fahrräder die Mobilität der Flüchtlinge.

Erfahrungen

Das Projekt konnte an ein bereits vorhandenes Netz von Ehrenamtlichenanknüpfen, wobei sich der Einsatz eines Integrationslotsen sehr bewährt hat.Durch die enge Zusammenarbeit mit bsj Marburg, Verein zur Förderungbewegungs- und sportorientierter Jugendsozialarbeit, der unter anderemden Integrationslotsen stellte, wurde eine reibungslose Kommunikation undZusammenarbeit zwischen den Akteuren ermöglicht.

Dem Bürgermeister der Stadt gelang es, durch seine Kontakte und gezielteÖffentlichkeitsarbeit die Bevölkerung in den Integrationsprozess einzubezie-hen und für kulturelle Offenheit zu werben. Hierzu verfasste er auch regelmä-ßig Artikel, die im Mitteilungsblatt der Stadt oder der regionalen Presse ver-öffentlicht wurden.

„Ohne Hauptamt geht es nicht.Ehrenamt braucht Hauptamt zurUnterstützung, zur Entlastungund zum Mut machen.“ Thomas Groll, Bürgermeister

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Bürgermeister Thomas Groll

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35279 Neustadt (Hessen)

buergermeister@neustadt-

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Kontaktdaten

Resümee und Schlussfolgerungen

Bestandteil von Projekten zur Integration von Flüchtlingen. In der Koordinationder ehrenamtlichen Arbeit ist es wichtig, Aufgabenfelder und Verantwortlich-keiten festzulegen. Um Ehrenamtliche zu befähigen, mit schwierigen Situa-tionen und Frustration umzugehen, bedarf es Schulungen sowie eines regel-mäßigen Austausches und Supervision. Anerkennung schließlich kann invielfältiger Form erfolgen, sollte aber selbstverständlich sein. Meist werdenformelle Anerkennungsformen wie Urkunden oder Nadeln heute wenigergeschätzt als eine schlichte Danksagung des Bürgermeisters oder eine Ein-ladung zu einem gemeinsamen Essen. Auch Aufwandsentschädigungen kön-nen angemessen sein; die Erstattung entstandener Kosten sollte grundsätz-lich angeboten werden.

An allen Projektstandorten wurden die Maßnahmen bei Bedarf an die tatsäch-lichen Gegebenheiten vor Ort und an Entwicklungen im Projektverlauf an -gepasst. Bei der Planung und Umsetzung von Projekten ist es außerdem vonVorteil, Schwerpunkte auf wenige, aber wesentliche Aspekte zu setzen.

Auch ein partizipativer Ansatz wirkt sich grundsätzlich positiv aus. KommunaleSchlüsselakteure, wie Vertreterinnen und Vertreter aus Kirche, Politik und derZivilgesellschaft, erarbeiten im Idealfall gemeinsam die Ziele und Maßnah-men des Projektes. Der Einbezug der Bevölkerung, beispielsweise in Formvon Bürgerversammlungen, und die umfassende Weitergabe von Informa-tionen über die Projekte und Maßnahmen, erwiesen sich als sinnvoll. Offen-heit gegenüber Geflüchteten kann gefördert werden, wenn die Hintergründeund Erfahrungen der geflüchteten Menschen sowie die Besonderheiten derunterschiedlichen Kulturen den Menschen zugänglich gemacht werden. Vonzentraler Bedeutung ist in diesem Kontext, offene Angebote zu schaffen, diesich nicht explizit an Flüchtlinge wenden und von denen alle Bürger profi -tieren können.

Integration gelingt vor allem nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“. Diesermöglicht einerseits, dass Geflüchtete Selbstwirksamkeit erleben. Anderer-seits können Forderungen aufgestellt werden und bei Regelverstößen Sank-tionen erfolgen. Der persönliche Kontakt hat sich in der Regel als besteMethode erwiesen, Geflüchtete mit Informationen zu versorgen. Die vielerortspraktizierten ehrenamtlichen Patenschaften fördern die Motivation derGeflüchteten, an Angeboten teilzunehmen. Angebote werden insbesonderedann von Flüchtlingen wahrgenommen, wenn diese ihren Wünschen undBedarfen entsprechen. Diese im Vorfeld zu erheben und in die Planung derMaßnahmen einfließen zu lassen, stellt einen zentralen Erfolgsfaktor derModellprojekte dar. Auch bei der Vermittlung von passgenauen Qualifizie-rungsmaßnahmen und Arbeitsplätzen war die gezielte Erhebung der Fähig-keiten und Interessen der Geflüchteten erfolgreich. Die Erhebung derBedarfe von Arbeitgebern steigert die Chance auf passgenaue Vermittlungenzusätzlich.

71Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“70

An allen Standorten des Hessischen Modellprojekts „Integration von Flücht-lingen im ländlichen Raum“ wurde ein vielfältiger Mix an Maßnahmen prak-tiziert, um geflüchtete Menschen anzusiedeln und zu integrieren. Das Gelin-gen dieser Maßnahmen wurde sowohl vom Projektdesign als auch vonexternen Rahmenbedingungen beeinflusst.

Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung geht es in Projekten zur Inte -gration geflüchteter Menschen im Wesentlichen um folgende gemeinsameZiele:

• Schaffung von Voraussetzungen für die Integration: Hierbei handelt es sich,neben praktischen Aspekten wie der Wohnraumbeschaffung, vor allem umden Erwerb von sprachlichen Fähigkeiten und Kenntnissen zu institutionel-len, kulturellen und rechtlichen Aspekten des Alltagslebens sowie die Nut-zung öffentlicher Angebote.

• Integration in die örtliche Gemeinschaft: Neben dem Aufbau von persön-lichen Beziehungen zu Freunden und Nachbarn gehört hierzu eine aktiveBeteiligung an der Zivilgesellschaft, etwa die Zugehörigkeit zu Initiativenund Vereinen oder die Ausübung bürgerschaftlichen Engagements.

• Integration in den Arbeitsmarkt: Nach dem Erwerb von Sprachkenntnissensteht der Vermittlung in ein Praktikum, eine Ausbildungsstelle oder einenArbeitsplatz im Prinzip nichts entgegen; maßgeblich gefördert werdenkann dieser Schritt durch eine gelungene Integration in zivilgesellschaft -liche Strukturen.

Im Rückblick auf die Erfahrungen der Projekte lassen sich einige Faktorenidentifizieren, die vorhandene Stärken zur vollen Entfaltung bringen undSchwachpunkte eindämmen, wenn nicht gar ins Gegenteil verkehren kön-nen.

Erfolgsfaktoren im Design von Projekten zur Integrationgeflüchteter Menschen

Zur Erreichung der oben genannten Ziele erwies sich das Anknüpfen von Pro-jekten an bereits bestehende Strukturen als sinnvoll. Eine günstige Ausgangs-situation entstand vor allem durch gewachsene Netzwerke von Akteuren inder Flüchtlingshilfe. Sie boten eine ideale Voraussetzung für die Bewältigungder komplexen Aufgaben und konnten oft weiter ausgebaut werden. Ratsamist es in diesem Zusammenhang, Verantwortlichkeiten klar zu definieren undallen Beteiligten zu kommunizieren.

Im städtischen ebenso wie im ländlichen Kontext ist ehrenamtliche Arbeit fürdie Integration geflüchteter Menschen zentral. Aus diesem Grund ist die Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements ein oftmals integraler

Resümee und Schlussfolgerungen

Resümee und Schlussfolgerungen

und die Vernetzung von Organisationen und Personen. Entsprechend effektivsind Runde Tische mit Vertreterinnen und Vertretern der Verwaltung und derZivilgesellschaft oder die Veranstaltung von Workshops zur Erarbeitung vonKonzepten, konkreten Arbeitsschritten und Maßnahmen zur Nachsteuerung.

Um die Chancen des ländlichen Raumes zu nutzen, wurden im Rahmen derModellprojekte Maßnahmen erprobt, die die Integrationsarbeit aller betei-ligten Akteure fördern, darunter Schulungsangebote zur interkulturellen Öff-nung und Kompetenz, Kampagnen zur Gewinnung von Ehrenamtlichen undden Auf- und Ausbau von Patenprojekten. Dadurch, dass Flüchtlinge indivi-duell in die Vereine begleitet und ermuntert wurden, sich ehrenamtlich zubetätigen, wurde die Zivilgesellschaft sogar gestärkt. Viele Vereine, daruntervor allem Sportvereine und die Freiwillige Feuerwehr, konnten Mitglieder -zuwächse verzeichnen.

Der Einsatz Ehrenamtlicher in der Flüchtlingshilfe erfordert, wie obenbeschrieben, Strukturen zu ihrer Unterstützung. Angesichts der oftmals knap-pen finanziellen Ressourcen würde ein leichterer Zugang zu Fördermitteln fürdie ehrenamtliche Flüchtlingshilfe zur Entlastung beitragen. Die HessischeLandesregierung könnte die Arbeit vor Ort z. B. durch eine verstärkte Ausbil-dung von Integrationslotsen fördern, deren Unterstützungsleistungen dort,wo es sie gab, als außerordentlich hilfreich bezeichnet wurden. Migranten-selbstorganisationen sind ebenfalls wichtige Mittler zwischen Kommunalver-waltungen und den Communities von Zuwanderern, vor allem aber im städ-tischen Kontext tätig. Ihr Aufbau im ländlichen Raum erscheint, wenn dieZahlen von Flüchtlingen aus einzelnen Herkunftsländern dies zulassen, eben-falls förderwürdig.

Wohnraum für Geflüchtete

Hinsichtlich der Beschaffung von Wohnraum für Geflüchtete konnten eben-falls spezifische Chancen des ländlichen Raumes für die Integration identi -fiziert werden. Der Wohnungsmarkt ist im ländlichen Raum in der Regel ent-spannter, Mietpreise und Lebenshaltungskosten sind geringer. In Kommunenmit viel verfügbarem Wohnraum können Leerstände genutzt und diesen ent-gegengewirkt werden. Ein weiterer Vorteil ländlicher Gemeinden ist die imVergleich mit großen Städten weitaus seltenere konzentrierte Ansiedelungder Geflüchteten in einem bestimmten Gebiet. Allerdings finden sich diewichtigsten Infrastrukturangebote in den jeweils größten Ortsteilen derGemeinden, in denen deshalb auch in der Regel die Ansiedlung von Geflüch-teten erfolgt.

Die kurzen Wege und persönlichen Kontakte, die den ländlichen Raum aus-zeichnen, konnten in den Modellstandorten bei der Suche nach Wohnraum

73Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“72

Erfolgsfaktoren für die Integration geflüchteter Menschenim ländlichen Raum

Ziele der Integration geflüchteter Menschen im städtischen und ländlichenRaum sind im Wesentlichen identisch. Die Rahmenbedingungen für eineerfolgreiche Arbeit gestalten sich jedoch zum Teil ganz unterschiedlich. ImFolgenden werden daher zunächst die charakteristischen Merkmale der bei-den zentralen Integrationsinstanzen – Kommunalverwaltung und Zivilgesell-schaft – im ländlichen Raum beschrieben. Unter Rückgriff auf die Erfahrungenan den Modellstandorten werden außerdem die Aufgabenfelder Wohnen,Mobilität, Spracherwerb, Bildung und Arbeit hinsichtlich der Besonderheitendes ländlichen Raumes betrachtet.

Zu den besonderen Stärken der Verwaltung im ländlichen Raum gehörenzweifellos Bürgernähe und eine unmittelbare Präsenz politischer Entschei-dungsträger. Im Hinblick auf die Zuwanderung geflüchteter Menschen wurdeihre Integration vielerorts zur Chefsache erklärt. Es wurden Chancen zur nach-haltigen kommunalen Entwicklung aufgezeigt und Sorgen und Ängste in derBürgerschaft ernst genommen. Wenn angesehene Personen, wie der Bürger-meister oder die Pfarrerin, aktiv in der Bevölkerung für eine offene Haltunggegenüber Geflüchteten warben, stiegen Akzeptanz und Engagementbereit-schaft.

Auf den ersten Blick von Nachteil ist dagegen die oftmals geringere Ausstat-tung ländlicher Kommunen mit Personal und finanziellen Ressourcen, was zuSchwierigkeiten bei der Schaffung hauptamtlicher Integrationsstrukturenführt. Zusätzlich entsteht durch die Aufteilung von Zuständigkeiten von Stellenund Einrichtungen auf Kreis- und lokaler Ebene ein hohes Maß an Komple-xität für alle Beteiligten: Verwaltungspersonal, ansässige Bevölkerung undGeflüchtete. Der Erfolg der Integrationsbemühungen hängt somit wesentlichauch von einer reibungslosen Zusammenarbeit der Akteure ab. Die Erfahrun-gen aus den Projektstandorten zeigen, dass diese nicht immer gegeben ist.Zur Verbesserung der Kooperation zwischen der Kreisverwaltung und kreis-angehörigen Kommunen kann u. a. ein Ausbau der WIR-Koordinationsstellenbeitragen. Ein Lösungsansatz, um kosteneffizient hauptamtliche Strukturenzu implementieren, könnte darin bestehen, dass sich mehrere kleine Gemein-den eine Flüchtlingskoordinationsstelle teilen.

Die eingeschränkten hauptamtlichen Strukturen vor Ort erfordern in der Inte-grationsarbeit einen umso stärkeren Rückgriff auf Ehrenamtliche und Orga-nisationen der Zivilgesellschaft, wie Vereine, Verbände und Kirchen. Derumfängliche Einbezug der Zivilgesellschaft, teilweise aus der Not geboren,entpuppt sich aber im Falle der Integration von neu angekommenen Zuwan-derern als besondere Stärke. Räumliche Nähe, die Intensität persönlicherBeziehungen und schlanke Verwaltungsstrukturen begünstigen den Dialog

Resümee und Schlussfolgerungen

bedarfe sehr gut berücksichtigt werden konnten. An den Modellstandortenwurden beispielweise Intensivkurse durchgeführt, Geflüchtete mit ähnlichenVorkenntnissen zusammen unterrichtet und Frauen eine Kinderbetreuungangeboten. Auch Alphabetisierungskurse wurden durchgeführt, in denenGeflüchtete erfolgreich das Lesen und Schreiben erlernten. Mit den erprob-ten dezentralen Sprachangeboten konnten auch jene erreicht werden, dieaufgrund ihres ungeklärten Aufenthaltsstatus nicht an bestehenden Angebo-ten teilnehmen dürfen.

Bildung

Die Integration von Kindern in Kitas und Schulen verläuft angesichts der über-schaubaren Zahl an geflüchteten Kindern in ländlichen Gemeinden meistunproblematisch. Dieser Prozess wurde in den Projektstandorten durch Schu-lungsangebote zur interkulturellen Kompetenz des Kita- und Schulpersonalszusätzlich unterstützt.

Für jugendliche und erwachsene Geflüchtete kann die Integration in Schulenund die Erlangung eines Schulabschlusses angesichts der hohen sprachli-chen Hürden allerdings herausfordernd sein. Bereits die Strukturen des deut-schen Bildungssystems sind komplex und schwierig zu vermitteln. Um dieseZielgruppen zu unterstützen, wurden unterschiedliche Maßnahmen erprobt.An einem Standort wurden junge Geflüchtete in einem Internat aufgenom-men, an einem anderen Standort mit dezentralen Unterbringungsangebotenerhielten Jugendliche Nachhilfeunterricht, der auf ihre individuellen Bedarfeabgestimmt war. Mit Hilfe dieser intensiven Betreuungsformen konnte vielenGeflüchteten das Erlangen von Schulabschlüssen ermöglicht werden.

Arbeit

Auf dem Arbeitsmarkt nehmen lokale Familienbetriebe in Landwirtschaft undHandwerk neben vereinzelten Großbetrieben eine Schlüsselrolle im länd -lichen Raum ein. Eine besondere Chance besteht darin, dass häufig persön-liche Kontakte zwischen Betrieben und Personen, die die Flüchtlinge bei derArbeitsvermittlung begleiten, bestehen. In Kombination mit einer intensivenUnterstützung bei der Arbeitssuche durch professionelle oder ehrenamtlicheFlüchtlingshelfer konnte dieser Vorteil in den Modellstandorten vielfach füreine erfolgreiche Vermittlung von Praktikums-, Ausbildungs- und Arbeits -plätzen genutzt werden. Eine besonders kreative Maßnahme zum gegen -seitigen Kennenlernen von Unternehmen und Geflüchteten sowie zur Ver-mittlung von Informationen über die Arbeitswelt in Deutschland stellt eineBustour zu unterschiedlichen Betrieben mit Geflüchteten dar.

75Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“74

sehr erfolgreich genutzt werden. Eine individuelle Begleitung Geflüchteterbei der Wohnraumsuche und persönliche Ansprache potenzieller Vermietererwiesen sich als bester Ansatz, Wohnungen für Geflüchtete zu finden, weildadurch oftmals Vorbehalte gegenüber Geflüchteten abgebaut werdenkonnten. Waren Vertreter der Kommunen bei der Wohnraumbeschaffungaktiv, so konnten sie den Vermietern die Sicherheit geben, sich um ihreBelange zu kümmern, falls Schwierigkeiten mit den neuen Mietern auftreten.

Mobilität

Eine besondere Herausforderung für die Integration von Flüchtlingen imländlichen Raum ist die weniger gut ausgebaute Anbindung an den öffent -lichen Nahverkehr. Dies erschwert ihnen einerseits das Erreichen von Ärzten,Geschäften, Schulen und Behörden, andererseits aber auch die Teilnahme anzentral angebotenen Sprach- und Integrationskursen. Deshalb wurden in denModellstandorten unterschiedliche Ansätze zur Förderung der individuellenMobilität der Geflüchteten erprobt. Neben dem Angebot von ehrenamtlichenFahrdiensten wurden Werkstätten eingerichtet, in denen Geflüchtete gespen-dete Fahrräder instand setzten. Hervorgehoben werden kann in diesemZusammenhang eine Maßnahme in Neustadt, wo Geflüchtete im Ausgleichzur Unterstützung beim Führerscheinerwerb gemeinnützige Arbeit leisteten.

Generell gilt, dass die weniger gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur nicht nurgeflüchtete Menschen betrifft, die in ländlichen Gebieten leben, sondern für diegesamte ansässige Bevölkerung problematisch ist. Von einer Weiterentwicklungvon Mobilitätskonzepten für den ländlichen Raum, z. B. in Form von Bürgerbus-sen oder Apps für Rufbussysteme, könnten also alle Menschen profitieren.

Spracherwerb

Integrationskurse dienen, neben der rechtlichen und kulturellen Orientie-rung, dem Spracherwerb. Sie sind meist zentral in größeren Städten angesie-delt, so dass die Teilnahme für Geflüchtete im ländlichen Raum meist mit gro-ßem Aufwand verbunden ist. Da die Anzahl der Geflüchteten im ländlichenRaum geringer ist und die Kurse eine Mindestteilnehmerzahl benötigen, isteine zeitnahe Teilnahme an zielgruppenspezifischen Sprachkursen, z. B. fürjunge Erwachsene oder zur Alphabetisierung, oft nicht möglich.

Deshalb wurden in mehreren Modellstandorten Kurse durch Ehrenamtlicheangeboten. Die geringeren Teilnehmerzahlen erwiesen sich insofern als Vor-teil, als dass dadurch die individuellen Voraussetzungen und Unterstützungs-

Resümee und Schlussfolgerungen 77Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“76

Jedoch bietet der ländliche Arbeitsmarkt generell weniger Arbeitsstellen,was als ein entscheidender Standortnachteil gilt und für viele Flüchtlingeeinen Grund darstellt, sich in größeren Städten niederzulassen. Umso wich-tiger ist es, bei der Arbeitsvermittlung die individuellen Wünsche und Fähig-keiten der Geflüchteten zu berücksichtigen, um sie in adäquate Ausbildungs-und Arbeitsstellen zu vermitteln. Diesbezüglich wurden Maßnahmen umge-setzt, die eine intensive und individuelle Beratung und Förderung ermög -lichen, beispielsweise durch den Einsatz des ProfilPass.

Trotz der erfolgreichen Maßnahmen waren die Projektverantwortlichen mitden bürokratischen Hürden, die in Deutschland für Unternehmen undGeflüchtete bei der Arbeitsmarktintegration bestehen, konfrontiert. Um dieseHürden zu überwinden, wurde in Aarbergen eine Anlaufstelle eingerichtet,die Unternehmen und Geflüchtete, insbesondere bei der Abwicklung büro-kratischer Abläufe, unterstützt. Dennoch würde ein Abbau bürokratischer Hür-den, beispielsweise durch eine leichtere Anerkennung von früher erworbe-nen Bildungs- und Berufsabschlüssen, die Arbeitsmarktintegration imländlichen wie städtischen Raum deutlich erleichtern.

Die Erfahrungen aus den Modellprojekten haben außerdem gezeigt, dass essinnvoll ist, Informationen über bestehende Angebote, Maßnahmen, Förder-möglichkeiten, Materialien, wie den Refugee-Guide, gezielt und zuverlässigan Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten, weiterzugeben, damit sie nichtimmer wieder aufs Neue Recherchen betreiben müssen. Dies könnte bei-spielsweise in Form einer Website, die über örtliche Angebote wie Sprach-kurse informiert und tagesaktuell gepflegt wird, umgesetzt werden.

Resümee

Im Rahmen des Modellprojekts wurden unterschiedliche Ansätze getestetund hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit überprüft. Wie die oben beschriebenenErfahrungen zeigen, konnte spezifischen Schwierigkeiten, oft mit Hilfe vonFlexibilität, Pragmatismus und persönlichem Einsatz, entgegengewirkt werden.

Insgesamt hat sich gezeigt, dass der ländliche Raum durchaus Potential fürdie Integration von Flüchtlingen bietet und sich dieses langfristig für denländlichen Raum auszahlen kann.

Kolumnentitel 79Abschlussdokumentation „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“78

Impressum

Herausgeber

Hessische Staatskanzlei

Georg-August-Zinn-Str. 1

65183 Wiesbaden

Verantwortlich

Michael Bußer, StaatssekretärSprecher der Landesregierung

Redaktion

Dr. Martina Schaad

Interviews und ErgebnisdokumentationISIS GmbH – Sozialforschung, Sozialplanung, Politikberatung

Bildnachweis

S. 5 + S. 76: Hessische Landesregierung | S. 7: Hessischer Städte- und Gemeindebund | S. 15, 16, 19, 20:Gemeinde Aarbergen | S. 23, 24, 27, 28, 29: Gemeinde Alheim | S. 31, 32, 36, 37: Stadt Bad Sooden-Allendorf | S. 39, 40, 43, 44: Stadt Diemelstadt | S. 47, 48, 51, 52, 53: Stadt Laubach | S. 55, 56, 59, 60, 61:Marktflecken Mengerskirchen im Westerwald | S. 63, 64, 67, 68, 69: Stadt Neustadt/Hessen

Gestaltungskonzept & Artwork

Nina Faber de.sign, Wiesbaden

Druck

Chmielorz GmbH, Wiesbaden

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