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H.-P. Schuster Intensivmedizin an der Jahrtausendwende – Fortschritt, Forschung, Qualitätssicherung, Grenzen Intensivmed 38:1–6 (2001) © Steinkopff Verlag 2001 IM 179 LEITTHEMA Prof. Dr. med. Hans-Peter Schuster Medizinische Klinik I Städtisches Krankenhaus Hildesheim Lehrkrankenhaus der Medizinischen Hochschule Hannover Weinberg 1 31134 Hildesheim Der Faszination der Jahreszahl 2001 als erstem Jahr eines neuen Millennium kann man sich kaum ent- ziehen. Auch der federführende Herausgeber der Intensivmedizin und Nofallmedizin. German Inter- disciplinary Journal of Intensive Care Medicine“ ist dieser Faszination erlegen. Sie führt mich zu dem Versuch, vier wichtige und wie ich meine zukunfts- bestimmende Fragen zur Intensivmedizin aufzuwer- fen und dazu meine persönliche Auffassung zu be- kennen. Die Fragen beziehen sich auf die Intensiv- medizin als Fortschritt (I), auf die klinische For- schung in der Intensivmedizin (II), auf die Qualitäts- sicherung auf Intensivstationen (III) und auf die Grenzen der Intensivmedizin (IV). I. Fortschritt Ist Intensivmedizin ein medizinischer Fortschritt? Die Frage scheint banal, ist aber mit einigem An- spruch nicht so einfach zu beantworten. Jede Metho- de, die Anspruch auf Fortschritt erhebt, muss eine Verbesserung des Outcome nachweisen. Dies gilt auch für die Intensivmedizin. Outcome (12) ist nach wie vor am eindeutigsten und einleuchtendsten an Überlebensraten/Letalitätsraten, also an erzielter Le- bensquantität zu messen. Er wird bestimmt durch den primären Ausgang (Kurzzeitprognose) gemessen an der Krankenhausentlassung, und durch die Über- lebensdauer (Langzeitprognose). Überlebensdauer ist methodisch schwierig zu erfassen, vor allem in unse- rem durch die Dreigliederung in stationäre Therapie, in fachärztlichen und hausärztlichen ambulanten Versorgungsbereich gekennzeichneten Gesundheits- system. Jede vergleichende Outcome-Analyse muss auf einem Vergleich von Patientengruppen mit ver- gleichbarem Grundleiden, vergleichbarer Erkran- kungsschwere und damit vergleichbarem Letalitäts- risiko basieren. In der Intensivmedizin haben sich als Messinstrument für die Bestimmung von Erkran- kungsschwere und Letalitätsrisiko die risikoadaptier- ten prognostizierenden Score-Systeme bewährt. Es existieren globale, erkrankungsübergreifende Score- Systeme (APACHE, SAPS, MPM) und eine Vielzahl erkrankungsspezifischer Scores (z.B. Trauma-, Ver- brennungs-, Pankreatitis-, Myokardinfarkt-Scores) (11). Stellt man die Frage nach der Intensivmedizin als medizinischem Fortschritt, so müssen ihre Er- gebnisse an den Ergebnissen der Therapie vor Ein- führung der Intensivstationen in risikovergleich- baren Patientengruppen gemessen werden. Hierfür eignen sich die großen Score-Systeme logischerweise nicht, da sie an intensivtherapeutisch behandelten Patienten entwickelt und validiert wurden und somit keine Schätzung des Letalitätsrisikos nicht intensiv- medizinisch behandelter Patientengruppen erlauben. Geeignet für unsere Fragestellung ist dagegen der als Norris-Score in der Literatur eingegangene „Corona- ry Prognostic Index“ (7). Er objektiviert Erkran- kungsschwere und Letalitätsrisiko von Patienten mit akutem Myokardinfarkt, und er wurde an Patienten- kollektiven entwickelt, die vor Einführung der Coro- nary Care Units auf Allgemeinstationen behandelt wurden. Bereits R. M. Norris und Mitarbeiter selbst haben bei intensivmedizinisch behandelten Infarkt- patienten einer Coronary Care Unit mit mittlerer Er- krankungsschwere eine signifikante Reduktion der Letalität gegenüber der Behandlung auf Allgemein-

Intensivmedizin an der Jahrtausendwende - Fortschritt, Forschung, Qualitätssicherung, Grenzen

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H.-P. Schuster Intensivmedizin an der Jahrtausendwende –Fortschritt, Forschung, Qualitätssicherung,Grenzen

Intensivmed 38:1–6 (2001)© Steinkopff Verlag 2001

IM179

LEITTHEMA

Prof. Dr. med. Hans-Peter SchusterMedizinische Klinik IStädtisches Krankenhaus HildesheimLehrkrankenhaus der Medizinischen Hochschule HannoverWeinberg 131134 Hildesheim

Der Faszination der Jahreszahl 2001 als erstem Jahreines neuen Millennium kann man sich kaum ent-ziehen. Auch der federführende Herausgeber der„Intensivmedizin und Nofallmedizin. German Inter-disciplinary Journal of Intensive Care Medicine“ istdieser Faszination erlegen. Sie führt mich zu demVersuch, vier wichtige und wie ich meine zukunfts-bestimmende Fragen zur Intensivmedizin aufzuwer-fen und dazu meine persönliche Auffassung zu be-kennen. Die Fragen beziehen sich auf die Intensiv-medizin als Fortschritt (I), auf die klinische For-schung in der Intensivmedizin (II), auf die Qualitäts-sicherung auf Intensivstationen (III) und auf dieGrenzen der Intensivmedizin (IV).

I. Fortschritt

Ist Intensivmedizin ein medizinischer Fortschritt?Die Frage scheint banal, ist aber mit einigem An-spruch nicht so einfach zu beantworten. Jede Metho-de, die Anspruch auf Fortschritt erhebt, muss eineVerbesserung des Outcome nachweisen. Dies giltauch für die Intensivmedizin. Outcome (12) ist nachwie vor am eindeutigsten und einleuchtendsten anÜberlebensraten/Letalitätsraten, also an erzielter Le-bensquantität zu messen. Er wird bestimmt durchden primären Ausgang (Kurzzeitprognose) gemessenan der Krankenhausentlassung, und durch die Über-

lebensdauer (Langzeitprognose). Überlebensdauer istmethodisch schwierig zu erfassen, vor allem in unse-rem durch die Dreigliederung in stationäre Therapie,in fachärztlichen und hausärztlichen ambulantenVersorgungsbereich gekennzeichneten Gesundheits-system. Jede vergleichende Outcome-Analyse mussauf einem Vergleich von Patientengruppen mit ver-gleichbarem Grundleiden, vergleichbarer Erkran-kungsschwere und damit vergleichbarem Letalitäts-risiko basieren. In der Intensivmedizin haben sichals Messinstrument für die Bestimmung von Erkran-kungsschwere und Letalitätsrisiko die risikoadaptier-ten prognostizierenden Score-Systeme bewährt. Esexistieren globale, erkrankungsübergreifende Score-Systeme (APACHE, SAPS, MPM) und eine Vielzahlerkrankungsspezifischer Scores (z.B. Trauma-, Ver-brennungs-, Pankreatitis-, Myokardinfarkt-Scores)(11). Stellt man die Frage nach der Intensivmedizinals medizinischem Fortschritt, so müssen ihre Er-gebnisse an den Ergebnissen der Therapie vor Ein-führung der Intensivstationen in risikovergleich-baren Patientengruppen gemessen werden. Hierfüreignen sich die großen Score-Systeme logischerweisenicht, da sie an intensivtherapeutisch behandeltenPatienten entwickelt und validiert wurden und somitkeine Schätzung des Letalitätsrisikos nicht intensiv-medizinisch behandelter Patientengruppen erlauben.Geeignet für unsere Fragestellung ist dagegen der alsNorris-Score in der Literatur eingegangene „Corona-ry Prognostic Index“ (7). Er objektiviert Erkran-kungsschwere und Letalitätsrisiko von Patienten mitakutem Myokardinfarkt, und er wurde an Patienten-kollektiven entwickelt, die vor Einführung der Coro-nary Care Units auf Allgemeinstationen behandeltwurden. Bereits R.M. Norris und Mitarbeiter selbsthaben bei intensivmedizinisch behandelten Infarkt-patienten einer Coronary Care Unit mit mittlerer Er-krankungsschwere eine signifikante Reduktion derLetalität gegenüber der Behandlung auf Allgemein-

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stationen nachgewiesen (8). Es ist das Verdienst vonJ.P. Christiansen und Mitarbeitern (6), diesen Ansatzan einer umfangreichen Patientenzahl aus den Jah-ren 1995 bis 1997 erneut aufgegriffen zu haben. Siekonnten nachweisen, dass intensivtherapeutisch be-handelte Patienten mit akutem Myokardinfarkt allerRisikostufen eine signifikant niedrigere Letalität hat-ten, als entsprechend dem Norris-Score voraus-geschätzt (Abb. 1). Hiermit ist erstmals an einemspeziellen Erkrankungsbild der Intensivmedizin de-ren Fortschritt, gemessen am outcome-benefit, ein-deutig belegt. Viele Beobachtungen sprechen dafür,dass dies auch für große, gemischt zusammengesetz-te Kollektive kritisch Kranker gilt.

Eine tiefergreifende Analyse der Fortschrittsfrageverlangt neben dem Nachweis eines positiven Effek-tes auf Lebensquantität auch die Berücksichtigungder Lebensqualität der aus der Klinik entlassenen In-tensivpatienten ebenso wie die Frage nach der Ak-zeptanz der erlebten Intensivmedizin durch die Be-troffenen selbst. Zu beiden Komplexen, der Lebens-qualität nach Intensivtherapie und der Akzeptanzvon Intensivtherapie, gibt es mittlerweile eine um-fangreiche Literatur. Ich möchte hier den Problem-kreis nur durch drei Studien kurz beleuchten.

Zur Frage der Lebensqualität möchte ich zwei Un-tersuchungen zitieren. G. Vazquez Mata und Mitarbei-ter (16) sowie M. Capuzzo und Mitarbeiter (5) unter-suchten die Lebensqualität kritisch Kranker nach Ent-lassung aus der Intensivtherapie im Vergleich mit derLebensqualität zum Zeitpunkt der Aufnahme auf dieIntensivstation. Als Messgröße für krankheitsbedingteEinschränkung von Lebensqualität diente eine kon-tinuierliche Skala von 0=„no limination“ bis 10=„se-vere handicap“. Vazquez Mata et al. untersuchten 444

Intensivpatienten nach einem Jahr. Die Einschrän-kung der Lebensqualität infolge der Krankheit hattevon einem Wert von 4,62±0,22 bei Aufnahme auf6,11±0,25 ein Jahr nach der Intensivtherapie signifi-kant (p<0,01), aber unter Berücksichtigung der Ge-samtskala moderat zugenommen. M. Capuzzo et al.untersuchten 172 Intensivpatienten nach einem hal-ben Jahr. Die krankheitsbedingte Einschränkung derLebensqualität war von einem anfänglichen Wertvon 5,6±3,6 auf 6,6±3,8 signifikant (p<0,001), aberebenfalls moderat angestiegen.

Zur Akzeptanz der Intensivmedizin durch die be-troffenen Patienten gibt es eine eindrucksvolle Studievon A. Sitzmann an den kritischsten Fällen, die wirbetreuen, den Intensivpatienten im höheren Lebens-alter (14). Die Autorin befragte 170 Patienten der In-tensivstation der Medizinischen Universitätsklinik Er-langen im Alter von über 70 Jahren nach ihren Erfah-rungen, ihren Erlebnissen und ihrer Beurteilung derIntensivtherapie. Es handelte sich dabei um schwer-kranke Patienten: Letalität auf der Intensivstation45,3% und im Krankenhaus 56,5%, kardiopulmonaleReanimation in 55 Fällen, Beatmung in 75, Dialysein 3, Transfusionen in 26, künstliche Ernährung in47, intravenöse Schrittmacher in 16, zentrale Venen-katheter in 59, Pulmonaliskatheter in 4, Notfall-endoskopie in 10 Fällen. 72 Patienten konnten nachder Verlegung von der Intensivstation befragt werden.Die wesentlichen Ergebnisse sind in Abbildung 2 zu-sammengefasst. Eine insgesamt schlechte Erinnerungan die Intensivstation gaben nur 12 Patienten an, da-gegen 65 eine insgesamt gute Erinnerung. Gründedafür waren „Geborgenheit, Schmerzlinderung, opti-male Versorgung, Umsorgtheit, Überwachung, ständi-ge Anwesenheit von Ärzten und Schwestern, unmittel-bare Hilfe, Sicherheit, lebensrettende Hilfe durch Ap-parate, weniger Angst“. Nur 7% hatten ernste Beden-ken gegen eine Intensivtherapie in ihrem Alter. 72%gaben an, sich im Falle einer erneuten Notfallsituationwieder für eine Intensivtherapie zu entscheiden.

Aus allen vorliegenden Daten darf man folgendeAuffassung ableiten: Akzeptieren wir Letalitäts- undÜberlebensraten – unter Voraussetzung einer akzep-

2 Intensivmedizin und Notfallmedizin, Band 38, Heft 1 (2001)© Steinkopff Verlag 2001

Abb. 1 Fortschritt der Intensivmedizin. Senkung der beobachteten Letalität(present) im Vergleich zur prognostizierten Letalität (Norris) bei akutem Myo-kardinfarkt unterschiedlicher Schwere (Norris-Score) durch Intensivtherapie(Coronary Care Unit). Aus (6)

„Gute“ Erinnerung an die ISt 65%

„Schlechte“ Erinnerung an die ISt 12%

Bedenken gegen ISt in diesem Alter 7%

Entscheidung fur ISt bei erneuter Notfallsituation 72%

Entscheidung gegen ISt bei erneuter Notfallsituation 8%

Abb. 2 Akzeptanz der Intensivmedizin. Beurteilung der Intensivstation (ISt)durch alte Patienten (>70 Jahre) bei der Befragung nach Verlegung von derIntensivstation. Nach (14)

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tablen Lebensqualität und Patientenakzeptanz – alsMessgröße für outcome – benefit, so bedeutet Inten-sivmedizin sicher einen Fortschritt in der klinischenMedizin.

II. Klinische Forschung

Es erhebt sich immer wieder die Meinung, dass eineeigenständige intensivmedizinische klinische For-schung nicht existiere. Intensivmedizin sei klinischePraxis ohne eigene Forschungsmethoden und For-schungsinhalte. Den Vertretern einer solchen Auffas-sung seien die Ausgaben der „Critical Care Medici-ne“, der „Intensive Care Medicine“, des „AmericanReview of Respiratory and Critical Care Medicine“vorgehalten. Die Journale sind vollgepackt mitgrundlegenden experimentellen und klinischen For-schungen sowie großen Studien zur Pathophysiolo-gie, Molekular- und Zellbiologie und Therapie kri-tisch Kranker. Wie in allen anderen Forschungsfelderwurden die letzten Jahre durch Molekularbiologie,Immunologie und Genforschung dominiert.

Bezogen auf die Intensivtherapie, speziell die In-tensivtherapie eines der großen Krankheitsbilder derIntensivmedizin: der Sepsis zeigt sich dabei in einerbetrachtenden Überschau ein eigenartiges Bild. Diegroßen, multizentrischen, randomisierten und Place-bo-kontrollierten Kortikoid-Studien der 80er-Jahreleiteten eine Reihe von Therapiestudien ein, die aufneuen molekularbiologisch-immunologischen Er-kenntnissen zum Ablauf der Sepsis beruhend auf dietherapeutische Beeinflussung der durch Toxine aus-

gelösten und Mediator-Zytokin-Kaskaden, Rezep-torbindungen und Genexpressionen mit Immunmo-dulation abzielten. Die Korticosteroidstudien sindmit den Namen Ch.L. Sprung (15), R.C. Bone (2)und L. Hinschaw (17) verbunden. Die Ergebnissewaren negativ (Abb. 3). Seither wurde eine kaumnoch zu überschauende Vielzahl großer, randomi-sierter, Placebo-kontrollierter Therapiestudien mitdem Therapieversuch einer Hemmung der Bildungund Freisetzung von Mediatoren und Zytokinen, ei-ner Inhibition der relevanten Rezeptoren, einer mehroder weniger spezifischen Immunmodulation mittelsPharmaka, monoklonaler Antikörper, Rezeptoranta-gonisten, löslicher Zytokinrezeptoren publiziert. Miteiner einzigen Ausnahme waren sämtliche Studiennach dem Konzept einer adjuvanten Sepsistherapienegativ. Man gewinnt sogar den Eindruck, dass jebesser die Studienmethodik desto identischer dieKaplan-Meier-Kurven für Placebo und Verumgruppe.Die Ausnahme war die Therapiestudie mit einemHA-1A humanen monoklonalen Endotoxinantikörpervon E. J. Ziegler und Mitarbeitern (18). Das Ergebniswurde bald durch eine Folgestudie von R.C. Boneund Mitarbeitern (3) widerlegt, und die Studie wur-de wegen vielfacher methodischer Probleme als nichttragfähig eingestuft. Ein ähnliches Schicksal erfuhreine prospektive Immunglobulinstudie mit allerdingskleiner Fallzahl (10).

R.C. Bone nannte diese Geschichte, die die Inten-sivmedizin an den Rand der Depression führte, eineOdyssee (4).

Dagegen fällt auf, dass einige in letzter Zeit publi-zierte prospektive, randomisierte Studien mit Letalitätals Endpunkt und Verfahren der supportiven Sepsis-

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Abb. 3 Forschung in der Intensivmedizin. Negati-ves Ergebnis einer randomisierten, doppelblinden,Placebo-kontrollierten Studie zur adjuvanten Sep-sistherapie mit Kortikosteroiden. Aus (16)

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therapie, also der klassischen Verfahren der Intensiv-therapie zu positiven Ergebnissen kamen. Ich nennenur zwei Beispiele: die Studie des „Acute RespiratoryDistress Syndrome Network“ zur Beatmung mit klei-nen Atemzugvolumina (1) und die Studie zu einerModifikation der kontinuierlichen veno-venösen Hä-mofiltration bei akutem Nierenversagen von C. Roncound Mitarbeitern (9), beide aus dem Jahre 2000.

Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass der Beitrageiner molekularbiologisch orientierten Forschungzur Verbesserung der Ergebnisse der Intensivthera-pie bisher gering ist. Die klinischen, Pathophysiolo-gie-basierten Verfahren der Intensivtherapie sind of-fenbar nicht zu schlagen.

III. Qualitätssicherung

Die Diskussion um eine Qualitätssicherung auf derIntensivstation sollte fünf Gegebenheiten berücksich-tigen, um zu Ergebnissen zu gelangen und weitereVerwirrungen zu vermeiden.

Die beiden Hauptdiskussionspartner, die Ärzteund die Politiker, bringen primär unterschiedlicheErwartungen und Zielvorstellungen in die Qualitäts-diskussion ein. Ärzte erwarten von Qualitätssiche-rung eine raschere und bessere Umsetzung des me-dizinischen Fortschritts, Politiker eine Begrenzungder Kosten im Gesundheitswesen. Ärzte hoffen aufbessere Behandlungsergebnisse, Vermeidung vonKomplikationen, bessere Lebensqualität der behan-delnden Patienten. Politiker ebenso wie die gesundenMitbürger erhoffen sich mehr Kosteneffizienz, einewirkungsvollere Realisierung ihrer Vorstellungen vonwirtschaftlicher Erbringung des medizinisch Not-wendigen.

Qualitätssicherung verlangt ein Messinstrumentfür Qualität. Welches der möglichen Mess-Systemedas geeignetste ist, bleibt unklar. Mindestens dreiMessmethoden wurden erprobt: Qualitätsindikatoren,Leitlinien und Standards, Scores. Qualitätsindikatorensind Ereignisse der Intensivmedizin, die gezählt wer-den und deren Frequenz ein Hinweis auf gute oderschlechtere Qualität darstellt. Eine Vielzahl solcherQualitätsindikatoren wurden untersucht und werdenangewendet, beispielsweise Inzidenz nosokomialerInfektionen, Komplikationen invasiver Prozeduren,Wiederaufnahme nach Verlegung von der Intensivsta-tion, Dauer der Entwöhnung, Re-Intubation innerhalb48 Stunden, Medikamentenverbrauch, Aufwand an La-bordiagnostik, Auftreten von akutem Nierenversagennach Aufnahme auf die Intensivstation. Dieses Vor-gehen entspricht einer internen Qualitätskontrolle; esist als „bottom up“ Qualitätsverfahren einzustufen,welches der Mentalität der Ärzte eher entspricht. Leit-

linien oder Standards werden der Intensivstation vonaußen vorgegeben. Sie entstammen Ergebnissen vongroßen, validen Studien oder von Expertenmeinungenbeziehungsweise Konsensuskonferenzen. Das Ist dereinzelnen Intensivstation wird mit dem so gesetztenSoll verglichen. Überprüfbar sind Kriterien der Pro-zess- und Strukturqualität. Das Verfahren entsprichteiner externen Qualitätskontrolle; es ist ein „topdown“-Verfahren, zu dem eher die Gesundheitspoliti-ker Affinität zeigen. Prognostische Score-Systeme sindein spezielles Instrument der Intensivmedizin (11). Sieerlauben die Abschätzung der zu erwartenden, risiko-adjustierten Letalität der Patientenpopulation einerIntensivstation. Der Vergleich der tatsächlich be-obachteten mit der in dieser Weise prognostiziertenLetalitätsrate, der sogenannte standardisierte Letali-tätsindex, erlaubt unter Beachtung einiger metho-discher Voraussetzungen eine vergleichende Beurtei-lung der Ergebnisqualität von Intensivstationen. DasVerfahren ist sowohl als interne als auch als externeQualitätskontrolle einzusetzen.

Das bloße Vorhandensein von Qualitätsstandardsbedeutet noch keineswegs eine wirksame Qualitäts-sicherung. Das Schweizer Beispiel hat gezeigt, dasseine Zertifizierung von Intensivstationen mit derKonsequenz einer adäquaten Vergütung nur für zer-tifizierte Intensiveinheiten ein wirksames Verfahrenfür die Realisierung von Qualitätssicherung seinkann. Allerdings wird das Zertifizierungsverfahrenin der Schweiz von den Kostenträgern und der ärzt-lichen Intensivgesellschaft gemeinsam betrieben, unddie Ärztegruppe spielt hierbei die leitende Rolle.

Insgesamt bin ich der Überzeugung, dass ein Qua-litätssicherungssystem der einzige Weg sein wird, mitden Konflikten zwischen einer Forderung nach Reali-sierung des medizinischen Fortschritts seitens der Pa-tienten und Ärzte einerseits und der Notwendigkeitder Mittelbegrenzung aus Sicht der verantwortlichenGesundheitspolitiker andererseits zurecht zu kom-men. Daher werden für die Zukunft Methoden derQualitätssicherung mit dem Ziel einer weiteren Ver-besserung der Ergebnisse und der Effizienz der Inten-sivmedizin zunehmend Bedeutung erlangen.

IV. Grenzen

Ein Machbarkeitswahn und ein gebrochenes Verhält-nis zum Sterben werden den Intensivmedizinern an-haltend vorgeworfen. Die Theorie der Intensivmedi-zin erklärt am besten, wie es dazu kommen konnte.Die Theorie der Intensivmedizin besagt: Die Krisedes kritisch Kranken ist bedingt durch eine im Ver-lauf einer Krankheit sich herausbildende lebens-bedrohlichen Störung der vitalen Organfunktionen;

4 Intensivmedizin und Notfallmedizin, Band 38, Heft 1 (2001)© Steinkopff Verlag 2001

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ein Überleben der Krankheit ist nur möglich, wenndie kritische Vitalfunktionsstörung erkannt und be-hoben oder durch apparativen Organersatz korrigiertwird. Von dort war es ein kleiner Schritt zur At-titüde des unbegrenzt Machbaren. Die Erkenntniseiner Korrektur der vitalen Funktionsstörungen alsVoraussetzung für Überleben verschob sich in denAnspruch, dass Organersatz in jedem Falle zumÜberleben führt, wenn er nur adäquat zum Einsatzkommt. Damit wurde ein ungünstiger Verlauf alsZeichen eines Mangels an Aggressivität der Intensiv-therapie gedeutet und folglich die weitere Eskalationder Intensivtherapie gefordert. Dieser Anspruch hat-te tiefgreifende Folgen. Es entstanden Vorstellungendes grenzenlos Machbaren, der Bereitschaft zuhöchster Invasivität und Aggressivität in Diagnostik,Überwachung und Behandlung, die Formeln vom„Kampf gegen den Tod“, dem Erlebnis des „Sterbensals Versagen der Ärzte und Schwestern“, dem „Ster-ben als Betriebsunfall“.

Die nüchterne Analyse der Ergebnisse der Intensiv-therapie heilte den Machbarkeitswahn. Es gibt trotzallen Fortschrittes weiterhin Erkrankungszuständemit einer anhaltend hohen Letalität von 60–80%. Hier-zu zählen das akute Lungenversagen, das Multiorgan-versagen, das Sepsis-Syndrom mit septischem Schock,der Zustand nach primär erfolgreicher kardiopulmo-naler Reanimation, der Schlaganfall mit Beatmung,die kardiopulmonale Reanimation im Krankenhaus.

Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass eine Le-bensverlängerung um jeden Preis, vor allem eine zeit-lich eng umgrenzte Lebensverlängerung um jedenPreis nicht die einzig mögliche Entscheidung für ärzt-liches Handeln in der Intensivmedizin sein darf. Viel-mehr kann in prognostisch infausten Fällen die Ent-scheidung zur Therapiebegrenzung die ärztlich gebo-tene und damit richtige Entscheidung sein. Die Aner-kennung medizinisch ethischer Überlegungen alsgenuiner Entscheidungsgrundlage ärztlichen Han-delns hat ohne Frage zu einem Paradigmenwechselin der Intensivtherapie geführt: von einer maximalenIntensivtherapie in jedem Falle und um jeden Preishin zu einer abgestuften Intensivtherapie mit Thera-piebegrenzung in prognostisch infausten Fällen.

Medizin-ethische Reflektionen und medizin-ethisch begründete Entscheidungen werden in unse-rem diagnostischen und therapeutischen Handeln ei-ne zunehmende Rolle spielen. Das Bewusstsein derBegrenztheit des intensivmedizinisch Erreichbarenbleibt dabei ein ambivalentes. Es verpflichtet zurTherapiebegrenzung in infausten Einzelfällen ebensowie zu einer weiterführenden Forschung mit demZiel verbesserter Therapiemöglichkeiten.

Insgesamt wird nach meiner Überzeugung die kli-nische Bedeutung der Intensivmedizin in der durchVernetzung und Integration ambulanter und statio-närer Versorungsstrukturen gekennzeichneten Zu-kunft unseres Gesundheitswesens weiter zunehmen.

5H.-P. SchusterIntensivmedizin an der Jahrtausendwende

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