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Internationales Privatrecht des Versicherungsvertrages und EG-Recht Zu den Entwicklungen des EG- Rechtes und ihren Auswirkungen auf das Versicherungsvertragsrecht* Von Ulrich Hübner, Köln/Konstanz Gliederung: I. Die Ausgangslage: Unterschiede im Vertragsrecht und Deckungsschutz II. Kollisionsrecht: Die Anknüpfungsmöglichkeiten, ihre Rechtfertigung und Auswirkungen 1. Parteiautonomie a) Die Liberalisierung durch Rechtswahl und die Problematik der Parteiautonomie b) Einschränkung der Rechtswahl durch partielle Anwendung des Rechts des Belegenheitsstaats in den nicht kaufmännischen Bran- chen c) Einschränkung der Rechtswahl durch Anwendung des Rechts des Aufenthaltes eine Verbrauchers 2. Abschluß -, Erfüllungsort, Betriebsort des Versicherungsunterneh- mens als Anknüpfungselemente a) Abschlußort b) Erfüllungsort c) Betriebsort des Versicherers 3. Recht des Sitzes oder Aufenthalts des Versicherungsnehmers und Belegenheit des Risikos als Anknüpfungsmomente a) Recht der Belegenheit des Risikos b) Recht des Aufenthalts bzw. Sitzes III. Durchsetzung nationaler Schutzinteressen über ordre public und terri- toriale Verbraucherschutznormen 1. Ordre public 2. § 12 AGBG und verwandte Schutzvorschriften IV. Schluß Vortrag, gehalten in der Mitgliederversammlung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft am 11. März 1983 in Münster.

Internationales Privatrecht des Versicherungsvertrages und EG-Recht

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Internationales Privatrecht des Versicherungsvertragesund EG-Recht

Zu den Entwicklungen des EG-Rechtes und ihrenAuswirkungen auf das Versicherungsvertragsrecht*

Von Ulrich Hübner, Köln/Konstanz

Gliederung:

I. Die Ausgangslage:

Unterschiede im Vertragsrecht und Deckungsschutz

II. Kollisionsrecht:

Die Anknüpfungsmöglichkeiten, ihre Rechtfertigung und Auswirkungen

1. Parteiautonomie

a) Die Liberalisierung durch Rechtswahl und die Problematik derParteiautonomie

b) Einschränkung der Rechtswahl durch partielle Anwendung desRechts des Belegenheitsstaats in den nicht kaufmännischen Bran-chen

c) Einschränkung der Rechtswahl durch Anwendung des Rechts desAufenthaltes eine Verbrauchers

2. Abschluß-, Erfüllungsort, Betriebsort des Versicherungsunterneh-mens als Anknüpfungselemente

a) Abschlußort

b) Erfüllungsortc) Betriebsort des Versicherers

3. Recht des Sitzes oder Aufenthalts des Versicherungsnehmers undBelegenheit des Risikos als Anknüpfungsmomente

a) Recht der Belegenheit des Risikos

b) Recht des Aufenthalts bzw. Sitzes

III. Durchsetzung nationaler Schutzinteressen über ordre public und terri-toriale Verbraucherschutznormen

1. Ordre public

2. § 12 AGBG und verwandte Schutzvorschriften

IV. Schluß

Vortrag, gehalten in der Mitgliederversammlung des Deutschen Vereinsfür Versicherungswissenschaft am 11. März 1983 in Münster.

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I. Die Ausgangslage:

Unterschiede im Vertragsrecht und Deckungsschutz

Die Unterschiede im Deckungsschutz und Versicherungsvertrags -recht der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft sind gravie-

rend und bekannt: Der Deckungsumfang ist unterschiedlich gestaltet,auch von der nationalen Rechtsordnung im übrigen abhängig (z. B.

bei Haftpflichtversicherung); die Prinzipien des Versicherungsvertrags-

rechts schützen den Versicherungsnehmer und Dritten nicht in gleicherWeise: Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen, Vertragsbeen-digung bei Zahlungsverzug, die Einstandspflicht des Versicherers fürAgenten u. a. weichen von Rechtsordnung zu Rechtsordnung nicht un-maßgeblich voneinander ab. Erinnert sei nur an den Schrecken jedesVersicherungsverbraucherschützers: warrantiesl. Im Rahmen der Nie-derlassungsfreiheit fielen diese Divergenzen nicht so sehr ins Gewicht,da die Zulassungsbehörde auf der Unterwerfung unter die nationalenBedingungen bestand und besteht2 .

Im Bereich der Dienstleistungsfreiheit gehören gerade die Befugnisseder Behörde des Tätigkeitslandes zu den umstrittensten Punkten. Des-halb, aber auch unabhängig davon, fragt es sich, ob nicht privatrecht-lich die Problematik einer Lösung nähergebracht werden kann. Dieskönnte auf verschiedene Art und Weise geschehen:

Das ursprüngliche Konzepts strebte eine Harmonisierung des Ver-tragsrechts an. Auf diese, schon andernorts erörterte Möglichkeit4 sollhier nicht detailliert eingegangen werden, da sie ein mittelfristigesProgramm darstellt und als kurzfristiges Instrument zur Herstellungbzw. Durchführung der — möglicherweise schon bestehenden —Dienstleistungsfreiheit kaum verwandt werden kann. Das heißt zu-gleich: bewußt auf die Herstellung binnenmarktähnlicher Strukturenin der EG vorerst verzichten und eine Liberalisierung der Teilmärkte

1 Vgl. dazu Reimer Schmidt, Generalreferat in Materialien des ZweitenWeltkongresses für Versicherungsrecht der AIDA, Bd. IV, Einfluß des Ver-haltens der Versicherten auf die Gefahrtragung (warranty, misrepresentation,concealment, räticences, dächeance; Obliegenheiten). Hamburg 1966, Karls-ruhe 1967.

2 Vgl. Sieg, Auswirkungen des EWG-Rechts auf die Versicherungswirt-schaft der Partnerstaaten und Drittländer, VW 1980, 14 ff. (16); zur Verwal-

tungspraxis im Rahmen von § 8 I Nr. 2 VAG bei Abweichung vgl. PrölssiSchmidt/Sasse, VAG, 8. Aufl . München 1978, § 8 Rn. 23 ff. (30 ff.).

s Dokument XIV/542/71.4 Hübner, Schwerpunkte einer Koordinierung des Versicherungsrechtes in

der Europäischen Gemeinschaft, ZVersWiss 1982, 221 ff.5 EuGH Rechtssache 33/74 Sammlung 1974, 1299; kritisch Rieger, Dienst-

leistungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft, VW 1975, 342 ff./343 ff.

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anstreben. Realistischerweise wird man fürs erste von einem Neben-einander nationaler Bedingungen und Versicherungsvertragsrechte aus-gehen und die Probleme internationalprivatrechtlich angehen müssen.

Die kollisionsrechtliche Frage ist, ob sich eine Anknüpfung findenläßt, die den räumlichen Interessen und den Schutzinteressen gerechtwird. Sofern letzteres nicht der Fall ist, werden der ordre public undandere internationalprivatrechtliche Mittel zur Durchsetzung territo-rialer Schutzinteressen zu beachten sein. Charakteristisch für dieseVerquickung des Kollisionsrechtes mit dem materiellen Recht ist derletzte Vorschlag der Kommission, der, am 29. Februar 1982 unter dä-nischem Vorsitz vorgelegt, an das paraphierte EG-Schuldrechtsabkom-mene anknüpft: Es wird zwar für die Großrisiken ausdrücklich — sonstwohl stillschweigend — Rechtswahlfreiheit eingeräumt'; das Schuld

-rechtsabkommen setzt aber zugleich bei Vorliegen bestimmter terri-torialer Anknüpfungsmomente territoriale Schutzrechte von Versiche-rungsnehmern, Versicherten und Drittgeschädigten durch8 .

Zuvor hatte man sich um eine rein kollisionsrechtliche Lösung be-müht, indem man sich für die Anwendbarkeit des Rechtes des Aufent-haltes des Versicherungsnehmers bzw. der Belegenheit des Risikosausgesprochen hat. Wohin der europäische Weg führt, ist unklar. EineBemerkung des Vorsitzes von März 1982 läßt selbst Ratlosigkeiterkennnen: Die verschiedenen Ansätze seien erfolglos geprüft worden.Dieser Befund ermöglicht und erfordert eine umfassendere Untersu-chung der verschiedenen Lösungswege: Zunächst sind die Anknüpfungs-möglichkeiten darzustellen, ihre Auswirkungen und Leistungsfähigkeitzu untersuchen (II). Zum anderen können angesichts der materiellenUnterschiede der ordre public und andere Institutionen der Durch-setzung materieller nationaler Interessen nicht ausgeklammert wer-den (III). Dabei wird zugleich noch einmal deutlich werden, daß einestärkere Liberalisierung und auch die Rechtswahl nicht unwesentlichvon einer materiellen Angleichung der Rechtsordnungen abhängig sind.

Vorab sei noch angemerkt: Die folgenden Ausführungen konzentrie-ren sich auf die Überlegungen, wie sie im Rahmen der Vorschläge füreine zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der die direkteSchadenversicherung betreffenden Rechts- und Verwaltungsvorschrif-ten und zur Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs im Ver-sicherungswesen angestellt worden sind.

6 Art. 5, AB1. EG Nr. L 266/1 ff. v. 9. 10. 1980.7 Vgl. auch Art. 3, 5 I.8 Art. 5 II.

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Bei der Rückversicherung9 und Transportversicherung'° war die Libe-ralisierung und ist die Parteiautonomie unproblematisch; der Mitver-sicherung11 hat sich die EG 1978 in einer Richtlinie angenommen; dieVersicherung auf dem Korrespondenzwege 12 ist gleichermaßen auf

-sichtsfrei wie die Parteiautonomie insoweit akzeptabel ist. Bei derLebensversicherung sind umgekehrt die Schutzprobleme noch akuter.Die gegenwärtigen Überlegungen erstrecken sich daher hauptsächlichauf den Bereich der Schadenversicherung.

II. Kollisionsrecht:Die Anknüpfungsmöglichkeiten, ihre Rechtfertigung und Auswirkungen

Für die Bestimmung des auf den Versicherungsvertrag anwendbarenRechts kommen vor allem in Betracht: die Parteiautonomie, das Rechtdes Abschluß- oder Erfüllungsortes, das Betriebsstatut des Versiche-rers, das Personalstatut des Versicherungsnehmers und das Recht desStaates, in dem das Risiko belegen ist.

1. Parteiautonomie

a) Die Liberalisierung durch Rechtswahlund die Problematik der Parteiautonomie

Die Rechtswahlfreiheit — an sich ohnehin herrschendes Prinzipdes internationalen Vertragsrechts13 — kommt der Liberalisierungund der Freiheit des Wettbewerbes der Idee nach am weitesten ent-gegen14. Auch wird an ihr die Rechtssicherheit gerühmt15 .

9 Richtlinie des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.2.1964 zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und desfreien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Rückversicherung undRetrozession, ABl. EG vom 4. 4. 1964, 878/64.

10 Vgl. Goldberg-Müller, VAG, Berlin 1980, § 105 RN 15.11 Richtlinie des Rates vom 30. 5. 1978 zur Koordinierung der Rechts- und

Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Mitversicherung auf Gemein-schaftsebene.

12 Zur Korrespondenzversicherung: Goldberg-Müller (Fn. 10), § 105 Rn. 14;Prölss/Schmidt/Sasse (Fn. 2), § 105, Rn. 5.

13 Kegel, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. München 1977, § 18 Ib; Neu-haus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 2. Aufl. Tübingen1976, § 33; Schnitzer, Handbuch des internationalen Privatrechts, Bd. I,4. Aufl. Basel 1957, S. 168 ff.; Schwimann, Grundriß des internationalen Pri-vatrechts, Wien 1982, S. 65 ff.

14 Vgl. Neuhaus S. 257; Lando- v. Hoffmann - Siehr (-Lando), EuropeanPrivate International Law of Obligations, Tübingen 1975, S. 128 - 136;Lando, Consumer Contract and Party Autonomy in the conflict of Laws,Melanges de droit compare en l'honneur du doyen Ake Malström, Stockholm1972, S. 153 - 154 (für eine starke Einschränkung der Rechtswahlfreiheit beiVersicherungsverträgen) v. Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), S. 415 Anm. 75;Vischer (3), Internationales Privatrecht, 1. Bd., Basel 1969, S. 671; Wörner,

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Letzteres ist bei ausdrücklicher Rechtswahl zutreffend, bei nichtexpliziter Vereinbarung des anwendbaren Rechts indes zweifelhaft.Auf die Unwägbarkeiten bei der Ermittlung des stillschweigendenund hypothetischen Parteiwillens sei hier nur hingewiesen 1 «.

Das eigentliche Problem der Parteiautonomie liegt aber darin be-gründet, daß das Versicherungsunternehmen auf das ihm günstigere(z. B. englische) Vertragsrecht ausweichen kann: dies zwar vielleichtweniger bei industriellen Risiken, bei welchen es mit einem wirt-schaftlich adäquaten Geschäftspartner in Beziehung tritt, zumindestaber im „Massengeschäft", bei den Jedermannversicherungszweigen.Dementsprechend hat es an Versuchen nicht gefehlt, die Parteiauto-nomie unter Schutzgesichtspunkten personenbezogen, versicherungs-zweigadäquat oder materiell einzuschränken.

b) Einschränkung der Rechtswahl durchpartielle Anwendung des Rechts des Belegenheitsstaates

in den nichtkaufmännischen Branchen

Charakteristisch ist hierfür das procedere des Vorschlags einer zwei-ten Richtlinie des Rates vom 30. Dezember 1975 zur Koordinierungder die direkte Schadenversicherung betreffenden Rechts- und Verwal-tungsvorschriften und zur Erleichterung des freien Dienstleistungsver-kehrs im Versicherungswesen17. Die Parteiautonomie wird dort in ma-terieller und in branchen- bzw. personenenbezogener Hinsicht einge-schränkt.

Z. f. Intern. Privat- und Öffentl. Recht 13 (1903), S. 371 - 372; für die Partei-autonomie im IVVR: Reichert-Faeilides, Zum Internationalen Versicherungs-vertragsrecht im Rahmen der EWG, Festschrift fün Antigono Donati, Rom1970, S. 477; ders., Rechtsfragen des Wettbewerbes zwischen inländischenund ausländischen Versicherern, Festschrift für Ernst Klingmüller, Karls

-ruhe 1974, S. 386; ders., Versicherungsverbraucherschutz und InternationalesPrivatrecht, Festschrift für Reimer Schmidt, Karlsruhe 1976, S. 1041; Moser,Vertragsabschluß, Vertragsgültigkeit und Parteiwille im InternationalenObligationenrecht, St. Gallen 1948, S. 239; Basedow, Le droit internationalprivd des assurances, Paris 1939, S. 58 ff. (61); Bruck-Möller, VVG 8 I: Kom-mentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den allgemeinen Versiche-rungsbedingungen unter Einschluß des Versicherungsvermittlerrechts, 8. Aufl.,1. Bd., Berlin 1961, Anm. 90 Einl. vor § 1, S. 84 (mit der Einschränkung, „daßder Versicherungsvertrag Auslandsberührung haben müsse"); Rothe, Überdeutsches internationales Privatversicherungsrecht, Leipziger Dissertation,Zeulenroda 1934, S. 19 - 28; Ehrenberg (-Hagen), Handbuch des gesamtenHandelsrechts, 8. Bd., 1. Abt., Leipzig 1922, S. 58.

15 Reichert-Facilides, Versicherungsverbraucherschutz und Internationa-les Privatrecht (Fn. 14), S. 1023 ff. (1041).

16 Vgl. dazu Kegel (Fn. 13), S. 292 ff.; es handelt sich hierbei im Grundeum Lokalisierung anhand objektiver Kriterien; vgl. Batiffol, Les conflicts delois en matiere de contracts, Paris 1938; vgl. ferner die Vertragsschwer

-punktlehre von Schnitzer (Fn. 13), S. 53.17 ABI. 19 (1976) Nr. C 32/2; abgedruckt auch bei Richter, Internationales

Versicherungsvertragsrecht, Frankfurt a./M. u. a. 1980, S. 256 ff.

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Nachdem Art. 4 Abs. 1 — jedenfalls für die in der Gemeinschaft be-legenen Risiken — grundsätzlich der Parteiautonomie Raum gewährtund Abs. 2 nur in Ermangelung einer Rechtswahl das materielleRecht des Staates für anwendbar erklärt, in dem das Risiko belegenist, bestimmt Art. 5 Abs. 1: Wenn das vereinbarte Recht nicht dasRecht des Staates ist, in welchem das Risiko belegen ist, gelten biszu einer späteren Koordinierung, die binnen drei Jahren erfolgenmuß, die zwingenden rechtlichen Vorschriften des Belegenheitsstaates,sofern sie betreffen:

— die Gefahranzeige und die Gefahrerhöhung sowie die Folgen derNichterfüllung dieser Obliegenheiten

— die Prämienzahlung und die Folgen der Nichtzahlung

— die Obliegenheiten bei Eintritt des Versicherungsfalles und die Fol-gen von deren Nichterfüllung

— die Voraussetzungen für die Vertragsbeendigung

und

— die Rechte Dritter.

Aus diesem Katalog ist zunächst abzulesen, was seitens der euro-päischen Instanzen als versicherungsvertragsrechtlicher Mindeststandardanzusehen und — später — auszugleichen ist. Es zeigt sich auch ganzdeutlich der — im Anschluß an Savigny vom Kollisionsrecht langenegierte1s — Zusammenhang zwischen IPR und materiellem Recht,zwischen Privatautonomie und materieller Gleichwertigkeit der inFrage kommenden Rechtsordnungen.

Nicht unproblematisch ist die Regelung dennoch, weil sie zu einem„Law-Mix", einem „Rechtsordnungscocktail" führt: materielles Rechtdes Belegenheitsstaates zu den genannten Punkten und vereinbartesRecht im übrigen. Das kann in Grenzbereichen darüber hinaus zuQualifikations- und Zuordnungsschwierigkeiten führen. Man denke nuran die Frage, ob etwas Obliegenheit oder deckungsumschreibenderRisikoausschluß ist. Dennoch findet sich dieses methodische Vorgehenauch im letzten Entwurf mit der Bezugnahme auf das Schuldrechts -abkommen wieder19 .

Art. 5 Abs. 2 des Vorschlags von 1975 hebt dann aber die Einschrän-kungen der Parteiautonomie zugunsten des Rechts des Belegenheits-staates für die „kaufmännischen", die industriellen und professionellenBranchen wieder auf. Dieser Differenzierung zwischen kaufmännischem

18 Vgl. Hübner, Die methodische Entwicklung des Internationalen Wirt-schaftsrechts, Konstanz 1980, S. 17 ff.

19 Siehe nachstehend c).

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und nichtkaufmännischem Bereich, wie sie durch das Handelsrecht alsSonderprivatrecht der Kaufleute vorgezeichnet ist, wird man auch imZeitalter des Verbraucherschutzes ihre grundsätzliche Berechtigungnicht versagen können; das zeigen auch neuere Konsumentenschutz -normen wie § 24 Abs. 1 Nr. 1 AGBG oder § 38 Abs. 1 ZPO.

Die richtigen Kriterien zu finden, ist freilich schwierig. Dies gilt fürdas Grundsätzliche wie für die technische Durchführung. Die Differen-zierung zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann, wie sie das deutscheHGB in §§ 1 ff. vornimmt, ist für die Frage, ob jemand bei interna-tionalen Versicherungsgeschäften schutzwürdig ist, wohl nicht ganz dasgeeignete Kriterium: Übersieht ein Ladeninhaber, ein kleiner odermittlerer Unternehmer die Konsequenzen der Anwendbarkeit aus

-ländischen Versicherungsvertragsrechts und ausländischer Bedingun-gen? Art. 6 Abs. 1 des Vorschlages von 197520 orientierte sich deshalbstärker an den Versicherungszweigen und zusätzlich an Größenmerk-malen. Vertragsfreiheit sollte gelten für die Sparten: Schienenfahrzeug-Kasko, Luftfahrzeug-Kasko, See-, Binnensee- und Flußschiffahrts-Kasko, Transportgüter-, Luftfahrzeug-, See-, Binnen- und Flußschiff-fahrts-Haftpflicht sowie Kredit und Kaution, wenn der Versicherungs-nehmer die Kaufmannseigenschaft hat und das zu deckende Risiko zuseiner beruflichen Tätigkeit gehört. Uneingeschränkte Parteiautonomiesollte ferner für die Branchen Feuer, Elementarschäden, sonstige Sach-schäden, allgemeine Haftpflicht und verschiedene finanzielle Verlustegelten, wenn sie Gegenstand eines Versicherungsvertrages sind, der aufeigene Rechnung und/oder Rechnung Dritter von einer juristischen odernatürlichen Person genommen wird, die ganz oder teilweise an derVersicherung interessiert ist und die nach ihrer Rechtsordnung dieEigenschaft eines Kaufmanns besitzt, und wenn ferner bei Feuer- undElementarschäden die Risiken mindestens sieben Millionen Rechnungs-einheiten bzw. die Gesamtversicherungssumme bei Feuer- und Elemen-tarschäden, sonstigen Sachschäden und verschiedenen finanziellen Ver-lusten mindestens zehn Millionen Rechnungseinheiten beträgt21 . Hierausergeben sich a contrario auch die „Jedermannversicherungszweige",für welche die Parteiautonomie eingeschränkt ist: z. B. die Kfz-Brancheund die Rechtsschutzversicherung, auch wenn der VersicherungsnehmerKaufmann ist; die anderen Branchen, wenn es an der Kaufmanns

-eigenschaft oder an einer der weiteren notwendigen Voraussetzungenfehlt.

20 Art. 6 Abs. I a i. V. m. Ziff. 4, 5, 6, 7, 11, 12, 14, 15 der Anlage A im An-hang zur Ersten Koordinierungsrichtlinie (PrölsslSchmidt/Sasse (Fn. 2), An-hang 11 a, S. 1012 f.).

21 Art. 6 Abs. 1 b 1. V. m. Ziff. 8, 9, 13, 16 der Anlage A zur ersten Koordi-nierungsrichtlinie.

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Diese Abgrenzung der Bereiche, für die nach Art. 6 Abs. 1 und Art. 5Abs. 2 Genehmigungsfreiheit und uneingeschränkte Rechtswahlfreiheitgelten sollte, ist in mehrfacher Hinsicht kritisiert worden: Internationalgesehen, gibt es in der Tat keinen einheitlichen Kaufmannsbegriff: In

Italien sind z. B. auch die freien Berufe „imprenditori " 22. Auch über dieGrößenordnungsmerkmale läßt sich streiten; es bleibt zu überlegen,ob nicht im Interesse kleinerer oder mittlerer Unternehmen allgemeinhöhere oder eventuell auch mehrere Größenmerkmale (Prämienvolu-men, Bilanzsumme, Summe der Umsatzerlöse, Zahl der Arbeitnehmeretc.) zur Abgrenzung herangezogen werden sollten's. Dadurch ließesich eventuell auch eine Umgehung der Größenordnung der Versiche-rungssumme durch Aufspaltung der Verträge oder der Unternehmens-einheit vermeiden. Im vollen Bewußtsein der technischen Problematikeiner solchen branchenspezifischen Abgrenzung erscheint mir dieserWeg, wenn man danach einheitlich die Parteiautonomie vom Recht desBelegenheitsstaates oder des Sitzes des Versicherungsnehmers abgren-zen würde, methodisch sauberer und erfolgversprechender als dasNebeneinander von gewähltem Recht und zwingendem Schutzrecht desBelegenheitsstaates, auf das der letzte Vorschlag wieder hinauslaufenkönnte.

c) Einschränkung der Rechtswahl durch Anwendungdes Rechts des Aufenthaltsortes eines Verbrauchers

Der Vorschlag des Vorsitzes vom 29.2. 1982 nimmt in Art. 6 auf dasSchuldrechtsabkommen Bezug: „Für Verträge, die sich auf die in Art. 7Abs. 1 dieses Titels genannten Risiken erstrecken, gelten die Art. 3bis 16, 18 und 19 des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufge-legten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse an-zuwendende Recht." Art. 7 Abs. 1 des Vorschlags des Vorsitzes vom29.2.1982, der die Genehmigungsfreiheit der Bedingungen betrifft,nimmt Bezug auf die in Anhang A24, Nr. 4, 5, 6, 7, 11, 12, 14 und 15 auf

-geführten Risiken (also die erwähnten Transport-, Kredit- und Kau-tionsrisiken), ferner auf Nr. 8, 9, 13 und 16, d. h. die Versicherung vonFeuer- und Elementarschäden, sonstigen Sachschäden, die AllgemeineHaftpflicht- und Versicherung verschiedener finanzieller Verluste,sofern der Versicherungsnehmer beruflich eine Handels-, Gewerbe-

22 Vgl. Hübner, Allgemeine Geschäftsbedingungen und InternationalesPrivatrecht, NJW 1980, 2601 ff. (2606).

23 Vgl. Hübner, Verhaltensabhängige Risikoausschlüsse und verhüllte Ob-liegenheiten, VersR 1978, 981 ff. (987); vgl. auch das procedere im Publizitäts-gesetz v. 15. 8. 1969 (BGBl. I, 1189): Bilanzsumme über 125 Mio. DM, Jahres-umsatz über 250 Mio. DM, mehr als 5 000 Arbeitnehmer (zwei Merkmalemüssen erfüllt sein), weitergehend jetzt die Vierte EG-Richtlinie v. 25. 7. 1978,AB1. EG Nr. L 222 v. 14. 8. 1978, S. 11 f.

24 Abgedruckt bei Prölss/Schmidt/Sasse (Fn. 2), S. 1012 ff.

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oder freiberufliche Tätigkeit ausübt, das Risiko mit dieser zusammen-hängt und ferner bei bestimmten Risiken Schwellenwerte (10 bzw.50 Mio. ECU) erreicht werden.

Nach Art. 3 des in Bezug genommenen Schuldrechtsabkommensent-wurfes (SRA)25 gilt freie Rechtswahl, nach dessen Art. 4 hilfsweise dasRecht des Staates, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungenaufweist. Nach Art. 4 Abs. 2 SRA wird vermutet, daß dies das Rechtdes Aufenthaltsortes bzw. des Sitzes der Partei ist, welche die ver-tragstypische Leistung zu erbringen hat; Art. 4 Abs. 2 des Vorschlagespräzisiert dies dahingehend, daß der Vertrag die engsten Verbindungenzum Mitgliedsstaat der Dienstleistung hat.

Was aber „Mitgliedstaat der Dienstleistung" bedeutet, ist auch nichtklar: Ist es der Staat, in dem die Dienstleistung angeboten wird, oderder, in dem der die Dienstleistung Anbietende die Dienstleistung, alsodie Versicherungsdeckung, übernimmt. Hier liegt ein ausschlaggebenderZweifelspunkt: Im ersteren Fall gälte — in Ermangelung einer Rechts-wahl — in der Regel das Recht des Versicherungsnehmers, andernfallsdas Betriebsstatut des Versicherungsunternehmens.

Eine weitere Unklarheit, die nach diesem Vorschlag bleibt, ist dieBehandlung der nicht unter Art. 7 des Vorschlags fallenden „Jeder

-mannversicherungen". Da für sie der Genehmigungsvorbehalt erhaltenbleiben soll (Art. 7 II des Vorschlags), bliebe das aufsichtsrechtlicheMittel, deutschks VVG und deutsche AGB durchzusetzen, insoweit er-halten. Internationalprivatrechtlich wäre die Lage allerdings zweifel-haft. Folgte man der Parteiautonomie als herrschendem Grundsatz desInternationalen Vertragsrechts, so wäre eine Rechtswahl und mithineine Durchsetzung des Rechts des Versicherungsunternehmens möglich.Hier wären dann aber — soweit die Verwendung von AllgemeinenGeschäftsbedingungen gegenüber Nichtkaufleuten in Frage steht —in Deutschland § 10 Nr. 8 und § 12 AGBG zu beachten: Rechtswahlist nur bei — was immer das heißen mag — einem anerkennenswertenInteresse zulässig. Außerdem müßten die AGBG-Vorschriften berück

-sichtigt werden, wenn der Vertrag aufgrund eines öffentlichen Ange-bots, einer öffentlichen Werbung oder einer ähnlichen in Deutschlandentfalteten geschäftlichen Tätigkeit des Verwenders zustandekommtund der andere Teil bei Abgabe seiner rechtsgeschäftlichen ErklärungWohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der BundesrepublikDeutschland hatte. Noch weitergehend bestimmt Art. 5 des Entwurfesdes Schuldrechtsabkommens: Bei Verträgen über Warenlieferungenund die Erbringung von Dienstleistungen an einen Verbraucher, zu

25 Art. 5, AB1. EG Nr. L 266, 1 ff. v. 9. 10. 1980.

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Zwecken, die nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zu-gerechnet werden können (Abs. 1), darf die Rechtswahl der Parteiennicht dazu führen, daß dem Verbraucher, der durch die zwingendenBestimmungen des Rechts des Staates, in dem er seinen gewöhnlichenAufenthalt hat, gewährte Schutz entzogen wird, wenn dem Vertrags

-schluß ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung in diesem Staatvorausgegangen ist und wenn der Verbraucher in diesem Staat diezum Abschluß des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen vorge-nommen hat oder wenn der Vertragspartner des Verbrauchers odersein Vertreter die Bestellung des Verbrauchers in diesem Staat ent-gegengenommen hat 26 .

Ausgenommen sind nach Art. 5 Abs. 4 lit. b) wiederum nur Verträgeüber die Erbringung von Dienstleistungen, w,nn die dem Verbrauchergeschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staatals dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinengewöhnlichen Aufenthalt hat — ein Fall, der auf die Versicherung sel-tener zutreffen dürfte.

Die Konsequenz dieser Durchsetzung territorialer Verbraucherschutz-interessen, auf die für den deutschen Bereich im zweiten Teil näher

eingegangen werden soll, ist bei Wahl des Rechtes des Versicherungs-unternehmens die kumulative Anwendung zweier Rechtsordnungen27 .

Für den Bereich der Pflichtversicherungen ist dies in Art. 6 Abs. 3 desVorschlages ausdrücklich gesagt: Bei Verträgen, die ein Risiko decken,für das im Mitgliedsland eine Pflichtversicherung vorgeschrieben ist,sind die in diesem Staat (Belegenheitsstaat? Formulierung unklar)geltenden zwingenden Vorschriften zu beachten. Es fragt sich indes, obsich diese mit Komplikationen verbundene Überlagerung mehrererRechtsordnungen nicht sinnvollerweise durch einen anderen kollisions-rechtlichen Ansatzpunkt vermeiden ließe.

2. Abschluß-, Erfüllungsort, Betriebsort des Versicherungs-unternehmens als Anknüpfungselemente

a) Abschlußort

Zu denken wäre als feste Anknüpfungsregel an das Recht des Ab-schlußortes. Auf diese Weise würde — so könnte man meinen — zu-

mindest bei den Tatbeständen des Art. 5 SRA und § 12 AGBG, wennim Inland eine entsprechende Werbung oder sonstige Aktivität statt-

26 Die dritte Alternative betrifft Warenkäufe, die auf vom Verkäufer ver-anstalteten Reisen getätigt werden; das wäre auch für Versicherungsver-träge denkbar, diese sind aber dort nicht erfaßt.

27 Nur bei fehlender Rechtswahl gilt gem. Art. 5 Abs. 3 des SRA das Rechtdes Staates des Aufenthaltsortes des Verbrauchers.

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findet, das inländische Recht des „Abschlußortes" anwendbar. DieserSchluß wäre indes verfehlt, da der Abschluß erst mit der Annahme desentsprechenden Antrages perfekt wird. Der ausländische Versichererhätte es also durchaus in der Hand, den Abschluß in sein Sitzland zuverlegen. Auch ist die Praxis, insbesondere in den romanischen Län-dern, in denen heute bei internationalem Vertragsrecht noch auf dasRecht des Abschlußortes abgestellt wird, keineswegs einheitlich. Teilswird auf den Ort der Abgabe der Annahmeerklärung, teils auf denEmpfang der Annahmeerklärung durch den Antragenden abgestelltes.Manipulierbarkeit, Zufälligkeit, innere Beziehungslosigkeit und dieTatsache, daß der Abschlußort — deswegen — allgemein außer Modegekommen ist, sprechen dagegen, in dieser Anknüpfung eine Lösungzu suchen.

b) Erfüllungsort

Eine andere Möglichkeit wäre die Anknüpfung an den Erfüllungs-ort, die sich im Anschluß an Savigny's29 Lehre „Sitz des Rechtsverhält-nisses" in der deutschen Rechtsprechung als Hilfsanknüpfung durch-gesetzt hat90 . Die Maßgeblichkeit des Erfüllungsortes wäre allerdingszum Schutz des Versicherungsnehmers nur dann tauglich, wenn mandie Geldleistung im Versicherungsfall als vertragstypische Leistungund als den Erfüllungsort den Sitz des Versicherungsnehmers ansieht.Von der Gefahr einer Vertragsspaltung der gegenseitigen Leistungenabgesehen, ist zumindest zweifelhaft, ob der Sitz des Versicherungs-nehmers den Erfüllungsort der Leistung des Versicherers im Ver-sicherungsfalle darstellt. Im Zweifel ist der Sitz des Schuldners derGeldleistung Erfüllungsort. Dies heißt dann aber: Anwendbarkeit desRechtes des (ausländischen) Versicherers im Versicherungsfall mit derFolge, daß den Schutzinteressen des Versicherungsnehmers insoweitkaum Genüge getan wäre.

c) Betriebsort des Versicherers

Letzteres gilt auch im Hinblick auf einen überkommenen' und injüngerer Zeit von Richter32 wieder aufgegriffenen Vorschlag, das Ver-tragsrecht nach dem Betriebsort des Versicherungsunternehmens zubestimmen. Das mag zwar in Fällen, in denen das ausländische Ver-

28 Vgl. Richter (Fn. 17), S. 41 m. w. N.29 System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, Berlin 1849, S. 2 f., 28,

120 ff.s9 Vgl. BGH NJW 1960, 1720; BGHZ 19, 110; für das Versicherungsver-

tragsrecht: RGZ 106, 58; w. N. bei Richter (Fn. 17), S. 42, Fn. 4.31 Bruck-Möller (Fn. 14), Anm. 91 Einl. vor § 1, S. 84 - 85; Nußbaum,

Deutsches internationales Privatrecht: Unter besonderer Berücksichtigung desösterr. und schweiz. Rechts, Tübingen 1932, S. 231.

32 S. 64 ff.

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sicherungsunternehmen im Inland eine Niederlassung unterhält — wasbislang in der Regel nötig war — zu billigenswerten Ergebnissen füh-renS3, muß aber insbesondere bei Herstellung der Dienstleistungsfrei-heit zu Lasten des Versicherungsnehmers gehen. Das für die Anknüp-fung an den Betriebsort ins Feld geführte Interesse des Versicherungs-unternehmens, seine Verträge einer einzigen Rechtsordnung unterstelltzu sehen34, kann wohl kaum über die Interessen des Versicherungs-nehmers, seinen „Heimstandard" gewährleistet zu sehen, hinwegtäu-schen.

3. Recht des Sitzes oder Aufenthaltes des Versicherungsnehmersund Belegenheit des Risikos als Anknüpfungsmomente

Kollisionsrechtlich an dieser Zielvorstellung der Sicherung des „hei-mischen Standards" orientiert waren schon der Entwurf des Comite

Europeen des Assurances von 1967 35 und zuletzt der Vorschlag für eineRichtlinie vom 13.10.1980. Der CEA-Entwurf knüpft prinzipiellan den Wohnsitz des Versicherungsnehmers an, für versicherte Immobi-lien an den Belegenheitsort und für Kraftfahrzeuge an das Land derZulassung'°.

Nach einem Änderungsvorschlag vom 7.2. 1978 (Art. 4) zur zweitenRichtlinie37 sollte grundsätzlich das Recht des Belegenheitsortes maß

-geblich sein — vorbehaltlich der Parteiautonomie für die in Art. 4Abs. 2 definierten kaufmännischen Risiken. Art. 5 Abs. 1 des Richt-linienvorschlages von 1980 stellte den Grundsatz auf: Hat der Versi-cherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort oder seine Haupt-verwaltung im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, in dem das Risikobelegen ist, so richtet sich das auf den Versicherungsvertrag anwend-bare Recht nach dem Recht dieses Mitgliedsstaates.

Diese Ansätze führen zu dem grundsätzlich wohl billigenswertenErgebnis, daß normalerweise das Heimatrecht des Versicherungsneh-mers anwendbar ist. Indes erscheint zweifelhaft, ob kollisionsrechtlichdie Anknüpfung an den Belegenheitsort oder das Heimatrecht die bes-sere Lösung ist.

a) Recht der Belegenheit des Risikos

Was die lex rei sitae betrifft, so sind aus dem IPR die Schwierig-keiten bekannt, die insbesondere bei beweglichen Sachen — z. B.Kraftfahrzeugen — ihre Bestimmung und der Statutenwechsel berei-

33 So in BGHZ 9, 34 (41).34 Dies hält für ausschlaggebend Richter (Fn. 17), S. 67.35 Rev. gen.ass.terr. 38 (1967), S. 241 f., abgedruckt bei Richter (Fn. 17),

S. 187.3ß Dadurch werden die Probleme des Statutenwechsels vermieden.37 Dok. XV/48/78-DE; abgedruckt bei Richter (Fn. 17), S. 268 ff.

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ten38. Der Statutenwechsel, d. h. der — u. U. häufige — Wechsel desanwendbaren Versicherungsvertragsrechtes wäre aber keine erstrebens-werte Lösung. Das spricht eher für eine Anknüpfung an das Heimat

-recht. Als Argument für letzteres läßt sich zudem ins Feld führen, daßdieses kollisionsrechtlich am effizientesten den „heimischen" Statusgarantiert.

Insoweit ergeben sich nun weitere rechtstechnische Fragen: Soll aufdie Nationalität, den Wohnsitz oder Aufenthalt des Versicherungs-nehmers abgestellt werden?

b) Recht des Aufenthaltes bzw. Sitzes

Im IPR ist ganz allgemein der gewöhnliche Aufenthalt als Anknüp-fungsmoment im Vordringen. Dies führt insbesondere bei Gastarbeiternzu einer Einbettung in die Rechtsordnung des Aufenthaltslandes, wasaber in der Regel kaum eine Verschlechterung mit sich bringen dürfte.Umgekehrt ergeben sich für denjenigen, welcher sich in ein Land miteinem geringeren Standard begibt, Gefahren, die er bei einer An-knüpfung an die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz nicht liefe.Jedoch wird man annehmen dürfen, daß derjenige, welcher in einemanderen Staate Aufenthalt nimmt, mit dem Recht des Aufenthalts-staates sich vertraut macht oder sich zumindest vertraut machen kann.Auch insoweit erscheint der Aufenthaltsort ein räumlich richtigesKriterium.

Für juristische Personen stellt der Vorschlag auf den Sitz der Haupt-verwaltung ab. Dies steht im Einklang mit der im kontinental-euro-päischen Bereich für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts herr-schenden Sitztheorie 39: Maßgebend ist hierfür das Recht am Sitz derGesellschaft, das sich wiederum nach dem Ort bestimmt, an dem effek-tiv die Hauptverwaltung ausgeübt wird.

Eine weitere Frage ist, ob kumulativ noch daran angeknüpft werdensoll, daß das Risiko in demselben Staat belegen ist. Das ist an sichüberflüssig, muß aber im Zusammenhang mit Abs. 2 gesehen werden:Fallen Ort des Aufenthaltes bzw. der Hauptverwaltung einerseits undBelegenheitsort andererseits auseinander, so können die Parteien daseine oder das andere Vertragsrecht wählen. Das in der Provence gele-

38 Vgl. Kegel (Fn. 13), S. 330 ff.,; Hübner, Internationalprivatrechtliche An-erkennungs- und Substitutionsprobleme bei besitzlosen Mobiliarsicherheiten,Zip 1980, 825 ff.; ders., Die Behandlung ausländischer besitzloser Mobiliar

-sicherheiten in Frankreich, JuS 1974, 151 ff. (152 f.).$s Dazu Großfeld, Praxis des internationalen Wirtschaftsrechts, Reinbek

1975, S. 44 ff.; ders. in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, Berlin1981, RN. 29 ff.; Ebenroth, Die verdeckten Gewinnausschüttungen in trans-nationalen Unternehmen, Bielefeld 1979, S. 334 ff., 367 ff.

3 Zeitschr. f. d. g. Versicherungsw. 1

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gene Ferienhaus des deutschen Versicherungsnehmers kann also nachfranzösischem oder deutschem VVG versichert werden. Nicht hingegenkann ein englischer Versicherer es nach englischem Recht versichern. Indiesen Fällen gibt es gute Gründe für die Wahl zwischen beiden Rechts-ordnungen: Wer „Auslandsrisiken" hat, dem ist auch zuzutrauen, daßer sich über das dort herrschende Recht Klarheit verschafft.

Was die Bestimmung der Belegenheit des Risikos betrifft, so war vonden Schwierigkeiten bei beweglichen Sachen schon die Rede. Bei Kraft-fahrzeugen usw. würde man wohl besser an das Recht des Zulassungs-staates o. ä. anknüpfen. Bei Haftpflichtrisiken wäre klarzustellen, obdie Belegenheit der Risikoquelle oder der Schadeneintrittsort maßgeb-lich sind.

In Abs. 3 wird für den kaufmännischen Bereich und die multistaat-liche Unternehmenstätigkeit eine weitere Rechtswahlmöglichkeit ein-geräumt: Übt der Versicherungsnehmer eine Handels- oder Gewerbe-tätigkeit aus — der landwirtschaftliche und freiberufliche Sektor istumstritten — und deckt der Vertrag solche im Zusammenhang mitdieser Tätigkeit stehende Risiken, die in mehreren Mitgliedstaaten be-legen sind, so kann ein Recht dieser Staaten oder das des Aufenthaltesbzw. der Hauptverwaltung des Versicherungsnehmers gewählt werden.Auch diese Vorschrift erscheint sachlich gerechtfertigt: Den multinatio-nal (transnational) tätigen Unternehmen darf man die hinreichendeWahrnehmung ihrer Interessen gegenüber den Versicherungsunterneh-men zutrauen. Bei der Ausdehnung auf den landwirtschaftlichen undfreiberuflichen Sektor erscheint allerdings eine gewisse Vorsicht amPlatze. Es dürfte aber auch nur ein begrenzter Kreis, der internationalerfahren ist (große „Anwaltsfirmen", Wirtschaftsprüfungsgesellschaf-ten etc.), dafür in Frage kommen.

Abs. 4 enthält eine stand-still-Klausel; wenn die Staaten heute schonin weiterem Umfang Rechtswahlfreiheit gewähren, so bleibt dieseerhalten.

Abs. 5 sieht völlige Rechtswahlfreiheit für die Wasser- und Luft-transportrisiken vor (Nr. 4 - 7 Anhang), wobei dies für die Haftpflicht

(Nr. 11, 12) umstritten ist.

Abs. 6 enthält dann bezüglich der Parteiautonomie noch eine be-grüßenswerte Klarstellung: Soweit Rechtswahl möglich ist, muß dieseausdrücklich sein oder sich mit Sicherheit aus Vertragsbestimmungenoder den Umständen des Falles ergeben. Dann wird aber hilfsweisedas Recht des Staates für anwendbar erklärt, zu dem der Vertrag dieengsten Beziehungen aufweist. Besser wäre es hier, sogleich auf dasRecht des Versicherungsnehmers oder der Belegenheit (so Abs. 6 a. E.)abzustellen.

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Ungeachtet eher peripherer Kritik erscheint dieser Vorschlag ge-eignet, die vertragsrechtlichen Probleme kollisionsrechtlich zu lösen.Auf diese Art und Weise würde jedenfalls vermieden, daß territorialeSchutzinteressen gegen das gewählte Recht wieder durchgesetzt wer-den. Rechtswahlfreiheit wäre dann auch partiell. Augenwischerei, wennder nationale Standard auf andere Weise durchgesetzt wird. Da dieDiskussion um die Parteiautonomie keineswegs beendet ist, bedürfendiese Möglichkeiten noch einer näheren Erörterung.

III. Durchsetzung nationaler Schutzinteressen überordre public und territoriale Verbraucherschutznormen

1. Ordre public

Ein klassisches Mittel zur Durchsetzung nationaler Rechtsvorstel-lungen ist der in Art. 30 EGBGB erwähnte ordre public. Erforderlichist dafür an sich ein krasser Widerspruch zu grundlegenden deutschenRechtsanschauungen40 .

Indes: Von Savigny eher als Ausnahmeerscheinung angesehen, hatdieses Rechtsinstitut erhebliche „Breitenwirkung" erzielt41 . Dabei sindeventuell auch Differenzierungen zwischen Kaufleuten und Nichtkauf-leuten denkbar, der Vorbehalt gilt aber im Prinzip für alle Versiche-rungsnehmer. Insgesamt läßt sich schwer prognostizieren, was für diedeutsche Rechtsprechung alles zum „ordre public" gehört.

Für einen nicht unmaßgeblichen Bereich, den § 6 VVG, haben sichBruck-Möller32 und Sieg43 festgelegt: „Der Kern des § 6 VVG gehörtgleichsam zum ordre public des Versicherungsrechtes". Diese Äußerun-gen sind zwar im Zusammenhang mit dem internen Problem der „ver-hüllten Obliegenheiten" gefallen, müssen aber möglicherweise auf dieinternationale Fragestellung übertragen werden44. Das hieße dann,daß die rigorosen Sanktionen bei „warrenties" im kaufmännischen wieim nichtkaufmännischen Sektor gegen den deutschen ordre public ver-stießen.

Eine abschließende Beurteilung dessen, was zum ordre public zähltund was nicht, ist schwer möglich. Es sei nur genannt, was in diesem

40 Palandt-Heidrich, BGB, 42. Aufl. München 1983, Art. 30 EGBGB Anm. 1.41 Vgl. dazu Hübner (Fn. 18), S. 19 ff.42 Bruck-Möller (Fn. 14), § 6 Anm. 15, 110.43 Sieg, Obliegenheiten und sekundäre Risikobeschränkungen im Versiche-

rungsvertragsrecht, BB 1970, 106 ff. (109).44 Ablehnend für den internationalen ordre public allerdings Bruck-Möller

(Fn. 14), Einleitung, Anm. 96; weitergehend für die Beachtung zwingenderVorschriften des Versicherungsvertragsrechts WengIer, Zeitschrift für ver-gleichende Rechtswissenschaft, Bd. 54, 168 ff., 211.

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Zusammenhang alles als zum ordre public gehörig oder ordre-public-verdächtig behandelt wird: § 5 Abs. 4 VVG (Verzicht auf die

Irrtumsanfechtung), § 6 Abs. 4 VVG (Rücktritt bei Obliegenheitsver-letzung), § 8 Abs. 1 VVG (stillschweigende Verlängerung nur für1 Jahr), § 11 Abs. 4 VVG (keine Abdingbarkeit von Verzugszinszah-lungspflicht), § 81 Abs. 3 VVG (Abweichen von Erlöschen des Antragesbei Feuerversicherung)45; ferner zählt zum ordre public das Verboteiner betrügerischen Über- und Doppelversicherung46, grundsätzlichdas Bereicherungsverbot", die Zuständigkeitsregelung des § 48 VVG 48 ;

die Einwilligungserfordernisse der §§ 159 Abs. Ill, 179 Abs. III 1 VVG(Lebens- bzw. Unfallversicherung auf die Person eines anderen)49. Wei-tergehend nimmt Wengier50 an, daß alle zwingenden Normen des Ob

-ligationenrechts unabhängig vom Schuldstatut Anwendung finden.

Zu denken wäre auch an die von der Rechtsprechung angenommeneHaftung für Versicherungsvertreter und aus Sozialgesichtspunkten aneine Einschränkung des Kündigungsschutzes in der Krankenversiche-rung sowie die Garantie der Stellung Dritter in den Pflichthaftpflicht

-versicherungen51 .

Erweist sich mithin der ordre public schon als im Umfang unge-wisse, aber in der Sache beachtliche Einbruchstelle, so wird dieser inder Wirkung möglicherweise noch von der Durchsetzung der Verbrau

-cherschutzinteressen im AGBG übertroffen52 .

2. § 12 AGBG und verwandte Schutzvorschriften

§ 12 AGBG ist keine klare Bestimmung: Sie ordnet an, daß beiVorliegen einer Werbung oder ähnlicher Aktivität im Inland und An-nahmeerklärung des Verbrauchers im Inland die Vorschriften desAGBG zu „berücksichtigen" sind.

Grundsätzlich ist insoweit vorab festzuhalten: Daß Allgemeine Ver-sicherungsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen sind, ist imPrinzip heute kaum mehr zu bestreiten53. Sie unterliegen daher der

45 Ablehnend insoweit Bruck-Mölier (Fn. 14), Einleitung, Anm. 96.Bejahend Bruck-Möller (Fn. 14), Einleitung, Anm. 96.

47 Bejahend Bruck-Mölier, wie vor.48 Bejahend Bruck-Möller, wie vor.49 Bejahend Bruck-Möller, wie vor.60 Wengler (Fn. 44), 168 ff. (178 ff., 211).51 Vgl. Hübner (Fn. 4), ZVersWiss 1982, 221 ff. (236 ff.).52 Vgl. dazu Reichert-Facilides, Auswirkungen des AGB -Gesetzes auf das

deutsche Internationale Versicherungsvertragsrecht, VersR 1978, 481 ff., 484.In Schweden existiert ein eigenes Konsumentenversicherungsgesetz, das sichmöglicherweise auch international durchsetzt; zu diesem Gesetz Hellner,Festschrift für Hans Möller, Karlsruhe 1972, S. 283 ff.

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Kontrolle nach dem AGB-Gesetz54. Das gilt im Prinzip auch für aus-ländische AGB, soweit das AGB-Gesetz anwendbar ist. Ansonsten sind

dessen Bestimmungen zu „berücksichtigen, wenn der Vertragsschlußauf eine der in § 12 Nr. 1 AGBG erwähnten Inlandsaktivitäten desausländischen Unternehmens zurückzuführen ist und der Vertragspart-ner in Deutschland Wohnsitz oder Aufenthalt hatte". Nicht anwendbarist die Vorschrift vor allem in zwei nennenswerten Fällen: im kauf-männischen Bereich (§ 24 I Nr. 1 AGBG) und dann, wenn sich derKunde aus eigenem Antrieb an einen ausländischen Unternehmerwendet55. Soweit aber die Voraussetzungen des § 12 AGBG vorliegen,sind auch die Klauselkataloge56 zu beachten; etwa: § 10 Nr. 1 fürAnnahme- und Leistungsfristen, § 10 Nr. 4 für Leistungsänderungsvor

-behalte, § 10 Nr. 6 für Zugangsfiktionen, § 11 Nr. 3 für Aufrechnungs-verbote, § 11 Nr. 15 für Beweislastklauseln, § 11 Nr. 16 für die Formvon Anzeigen, Erklärungen und besondere Zugangserfordernisse. Eben-so greifen auch die §§ 13 ff. AGBG ein57 : Verbände könnten also gegendie Verwendung ausländischer Allgemeiner Versicherungsbedingungenvorgehen, die gegen die Vorstellungen des AGB-Gesetzes verstoßen.

Was nun die Kontrolle ausländischer Allgemeiner Versicherungsbe-dingungen betrifft, so unterliegen diese in vollem Umfang den vomAGB-Gesetz angelegten Maßstäben, die gemäß § 12 AGBG zu „berück

-sichtigen" sind. Man wird daher annehmen müssen, daß ausländischeAllgemeine Versicherungsbedingungen auch insoweit der Kontrolleunterliegen, soweit sie — wie praktisch wohl nicht selten — ausländi-sche gesetzliche Bestimmungen oder Rechtsgrundsätze, welche dieRechtsprechung entwickelt hat, wiederholen, die an sich nicht erfaßtsind, weil sich das AGB-Gesetz nicht gegen ausländisches dispositivesGesetzesrecht wendet58. Im Fall ihrer Aufnahme in Allgemeine Ver-sicherungsbedingungen unterliegt ihr materieller Gehalt aber derKontrolle nach dem AGB -Gesetz. So könnten z. B. auch Sanktionen beiden warrenties, soweit sie in AVB wiederholt werden, nach dem AGBGfür unwirksam erklärt werden.

53 Vgl. nur Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 4. Aufl. Köln 1982, § 9 Rn. 17und Anh. §§ 9 - 11, RN. 850 f. m. w. N.; Sieg, Auswirkungen des AGB-Gesetzesauf Justiz und Verwaltung im Bereich der Privatversicherung, VersR 1977,489 ff.

54 Vgl. BGHZ 83, 169 zur Abwälzung von Sachverständigenunkosten undihre Unwirksamkeit nach § 9 AGBG bzw. § 242 BGB; zur Frage der Kon-trolle der Auslegung ausländischer AVB Jayme, Allgemeine Geschäftsbedin-gungen und Internationales Privatrecht, ZHR 142 (1978) 105 ff. (122).

55 Vgl. den Text des § 12 AGBG; Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 53), § 12Rn. 7.

b6 Vgl. dazu Ulmer/Brandner/Henson (Fn. 53), Anh. §§ 9- 11 RN. 856.57 Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 53), § 13 Rn. 24 m. w. N.; Hübner

(Fn. 22), NJW 1980, 2605.S8 Ulmer/Brandner/Hensen (Fn. 53), § 12 Rn. 13 m. w. N.

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Ein rechtstechnisch nicht vollständig geklärtes Problem ist, was derTerminus des § 12 AGBG bedeutet, inländisches Recht sei zu „berück -sichtigen" 59. Hier ist zu prüfen, ob das ausländische Recht einen äquivalenten Schutz bietet. Im Ergebnis dürfte damit eine konkrete Unter-suchung im Einzelfall, ob das ausländische Recht im Ergebnis einengleich hohen Standard an Versicherungsnehmerschutz gewährleistet,nicht zu umgehen sein80. Als Prüfungsmaßstab kommen die Klausel-kataloge der §§ 10, 11 AGBG und das Kriterium der Unangemessenheitin § 9 AGBG in Betracht; überraschende Bedingungen können im übri-gen schon an der Hürde des § 3 AGBG scheitern.

Im Ergebnis bedeutet all dies, daß jedenfalls im nichtkaufmännischenBereich bei der in § 12 AGBG vorausgesetzten Inlandsbezogenheit der„deutsche Standard" der AVB gefordert und durchgesetzt wird. Imkaufmännischen Bereich bleibt § 9 AGBG, wie dem § 24 Abs. 1 AGBGzu entnehmen ist, anwendbar; er deckt dann auch die Grundgedankender § 10 Nr. 8 und § 12 AGBG abß1 . Über das Erfordernis der Ange-messenheit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ja nach derRechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes 82 auch mit dem auf

-sichtsrechtlichen Kontrollmaßstab übereinstimmt, könnten dann aberauch im kaufmännischen Bereich versicherungsnehmerfreundliche Be-stimungen, die nach deutscher Auffassung zum Mindeststandard zählen,gegenüber ausländischen Versicherungsbedingungen durchgesetzt wer-den. Daß dabei eine große Rechtsunsicherheit die unvermeidliche Folge.ist, versteht sich angesichts des wenig konkreten Kriteriums der Ange-messenheit von selbst. Dieser Maßstab ist zusätzlich deshalb ein un-sicherer, weil für die Frage der Angemessenheit möglicherweise nachBranchen von Versicherungen und Typen von Kaufleuten weiter dif-ferenziert werden müßte.

Aus dem Gesagten sind m. E. zwei Konsequenzen abzuleiten:

(1) Solange die versicherungsvertragsrechtlichen Bestimmungen in deneuropäischen Rechtsordnungen so gravierende Unterschiede auf-weisen, sollte im Massengeschäft kollisionsrechtlich dem Versiche-rungsnehmer der territoriale Standard durch Anknüpfung an seinHeimatrecht, d. h. grundsätzlich das Recht des Aufenthaltsortesbzw. Sitzes des Versicherungsnehmers gewährleistet werden. DieseIPR-Regel stimmt auch mit der gegenwärtigen Praxis der Versiche-rungsaufsicht im Rahmen der Niederlassungsfreiheit überein. Hier-

5e Vgl. dazu Hübner (Fn. 22), NJW 1980, 2605 m. w. N. Fn. 59.80 Vgl. Hübner, wie vor; zur Berücksichtigung der materiellen Gerechtig-

keitsmaßstäbe des ausländischen Rechts: Reichert-Faci.lides (Fn. 52), VersR1978, 481 ff., 484.

81 Ulmer/Brandher/Hensen (Fn. 53), § 24 Rn. 19 und 22.82 BVerwGE 61, 59 ff. (B5 f.).

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durch würden Beeinträchtigungen des Schutzes von Versicherungs-nehmern, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Versicherungsun-ternehmen und eine erhebliche Rechtsunsicherheit vermieden. Aus-nahmen sind für Bereiche wie das Industriegroßgeschäft, die Rück

-versicherung, Transportversicherung oder Kreditversicherung zuzu-lassen bzw. schon zugelassen. Gleichstehenden und instruiertenPartnern kann die Vertragsgestaltung und Rechtswahl eher über-lassen werden, wobei aber auch hier in krassen Fällen der ordrepublic und, § 9 AGBG bedeutsam werden können.

(2) Für die anderen Bereiche ist vor der Einräumung der Rechtswahl-freiheit eine weitergehende Harmonisierung bzw. Koordinierung

des Versicherungsvertragsrechts notwendig, als sie bislang ins Augegefaßt ist. Um längere Wiederholungen zu vermeiden63, seien dieregelungsbedürftig erscheinenden Punkte nur schlagwortartig ge-nannt:

— Vor Vertragsschluß rechtzeitige Information über den Deckungs-umfang;

— Haftung des Versicherungsunternehmens für Erklärungen undmangelhafte Aufklärung durch Agenten;

— Angleichung der Sanktionen im Falle des Prämienzahlungsver-zuges;

— Angleichung des Rechtes der Anzeigepflichten bei Vertragsschluß,der Gefahrerhöhung und anderer Obliegenheiten einschließlichder Zurechnung einer Pflichtverletzung durch Dritte;

— Angleichung des Rechts der Vertragsbeendigung, insbesondereder Kündigung durch das Versicherungsunternehmen in der Per-sonenversicherung.

Bei alledem sind auch die intermittierenden Normen des allgemei-nen Zivilrechts, des Währungsrechtes und des Aufsichtsrechtes zu be-achten und in eine Koordinierung einzubeziehen. Solche — m. E. alleinsinnvolle — funktionale Rechtsangleichung macht die Aufgabe nichtleichter.

IV. Schluß

Betrachtet man die Alternativen und praktischen Lösungsmöglich-keiten im privatrechtlichen Sektor, so ist es angesichts der Unterschiedeim Versicherungsvertragsrecht und Deckungsschutz von der praktischenDurchführung her vorzugswürdig, sich zunächst einmal mit den Un-terschieden im Versicherungsvertragsrecht und Deckungsschutz abzu-

63 Hübner (Fn. 4), ZVersWiss. 1982, 221 ff.

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finden und — von den beschriebenen Ausnahmebereichen abgesehen —eine Liberalisierung der Teilmärkte anzustreben, d. h. das Recht desSitzes bzw. Aufenthaltes des Versicherungsnehmers anzuwenden.Rechtswahlfreiheit steht in engem Zusammenhang mit der Gleichwer-tigkeit der materiellen Rechte. Rechtsangleichung und Parteiautonomieals rechtliche Voraussetzung der Herstellung binnenmarktähnlicherStrukturen auf dem Versicherungssektor sind die erstrebenswertenZiele, aber realistischerweise mittelfristige. Dennoch: Die Versiche-rungsvertragsharmonisierung und Rechtswahlfreiheit bleiben euro-päische Zielvorgabe.