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Sesink – Vorlesung Informationstechnische Bildung. TUD WS 2006-07 1 Werner Sesink Informationstechnische Bildung Skript zur Vorlesung im WS 2006-07 TU Darmstadt

ITB 2006 Skript kompl - abpaed.tu-darmstadt.de · Sesink – Vorlesung Informationstechnische Bildung. TUD WS 2006-07 5 1. Einleitung: Zum Thema der Vorlesung Informationstechnische

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Sesink – Vorlesung Informationstechnische Bildung. TUD WS 2006-07

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Werner Sesink

Informationstechnische Bildung

Skript zur Vorlesung im WS 2006-07

TU Darmstadt

Sesink – Vorlesung Informationstechnische Bildung. TUD WS 2006-07

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung: Zum Thema der Vorlesung 2. Wie kommt der Computer in den Unterricht?

2.1 Ausgangspunkt 2.2 Didaktische Transformation 2.3 Transformation als Gestaltwandel 2.4 Wege der Transformation 2.5 Vermittlung 2.6 Eingrenzung der Vorlesungsthematik auf Unterricht

3. Strukturmodell Didaktische Transformation 3.1 Abfolge der Transformationsschritte – erste Übersicht 3.2 Die Vermittlungsaufgabe des Lehrens zwischen gesellschaftlichem

Auftrag und persönlichen Lernbedürfnissen und -interessen 3.3 Ein weiter Didaktikbegriff

4. Erster Transformationsschritt: Distanzierung (von) der Informationstechnik 4.1 Die Ursprünglichkeit der Sache 4.2 Unterricht und Entfremdung 4.3 Problematisierungen der Informationstechnik

5. Zweiter Transformationsschritt: Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz 5.1 Kriterien und Instanzen der Relevanzprüfung 5.2 Die gesellschaftliche Relevanz informationstechnischer Bildung

5.2.1 „Schlüsseltechnologie“ 5.2.2 „Informationsarbeit“ 5.2.3 Neue Kulturtechnik

6. Dritter Transformationsschritt: Institutionalisierung informationstechnischer Bildung 6.1 Schule als institutioneller Rahmen 6.2 Institutionalisierung informationstechnischer Bildung in den

Bundesländern – Stand der Dinge 6.2.1 Informationstechnische Grundbildung 6.2.2 Unterrichtsfach Informatik

7. Vierter Transformationsschritt: Intentionalisierung Informationstechnischer Bildung – Fachdidaktik und Lehramt 7.1 Die Perspektive der Fachdidaktik 7.2 Vermittlung offizieller Bildungsziele mit persönlichen Lehrintentionen

7.2.1 Übernahme des Lehramts 7.2.2 Grenzüberschreitung didaktischer Reflexion

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8. Vierter Transformationsschritt: Intentionalisierung Informationstechnischer Bildung – Vom Wissen zur Bildung 8.1 Wissensvermittlung 8.2 Kompetenzvermittlung 8.2.1 Bildungsstandards

8.2.2 Informatische Kompetenz 8.2.3 Medienkompetenz als Kommunikative Kompetenz 8.2.4 Medienkompetenz als Bedienungskompetenz

8.3 Der Bildungssinn der Informationstechnik 9. Vierter Transformationsschritt: Intentionalisierung

Informationstechnischer Bildung – Dimensionen von Medienkompetenz 9.1 Sachbezogene Kompetenzen

9.1.1 Instrumentell-pragmatischer Zugang (Anwendungskompetenz) 9.1.2 Theoretischer Zugang (Fachliche Kompetenz) 9.1.3 Praktisch-reflexiver Zugang (Gestaltungskompetenz;

Verantwortungsfähigkeit) 9.2 Prozessbezogene Kompetenzen

9.2.1 Sozialkompetenz (Teamfähigkeit) 9.2.2 Vermittlungskompetenz 9.2.3 Autodidaktische Kompetenz

10. Fünfter Transformationsschritt: Erschließung der Sachstruktur 10.1 Prinzipien der Sacherschließung

10.1.1 Praxisprinzip 10.1.2 Wissenschaftsprinzip 10.1.3 Diskussion und Vermittlung der beiden Prinzipien

10.2 Sachzugänge 10.2.1 Exemplarisches (das Besondere, der Fall, das Vorbild) 10.2.2 Fundamentales 10.2.3 Kategoriales

10.3 Sacherschließung in der Didaktik Informationstechnischer Bildung 10.3.1 Rechner 10.3.2 Algorithmen 10.3.3 Anwendung 10.3.4 Technische Semiotik 10.3.5 Modellierung

11. Sechster Transformationsschritt: Methodische Transformation – Erschließung der Sachstruktur 11.1 Anknüpfen an die Lern-Vorgeschichte 11.2 Probleme in der Lern-Vorgeschichte

11.2.1 Defizite auf der Stufe des ersten Transformationsschritts (Distanzierung/Problematisierung)

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11.2.2 Defizite auf der Stufe des zweiten und dritten Transformationsschrittes (Vergesellschaftung/Prüfung gesellschaftlicher Relevanz/Institutionalisierung)

11.2.3 Defizite auf der Stufe des vierten und fünften Transformationsschritts (Intentionalisierung/Strukturierung)

12. Sechster Transformationsschritt: Methodische Transformation – Lernbarmachen der Sache (Lernhilfen) 12.1 Vereinfachung des Inhalts 12.2 Vereinfachung der Darstellung

12.2.1 Vereinfachung der Sprache 12.2.2 Übersichtlichkeit der Darstellung

12.3 Veranschaulichung 12.3.1 Medieneinsatz 12.3.2 Anschaulichkeit und Abstraktion 12.3.3 Verlebendigung

13. Siebter und achter Transformationsschritt: Aneignung und Praktischwerden 13.1 Aneignung

13.1.1 Aktivierende Lehrformen 13.1.2 Produktives Lernen

13.2 Praktischwerden Literaturverzeichnis

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1. Einleitung: Zum Thema der Vorlesung Informationstechnische Bildung ist ein Thema, das Sie, die Hörer/innen dieser Vorlesung, in unterschiedlicher Weise angeht. Einige von Ihnen bereiten sich darauf vor, das Fach Informatik an Schulen zu unterrichten. Andere wollen Lehrer/innen für verschiedene andere Fächer werden, wollen (oder müssen) sich allerdings mit der Perspektive auseinandersetzen, künftig in ihren jeweiligen Fachzusammenhängen oder auch fachübergreifend die Bedeutung der Neuen Technologien als Unterrichtsgegenstand mit zu reflektieren. Etliche von Ihnen haben zwar nicht vor, an die Schule zu gehen, sondern beispielsweise in Institutionen der Erwachsenenbildung, sehen sich aber gleichwohl ebenfalls mit der Frage konfrontiert, welchen Stellenwert die Beschäftigung mit den Neuen Technologien in ihrer pädagogischen Arbeit – in welcher Einrichtung auch immer – haben wird oder soll. Sie alle sollen etwas von dieser Vorlesung haben.

Der Titel der Vorlesung enthält zwei Begriffe: Bildung und Informationstechnik. Der Begriff Bildung fungiert als Substantiv, womit diesem Begriff das Hauptgewicht zugemessen ist. Der Begriff Informationstechnik fungiert als Adjektiv zu Bildung, bezeichnet hier also eine Spezifizierung von Bildung; sozusagen einen besonderen Focus, unter dem Bildung thematisiert wird.

Der Begriff Bildung wird hier im traditionellen pädagogischen Sinne verwandt. Er bezeichnet also nicht einfach nur irgendein Lernen, sondern ein Lernen besonderer Qualität. Diese besondere Qualität ist die Selbstbestimmung des Lernenden; und zwar Selbstbestimmung in dem doppelten Sinne, dass das Lernen in seinen Inhalten und Formen nicht von einer fremden Instanz diktiert wird; und dass es in seinem Gehalt auf wachsende Autonomie und bestmögliche Entfaltung der Potentiale der lernenden Person gerichtet ist. Für die Intention, die mit dem Engagement für eine solche Qualität des Lernens verbunden ist, steht auch der Begriff der Mündigkeit.

Es ist also schon durch den Titel der Vorlesung eindeutig signalisiert, dass es sich hier um eine pädagogische Vorlesung handelt. Leitbegriff ist Bildung; und die Spezifizierung durch das Adjektiv informationstechnisch hat sich daher an den Ansprüchen und Gehalten dieses Begriffs zu bewähren.

Das Adjektiv informationstechnisch drückt aus, dass der Lern- bzw. Bildungsinhalt die Informationstechnik ist – nicht die Informatik (dazu später mehr). Es hätte auch informationstechnologische Bildung heißen können; aber da sich für die bildende Auseinandersetzung mit der Technik allgemein der Begriff Technische Bildung bereits seit längerem durchgesetzt hat, liegt es nahe, eine analoge Formulierung zu gebrauchen.

Unter Informationstechnik wird hier die Technik verstanden, die auf dem Konzept des frei programmierbaren Computers beruht. (Der Kürze halber werde ich daher in diesem

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Skript oft einfach von „dem Computer“ sprechen, wenn die Informationstechnik gemeint ist.) Da die Umsetzung dieses informatischen Konzepts in konkret einsatzfähige Technik die Beteiligung weiterer technischer Disziplinen und die Berücksichtigung von praktischen Anwendungskontexten verlangt, umfasst Informationstechnische Bildung einen größeren Gegenstandsbereich als eine informatische Bildung.

Informationstechnische Bildung ist also:

• Bildung, die

• spezifiziert ist durch die Befassung mit der Informationstechnik.

Wie kommen nun diese beiden Begriffe (bzw. die ihnen entsprechenden Realitäten) zusammen? Wir können diese Frage auch in folgenden Formulierungen fassen:

• Von der Bildung her: Inwiefern ist die Befassung mit Informationstechnik bildend; bzw. wie kann sie es sein?

• Von der Informationstechnik her: Inwiefern bedarf die Informationstechnik der Bildung?

Die Antworten auf diese Fragen verstehen sich nicht von selbst (sonst bräuchten sie ja auch nicht Thema einer Vorlesung zu sein).

Bezogen auf die erste Frage könnte zum Beispiel argumentiert werden, dass der kompetente Umgang mit Informationstechnik eine Qualifikation sei, die mehr oder weniger vielen Mitgliedern unserer Gesellschaft abverlangt werde; dass es sich hierbei aber um eine Nötigung handele, der nachzukommen nur etwas mit Ausbildung, nicht jedoch mit Bildung zu tun habe. Unterstellt wird dabei eine Unterscheidung zwischen Bildung und Ausbildung, der zu Folge Ausbildung die ernötigte Anpassung an äußere Anforderungen, Bildung dagegen die selbstbestimmte Entwicklung des einzelnen um seiner eigenen Persönlichkeitsentwicklung willen bedeute. Indem Informationstechnik ihrem Nutzer diktiere, was er zu leisten habe, stehe die Qualifikation für den Umgang mit ihr im Gegensatz zum Selbstbestimmungspostulat der Bildung, da sie nicht unter der Leitvorstellung erfolge, den Lernenden an seine eigenen Potenziale heranzuführen, sondern es in ihr darum gehe, die Potenziale der Technik zu erschließen.

Eine solche Argumentation liefe darauf hinaus, dass es nur eine Informationstechnische Ausbildung, nicht aber Informationstechnische Bildung geben könne (bzw. Bildung in diesem Terminus gleichbedeutend sei mit Ausbildung). (Ob eine solche Argumentation so wirklich haltbar ist, soll hier vorerst dahingestellt bleiben.)

Bezogen auf die zweite Frage könnte ebenfalls argumentiert werden, dass die Informationstechnik und ihre Weiterentwicklung keineswegs der Bildung, sondern lediglich der anpassenden Qualifizierung bedürfen. Dass also mit dem Bildungsbegriff ein überhöhter und der Effektivität entsprechender Ausbildung eher abträglicher

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Anspruch erhoben werde, der die Ausbildungspraxis unnötig belaste. (Auch hier soll vorläufig offen bleiben, ob eine solche Argumentation stichhaltig ist.)

Mit dem Bildungsbegriff wird also eine Qualität des Lernens eingefordert, auf die Pädagoginnen und Pädagogen traditionell größten Wert legen (weshalb der Bildungsbegriff einen der Zentralbegriffe dieser Disziplin darstellt) und deren Verbindung mit dem Inhalt Informationstechnik erst einmal als zweifelhaft angesehen werden kann. Um diese Qualität vorweg thesenhaft zusammenzufassen: Bildung meint die sich selbst bestimmende Entwicklung des einzelnen aus seinem eigenen Sinn. (Zur ausführlicheren Begriffsbestimmung von Bildung vgl. Kap. 8 meines Buchs Einführung in die Pädagogik; Kap. 2 meines Skripts zur Bildungstheorie; sowie Kap. 2 meines Skripts zu Grundlagen der Informationspädagogik. Die Skripten stehen als pdf-Dateien zum Download bereit unter www.tu-darmstadt.de/fb/fb3/paed/sesink/ses_lehrmat.html.)

Soweit zunächst eine vorläufige Klärung der im Vorlesungstitel enthaltenen Begriffe und ihres Verhältnisses zueinander. Um deutlich zu machen, was Sie in dieser Vorlesung zu erwarten haben, sollten aber noch einige weitere Begriffe angesprochen werden, die zwar nicht im Titel enthalten, wohl aber für das Gegenstandsfeld relevant sind.

Didaktik: Im Titel ist nur von Bildung die Rede; insofern auch vom Lernen, allerdings von einem Lernen besonderer Qualität. Wenn Pädagoginnen und Pädagogen von Bildung sprechen, dann heißt dies, dass es um die pädagogische Sorge für diese besondere Qualität geht. Das heißt, Bildung wird nicht nur theoretisch distanziert als gesellschaftliches Phänomen betrachtet und analysiert; sondern diese theoretische Betrachtung und Analyse erfolgt zugleich unter einer praktischen Perspektive: Was muss und kann getan werden, um Bildung zu ermöglichen? Insofern wird auch vom Lehren die Rede sein, als Beitrag zur Ermöglichung Informationstechnischer Bildung. Allerdings umfasst die Ermöglichung Informationstechnischer Bildung nicht nur das Lehren, sondern darüber hinaus auch alle anderen Maßnahmen, die dazu nötig und gedacht sind, Informationstechnische Bildung stattfinden zu lassen, also zum Beispiel auch die Schaffung institutioneller und materieller Rahmenbedingungen für ein entsprechendes Lehren und Lernen. Für die Theorie aller Maßnahmen zur Ermöglichung von Bildung gebrauche ich den Begriff Didaktik. (Es gibt auch engere Fassungen des Didaktik-Begriffs; aber ich möchte für diese Vorlesung diesen weiten Begriff von Didaktik zugrundelegen.) Insofern gehört die Didaktik Informationstechnischer Bildung in die Thematik dieser Vorlesung. Sie bildet sogar ihren Schwerpunkt.

Schule und Unterricht: Die Schule ist als eine gesellschaftliche Einrichtung zum Zwecke der gesellschaftlichen Sorge für Bildung zu verstehen. Sie hat also einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Das Lehren erfolgt in Schulen im Rahmen von Unterricht, der bestimmten institutionellen Bedingungen und Formungen unterliegt. So findet auch Informationstechnische Bildung in Schulen als Informationstechnischer Unterricht statt.

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Lehrpläne und Curricula geben Normen vor, wie die Schule auf diesem Gebiet ihren Bildungsauftrag erfüllen soll. Überlegungen zur Lehrplan- und Curriculumtheorie Informationstechnischer Bildung gehören daher ebenfalls in den Themenbereich dieser Vorlesung. (Sie gehören in das zu Grunde liegende weite Verständnis von Didaktik.)

Lehr- und Unterrichtsmethodik: Didaktik wird nicht selten auch in dem sehr eingeschränkten Sinne einer Methodik des Lehrens (Methodik = Theorie oder Lehre von den Formen und Wegen des Lehrens und Lernens) verstanden. Sofern Bildung als Leitvorstellung fungiert, ist die Methodikfrage aber nicht isoliert von den anderen Fragen zu behandeln, die sich einer Didaktik Informationstechnischer Bildung stellen. Deshalb bildet die Methodik Informationstechnischer Bildung in dieser Vorlesung einen Unterpunkt der Behandlung didaktischer Fragen.

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2. Wie kommt der Computer in den Unterricht?

2.1 Ausgangspunkt Ich werde in dieser Vorlesung nicht einfach von vornherein davon ausgehen, dass es Informationstechnische Bildung geben sollte oder sogar schon gibt. Insofern setze ich nicht da ein, wo eine Didaktik Informationstechnischer Bildung einsetzen würde; sondern früher: Ich frage zuvor danach, ob und warum es überhaupt Informationstechnische Bildung geben sollte, also nach den Voraussetzungen und Begründungen dafür, dass Informationstechnik zum Bildungsthema wird oder werden soll.

Daraus ergibt sich ein spezifischer Zugang zur Vorlesungsthematik, der als sachbezogene Konkretisierung der allgemeinen Frage zu betrachten ist, welche ich einer Vorlesung zur Allgemeinen Didaktik seinerzeit zugrunde gelegt habe. Diese Frage lautete: Wie kommt der Stoff in den Unterricht? Entsprechend lautet die Frage jetzt: Wie kommt die Informationstechnik (der Computer) in den Unterricht?

(Anmerkung: In der Fragestellung scheint eine noch unbegründete Eingrenzung auf schulisch institutionalisierte Bildung stattzufinden. In der Tat geht es mir nicht um Bildung, die aus rein privaten Gründen motiviert ist. Es geht um gesellschaftlich intendierte und daher um institutionalisierte Bildung. Der Terminus Schule steht hier stellvertretend für das gesellschaftlich organisierte Bildungswesen. Darunter schließe ich auch organisierte Bildungsangebote privater Anbieter ein, soweit sie ein gesellschaftliches Bedürfnis zu befriedigen versuchen. Dennoch lassen sich nicht alle Ausführungen, welche schulisch organisierte Bildung betreffen, auch uneingeschränkt auf andere, auch nicht-staatliche Bildungseinrichtungen übertragen. Ich muss die Hörer/innen dieser Vorlesung bitten, entsprechende Übertragungen oder Relativierungen der Vorlesungsinhalte hinsichtlich ihrer Gültigkeit für andere Einrichtungen von Fall zu Fall selbst vorzunehmen.)

Die Frage: Wie kommt der Computer in den Unterricht? formuliert die Frage nach Herkunft und Zustandekommen von Informationstechnik als Bildungs- bzw. Unterrichtsinhalt. Dabei wird selbstverständlich unterstellt, dass die Informationstechnik „von anderswoher” oder „von außerhalb” in den Unterricht kommt, wo sie dann als „Stoff” zum Lehren und Lernen aufgegeben ist.

2.2 Didaktische Transformation Was genau meint die Frage? Nimmt man sie ganz platt, scheint die Antwort einfach: indem die Schule irgendwo einen kauft, der Computer an die Schule geliefert und dort in einem Klassenraum aufgestellt und installiert wird. So kommt offensichtlich ein

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Computer von draußen in den Unterricht. Und so platt verhielt es sich vor einiger Zeit ja auch noch: Im Rahmen des Programms „Schulen ans Netz” wurden allen Schulen Computer ins Haus geliefert, installiert, ans weltweite Netzwerk Internet angeschlossen und Punkt.

Dazu ist zu sagen: Nein, so kam ein Computer zwar in den Klassenraum oder ins Schulgebäude, aber eben nicht in den Unterricht. Oder jedenfalls sollte dies nur ein sehr kleiner Ausschnitt des gesamten Geschehens sein. Zum Beispiel sollte der Anschaffung des Computers seitens der Schule doch wohl etwas Wichtiges vorausgehen: dass der Computer in den Unterricht kommt, sollte eine von pädagogischen Überlegungen getragene Entscheidung sein. Ohne eine solche Entscheidung könnte er ebenso gut „draußen” bleiben. Und wenn er dann aufgrund einer solchen Entscheidung im Klassenraum steht, heißt das immer noch nicht, dass er Inhalt „im Unterricht” ist. Dazu muss er erst einmal thematisiert werden: Lehrer und Schüler müssen sich dieser Sache absichtsvoll zuwenden. Sie haben etwas mit dem Computer vor. Und zwar etwas anderes, als draußen mit ihm gemacht wird. Etwas, das mit dem spezifischen gesellschaftlichen Auftrag von Schule zu tun hat.

Der Ortswechsel des Computers von draußen in die Schule bzw. in den Unterricht, der ja am Gerät selbst äußerlich nichts ändert, stellt diese Sache in einen anderen Kontext, rückt sie in ein anderes Licht. Diese Veränderung ist es, über die in dieser Vorlesung gesprochen werden soll.

Sie ist übrigens von einer Art, die es eventuell sogar erlaubt (oder mehr noch: nötig machen kann), den Computer auch äußerlich verändert in den Unterricht kommen zu lassen: z.B. als Papp-Modell; oder als technische Zeichnung. Dass die Sache in derart veränderter Gestalt in den Unterricht kommen kann, ist ein Hinweis darauf, dass sie nicht ganz dieselbe draußen und im Unterricht ist. Der Sachbearbeiter in einer Bank jedenfalls würde sich bedanken, wenn man ihm ein Pappmodell oder eine technische Zeichnung des Computers als Arbeitswerkzeug andiente. Das, was im Unterricht mit dem Computer geschehen soll, scheint hingegen von einer Art zu sein, dass es unter Umständen gerade angebracht ist, ihn dort in derart transformierter Gestalt zu präsentieren.

2.3 Transformation als Gestaltwandel Das „Wie”, mit dem die oben gestellte Frage: Wie kommt der Computer in den Unterricht? eingeleitet wird, hat nun zwei Bedeutungsvarianten:

Es bezieht sich zum ersten auf die Form oder Gestalt, in der der Computer im Unterricht erscheint. Insofern enthält die Frage die Annahme, dass der Computer auf seinem Wege in den Unterricht eine Formveränderung durchmacht, also nicht so in den Unterricht kommt, wie er außerhalb des Unterrichts gegeben ist. (Wir wissen alle aus eigener Schulerfahrung, dass der Unterrichtsstoff in aller Regel in irgendeiner speziellen

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Form zum Lernen präsentiert wird, z.B. als Modell, als Text, als Abbildung, als Film. Aber auch, wenn die Sache scheinbar so belassen wird, wie sie außerhalb des Unterrichts gegeben ist, z.B. bei einem Ausflug in den Wald oder bei der Besichtigung eines Betriebs oder in unserem Beispiel von eben: als Computer, erfährt sie eine Formverwandlung. Darauf wurde ja schon hingewiesen und darauf wird später zurückzukommen sein.)

In dieser Variante zielt das „Wie” auf die „Transformation(en)”, die der Computer durchläuft, um zum Unterrichtsinhalt zu werden.

(Der Computer kann allerdings auch Transformationen durchlaufen, durch die er etwas anderes wird als ein Unterrichtsinhalt. Bei der theoretisch-wissenschaftlichen Untersuchung zum Beispiel erfährt er eine Gestaltung, durch die er schließlich in die Form einer wissenschaftlichen Abhandlung über den Computer gebracht wird. Bei der literarischen Darstellung erfährt er eine Gestaltung, durch die er schließlich die Form eines kulturellen bzw. künstlerischen Werks erhält. Daher gehört zu der Art von Transformationen, die hier betrachtet werden soll, das Adjektiv „didaktisch”.)

2.4 Wege der Transformation Das „Wie” bezieht sich zum zweiten auf den Weg, auf dem der Computer in den Unterricht kommt (analog zur Frage: „Wie komme ich nach Athen?”, die sich ja im gängigen Sprachverständnis ebenfalls nicht auf den Zustand des Reisenden bei seiner Ankunft in Athen bezieht – etwa: „verschwitzt” –, sondern auf die Reiseroute). Diese Variante des „Wie” hat ihre Begründung in der Behauptung, dass es mindestens drei Wege gibt, auf denen eine Sache in den Unterricht kommt oder kommen kann:

• den „amtlichen” Weg, wie er sich etwa in staatlichen Richtlinien, in Ausbildungsordnungen und in ministeriell genehmigten Lehr- und Lernmitteln manifestiert;

• den Weg, den die Sache über das Sachverständnis und die Sachkompetenz der Lehrenden nimmt; und

• den Weg, den die Sache über das Sachverständnis der Lernenden nimmt (streng genommen, wäre hier sogar für jede/n Lernende/n eine eigene Linie vorzusehen).

Auf jeder dieser Linien macht der Computer andere Transformationen durch. Er erscheint also im Unterricht in mehreren, in der Regel sicher unterschiedlichen Formen. Wenn Unterricht zustande kommen soll, sind diese unterschiedlichen Formen jedenfalls aufeinander zu beziehen.

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2.5 Vermittlung Was heißt nun angesichts dieser Aufteilung der didaktischen Transformation auf drei Wege, dass der Computer zum Unterrichtsinhalt werde?

Die drei Transformationswege führen dazu, dass der Computer im Unterricht zunächst in mehreren Gestalten erscheint. In dieser Diversifikation bildet er den zum Lehren und Lernen aufgegebenen Stoff. Um aber zum Unterrichtsinhalt werden zu können, muss zumindest bis zu einem gewissen Maße die Diversifikation aufgehoben und die Form der Sache vereinheitlicht werden. Diese Forderung bezieht sich auf alle drei „Linien” der Transformation. Betrachten wir zunächst die beiden unteren Linien.

Weil Unterricht grundsätzlich ein soziales Geschehen zwischen Lehrenden und Lernenden ist, kann als Unterrichtsinhalt berechtigterweise nur das bezeichnet werden, worin Lehren und Lernen zu einer Vermittlung, zu einem Übereinkommen gelangt sind. Dies ist ein sehr einschränkendes Verständnis von Unterrichtsinhalt, weil es all das ausschließt, was im Unterricht auf Seiten der Lehrenden wie auf Seiten der Lernenden mit Bezug auf die Sache geschieht, ohne in einer wechselseitigen Vermittlungsbeziehung zu stehen. Lehrversuche, die keine Entsprechung in einem Lernen finden (eine Lehrerin bemüht sich zu unterrichten, aber niemand versteht sie oder hört ihr zu), konstituieren demnach keinen Unterricht (auch wenn es sich weitgehend eingebürgert hat, unternommene Lehrversuche schon als Unterricht zu bezeichnen), und Lernprozesse, die sich unabhängig vom Lehrversuch vollziehen, ebenso wenig. Damit ist beileibe keine pädagogische Entwertung außer- und nebenunterrichtlicher Lernprozesse ausgesprochen. Aber wenn hier von Unterricht gesprochen wird, dann in Abgrenzung von anderen Formen, in denen sich Lernen vollziehen kann.

Das können Sie sich am Beispiel dieser Vorlesung klarmachen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen im Moment überhaupt meinen Ausführungen folgen. Jedenfalls wird es immer etliche Zuhörer/innen geben, die zumindest phasenweise eben keine Zuhörer/innen sind oder mit dem, was sie hören, nichts anfangen können. Die Gedanken schweifen ab; oder das Gehörte bleibt unverständlich. Dann ist das, wozu diese Veranstaltung eigentlich führen soll, nicht zustande gekommen. Es ist von meiner Seite ein Unterrichtsversuch unternommen worden, aber er ist – aus welchen Gründen auch immer – gescheitert. Verstehen Sie dies nicht als Kritik oder Vorwurf. Ich habe größtes Verständnis dafür, wenn es Ihnen zumindest phasenweise nicht gelingen will, bei der Sache zu bleiben. Aber auch bei einer Vorlesung sollte man nicht nur den Menschen, die vor einem sitzen, sondern auch den didaktischen Tatsachen ins Auge sehen.

Wenden wir uns nun der oberen Linie zu. Unterricht ist nämlich außerdem ein gesellschaftlich organisiertes und beauftragtes, staatlich institutionalisiertes Geschehen. Die Gesellschaft, vertreten durch ihren Staat, wünscht eine bestimmte Repräsentation der Informationstechnik im Unterricht und schickt diese auf einen entsprechenden „amtlichen Weg”. Zweifelsohne soll dieser Weg zu den Lernenden führen: diese sollen

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sich – in den amtlich formulierten Lern- und Ausbildungszielen zum Informatikunterricht bzw. zur Informationstechnischen Bildung ist dies fixiert – in ihrem Lernen nach den Wünschen und Forderungen der Gesellschaft richten. Die Lehrenden haben in diesem Sinne zwischen der amtlichen Linie der Transformation und der Linie der Transformation, die die Sache Informationstechnik bei den Lernenden durchläuft, zu vermitteln. Das ist ihr „Amt”.

Hier gibt es übrigens eine bedeutsame Differenz zu dieser Vorlesung. Von amtlichen Vorgaben, was die zu vermittelnden Inhalte betrifft, sind wir als Hochschullehrer/innen weitestgehend frei. Es gibt keine amtlich verordneten Lehrpläne für die universitäre Ausbildung. Lehrpläne, soweit vorhanden, beruhen auf Absprachen zwischen den Lehrenden. Lediglich über staatliche Prüfungsordnungen wird in einem gewissen Maße Einfluss genommen auf die Lehrinhalte. Das betrifft insbesondere Lehramtsstudiengänge, Jura- und Medizinstudium. Aber auch da ist die staatliche Einflussnahme nicht vergleichbar mit der in den Schulen. Es handelt sich hierbei um die Differenz von Freiheit der Wissenschaft und Pädagogischer Freiheit. Beide sind juristische Termini und bezeichnen Freiheiten, die Lehrende an Universitäten bzw. an Schulen in Anspruch nehmen können. Die Pädagogische Freiheit ist juristisch vor allem durch Beschränkungen definiert. Sie hat ihre prinzipielle Grenze u.a. an den amtlichen Vorgaben, die alles andere als unverbindliche Empfehlungen sind, vielmehr als allgemeine Dienstanweisungen zu interpretieren sind. Die Freiheit der Wissenschaft kann von Lehrer/innen nicht beansprucht werden.

Vom Zustandekommen eines Unterrichtsinhalts kann erst die Rede sein, wenn diese Vermittlungen gelungen sind. Die letzte Instanz bildet hier die Aufnahme des gesellschaftlichen Auftrags und der Lehrintention durch die Lernenden. Nur in ihrem Lernen kann die Erfüllung der didaktischen Intentionen des Prozesses erfolgen.

Zwei wesentliche Vermittlungsschritte müssen also geleistet sein, damit vom Zustandekommen von Unterricht gesprochen werden kann:

• Die amtlichen Vorgaben müssen von den Lehrenden in eigene Lehrintentionen umgesetzt werden (das gehört zur subjektiven Übernahme ihres Lehr-Amtes);

• und die Lernenden müssen die Lehrintentionen, mit denen sie seitens ihrer Lehrer/innen konfrontiert werden, akzeptieren und in eigene Lernintentionen umsetzen können.

Die Amtsausübung der Lehrenden vermittelt so also zwischen den gesellschaftlichen Ansprüchen in den amtlichen Vorgaben und den Lerninteressen der Lernenden.

Das kann nur funktionieren, wenn die bildende Befassung mit dem Computer als relevant erscheint aus der Sicht sowohl der Gesellschaft (des Interesses am Fortbestand des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhangs) als auch des Lehrens (des Interesses an Stiftung sozialer Vermittlungen und Tradierungen) als auch des Lernens (des Interesses an Integration in den gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang).

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Wenn also die Sache Computer zum Unterrichtsinhalt werden soll, dann liegt dem ein gesellschaftlicher Konsens zugrunde, dass informationstechnische Bildung ein wesentlicher Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion sei. Entsprechende Aussagen finden sich als Legitimation in den entsprechenden amtlichen Texten. Dass damit noch keineswegs sichergestellt ist, dass auch die Lehrer/innen so denken, zeigt sich an der inzwischen über zehn Jahre dauernden Schwierigkeit, informationstechnische Bildung als Teil obligatorischer Allgemeinbildung in den deutschen Schulen zu etablieren. Auch heute noch ist eine große Zahl von Lehrer/innen der Überzeugung, dass Computer eher eine Gefahr als eine Chance für die Entwicklung der menschlichen Kultur darstellen. Die gesellschaftliche Relevanz der Sache muss also auch in den Lehrintentionen der Lehrer/innen aufgenommen werden. Und schließlich werden die Schüler/innen nur dann bereit sein, sich mit dieser Sache zu befassen, wenn auch sie überzeugt sind, dass dies für ihre je persönliche Integration in die Gesellschaft von Bedeutung ist.

2.6 Eingrenzung der Vorlesungsthematik auf Unterricht

Es ist wichtig festzuhalten, dass hier also nicht allgemein vom Lehren und Lernen informationstechnischer Inhalte gesprochen werden wird. Lehr-Lern-Prozesse, die rein persönlichen und privaten Charakter tragen und nicht gesellschaftlich organisiert und institutionalisiert sind, werden aus der Betrachtung ausgeschlossen.

Diese Vorüberlegungen implizieren eine nähere Bestimmung des Themas, die sich als mehrstufige inhaltliche Einschränkung darstellt. Bezogen auf den Zielpunkt der didaktischen Transformation besagen sie, dass nicht alles, was es an informationstechnischen Sachverhalten gibt, dass nicht alles, was darüber gelernt und gelehrt wird, auch zum Unterrichtsinhalt werden kann. Die Gesamtheit informationstechnischer Sachverhalte gehört zur Welt, in der wir leben und handeln, in die wir mit unserer gesamten Lebenstätigkeit einbezogen sind. Diese Lebenstätigkeit schließt permanentes Lernen und Lehren, darunter auch über informationstechnische Sachverhalte, mit ein, auch wenn wir nicht alles, was wir damit tun, von Grund auf erst systematisch lernen müssen. Viele Lernprozesse vollziehen sich ohne Absicht, beiläufig, automatisch, „von selbst”; nicht wenige von ihnen anscheinend gänzlich autonom, aufgrund der Verarbeitung eigener Erfahrungen und ohne ein komplementäres Lehren. Wo Kinder – bewusst oder unbewusst – von Vorbildern lernen, z.B. durch Nachahmung des elterlichen Rollenverhaltens (Papas kochen und putzen, Mamas sitzen am Computer), bezieht sich dieses Lernen auf ein sozusagen absichtsloses Lehren (die Eltern führen ihren Kindern vor, was es in dieser Gesellschaft heißt, ein Mann, eine Frau, ein Vater, eine Mutter … zu sein). Umgekehrt können Eltern sich absichtsvoll „vorbildlich” verhalten, damit ihre Kinder, „ohne es zu merken”, davon lernen. Jemand eignet sich autodidaktisch computerbezogene Fertigkeiten an; ein anderer nimmt sich

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einen Privatlehrer. Dies alles und weiteres wird aus den folgenden Erörterungen ausgeschlossen; nicht weil es pädagogisch unerheblich wäre, sondern weil die Überlegungen dieser Vorlesung sich auf das, was in Bildungsinstitutionen geschieht, konzentrieren sollen.

Aus dieser Konzentration resultieren – zusammengefasst – folgende Einschränkungen:

Der hier zu erörternden didaktischen Transformation werden nur informationstechnische Sachverhalte unterzogen,

• die zum Lernen herausfordern;

• die absichtsvolles Lernen nötig machen;

• die absichtsvoll gelehrt werden müssen oder sollten, damit sie überhaupt bzw. mit vertretbarem Aufwand gelernt werden können;

• die in gesellschaftlichem Auftrag gelehrt und gelernt werden sollen.

Die folgende Matrix mit beispielhaft gemeinten Feldeinträgen soll die der Themenstellung dieser Vorlesung voraus liegende basale Reduktion verdeutlichen.

Abb. 1: Matrix möglicher Lehr-Lern-Beziehungen

Nur die dem Feld „Unterricht” zuzuordnende didaktische Transformation wird hier behandelt.

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Dass ein Unterrichtsinhalt zustande und daher die didaktische Transformation an ihren Zielpunkt komme, ist die Voraussetzung, unter der Unterricht überhaupt organisiert wird, die Absicht, in der Lehrende und Lernende sich treffen. Was der Begriff bezeichnet, kann man jedoch nicht sehen, nicht „feststellen”, weil man die im lernenden Menschen erfolgende Einlassung auf das Lehren nicht sehen und nicht feststellen kann. Beweisen oder „evaluieren” lassen Unterrichtsinhalte sich nicht. Denn der jeweils (etwa in Tests oder anderen Formen der „Lernerfolgskontrolle”) nachgewiesene Lernerfolg lässt als solcher niemals unzweifelhaft erkennen, ob das Lehren im Unterricht etwas zu ihm beigetragen hat und, wenn ja, was.

Dennoch ist eines klar: Didaktische Transformationen werden, soweit Unterricht tatsächlich (und nicht nur scheinbar) stattfindet, ständig vorgenommen; ohne sie ist Unterricht nicht möglich. Man kann sogar sagen: Unterricht ist Vollzug didaktischer Transformation – auch wenn das nicht alles ist, was er ist.

In dieser Vorlesung soll untersucht werden, was nötig ist, damit Informationstechnische Bildung als Unterricht stattfindet. Wir werden sehen: angesichts der Komplexität der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit von Unterricht die Rede sein kann, erscheint es wie ein kaum glaubhaftes Wunder, dass so etwas überhaupt je gelingt. Dass dieses Wunder dennoch sich ereignet, in Ihrer künftigen Berufstätigkeit, überall in den Bildungseinrichtungen dieser Welt und nicht zuletzt in dieser Vorlesung, sind Erwartung und Wunsch, die Sie und mich hoffnungsfroh einigen mögen.

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3. Strukturmodell Didaktische Transformation

3.1 Abfolge der Transformationsschritte – erste Übersicht

Distanzierung. Dieser erste Schritt bezeichnet den Übergang von der Unmittelbarkeit der Lebenspraxis und des in ihr eingeschlossenen beiläufigen (absichtslosen) Lernens zum bewussten, absichtsvollen, eigens inszenierten Lernen. Er wird dann vollzogen, wenn das, was beiläufig zu lernen ist, nicht mehr hinreicht, um den Anforderungen und Ansprüchen der Lebenspraxis zu genügen. Wir können davon ausgehen, dass solche Distanzierung der Sache in der Regel dann vorgenommen wird, wenn eine Schwierigkeit auftritt, wenn sie in irgendeiner Weise problematisch, rätselhaft, unerwartet, überraschend, unvertraut, fremd geworden ist. Distanzierung schafft Abstand und erhöht so zunächst noch das Moment der Fremdheit.

Während das menschliche Leben ständige „Auseinandersetzung” der Menschen mit ihrer Welt ist, ist Distanzierung ein „Auseinanderhalten” von Subjekt und Objekt der Lebenspraxis. Von der Gegenstandswelt wird sozusagen zurückgetreten, um Lernen in der Distanz, d.h. unbedrängt von praktischen Zwängen und Notwendigkeiten zu ermöglichen. Distanzierung verlangt eine Unterbrechung der Praxis oder ein Innehalten und liegt in jedem Akt des Sich-bewusst-Machens, des Nachdenkens-über; aber auch z.B. in der Beobachtung. Das Subjekt hält sich das Objekt „vom Leib“, tritt sozusagen zurück, um es sich genauer ansehen, es genauer erfassen zu können und um seine eigenen Fähigkeiten unbehelligt vom Objekt entwickeln zu können.

Wir werden darüber zu sprechen haben, inwiefern es denn nicht genügt, ganz einfach durch Handhabung und Nutzung von Informationstechnik das Können auszubilden, das die Informationstechnik verlangt; weshalb vielmehr in Distanz von ihr eigens organisierte Lernprozesse nötig werden.

Vergesellschaftung. Was dem einzelnen ein Problem ist, das zum Lernen herausfordert, muss nicht auch für andere zum Problem werden. Unterricht ist Lehren und Lernen im gesellschaftlichen Auftrag, und daher wird dort nur das zum Stoff, wovon angenommen wird, dass es von gesellschaftlicher Relevanz ist, sich damit lehrend und lernend auseinanderzusetzen. Die möglichen Unterrichtsstoffe müssen daher einer Prüfung ihrer gesellschaftlichen Relevanz unterzogen werden.

Das Ergebnis dieser Prüfung, die sowohl in wissenschaftlich reflektierter Form als auch quasi experimentell im fortlaufenden Reformierungsprozess des Schulwesens stattfand und weiterhin stattfindet, zeigt sich zum Beispiel im Kanon der Unterrichtsfächer, die jeweils für solche Sachbereiche (Weltausschnitte) stehen, deren Relevanz als gesellschaftlich anerkannt gilt. Historisch hat sich der heute bestehende Kanon der Unterrichtsfächer (der wiederum schulformspezifische Ausprägungen und Abteilungen enthält) wohl kaum als Ausdruck fundamentaler allgemeindidaktischer Reflexion und

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vielmehr in Reaktion auf den gesellschaftlich tatsächlich geltend gemachten Bildungsbedarf ergeben – wenngleich es nie an Versuchen gefehlt hat, den bestehenden oder einen wünschbaren Fächerkanon rein aus der didaktischen Reflexion begründend zu (re)konstruieren.

Im Unterschied zu altehrwürdigen Fächern wie Deutsch, Geschichte, Mathematik steht es für die Informationstechnik noch längst nicht fest, inwieweit sie als gesellschaftlich relevanter Bildungsgegenstand Anerkennung erfährt. Gegenwärtig befinden wir uns in einer Situation, in der um diese Frage noch gestritten wird und es noch offen ist, mit welchem Anspruch, in welchem Umfang und in welcher Form informationstechnische Bildung sich etablieren wird. Zwar gibt es einen weitgehenden Konsens, dass alle Mitglieder unserer Gesellschaft künftig entsprechende Qualifikationen benötigen, es also eine obligatorische informationstechnische Bildung für alle geben soll und es nicht reicht, IT-Fachkräfte für spezielle Tätigkeitsfelder auszubilden, um den gesellschaftlichen Bedarf an informationstechnischer Bildung zu decken. Aber die Umsetzung in die schulische Praxis wird alles andere als konsequent vorangetrieben.

Institutionalisierung. Ist die gesellschaftliche Relevanz bestimmter Gegenstände des Lehrens und Lernens anerkannt, muss die Gesellschaft für eine angemessene Sicherstellung der entsprechenden Lernprozesse sorgen. Dies geschieht durch die Einrichtung von Schulen und Unterrichtsfächern. Insofern kommt hiermit auch die ökonomische Seite des Unterrichts ins Spiel.

Die Einrichtung von Schulen kostet die Gesellschaft materielle und personelle Ressourcen, die für anderes nicht mehr zur Verfügung stehen. Damit stellt sich die Frage, wie viel Bildung sich eine Gesellschaft leisten kann bzw. will.

Die Antwort auf die Frage, wie viel Bildung sich eine Gesellschaft leisten kann bzw. will, hängt auch davon ab, wie Bildung im Gesellschaftszusammenhang betrachtet wird: ob als ökonomisch rentable Investition, ob als Befähigung zur aktiven Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, ob als Beitrag zur Hebung der Lebensqualität, ob als Luxus, den man sich nur in Zeiten der Prosperität leisten kann, oder wie sonst. Jede institutionelle Festlegung enthält sowohl ein positives Moment: die Bereitstellung von Mitteln und Möglichkeiten für Bildung, als auch ein negatives Moment: die Begrenzung von Mitteln und Möglichkeiten.

Damit verbunden ist eine Kontingentierung von Lernzeit. Wer allein für sich lernt, mag sich soviel Zeit für das Lernen nehmen, wie er eben braucht oder beansprucht. Wer aber im gesellschaftlichen Auftrag lernt – und das ist es, was Schüler/innen tun –, muss sich an die Zeit halten, die die Gesellschaft, vertreten durch den Staat, ihm für das Lernen einräumt. Denn weil das Lernen getrennt von der Lebenspraxis stattfindet, ist Lernzeit Abzug von der Zeit, in der sich die Betreffenden direkt für die Gesellschaft nützlich machen und zu ihrem Lebensunterhalt beitragen können. Hinzu kommt, dass ein Teil der gesellschaftlich verfügbaren Arbeitszeit abgezweigt werden muss für das beauftragte Lehren und diejenigen Personen, die diese Aufgabe übernehmen, selbst wieder ausgebildet und materiell versorgt werden müssen. Die zur Verfügung gestellte

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Lernzeit kann sich also nicht allein nach den individuellen Bedürfnissen richten, sondern muss im Zusammenhang der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung und Arbeitszeitaufteilung festgelegt werden. Oberhalb einer Schmerzgrenze, die historisch verschiebbar ist, werden lange Lernzeiten der Gesellschaft zu teuer.

Neue Fächer oder Fachgebiete können daher nicht einfach dem bestehenden Kanon zugeschlagen werden, da dies eine endlose Ausdehnung der Lernzeit bedeuten würde. Das neue Fach kann sich nur auf Kosten alter Stoffbestände etablieren. Daher beginnt in solchen Fällen stets ein erbitterter Konkurrenzkampf zwischen den Fachvertretern um das Verbleiben im Fächerkanon und um die Anteile am Gesamtvolumen. (Während die Informationstechnik Beispiel für ein neu in den Fächerkanon drängendes Fachgebiet ist, sind die alten Sprachen Lateinisch und Griechisch Beispiele für Fächer, deren Platz im Kanon gefährdet ist bzw. die diesen Platz schon verloren haben.)

Wie steht es hinsichtlich der Institutionalisierung nun mit der Informationstechnischen Bildung? Wie schon bezogen auf die Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz angesprochen, ist nicht mehr umstritten, ob Informationstechnische Bildung überhaupt für die gesellschaftliche Reproduktion relevant ist, wohl aber, für wen sie ermöglicht werden soll, in welchem Umfang sie einzuführen ist und was sie zu leisten hat. Entsprechende fachliche Lehrpläne und Curricula sind im Bereich beruflicher Bildung längst etabliert, und laufend werden neue entwickelt bzw. die bestehenden aktualisiert. Auch das Fach Informatik ist als optionales wissenschaftspropädeutisches Fach in der Sekundarstufe II verankert. Andererseits ist zwar schon seit über 20 Jahren seitens der BLK obligatorische Informationstechnische Grundbildung für die Sekundarstufe I vorgesehen; doch fristet diese immer noch ein mehr als kümmerliches Dasein und ist aus dem Stadium einer provisorischen und halbherzigen Erprobung bis heute nicht wirklich herausgekommen. In der universitären Lehrer/innenausbildung ist – wenn man von der Einrichtung des Lehramtsstudiengangs Informatik und von einigen berufsbildenden Lehramtsstudiengängen absieht – bisher praktisch gar nichts passiert, was darauf hindeuten würde, dass informationstechnische Bildung als Bestandteil von Allgemeinbildung flächendeckend eingeführt werden soll. Insofern ist die gesellschaftliche Relevanz von informationstechnischer Bildung faktisch bisher lediglich für gesellschaftliche Teilbereiche und Teilfunktionen anerkannt.

Im Anschluss an diesen dritten Transformationsschritt betreten wir sozusagen die Institution. Die ersten drei Transformationsschritte bewegten sich noch in ihrem Vorfeld. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass Unterricht überhaupt versucht werden kann. Die folgenden Transformationsschritte vollziehen sich bereits im Rahmen der Schule und prägen insofern unmittelbar die Ausübung des Lehramts durch Sie, die künftigen Lehrer/innen und Lehrer.

Intentionalisierung. Muss der Unterrichtsstoff also quantitativ und fachlich eingegrenzt werden, stellt sich die Frage nach den Auswahl- und Reduktionskriterien: nach der didaktischen Intentionalität: Worauf soll es beim Lernen ankommen? Wie auch immer die Antwort ausfällt, ob beispielsweise im Sinne des Bildungsideals der

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geisteswissenschaftlichen Pädagogik oder im Sinne der Qualifizierung funktionstüchtiger Leistungsträger – sie muss gegeben werden, sonst ist eine begründete Stoffauswahl nicht möglich. Der einzugrenzende Stoff wird also auf seinen Bildungssinn hin befragt, d.h. von einer leitenden Idee oder einem leitenden Interesse her thematisiert.

Zur Zeit wird die Frage nach dem Sinn einer allgemeinen informationstechnischen Bildung sehr stark unter dem Schlagwort Medienkompetenz erörtert. Auch von einer neuen vierten Kulturtechnik ist die Rede. Beide Begriffe zielen darauf, den allgemeinbildenden Charakter informationstechnischer Bildung von gesellschaftlich und pädagogisch notwendigen Fähigkeiten der Subjekte her zu begründen. Wir werden beide Begriffe bei einer eingehenderen Untersuchung dieses Transformationsschrittes aufgreifen.

Strukturierung. Aus Perspektive der zu Grunde liegenden didaktischen Intentionalität kann so wichtiger von weniger wichtigem Stoff unterschieden, können Verknüpfungen zwischen den Stoffen hergestellt, kann die als wesentlich angesehene Struktur des Stoffes herausgestellt, können besondere Aspekte betont oder ausgeblendet werden usw. Der Stoff wird ausgewählt und strukturiert: Welche Bereiche des Gegenstandsfelds Informationstechnik sollen bevorzugt behandelt werden; auf welche Problemgehalte soll besonders eingegangen werden? Wieweit soll und kann Informationstechnische Bildung die Wissenschaftsdisziplin Informatik mit einbeziehen, und wenn, welche Disziplinbereiche sind besonders relevant? Wie hängen die verschiedenen zu behandelnden Themenfelder miteinander zusammen? Wo bauen sie aufeinander auf? Wie lassen sie sich in eine sachlich sinnvolle Darbietungsfolge bringen? usw.

Methodische Transformation. Sind die Überlegungen zur Stoffstrukturierung abgeschlossen, heißt dies noch nicht, dass der Stoff in seiner so inhaltlich transformierten Gestalt bereits gelernt werden kann. Eine zusätzliche methodische Transformation wird nötig: die Übersetzung in den Verständnis- und Motivationshorizont der Lernenden und in eine von diesen nachvollziehbare Abfolge von Stoffeinheiten. Die Sache muss für die Lernenden lernbar gemacht werden; und sie muss ihnen als lernwürdig, also der Anstrengungen des Lernens wert vermittelt werden.

Aneignung. Ob schließlich der soweit transformierte Stoff von den Lernenden tatsächlich angeeignet, also zum Unterrichtsinhalt wird, ist entscheidend für das Zustandekommen von Unterricht, muss aber wohl eine letztlich offene Frage bleiben.

Praktischwerden des Gelernten. Das unterrichtliche Lehren und Lernen geschieht im gesellschaftlichen Auftrag. Die Lehrenden unterrichten in Ausübung eines Amtes; und die Lernenden kommen dem Auftrag nach, zu lernen, was diese Gesellschaft von ihnen erwartet. In Bezug auf den Fächerkanon der Pflichtschulzeit an allgemeinbildenden Schulen hat dieser Auftrag für die Lernenden sogar einen gewissen verpflichtenden Charakter.

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Aber nicht nur die Gesellschaft, auch die Lehrenden und Lernenden selbst erwarten und erhoffen sich natürlich, dass das Gelernte nicht nur für die Schule, sondern vor allem für das Leben „draußen“ bedeutsam und sinnvoll ist. Insofern erfüllt sich der Lehr- und Lernauftrag erst ganz, wenn ein entsprechendes Wirksamwerden des Lernens in der Lebenspraxis sich einstellt.

Ebenso wie die Aneignung ist dies allerdings eine Leistung allein der Lernenden und kann durch das Lehren lediglich erleichtert oder angeregt werden. Diese beiden Transformationsschritte gehören daher nicht mehr direkt in den Zuständigkeitsbereich der Lehrenden.

Die zuvor nur ganz kurz angesprochene inhaltliche und methodische Transformation beinhalten selbst wieder eine Reihe verschiedener Transformationsschritte und -reihen, die später noch ausführlicher betrachtet werden sollen. Sie vollziehen sich auf den drei Transformationslinien, und dort in unterschiedlicher Weise.

3.2 Die Vermittlungsaufgabe des Lehrens zwischen gesellschaftlichem Auftrag und persönlichen Lernbedürfnissen und -interessen

Die erste dieser Transformationslinien ist die des gesellschaftlichen Unterrichtsauftrags (des Bildungsauftrags der Schule), der komplementär aufeinander bezogene Lernaufträge für die Schüler/innen und Lehraufträge für die Lehrer/innen beinhaltet. Dies ist die Transformationslinie, die nachher zuerst im Vordergrund stehen wird, weil sich nur aus ihr die institutionelle Verfasstheit des Unterrichts begründet. In dieser Linie finden die Reduktion der potenziellen Lernstoffe auf gesellschaftlich relevante Unterrichtsstoffe sowie die zeitliche und fachliche Eingrenzung des Unterrichtsstoffs in den Bildungsinstitutionen statt, welche jene Engführung des Lehrens und Lernens einleiten, die Unterricht heißt und von der die pädagogisch und didaktisch ja ebenfalls relevanten übrigen Lernfelder der Matrix möglicher Lehr-Lern-Beziehungen (s. Kap. 2) ausgeschlossen sind. Bei der didaktischen Intentionalität ist dann nach dem beauftragenden gesellschaftlichen Interesse zu fragen: Was genau ist intendiert, wenn es um gesellschaftliche Reproduktion durch (Informationstechnische) Bildung gehen soll?

Mit einem einheitlichen Interesse an der didaktischen Transformation tritt die Gesellschaft zwar real in Gestalt ihres Staates auf, der als Träger des Bildungswesens einheitliche Vorgaben macht, was Zeitbudget, Fächerkanon und Lehrziele betrifft. Dahinter steht jedoch eine Vielzahl voneinander abweichender und z.T. einander widersprechender gesellschaftlicher Interessen, die sich zwar auf die Reproduktion eines gemeinsamen Lebensprozesses beziehen, aber nicht unbedingt übereinstimmende

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Auffassungen davon haben, was hierfür (auf dem Gebiete des informationstechnischen Unterrichts) Not tut.

Die eine Transformationslinie, wie sie in staatlichen Regelungen des Unterrichts sich zeigt, ist also die Resultante einer Mehrzahl von Transformationsansprüchen, die jeweils einem partikularen gesellschaftlichen Interesse entsprechen und die sich nur unter Verzicht auf einheitliche Begründung, Vollständigkeit und Stimmigkeit zusammenbinden lassen. Was festgelegt ist, ist aufgrund der dahinter stehenden Sanktionsmacht des Staates zwar von großer Determinationskraft für den Unterricht, bleibt dabei allerdings mit Bezug auf Begründung, Umfang und inneren Strukturzusammenhang zwangsläufig so vage, dass ein verbleibender Spielraum von Lehrenden und Lernenden nicht nur genutzt werden kann, sondern genutzt werden muss, um hinreichende Konkretheit für den Unterrichtsinhalt zu erreichen. (Die Vagheit der staatlichen Vorgaben lädt allerdings auch zu differierenden Interpretationen der ihnen zu Grunde liegenden Intentionalität ein; worin der gesellschaftliche Unterrichtsauftrag bestehe, wird dann schon von den Repräsentanten des Staates, die Vorgesetzte der Lehrer/innen und diesen gegenüber weisungsbefugt sind, unterschiedlich ausgelegt. Jede der Interpretationen tritt dann mit dem Anspruch auf, die zutreffende Interpretation des staatlich erteilten Auftrags zu sein, während sich hier doch auch unterschiedliche Intentionalitäten der Personen zeigen.)

Die im Transformationsverlauf zunehmende Vagheit der staatlichen Regelungen kann man, in Hinsicht einer entsprechend zunehmenden Freiheit des Lehrens und Lernens, positiv sehen. Man kann sie aber auch, in Hinsicht der Funktion des Unterrichts für die gesellschaftliche Reproduktion, als einen Mangel betrachten, dem man abzuhelfen versucht durch möglichst detaillierte und bis in die letzten Transformationsschritte determinierend hineinreichende Erfassung des gesellschaftlichen Bildungsbedarfs. Um die Partikularität der Interessen zu überwinden, soll eine wissenschaftliche Qualifikationsforschung für Allgemeingültigkeit sorgen. (Das war die große Illusion der 70er Jahre: didaktische Transformation als unterrichtstechnologische Umsetzung wissenschaftlich gestützter staatlicher Bildungsplanung. Dabei hatte schon der diese Phase einleitende theoretische Beitrag S.B. Robinsohns zur Curriculumentwicklung gezeigt, dass die angestrebte wissenschaftliche Absicherung sich letztlich in einer bloßen Verfahrenslegitimation unter Beteiligung von Personen, denen Expertentum zugeschrieben wurde, niederschlagen konnte, inhaltlich es aber beim kritisierten Dezisionismus (= auf Willkür beruhendes Entscheidungsprinzip), also bei mangelnder Begründung der staatlichen Bildungsentscheidungen bleiben musste.)

Selbst wenn die Lehrer/innen und Schüler/innen sich ganz und gar und widerstandslos auf die Transformationslinie des staatlich erteilten gesellschaftlichen Unterrichtsauftrags einlassen würden, könnte so kein Unterricht zustande kommen. Lehrer/innen und Schüler/innen müssen vielmehr selbst aktiv didaktische Transformation betreiben. Zwar gibt es den sozusagen indirekten Weg der Schulbuchzulassung, über den auch ohne entsprechend detaillierte Richtlinien auf die Detailplanung des Unterrichts richtunggebend eingewirkt werden kann. Doch sind die

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Lehrer/innen hier nur negativ reglementiert. Sie dürfen keine Unterrichtsmaterialien einsetzen, die nicht vom Staat für den Gebrauch in seinen Schulen zugelassen sind. Aber sie sind auch nicht dazu verpflichtet, mit den zugelassenen Materialien zu arbeiten. Die Entscheidung für oder gegen ein Schulbuch müssen Lehrer/innen daher doch noch selbst treffen.

Aus der Sicht der Transformationslinie des gesellschaftlichen Unterrichtsauftrags wäre es natürlich optimal, wenn die von Lehrer/innen und Schüler/innen vorgenommenen Transformationen lediglich dort einsetzen würden, wo die staatlichen Vorgaben unzureichend sind. Aber so funktioniert das nicht. Die eigene didaktische Intentionalität, ohne die didaktische Transformationen nicht vorgenommen werden können, lässt sich nicht nach Bedarf ein- und ausschalten. Sie macht sich auch dort geltend, wo eindeutige staatliche Vorgaben existieren, und befindet sich von daher in Konkurrenz zu jener Intentionalität, die sich in den staatlichen Regelungen manifestiert. Anders ausgedrückt: Der Staat kann sich seine Lehrer/innen nicht nur kaufen; er muss sie auch für sich gewinnen. Hier kommen erste und zweite Transformationslinie in Relation zueinander.

Die Tatsache, dass jemand Lehrer/in wird, also ein staatliches Amt anstrebt, heißt noch nicht, dass sie/er sich bedingungslos (bzw. allein unter der Bedingung, dass der Staat seinerseits die Vereinbarungen des Arbeitsvertrags erfüllt) mit dem staatlichen Willen identifiziert. Sollen die Lehrer/innen engagiert bei der Sache sein, muss der Staat sich hinsichtlich seiner Vorgaben für den Unterricht ihnen gegenüber legitimieren. Nur dann kann er auch von ihnen verlangen, dass sie sich ihrerseits ihm gegenüber in ihrem Unterrichtshandeln legitimieren. Legitimation ist nur möglich, wenn eine gemeinsam anerkannte Basis als Legitimationsgrund existiert oder hergestellt wird. Legitimierung ist also ein Kommunikationsprozess, innerhalb dessen man sich dieser gemeinsamen Basis vergewissert (oder ihr Fehlen konstatieren muss).

Was aber von den Lehrer/innen als Legitimation anerkannt wird, ist letztlich eine Frage ihrer persönlichen didaktischen Motivation und Intentionalität: Warum und wozu üben sie diesen Beruf aus? Auch eine bedingungslose Identifikation mit dem Amt und daraus folgende Übernahme der Intentionalität staatlicher Vorgaben muss einen Grund haben, der in der persönlichen Motivation dieses Menschen und daher in seiner Lebensgeschichte, in seiner besonderen Teilhabe am Ganzen, das Welt heißt, liegt. Was die Gesellschaft an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklungsgeschichte dazu bewegt, informationstechnischen Unterricht einzuführen, ist etwas anderes, als was einen Menschen an einem bestimmten Punkt seiner Lebensgeschichte dazu bewegt, Lehrer/in für dieses Fachgebiet zu werden. Ob es z.B. das Sicherheitsbedürfnis ist, das sich im angestrebten Beamtenstatus befriedigt findet; ob es die Lust an der kleinen Macht ist, die man über andere Menschen gewinnt; ob es das intellektuelle Vergnügen an der Fachdisziplin ist; ob es der Wunsch ist, eine bestimmte Botschaft oder Einsicht anderen Menschen zu vermitteln und so zu ihrer Verbreitung beizutragen; oder ob es vielleicht die Freude ist, die man sich davon erwartet, anderen Menschen in ihrer Entwicklung zu helfen – in jedem Falle steckt in der persönlichen Motivation als

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Resultat und Ausdruck des Verhältnisses dieses Menschen zur Welt, in der er lebt, auch immer schon sein persönliches Verhältnis zu den potenziellen Unterrichtsstoffen, die dieser Welt entstammen, und daher auch eine mehr oder weniger bewusste Intentionalität, unter welchen leitenden Gesichtspunkten die Stoffe im Unterricht thematisiert werden sollten.

Da Unterricht aber keine private Angelegenheit der Lehrer/innen ist, sondern im staatlichen Auftrag stattfindet, kann es bei der rein persönlichen Intentionalität nicht bleiben. Sie muss sich zum gesellschaftlichen Unterrichtsauftrag im Dienste der gesellschaftlichen Reproduktion vermitteln. Eben dies ist eine der Aufgaben wissenschaftlicher Lehrerausbildung. Während sie durch ihre fachwissenschaftliche Ausbildung qualifiziert werden sollen, die nach staatlicher Intentionalität vorgesehenen Transformationen des zu vermittelnden Stoffes auch tatsächlich vorzunehmen, bedeutet die Tatsache, dass die Lehrerausbildung darüber hinaus auch pädagogisch wissenschaftlich ist, dass die künftigen Lehrer/innen den Unterrichtsauftrag nicht allein aus Gehorsam gegenüber ihrem Dienstherrn, sondern auch aus Einsicht in seine didaktische Vernünftigkeit erfüllen sollen. In der Lehrerausbildung erhalten die künftigen Lehrer/innen Gelegenheit, ihre persönliche Berufswahlmotivation in eine kommunikative (nicht subalterne) Beziehung zu setzen zum gesellschaftlichen Unterrichtsauftrag. Kommt es hier zu einer „Verständigung“, kann also der einzelne Lehrer seine persönlichen Motivationen im gesellschaftlichen Unterrichtsauftrag aufgehoben finden oder sind beide jedenfalls miteinander vereinbar (was eine wechselseitige Prüfung ist), ist eine Basis gelegt zur Vermittlung beider Transformationslinien, d.h. zur engagierten Ausübung des Berufs.

Dennoch kann es weiterhin zu Konflikten kommen. An allen Ecken und Enden stoßen Lehrer/innen auf staatlich gesetzte Bedingtheiten ihres Unterrichtens, die ihrer Intentionalität widersprechen, auch wenn sie grundsätzlich mit ihrem Unterrichtsauftrag einverstanden sind. Zwar haben sie sich bei Antritt ihrer Ausbildung – je nach Bundesland in unterschiedlicher Weise – für einen bestimmten Schulformtyp (Schulstufe, allgemeinbildende oder berufsbildende Schule, Schultyp im viergliedrigen Schulwesen: Gymnasium, Realschule, Hauptschule, Gesamtschule) und bestimmte Unterrichtsfächer entscheiden müssen (womit nicht unbedingt schon festgelegt ist, an welchen Schultyp sie dann tatsächlich kommen). Aber das heißt nicht, dass sie persönlich mit den Intentionen übereinstimmen, die der gegebenen Schulformgliederung zu Grunde liegen:

• In der Wahl des Unterrichtsfaches mögen inhaltliche Interessen ihren Ausdruck gefunden haben; aber die Fachgrenzen könnten sich für eine tiefer gehende Behandlung der fachlichen Inhalte als beengend erweisen.

• Welcher Lehrer hält schon das Zeitbudget für ausreichend, das ihm und seinen Schüler/innen die Bildungsinstitution zur Verfügung stellt?

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• Die Lernziele der Richtlinien sind – aus Sicht eines Lehrers – nicht nur zu unbestimmt; sie weisen vielleicht auch in eine falsche Richtung, legen z.B. zu viel Wert auf reproduktives Lernen, setzen inhaltlich falsche Schwerpunkte.

• Die staatlich genehmigten Schulbücher sind durchweg nur unter großen Vorbehalten brauchbar usw.

Solche Probleme sind Lehrer-Alltag. Der Konflikt kann größer oder kleiner sein; beigelegt ist er nie. Es geht dabei nicht um die ganz persönlichen Vorlieben, die Lehrer/innen haben können. Das besondere Interesse an einem bestimmten Detailproblem des Faches z.B. wird immer zu kurz kommen müssen. Schließlich ist Unterricht nicht dazu da, dass Lehrer/innen ihre Hobbys realisieren können. Hier sind jedoch die Konflikte gemeint, die bei Anerkennung der gemeinsamen Basis, des gesellschaftlichen Unterrichtsauftrags, entstehen können und müssen, weil Lehrer/innen aufgrund ihrer erziehungswissenschaftlichen Ausbildung in der Lage sind, sich hiervon ihre eigene Vorstellung zu machen und sich von daher kritisch mit den staatlichen Vorgaben auseinanderzusetzen. Dass der Staat über die fachliche Ausbildung hinaus die Lehrerausbildung auch erziehungs-wissenschaftlich haben will, ist demnach als Aufforderung zu einer solchen Auseinandersetzung zu verstehen; der Staat will erziehungswissenschaftlich kommunikationsfähige Lehrer/innen und setzt sich damit Risiko und Chance einer permanenten Prüfung seiner Vorgaben seitens seiner Lehrer/innen aus. Die Ergebnisse dieser Prüfung zeigen sich im alltäglichen Unterrichtshandeln.

Lehren ohne Lernen ist allerdings ein Unbegriff. Und so kommt eine dritte Transformationslinie (bzw. ein zusätzliches Bündel an Transformationslinien) ins Spiel: die Transformationen, welche die Schüler/innen vornehmen. Solange zwischen Lehrer/innen und Schüler/innen kein Übereinkommen im Unterricht zustande kommt, bleibt der Unterricht ein erfolgloser Versuch. Wie der Staat seine Lehrer/innen, so müssen diese ihre Schüler/innen für ihren Unterricht gewinnen.

Die Basis hierfür kann schon auf der institutionellen Ebene fehlen. Vielleicht wollte diese Schülerin eine solche Schule oder überhaupt eine Schule niemals besuchen oder hat jedenfalls am informationstechnischen Unterricht kein Interesse. Im ersteren Falle wird der mit dem Besuch dieses bestimmten Schultyps verbundene Lernauftrag nicht akzeptiert; im zweiten Falle wird der gesellschaftliche Lernauftrag generell abgelehnt, im dritten Falle wird die Teilnahme am informationstechnischen Unterricht nur als eine höchst lästige Pflicht betrachtet, der man sich nach Möglichkeit irgendwie zu entziehen sucht. Es fehlt nicht überhaupt an Lernmotiven (das gibt es nicht), wohl aber an der Motivation, das zu lernen, was in der (dieser) Schule bzw. in diesem Unterrichtsfach gelernt werden kann und soll.

Ob eine Bereitschaft zum Lernen in der (dieser) Schule da ist oder geweckt werden kann, hängt nicht allein und vielleicht nicht einmal primär von der Schule (und den Lehrer/innen) ab, sondern auch (und vielleicht vor allem) von den vor- und außerschulischen Lebenserfahrungen der Schüler/innen:

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• Konnte unsere Gesellschaft diesem Schüler eine Lebensperspektive bieten, für die der Erwerb der Qualifikationen, die das staatliche Bildungswesen zu vermitteln sich anbietet, einen Sinn macht? Oder hält diese Gesellschaft für ihn nur Arbeitslosigkeit bereit?

• Konnte diese Schülerin Vertrauen erwerben in staatliche Institutionen? Oder vermittelt ihr die tägliche Berichterstattung eher den Eindruck, dass die staatlichen Institutionen zunehmend versagen angesichts der zu bewältigenden Aufgaben (und daher wohl auch die staatliche Schule wenig zur Perspektivierung der individuellen Lebensführung beitragen wird)?

• Konnte dieses Kind ein Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten, in unserem Falle konkret bezogen auf den Umgang mit Informationstechnik entwickeln? Oder wurde es als lernschwach, gar lernunfähig oder bezogen auf Informationstechnik – beispielsweise aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit – als unbegabt für eine solche Thematik abgestempelt?

Solange es dem Lehrer nicht gelingt, dieser Schülerin, diesem Schüler doch noch den Besuch der (dieser) Schule und dieses Unterrichts als persönlich sinnvoll plausibel zu machen, wird Unterricht mit ihr oder ihm nicht (oder höchstens scheinhaft auf der Basis von Gewaltanwendung oder -drohung) zustande kommen.

Jeder Mensch hat ferner sein individuelles Lerntempo. Die Schule nimmt hierauf keine Rücksicht, geht von einem Durchschnitt aus und schafft so den permanenten Zeitdruck, der so typisch ist für schulisches Lernen. Schüler/innen, deren Lerntempo zu langsam ist für das vorgegebene Zeitmaß, können dem Unterricht nicht folgen. Der Spielraum für Lehrer/innen, durch Individualisierung des Unterrichts und besondere Fördermaßnahmen für langsamer lernende Schüler/innen das Problem zu entschärfen und eine bessere Anpassung an die individuellen Lerntempi zu ermöglichen, ist gering. (Das Problem des Lerntempos existiert grundsätzlich auch für „schnelle“ Lerner; allerdings halte ich drohende Langeweile für ein weitaus erträglicheres Schulschicksal als das Nicht-Mitkommen.)

Auch die Fächereinteilung in Verbindung mit der typischen 45-Minuten-Taktung wechselnder Unterrichtsfächer kommt sicherlich nicht den Lernbedürfnissen der Schüler/innen entgegen, erzwingt sie doch einen ständigen, abrupten Wechsel des Unterrichtsstoffs, ohne Rücksicht auf Lernprozessverläufe. Immer wieder müssen interessante Lernprozesse abgebrochen, immer wieder neu muss Motivation für die Zuwendung zu einem neuen Unterrichtsgegenstand geweckt werden.

Die Lebenserfahrungen eines Menschen sind Erfahrungen mit der Welt, aus der die Sachen stammen, die zu Unterrichtsinhalten transformiert werden sollen. Unterricht über informationstechnische Sachverhalte beispielsweise soll einerseits, seinem gesellschaftlichen Auftrag entsprechend, dazu beitragen, dass diese Gesellschaft nicht den Anschluss an die technologischen Entwicklungen verliert. Aus persönlicher Lebensperspektive soll er dazu verhelfen, später bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt

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zu haben oder eine in der Jugend schon faszinierende Beschäftigung zum Beruf machen zu können. Dies sind unterschiedliche Perspektiven, denen unterschiedliche Interessen am Gegenstand zu Grunde liegen.

Oder betrachten wir das Beispiel Sprache. Kinder lernen spontan Sprache verstehen und selbst sprechen, dazu muss man sie in aller Regel nicht erst motivieren. Es ist ihr eigenes originäres Bedürfnis, an der Sprachgemeinschaft ihrer Lebenswelt teilzuhaben. Die Sprachgemeinschaft, in der ein Kind bis zum Schuleintritt groß geworden ist, ist aber nicht unbedingt dieselbe wie die, in die – aus „amtlicher“ Sicht – durch Sprachunterricht eingeführt werden soll. Das wird beispielsweise deutlich, wenn der Gebrauch des Dialekts oder umgangssprachlicher Ausdrücke im Unterricht unterbunden wird und so eine den Lernenden künstlich erscheinende Sprache gesprochen werden soll, die sich mit ihrem Bedürfnis zu sprechen, „wie ihnen der Schnabel gewachsen ist“, wie man bei ihnen zu Hause oder in der Gleichaltrigengruppe spricht, nicht verträgt.

Zwar wird bei der Institutionalisierung der Schulformen und Unterrichtsfächer davon ausgegangen, dass beide Perspektiven miteinander vereinbar sind, dass persönliches und gesellschaftliches Interesse am Unterricht positiv aneinander gekoppelt sind. Aber erstens gilt dies aus schon genannten Gründen nicht wirklich für jeden Einzelfall. Und zweitens muss diese Vermittlung auch den Schüler/innen selbst plausibel gemacht werden, wenn man sie für eine Teilnahme am Unterricht gewinnen will.

Nehmen wir das Beispiel des beruflichen Unterrichts. In berufsbildenden Schulen findet Unterricht immer noch nahezu ausschließlich unter der stillschweigenden Voraussetzung statt, dass er auf einen Beruf bzw. eine Erwerbstätigkeit zuführt, auch wenn heute klar ist, dass ein nicht gerade kleiner Prozentsatz der Auszubildenden später zumindest eine Zeitlang ohne bezahlte Arbeit bleiben wird. Drohende Arbeitslosigkeit lässt das wirtschaftliche Geschehen in einem anderen Lichte erscheinen und impliziert andere Lernintentionen als die für ein ganzes Arbeitsleben gesicherte Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Auf diese Intentionen gehen die staatlichen Vorgaben für die beruflichen Unterrichtsfächer in der Regel nicht ein.

Darüber hinaus stellt sich auch bei guten Arbeitsplatzaussichten die Aufgabe einer Vermittlung zwischen gesellschaftlichem Unterrichtsauftrag und persönlichen Lernintentionen. Die Berufstätigkeit ist faktisch ein Konfliktfeld nicht nur unterschiedlicher, sondern z.T. auch unvereinbarer Interessen. Ihre Thematisierung allein aus einer Perspektive (in der Regel aus der Perspektive der Unternehmungen) stellt eine einseitige Transformation dar, die didaktisch illegitim ist. Sie ist deshalb illegitim, weil keine Interessensperspektive privilegiert werden darf gegenüber den anderen Perspektiven und weil ohne eine Abstimmung des gesellschaftlichen Lernauftrags mit den Lernmotiven, die aus der persönlichen Lebensgeschichte der Schüler/innen stammen, kein wirklicher Unterricht zustande kommen kann.

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3.3 Ein weiter Didaktikbegriff Betrachtet man den Gesamtumfang des Feldes, das mit dem dargestellten Strukturmodell Didaktische Transformation erfasst und beschrieben werden soll, wird man sehen, dass ich trotz der im vorhergehenden Kapitel erläuterten Eingrenzung auf Unterricht einen sehr weiten Didaktikbegriff vorschlage. Das wird insbesondere deutlich, wenn man einige gängige Begriffe und Disziplinen den Transformationsschritten zuordnet.

Im der Lehrplan- und/oder Curriculumtheorie stehen der dritte bis fünfte Transformationsschritt im Zentrum der Aufmerksamkeit, und zwar konzentriert auf die Transformationslinie des „amtlichen Weges“, die ich auch in meiner bisherigen Kurzübersicht in den Vordergrund gestellt habe. Je nachdem, wieweit die Voraussetzungen und Konsequenzen dieser Transformation mit einbezogen werden, erstreckt sich die Behandlung auch noch auf vorhergehende Transformationsschritte. Die anschließende methodische Transformation wird in der Regel nicht mehr einbezogen; und die beiden „unteren“ Transformationslinien werden ebenfalls ausgeblendet.

Im Kern pädagogisch-didaktischer Theorie stehen in der Regel die Transformationsschritte vier bis sechs. Didaktik, jedenfalls Fachdidaktik geht also von der bereits erfolgten Institutionalisierung eines Unterrichtsfachs oder Fachgebiets aus. Innerhalb dieses Sektors wiederum konzentriert sie sich auf die mittlere Transformationslinie des Lehrens, selbstverständlich unter Einschluss der notwendigen Bezüge zur Transformationslinie des Lernens, seltener auch der Vermittlung zur „oberen“ Transformationslinie.

Manche didaktischen Ansätze nehmen jedoch eine noch weitergehende Eingrenzung vor, indem sie den Reflexionshorizont ganz auf den Schritt der methodischen Transformation reduzieren, also Lehren und Lernen nur noch als Vollzug der Vorgaben behandeln, die aufgrund der vorhergehenden Transformationsschritte zu konstatieren sind.

Psychologische Lerntheorien behandeln vorrangig die Frage, wie subjektive Lernprozesse – unabhängig von bestimmten Inhalten – sich vollziehen (untere Transformationslinie, Transformationsschritt 6; z.B. Kognitions- und Motivationstheorien) und welche Maßnahmen zu ihrer Optimierung von daher abgeleitet werden können.

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4. Erster Transformationsschritt: Distanzierung (von) der Informationstechnik

4.1 Die Ursprünglichkeit der Sache Die didaktische Transformation der Sache oder des Sachverhalts in einen Unterrichtsinhalt muss irgendwo einsetzen. Wir haben also nach einem „Anfang“ zu suchen, an dem die Informationstechnik zu finden ist, wie sie vor der zu untersuchenden Transformation, sozusagen „ursprünglich“ gegeben ist.

Dass Informationstechnik nicht zum Zwecke informationstechnischer Bildung erst erfunden wird, sondern dass es sie „gibt“, davon gehen wir alle ganz selbstverständlich aus. Aber was heißt das: „Es gibt“ Informationstechnik? Und als was erscheint sie uns „ursprünglich“?

Bisher wurde davon gesprochen, dass sich die Informationstechnik auf dem Wege der didaktischen Transformation zum Unterrichtsinhalt zwar auf den unterschiedlichen Transformationslinien in verschiedene Repräsentationsgestalten diversifiziert, aber ganz selbstverständlich auch davon ausgegangen, dass sie im Ursprung zu Recht als „die Informationstechnik“ bezeichnet wird, also eine Einheit sein soll. Die hier für den Ursprung postulierte Einheit der Sache meint nicht die erst durch Abstraktion theoretisch hergestellte eines gemeinsamen Begriffs, sondern eine Einheit der Lebenspraxis, in die alle Mitglieder einer Gesellschaft als miteinander lebende und arbeitende Menschen einbezogen sind. Einheit bedeutet nicht, dass alle das Gleiche tun, sondern dass das Unterschiedliche, das die Menschen tun, miteinander zusammenhängt, also insgesamt zu einer gemeinsamen Praxis verbunden ist.

In der Lebenspraxis der am Unterrichtsgesschehen Beteiligten taucht die Informationstechnik aber dennoch bereits in unterschiedlichsten Sachgestalten auf. Kinder lernen den Computer als Spielkonsole kennen; der häusliche PC ist den meisten Jugendlichen vertraut; wer in einer Band spielt, kennt ihn vielleicht als digitales Mischpult. Manche kennen ihn nur vom Hörenssagen (heute eher unwahrscheinlich), viele aus Filmen oder Science-Fiction-Literatur, wo ihm bereits Intelligenz und Selbständigkeit, teilweise gar menschliche Regungen zugeschrieben werden. Sehr oft kommen Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit dem Computer in Berührung, ohne es wahrzunehmen; etwa am Fahrkartenautomaten, am Geldautomaten, bei der Bedienung der Waschmaschine. Informationstechnik ist inzwischen und immer häufiger Bestandteil vieler Geräte und Maschinen, die es auch ohne sie schon lange gab und denen man ihre Informatisierung nicht ansieht.

Computer kommen sozusagen „in echt“ und „ursprünglich“ im alltäglichen Leben vor, sichtbar und unsichtbar: wir gehen mit ihnen um, wie wir mit den unendlich vielen anderen Gegebenheiten des menschlichen Lebens umgehen. Im Zuge der geschichtlichen Entwicklung gesellschaftlicher Praxis sind es aber immer häufiger nicht

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nur die Dinge selbst, sondern auch deren symbolische Verarbeitungsformen, mit denen die Menschen sich auseinanderzusetzen haben: wissenschaftliche Aussagen, literarische und künstlerische Darstellungen, Abbildungen, Modelle, Nachrichten, Repräsentationen in Massenmedien, Computersimulationen usw.

So kommen auch Computer sowohl „in echt“ als auch in vielfältiger symbolischer Gestalt vor: Sind sind Thema in Nachrichten und Sendungen der Massenmedien; es gibt Sachbücher über sie; sie spielen in Filmen und in der Literatur eine Rolle; es wird über sie geredet, privat und öffentlich. Ihre symbolischen Gestalten sind selbst schon Resultate unterschiedlicher Transformationsprozesse. Aus Sicht des Unterrichts gehören dennoch all diese „echten“ und symbolischen Erscheinungsformen des Computers zur Welt „draußen“ und müssen, um in ihm zum Inhalt werden zu können, erst eine didaktische Transformation durchlaufen.

Bezogen auf die ursprünglichen Sachen sind deren symbolische Repräsentationen in Wort, Schrift, Bild usw. zwar selbst bereits Transformationen; Transformationen jedoch, die nicht in didaktischer, sondern in anderer (wissenschaftlicher, literarischer, künstlerischer, informatorischer, politischer usw.) Intention vorgenommen wurden. Es gehört zur Sachlichkeit dieser Sachen, transformiert zu sein. Zu einer sachangemessenen didaktischen Transformation gehört daher auch die Thematisierung ihrer spezifischen Transformiertheit.

Dabei ist die Differenz zwischen der Sache im Ursprung und ihrer jeweils transformierten Gestalt wichtig und darf nicht unterschlagen werden, wie dies faktisch im Unterricht zu oft geschieht, indem die Repräsentation der Sache für die Sache selbst genommen und ausgegeben wird, während ihre Differenz zur Sache selbst sowie die Intentionen und Verarbeitungsvorgänge, die in die Transformation eingeflossen sind, nicht thematisiert werden.

Die Sache im Ursprung meint hier also nicht etwa die Sache, wie sie vor jeglicher Transformation, sondern wie sie vor der didaktischen Transformation existierte. Wir können auch sagen: wie sie den Menschen begegnet vor jeder Transformation in didaktischer Absicht. Ursprünglichkeit ist hier also nicht eine Bezeichnung für eine ontische Urgegebenheit (ontisch = seiend, unabhängig vom Bewusstsein existierend) oder einen ontischen Urzustand einer Sache, sondern bezeichnet lediglich das Verhältnis, in dem die Sache zu uns steht, bevor die didaktische Transformation einsetzt.

Die Gestalten, in denen die Sachen uns in diesem Sinne „ursprünglich“ begegnen, enthalten sogar fast immer schon Transformationen, insofern die meisten Sachen (erst recht Sachen wie der Computer) überhaupt erst aufgrund menschlicher Tätigkeit existieren. Und menschliche Tätigkeit ist immer ein Formungsvorgang und als Formveränderung auch Transformation in eine neue Form. Auch die Arbeit ist eine Transformation.

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Ein Beispiel aus einem anderen Gegenstandsbereich: Bei einem Gedicht über ein Naturerlebnis ist die Sache das Gedicht, nicht die erlebte Natur. Das Gedicht ist die poetische Verarbeitung des Naturerlebnisses, also eine künstlerisch transformierte Darstellung der Sache Natur. Bei einem naturwissenschaftlichen Experiment ist die Sache ebenfalls nicht die Natur, sondern deren technisch-experimentell bereits zugerichtete Laborfassung. Anders als im Deutschunterricht, in dem klar ist, dass das Gedicht und nicht die Natur die Sache ist, mit der man sich beschäftigt, suggeriert der naturwissenschaftliche Unterricht nur zu oft, dass man sich hier mit Natur in ihrer reinen Ursprünglichkeit (und nicht mit deren wissenschaftlich-technischer Bearbeitung) befasse.

Was also ist die Sache in einer so verstandenen Ursprünglichkeit? Im Ursprung, wie er hier verstanden wird, ist die Sache keineswegs ein Ding an sich, das dann erst in eine Beziehung zum Menschen gebracht wird, von der demnach zu abstrahieren sei, wenn man die Sache in ihrer Ursprünglichkeit zu thematisieren beabsichtigt. Eine solche Abstraktion ist vielmehr selbst schon eine Transformation der ursprünglichen Sache in bestimmter Absicht (wie das o.g. Beispiel des naturwissenschaftlichen Experiments zeigt). Die Sache im Ursprung ist die Sache, wie sie dem Menschen im Ursprung begegnet. Die Begegnungsform gehört zur Sache und macht ihre Sachlichkeit wesentlich aus. Ein Gedicht begegnet nicht nur den Sinnen, sondern vor allem auch dem sprachlichen Denken und dem sprachästhetischen Empfinden, während die Natur, von der das Gedicht handelt, im Ursprung der sinnlichen Wahrnehmung begegnete, die natürlich beim reiferen Menschen auch nahezu niemals ohne jegliche Beteiligung des sprachlichen Denkens stattfindet, in der dieses jedoch eher von sekundärer Bedeutung ist gegenüber der leiblichen Dimension der Wahrnehmung.

Die Sache im Ursprung ist die ursprünglich begegnende Sache. Zu ihr gehört der Mensch, dem sie begegnet, immer schon dazu. Sie ist ein ursprüngliches Sachverhältnis des Menschen, und es gibt – je nach Sache – ganz unterschiedliche Ursprünglichkeiten. Die Sprache begegnet dem Menschen zwar – von außen betrachtet – zuerst in der Weise, dass Laute an sein Ohr dringen. Aber in ihrer Sachlichkeit als Sprache, d.h. als symbolischer Ausdruck von etwas anderem, begegnet sie erst dem, der sich als Angesprochener erfährt, und vollends erst dem Denken, worin der Mensch sich selbst als mit Sprache begabtes Wesen erfahrbar wird. Die Natur hingegen begegnet in ihrer Sachlichkeit als Natur ursprünglich dem Menschen, soweit er selbst Natur ist, also in seiner leiblichen Wahrnehmungsfähigkeit, worin er zugleich sich selbst als Naturwesen erfährt. Und der Computer? Er begegnet ursprünglich dem technisch handelnden bzw. an technischen Prozessen teilhabenden Menschen, worin dieser zugleich seiner technikbezogenen Interessen inne wird.

Bezogen auf einzelne Menschen (zweite und dritte Transformationslinie) ist die Gestalt, in der der Computer ursprünglich begegnet, bestimmt durch die spezifischen Lebensumstände dieses Menschen. Deshalb sind auch die darauf bezogenen Interessen oder Desinteressen vielfältig motiviert und ausgeprägt. Bezogen auf die Gesellschaft (obere Transformationslinie) ist es die Informationstechnik, wie sie in ihrem Bezug zur

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Gesellschaft als ganzer erscheint. Es ist klar, dass Distanzierung je nach Transformationslinie etwas Unterschiedliches bedeutet.

4.2 Unterricht und Entfremdung Als soziales Geschehen verweist Unterricht zurück auf eine Welt „draußen“, auf die bezogen sich seine Notwendigkeit begründet. „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen [und lehren] wir.“ Die Welt „draußen“ ist demzufolge nicht eine Ansammlung von Objekten und Dingen, von nebeneinander befindlichen „Sachen“, sondern „Leben“. Die „Sachen“ sind lebenspraktisch relevante Sachverhalte, d.h. immer schon in ihrem „Begegnen“ zugegen. Unterricht ist demnach eine Unterbrechung im Prozess der Lebenspraxis, die zugleich deren In-sich-Zurückvermittlung (eine Rückkehr) intendiert; erst ist eine Unterbrechung, die nötig wird, um Kontinuität zu ermöglichen.

Die verschiedenen Transformationslinien bestehen aus einer Reihe notwendiger Schritte, die wir im Verlaufe dieser Vorlesung genauer betrachten werden. Diese Schrittfolge deckt sich aber nicht unbedingt mit einer zeitlichen Abfolge.

Die Intentionalisierung zum Beispiel ist der Schritt, bei dem darüber entschieden wird, unter welchen leitenden Gesichtspunkten die Sache im Unterricht thematisiert werden soll. Herkömmlicherweise wird hier von Unterrichts-, von Lern- oder von Bildungszielen gesprochen: Welchen Sinn soll dieser Unterricht für die Gesellschaft und für den einzelnen haben?

In der Abfolge der Transformationsschritte folgt Intentionalisierung der Institutionalisierung, denn über die Ziele eines Unterrichtsfaches zu befinden, setzt dies Unterrichtsfach schon voraus. Andererseits wird dieses ja nur eingeführt, wenn es auch Sinn macht. Institutionalisierung ist daher immer auch schon mit Intentionalisierung auf der amtlichen Ebene verbunden. Schon die Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz birgt Intentionalität.

Außerdem sind die Linien bzw. die Transformationsschritte auf ihnen auch untereinander nicht synchron. Wenn in einem Kind eine Fragehaltung zu einem Gegenstandsbereich erwacht, wird es das entsprechende Fach an den Schulen schon lange geben (oder auch nicht).

Dennoch kann man die Linien auch als Zeitpfeile interpretieren (muss dann aber von den einzelnen Schritten weitgehend abstrahieren).

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Abb. 1: Unterricht als eine Unterbrechung der Lebenspraxis, die deren Kontinuität vermittelt

Für die Interpretation als Zeitpfeil gibt es zwei Möglichkeiten:

• Zu einem gegebenen Zeitpunkt stellen die Linien Abfolgen von unterschiedlichen zeitlich aufeinander folgenden und inhaltlich aufeinander aufbauenden Bildungsstufen dar, auf denen sich jeweils eine bestimmte Menge von lernenden Gesellschaftsmitgliedern befindet.

• Oder die Linien symbolisieren individuelle Bildungswege, also den Weg von der Kindheit über das Schulalter bis hin zum Erwachsensein. (Ebenso möglich: Berufliche Tätigkeit – Teilnahme an einer Weiterbildung oder Umschulung – Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit.)

Zur Interpretation als Bildungsstufen: Die Welt „draußen“ ist links und rechts im obigen Schema dieselbe: die in einer Gesellschaft herrschende Lebenspraxis, welche der Unterrichtung der Gesellschaftsmitglieder bedarf, um gelingen und fortbestehen zu können. Zu einem gegebenen Zeitpunkt sind diejenigen, die ihre Lebenspraxis zum Zwecke des Unterrichts unterbrechen, aus ihr heraustreten, nicht dieselben wie die, die in sie zurückkehren, nachdem sie den Unterricht absolviert haben. Die mit einem Pfeil versehene Linie wird also in ihrer Erstreckung von links nach rechts durch Reihen verschiedener Personen auf unterschiedlichen Stufen ihres persönlichen Lernweges gebildet. Anders ausgedrückt: In einer Gesellschaft leben zu einem gegebenen Zeitpunkt Menschen unterschiedlichster Bildungsstufen, „unmündige Kinder“ und „mündige Erwachsene“ zusammen, Schulanfänger und Schulabgänger. Ein großer Teil der Jugend verbringt seine Zeit in der Schule.

Zur Interpretation als Bildungswege: Betrachten wir diese Linie hingegen als den Weg, den eine bestimmte Person geht, so ist die Lebenspraxis links zwar dieselbe wie die rechts, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten; sie ist also nicht die gleiche (wie der Mensch nach dem Unterricht zwar derselbe, nicht aber der gleiche ist wie vorher). Man könnte also – etwas paradox – formulieren: Die Lebenspraxis des einzelnen muss sich

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(vermittelt durch Unterricht) ändern, damit sie gesellschaftlich dieselbe bleiben kann. (Das heißt: Der einzelne muss lernen, damit sich die Gesellschaft reproduzieren kann.)

Die Linie der didaktischen Transformation beschreibt jene Schritte, die die Übergänge an den „Schwellen“ zwischen der Welt „draußen“ und dem Unterricht ermöglicht.

Mit dieser Charakterisierung von Unterricht als Stufe der Selbstvermittlung von gesellschaftlicher und persönlicher Lebenspraxis knüpfe ich an eine bildungstheoretische Tradition an, die Bildung – von Hegel her kommend – als dialektische Bewegung aus der Unmittelbarkeit durch die Distanz (Entfremdung) in die Vermitteltheit bestimmt hat. [Derbolav 1971]

Abb. 2: Stufen der Bildungsbewegung nach J. Derbolav

Diese Bewegung geht aus von der distanzlosen Lebenspraxis (Mensch und Welt sozusagen im Clinch) und führt durch eine Phase der Distanzierung (Entfremdung) von der Lebenspraxis (Mensch und Welt auf Abstand gehalten), in der rationales Wissen erworben bzw. hervorgebracht wird, schließlich zurück in eine durch Lernen vermittelte und individuell (vor dem eigenen Gewissen) verantwortbare Lebenspraxis (Mensch und Welt in verhaltener Umarmung, die wieder in Clinch übergehen kann). In J. Derbolavs Worten:

„… in jenem Auseinandersetzungsprozeß, den wir als Bildung charakterisiert haben, geht die Erfahrung der Welt als Feld qualifizierter Ansprüche ihrer theoretischen Vergegenständlichung im Wissen ebenso notwendig voraus, wie diesem theoretischen Wissensausgriff der Rückgang ins Praktische, die kritische Qualifizierung jener Ansprüche im Gewissen folgen muß, wenn überhaupt von ‚Bildung‘ die Rede sein soll.“ [Derbolav 1971, 71] (vgl. auch die ausführlichere Darstellung seines „Reflexionsstufenmodells“ S. 72 und die Illustrierung am Beispiel der Muttersprache S. 73)

Unmittelbarkeit heißt hier nicht etwa Bewusstlosigkeit oder ein Verhalten, das auf einer vormenschlichen Entwicklungsstufe liegt. Gemeint ist die naive Fraglosigkeit des

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gewöhnlichen Verhaltens, das die Dinge, Umstände, Verhältnisse („Sachen“) nimmt, wie sie erscheinen, und sich in eine vorgegebene oder sich „von selbst“ ergebende Weise der Lebenspraxis mit Selbstverständlichkeit einfügt. So gehört für die meisten Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft heute der PC ganz selbstverständlich zum häuslichen Inventar; und sie machen von ihm Gebrauch oder auch nicht, wie es sich ergibt; ebenso wie dies auch bei anderen Geräten der Fall ist, die sie im Haushalt oder weiteren Lebensumfeld vorfinden. Dabei findet Lernen statt, durch Mitmachen und Nachmachen, dadurch, dass man Übung bekommt, auch durch Sich-zeigen- und -erklären-Lassen usw. Das ist jenes Lernen, das zum fraglosen Umgang mit den Sachen gehört.

„Fraglos“ heißt dabei nicht etwa, dass die Kinder oder Jugendlichen keine Fragen stellen: „Wie geht das?“; „Was passiert, wenn ich …?“ Sondern es heißt, dass auf diese Art von Fragen einzugehen, keine Distanzierung verlangt, sondern im Gegenteil gerade den Einbezug in den unmittelbaren Umgang, also die Nähe zur und Annäherung an die Sache.

Das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit heißt demgegenüber ein Heraustreten aus der Fraglosigkeit und Selbstverständlichkeit, heißt Infragestellen und Problematisieren, heißt Auseinandersetzung von Mensch und Welt im Wortsinne. Fragen, die hier auftauchen, sind Fragen, die sich nicht mehr durch weitere Annäherung, sondern im Gegenteil nur durch Distanzierung beantworten lassen.

Die folgende zweite Stufe der Bewegung wurde von Derbolav als Entfremdungs- oder Rationalitätsstufe bezeichnet. Das Subjekt löst sich von der Sache und stellt sie sich gegenüber als von ihm getrenntes und – relativ zur fraglosen Vertrautheit mit der Sache auf der Stufe der Unmittelbarkeit – nunmehr fremd gewordenes Objekt. Das Verhältnis zur Sache ist somit kein praktisches mehr, sondern eines der distanzierten rationalen Betrachtung, der Theorie. „In theoretischer Haltung aber reduziert sich der Normanspruch des [praktischen] Umgangs auf das einzige Motiv der vergegenständlichenden Erkenntnis, der Ermittlung des ‚Was‘, ‚Wie‘ bzw. ‚Warum‘ des je Befragten oder seiner richtigen, d.h. kontrollierbaren Erfassung und Erklärung.“ [Derbolav 1971, 72] In dieser theoretischen Distanz zur Sache, in der demnach angeblich allein das Erkenntnismotiv wirksam ist, müssen nun allerdings auch Chancen für die Praxis liegen, um deretwillen sie einerseits aufgesucht, andererseits nachher aber auch wieder aufgegeben wird, wenn eine Rückkehr in die Praxis ansteht.

Diese Chance liegt darin, dass im Auseinandertreten von Mensch und Sache beide aus der Begrenzung durch die Verklammerung mit der jeweils anderen Seite herausgenommen und geöffnet werden für Möglichkeiten, die den Stand der Dinge transzendieren, im Objektiven ebenso wie im Subjektiven. Mensch und Sache werden in die Möglichkeit einer Entwicklung gestellt, die erst durch Distanz eröffnet wird. Die Sache wird, frei von dem Blickwinkel der praktischen Verfügbarkeit in gewohntem Umgang, in einer neuen, erweiterten Weise sichtbar. Und der Mensch kann frei von den

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Bedingungen, die ihm die Sache im unmittelbaren Umgang setzt, sich selbst neu erfahren.

Das heißt die Distanzierung als Befreiung aus dem Clinch mit der Objektwelt ermöglicht es dem Subjekt auch, sich auf sich selbst zu besinnen und zu beziehen, die eigene Subjektivität in ihrer Freiheit von den Zwängen und Notwendigkeiten der unmittelbaren Lebenspraxis zu erfahren, an durchdringlichen, transparenten Objekten zu erproben und so zu entwickeln. Im Scheitern unmittelbarer Lebenspraxis erweist sich die Welt als Hemmung, ja Vernichtung des menschlichen Strebens. In der objektivierenden Distanzierung, die mit symbolischer Repräsentation des Gegenstandes einhergeht, wird die Macht der Welt zunächst gebrochen; in symbolischen Repräsentationen wird sie durchdringbar vom Subjekt, lässt sie sich „tränken“ mit Subjektivität, werden die im unmittelbaren Clinch verborgen bleibenden Möglichkeiten für die Gestaltbarkeit durch das Subjekt sichtbar. Denn das objektiv Mögliche steht immer in einer Relation zu den subjektiven Potenzialen, die es erschließen könnten. Deshalb ist die objektivierende Distanzierung zugleich Subjektivierung des Menschen: Stärkung seiner Fähigkeit, sich (seinen subjektiven Eigensinn) und seine Potenziale gegenüber der Welt zur Geltung zu bringen – was einschließt: sich zu objektivieren in der Vermittlung sowohl mit dem Eigensinn der Dinge als auch mit dem Eigensinn der anderen Menschen.

Die so erschlossene Potenzialität weiterer Entwicklung ist nun auf der dritten Stufe wieder zurückzuvermitteln in den praktischen Lebenszusammenhang. Potenzialität wird rückbezogen auf die Sinngebungen, welche die menschliche Lebenspraxis orientieren. Erst hier erfüllt sich für Derbolav das, was er die Bildungsbewegung nennt: Wissen, erworben in der Distanz der Entfremdungsstufe, wird zu Gewissen, wenn sich Sachgerechtheit und Sinnbezogenheit handlungsorientierend verbinden.

4.3 Problematisierungen der Informationstechnik Inwiefern kann sich nun auf der Unmittelbarkeitsstufe die Nötigung oder Motivation ergeben, Sachverhalte infragezustellen, das bisher Selbstverständliche zu bezweifeln und so in Distanz zu treten zur Lebenswelt?

Offensichtlich ist es ein Nicht-Gelingen der Praxis in ihrer Unmittelbarkeit, welches das Bedürfnis erzeugt, der „Sache“, die sich dann als ein Problem darstellt, auf den Grund zu gehen, zurückzutreten von ihr, um sie aus der Distanz und unbehelligt von ihren Anforderungen genauer betrachten und untersuchen zu können.

Was auf der individuellen Ebene zum Abstandnehmen motiviert, ist nicht dasselbe wie das, was auf der gesellschaftlichen Ebene Distanzierung ernötigt. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird die Informationstechnik zum Problem, wenn der fraglose Umgang mit ihr Störungen der gesellschaftlichen Reproduktion zur Folge hat. Dafür gibt es sicher verschiedene Möglichkeiten. Betrachten wir die öffentliche Diskussion

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um informationstechnische Bildung, so treffen wir zum Beispiel auf folgende Problematisierungen:

Auf der Ebene der Fachbildung geht es um die Ausbildung von IT-Fachkräften, welche die Entwicklung der Technologie vorantreiben. Ein Beispiel hierfür war die Green-Card-Diskussion im Jahr 2000. Es ging vor allem um die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft und in diesem Zusammenhang um mangelnden Nachwuchs an IT-Kräften. Erst aufgrund dieses Problems wurden Überlegungen zur Ausweitung der Ausbildungskapazitäten im Bildungswesen forciert. Erste Konsequenzen waren zum Beispiel erhöhte Investitionen in die Informatik-Fachbereiche an den Hochschulen.

Die IT-Fachbildung kann in doppeltem Sinne zum Problem werden: quantitativ (es gibt zu wenig Nachwuchs) und qualitativ (die Ausbildung „passt“ nicht auf den Bedarf der Unternehmungen).

Es sieht zwar auf den ersten Blick so aus, als würden diese Probleme gar nicht von der Informationstechnik verursacht, sondern seien Versäumnissen des Bildungssystems zuzuschreiben. Doch liegt hier in der Tat eine originäre Problematik der Informationstechnik selbst vor: In ihrer Entwicklung stecken Triebkräfte und Potenziale, die eine bisher ungekannte Durchdringungsfähigkeit, Dynamik und Unvorhersehbarkeit der Entwicklung begründen. Ausbildung, die sich an den je gegebenen Gestaltungen dieser Technologie orientiert, veraltet in immer kürzeren Zeiträumen („sinkende Halbwertszeit des Wissens“). Ein bloßes Heranführen an die je aktuellen Techniken, eine Einübung in je aktuell dominierende Konzepte reicht nicht aus, um eine auch künftig noch relevante Qualifikation zu vermitteln. Offensichtlich bedarf es eines Blicks „hinter die Kulissen“, d.h. in die den sichtbaren Entwicklungen zugrundeliegenden „unsichtbaren“ Potenziale der Technologie, um auf sie nicht lediglich und doch auch immer zu spät zu reagieren, sondern aktiv ihre Entwicklung voranzutreiben. (Dilemma zwischen augenblicklichem Bedarf und längerfristig haltbarer Qualifikation)

Das Problem der Fachausbildung ist jedoch nicht auf die informatische Ausbildung im engeren Sinne zu reduzieren. Indem die Informationstechnik in ihrer Ausbreitung kaum einen gesellschaftlichen Praxisbereich auslässt, stellt sich ein Vermittlungsproblem: die Technologie muß in vorhandene Praxisfelder integriert werden; anders ausgedrückt: es müssen bereichsspezifische Techniken entwickelt und bereitgestellt werden. Das ist ohne das bereichsspezifische KnowHow und Fachwissen derer, die dort bisher schon tätig waren, nicht leistbar. Ablesbar ist diese Anforderung an der Entwicklung der sogenannten Bindestrich-Informatiken. Die Verbindung unterschiedlicher Wissensbereiche in bereichsspezifischen informatischen Konzepten und Lösungen verlangt ebenfalls eine Distanzierung von der Oberfläche, an der ja vor allem die Differenzen prägend sind, und ein Vordringen in Schichten, in denen Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen disziplinären Horizonte aufspürbar sind, welche eine Vermittlung ermöglichen.

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Länger schon wird aber auch eine Diskussion um allgemeine informationstechnische Bildung geführt, u.a. mit den Stichworten neue Kulturtechnik und Medienkompetenz. (Veränderung unserer Kultur durch Informationstechnik; Mediatisierung des Weltverhältnisses). Dabei wird argumentiert: Es genüge nicht mehr, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene en passant mit den neuen Technologien Kontakt bekämen und sich dabei nebenher bzw. aufgrund privater Initiative die nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse aneigneten. Sondern zum ersten müsse um der sozialen Chancengleichheit willen dafür gesorgt werden, dass alle in gleicher Weise, unabhängig von ihrem sozialen Status und ihren finanziellen Mitteln, die Möglichkeit erhielten, sich diese Grundbildung anzueignen, um nicht von der aktiven Teilhabe am kulturellen Leben ausgeschlossen zu werden. Und zum zweiten sei auch das, was dabei zu lernen sei, nicht im bloßen alltäglichen Umgang mit dieser Sache zu erwerben, sondern verlange u.a. auch ein tieferes Verständnis für die durch Technisierung und Mediatisierung gesellschaftlicher Kommunikation und Interaktion bewirkten kulturellen Veränderungen.

Der Informationstechnik wird dabei also eine kulturprägende Kraft zugeschrieben, welche es für alle Mitglieder dieser Gesellschaft (und nicht nur für die, die in der IT-Branche beruflich tätig sind) nötig macht, einen angemessenen Gebrauch mit ihr zu erlernen, um selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

Dass die Entwicklung der Informationstechnik Probleme mit sich bringt, welche die Reproduktionsfähigkeit dieser Gesellschaft tangieren, belegt die zeitweise heftig geführte öffentliche Diskussion darüber, wie auf diese Problematiken seitens des Bildungssystems zu antworten sei. Die Diskussion betrifft die Fachbildung ebenso wie die allgemeine Bildung. Ob allerdings diese Probleme so gravierend sind, dass sie zur Konsequenz der Institutionalisierung eines neuen inhaltlichen Bildungsbereichs führen müssen, war innerhalb dieser Diskussion nie unumstritten.

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5. Zweiter Transformationsschritt: Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz

5.1 Kriterien und Instanzen der Relevanzprüfung Nicht alles, was problematisch ist, was fragwürdig ist, was zum distanzierten, absichtsvollen Lehren und Lernen herausfordert, ist über eingegrenzte, z.B. persönliche Lebensbereiche hinaus von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, also so wichtig, dass von seiner Berücksichtigung im Unterricht die Reproduktionsfähigkeit des Gemeinwesens tangiert ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz und entsprechenden Auswahl potenzieller Unterrichtsstoffe.

Darüber, was gesellschaftlich relevant ist und daher zum Unterrichtsinhalt werden sollte, gibt es in einer Gesellschaft allerdings unterschiedliche Auffassungen. Daher muss im Namen der Gesellschaft eine Entscheidung getroffen werden, aufgrund welcher Prüf- und Auswahlkriterien die Unterrichtsstoffe schließlich festgelegt werden. Wer aber darf im Namen der Gesellschaft sprechen und diese Entscheidungen legitimerweise treffen?

Als die Instanz, deren Funktion es ist, für die Gesellschaft als ganze einzutreten und zu handeln, kommt hier der Staat ins Spiel. Er ist es, der über die gesellschaftliche Relevanz potenzieller Unterrichtsstoffe zu befinden und entsprechende Konsequenzen zu ziehen hat.

Auf welcher Grundlage und nach welchen Kriterien sich die Prüfung vollzieht, dies hängt allerdings ab von der Verfasstheit einer Gesellschaft und d.h. von ihrem Verhältnis zu ihrem Staat. Im absolutistischen Staat des 17./18. Jahrhunderts etwa wurden die gesellschaftlichen Angelegenheiten identifiziert mit den Angelegenheiten des herrschenden Hauses. Eine Berücksichtigung der Interessen der gesellschaftlichen Klassen und Stände fand seitens des Staates nur statt, insoweit dies nötig war, um dem herrschenden Interesse zuzuarbeiten. Zwischen Gesellschaft und Staat (Herrscherhaus) fand eine Kommunikation kaum statt. Was gesellschaftlich relevant war, wurde am Maßstab der Interessen der absoluten Herrschaft geprüft und per Herrscherdekret verordnet.

In einem demokratisch verfassten Gemeinwesen sind es zwar ebenfalls staatliche Instanzen (bei uns die Kultusministerien der Länder), welche per Erlass in Lehrplänen und Richtlinien die relevanten Unterrichtsstoffe festlegen; aber sie handeln dabei im demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Auftrag, der den gewählten Entscheidungsträgern auch wieder entzogen werden kann. Die staatlichen Entscheidungen unterliegen daher permanenter öffentlicher Kontrolle und entsprechendem Legitimationsdruck.

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Zwei Hauptformen der Legitimationsbeschaffung für die staatlichen Entscheidungen in einem modernen demokratischen Gemeinwesen können unterschieden werden: die Legitimation durch den öffentlichen Diskurs und/oder die Legitimation durch Wissenschaft.

Bei einer Legitimation durch den öffentlichen Diskurs wird die Gesellschaft an der staatlichen Willensbildung beteiligt. Geplante oder vollzogene staatliche Entscheidungen müssen grundsätzlich veröffentlicht werden. Damit werden sie der öffentlichen Kritik und öffentlichen Diskussion ausgesetzt. Das heißt zugleich, dass sie prinzipiell zurückgenommen und revidiert werden können, wenn der Druck der öffentlichen Meinung entsprechend groß wird. In der beruflichen Bildung werden die betroffenen und interessierten Gruppen institutionell direkt in die Prozesse der staatlichen Willensbildung eingebunden. So sind in den Gremien, die über die Inhalte der beruflichen Bildung in der BRD beraten, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter paritätisch beteiligt. Zwar haben diese Gremien nur beratende und vorschlagende Funktion, aber wenn der Staat sich an ihre Vorschläge hält, kann er sich zur Legitimation seiner Entscheidungen auf die Mitwirkung der gesellschaftlichen Gruppen berufen. Die Legitimationsfrage wird dann vom Staat ab- auf die Gesellschaft zurückgewendet.

Bei einer Legitimation durch Wissenschaft werden Experten herangezogen, die aufgrund professioneller (Lehrer/innen) bzw. wissenschaftlicher Kompetenz Empfehlungen abgeben. Hierzu sind in der BRD verschiedene staatliche Institutionen eingerichtet. Zu nennen wären beispielsweise das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die beide auf dem Gebiet der beruflichen Bildung forschen, sowie die ehemaligen Landesinstitute für Curriculumentwicklung, Schulforschung und Lehrerbildung, die auf dem Gebiete der Allgemeinbildung forschend, entwickelnd und politikberatend tätig waren. (Diese Aufgabe ist inzwischen weitgehend aufgegeben worden. Die Länder holen sich ihre Expertisen jetzt meist von jeweils für bestimmte Aufgaben eingesetzten Expertengruppen, die nach Erledigung wieder aufgelöst werden.)

Dass wissenschaftliche (Bildungs-)Politikberatung und Berücksichtigung des öffentlichen Diskurses über Bildung nicht immer zum gleichen Resultat führen, ist bekannt. Während die öffentliche Diskussion in Fragen der informationstechnischen Bildung nahezu einhellig fordert, den Computer endlich zum selbstverständlichen Bestandteil des schulischen Unterrichts zu machen und Verlautbarungen aus der Bildungspolitik meist diesen öffentlichen Konsens aufnehmen, bemühen sich Wissenschaftler um eine differenziertere Sicht dessen, was „Computereinsatz in der Schule“ besagen soll und worin er eine sinnvolle Begründung finden kann. Positionen, die die Notwendigkeit informationstechnischer Bildung rundweg bestreiten, wie sie in der Anfangszeit der Diskussion um Informationstechnische Bildung vor fünfzehn bis zwanzig Jahren vor allem unter Pädagoginnen und Pädagogen noch vertreten waren, werden allerdings kaum noch artikuliert.

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5.2 Die gesellschaftliche Relevanz informationstechnischer Bildung

Es gibt unterschiedliche Argumente dafür, dass die mit der Entwicklung der Informationstechnik verbundenen Probleme gesellschaftlich hinreichend relevant sind, um daraus die Notwendigkeit einer informationstechnischen Bildung herzuleiten. Auf zwei Argumentationslinien soll hier eingegangen werden.

5.2.1 „Schlüsseltechnologie“ Schon in den 80er Jahren kam die Rede von der Informationstechnik als einer Schlüsseltechnologie auf. Damit sollte ausgesagt werden, dass in der weiteren Entwicklung dieser Technologie ein wichtiger „Schlüssel“ zur künftigen Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt liege, weshalb dieser Bereich einer besonderen Förderung bedürfe. In diesem Sinne wurden und werden auch andere, wirtschaftlich vermutlich künftig besonders gewichtige Technologien (zum Beispiel die Gen- und Biotechnologie oder die Technologie erneuerbarer Energien) als Schlüsseltechnologien bezeichnet. Verbunden damit ist immer auch, dass die wirtschaftliche Förderungsabsicht verweist auf flankierende Qualifizierungsmaßnahmen in der Schule, in den Betrieben, in der Fortbildung oder sonstwo. (Soweit der Weg nicht offensteht, die benötigten Qualifikationen auf dem Welt-Arbeitsmarkt einzukaufen, wie dies die USA seit langem erfolgreich tun und wie es auch die Intention der Green-Card-Initiative vor einigen Jahren war.)

Bei der Informationstechnik kommt etwas hinzu. Sie ist nicht nur eine Wachstumsbranche wie andere auch, sondern darüber hinaus durchdringt sie auch nahezu alle anderen Branchen bzw. Praxis- und Lebensfelder unserer Gesellschaft, verändert und prägt insofern deren technische (darüber vermittelt auch organisationale und soziale) Strukturen und die damit verbundenen Anforderungen an die Qualifikationen der dort Tätigen.

Damit ist die Informationstechnik Schlüsseltechnologie zur technischen Gestalt der Arbeitsabläufe und der daraus resultierenden Strukturen und Organisationsformen auch aller anderen Branchen und Tätigkeitsfelder. Es entsteht ein durch die Informationstechnik generierter gemeinsamer Kern der vielen branchenspezifischen Arbeiten, den der Darmstädter Soziologe R. Schmiede als „Informationsarbeit“ bezeichnet hat.

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5.2.2 „Informationsarbeit“ Schmiede hebt vor allem eins hervor: dass Informationstechnologie in zunehmendem Maße vermittelnd eintritt zwischen die arbeitenden Subjekte und den materiellen Produktions- oder Tätigkeitsvorgang. Sie schiebt sozusagen ein virtuelles Abbild, ein Modell des materiellen Produktionsvorgangs dazwischen, das die Funktion seiner Steuerung übernimmt. Statt noch direkt involviert zu sein in den materiellen Prozess, agiert der Arbeitende nunmehr in dem virtuellen Raum des Modells. Und statt mit materiellen Gegenständen umzugehen und mit leiblichen Personen zu kommunizieren und zu interagieren, hantiert, interagiert und kommuniziert er mit ihren symbolischen Repräsentanzen. Diese neue Gestalt der Arbeitshandlung nennt Schmiede „Informationsarbeit“.

Informationsarbeit ist nach Schmiedes Auffassung „entqualifizierte“ Arbeit. Um ein naheliegendes Missverstehen dieser Formulierung zu vermeiden, betont er ausdrücklich, dass Entqualifizierung keineswegs gleichbedeutend sei mit Dequalifizierung in dem Sinne, dass sie niedrigere Qualifikationsanforderungen zur Folge habe. Im Gegenteil:

„Derzeit scheint die Entwicklung dazu zu tendieren, daß gerade die am meisten entqualifizierten Tätigkeiten, nämlich der Umgang mit Informations- und Entscheidungsproblemen auf einem hohen Abstraktionsniveau (etwa in der Systemprogrammierung), sehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte erfordern, die den denkerischen Vollzug der Algorithmisierung nur in einem längeren Qualifizierungsprozeß erlernen konnten.“ [Schmiede 1996, 45]

Entqualifizierung bezieht sich negativ auf die Ausblendung der materiellen und daher nicht formalisierbaren Elemente der Arbeitstätigkeit (und ihres Umfeldes); und positiv auf die Angleichung vormals sehr unterschiedlicher Tätigkeiten im neuen Typus der Informationsarbeit:

„Der Verlust dieser unterschiedlichen Qualitäten in dem Maße, in dem die verschiedenen Tätigkeiten alle nur noch vermittelt durch Informationsarbeit stattfinden, wird durch den Begriff der Entqualifizierung bezeichnet. Mittlerweile wird schon in der konkreten Gestaltung der Arbeit die Angleichung der verschiedensten Tätigkeiten durch die gemeinsame Verrichtung des Umgangs mit Symbolen und Programmen am Bildschirm anschaulich.“ [Schmiede 1996, 45]

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Abb.3 : Informationsarbeit

Schmiede hat sich in seinen Untersuchungen auf die Tätigkeit im „Informationsraum“ konzentriert und die Leistungen hervorgehoben, die dort verlangt werden. Leistungen dieser Art werden in Folge fortschreitender Informatisierung künftig in nahezu allen Tätigkeitsbereichen gefordert sein, wodurch dieser Typus von Tätigkeit einen gemeinsamen Kern der vielen verschiedenen Tätigkeiten darstellen wird, der sich in gemeinsamen, fundierenden Bildungsgängen niederschlagen könnte.

Betrachtet man die Abb. 3, so sind hier aber weitere Leistungen und daraus resultierende Anforderungen an die Qualifikation der Menschen ablesbar, denen aufgrund des universellen Durchdringungscharakters der Informationstechnik hohe gesellschaftliche Relevanz zugesprochen werden muss: die Leistung der Modellierung sowie die Leistung der Einbindung informationstechnischer Systeme in Anwendungszusammenhänge. Im ersten Falle besteht die Leistung in einer Abstraktion; im zweiten Falle in einer Konkretion.

Modellierende Abstraktion Die Entwicklung eines informatischen Abbildes oder Modells des realen Vorgangs, der einer technischen Optimierung unterzogen werden soll, verlangt mehr als nur die Fähigkeit des Programmierens, verlangt mehr als die Beherrschung der formalen Prozeduren von Systementwicklung. Da hier ein vorgängig nicht formalisierter realer Vorgang sozusagen auf seinen funktionalen Wesenskern gebracht werden soll, verlangt die Modellierung eine sehr genaue Kenntnis des Vorgangs selbst, um entscheiden zu können, was daran als funktional zu betrachten ist, was als überflüssige Belastung oder Störung; auf welche Funktionalitäten es besonders ankommt, auf welche auch verzichtet werden kann; wie das System gestaltet sein muss, damit es im vorhandenen Umfeld akzeptiert und seine Funktionalität entfalten kann; bzw. welche Umstrukturierungen,

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Reorganisationen usw. diesem Umfeld zugemutet werden müssen oder können, ohne dass das technische System abgestoßen oder abgelehnt wird. Ein Programmierer, der von betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen nichts versteht, ist höchstwahrscheinlich auch nicht in der Lage, solche Zusammenhänge in einem Modell adäquat abzubilden. Ein Systementwickler, der nichts von Pädagogik versteht, wird kaum pädagogisch brauchbare Software für den Einsatz in Bildungseinrichtungen zustandebringen. Schon gar nicht ist die modellierende Leistung von den technischen Systemen selbst zu bewerkstelligen. Informatisches und bereichsspezifisches KnowHow und Fachwissen müssen hier zusammenkommen.

Arbeitsteilung allein führt hier jedoch nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen. Denn um einem Systementwickler mitteilen zu können, welches die Anforderungen an das zu modellierende System sind, braucht der Bereichs-Experte schon ein Verständnis für die grundsätzlichen technischen Möglichkeiten bzw. muss er in der Lage sein, selbst die zu formalisierenden Strukturen seines Tätigkeitsfeldes zu benennen. Und der Systementwickler muss verstehen können, worum es dem Bereichs-Experte geht, wenn er seine Qualitätsmaßstäbe für ein brauchbares, „gutes“ technisches System formuliert. Immer wichtiger werden daher mit der fortschreitenden Informatisierung aller Praxisbereiche grenzüberschreitende, vermittelnde, interdisziplinäre Qualifikationen.

Anwendende Konkretion Einer der am meisten unterschätzten Leistungsbereiche ist die Anwendung informationstechnischer Systeme. Die Menschen an den Terminals agieren ja in der Regel nicht nur oder nicht einmal vorrangig im Informationsraum, sondern zugleich in einem konkreten Umfeld, in dem das technische System seine Funktionalität in sinnvoller, praxisverträglicher Weise entfalten soll.

Indem diese Leistung meist als „Anwendung“ oder gar „Bedienung“ bezeichnet wird, wird der Eindruck erweckt, als handele es sich hierbei nur um den Vollzug der technisch angebotenen Funktionalität. Ein Sekretär aber, der Funktionen eines Textverarbeitungssystems einsetzt, ruft nicht etwa nur beispielsweise Formatierungsfunktionen ab (kann ein Wort kursiv setzen), sondern bezieht diese Funktion auf eine Arbeitsanforderung, entscheidet also, welche technische Funktion in welchem Zusammenhang sinnvoll einzusetzen ist, wie sie so einzusetzen ist, dass der Zweck erreicht wird; aber auch, auf welche Funktionen verzichtet werden muss oder kann. Bezogen auf das Textverarbeitungssystem insgesamt hat er seine Arbeit so umzuorganisieren, dass es seinen sinnvollen Stellenwert darin erhält und in einen organischen Zusammenhang gebracht wird mit anderen technischen Systemen, die er einsetzt, bzw. mit all den nicht-technischen Tätigkeiten und Aspekten des Arbeitsalltags. Überall, wo technische Systeme eingesetzt werden, findet eine solche Konkretisierung statt, als eine Leistung, deren Resultat eine mit Technik, aber nicht nur wegen, sondern oft auch trotz Technikeinsatzes „funktionierende Praxis“ ist.

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Exkurs Ein Beispiel für Konkretisierungsleistung: Implementierung von Informationstechnik in pädagogischer Praxis

Pädagogische Arbeit mit den neuen Technologien verlangt zunächst eine formalisierende Sichtweise der bisherigen Unterrichtsarbeit. Ihre Nutzung ist – gleichgültig, wie benutzerfreundlich ihre Handhabung gestaltet sein mag – angewiesen darauf, dass ihre Anwender/innen sich auf eine Metareflexion über ihr Handeln einlassen. Sie müssen sich klarwerden über die sachliche und fachliche Systematik, die sie in ihrer Praxis zugrundelegen; und ebenso über die qualitativen Gütekriterien, nach denen sie technische Unterstützung als nützlich, brauchbar, hilfreich oder „gut“ bewerten. Die implizite Systematik ihrer Alltagspragmatik müssen sie also auf die explizite und operationale Systematik des eingesetzten Systems beziehen. Das ist eine hohe Anforderung, die nicht ohne eigene Bildungsprozesse zu bewältigen ist, da sie die Vermittlung der pädagogischen mit der technischen Perspektive verlangt. Simpel ausgedrückt: Die neue Technologie erfordert eine nicht unbeträchtliche pädagogische Umorientierung der Praktiker/innen. Und ob die sich lohnt für das, was sich an neuen Möglichkeiten eröffnet, ist für sie keineswegs von vornherein wirklich erwiesen.

Der angesprochene Zwang zur Metareflexion des eigenen pädagogischen Handelns, der einerseits sicherlich zunächst eine Hemmschwelle für die Nutzung der neuen Technologien im schulischen Arbeitsalltag darstellt, bietet andererseits die Chance zu einer bewussteren Wahrnehmung der eigenen Tätigkeit. Die Nötigung zur Kategorisierung, sich zu vergewissern, welche der vielfältigen Aspekte von Lernen und Sozialverhalten, die immer gleichzeitig und vielfach unbewusst ablaufen, in den jeweiligen Stunden zum Tragen kommen sollen, überhaupt die Notwendigkeit einer klaren Strukturierung der Daten erfordert es, didaktische und methodische Begriffe zu klären und gegeneinander abzugrenzen. Es entsteht auf diese Weise ein neuer Blickwinkel, ein Anlass zur Reflexion der persönlichen Arbeitsweise aus einer neuen Perspektive. So zeigt sich die immanente Bildungsaufforderung, welche dem Einsatz der Neuen Technologien in der pädagogischen Praxis innewohnt.

Ganz konkret wird die Reflexionsnötigung, wenn es beispielsweise darum geht, die per Internet verfügbar zu machenden Materialien so aufzubereiten, dass sie dort nicht nur vorhanden sind, sondern auch von denen zielgerichtet gefunden werden können, die sie gebrauchen können. Materialien aus dem und für den Schulalltag, die ja üblicherweise bisher in den buntesten Formen und Gestalten existieren, müssen dazu in computerlesbare Dokumente umgewandelt und nach gewissen vereinheitlichenden Richtlinien „formatiert“ werden – wodurch die Pädagog/innen sich sehr viel restriktiveren Regelungen der Mitteilungsform unterwerfen müssen, als sie es gewohnt sind. Zugleich haben sie zu prüfen, welche Formate überhaupt geeignet sind für ihre Materialien, so dass die Umwandlung und Formatierung nicht zu Verlusten führt. Sie müssen also nicht nur etwas verstehen von dieser software-technischen Seite, die ihre Arbeit erhält; sie müssen deren Regeln auch beziehen können auf die pädagogischen

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Inhalte und die Vereinbarkeit von technischer Restriktion und pädagogisch-inhaltlichem Anliegen zu beurteilen in der Lage sein.

Doch ist dies nur der erste Schritt. Um die Datenbestände auch erschließbar zu machen, müssen sie zusätzlich für die Suche durch andere recherchierbar gemacht werden. Das geschieht in der Regel durch Anreicherung mit beschreibenden Informationen (Meta-Dateien), die wiederum nach zwei Seiten hin bestimmten Kriterien genügen müssen: Sie haben einer normierten Struktur zu entsprechen; und sie müssen geeignet sein, den Inhalt so zu erschließen, dass sein wesentlicher Gehalt, worauf es also in der pädagogischen Arbeit ankommt, auch bezeichnet wird. Vorausgesetzt, eine solche Normierung der Struktur von Meta-Dateien (Klassifikationssystem) für pädagogische Inhalte gäbe es (sie müsste zumindest sowohl den fachlichen Inhalt als auch die pädagogisch-didaktische Form erfassen), stellte sich für Pädagoginnen und Pädagogen, die eigene Materialien verfügbar machen oder Materialien aus anderen Quellen aus dem Internet abrufen wollen, wiederum die doppelte Aufgabe, sich einerseits mit den entsprechenden Normierungen vertraut zu machen und andererseits sie in angemessener Weise auf die Inhalte der angebotenen oder nachgefragten pädagogischen Materialien anzuwenden. Sie müssen verallgemeinern, von Kontexten absehen, aufs Wesentliche reduzieren – Operationen, die ihnen im schulischen Alltags selbstverständlich vollständig geläufig sind, dort bisher aber eher intuitiv und nach gewohnheitsmäßig gebildeten Regeln vorgenommen werden, während sie jetzt den Restriktionen und Normierungen folgen müssen, welche die Technik ihnen vorschreibt bzw. abverlangt.

Es ist hiernach wohl keine Frage, dass die Formalisierung pädagogischer Arbeit an die Handelnden ganz erhebliche und bisher sicher deutlich unterschätzte Anforderungen stellt, zumal anstelle der nötigen (und außerordentlich schwierigen und problematischen) Normierung solcher Meta-Dateien zur Zeit ein undurchschaubarer Wildwuchs vorherrscht, der es oft zum Glücksfall werden läßt, im Internet mit vertretbarem Zeitaufwand pädagogisch brauchbares Material aufzustöbern.

5.2.3 Neue Kulturtechnik Wenn im Zusammenhang mit Informationstechnik von neuer Kulturtechnik gesprochen wird, ist meistens der Umgang mit der gegenständlichen Technik gemeint. Wenn man sie so verstünde, bestünde allerdings ein bedeutsamer Unterschied zu den „alten“ Kulturtechniken, die ja primär subjektive Qualifikationen darstellten. Auch diese haben mit technischen Gegenständen und gegenständlicher Technik zu tun gehabt, aber sie haben aus ihren Bedürfnissen diese Gegenstände (wie Schreibzeug, Druckerpresse, Rechenschieber) hervorgebracht und nicht umgekehrt. Die „neue Kulturtechnik“ ist schließlich selbst ein Produkt und technisches Hilfsmittel der alten Kulturtechniken. Nun aber soll sie – und das bedeutete eine Verkehrung des traditionellen Zusammenhangs – selbst das Bedürfnis nach einer neuen subjektiven Qualifikation hervorbringen, welche sich in die Reihe der alten Kulturtechniken eingliedern lässt. In diese Reihe lässt sie sich aber nur eingliedern, wenn nicht lediglich der instrumentelle

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Umgang mit dem technischen Hilfsgerät, sondern Fundamentaleres gemeint ist. Die Kulturtechnik des Schreibens bestand schließlich nicht darin, eine Gänsefeder handhaben zu können, ebensowenig wie sie heute darin besteht, Text auf einer Computertastatur eingeben zu können; die Kulturtechnik des Lesens besteht nicht darin, Handschriften entziffern, die Seiten eines Buches in der richtigen Reihenfolge umblättern, einen Mikrofiche ins Lesegerät einlegen zu können; die Kulturtechnik des Rechnens besteht nicht darin, mit der Handhabung eines Abakus, einer Logarithmentafel oder eines Taschenrechners vertraut zu sein. Sondern immer ging es bei der Vermittlung der Kutlrutechniken um die Einführung in Kultur: in die Schriftkultur beim Lesen und Schreiben; in eine Kultur des Messens, Quantifizierens und Formalisierens beim Rechnen.

Die gegenständliche instrumentell-technische Seite der Realisierung war und ist demgegenüber bei den traditionellen Kulturtechniken sekundär. Bei der neuen Kulturtechnik aber soll sie primär werden: Die gegenständliche Kulturtechnik, das Instrument wird zum Ausgangspunkt gemacht.

Will man dennoch die Beherrschung der Informationstechnologie als „neue Kulturtechnik“ bezeichnen, so kann es sich trotz des Ausgangs vom Gerät nicht um die Bedienung der jeweiligen Technik handeln. Dies ist so untergeordnet, wie es das Führen des Gänsekiels für die Teilhabe an der Schriftkultur war. Niemand muss letzteres heute mehr können, um an unserer Schriftkultur teilzuhaben. Ebensowenig muss heute noch jemand die Befehle des Betriebssystems MS-DOS kennen, um im Internet zu surfen. Und welche gegenständliche Technik in der Zukunft zu beherrschen sein wird, um an den dann gegebenen Gestalten informationstechnisch vermittelter Kulturgemeinschaften teilhaben zu können, steht doch weitestgehend noch in den Sternen.

Wenn wir darüber nachdenken, was es bedeuten könnte, von einer neuen Kulturtechnik zu sprechen, dann führt uns dies also zu der Frage, welche Kultur der Aneignung und Beherrschung von Fähigkeiten im Umgang mit Informationstechnik bedarf oder zu welcher Kultur die neue Kulturtechnik gehört.

Als Kultur können wir allgemein jene neue Wirklichkeitssphäre anssehen, welche durch Akte der Symbolisierung entsteht, wobei allerdings die Referenzbeziehung zu einem usprünglicher Gegebenen, eben dem Symbolisierten, bleibt, eine Referenzbeziehung, die eine Verfestigung der symbolischen Welt als eigener autonomer Realität verhindert, vielmehr ständig zu Revisionen, Neuschöpfungen, Umformungen usw. führt, da sie Interpretation und Deutung ebenso enthält wie den Entwurf einer anderen Welt oder die Schaffung fiktionaler Welten der Flucht oder des Ausstiegs (worin allerdings ja ebenfalls eine spezifische Referenzbeziehung enthalten ist). Symbolisierung ist darüberhinaus immer auch Kommunikation, nämlich: die Präsentation der eigenen Symbolisierungsleistung in einer anderen verständlichen und zugänglichen Form, eine Aufforderung, sich über die darin enthaltenen Interpretationen, Deutungen, Sinngebungen, Entwürfe zu verständigen. Sprache und Schrift sind jene Techniken,

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welche uns diese Weise des Symbolisierens und die Teilhabe an den so entstehenden symbolischen Welten und Kulturgemeinschaften ermöglichen.

Eine spezifische Form der Symbolisierung ist die Formalisierung (mittels formaler Sprachen), welche zu formalen oder informationstechnischen Systemen führt. Bei der Formalisierung wird von Kontexten abstrahiert, wird Bedeutung ausgeblendet, also die Referenzbeziehung zu einer existierenden Realität als Maßstab aufgegeben und der entstehende Symbolraum entmaterialisiert. Innerhalb dieses Raums gibt es keine Verweise mehr auf eine materielle Welt, aus der diese virtuelle Welt des formalen Systems sich ableitet. Diese neue Welt erscheint als absolut autonom und selbstgenügsam. In ihr gibt es nur Selbstreferenz. Auch ihre Schöpfung ist eine Kulturleistung. Aber die Welt, in der diese sich manifestiert, hat sozusagen die „Erinnerung“ an ihre Herkunft verloren. Deshalb kann es in ihr keine Interpretation und Deutung im ursprünglichen Sinne mehr geben; die Verweise bleiben immer innerhalb des Systems. In dieser Welt ist vollkommene Kontrolle denkbar.

Dennoch bleiben auch die formalen Systeme Kultur.

„Im Computer und in der Computertechnologie begegnet ihm [dem Menschen] nun seine eigene und ihm allein zurechenbare Schöpfung, die als Kulturtechnik im weiteren Sinne gedacht war, als ein Modus nämlich des Lebensqualität steigernden Umgangs mit der Wirklichkeit, die mittlerweile aber in der Lage ist, durch sich heraus selber die Kultur inhaltlich und strukturell mit zu bestimmen oder inhaltlich und strukturell festzulegen.“ „Als technisches Kulturprodukt, das der Mensch schuf, produziert der Computer und mit ihm die ganze von ihm abhängige Technologie nun selber Kultur“. [Löwisch 1986, 699]

Sie enthalten zwar keinen immanenten Hinweis mehr auf „Zu-pflegendes“ (colere = hegen und pflegen), verbergen also in sich selbst ihren kulturellen Charakter. Aber sie werden ja geschaffen aus Motiven, die der menschlichen Lebenswelt zugehören; und sie finden ihre technische Anwendung ebenfalls in diesem Zusammenhang. Insofern ist die Frage nach Bedeutung und Sinn formaler Systeme keineswegs aus der Welt, wenn sie aus diesen Systemen verbannt ist. Sie bleibt wirksam im Lebenskontext, deren Teil sie sind. Und sie lautet: Welche Bedeutung hat Formalisierung für menschliches Leben? Welchen Sinn hat es, die Frage nach dem Sinn von Symbolisierungsleistungen zu eliminieren? Welcher Entwurf einer sein-sollenden Welt steckt in dieser spezifischen Form von Symbolisierung? Wovon setzen wir uns ab, wovor suchen wir Zuflucht, wenn wir virtuelle Realität schaffen?

Das ist die in unterschiedlichen Varianten ausgedrückte Frage nach der Kultur in Technik. Nach Antworten auf diese Frage zu suchen, heißt dann auch, dem auf den Grund zu gehen, was mit neuer Kulturtechnik eigentlich angesprochen wird. Es ist das Vordringen des spezifischen Symbolisierungstyps der Formalisierung, der diese Frage im wahrsten Sinne dringlich macht. Seit einigen Jahrzehnten gibt es die Technologie formaler Systeme. Seitdem durchdringt sie mit wachsender Geschwindigkeit unsere

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Kultur, so dass es so scheinen mag, als ob sie die tradierte Kultur verdrängt und ersetzt und mit ihr die Notwendigkeit der Vermittlung der traditionellen Kulturtechniken.

„Im Computer verfügt die datenprozessierende Informationstechnologie über ein Medium, das sie in den Status einer alles durchdringenden Wissensform vom Typus des allgemeinen Könnens versetzt. Sie erfüllt damit sowohl das Kriterium der Transferfähigkeit als auch das der allgemeinen Lebensrelevanz. Sie ist folglich als Kulturtechnik anzusehen: als die vierte, beziehungsweise als eine neue Stufe der ersten drei, was man auch an den beschreibenden Tätigkeitswörtern sehen kann. In ihr und mit ihrer Hilfe wird ‚geschrieben’, ‚gelesen’ und ‚gerechnet’.“ [Zimmerli 1986, 73f.]

Es liegt im Charakter dieser Technologie (in ihrer immanenten Logik), dass sie ihre Herkunft aus subjektiver Technik verdrängt, dass sie sich allein aus ihrer eigenen Logik zu begründen und weiterzuentwickeln scheint. So begibt sich unsere Welt scheinbar auf den Weg zur Technologiekultur, das heißt einer Kultur, die eben nicht mehr Kultur im tradierten Sinne ist, sondern Technologie als Ablösung von Kultur. Eine Technologie, die autonom zu sein scheint, weil sie sich von subjektiven Symbolisierungsleistungen emanzipiert habe, braucht es nicht mehr, verstanden zu werden. Sie versteht sich sozusagen von selbst, indem sie schlicht und einfach funktioniert. Deshalb steckt in dem naiven Verständnis von neuer Kulturtechnik als Umgangsfertigkeit mit dem Gerät in der Tat eine Absage an Bildung, in der das oben skizzierte technologische Selbstmissverständnis bereits Wirkung zeigt.

Dagegen muss um der Technik selbst willen jene andere „Logik“ ihrer Genese erfasst, verstanden und zur Aufklärung gebracht werden: dass sie eine menschliche Kulturleistung ist, Ergebnis einer spezifischen Weise der Symbolisierung; und dass in dieser spezifischen Weise auch spezifischer Sinn steckt: durch Kontrolle der Lebensbedingungen geschützte Räume zu schaffen, in denen Menschen entlastet von der Notwendigkeit, sich der Bedrohungen zu erwehren, welche eine unkontrollierte Welt für sie bereithält, ihre Potenziale zur Gestaltung einer menschenwürdigen Welt entdecken und entfalten können.

In diesem technologieaufklärerischen Sinne darf dann in der Tat von einer neuen Kulturtechnik gesprochen werden, deren Möglichkeiten es zu nutzen gilt. Deren gesellschaftliche Relevanz scheint mir unbestreitbar.

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6. Dritter Transformationsschritt: Institutionalisierung informationstechnischer Bildung

6.1 Schule als institutioneller Rahmen Die Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz potenzieller Unterrichtsstoffe geschieht in der Absicht, für die als relevant ausgewählten Stoffe dann einen gesellschaftlichen bzw. staatlichen Auftrag zum Lehren und Lernen zu geben. Bevor jedoch Unterricht stattfinden kann, muss für die Bedingungen seiner Möglichkeit gesorgt sein: der organisatorische Rahmen muss abgesteckt, gesetzliche Regelungen müssen vorgenommen, die materiellen Bedingungen müssen geschaffen sein. Ist dies geschehen, sprechen wir von der Schule als dem Insgesamt der gesellschaftlichen Vorkehrungen zur Ermöglichung von Unterricht. Hierfür im Auftrag der Gesellschaft zu sorgen, ist ebenfalls Aufgabe des Staates. Unterricht findet in Schulen statt, und d.h. er ist institutionalisiert. Die Festlegung der zum Lehren und Lernen aufgegebenen Stoffe ist Teil der Institutionalisierung.

Wenn Lehren und Lernen als Unterricht in Schulen gesellschaftlich organisiert wird, heißt dies, dass die Gesellschaft die Notwendigkeit sieht und damit einverstanden ist, dass ihre künftigen Mitglieder herausgenommen werden aus dem Clinch der unmittelbaren Lebenspraxis, dass sie sich relativ unbehelligt von deren Anforderungen in Ruhe und Distanz darauf vorbereiten können, sich auf sie einzulassen und von ihr in Anspruch genommen zu werden.

Dass alle Kinder in die Schule gehen können und sogar müssen, war nicht immer selbstverständlich – und keineswegs war die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht Ergebnis pädagogischer Einsichten. [Hartmann 1974] Zwar wurde die allgemeine gesetzliche Schulpflicht in den deutschen Ländern schon im 17. und 18. Jahrhundert und noch von fürstlichen Herrschern verordnet. [Titze 1973, 18] Aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es so weit, dass die Kinderarbeit tatsächlich abgeschafft war und alle Kinder stattdessen in die Schule gehen konnten. [Kuczynski 1968] Nicht die gute pädagogische Einsicht und Absicht war hierfür ausschlaggebend, sondern die Nötigung, die vom Bildungsbedarf einer fortgeschrittenen Industrienation ausging.

Die Widerstände gegen die Institutionalisierung obligatorischen Unterrichts für alle waren groß, sowohl auf gesellschaftlicher Ebene als auch bei den Menschen, deren Kinder die Schule besuchen sollten. Denn Schulzeit ist Abzug von verfügbarer Lebensarbeitszeit. Jedes Gesellschaftsmitglied muss den Unterhalt für seine gesamte Lebenszeit in kürzerer Lebensarbeitszeit verdienen. (Der Arbeitslohn muss für den Unterhalt länger in Ausbildung befindlicher Kinder reichen.) Zu Zeiten und bei gesellschaftlichen Schichten, in denen die Arbeit der Kinder einen wesentlichen Beitrag

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zum Familieneinkommen leistete, gab es daher große Widerstände gegen die Realisierung der Schulpflicht, der erst aufgegeben wurde, als das allgemeine Lohnniveau so weit gestiegen war, dass Kinderarbeit auch für die ärmeren Familien nicht mehr überlebensnotwendig war. Außerdem muss die Gesellschaft bereit und imstande sein, Personen abzustellen, die sich als professionelle Lehrer und Lehrerinnen der ausschließlichen Aufgabe des Unterrichtens widmen und dafür bezahlt werden. Was diese Personen zum Leben brauchen, muss ebenso wie die Bereitstellung der sachlichen Bedingungen und Mittel des Unterrichts und der Lehrerausbildung (Finanzierung von Schulen und Hochschulen) gesamtgesellschaftlich erwirtschaftet werden.

Bedingung für die Realisierung einer allgemeinen Schulpflicht ist also ein bestimmtes Produktivitätsniveau in der Gesellschaft, das es ihr erlaubt, sich Schule zu „leisten“. Was das Lernen kostet, steht für die gesellschaftliche Reproduktion anderweitig nicht mehr zur Verfügung. Aus wirtschaftlicher Sicht besteht daher immer eine Tendenz, die Lernzeit auf das notwendige äußerste Minimum zu reduzieren, wobei aus Sicht unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessensgruppen unterschiedlich definiert wird, was notwendig ist. Bemisst man etwa die notwendige Lernzeit allein nach den funktionalen Erfordernissen der gesellschaftlichen Reproduktion, wird man zu einer anderen Einschätzung kommen, als wenn die Ausbildung von Einsichten und Fähigkeiten angestrebt wird, die eine gesellschaftliche Weiterentwicklung auf der Grundlage kritischer Urteilsfähigkeit hinsichtlich jeweils bestehender Verhältnisse ermöglichen sollen. Geht man von den gesellschaftlichen Anforderungen aus, ergibt sich ein anderes Bemessungskriterium, als wenn man vom individuellen Lernbedürfnis ausgeht. Es sind einfach ganz unterschiedliche Fragestellungen: ob die Gesellschaft es für ihre Reproduktion braucht, dass jemand so und so lange lernt; oder ob er es für sich, für seine persönliche Lebensperspektive braucht.

Die tatsächlich in einer Gesellschaft zugestandene Lernzeit ist ein Kompromiss, mit dem selten generelles Einverständnis herrscht. Jedenfalls wird die Lernzeit immer knapp gehalten, und daraus resultiert zweierlei: Erstens ein Zwang zum ökonomischen Umgang mit der verfügbaren Lernzeit, und zweitens die Einführung eines Geschwindigkeitskriteriums für Lernleistung.

Ökonomischer Umgang mit der Lernzeit ist nur möglich, wenn es eine klare Festlegung gibt, was denn in der verfügbaren Zeit gelernt werden soll, so dass alles, was nicht darauf hinführt, als unökonomischer Zeitvertreib zu vermeiden ist. Zeitreserven für nicht vorgesehene Lernprozesse wären ein Luxus, den die Gesellschaft sich aus ökonomischer Sicht nicht leisten kann, obwohl sie ihn sich aus Perspektive einer kritischen Bildung möglicherweise leisten müsste.

Das Geschwindigkeitskriterium für Leistung spiegelt die Tatsache wieder, dass es in der Schule nicht allein um die optimale Versorgung aller mit Bildung geht, sondern auch darum, dass die Gesellschaft mit den von ihr benötigten funktionalen Qualifikationen in der benötigten Zahl versorgt wird. Das Bildungswesen versorgt die Gesellschaft, und es wird von der Gesellschaft nur versorgt, sofern es diese Aufgabe

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erfüllt. Der jeweilige „Durchschnitt”, der als Leistungsmaßstab dem geforderten Lerntempo zugrundegelegt wird, bestimmt sich eben hiernach: Er wird möglichst so angesetzt, dass diejenigen, die langsamer sind, ohnehin die Zahl derer überschreiten, die gebraucht werden.

Statt ein Lernen in Muße organisieren zu können, werden Lehrende und Lernende unter Zeitdruck gesetzt. Obwohl getrennt von der gesellschaftlichen Lebenspraxis durchgeführt, wird der Schulunterricht so doch von den gesellschaftlichen Zwängen eingeholt: Es gibt ein quantitatives Maß für das Lernen, das nicht aus den individuellen Bildungsbedürfnissen resultiert, sondern aus ökonomischem Kalkül: Reduktion der Lerninhalte auf funktional für die gesellschaftliche Reproduktion notwendige Qualifikation und Reduktion der Lernzeit auf das dafür notwendige Minimum.

Daraus ergibt sich des weiteren eine Differenzierung der Bildungsgänge. Zu dem für alle gleichen Minimum einer Pflichtschulzeit, in der die Sachen thematisiert werden, von denen die Gesellschaft wünscht, dass sich alle Mitglieder der nachwachsenden Generation lernend mit ihnen auseinandergesetzt haben, treten vielfältig gegliederte Aufbaulerngänge, in denen jeweils nur ein Teil der Jugend unterrichtet wird: Lerngänge, die auf besondere Aufgaben in den verschiedenen gesellschaftlichen Praxisbereichen vorbereiten und denen daher jeweils spezifische Unterrichtsaufträge sowie unterschiedliche zusätzliche Lernzeiten zugeordnet werden.

Zwischen der institutionell notwendigen Festlegung von verfügbaren Lernzeiten und der Prüfung gesellschaftlicher Relevanz potenzieller Unterrichtsstoffe besteht ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis. Zwar geht es ja um die Festlegung der Zeit, die gebraucht wird, um das lehren und lernen zu können, was alle lernen sollten. Doch da die verfügbare Lernzeit sich auch am Kriterium der Finanzierbarkeit bemisst, „ergibt” sich die Lernzeit nicht einfach aus dem Quantum festgelegter Stoffe. In jeder Gesellschaft gibt es eine „Schmerzgrenze”, oberhalb derer selbst bei zugestandener gesellschaftlicher Relevanz die benötigte Zeit zum Lernen nicht mehr eingeräumt wird. Außerdem bildet eine gesellschaftlich einmal festgelegte Lernzeit zumindest für eine bestimmte Periode eine Art „Besitzstand” an sich, d.h. ein „Zeitgefäß”, das man mit zu lernenden Stoffen füllt, so dass nun umgekehrt die Kontingentierung der Lernzeit als quantitative Vorgabe für die Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz fungiert. (Unsere Gesellschaft „leistet sich” zum Beispiel zehn Pflichtschuljahre. Diese zehn Jahre bilden, einmal erreicht, eine Vorgabe, so dass die Frage lautet: Wir haben zehn Jahre zur Verfügung. Was sollen unsere Kinder sinnvollerweise in der Zeit alles lernen? – Diese Frage tritt an die Stelle der anderen Fragerichtung: Unsere Kinder sollten dies und jenes lernen. Wieviel Zeit müssen wir ihnen dafür einräumen?)

Das nächste Problem ist dann die Zuordnung von Stoffen und Lernzeiten bzw. die Aufteilung der Lernzeit auf die zu lernenden Stoffe, die wiederum eine Einteilung in getrennte Sachgebiete voraussetzt, die sich in der deutschen Bildungstradition (und in den meisten Bildungsystemen weltweit) in einer Institutionalisierung von Unterrichtsfächern niederschlägt, die sich spätestens ab der Sekundarstufe I meist aus

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wissenschaftlichen Fachdisziplinen ableiten. (Darin wirkt sich schon ein bestimmtes Verständnis vom Sachzugang aus, das dem 5. Transformationsschritt zugehört und dort genauer behandelt wird: die Orientierung des Unterrichts an fachlicher Systematik.)

Das Lernen kann sich dann aber nicht mehr von Sache zu Sache bewegen, dabei deren Zusammenhang miteinander verfolgend, so dass sich die Abfolge der Stoffe und damit auch die Richtung des Lehr-Lern-Wegs aus den immanenten Verweisen der Sachen aufeinander ergibt und zwischen den Stoffen ein innerer Zusammenhang in einer übergreifenden Einheit deutlich wird, wie er in der unmittelbaren gesellschaftlichen Lebenspraxis ja auch gegeben ist. Vielmehr muss der Unterricht bei einem abgegrenzten Sachbereich eine bestimmte zugeteilte Zeit bleiben, um dann, mit dem Wechsel des Unterrichtsfaches, zu einem anderen Sachbereich zu springen, bei dem wiederum eine bestimmte Zeit verweilt werden muss. Der Zeitbedarf für die Behandlung aufeinander folgender Stoffe im Unterricht ergibt sich also nicht aus dem Fortschritt des Lernprozesses, sondern umgekehrt wird der Lernprozess in voneinander unabhängige Zeitquanta unterteilt, denen jeweils durch das Unterrichtsfach eingegrenzte Sachbereiche zugeordnet werden. (Die Alternative dazu ist der sog. Epochenunterricht.)

In der institutionalisierten Lehrerausbildung werden daher „Fach-Leute” ausgebildet, also Leute, die etwas von ihrem „Fach” verstehen, deren Horizont an Sachverstand aber auch durch das „Fach” abgesteckt, also begrenzt ist. (Das gilt seit der Reform der Lehrerbildung in den 1970er Jahren auch für die Grundschule, obwohl dort das Fachprinzip noch nicht so streng dominiert.) Nicht nur durch die institutionell vorgegebene Einteilung in Unterrichtsfächer, sondern ebenso durch deren Abbildung in der fachlichen Qualifikation von Lehrer/innen werden so vor einer denkbaren und didaktisch sicher oft wünschbaren fachüberschreitenden Behandlung von Sachverhalten Hürden aufgebaut.

Dieses Problem zeigt sich sehr ausgeprägt bei der Institutionalisierung einer informationstechnischen Grundbildung, welche seit Mitte der 80er Jahre in den Ländern der damaligen BRD, seit Anfang der 90er Jahre auch in den neuen Bundesländern eingeführt wurde.

6.2 Institutionalisierung informationstechnischer Bildung in den Bundesländern – Stand der Dinge

Dass informationstechnische Bildung an den allgemeinbildenden Schulen institutionalisiert werden soll, war seit Anfang der 80er Jahre in der damaligen BRD weitgehend bildungspolitischer Konsens. Sie wurde in zwei Formen eingeführt:

• als obligatorische informationstechnische Grundbildung für alle in der Sekundarstufe I (5.-10. Jahrgangsstufe); diese Grundbildung orientiert sich mehr an der empirischen Informationstechnik, weniger an der Disziplin Informatik;

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• als wählbares Unterrichtsfach Informatik (nicht obligatorisch) in der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II; das Unterrichtsfach orientiert sich mehr an der Disziplin Informatik, weniger an Anwendungsfeldern.

6.2.1 Informationstechnische Grundbildung 1984 fasste die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) einen Beschluss zur Einführung einer obligatorischen informationstechnischen Grundbildung in allen Bundesländern der damaligen BRD. 1987 wurde dieser Beschluß zu der noch heute gültigen Fassung fortgeschrieben. Dort werden folgende Aufgaben aufgelistet (nach [BLK 1987, 11f.]):

• Aufarbeitung und Einordnung der individuellen Erfahrungen mit Informationstechnik;

• Vermittlung von Grundstrukturen und Grundbegriffen, die für die Informationstechnik von Bedeutung sind;

• Einführung in die Handhabung eines Computers und dessen Peripherie;

• Vermittlung von Kenntnissen über die Einsatzmöglichkeiten und die Kontrolle der Informationstechnik;

• Einführung in die Darstellung von Problemlösungen in algorithmischer Form;

• Vermittlung eines Einblicks in die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung;

• Schärfung des Bewusstseins für die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die mit der Verbreitung der Mikroelektronik verbunden sind;

• Darstellung der Chancen und Risiken der Informationstechnik sowie Aufbau eines rationalen Verhältnisses zu ihnen;

• Einführung in die Probleme des Persönlichkeits- und Datenschutzes.

Mit der Verbreitung des Internet in den 1990er Jahren wurde dieses als neues Massenmedium bedeutsam. Damit rückte auch die seit den 1970er Jahren entwickelte medienpädagogische Thematisierung der Massenmedien ins Blickfeld er informationstechnischer Bildung und mit ihr der Begriff der Medienkompetenz.

1995 veröffentlichte die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung einen Orientierungsrahmen zur Medienerziehung in der Schule; 1997 folgte ein KMK-Beschluss „Neue Medien und Telekommunikation im Bildungswesen“. Hier heißt es:

„Die allgemeinbildende Schule, die berufliche Bildung, die außerschulische Kinder- und Jugendbildung sowie die Fort- und Weiterbildung befinden sich in der Situation, zwischen den erkennbaren Herausforderungen einerseits und den derzeitigen

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tatsächlichen Möglichkeiten andererseits, zwischen positiven und negativen Auswirkungen eine angemessene Position finden zu müssen. Bei den Überlegungen müssen zu den technologischen Aspekten auch methodische, didaktische, vor allem aber erzieherische Erfordernisse berücksichtigt werden. Durch die Erprobung, Erforschung und Implementierung von Neuen Medien, Multimedia und Telekommunikation im Bildungswesen werden Fragestellungen vertieft und erweitert, die bisher im Zusammenhang mit der Medienpädagogik einerseits und der Informationstechnischen Bildung andererseits behandelt wurden. Die Verbindung von Aspekten beider Bereiche sind ein entscheidender Beitrag zu umfassender Medienkompetenz, d.h. zur Befähigung für einen verant-wortlichen und kreativen Umgang mit den Neuen Medien.“

Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die traditionellen Aufgaben der Medienpädagogik, die nachwachsende Generation auf einen angemessen Umgang mit den Massenkommunikationsmedien Film, Funk und Fernsehen vorzubereiten, aufgrund der technischen Verschmelzung von Informations- und Kommunikationstechnologie zusammenwachsen mit den Aufgaben informationstechnischer Bildung.

Ein eigenes Unterrichtsfach war und ist dafür nicht vorgesehen. Die Einführung dieses neuen Unterrichtsgebiets soll sozusagen zeitaufwandsneutral erfolgen, also zeitlich aus dem vorhandenen Zeitkontingent der Fächer abgedeckt werden.

In der Umsetzung durch die Bundesländer (seit Anfang der 90er Jahre auch in den neuen Bundesländern) wurde der von der BLK abgesteckte Rahmen unterschiedlich interpretiert und ausgefüllt. Die Länder erließen je eigene Richtlinien, Lehrpläne, Empfehlungen usw. Der Name Informationstechnische Grundbildung wurde meist, aber nicht immer, übernommen.

Entsprechend sehen auch die Schwerpunktsetzungen innerhalb des von der BLK vorgegebenen Rahmens recht unterschiedlich aus. (Eine ausführliche Synopse wurde an unserem Arbeitsbereich erstellt [Messerschmidt 2002].) Festzustellen ist jedenfalls ein starkes Überwiegen der Thematisierung von Anwendungen der Informationstechnik, besonders im Bereich der Office-Programme.

Die Platzierung im Fächerkanon erfolgt nach unterschiedlichen Konzepten (ein eigenes Unterrichtsfach ist wie gesagt nicht vorgesehen):

• fächerübergreifend:

• integrativ in Projekten oder Unterrichtseinheiten unter Beteiligung mehrerer Fächer;

• verteilt auf mehrere beteiligte Fächer; wobei teils ein Leitfach definiert ist, dem hauptsächlich die Aufgabe zukommt, systematisch Grundlagenvermittlung zu betreiben, während die übrigen beteiligten Fächer ergänzende Inhalte beisteuern (Leitfächer zum Beispiel Mathematik oder Arbeitslehre); aber auch gleichmäßige Verteilung auf mehrere oder sogar alle Fächer kommt vor.

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Was die organisatorische Umsetzung betrifft, sind folgende Modelle anzutreffen:

• Verteilungsmodelle sehen vor, daß die informationstechnische Grundbildung mosaikhaft in den laufenden Unterricht mehrerer beteiligter Fächer integriert wird;

• Blockmodelle bevorzugen Unterrichtsblöcke zur konzentrierten Vermittlung informationstechnischer Grundbildung, meist unter Beteiligung mehrerer Fächer und oft in Projektform.

Der Umfang variiert in der Bandbreite von 30 bis 90 Unterrichtsstunden.

In Hessen sind in den aktuellen Lehrplänen ITG (hier: IKG) und Medienerziehung als zwei unterschiedene „besondere Bildungs- und Erziehungsaufgaben“ der Schulen definiert [HHG § 6,4), die von mehreren jeweils genannten, möglichst aber sogar allen Unterrichtsfächern wahrgenommen werden sollen.

Zur IKG heißt es:

„Dem Auftrag, die informations- und kommunikationstechnische Grundbildung als fächerübergreifendes Aufgabengebiet im Unterricht umzusetzen, kann in unterschiedlicher Weise entsprochen werden. In jedem Fall ist die Zusammenarbeit von Lehrerinnen und Lehrernunterschiedlicher Fachkompetenzen anzustreben. Sie fördert die Überwindung starrer Abgrenzungen sprachlicher, naturwissenschaftlicher und gesellschafts-wissenschaftlicher Bereiche in den Schulen. Gleichzeitig werden durch diese Kooperation schulintern innovative Prozesse in Gang gesetzt, die für eine Verankerung der informations- und kommunikationstechnischen Grundbildung als fächerübergreifendes Bildungsangebot sowie für eine Verbreiterung der Lehrerqualifikationen unverzichtbar sind. Werden Projekte oder Unterrichtsvorhaben aus dem Bereich der informations- und kommunikationstechnischen Grundbildung von einzelnen Lehrerinnen und Lehrern innerhalb ihres Faches unterrichtet, so ist auf die Wahrung der fächerübergreifenden Sichtweise besonders zu achten. Für die an der informations- und kommunikationstechnischen Grundbildung beteiligten Fächer ist dann eine gemeinsame, abgestimmte Planung zu ermöglichen.“

Und zur Medienerziehung:

„Neuerdings leisten an vielen Schulen die ‚informations- und kommunikationstechnische Grundbildung (IKG)‘ mit ihren inhaltsbezogenen Herausforderungen und die ‚Kulturelle Praxis‘ einen wichtigen Beitrag für den produktiven Umgang mit Medien und damit zur Medienerziehung. Die IKG hat … ihren Schwerpunkt in der Aufarbeitung von Wechselwirkungen technischer und gesellschaftlicher Entwicklungen und fördert die Medienkompetenz zugleich durch die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnik. ‚Kulturelle Praxis‘ soll Schülerinnen und Schüler vor allem dazu befähigen, Medien für eigene Darstellungs- und Ausdrucksinteressen zu nutzen und auszuprobieren.

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Die zunehmende Bedeutung der Medienwelt für die Heranwachsenden macht es jedoch erforderlich, dass durch ‚Medienerziehung‘ die vorhandenen Ansätze zusätzlich systematisch gestärkt, weiterentwickelt und einfallsreich gebündelt werden. Medienerziehung ist nicht an bestimmte Fächer oder Jahrgangsstufen gebunden. Erforderlich ist darum die Kooperation aller beteiligten Lehrkräfte und Fachbereiche. Eine Schule sollte sich zuerst vergewissern, bei welchen Gelegenheiten innerhalb und außerhalb des Unterrichts Ziele der Medienerziehung bereits verfolgt und entsprechende Inhalte schon behandelt werden. Das schafft die Grundlage für Entscheidungen, welche zusätzlichen Anstrengungen im Unterricht oder außerhalb des Unterrichts erforderlich sind. Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme wird die Medienerziehung als Teil des Schulprogramms jeder Schule entwickelt.“

Als inhaltliche Schwerpunkte der IKG Hessen werden benannt:

„Schreiben-Gestalten-Informieren-Kommunizieren In diesem Themenbereich werden Anwendungen, Funk-tionsprinzipien und Auswirkungen der neuen Technologien auf Individuen und Gesellschaft zusammengefasst, die sich mit der Veränderung des Schreibens, mit dem technisch unterstützten Zugang zu gespeicherter Information und mit dem Informationsaustausch befassen. Schreiben, Ge-stalten, Informieren und Kommunizieren sind Tätigkeiten in der Freizeit im privaten Bereich, aber auch zentrale Aufgaben in der Arbeitswelt. Den Schülerinnen und Schü-lern soll daher anhand von Anwendungsbeispielen ein Einblick in den Wandel von Schreibarbeit und Schreibtätig-keit gegeben werden mit dem Ziel, die damit zusammen-hängenden Veränderungen in der Arbeitswelt kennen und beurteilen zu lernen.

Konstruieren-Produzieren-Transportieren In diesem Themenbereich werden Anwendungen, Funktionsprinzipien und Auswirkungender neuen Technologien auf Individuen und Gesellschaft zusammengefasst, die sich auf die Weiterentwicklung der Produktion sowie die Verteilung von Gütern und Dienstleistungen beziehen. An Modellen sollen die Schülerinnen und Schüler prinzipielle Abläufe und Strukturen bei der durch die Informations- und Kommunikationstechnik geprüften Konstruktion, Fertigung und Verteilung von Produkten kennen lernen, der Wandel der Arbeitsorganisation und die Umgestaltung von Arbeitsplätzen sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen Auswirkungen sollen im Zusammenhang mit der Funktion der Technologie anhand geeigneter Beispiele verdeutlicht werden.

Planen-Verwalten-Kontrollieren In diesem Themenbereich werden Anwendungen, Funktionsprinzipien und Auswirkungen der neuen Technologien auf die informationelle Stellung des Individums in der Gesellschaft zusammengefasst. Das computerunterstützte Sammeln, Speichern, Verknüpfen und Verwerten großer Datenmengen führt zu einem rapiden Wandel der Organisationsstrukturen, Arbeitsweisen und Dienstleistungen innerhalb staatlicher und

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privater Verwaltungen und in Unternehmen. Die Schülerinnen und Schüler sollen die daraus entstehenden neuen Schutzbedürfnisse des Individuums in der modernen Gesellschaft erkennen. Anhand von Beispielen des Umgangs mit Daten sollen sie ihre Rechte kennen lernen und dabei die Bereitschaft entwickeln, mit ihren und den Daten anderer verantwortungsbewusst umzugehen.“

Für die Medienerziehung werden als inhaltliche Bereiche genannt:

„Kompetenter Umgang mit Informationen und Wissen Kenntnis der Vielfalt der Informationsquellen, Probleme der Orientierung/Desorientierung in der Informationsfülle, Verfahren sachorientierter und wirkungsvoller Informationssuche.

In Hinsicht auf den Computer und auf nur durch den Computer zu nutzende Informationsquellen ist das Verständnis folgender Kategorien besonders wichtig: Programme, Software, Produktion und Variabilität von digitalen Informationen.

Medienerfahrungen und Reflexion von Medienwirkungen Unterscheidung von Realität und Fiktion, von Informations- und Unterhaltungsmedien, Reduktion der Wirklichkeit durch die Medien, kritische Reflexion der ‚Subtexte’ von Medien, zum Beispiel ihrer Werte- und Orientierungsangebote, Einfluss der Medien und von medienvermittelten Inhalten auf die Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten, z.B. durch Infotainment, Interessen der Produzenten von Medien

Produktiver und kreativer Mediengebrauch Arbeitstechniken, Erweiterung persönlicher Ausdrucksformen, ästhetische Stilmittel, Veränderung traditioneller Arbeits- und Gestaltungsformen.“

Wie man sieht, verschränken sich die Aufgaben beider Aufgabenbereiche in erheblichem Maße.

In der Realität des Schulalltags krankt die informationstechnische Grundbildung an mehreren Problemen:

• Das fächerübergreifende bzw. fächerintegrative Konzept setzt entsprechende Kompetenzen bei den Lehrerinnen und Lehrern aller Fächer voraus. Die ist aber bei der heutigen Lehrer/innen-Generation weder gegeben, noch wird in der Lehrer/innen-Ausbildung systematisch für ihre Vermittlung gesorgt. So bleibt es faktisch immer noch dem Zufall des persönlichen Interesses und Engagements einzelner Personen überlassen, in welchem Umfang, mit welchen Schwerpunkten und welchen Methoden informationstechnische Grundbildung vermittelt wird.

• Das Verhältnis zwischen lernbereich-spezifischen und unterrichtsfachbezogenen Lernzielen ist nicht geklärt. Dient das Fach der informationstechnischen Grundbildung, oder dient die informationstechnische Grundbildung den fachlichen Bildungszielen? Worin genau sollen die

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überfachlichen, eigenen Bildungsziele der informationstechnischen Grundbildung bestehen? Wie verträgt sich dann aber deren Integration in die Unterrichtsfächer mit den fachlichen Bildungszielen?

• Teilweise wird der Einsatz von Computern als Medien oder Werkzeuge des fachlichen Unterrichts ebenfalls als Beitrag zur informationstechnischen Grundbildung betrachtet und vorgeschlagen. Damit verschwimmt die Differenz von Unterrichtstechnologie als Beitrag zur methodischen Unterrichtsgestaltung und Informationstechnologie als Thema des Unterrichts.

• Die herkömmliche Schulorganisation erschwert projektorientierte und fachübergreifende Kooperation. Projekte bleiben wegen des organisatorischen Aufwands eine eher ausnahmsweise durchgeführte Lehr- und Lernform.

In der Literatur wird daher teilweise schon das Ende der informationstechnischen Grundbildung in ihrer bisherigen Form vorhergesagt. [Wilkens 2000] Die Gesellschaft für Informatik fordert schon seit längerem eine Anbindung auch der informationstechnischen Grundbildung an die Wissenschaftsdisziplin Informatik.

6.2.2 Unterrichtsfach Informatik Neben der obligatorischen informationstechnischen Grundbildung bzw. aufbauend auf sie ist in allen Bundesländern auch das fakultative Unterrichtsfach Informatik eingeführt, das seit KMK-Beschluss von 1972 in den Kanon der allgemeinbildenden Unterrichtsfächer der Sekundarstufe II eingeführt ist; teils aber auch schon in der Sekundarstufe I (vor allem an Realschulen) angeboten wird.

Das Unterrichtsfach ist weitaus stärker, als es das Konzept der informationstechnischen Grundbildung vorsieht, auf die Vermittlung der informatischen und technischen Konzepte gerichtet, die hinter den jeweiligen angebotenen Geräten und Programmen stehen. Da diese Konzepte vorwiegend von der Informatik entwickelt werden, hat das Unterrichtsfach eine sehr viel größere Nähe zu dieser wissenschaftlichen Disziplin.

Auf die unterschiedlichen Ansätze zur Ziel- und Inhaltsbestimmung wird später noch eingegangen werden (Transformationsschritte 4 und 5). Hier seien zunächst beispielhaft die Bildungsaufgaben wiedergegeben, die in Hessen als Legitimation für die Etablierung der Informatik als eines allgemeinbildenden Fachs genannt werden:

„Analyse, Beschreibungen und Modellierung komplexer Systeme Die komplexen Strukturen von Wissenschafts-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen lassen sich zunehmend nur noch mit Hilfe informatischer Methoden und Verfahren analysieren, beschreiben und beherrschen. Insofern ist die Kenntnis und Verfügbarkeit solcher Methoden für Schülerinnen und Schüler, z.B. Abstraktion, formale Beschreibung und Modellierung von Systemen und die Fähigkeit zur Entwicklung von

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Lösungsstrategien, ein wesentliches Element für den Aufbau eines zeitgemäßen Weltbildes.

Problemlösungsmethoden und ihre Bewertung Ausgehend von der Analyse und Modellierung von Systemen ist das algorithmische Problemlösen ein zentraler Bestandteil der Informatik. Die Kenntnis von systematischen Problemlösungsmethoden fördert die Handlungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern in der Informationsgesellschaft, die durch Komplexität und Vernetzung von Systemen geprüft ist. Informatik-Methoden werden damit unverzichtbarer Bestandteil einer Bildung, die Lernende zur Gestaltung der Zukunft befähigen will.

Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Technik Informatikunterricht bietet die Möglichkeit, sich bewusst mit der maschinellen Verarbeitung von Information auseinandersetzen. Hierbei sollen auch geschlechtsspezifische Einstellungen thematisiert werden. Das Verhältnis von Mensch und Technik kann in seinem geschichtlichen und gesellschaftli- chen Zusammenhang gelernt werden. Dabei sind auch philosophische und historische Fragestellungen von Bedeutung. Es wird die Erkenntnis gefördert, dass ökonomische, ökologische und soziale Zusammenhänge bei der Entwicklung informatischer Lösungen einfließen und diese auch zurückwirken.

Verantwortungsbewusster Umgang mit Informatiksystemen Die Kenntnis der Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren beim Einsatz von Informatiksystemen ist eine Grundlage für die Schülerinnen und Schüler, sich mit normativen und ethischen Fragen, die z. B. den Zugriff auf und die Nutzung von Information sowie den Umgang mit dem Urheber- und Datenschutzrecht betreffen, auseinander zu setzen.

Schöpferisches Denken und Motivation Durch Informatiksysteme als Medium und Werkzeug sammeln Schülerinnen und Schüler Erfahrung mit kreativen Gestaltungsmöglichkeiten und eigener, selbstverantworteter Tätigkeit. Der Erwerb von und der Umgang mit Methoden und Verfahren des systematischen Problemlösens trägt dazu bei, schöpferisches Denken bei der Entwicklung eigener Modelle, dem Finden von Lösungsansätzen und beim Transfer auf ähnliche Probleme und Inhalte zu fördern.

Kommunikative und kooperative Arbeitsformen Schülerinnen und Schüler erfahren bei der Lösung komplexer Probleme, dass Partner-, Team- und Projektarbeit notwendige Voraussetzungen für die Bewältigung der Probleme sind. Die mehrperspektivische Sicht der Informatik setzt Informationsaustausch und Kooperation voraus. Diese Kommunikation wird durch die technischen und medialen Mittel von Informatiksystemen unterstützt bzw. teilweise erst ermöglicht.“

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In einem eigenartigen Kontrast dazu steht der Kanon der verbindlichen Unterrichtsinhalte, die hier nur in Form der Überschriften wiedergegeben werden sollen:

Klasse 11 • 11.1 Internet

• 11.2 Grundlagen der Programmierung

Klasse 12 • 12.1 Objektorientierte Modellierung

• 12.2 Datenbanken

Klasse 13 • 13.1 Konzepte und Anwendungen der Theoretischen Informatik

• 13.2 Wahlthemen (1 aus 6): Betriebssysteme Rechnernetze Computergrafik Prolog als Sprache der künstlichen Intelligenz Simulationen, Chaostheorie Technische Informatik

Während bei den Bildungsaufgaben noch der Bezug zur lebensweltlichen und gesellschaftlichen Erfahrungswelt herausgestellt wird, sind diese Bezüge bei den obligatorischen Inhaltsbereichen ganz entfallen. Auch die hier nicht wiedergegebene weitere Aufschlüsselung der Inhalte ändert nichts an diesem Bild: Informatikunterricht ist konzipiert als eine Schulform der Wissenschaftsdisziplin, ähnlich losgelöst von der Lebenswelt der Schüler/innen wie der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht. Er bietet insofern das komplementäre Bild zum von der Gesellschaft für Informatik beklagten mangelnden Disziplinbezug der ITG/IKG.

Was sich daran zeigt, ist, dass der erreichte Stand der Institutionalisierung Informationstechnischer Bildung in den Schulen noch nicht ihre stabile Verankerung bedeutet. Immer noch wird nach angemessenen Konzepten gesucht. Die schon behandelte Prüfung der gesellschaftlichen Relevanz spielt hier ebenso weiterhin eine Rolle wie die noch zu erörternden Fragen der Bildungsziele und der inhaltlichen Zugänge.

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7. Vierter Transformationsschritt: Intentionalisierung Informationstechnischer Bildung – Fachdidaktik und Lehramt

7.1 Die Perspektive der Fachdidaktik Mit Abschluss des dritten Transformationsschrittes betreten wir gleichsam die Schule. Und damit kommen erstmals diejenigen in den Blick, die Unterricht tatsächlich vollziehen: die Lehrer/innen und Schüler/innen. Bis hierher hat die Informationstechnik bereits entscheidende Transformationen durchgemacht. In dem Moment, in dem ein Lehrer anfängt, sich Gedanken zur inhaltlichen Vorbereitung seines Unterrichts zu machen, ist schon entschieden, dass Informationstechnik überhaupt als relevant genug gilt, unterrichtet zu werden (vgl. hierzu die im 6. Kapitel genannten Beschlüsse der BLK und KMK), wieviel Zeit für ihre Behandlung zugebilligt wird, im Rahmen welcher fachlichen Grenzen sie zu behandeln ist und zu welchem Bildungsweg ihre Behandlung beitragen soll (vgl. hierzu die entsprechenden Festlegungen in den Lehrplänen und Richtlinien der Bundesländer). Curricula sind entwickelt; Richtlinien und Lehrpläne erlassen; der gesellschaftliche Lehr- und Lernauftrag ist erteilt.

An dieser Stelle setzen generell die vielen Fachdidaktiken ein, die ja die Institutionalisierung der Unterrichtsfächer und ihre Einordnung in unterschiedliche Bildungswege an unterschiedlichen Schulformen meist voraussetzen und auf der Grundlage dieser Voraussetzung ihre Theorien und Strategien zum Unterrichten entwickeln. In aller Regel verstehen sie sich als Berufswissenschaften der entsprechenden Fach-Lehrer/innen und wollen diese bei ihrer inhaltlichen Unterrichtsvorbereitung unterstützen. Das Gleiche gilt im Prinzip auch für die Didaktik der Informationstechnischen Bildung bzw. der Informatik.

Da die Informationstechnische Bildung jedoch noch ein relativ junges Unterrichtsgebiet bzw. -fach und ihre institutionelle Stellung noch unsicher und in der Entwicklung ist, verwenden die Autor/innen, die sich die Entwicklung von Konzepten zu ihrer Didaktik vorgenommen haben, doch noch relativ viel Aufmerksamkeit auf die Erörterung vorhergehender Transformationsschritte, insbesondere auf die Frage ihrer allgemeinen Relevanz für die gesellschaftliche Reproduktion, deren positive Beantwortung ja ausschlaggebend für den Schritt zur Institutionalisierung ist.

Entsprechend leitet [Breier 2004] einen Vortrag über „Stand und Perspektive der informatischen Bildung“ mit der Feststellung ein: „… das Schulfach Informatik befindet sich heute in einer Situation, die vergleichbar ist mit der vor 100 Jahren als die Naturwissenschaften um den Einzug in die allgemein bildende Schule kämpften. Auch

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sie hatten sich –wie heute die Informatik – gegen die damals traditionellen Fächer durchzusetzen und immer wieder ihre Legitimation nachzuweisen.“

Dabei steht die Diskussion möglicher allgemeinbildender Ziele informationstechnischer Bildung, also ihrer Intentionalisierung, im engen Zusammenhang zur Herausarbeitung einer potenziellen allgemeinbildenden Qualität.

Hubwieser widmet der Frage „Wozu Informatikunterricht?“ ein ganzes Kapitel seiner „Didaktik der Informatik“ [Hubwieser 2001, 55-65] Und Humbert schreibt: „In diesem Lehrbuch kann nicht auf eine Diskussion um die allgemeine Bildung verzichtet werden, da jede Fachdidaktik sich dieser Problematik immer wieder neu zu stellen hat.“ [Humbert 2006, 1]

Solche Überlegungen wenden sich daher nicht ausschließlich an diejenigen, die das Gebiet unterrichten sollen, sondern enthalten zusätzlich bildungspolitische Plädoyers für (oder manchmal auch gegen) die Institutionalisierung informationstechnischer Bildung. Sie wollen noch Einfluss nehmen auf den dritten Transformationsschritt und die dabei zu treffenden Festlegungen.

Üblicherweise ist die Blickrichtung der Fachdidaktiken aber eine andere (bezogen auf das Strukturmodell: eher nach rechts und nach unten als nach links gewandt). Sie richten sich an Lehrerinnen und Lehrer des Faches oder Fachgebiets und wollen sie bei der Planung und Vorbereitung ihres Unterrichts unterstützen. Aus dieser typisch fachdidaktischen Blickrichtung ergibt sich auch der Stellenwert, welcher dem Transformationsschritt der Intentionalisierung zugemessen wird.

Innerhalb der Fachdidaktiken finden sich ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Überlegungen ein Lehrer bei seiner Unterrichtsvorbereitung anzustellen habe, je nachdem, ob davon ausgegangen wird, dass die Frage nach dem Sinn und Zweck des Unterrichtens und nach der sinnbezogenen Auswahl der Stoffe durch die institutionellen Vorgaben bereits entschieden, oder davon, dass sie durch die Lehrenden (und vielleicht auch durch die Lernenden) erst noch zu entscheiden ist. Im ersten Falle konzentriert sich die (fach-)didaktische Theorie auf die Transformationsprobleme, die mit der Umsetzung vorgegebener Stoffe in lehr- und lernbare Formen verbunden sind, also insbesondere auf die Methodik der informationstechnischen Bildung; im zweiten Falle stellt sie die Frage nach dem Sinn des Unterrichtens noch einmal ausdrücklich aus der Perspektive derer, die den Unterricht vollziehen.

Eine der eigenen Positionierung im Prozess didaktischer Transformation bewusste Fachdidaktik kann nicht so tun, als ob die institutionellen Voraussetzungen des Fachunterrichts, auf den sie sich bezieht, nicht existierten. Auch wenn sie noch einmal die Frage stellt, inwiefern Stoffe dieses Faches legitimierbar sind, muss sie berücksichtigen, dass es auf diese Frage bereits eine Antwort gibt in Gestalt gesellschaftlich getroffener Tatsachenentscheidungen, dass also die vorhandenen Curricula, Lehrpläne und Richtlinien ebenso wie die Zeitkontingentierung, die

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Lernwegdifferenzierung und die Facheinteilung bereits Resultate gesellschaftlicher Sinngebung für den Unterricht dieser Stoffe sind.

Vergäße sie dies und täte sie so, als ob sie sozusagen von vorn anfangen und diese Vorentscheidungen wieder in Frage stellen könnte, dann gäbe es zwei Möglichkeiten: Entweder ihre Überlegungen führten zur Forderung nach genau den Rahmenbedingungen, die bereits gegeben sind, oder sie führten zu etwas anderem. Im ersten Falle wären sie lediglich brauchbar als nachgeschobene didaktische Legitimation von Tatbeständen, die in Wahrheit nicht aufgrund didaktischer Überlegungen, sondern als Resultat gesellschaftlicher Auseinandersetzung, politischer Prioritätensetzung und staatlicher Willensbildung geschaffen worden sind. Im zweiten Falle wären sie unbrauchbar für die gegebenen Verhältnisse und formulierten illusionäre pädagogische Utopien.

Pädagogische Utopien sind selbstverständlich nicht prinzipiell illusionär. Sie sind es nur dann, wenn sie von der Voraussetzung einer gesellschaftlichen Unbedingtheit des didaktischen Denkens ausgehen, die nicht gegeben ist (und gar nicht gegeben sein kann). Pädagogische Utopien können jedoch ihre Berechtigung haben, wenn das ihnen zugrundeliegende didaktische Denken nicht von einem „als ob” ausgeht, sondern sich realistisch auf die gegebenen Verhältnisse einstellt.

Die Forderung nach „Realismus” darf allerdings nicht falsch verstanden werden. Es geht dabei nicht um fachdidaktische „Bescheidenheit”, also eine Haltung, die sich mit dem Gegebenen bescheidet und nun ihrerseits so tut, als ob überhaupt nichts anderes möglich wäre; oder die den gesamten Bereich der anderwärts geschaffenen Voraussetzungen aus ihrer Reflexion einfach ausklammert, als ob sie mit dem nichts zu tun hätten, womit fachdidaktisches Denken sich befasst. Der „Realismus”, den ich meine, ist Basis einer kritischen Reflexion der Unterrichtsprozesse, die untersucht und für deren Gestaltung Vorschläge gemacht werden sollen. Man kann nicht verstehen, was im Unterricht geschieht und was im Unterricht möglich ist, wenn man von den Transformationsprozessen absieht, die die potenziellen Unterrichtsinhalte an der Stelle bereits durchlaufen haben, an der das fachdidaktische Denken zur Stellungnahme aufgerufen wird.

Es gehört zu einem kritischen fachdidaktischen Selbstbewusstsein zu wissen: An dieser Stelle geht es nicht mehr um Bildung überhaupt, sondern um Unterricht. Eine von institutionellen Zwängen freie Bildung gegen Unterricht auszuspielen, das wäre der illusionäre Utopismus einer Didaktik oder Bildungstheorie, die so tut, als ob sie es sei, die die Grundfrage noch zu entscheiden hat, ob es um ein Lehren und Lernen im gesellschaftlichen Auftrag und zur Deckung des gesellschaftlichen Bildungsbedarfs überhaupt gehen darf. Unterricht gegen Bildung auszuspielen, wäre dann allerdings das umgekehrte „als ob”: als ob etwas anderes als Lehren und Lernen im gesellschaftlichen Auftrag gar nicht möglich sei und sich über Lehren und Lernen didaktisch nichts anderes sinnvoll sagen ließe, als was ihre institutionelle Verfasstheit hergibt.

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Der von mir gemeinte Realismus besteht in der Einsicht, dass die Fachdidaktik erst aufgerufen wird, wenn wichtige Vorentscheidungen bereits getroffen sind. Es fragt sich dann allerdings, wozu es gut sein soll, wenn sie noch einmal die institutionell bereits entschiedenen Fragen stellt. Maßt sich die Didaktik damit nicht eine Position an, die ihr auf dem Wege der Transformation der Sache in einen Unterrichtsinhalt gar nicht zukommt? Wie legitimiert sich eine solche Didaktik ihrerseits hinsichtlich ihres Verlangens, die Legitimation bestimmter Unterrichtsstoffe zu befragen? Haben nicht die Didaktiken recht, die dies als Anmaßung ablehnen und sich auf die „bescheidenere” Aufgabe verpflichten, Unterricht als möglichst effektive Umsetzung der institutionellen Vorgaben zu konzipieren?

7.2 Vermittlung offizieller Bildungsziele mit persönlichen Lehrintentionen

7.2.1 Übernahme des Lehramts Die Notwendigkeit einer erneuten Legitimationsprüfung ergibt sich aus der Tatsache, dass in dem Moment, in dem wir gedanklich die Schule betreten, eine Abstimmung der „amtlichen” Transformationslinie mit den beiden anderen Transformationslinien unausweichlich ansteht. Die institutionellen Vorgaben müssen von den Lehrenden und Lernenden mit Leben gefüllt werden, wenn sie wirksam werden sollen; sie müssen also in persönliche Intentionen transformiert: intentionalisiert werden. Dabei müssen sie sich mit den Motivationen zum Lehren und Lernen vermitteln. Nur in dem Sonderfall, dass diese Motivationen in nichts anderem bestünden als in der Umsetzung der institutionellen Vorgaben, sich Lehrende und Lernende also ausschließlich als Funktionäre des institutionalisierten gesellschaftlichen Willens verstünden, könnte ein eigener Transformationsschritt an dieser Stelle überflüssig erscheinen. Selbst unter der genannten Voraussetzung allerdings wäre immer noch eine Interpretation der Vorgaben von Nöten, die ja keineswegs „für sich selbst” sprechen. Jede Interpretation bringt aber die Subjektivität des Interpreten ins Spiel, auch wenn dieser selbst vorgibt, keine eigene Sicht ins Spiel zu bringen.

Da die Schüler/innen mit den institutionellen Vorgaben in der Hauptsache vermittelt durch die Amtsführung ihrer Lehrer/innen konfrontiert sind, wird mit dem vierten Transformationsschritt primär angesprochen, in welcher Weise diese sich den Auftrag ihres Amtes zu eigen, zum eigenen Anliegen machen.

Damit tritt eine perspektivische Erweiterung ein. Waren bisher die gesamtgesellschaftlichen Interessen maßgebend, so sehen Lehrer/innen sich nun mit der Aufgabe konfrontiert, eine Vermittlung der gesellschaftlichen Perspektive mit den individuellen Lernwegen ihrer Schüler/innen zu leisten. Ob sie es akzeptieren oder nicht – sie sind mit dem Problem konfrontiert, wie sich individuelle Lernbedürfnisse und gesellschaftlicher Lehrauftrag zueinander verhalten, und sie müssen sich der

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Tatsache stellen, dass nicht einfach davon auszugehen ist, dass die Schüler/innen nichts anderes wollen als das zu lernen, was man von ihnen zu lernen verlangt.

Didaktische Ansätze, die die didaktische Reflexion möglichst auf Fragen effektiver Umsetzung jeweils gültiger Vorgaben beschränken wollen, ignorieren das Problem sowohl der Subjektivität der Lehrenden als auch der Subjektivität der Lernenden und unterstellen als Adressaten ihrer Überlegungen Lehrer/innen, die ihre Schüler/innen als bloße Objekte der Belehrung sehen und behandeln und sich selbst als Vollstrecker des staatlichen Willens verstehen, die also ihre Unterrichtstätigkeit nach dem Vorbild technischen Handelns ausüben. Damit aber ist immer – offen oder versteckt – Gewalt verbunden. Dass die von Lehrer/innen gegenüber ihren Schüler/innen ausgeübte Gewalt demokratisch legitimierte und durch die Ausbildung autorisierte Staatsgewalt ist, mildert das Problem, hebt es aber nicht auf. Lehrer/innen stehen also durchaus vor der Frage, wie sie ihre berufliche Tätigkeit verstehen und ob sie das, was sie tun sollen, vor ihrem beruflichen Selbstverständnis verantworten können. Auch wenn sie sich lediglich als Vollstrecker/innen staatlichen Willens verstehen, haben sie sich – eben für diese Berufsauffassung – entschieden, vielleicht, ohne sich groß Gedanken dazu gemacht zu haben, und vielleicht sogar, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein, dass sie eine Entscheidung getroffen haben.

Werden die Schüler/innen lediglich als Objekte des Unterrichts behandelt, erfahren sie durch diese Art der Ausübung von Staatsgewalt eine autoritative Form des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, die mit dem Selbstverständnis einer demokratischen, offenen Gesellschaft nicht ohne weiteres vereinbar ist und (als „heimlicher Lehrplan”) den offiziellen Lehrplanzielen, soweit es in ihnen um die Erziehung mündiger, selbstbewußter Bürger gehen soll, widersprechen könnte. Mit anderen Worten: Ein Sich-neutral-Verhalten gegenüber den institutionellen Vorgaben kann es nicht geben. Auch die Verweigerung einer Reflexion der Frage nach dem Sinn des Unterrichts unter Berufung darauf, dass diese Frage bereits entschieden sei, ist in Wahrheit eine bestimmte, wenn auch unreflektierte Antwort, die sich in der Entscheidung für eine offene oder latente Gewaltförmigkeit des Unterrichts ausspricht.

Gewaltfrei könnte Unterricht nur sein, sofern es ihm gelänge, zwischen den gesellschaftlichen Interessen am Unterricht und den Lernbedürfnissen der Schüler/innen zu vermitteln. Ob und wie dies möglich ist, ist die spezifische Fragestellung, die die Didaktik an dieser Stelle in den didaktischen Transformationsprozeß einbringen kann und mit der die Geltung der institutionellen Vorgaben noch einmal in Frage und die in sie eingeflossenen Entscheidungskriterien noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden.

Im Übrigen ist diese erneute Reflexion offensichtlich im Sinne des staatlichen Unterrichtsauftrags, wenn denn die im Geiste der Freiheit der Wissenschaft an universitären Einrichtungen stattfindende Lehrerausbildung als Befähigung der

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künftigen Lehrer/innen zu einer erziehungswissenschaftlichen und d.h. prinzipiell kritischen Analyse des didaktischen Handlungsfeldes praktische Relevanz haben soll.

Der Transformationsschritt der Intentionalisierung konfrontiert den Lehrenden also mit seiner eigenen sachbezogenen Motivation zum Lehren und verlangt von ihm, diese in der Spannung zwischen gesellschaftlichem Auftrag (Lehramt) und Lernbedürfnissen seiner Schüler/innen sowohl zu klären als auch hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit zu prüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Diese Selbstreflexion der sachbezogenen didaktischen Intention kann durch eine kritische, bildungstheoretisch fundierte didaktische Theorie unterstützt werden – während technologisch orientierte Didaktiken die Lehrenden hier im Stich lassen.

Wenn Lehrer/innen sich ihre Gedanken zur inhaltlichen Unterrichtsvorbereitung machen, stehen sie im Regelfall nicht im Begriff, ein ihnen völlig neues Sachgebiet zu betreten. Die Informationstechnik hat sie schon früher, bevor die Entscheidung für den Beruf gefallen ist, in irgendeiner Weise beschäftigt. Im Verlaufe ihrer Lebensgeschichte sind sie auf vielfältige Weise mit ihr konfrontiert gewesen. Sie war vielleicht Teil ihrer persönlichen Lebenspraxis; sie war Gegenstand privater Studien; sie war Stoff im Schulunterricht; sie war jedenfalls Thema des Faches, das sie an der Hochschule studiert haben. Sie haben mit ihr unmittelbare persönliche Erfahrungen gemacht; sie haben Diskussionen über sie verfolgt; sie haben Bücher darüber gelesen, Vorträge gehört; sie haben Gespräche darüber geführt, „im stillen Kämmerlein” darüber nachgedacht usw. Ihre Entscheidung für das Unterrichtsgebiet hatte sicher etwas mit dieser Vorgeschichte zu tun.

Informationstechnik hat also im Laufe der Lebensgeschichte des einzelnen Lehrenden längst schon eine eigene Transformation durchlaufen, und zwar eine Transformation, in der auch schon didaktische Transformationen ihre Rolle gespielt haben, insofern ja die Informationstechnik eine Sache ist, mit der er selbst sich lernend, vielleicht im Schulunterricht, sicher aber im Studium an der Hochschule auseinandergesetzt hat. All dies hat sich kristallisiert zu einem persönlichen Sachverständnis, in dem auch subjektive Bedeutung dieser Sache enthalten ist, eine mehr oder weniger ausdrückliche und bewusste Einstellung zum Sinn dieser Sache.

Außerdem aber ist eine Berufsentscheidung ja nicht nur hinsichtlich des Faches (und damit eines Sachgebietes) gefallen. Zusätzlich zur fachlichen Motivation war (meist) eine pädagogische Motivation maßgebend: Die Lehrer/innen haben sich dazu entschieden, über Informationstechnik zu unterrichten. Sofern sich diese beide Motivationen miteinander verbinden (jeder kennt wohl aus eigener Erfahrung Beispiele, in denen das nicht der Fall ist und z.B. ein Lehrer seine berufliche Tätigkeit nutzt, um seinen persönlichen Vorlieben nachzugehen, oder ein anderer Unterricht macht, ohne sich selbst für die von ihm vertretene Sache zu interessieren), entsteht aus der fachlichen Motivation eine Lehrintention: das, was einem selbst an der Sache bedeutsam, wichtig, sinnvoll erscheint, auch anderen zu vermitteln, also die

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Perspektive persönlicher Bedeutsamkeit zu erweitern zu einer Perspektive der Bedeutsamkeit auch für die nachfolgende Generation.

Unterricht ist aber keine Angelegenheit, die die Lehrer/innen persönlich mit ihren jeweiligen Schüler/innen ausmachen. Der Lehrerberuf ist Ausübung eines staatlichen Amtes und die Entscheidung für diesen Beruf daher auch eine Entscheidung dafür, im Staatsauftrag tätig zu werden. Inhaltliche Unterrichtsvorbereitung konfrontiert die Lehrenden also sowohl mit sich selbst als auch mit dem Staat; mit der eigenen Lehrintention sowie den in diese eingeflossenen fachlichen und pädagogischen Motivationen und mit dem staatlichen Unterrichtsauftrag, wie er sich in den institutionellen Vorgaben des Fachunterrichts manifestiert. Beides ist aufeinander zu beziehen, und dabei stellen beide Seiten einander auch – kritisch – in Frage, in die Frage nämlich ihrer Vermittelbarkeit.

Der staatliche Unterrichtsauftrag hat sich vor der persönlichen Lehrintention zu legitimieren: Kann ich – als Lehrer/in – es vor mir selbst, vor meinen fachlichen und pädagogischen Ansprüchen vertreten, einen Unterricht im Sinne dieser Vorgaben zu machen?

Und umgekehrt hat sich die persönliche Lehrintention vor dem staatlichen Auftrag zu legitimieren: Kann ich das, was ich persönlich in Hinsicht der Unterrichtsinhalte für bedeutsam, wichtig und sinnvoll, also für lernwürdig oder -notwendig halte, vor der Gesellschaft, vertreten durch ihren Staat, rechtfertigen?

In der Doppelrichtung dieser Fragen kommt das kritische Potenzial didaktischen Denkens sowohl gegenüber den institutionellen Gegebenheiten als auch gegenüber der eigenen Lehrintention zur Geltung. Es stellt kritisch die institutionellen und amtlichen Vorgaben hinsichtlich der Unterrichtsinhalte in Frage und versucht dabei die Spielräume auszuloten, die einem in der Sache engagierten Unterrichten offen stehen. Es befragt aber auch die sachbezogene Vermittlungsintention der Lehrenden in Hinsicht ihrer gesellschaftlichen Verantwortbarkeit. Diese Fragen gelten der zu unterrichtenden Sache, die jedoch nicht an sich existiert, sondern in den Repräsentationsformen der amtlichen und institutionellen Vorgaben einerseits, des Sachverständnisses und der sachbezogenen Vermittlungsintention der Lehrenden andererseits präsent ist.

Wenn die Informationstechnik auf ihren „Bildungsgehalt” befragt wird, wie Klafki es ausdrückt, dessen didaktische Theorie in der Lehrerausbildung der letzten vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts sicherlich eine herausragende Stellung einnahm, werden damit also genaugenommen diese beiden Repräsentationsformen der Sache befragt, in der Erwartung, dass in der Antwort beide in eine miteinander vermittelbare Form umgewandelt sind, der Lehrende also seinen staatlichen Auftrag in einer persönlich vertretbaren Weise wahrnehmen kann.

Die Befragung der Sache kann eine Übereinstimmung zwischen Auftrag und Intention zutage fördern; sie kann aber auch Abweichungen und Gegensätze ins Bewusstsein heben. Letzteres kann heißen, dass der Lehrende in einem von der Institution noch

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tolerierten Rahmen von den Vorgaben abweicht oder versucht, durch eigenwilligen Unterricht auf die Institution verändernd einzuwirken; es kann heißen, dass er Kompromisse eingeht und Abstriche an seinen persönlichen Intentionen vornimmt; es kann aber auch heißen, dass diesem Lehrenden eine für ihn selbst und für die Institution akzeptable Abstimmung von Auftrag und Intention nicht gelingt.

Für Klafki ist der Bildungsbegriff notwendig, wenn die Didaktik beansprucht, über ein eigenes Orientierungskriterium für didaktisches Handeln zu verfügen, nicht bereit ist, sich lediglich als Erfüllungsgehilfin von außerhalb kommender Vorgaben oder rein persönlicher Absichten von Lehrenden zu verstehen, und beider Geltung entsprechend als didaktisch nicht legitimierten Zugriff auf das Unterrichtsgeschehen zunächst abweist.

7.2.2 Grenzüberschreitung didaktischer Reflexion Die Abwehr äußerer „Einmischung” im didaktischen Handlungsfeld bedingt allerdings ihrerseits eine Einmischung der Didaktik in „äußere Angelegenheiten”, d.h. in Angelegenheiten, die nicht originär didaktische Angelegenheiten sind. Die Didaktik mag mit Recht Zuständigkeit für den Zustand der Unterrichtsverhältnisse reklamieren; für den Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse ist sie nicht zuständig. Wenn Klafki also als oberste Orientierungsleitlinien für didaktisches Handeln Formulierungen gebraucht wie „Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit in gesellschaftlicher Praxis”, dann bringt er damit einerseits zum Ausdruck, dass sich die Didaktik die Unterrichtsziele nicht von anderen Instanzen vorschreiben zu lassen bereit ist, dass sie damit andererseits aber ihren Problemhorizont ins Gesellschaftliche ausdehnen muss. Entsprechend muss sie allerdings damit rechnen, dass dies wiederum sowohl von den dort sich zuständig fühlenden Instanzen und Gruppen als auch von den für außerschulische Praxis- und Sachbereiche sich zuständig fühlenden wissenschaftlichen Disziplinen als Einmischung aufgefasst und abgewehrt wird.

Didaktische Reflexion nach Maßgabe des Bildungsbegriffs stellt aber ebenso eine „Einmischung” in die „inneren Angelegenheiten” der Lehrenden dar, indem sie diese mit dem Ansinnen konfrontiert, „in sich zu gehen”, sich ihre persönlichen Lehrintentionen einerseits vielleicht überhaupt erst bewusst zu machen, weitergehend aber auch kritisch in Frage zu stellen. Eine solche Didaktik lässt – man könnte sagen: philosophisch werdend – die Lehrenden nicht „in Ruhe”, sie beansprucht nicht nur gesellschaftliche, sondern auch persönliche Geltung und muß sich daher auf Widerstände und Abwehr auch von dieser Seite her einstellen.

Wenn also der Bildungsbegriff die didaktische Fachgrenze sprengt, soweit diese durch die Grenze der Institution Schule gezogen ist, darf eine Didaktik, die sich auf ihn beruft, sich nicht damit begnügen, lediglich ihre Wunschvorstellungen in den gesellschaftlichen Raum hinauszuposaunen („Wir Didaktiker und Pädagogen hätten gern eine Gesellschaft, in der den Menschen Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit

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zugestanden wird.”) und den Lehrenden normativ vorzusetzen („Wir hätten gern Lehrer/innen, denen Bildung zur Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit ein persönliches Anliegen ist.”), sondern muss sich einlassen auf die spezifischen Problemstellungen außerschulischer Praxis- und Sachbereiche, die dort geltenden Bedingungen der Möglichkeit und Notwendigkeit von Bildung aufweisen und zugleich die Frage nach der persönlichen Verantwortbarkeit einer Bildung für diese Praxis aufwerfen.

Beziehen wir dies auf den Sachbereich Informationstechnik. Vom Bildungsbegriff her wird dieses Gegenstandsfeld befragt: Was muss über Informationstechnik gelernt werden, damit Bildung, also – mit Klafki – Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit im Bereich ihrer Entwicklung und Anwendung möglich wird? Zieht man die Vorstellung heran, dass in der Distanzierung der Gegenstand sozusagen transparent gemacht wird, um im Durchdringen mit eigener Subjektivität seine Möglichkeiten für mich aufzudecken, dann geht es um eine Durchleuchtung der Informationstechnik in Hinsicht der in ihr enthaltenen Möglichkeiten zur Selbst- und Mitbestimmung.

Dies sind die Fragen, die Klafki in seiner Didaktischen Analyse an die zu unterrichtende Sache stellt, um ihren Bildungsgehalt aufzudecken:

• die Frage nach der Gegenwartsbedeutung der Sache (Bezug zum gegenwärtigen Leben der Lernenden),

• die Frage nach der Zukunftsbedeutung der Sache (Bezug zum zukünftigen Leben der Lernenden),

• die Frage nach der Exemplarität der Sache (Bezug zu übergreifenden Zusammenhängen),

• die Frage nach der internen Struktur der Sache (innere Differenziertheit, Gliederung),

immer gestellt in Hinsicht einer Bildung zur Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit [Klafki 1963, 135ff.].

Wie die Antworten auf diese Frage ausfallen, dies hängt selbstverständlich in ganz entscheidendem Maße von dem zu Grunde liegenden sachlichen Verständnis von Informationstechnik und ihrer gesellschaftlichen Relevanz zusammen, verweist also auf Zusammenhänge zu den Transformationsschritten fünf und zwei. Entscheidend an dieser Stelle ist, dass sowohl die gesellschaftliche Relevanz als auch das Sachurteil bezogen werden auf ein pädagogisches Sinnkriterium.

Das Problem bei Klafkis Fragen zum Bildungsgehalt einer Sache ist, dass sie die Intentionalität des Unterrichts allein pädagogisch begründen, also Bildung als ein pädagogisches Anliegen einbringen, das die Sinnorientierung des Unterrichts definiert. Offen bleibt, ob die Sache selbst nach Bildung verlangt. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da Klafki ein allgemeindidaktisches Konzept vorlegt, das unabhängig vom jeweiligen Sachbezug zu Grunde gelegt werden soll und kann. So lässt sich auch informationstechnische Bildung sicherlich pädagogisch legitimieren bzw. eine

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pädagogisch legitimierbare informationstechnische Bildung konzipieren, welche sich dem Ziel der Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit verschreibt. Ob eine solche Orientierung informationstechnischer Bildung aber von der Sache selbst verlangt wird, anders ausgedrückt: ob die Informationstechnik der Bildung bedarf, ob sie nach Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit der Subjekte verlangt, muss dabei offen bleiben.

Da ich in dieser Vorlesung nicht von pädagogischen Forderungen ausgehe, die an die unterrichtliche Behandlung von Informationstechnik zu stellen sind, sondern danach frage, wie und wodurch diese Sache an ihr selbst so problematisch wird, dass Bildung nötig wird, also auf der Ebene des gesellschaftlichen Bedarfs und nicht auf der Ebene des pädagogisch Wünschbaren einsetze, ist in einem gewissen Sinne von der Intentionalität informationstechnischer Bildung schon die Rede gewesen. (Vgl. unter 4.3: Problematisierungen der Informationstechnik; sowie 5.2: Die gesellschaftliche Relevanz informationstechnischer Bildung.)

Intentionalisierung heißt daher nicht, dass bei diesem Transformationsschritt überhaupt erst über die Sinn- und Zielorientierung informationstechnischer Bildung zu befinden wäre, sondern dass hier die Vermittlung der amtlichen Vorgaben mit den subjektiven Intentionen der Lehrenden und darüber den Lernintentionen der Lernenden erfolgen muß. Deshalb kommt an dieser Stelle die pädagogische Dimension eigens ins Spiel, welche informationstechnische Bildung als individuell-persönliche Entwicklungsnotwendigkeit zu begründen hat.

Die Vermittlung der gesellschaftlichen und der individuellen Perspektive ist letztlich Voraussetzung dafür, dass informationstechnische Bildung in Schulen gelingen kann.

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8. Vierter Transformationsschritt: Intentionalisierung Informationstechnischer Bildung – Vom Wissen zur Bildung

8.1 Wissensvermittlung Wenn es darum ging, die Aufgabe der Schule oder des Unterrichts zu bestimmen, wurde früher meist die Wissensvermittlung betont. Heute spricht man stattdessen zunehmend von Kompetenzen. Worin besteht der Unterschied?

Wissen hat zunächst zur Voraussetzung, dass jemand durch Wahrnehmung, Erfahrung und Lernen Informationen über seine Welt aufnimmt und „behält“. Er verfügt dann über „Kenntnisse“. Dabei wird unterstellt, dass diese Informationen „zutreffend“ sind und nicht „falsch“. (Die Frage, wie das „Zutreffen“ geprüft werden kann, soll hier als geklärt angenommen werden – obwohl dies ein durchaus schwieriges Problem darstellt.)

Wissen geht nun über Kenntnisse bzw. Informationen insofern hinaus, als in ihm die einzelnen Kenntnisse über dies und das zusammengefügt und miteinander verbunden werden. Dabei werden Beziehungen zwischen den Informationen hergestellt, die nur teilweise selbst als Informationen vorliegen oder den miteinander zu verbindenden Informationen selbst entstammen. Solche Verbindungen können durch logische Schlussfolgerungen hergestellt werden; aber auch durch die Verallgemeinerung von Erfahrungen, durch statistische Erhebungen und Korrelationsberechnungen, durch Annahmen über intervenierende Zwischenglieder in einer vermuteten Kausalkette von Ereignissen (Hypothesen- und Modellbildung), durch Untersuchung von Wechselwirkungen und Prozessverläufen usw. Kenntnisse, die sich in solche Zusammenhänge einordnen lassen, werden zu Wissen und bleiben Wissen, solange nicht neue Informationen ihre Einordnung in einen Zusammenhang oder gar diesen Zusammenhang selbst in Frage stellen. Tritt dies ein, wird Wissen wieder ungewiss. Soweit die Forderung gestellt wird, dass sowohl das Zutreffen der Informationen als auch ihre Verbindung untereinander zu Zusammenhängen intersubjektiv und rational überprüfbar sein muss, können wir von wissenschaftlichem Wissen sprechen.

Was ich damit beschrieben habe, ist ein grobes Bild dessen, was wissenschaftliche Tätigkeit beinhaltet: Gewinnung von zutreffenden Informationen und Verbindung der Informationen zu schlüssigen, intersubjektiv und rational überprüfbaren Zusammenhängen. Dazu gehört dann auch die Markierung der Grenzen des wissenschaftlichen Wissens. (An den Grenzen des wissenschaftlichen Wissens kann und muss dann etwas anderes als wissenschaftliches Wissen herangezogen werden, um Zusammenhang zu stiften: z.B. die persönliche, aber nicht verallgemeinerbare und/oder von anderen nicht überprüfbare Erfahrung oder der religiöse Glaube, die beide ebenfalls eine Gewissheit begründen können, welche der wissenschaftlichen Wissens in nichts

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nachsteht; oder die Vermutung, die Ahnung usw., die nicht Gewissheit, aber dennoch eine vorläufig anzunehmende Option auf Wissen darstellen können.)

Wissenschaftliches Wissen wird von den Wissenschaften erarbeitet und – soweit in staatlich finanzierten Einrichtungen entwickelt – prinzipiell der Öffentlichkeit, damit auch den Lernprozessen aller zugänglich gemacht. Wenn Informationstechnische Bildung die Aufgabe der Wissensvermittlung in diesem Sinne hat, dann ist klar, dass sie sich an den Erkenntnissen ihrer Bezugswissenschaft, der Informatik, orientieren und sich zum Ziel setzen sollte, diese der nachwachsenden Generation zu vermitteln.

8.2 Kompetenzvermittlung Nun weist unser Schema didaktischer Transformation allerdings als Abschluss den Transformationsschritt des „Praktischwerdens“ aus. Und damit wird das Ziel der Wissensvermittlung mit einer übergreifenden Aufgabe verknüpft, nämlich der, dass das vermittelte Wissen praktisch bedeutsam wird. Und die Frage ist, ob und wie es im wissenschaftlichen Wissen auch ein Wissen darüber gibt (oder geben kann), wie es praktisch werden soll. Denn das Praktischwerden des Wissens verlangt außer dem Wissen, „wie es ist“, auch eine Entscheidung (oder ein „Wissen“) darüber, was man denn mit diesem Wissen in der Praxis anfangen soll.

Die wachsende Einsicht, dass Wissen allein noch nicht handlungsfähig macht, ist der Anlass gewesen, die Aufgabe von Schule und Unterricht nicht mehr vorrangig als Wissensvermittlung zu fassen. In der lernpsychologischen Forschung wird Wissen, das in Handlungskontexten nichts zur Handlung beizutragen vermag, als „totes“ oder „träges Wissen“ bezeichnet. Würde die Schule nur solches Wissen vermitteln, müsste der abschließende und die didaktische Transformation vollendende Transformationsschritt ausbleiben; damit würden alle vorausgehenden didaktischen Bemühungen hinfällig. Praktisch werden könne nur „situiertes“ Wissen, das meint Wissen, das sich auf unterschiedliche Handlungskontexte so beziehen lässt, dass es in der Praxis sozusagen mobilisiert oder aktualisiert werden kann.

Hier kommt nun der Kompetenzbegriff ins Spiel. Auch die ältere Auffassung des schulischen Bildungsauftrags als Wissensvermittlung ging ja von der stillschweigenden Voraussetzung aus, dass die Verfügung über Wissen zugleich schon die praktisch bedeutsame Fähigkeit beinhalte, das erworbene Wissen (im weitesten Sinne) auch „anzuwenden“. Eben diese „Kompetenz“ allerdings wird – wie sich gezeigt hat – nicht mit dem Wissen sozusagen automatisch mit vermittelt; sie kann aber auch nicht einfach als jedem Menschen gegeben vorausgesetzt werden.

Der Begriff der Kompetenz leitet sich vom lateinischen Verb competere ab (com = zusammen, gemeinsam; petere: verlangen, begehren, erstreben). Ganz wörtlich übersetzt würde das Verb also ein zur Vereinigung oder Verbindung mit etwas Anderem Streben bezeichnen. In der Biologie bezeichnet Kompetenz z.B. die (meist

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künstlich herzustellende) Fähigkeit einer Zelle, DNA aus einer anderen Zelle ins eigene Genom zu integrieren (eine Zelle wird gentechnisch kompetent gemacht). Im Rechtswesen bezeichnet Kompetenz die gesetzlich verankerte Zuständigkeit für ein Sach- oder Aufgabengebiet, die weder überschritten noch von anderen verletzt werden darf. In der Psychologie bezeichnet Kompetenz „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ [Weinert 2001, 27f.]

Mit der psychologischen Definition vom Kompetenz sind wir schon beim heute gängigen pädagogischen Kompetenzverständnis. Die berühmten PISA-Studien versuchten, nicht mehr den Wissensstand von Schüler/innen international vergleichend zu erheben, sondern Kompetenzen (knapp formuliert: Problemlösefähigkeiten) zu überprüfen. Zum Teil wird das schlechte Abschneiden des deutschen Bildungswesens auch auf das Festhalten an dem überholten Verständnis des schulischen Bildungsauftrags als Wissensvermittlung zurückgeführt.

Inzwischen wird auch in Deutschland mehr und mehr dazu übergegangen, Lehrpläne und Curricula am Ziel der Kompetenzvermittlung auszurichten. Wo früher oft Wissensinhalte aufgelistet wurden, wenn die Ziele des Unterrichts benannt werden sollten, werden heute Kompetenzen formuliert, über die Schüler/innen nach Abschluss eines Abschnittes ihres Bildungsgangs verfügen sollen. (Auch die hessische Lehrerbildung ist seit neuestem an der Vermittlung von Kompetenzen orientiert.) Benannt wird nicht mehr primär, welches Wissen die Schüler/innen haben, sondern was sie können sollen.

Eine Kompetenzorientierung können wir im Bereich der Informationstechnischen Bildung eher in der ITG/IKG und der Medienerziehung/Medienbildung feststellen. Die Ziele des Informatikunterrichts werden dagegen immer noch häufig in Form von Wissensbeständen definiert, die es (aus Sicht der Disziplin Informatik) zu vermitteln bzw. (aus Sicht des Lernenden) anzueignen bzw. aufzubauen gilt.

8.2.1 Bildungsstandards Im Interesse einer größeren Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen in Deutschland und, um Maßstäbe für eine Überprüfung der Qualität von Bildungsmaßnahmen (also auch der Leistungsfähigkeiten von Schulen) zu bekommen, wurden von der KMK 2003 und 2004 erste „Bildungsstandards“ für eine Reihe von Fächern des Primarbereichs und der Sekundarstufe I vereinbart. Diese Standards beschreiben nicht mehr, was von den Lehrer/innen gelehrt werden, sondern, was „am Ende“ von den Schüler/innen gekonnt sein soll.

Standards sollen

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• für Lehrende wie Lernende bzw. deren Eltern transparent machen, welche Ziele der Unterricht verfolgt,

• für eine Vergleichbarkeit der Bildungsgänge zwischen den Bundesländern sorgen,

• Kriterien und Maßstäbe für die Evaluation der Leistungen des Schulsystems liefern im Vergleich zwischen den Bundesländern sowie im internationalen Vergleich.

Mit dem Übergang zu Kompetenzen und Standards wird ein neues Steuerungskonzept eingeführt. Betrachten wir die obere Transformationslinie in unserem Strukturmodell, so sehen wir, dass insbesondere hinsichtlich der Vorgaben, was die Ziele, Inhalte und Methoden betrifft, die im Schulunterricht verfolgt, vermittelt und angewandt werden, der Staat zwar die „Regie“ gleichsam abgibt an seine Lehrer/innen, diese aber dennoch weiterhin stark bindet an das „Drehbuch“ der Richtlinien, die die Lehrinhalte definieren. Er überprüft also die Leistungen der Schulen vorrangig daran, ob und wiewewit das Drehbuch eingehalten wird; weniger daran, wie „das Stück beim Publikum ankam“, sprich: was die Schüler/innen tatsächlich mitgenommen haben aus dem Unterricht.

Diese Art der Steuerung nennt man „Input-Steuerung“, weil sie das Unterrichtsgeschehen über den Lehr-Input zu bestimmen versucht. Sie soll nun weitgehend abgelöst werden durch eine „Output-Steuerung“, welche die Leistung der Schule daran misst, was die Schüler/innen nachher tatsächlich können. Wie die Schulen das erreichen, dafür wird ihnen kein „Drehbuch“ mehr vorgeschrieben. Auf der Website der KMK heißt es dazu:

„Durch die Ergebnisse von TIMSS, PISA und IGLU ist deutlich geworden, dass die in Deutschland vorrangige Inputsteuerung allein nicht zu den erwünschten Ergebnissen im Bildungssystem führt. Die Festlegung und Überprüfung der erwarteten Leistungen müssen hinzu kommen. Außerdem zeigen die Ergebnisse skandinavischer und einiger angloamerikanischer Staaten, dass Staaten, in denen eine systematische Rechenschaftslegung über die Ergebnisse erfolgt – sei es durch regelmäßige Schulleistungsstudien, sei es durch zentrale Prüfungen oder durch ein dichtes Netz von Schulevaluationen –, insgesamt höhere Leistungen erreichen. Die Entwicklung und die Sicherung von Qualität, externe und interne Evaluation bedürfen klarer Maßstäbe. Deshalb hat die Kultusministerkonferenz einen besonderen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Entwicklung und Einführung von bundesweit geltenden Bildungsstandards gelegt.“

Für die Sekundarstufe II und generell für den Bereich der Informationstechnischen Bildung sind Standards bisher weder erarbeitet noch konkret „in Auftrag“. Innerhalb der Fachdidaktik hat man aber begonnen, die Formulierung möglicher Standards vorzubereiten. Das Konsortium der PISA-Studien denkt auch daran, informationstechnische Kompetenzen „unter dem Aspekt der ‚IT-Kompetenz als

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Kulturwerkzeug’“ ab 2006 in die Untersuchungen mit einzubeziehen. [Humbert/Puhlmann 2004, 2]

8.2.2 Informatische Kompetenz Aus der Fachdidaktik Informatik werden aktuell Konzepte für eine Informatische Bildung vorgeschlagen, die mit dem Begriff der Informatischen Kompetenz arbeiten und versuchen, ein sowohl an fachwissenschaftlichen Inhalten als auch an Kompetenzstufen orientiertes fachdidaktisches Konzept zu entwickeln [Friedrich 2003]:

Tabelle: Kompetenzstufen informatischer Bildung nach [Friedrich 2003]

Leitlinien der informatischen Bildung Interaktion mit

Informatiksystemen (IS)

Wirkprinzipien von IS

Informatische Modellierung

Wechselwirkung zwischen IS, Mensch

und Gesellschaft

Informatische Kompetenz

„Problemlösung“ „Konzepte“ „Abstraktion“ „Allgemeinbildung“ Stufe I einfache Bedienung;

Nachvollzug von Handlungen

Benennung von Teilen eines Compu-

terarbeitsplatzes

Erfassen typischer Bestandteile/Eigen-

schaften

Beziehungen in der Umgangssprache

darstellen Stufe II Komplexe Bedienung;

Erfassen von Abläufen

Wissen um Grundfunktionen von

IS

modellhafte Darstellung von

Abläufen

Computer in unterschiedlichen Lebenssituationen

Stufe III Fertigkeiten zum Lösen typischer

Aufgabenklassen

Einordnung in Fachsystematik;

grundlegende Fachbegriffe

Definition und Anwendung des Modellbegriffs

Kritische Reflektion zur Nutzung von Informa-

tionen; historische Entwicklung

Stufe IV Umgang mit Systemen; Auswahl

von Methoden

theoretische Grund-lagen; Fachbegriffe

und Konzepte

einfache Modelle entwickeln und implementieren

Beurteilung von Auswirkungen

Stufe V Konstruktion/Imple-mentierung von Lösungen mit verschiedenen Werkzeugen

Anwenden und Entwickeln von

Konzepten

komplexere Modelle mit unterschiedlichen

Werkzeugen bearbeiten

Bewertung des Einsatzes von

Informatiksystemen

Friedrich orientiert sich dabei an einer inhaltlichen Einteilung, die an [Baumann 1996] anschließt:

• Informationstechnik ist Antwort auf lebensweltliche Probleme (Leitfrage: „Wie können durch Entwicklung, Gestaltung und Anwendung von Informatiksystemen Probleme der Lebenswelt gelöst werden?“)

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• Um zu verstehen, wie Informationstechnik lebensweltliche Probleme zu lösen vermag, muss man ihre Wirkprinzipien, ihre Struktur und ihre Funktionsweise begreifen (Leitfrage: Wie sind Informatiksysteme aufgebaut, welches sind die Prinzipien des Zusammenwirkens ihrer Komponenten und wie ordnen sie sich in größere Systemzusammenhänge ein?“)

• Da Informationstechnik geistige Operationen automatisiert, ist es wichtig, die Grundlagen und Grenzen technischer Wissensverarbeitung zu kennen und zu reflektieren (Leitfrage: „Welches sind die Grundlagen und wo liegen die Grenzen formaler bzw-. technischer Wissensverarbeitung, und wie kann die kognitive Autonomie menschlicher Subjekte gewahrt werden?“) Dieser Punkt ist in obiger Tabelle in zwei Bereiche aufgeteilt: Modellierung kann man den Grundlagen zuordnen; die Wechselwirkung zwischen Informatiksystemen und Mensch/Gesellschaft den (Möglichkeiten und) Grenzen technischer Wissensverarbeitung. [Baumann 1996, 171f.] Die Frage nach den „Grenzen“ wird von Baumann ausdrücklich als „ethisch-politische“ Frage verstanden.

Zusammengenommen geht es Baumann – wie auch anderen Fachdidaktikern – um eine „reflektierte Computernutzung“ [Baumann 1996, 120]. Er orientiere sich, wie er ausführt, damit an allgemeinen Bildungszielen, wie sie von Klafki formuliert würden: „Bildung als allgemeinstes Ziel der Erziehung ist ein Persönlichkeitszustand, der den Menschen befähigt, sein Handeln auf Einsicht und Sachkompetenz zu gründen und es kritisch prüfend unter dem Prinzip des vernünftigen Argumentierens am allgemeinen, freien Konsens zu verantworten.“ [Baumann 1996, 168]

Baumann sprach noch nicht von Kompetenzen; er gebrauchte noch den altmodischen Begriff der Bildungsziele, versuchte aber, diese so in Beschreibungen dessen umzusetzen, was Schüler/innen nachher können sollen, dass sie schon dem entsprachen, was später mit dem Begriff Kompetenz bezeichnet wird.

Schubert und Schwill beziehen sich in ihrem Lehrbuch der Fachdidaktik ausdrücklich auf den Kompetenzbegriff und ordnen ihm drei Bereiche zu, die sich in etwa als Umformulierungen des Konzepts von Baumann lesen lassen:

• Bewältigung von Alltagsanforderungen durch Informatikanwendungen,

• ein Verständnis soziotechnischer Systeme (das Systemverständnis ist hier gegenüber Baumann allerdings sozial erweitert) und

• die menschengerechte Gestaltung von Informatikanwendungen. [Schubert/Schwill 2004, 335f.]

Humbert bezieht sich auf das ältere angelsächsische Konzept der „Computer-Literacy“, das er in „Informatische Literalität“ umbenennt und folgendermaßen bestimmt:

„Informatische Literalität ist die Fähigkeit einer Person, die Rolle zu erkennen und zu verstehen, die Informatik und Informatiksysteme in der Welt spielen, fundierte auf informatischem Wissen beruhende Urteile abzugeben und sich auf eine Weise mit der

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Informatik und ihren Anwendungen zu befassen, die den Anforderungen des gegenwärtigen und künftigen Lebens dieser Person als konstruktivem, engagiertem und reflektierendem Bürger entspricht“. [Humbert 2006, 56]

8.2.3 Medienkompetenz als Kommunikative Kompetenz Wesentlich gebräuchlicher in der öffentlichen Diskussion um Informationstechnik und Bildung/Schule als der der Informatischen Kompetenz oder der Informatischen Literalität ist allerdings der Begriff der Medienkompetenz, der insbesondere durch ihre Vermischung mit der Medienbildung auch für die Informationstechnische Bildung zu einem Leitbegriff geworden ist. Er stammt aus der traditionellen Medienpädagogik und wurde in den 70er Jahren mit inhaltlichem Bezug auf die Massenkommunikationsmedien von D. Baacke als spezifische Form kommunikativer Kompetenz (ein von J. Habermas geprägter Begriff) in der Pädagogik eingeführt. Kommunikationskompetenz als erweiterte Fassung von Sprachkompetenz ist nach dem Soprachwissenschaftler Chomsky, auf den Baacke sich bezieht, allerdings nicht etwas, das erworben oder erlernt wird, sondern eine angeborene menschliche Kompetenz (analog zu natürlichen Kompetenzen von bestimmten Zellen in der Biologie). Diese angeborene Kompetenz bedarf, um im wirklichen kommunikativen Handeln wirksam („performant“) werden zu können, des Lernens (der Sprache, des Umgangs mit Kommunikationstechnik). Was wir heute in der Regel als Kompetenz bezeichnen, wäre in der Terminologie von Chomsky also Performanz.

Umgang mit Medien dient demnach der Performanz kommunikativer Kompetenz, die selbst als unabhängig von den medialen Formen gedacht ist.

Baacke erweiterte das Verständnis von Medienkompetenz um die Dimension der Handlungskompetenz, welche über Welt nicht nur Verständigung, sondern sie zu verändern sucht. Medienkompetenz schließt daher nicht nur die Nutzung der Medien für Kommunikation, sondern auch ihre Gestaltung für eigene Mitteilungsabsichten mit ein. Leitend bleibt dabei jedoch die Auffassung von Medien als Kommunikationsmedien.

Wegen dieses Hintergrundes steht der Begriff der Medienkompetenz in der Gefahr, Medien und mit ihnen auch die Neuen Medien als bloße Performanz-Verstärker einer grundlegenden Kommunikationskompetenz zu sehen und daher ihre technische Seite und damit ihre informatischen Hintergründe als weitgehend irrelevant erscheinen zu lassen.

Man kann dies recht gut erkennen, wenn man die auf Baacke zurückgehenden Differenzierungen von Medienkompetenz in der neueren medienpädagogischen Literatur betrachtet:

Nach Tulodziecki „lässt sich Medienkompetenz beschreiben als die Fähigkeit:

• Medienangebote sinnvoll auszuwählen und zu nutzen,

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• eigene Medien zu gestalten und zu verbreiten, • Mediengestaltungen zu verstehen und zu bewerten, • Medieneinflüsse zu erkennen und aufzuarbeiten, • Bedingungen der Medienproduktion und -verbreitung zu durchschauen und zu

beurteilen.“ [Tulodziecki 2001, 8]

Ausdrücklich betont Tulodziecki, dass dieser Zielkatalog keine spezifische Bezugnahme auf Informationstechnik beinhalte, da diese nur eines unter anderen im Spektrum der modernen Medien sei. Dieses Verständnis von Medienbildung ist von den o.g. Konzepten Informatischer Bildung entsprechend weit entfernt und daher für die Intentionalisierung Informationstechnischer Bildung nur sehr eingeschränkt heranzuziehen.

8.2.4 Medienkompetenz als Bedienungskompetenz In der öffentlichen Diskussion wird nun allerdings Medienkompetenz wieder ganz anders gebraucht; nicht als eine zur Performanz entwickelte Fähigkeit zur Kommunikation, sondern als Fähigkeit zum Umgang mit Neuen Medien. Dadurch werden die Anforderungen an das Praktischwerden nicht mehr auf einen übergreifenden Sinnzusammenhang von Praxis (bei Baacke/Habermas: die kommunikative Verständigung zwischen Menschen), sondern auf die Bedienung von Technik, auf das Funktionieren von Menschen in technisch-systemischen Konstellationen bezogen. So entstehen dann Konzepte Informationstechnischer Bildung, die mit der Metapher des Führerscheins auskommen; die in der Schulung von technischer Funktionalität auf der Ebene von Hard- und Software bestehen; oder noch weiter reduziert: in der Schulung von Office-Programmen eines Herstellers mit marktbeherrschender Stellung (und dies bis in die Lehrerbildung hinein).

8.3 Der Bildungssinn der Informationstechnik Im in dieser Vorlesung früher behandelten Reflexionsstufenmodell der Didaktik nach J. Derbolav war das Praktischwerden des Wissens als Übergang vom Wissen zum Gewissen angesprochen worden. Derbolav vertrat die Auffassung, dass es in der Tat ein – allerdings verborgenes – Wissen in den wissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmter Disziplinen darüber gebe, wie mit ihm praktisch verantwortlich (gewissenhaft) umzugehen sei. Dabei bezieht er sich darauf, dass die Wissenschaften aus einer geschichtlichen Praxis der Menschheit hervorgegangen seien, aus der sie einen Auftrag empfangen hätten, zur Bewältigung von „sachlich unentbehrlichen Aufgaben“

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beizutragen, „die sich in einer Sozietät von Menschen, d.h. einer ‚Gesellschaft’, stellen“ [Derbolav 1975, 91] Daraus leitet sich an die Fachdidaktiken eine zentrale Forderung ab: Sie sollen den verborgenen Sinngehalt ihres Fachgebiets aufspüren und die Lernenden so weit an ihn heranführen, dass sie ihn zu „sehen“ und zu ihm Stellung zu beziehen vermögen. Über den Fachbezug soll ein Sinnbezug zur gesellschaftlichen Lebenspraxis eröffnet werden.

Das ist nicht dasselbe wie: sein Wissen anwenden können. Sein Wissen kann auch ein Bomberpilot anwenden, wenn er eine Stadt in Schutt und Asche legt. Bei entsprechender Ausbildung mag dieser „situiertes Wissen“ erlangen. Mit der Bezugnahme auf das Gewissen will Derbolav die Verantwortbarkeit der praktischen Wissensanwendung. Dabei greift er nicht auf außerhalb der Wissenschaft existierende Normen wie moralische Überzeugungen, anerkannte Werte o.dgl. zurück, sondern auf in der Tiefenstruktur des Wissens selbst angelegte normative Orientierungen.

Derbolav nennt diese normativen Orientierungen mit Rückbezug auf Kant „regulative Ideen“. Diese seien Antworten auf „konstitutive Übel“, die es zu beheben gelte. „So ist die Wohlausgestattetheit, als regulative Idee der Technik, die Aufhebung des Übels, hilflos der Natur ausgeliefert zu sein“ [Derbolav 1975, 98] Sie „werden also primär legitimiert von den Übeln (oder Bedürfnissen), die sie gutmachen (oder denen sie genügen sollen), aber sie haben diesen Übeln und den Bedürfnissen gegenüber nicht nur die Aufgabe des Wiedergutmachens bzw. der Erfüllung, sondern zugleich auch eine Präventivfunktion; sie sollen dafür sorgen, daß diese Übel in Zukunft nicht mehr auftreten können. Die regulative Idee der Technik zielt also nicht auf perfekte Naturbeherrschung, eher auf ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur oder besser gesagt: auf eine Partnerschaft zwischen beiden ab. Ein solches Verhältnis wird weder durch bloße Steigerung des Verfügungswillens noch durch die bloße Negation seiner Folgen – man denke hier etwa an den Umweltschutz –, sondern erst durch die Negation des Verfügungswillens in seiner manipulatorischen Willkür selber erreicht.“ [Derbolav 1975, 99]

Technik antwortet demnach auf die Naturabhängigkeit des Menschen; sie löst ihn aus dieser Abhängigkeit heraus und soll zugleich eine Welt schaffen, in der die Menschen als freie Partner der Natur „wohl ausgestattet“ leben können.

Nun wird man der Informationstechnik dies sicherlich zuschreiben können: Sie hat einen Raum für menschliche Operationen geschaffen, in dem es so etwas wie Naturabhängikeit allein deswegen nicht geben kann, weil in ihr Natur nicht mehr vorkommt. Einen solchen Raum „bewohnt“ auch die Mathematik; aber anders als die Mathematik wird die Informatik als eine praktische Wissenschaft im Sinne von Derbolavs „Technik“ betrieben. Sie will nicht nur Erkenntnisse liefern, sondern in die Welt eingreifen.

Der informatische Operations- oder Konstruktionsraum ist frei von Natur und insofern auch frei von allem, woran noch Naturhaftes ist. In ihm sind die Ooperationen und Konstruktionen in keiner Weise mehr bedingt oder eingeschränkt durch gewordene,

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gewachsene Bedingtheiten, die es lediglich hinzunehmen gilt. Die Lösung aus der Naturabhängigkeit ist hier so total, dass in ihm ein „gesteigerter Verfügungswillen“ gar nicht wirksam werden kann: ein solcher müsste sich gewaltsam gegen eine widerständige Natur durchsetzen, die es im informatischen Operations- und Konstruktionsraum nicht mehr gibt. Erst in der Anwendung der informatischen Konstruktionen kommt wieder die wirkliche Welt und somit auch die Naturhaftigkeit der menschlichen Existenz ins Spiel.

Die von Derbolav als Wohlausgestattetheit bezeichnete regulative Idee der Technik findet sich also bei der Informationstechnik in der Weise, dass sie die Idee der totalen Freiheit von Natur im virtuellen Handeln informatischer Operationen und Konstruktionen verfolgt, eben damit aber hinsichtlich der Anwendung dieser Konstruktionen mit der unauflöslichen Gebundenheit an eine materielle Welt und insofern mit ihrer Verantwortung für die Art und Weise der Wahrnehmung ihrer Freiheit konfrontiert ist. Wollte man dies in einem Begriff fassen, könnte man vielleicht sagen: Die regulative Idee der Informationstechnik ist die Wiedergutmachung der Welt. Darin liegt beides: die Auflösung von allem, was mir das Gesetz meines Handelns aufzwingen könnte, um seiner Verbesserung willen (Motiv des Gutmachens – der „Optimierung“ – von Welt); und zugleich die Notwendigkeit, sich im so ermöglichten grenzenlos freien Handeln (das dadurch Operation und Konstruktion in einem leeren Raum jenseits der wirklichen Welt ist) selbst ein Gesetz zu geben (Autonomie), das die eigene Freiheit verantwortlich rückbindet an die Gegebenheiten menschlicher Existenz hinsichtlich der Implementierung dieser im leeren Raum geschaffenen Konstruktionen in die Fülle lebensweltlicher Kontexte. Die virtuell aufgelöste Welt wird so real wieder gutgemacht, indem an das angeschlossen wird, was „gut“ war und bleibt, und dies verbunden wird mit Neuem oder transformiert wird in Neues, das an die Stelle des Alten (nicht hinreichend Guten) tritt, von dem man sich dadurch löst.

Damit wäre ein Bildungssinn für den Unterricht formuliert, der nicht auf der einen Seite neutrale fachliche Inhalte vermittelt und auf der anderen Seite dann aus Ethik, Moral oder sonstwoher die Normen für seine Anwendung holt, sondern die ethische Dimension in der Fachwissenschaft Informatik als deren regulative Idee selbst aufspürt.

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9. Vierter Transformationsschritt: Intentionalisierung Informationstechnischer Bildung – Dimensionen von Medienkompetenz Medienkompetenz verstehe ich als die Fähigkeit, an einer durch die Neuen IuK-Technologien vermittelten Kultur im o.g. Sinne aktiv und verantwortlich teilnehmen zu können.

Dazu gehören

• sachbezogene Kompetenzen sowie

• prozessbezogene Kompetenzen.

Im Folgenden sollen diese Kompetenzen näher bestimmt werden. Für die sachbezogenen Kompetenzen werden unterschiedliche Zugänge zur Informationstechnik angenommen, von denen her diese als Lerngegenstand in den Blick genommen wird. Diese Zugänge haben mit primär leitenden Motiven und Intentionen zu tun, die das Lernen initiieren können. Sie charakterisieren unterschiedliche Ausgangspunkte, von denen her man sich der Sache nähern kann; es wird sich jedoch zeigen, dass sie in konsequenter Durchführung jeweils auch die Kompenzdimensionen erschließen, auf welche die anderen Zugänge zuerst zielen.

9.1 Sachbezogene Kompetenzen 9.1.1 Instrumentell-pragmatischer Zugang

(Anwendungskompetenz) Der instrumentell-pragmatische Zugang wird gewählt, wenn vor allem die effektive Nutzung von Informationstechnik in gegebenen Handlungszusammenhängen intendiert ist.

In der Diskussion um die Informationstechnische Bildung ist umstritten, inwieweit Anwendungskompetenz, also das KnowHow im Umgang mit auf dem Markt erhältlicher Hard- und Software, insbesondere Standardsoftware, zu einer informationstechnischen Allgemeinbildung gehört, die die Schule zu vermitteln hat. Unbezweifelt ist, dass es nötig ist, mit den Geräten und Programmen umgehen zu können; fraglich ist, ob die Schule entsprechende Fertigkeiten vermitteln soll.

Die Argumente, die dagegen vorgebracht werden, sind vor allem:

• Die Systementwicklung gehe hin zu immer bedienungsfreundlicheren Oberflächen bzw. Interfaces, so dass sich schon bald der Umgang mit den Systemen sozusagen „von selbst verstehen“ werde.

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• Die Entwicklung bringe immer wieder neue Systeme mit neuen Funktionalitäten und Oberflächen sowie neue Anwendungsbereiche hervor, so dass auf dieser Ebene das, was heute gelernt wird, morgen schon wieder überholt ist.

Das erste Argument beruft sich auf ein Versprechen, das schon seit mindestens zwanzig Jahren gegeben wird und bis heute nicht eingelöst ist, auch wenn es Fortschritte auf diesem Gebiet gegeben haben mag. Tausend Seiten dicke Handbücher zu einem Textverarbeitungsprogramm sprechen für sich.

Das zweite Argument ist sicherlich zutreffend. Dennoch brauchen wir diese Basisfertigkeiten, auch wenn sie kurzlebig sein sollten und daher immer wieder aufgefrischt bzw. erneuert werden müssen.

Aber wichtiger noch ist, dass wir die Anwendungsebene und die dort benötigten Fähigkeiten nicht unterbestimmen dürfen. Wenn davon die Rede ist, man müsse den Computer „bedienen“ und handhaben können, dann wird zu leicht suggeriert, es handele sich lediglich um das Erlernen der Funktionen eines Systems. Tatsächlich aber ist „Anwendung“ etwas sehr viel Komplexeres. Um auf diese Komplexität hinzuweisen, gebrauche ich das zusammengesetzte Adjektiv instrumentell-pragmatisch.

Damit will ich deutlich machen, dass Anwendung meist das Einbringen eines technischen Systems in einen vorhandenen Praxiszusammenhang bedeutet. Wenn beispielsweise ein Sekretär künftig ein Textverarbeitungssystem nutzen will, dann genügt es nicht, dass er lernt, wie man die Funktionen des Programms abruft. Er muss vielmehr die Nutzung der Funktionen in den Arbeitsablauf einbeziehen, der durch seine Aufgabenstellung, aber auch durch soziale Beziehungen zwischen den beteiligten Personen, die Organisationsstruktur des Büros, nicht zuletzt seinen persönlichen Arbeitsstil geprägt ist. Wenn er ein Schriftstück formatiert, dann muss er einschätzen können, welche Formatierungsmöglichkeiten für den jeweiligen Zweck brauchbar sind, welche nicht. Er kann nicht einfach in einer Formatierungsorgie das Gelernte unter Beweis stellen. Das würde zu völlig unbrauchbaren Ergebnissen führen. Er muss seine gesamte Arbeit neu organisieren und dabei der Technik ihren Stellenwert im Sinnzusammenhang dieses Praxisfeldes zuweisen, ihn aber auch begrenzen.

Oder ein Beispiel aus dem pädagogischen Tätigkeitsbereich: Pädagoginnen und Pädagogen wird zum Beispiel Lernsoftware angeboten. Darin sind Modelle vom Lehren, vom Lernen und vom Zusammenhang von Lehren und Lernen zu einer technischen Gestalt geprägt. Es ist schon zweifelhaft, ob diese Modelle überhaupt eine pädagogische Realität abbilden; noch zweifelhafter ist, dass sie viel mit der spezifischen Realität von Pädagogin X oder Pädagogen Y zu tun haben. Dieses Problem zeigt sich in einer mehr oder weniger ausgeprägten Sperrigkeit der Software. Es ist nicht immer leicht, ihren Einsatz organisch in den gewohnten pädagogischen Handlungsablauf zu integrieren. Oft bildet sie irgendwie einen Fremdkörper bzw. verlangt nach Umstrukturierungen. In solchen Fällen aber droht sich das Verhältnis zu verkehren: Statt die Arbeit zu erleichtern, macht die Technik Arbeit – und lediglich die

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mitgereichte Verheißung, später werde sich dann auch die erhoffte Erleichterung und Verbesserung der pädagogischen Praxis einstellen, kann dann ihren Einsatz überhaupt rechtfertigen. Um dies abschätzen und insofern den oft erst einmal erhöhten Arbeitseinsatz als lohnende Investition begreifen zu können, muss der anwendende Pädagoge sowohl Klarheit haben über die innere Struktur und Qualität seiner Arbeit als auch urteilsfähig sein hinsichtlich der in der Software umgesetzten Modelle und der neuen Möglichkeiten, welche die Technik ihm eröffnen könnte. Das ist eine hohe Anforderung. Sie leitet über zum theoretischen Zugang.

Der Druck, der gegenwärtig auf die Pädagoginnen und Pädagogen hinsichtlich des Einsatzes von Neuen Medien ausgeübt wird, lässt ihnen aber kaum noch den Raum für solche Reflexionsprozesse. Dann kann es passieren, dass die Software nicht mehr eingesetzt wird, um die pädagogische Arbeit zu optimieren, sondern die pädagogische Arbeit umstrukturiert wird, damit die Software eingesetzt werden kann. Pädagogische Tätigkeit würde so in der Tat zur Bedienung von technischen Lehr-Lern-Systemen.

Dies alles ist mit instrumentell-pragmatisch gemeint: das Adjektiv bezeichnet einen Zugang zur Sache, der von praktischen Anwendungsinteressen ausgeht und zu einer Anwendungskompetenz führen sollte, die darin besteht, Informationstechnik in Praxiszusammenhänge zweckgemäß (nutzbringend) und zweckmäßig (effektiv) integrieren zu können.

Da informationstechnische Anwendungen für immer mehr Lebens- und Praxisbereiche angeboten werden, da ihre jeweiligen empirischen Erscheinungsformen sich permanent ändern, stellt sich diese Integrationsaufgabe den Anwendern überall und immer wieder neu. Sie wird zu einer allgemeinen im Sinne von allen gemeinsamen Aufgabe; sie bewältigen zu können, wird eine Anforderung an Allgemeinbildung.

Bloße Softwareschulung, in der gepaukt wird, wie man welche Funktionen abruft, also wie man das System „bedient“, erfüllt demnach bei weitem nicht die Anforderungen, die für einen instrumentell-pragmatischen Zugang zur Erlangung von Anwendungskompetenz verlangt sind. Dessen müssen sich Pädagoginnen und Pädagogen bewusst sein, wenn sie Kinder, Jugendliche oder Erwachsene in die Nutzung der Neuen Medien einweisen möchten; dessen müssen sie sich auch bewusst sein hinsichtlich ihrer eigenen medienpädagogischen Praxis. Erst in ihren Kontexten wird die Technik konkret.

9.1.2 Theoretischer Zugang (Fachliche Kompetenz) Die Dynamik der technischen Entwicklung sorgt dafür, dass die Erscheinungsform der Anwendungen sich permanent ändert; aber auch: dass ständig neue Anwendungsbereiche erschlossen werden. Einmal erworbenes Anwendungswissen und einmal angeeignete Fertigkeiten verlieren ihren Wert, veralten.

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Doch steckt hinter diesen Entwicklungen ein technologisches Grundkonzept. Will man unsere Kinder und Jugendlichen nicht dem Wechsel der Erscheinungen auf diesem Gebiet hilflos ausliefern, so benötigen sie zumindest ein Grundverständnis für dieses Konzept, um einschätzen zu können, in welche Richtung Entwicklungen noch gehen können bzw. wovon die wechselnden Erscheinungsformen der Informationstechnik Ausdruck sind. Und was sich auch in all dem Wandel gleich bleibt.

Ein theoretischer Zugang zur Informationstechnik ist immer dann gegeben, wenn nach dem Konzept, nach der Logik „dahinter“ gefragt wird; er kann auf der Ebene des Anwendungsprogramms erfolgen, auf der Ebene des Betriebssystems, auf der Hardware-Ebene. Er kann sich auf Programmierkonzepte beziehen, auf Algorithmen überhaupt; auf das Konzept der universellen Turingmaschine. Etwas Theorie bleibt immer haften, weil wir auch beim oberflächlichsten Umgang mit der Technik etwas festhalten, was über diesen einen Anwendungsfall hinausweist und so etwas wie eine Transferleistung ermöglicht. Die eine theoretisiert mehr, der andere weniger. Die Schule sollte dafür Sorge tragen, dass allen, unabhängig von ihrer eigenen Neigung zur Theorie, ein theoretisches Grundverständnis der Informationstechnik vermittelt wird.

Der theoretische Zugang sollte sich jedoch nicht nur auf die Technik selbst beziehen, sondern auch auf ihren Entstehungs- und Anwendungskontext. Genau genommen, muss die Technik an ihr selbst in ihrem Sinn unverständlich bleiben, wenn man sie nicht danach befragt, was sie zur humanen Lebensbewältigung beiträgt. Gesellschaftliche und historische Hintergründe des Entstehens und des Vordringens der Informationstechnik gehören zu ihrem Verständnis daher ebenso dazu wie ganz konkret jeweils der Zusammenhang zwischen der Funktionalität, welche sie zur Verfügung stellt, und dem Praxisbereich, für den diese angeboten und beansprucht wird.

Damit verbindet sich der theoretische Zugang zur Informationstechnik notwendig mit einem theoretischen Zugang zum jeweiligen Anwendungsfeld. Denn ob, wieweit und in welcher Weise dort Informationstechnik eingesetzt werden kann, was sie zu ihrer „Verbesserung“ beitragen kann, lässt sich nur angeben, wenn auch dieses Anwendungsfeld in seiner inneren Struktur, seinem Sinn, seiner „Logik“ verstanden wird und deshalb seine technisierbaren Momente identifiziert werden können.

Das heißt aber auch, dass die theoretischen Zugänge zur Informationstechnik und zum jeweiligen Anwendungsfeld aufeinander bezogen, miteinander verbunden werden müssen; verlangt also nach der Fähigkeit zu einem disziplinverbindenden, disziplinüberschreitenden, „transdisziplinären“ Denken (auf welchem Level auch immer).

Der theoretische Zugang eröffnet das Allgemeine der Informationstechnik einschließlich ihrer Zusammenhänge mit anderen Sachbereichen. Manche Lernende bringen eine entsprechende theoretische Neugier mit: sie „wollen es wissen“. Andere (nach empirischen Untersuchungen zur Lernmotivation wohl die Mehrheit) benötigt eine Einbettung der theoretischen Reflexion in situative Handlungskontexte, um ihren

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Sinn für sich erschließen zu können und die notwendige Lernanstrengung bereitwillig auf sich zu nehmen.

9.1.3 Praktisch-reflexiver Zugang (Gestaltungskompetenz; Verantwortungsfähigkeit)

Vom praktisch-reflexiven Zugang spreche ich dann, wenn Verantwortung für die praktische Ausgestaltung von Handlungsfeldern übernommen werden soll.

Die Informationstechnikist ein universelles Maschinisierungspotential. Darin liegt ihre ungeheure Dynamik und ubiquitäre Durchdringungsfähigkeit begründet. Mit ihr ist eine Technologie in der Welt, die im Prinzip jeden formalisierbaren Prozess auch maschinisierbar macht. Damit ist ein Feld unendlicher Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.

Die Technik selbst enthält in sich keinerlei Richtung, in die ihre Entwicklung gehen kann. Sie kann überall hingehen, soweit eben Lebensprozesse formalisiert werden können und sollen. Dass die Gestaltungsmöglichkeiten an Zahl unendlich sind, heißt allerdings nicht, dass das Gestaltungsfeld unbegrenzt ist. Es sei denn, man unterstellte, dass alles, was es überhaupt in dieser Welt gibt, auch ohne Verlust formalisiert werden kann. Dennoch lässt sich nicht einfach sagen, wo die Grenzen der Formalisierbarkeit liegen. Sie müssen ausgelotet werden, soweit es die prinzipielle Formalisierbarkeit betrifft; sie müssen diskutiert, entschieden, festgelegt werden, soweit es die normative Begrenzung betrifft (also die Frage, ob alles, was „machbar“ ist, auch gemacht werden soll oder darf).

Darüber hinaus müssen ständig Entscheidungen getroffen werden, in welche Richtung das Ausloten der Möglichkeiten gehen soll und welche der gefundenen, erfundenen Möglichkeiten auch realisiert werden sollen. Diese Entscheidungen sind immer verbunden mit Entscheidungen über Umgestaltungen gesellschaftlicher Lebenspraxis; deshalb müssen sie in gesellschaftlicher Verantwortung getroffen werden, im Rahmen von Aushandlungsprozessen, an denen alle Betroffenen grundsätzlich zu beteiligen sind.

Die Weiterentwicklung der Informationstechnik sowohl in technologischer Hinsicht als auch ihren praktischen Einsatz betreffend ist also ein aktiver Gestaltungsprozess und alles andere als die Eigendynamik eines verabsolutierten technischen Fortschritts. Gestaltung ist dabei nicht nur eine Option, auf deren Wahrnehmung man auch verzichten könnte, sondern ein Muss. Der damit verbundenen Verantwortung kann man sich nicht entziehen, selbst wenn man glaubt, sich ganz heraushalten zu können.

Mit dieser Verantwortung wird jeder Anwender konfrontiert, soweit er seine Tätigkeit nicht nur als weisungsgebundene Erfüllung von Vorschriften und Vorgaben verstehen kann oder will. Sie ist also auch dem instrumentell-pragmatischen Zugang immanent. Und insofern sie Verantwortung für das Funktionieren und Gelingen der

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Aufgabenerfüllung eines Handlungsfeldes ist, verlangt sie selbstverständlich eine genaues Bewusstsein von dieser Aufgabe und von den darauf bezogenen Funktionszusammenhängen und Handlungsstrukturen, kann also ohne fachliches Wissen und theoretische Reflexion nicht auskommen. Technische Innovation bedeutet darüber hinaus immer die Entbindung von Potenzialen, bisher unerschlossenen Möglichkeiten sowohl im Handlungsfeld selbst als auch des Beitrags, den Informationstechnik zu seiner Verbesserung leisten kann; aber ebenso auch der möglichen Gefahren, die mit der Informatisierung von Handlungsfeldern verbunden sind. Auch hier also ist ein Sich-Einlassen auf den theoretischen Zugang unausweichlich.

Die Praxis der Informationstechnik, sowohl ihrer Entwicklung als auch ihrer Anwendung, hat in Reflexion der technischen wie sozialen Möglichkeiten und Grenzen und in Wahrnehmung der damit verbundenen Verantwortung für das humane Zusammenleben zu erfolgen. Damit wird sie reflexiv integriertes Moment gesellschaftlicher Praxis. Hierzu zu befähigen, heißt, die Menschen in eine informationstechnisierte Welt nicht nur zu sozialisieren, sondern mit sozialer Sachkompetenz zu entsenden.

Zusammenfassend kann man die Kompetenzbereiche folgendermaßen in einer tabellarischen Übersicht darstellen:

Tabelle 1: Dimensionen von Medienkompetenz

Zugang Kompetenzdimensionen

instrumentell-pragmatischer Zugang

Anwendungskompetenz kennen

können

theoretischer Zugang Fach- und Sachkompetenz

wissen

verstehen

praktisch-reflexiver Zugang

Gestaltungskompetenz gestalten

verantworten

9.2 Prozessbezogene Kompetenzen 9.2.1 Sozialkompetenz (Teamfähigkeit) Der Sache nach bilden alle bisher thematisierten Zugänge auch Zugänge zu sozialen Kompetenzen:

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• Die Anwendung technischer Systeme findet immer in sozialen Zusammenhängen statt. Deren Berücksichtigung gehört daher zum instrumentell-pragmatischen Zugang.

• Der theoretische Zugang zur Sache führt in diesem Falle auch in deren interdisziplinäre und soziale Dimensionen.

• Gestaltungskompetenz (praktischer Zugang) schließt soziale Verantwortungsfähigkeit mit ein.

Damit jedoch diese sozialen Dimensionen sachbezogener Kompetenzen auch praktische Wirksamkeit entfalten können, bedarf es der Sozialkompetenzen noch in anderer Hinsicht, nämlich in Hinsicht des tatsächlichen Umgangs mit anderen Menschen im gemeinsamen Handeln.

Mit der Informationstechnik dringt technisches Denken und Vorstellen, dringen technische Kriterien und technische Arbeitsmethoden in Bereiche ein, in denen zuvor so nicht oder jedenfalls nicht hauptsächlich gedacht und gearbeitet wurde. Praktische Integration der Informationstechnik bedarf daher der Abstimmung zwischen technischen und nicht-technischen Denk- und Arbeitsweisen, einer Abstimmung, die entsprechendes theoretisches Verständnis voraussetzt, aber eben auch von Personen vorgenommen werden muss, die miteinander agieren und kommunizieren können müssen, um ihre jeweiligen Kompetenzen konstruktiv zusammenwirken zu lassen. Sie müssen m.a.W. „teamfähig“ sein.

Teamarbeit hat selbst eine sozusagen methodisch-technische Seite, soweit es nämlich ihre effektive Organisation betrifft. Sie hat aber auch eine klassisch geisteswissenschaftlich-methodische Seite, die man als „Hermeneutik“ zu bezeichnen pflegt und die – alltagssprachlich ausgedrückt – Verständigungsfähigkeit meint: dem andern genau zuhören (ihn entsprechend zu Wort kommen lassen), seinen Intentionen folgen, ihn zu verstehen versuchen. Auch die Verständigung über das gemeinsame Vorgehen trägt wieder diese „interdisziplinären“ Züge: das Vorgehen muss operationalisiert werden, so dass für jeden klar ist, worum es geht (das ist die technische Dimension); aber es muss auch argumentativ legitimiert werden, damit die Gründe, die dafür sprechen, sich für dieses Vorgehen zu entscheiden, auch von jedem nachvollzogen werden können (das ist die hermeneutische Dimension).

In der Praxis der Zusammenarbeit schließlich geht es um die Vermittlung von Individualität und Verschiedenheit mit Sozialität und Gemeinsamkeit: Jedes Teammitglied muss die Chance erhalten, seine spezifischen Kompetenzen so einzubringen, daß sie sich mit den spezifischen Kompetenzen der anderen zu einem neuen Ganzen ergänzen, verbinden und anreichern.

Teamarbeit, erst recht interdisziplinäre Teamarbeit ist an den staatlichen Bildungseinrichtungen nicht sehr verbreitet. Lehrerinnen und Lehrer setzen sich den Anstrengungen, die mit interdisziplinärer Teamarbeit verbunden sein können, meist nicht aus, auch weil die Notwendigkeit dazu bisher noch nicht sehr ausgeprägt ist. Das

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ändert sich allerdings gerade hinsichtlich der Anforderungen, die an die unterrichtliche Organisation informationstechnischer Bildung und der Vermittlung von Medienkompetenz in den Schulen gestellt werden, wie wir bei Betrachtung der Rahmenkonzepte und Richtlinien für Informationstechnische Bildung gesehen haben.

9.2.2 Vermittlungskompetenz Indem Kompetenzen in der Teamarbeit zusammengeführt werden, werden sie miteinander „geteilt“: Jeder hat auf diese Weise auch teil an den Kompetenzen der anderen.

Damit dies ein aktives (und nicht nur ein indirektes, über das gemeinsame Ergebnis vermitteltes) Teilhaben ist, müssen die Teammitglieder bereit und fähig sein, voneinander zu lernen. Dies nenne ich Vermittlungsfähigkeit: mit anderen die eigenen Kompetenzen teilen, indem sie an sie weitervermittelt werden; und von anderen lernen, indem man an ihren Kompetenzen teilhat. Und schließlich gilt es auch, das Lernereignis Teamarbeit miteinander zu teilen, also gemeinsame Lehren aus den gemachten Erfahrungen zu ziehen. Denn technologiegestaltende Teamarbeit ist immer auch verbunden mit Fortschritten an Kenntnissen und Können, an Einsicht und Fähigkeiten. Teams entwickeln sich auf diese Weise zu lernenden Gruppen.

Man kann den verschiedenen Dimensionen von Medienkompetenz entsprechende Vermittlungskompetenzen zuordnen, die zwar vor allem für angehende Pädagog/innen wichtig sind, aber auch für alle, die in kooperativen Teams ihre Kompetenzen mit anderen teilen wollen/müssen:

Tabelle 2: Dimensionen von Vermittlungskompetenz

Zugang Kompetenzdimension Vermittlungskompetenz

instrumentell-pragmatischer Zugang

kennen informieren

können zeigen, vormachen, demonstrieren

theoretischer Zugang wissen belehren, Zusammenhänge aufzeigen

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verstehen erläutern, erklären, verständlich machen

praktisch-reflexiver Zugang

gestalten zur Gestaltung aufgeben, in Praxis einbeziehen

verantworten zur Sinnreflexion anregen, in Verantwortung nehmen

9.2.3 Autodidaktische Kompetenz Schließlich lösen Tempo und Unvorhersehbarkeit der informationstechnischen Entwicklung die traditionelle Rollenverteilung in Ausbildungsprozessen tendenziell auf. Lehrer und Lehrerinnen auf diesem Gebiet können anders als in anderen Fächern oder Fachgebieten nicht auf einen ständig wachsenden Vorsprung an Wissen verweisen, der sie legitimiert, dem Bildungsprozess ihrer Schülerinnen und Schüler klare Richtung zu weisen. Umgekehrt: Lernende können sich nicht mehr darauf verlassen, dass Pädagoginnen und Pädagogen wissen, was genau sie lernen müssen, um auch in x Jahren noch auf der Höhe der Zeit zu sein.

Deshalb wird es immer wichtiger, dass die Lernenden fähig sind, sich in ihrem Bildungsprozess selbst zu orientieren; also die Entwicklungen sachkundig zu verfolgen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen für das eigene Weiterlernen; sich selbst um entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten zu kümmern (also auf dem Bildungsmarkt umzutun) und Weiterbildung in die eigene Lebensplanung zu integrieren.

Das Bildungsangebot kann künftig weniger denn je nahezu monopolartig von den staatlichen Bildungseinrichtungen bereitgestellt werden, wenn lebenslanges Lernen zur allgemeinen Notwendigkeit wird. Andere Bildungsanbieter werden hinzukommen; und die Neuen Medien, insbesondere das Internet, werden aller Voraussicht nach dabei eine immer größere Rolle spielen. Darauf sollten die Menschen vorbereitet werden, daran sollten sie herangeführt werden. Die vom Staat getragene allgemeine Bildung kann die Menschen kaum ihr Leben lang begleiten, aber sie sollte dafür Sorge tragen, dass für den später notwendigen selbständigen Umgang mit den Neuen Bildungsmedien soweit die Grundlage gelegt wird, dass möglichst niemand von den Möglichkeiten ausgeschlossen wird, die zu nutzen lebenswichtig werden kann.

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Für einen lebenslangen Lernprozess ist das Lernen des Lernens inzwischen anerkanntermaßen eine wichtige Qualifikationsvoraussetzung. Wichtig ist, dass dies nicht nur formal, als Erwerb von Techniken des Lernens, verstanden wird. Denn damit allein kann die notwendige Orientierung nicht erlangt werden. Selbstorientierung kommt ohne inhaltlichen Sachverstand und ohne Urteilsfähigkeit bezüglich erwartbarer Entwicklungen sowie ohne die Fähigkeit, Lernanforderungen daraus abzuleiten und diese in selbstorganisierte Lernprozesse umzusetzen, nicht aus. Die geforderte Fähigkeit ist umfassender, als der dürre Ausdruck Lernen des Lernens es anzeigt. Ich würde von autodidaktischer Kompetenz im Sinne einer Bildungskompetenz sprechen: Verantwortungsfähigkeit für den eigenen Bildungsprozess.

Auch hier wieder lassen sich die Kompetenzdimensionen auf autodidaktisches Lernen beziehen:

Tabelle 3: Dimensionen autodidaktischer Kompetenz

Zugang Kompetenzdimension Autodidaktische Kompetenz

instrumentell-pragmatischer Zugang

kennen sich informieren

können lernen, üben

theoretischer Zugang wissen Zusammenhänge erfassen, systematisieren

verstehen den Sachen auf den Grund gehen

praktisch-reflexiver Zugang gestalten initiativ werden, Kreativität entfalten

verantworten sich legitimieren, einstehen für …

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10. Fünfter Transformationsschritt: Erschließung der Sachstruktur

10.1 Prinzipien der Sacherschließung Die Sache Informationspädagogik kommt in didaktisch transformierter Gestalt in den Unterricht. Wie diese didaktische Transformation aussieht, hängt von den didaktischen Intentionen ab, also davon, welches Wissen bzw. welche Kompetenzen als gesellschaftlich wie persönlich bedeutsam angesehen werden. Die Sache wird dann so im Unterricht repräsentiert, dass durch die gewählte Repräsentationsgestalt Zugang zu ihrem „bildenden Gehalt“ (Klafki) ermöglicht wird.

In der didaktischen Literatur lassen sich hinsichtlich der Frage, an welchen Repräsentationsgestalten sich der Unterricht primär orientieren sollte, unterschiedliche Prinzipien ausmachen, die der Einfachheit halber typisierend als „Wissenschaftsprinzip” bzw. „Praxisprinzip” bezeichnet werden sollen und denen man als Unterrichtskonzeptionen „wissenschaftsorientierte” bzw. „handlungsorientierte ” didaktische Ansätze zuordnen kann. (In etwa lassen sich der instrumentell-pragmatische Zugang des im vorigen Kapitel dargestellten Kompetenzmodells dem Praxisprinzip, der theoretische Zugang dem Wissenschaftsprinzip zuordnen.) Wir finden diese Unterscheidung auch in der Diskussion um die informationstechnische Bildung; und sie hat sich in unterschiedlichen Konzepten für die informationstechnische Grundbildung einerseits (eher handlungsorientiert; es sollen praxisrelevante Kompetenzern vermittelt werden) und den Informatikunterricht andererseits (eher wissenschaftsorientiert; es soll für das Verstehen der Sache relevantes informatisches Wissen vermittelt werden) niedergeschlagen. Zugrunde liegen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Unterricht seinem gesellschaftlichen Auftrag für die Praxis angemessen nachkommen kann, ob eher in der theoretischen Distanz oder im Sich-Einlassen auf Praxis.

10.1.1 Praxisprinzip Das Praxisprinzip stellt die gesellschaftliche Funktion des Unterrichts als Praxisvorbereitung in den Vordergrund: die Befähigung der künftigen Handlungssubjekte zur Bewältigung der ihnen gegenwärtig aufgegebenen und später aufzugebenden Praxis. Dahinter steht die Auffassung, dass die Praxis das Primäre ist, auf das sich nicht nur der Unterricht, sondern auch die Wissenschaft erst sekundär zu beziehen vermögen. Erfolgreiche Praxis (wobei Erfolg offensichtlich ein nicht-wissenschaftlicher Qualitätsmaßstab ist) sei eben nicht schon durch wissenschaftliche Bildung gewährleistet, sondern verlange nach der Fähigkeit, auch unter Bedingungen, die vom wissenschaftlichen Standpunkt aus als unzureichend geklärt und durchschaut zu gelten hätten, sich richtig zu verhalten. Zudem wird in Frage gestellt, dass unsere

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reale Lebenspraxis als so durchgängig wissenschaftsgeleitet anzusehen sei, wie es das Wissenschaftsprinzip unterstellt.

Wissenschaft spiele zwar ganz unzweifelhaft eine große Rolle für die Gestaltung gesellschaftlicher Praxis; doch lasse sich diese nicht allein nach Kriterien wissenschaftsbegründeter Rationalität begreifen. Letztlich müsse sich auch die Geltung wissenschaftlicher Befunde an ihrer praktischen Relevanz bemessen. Wissenschaftliche Bildung stelle daher nur ein untergeordnetes Moment im Rahmen handlungsorientierten Unterrichts dar.

Als mögliche Unterrichtsinhalte gelten Situationen aus der Praxis, die zum Handeln herausfordern. In unserem Falle sind dies – bezogen auf die Gesamtheit der Gesellschaftsmitglieder – Anwendungen von Informationstechnik im privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Lebensalltag (instrumentell-pragmatischer Zugang). In einer weiteren Auslegung umfasst das Praxisprinzip auch die Gestaltung von Lebens- und Tätigkeitsbereichen durch Informationstechnik (praktisch-reflexiver Zugang).

10.1.2 Wissenschaftsprinzip Beim Wissenschaftsprinzip wird davon ausgegangen, dass es die Hauptaufgabe des Unterrichts ist, den erreichten Stand wissenschaftlicher Begriffs- und Modellbildung an die nachfolgende Generation zu vermitteln. Dahinter steht die Auffassung, dass die Wissenschaft das gesellschaftlich gültige Bild unserer gesellschaftlichen Lebenswelt repräsentiert, indem sie erstens die gesellschaftliche Kommunikation über diese normiert, zweitens das reale Geschehen adäquat abbildet und drittens die Praxis determiniert. Handlungsbefähigung folge aus der Wissenschaftsorientierung, weil wissenschaftliche Bildung Bedingung für effektives Handeln sei. Durch Wissenschaft werde die Handlungsstruktur gesellschaftlicher Praxis transparent gemacht; Handlungszusammenhänge würden durchschaubar, Voraussetzungen und Auswirkungen gesellschaftlicher Tätigkeit könnten bedacht und daher praktisch berücksichtigt werden. Dazu komme, dass die heutige Lebenspraxis selbst wissenschaftlich geleitet, sozusagen von Wissenschaft durchdrungen sei, so dass es zwischen der Praxis und der Wissenschaft eine Strukturentsprechung gebe, der nur in wissenschaftsorientierter Bildung Rechnung getragen werden könne.

Bei der Auswahl seiner Unterrichtsstoffe konzentriert sich dieser Ansatz auf wissenschaftliche Theorien und Modelle bzw. wissenschaftspropädeutische Inhalte (theoretischer Zugang). Dieses Prinzip kann als konzeptionsbildend für den Unterricht im Fach Informatik angesehen werden.

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10.1.3 Diskussion und Vermittlung der beiden Prinzipien In ihrer jeweiligen Prioritätensetzung für die Inhaltsauswahl stellen die beiden genannten Prinzipien zu unterschiedlichen Zeiten vorherrschende fachdidaktische Trends dar. Das Wissenschaftsprinzip ist Ausdruck der in den 70er Jahren forcierten Wissenschaftsorientierung in der Didaktik; das Praxisprinzip entspricht dem in den 80er Jahren stark diskutierten und vor allem in der beruflichen Bildung teilweise favorisierten Trend zur Handlungsorientierung. Wie immer ist die wissenschaftliche Diskussion zwar von den prinzipiellen Positionen geprägt, die ihr sozusagen die Stichworte liefern; aber die meisten fachdidaktischen Beiträge sind eher durch den Versuch gekennzeichnet, irgendwie geartete Vermittlungen zwischen den Prinzipien zu bewerkstelligen, sie also in ihrer Geltung jeweils zu relativieren.

Das Prinzip wissenschaftsorientierten Unterrichts entspricht der Auffassung, gesellschaftliche Praxis sei zunehmend durch wissenschaftliche Erkenntnis geleitet und ihre geschichtliche Entwicklung sei dadurch charakterisiert, dass die Menschen durch Wissenschaft und deren (technische) Umsetzung ihre Lebensbedingungen unter wachsende Kontrolle zu bringen vermöchten. Informationstechnik ist jene Technik, die wohl in höchstem Maße dieses Prinzip verkörpert. Über sie wird Wissenschaft im Zusammenwirken der rationalisierbaren bereichs- und disziplinspezifischen Wissenschaften des Anwendungsfeldes und der Informatik unmittelbar zur Steuerung, zur Präformation von Realität. So scheint sich gerade mit Bezug auf die Informationstechnik immer noch ein ungebrochener Glaube an die uneingeschränkte Rationalisierbarkeit von Welt durch Technik zu manifestieren, und es ist nicht verwunderlich, dass sich mit ihr Weltbilder und Visionen einer totalen Herrschaft des Wissenschaftsprinzips bevorzugt verbinden (Künstliche Intelligenz).

Diese „Wissenschaftsgläubigkeit” wird aber auch in der Informatik kritisiert. Vor allem kommen Einwände gegen einen Totalitätsanspruch dieser Rationalisierungstechnik aus der Reflexion des gesellschaftlichen Kontextes, in dem Informationstechnik erfunden, weiterentwickelt und eingesetzt wurde und wird. So rückt in den Mittelpunkt der Reflexion dieser Technologie eine kritische Begrenzung ihres technologischen Prinzips: die ihr eigene Abstraktion von Kontexten kann nicht bedeutungslos bleiben für diese Kontexte. Oder anders herum: Ihren Sinn trägt diese Technologie nicht in sich selbst, sondern er entsteht erst im Anwendungskontext.

Diese Einwände, die auf eine Begrenzung des Reichweitenanspruchs technischer Kontrolle und Steuerung zielen, sind, indem sie wissenschaftlich (zum Beispiel sozialwissenschaftlich oder pädagogisch) argumentieren, zwar an sich selbst dem Prinzip wissenschaftlicher Argumentation verpflichtet und wenden sich oft gegen eine unwissenschaftliche, da nahezu religiöse Überschätzung der Macht des Computers, bringen aber darin die unhintergehbare Bedeutung eines lebenspraktischen Kontextes zur Geltung, der sich nicht in reine Rationalität aufheben lässt. Anders gesagt: Informatik allein reicht nicht. Informatik ist nicht der alleinige Ursprung von Informationstechnik. In den Unterricht muss auch der Entstehungs- und

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Anwendungskontext hereingeholt werden, für den es keine erschöpfende wissenschaftliche Prä- oder Transformation gibt.

Demzufolge scheint es sich anzubieten, die Praxis selbst für sich sprechen zu lassen, die Sachen also nicht in ihrer wissenschaftlich prä- und transformierten Gestalt, sondern in ihrer unmittelbaren Erfahrungsbezogenheit zum Stoff des Unterrichts zu machen. Dann – so scheint es – kann Praxis in ihrer durch symbolische Prä- und Transformationen unverkürzten und unverfälschten Faktizität zum Anlass und Bewährungsfeld des Lernens werden. Distanzierung ist natürlich weiterhin notwendig, und in ihr haben auch Theorie und Wissenschaft weiterhin ihre Bedeutung, aber sie sollen in einer den Lernenden sichtbaren Weise auf „die Welt draußen”, auf unmittelbare Lebenspraxis bezogen bleiben und daher auch in ihrem Geltungsanspruch angemessen relativiert werden können. Der Unterricht – so heißt es – ist weniger „abstrakt”, in höherem Maße aus erfahrener Problematik motiviert und in einsichtigerer Weise für künftige Praxisbewältigung relevant.

Handlungs- oder anwendungsorientierter Unterricht ist also der Versuch, das Lernen wieder zu ent-wissenschaftlichen, indem die institutionelle Abtrennung des Lernens von der Praxis rückgängig gemacht und zur Faktizität der Informationstechnik als der gesellschaftlichen Ursprünglichkeit des Unterrichtsstoffs Informationstechnik zurückgekehrt wird. Aber – dies soll in der Schule stattfinden. Es ist ja keineswegs daran gedacht, die Schule aufzulösen und Lernen wieder – wie in vorinstitutionellen Zeiten – im Praxiszusammenhang selbst, etwa an einem realen Computerarbeitsplatz im beruflichen Kontext stattfinden zu lassen. Die Praxis soll vielmehr in die Schule, in den Unterricht hereingeholt werden.

Hierzu muss die Anwendungssituation für unterrichtliche Zwecke rekonstruiert werden. Bei näherer Betrachtung zeigt sich daher, dass nicht wirklich zur Ursprünglichkeit der Informationstechnik als gesellschaftlicher Faktizität zurückgekehrt wird, sondern eine didaktisch intentionale Rekonstruktion stattfindet, die nun an die Stelle der wissenschaftlichen Repräsentation tritt, nichtsdestoweniger aber – weit entfernt davon, sie in ihrer Ursprünglichkeit zugänglich zu machen – selbst eine symbolisch vermittelte Transformation darstellt. Denn um die benötigte Rekonstruktion vornehmen zu können, muss bereits ein Bild, ein Modell der Informationstechnik und ihres Anwendungskontextes existieren, für das beansprucht wird, das Ursprüngliche der Sache vor aller Vermittlung zu vermitteln. Es ist also nur eine andere symbolische Transformation, die Repräsentation in einem Modell, die hier präferiert wird, die hier aber zugleich, indem sie als die Praxis selbst in ihrer Ursprünglichkeit ausgegeben wird (zumindest gegenüber den Schüler/innen), in ihrem transformierten Charakter verschleiert wird.

Die Distanzierung, die in einem handlungsorientierten Unterricht der Praxisphase folgen oder dieser eingebettet sein soll, müsste, um eine sachangemessene Durchdringung zu ermöglichen, den Modellcharakter der präsentierten Gestalt von Informationstechnik, den Inszenierungscharakter der nachgebildeten, nachgespielten

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Praxis aufdecken und der Reflexion zugänglich machen und dürfte nicht so tun, als ob hier Informationstechnik in ihrer Ursprünglichkeit zur Thematisierung anstünde. In diesem Erfordernis unterscheidet sich ein handlungsorientierter Unterricht nicht von einem wissenschaftsorientierten.

Man könnte demnach folgende Schlussfolgerung ziehen: Die Wissenschaft der Informationstechnik, also insbesondere die Informatik, wäre hinsichtlich ihrer immanenten Bezüge zur gesellschaftlich konkret existierenden und eingesetzten Informationstechnik zu befragen. Dieser immanente Bezug lässt sich formulieren als gestaltende Modellierung durch Abstraktion. Die Praxis der Anwendung von Informationstechnik wiederum ließe sich befragen hinsichtlich ihrer immanenten Bedürfnisse nach eben dieser Art von Modellierung: Was wird praktisch gewonnen, welche Verbesserung menschlicher Praxis wird erlangt durch diese spezifische Form von Rationalisierung? Es ist die Frage nach dem Sinn der Sache.

10.2 Sachzugänge Die Sache, um die es im Unterricht insgesamt gehen soll, ist die Lebenspraxis „draußen” in ihrem Gesamtzusammenhang. Die einzelnen Sachen und Sachverhalte, an die man konkret denkt, wenn von Unterrichtsstoffen die Rede ist, so auch die Informationstechnik in ihren jeweiligen Gestaltungen von Hardware und Software, stehen nie allein für sich, sondern verweisen auf den Zusammenhang, in dem sie ihre Bedeutung haben. Wie dieser Verweis geartet ist, davon hängt ab, in welcher Weise eine bestimmte einzelne Sache bei ihrer unterrichtlichen Behandlung Zugang zur Einheit der Sache(n), die mit dem Begriff Informationstechnik (einschließlich ihres Entstehungs- und Anwendungskontextes) bezeichnet wird, vermitteln kann. In der didaktischen Theorie werden vor allem drei Weisen der Eröffnung eines Sachzugangs herausgestellt: das Exemplarische, das Fundamentale und das Kategoriale.

10.2.1 Exemplarisches (das Besondere, der Fall, das Vorbild)

Das Prinzip des exemplarischen Lehrens und Lernens [Derbolav 1957; Scheuerl 1961; Wagenschein 1964; Klafki 1996, 141-161] begründet sich in der Annahme, dass das Ganze oder Allgemeine der Inhalte, die vermittelt werden sollen, sich am Einzelnen und Besonderen aufzeigen und aneignen lasse, das damit zum Beispiel (Exemplum) wird. Wofür das Einzelne oder Besondere Beispiel sein soll, was an ihm über das Einzelne und seine Besonderheit hinaus auf Allgemeineres, auf Zusammenhänge verweist, hängt davon ab, worauf es didaktisch-intentional ankommen soll. Das Exemplarische ist daher nicht zu bestimmen ohne Klärung der didaktischen Sinnorientierung (Intentionalisierung) und bedeutet je nach Strukturierungsprinzip (Wissenschafts- oder Praxisprinzip) etwas Unterschiedliches.

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Nach dem Wissenschaftsprinzip geht es darum, am Beispiel etwas wissenschaftlich Allgemeines zu verdeutlichen. Am Beispiel eines Bibliothekskatalogs etwa wird die Funktionsweise eines relationalen Datenbanksystems erläutert, d.h. es werden Einsichten vermittelt, die nicht nur für das Beispiel, sondern darüber hinaus für einen größeren Sachbereich der Informationstechnik Geltung haben sollen. Oder es wird am Beispiel eines Ökosystems die Problematik informationstechnischer Modellbildung überhaupt besprochen. Im ersten Fall steht das Beispiel für etwas inhaltlich Allgemeineres, im zweiten Fall für etwas wissenschaftsmethodisch Allgemeineres.

Nach dem Praxisprinzip soll anhand eines Beispiels aus der Praxis etwas demonstriert werden, was für weitere Praxisbereiche oder die gesellschaftliche Lebenspraxis insgesamt von Bedeutung sein soll. Am Beispiel einer Sachbearbeiterin etwa werden die für informationstechnisches Handeln im allgemeinen typischen Aktionen und Entscheidungen beschrieben, die ihre berufliche Tätigkeit nach der Einführung eines neuen Rechnungssystems bestimmen. Oder es wird anhand typischer Fälle aus der Rechtsprechung die allgemeine praktische Bedeutung einer genauen Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen des Internethandels aufgezeigt.

In der Regel wird das Prinzip exemplarischen Lehrens und Lernens induktiv eingesetzt, also so, dass der Schritt vom Einzelnen und Besonderen zum Allgemeineren führt. Was daher beim exemplarischen Prinzip grundsätzlich unterstellt werden muss, ist die Verallgemeinerungs- oder Übertragungsfähigkeit dessen, was am Beispiel gelernt werden kann. Es genügt also nicht, ein Beispiel zu präsentieren; sein beispielhafter Charakter muss darüber hinaus selbst angesprochen und aufgeklärt werden, soll die intendierte Verallgemeinerungs- oder Transferleistung, ohne die das Beispiel keines ist, angeregt werden.

Allerdings können Beispiele auch illustrativ eingesetzt werden. Zuerst werden dann die allgemeinen Einsichten vermittelt, und dann werden diese an Beispielen verdeutlicht oder veranschaulicht. Auch in diesem Falle ist eine logische Transferleistung verlangt: die Projektion des Allgemeinen auf das Einzelne und Besondere, die ebenfalls ihre gedankliche Disziplin verlangt, um bei der Hinwendung zum Beispiel mit seinen vielfältigen Besonderheiten nicht das Allgemeine, das illustriert werden soll, aus dem Auge zu verlieren.

Das Exemplarische transportiert somit immer neben dem Sachbezug ein implizites formales Lernziel mit: die Ausbildung der Fähigkeit, logisch zwischen Einzelnem, Allgemeinem und Besonderem unterscheiden und sie aufeinander beziehen zu können.

Zusammengefasst: Der didaktische Transformationsschritt besteht beim Exemplarischen darin, Beispiele auszuwählen, die in Hinsicht des Sachbezugs Allgemeineres und Übertragbares repräsentieren und zugleich in Hinsicht des darin implizierten Lernziels geeignet sind, die unterstellte logische Transferleistung anzuregen.

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Die Gefahr des exemplarischen Prinzips liegt darin, dass das „Eigentliche”, um das es gehen soll, nie das ist, was im Unterricht konkret behandelt wird. Das „Eigentliche” scheint immer etwas ungreifbar Allgemeines, lediglich gedanklich Erschließbares. Was im Unterricht behandelt wird, steht nur für etwas anderes, ist nicht an sich selbst bedeutsam. Alles an ihm, was nicht auf Allgemeineres verweist, was eben nicht exemplarisch, sondern singulär ist, verfällt so leicht der Missachtung. Der Lehrende, das Allgemeine im Sinn, steht immer unter dem Druck, die Aufmerksamkeit vom Einzigartigen des Exemplums wegzulenken, hin auf das Wesentliche, das als Allgemeines identifiziert wird.

Vom Einzelnen her lassen sich, weiterschreitend, Zusammenhänge erschließen. Nur dann aber geht das Einzelne in seiner Einzigartigkeit dabei nicht verloren, wenn der Zusammenhang nicht etwas abstrakt Allgemeines, jenseits des Einzelnen Schwebendes ist, sondern eben der Zusammenhang, in dem jedes Einzelne um seiner Einzigartigkeit willen steht, in dem diese daher nicht aufgehoben im Sinne von beseitigt ist, sondern aufgehoben im Sinne von bewahrt.

10.2.2 Fundamentales Das Prinzip des Fundamentalen ist auf die Auswahl derjenigen Sachen gerichtet, deren Aneignung als grundlegend angesehen wird für die Erreichung der angestrebten Lehrziele. (Bei Wolfgang Klafki ist das Fundamentale eine der Ebenen des Elementaren, zu denen außerdem zählen: Exemplarisches, Typisches, Klassisches, Repräsentatives. Um der Vereinfachung willen werden hier die weiteren Ebenen des Elementaren nach Klafki ebenso wie dieser Begriff selbst nicht weiter erörtert. [Klafki 1959, 1965]) Auch hier gilt dementsprechend, dass das Fundamentale sich nur vor dem Hintergrund getroffener Entscheidungen über den angestrebten Bildungssinn bestimmen und je nach Strukturierungsprinzip in unterschiedlichen Sachen finden lässt.

Im Rahmen einer Orientierung am Wissenschaftsprinzip geht es hierbei um so etwas wie Grundwissen: Vermittlung der wissenschaftlichen Inhalte, ohne die sich das Gesamtgefüge des wissenschaftlichen Erkenntnisbestands nicht begreifen lässt.

Im Rahmen einer Orientierung am Praxisprinzip geht es um die Vermittlung von Kompetenzen, deren Erwerb grundlegend ist für praktische Handlungsfähigkeit in gesellschaftlichen Praxisfeldern. (Man spricht auch von „Schlüsselqualifikationen”.) Allerdings entsprechen diese subjektiven Kompetenzen objektiven Anforderungen der gesellschaftlichen Lebenspraxis, womit auf so etwas wie eine Grundstruktur gesellschaftlicher Praxis verwiesen ist, die erst – auf theoretisch-wissenschaftlichem Wege (ein Beispiel hierfür ist Josef Derbolavs Versuch, in Gestalt einer „Praxeologie“ eine systematische Rekonstruktion gesellschaftlicher Praxis in Bezug auf ihre humane Sinnstruktur zu leisten) – gefunden werden muss, bevor deren Anforderungen als „fundamentale” in Kompetenzbeschreibungen umgesetzt werden können. Im Unterricht würden die Schüler/innen dann mit entsprechenden Fundamental- (oder Schlüssel-

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)Situationen gesellschaftlicher Praxis konfrontiert, durch die ihnen vermittelt wird, was sie können müssen, um in ihr zu bestehen.

10.2.3 Kategoriales Nach W. Klafki heißt kategoriale Bildung, im Lehr-Lern-Prozess jene Begriffe in den Mittelpunkt zu stellen, die wesentliche Einsichten in den thematisierten Gegenstandsbereich erschließen. [Klafki 1959]

Im Rahmen eines wissenschaftsorientierten Unterrichts sind dies die für die wissenschaftliche Theoriebildung zentralen Kategorien. Auch darüber, welche dies sind, muss nicht Einigkeit herrschen. Bezogen auf die Informatik werden recht unterschiedliche Angebote gemacht, je nachdem, welche „Sichtweise“ der Informatik bevorzugt wird (vgl. den folgenden Abschnitt). Im Rahmen eines handlungsorientierten Unterrichts ginge es darum, diejenigen Kategorien zu vermitteln, die wesentliche Handlungszusammenhänge bezeichnen bzw. in denen die Verständigung über Handlungsabläufe und Handlungsnotwendigkeiten hauptsächlich verläuft.

Das Konzept der kategorialen Bildung ist in der Fachdidaktik der Informatik stark vertreten. Baumann nennt als „Grundkategorien der Informatik“: „Information, System, Modell, Programm“ [Baumann 1996, 153-163]; Hubwieser stellt „Information“ als zentrierenden Begriff heraus [Hubwieser 2001, 78]; für Humbert stellt das „Problemlösen“ die „zentrale Kategorie des Informatikunterrichts“ dar [Humbert 2006, 76]. Problemlösen ist allerdings keine fachliche Kategorie, solange nicht darauf Bezug genommen wird, wie die Informatik bzw. wie mit Hilfe von Informationstechnik welche Art von Problemen gelöst wird. Geht man dieser Frage nach, kommt man zu einer Kategorie, die bei Baumann explizit als solche, bei Hubwieser als „inhaltlicher Kern“ des Informatikunterrichts [Hubwieser 2001, 85] herausgestellt wird, nämlich die Kategorie des Modells bzw. der Modellierung, die auch bei Schubert und Schwill als übergreifender Begriff angeführt wird, auf den sich die „fundamentalen Ideen“ der Informatik: „Algorithmisierung, strukturierte Zerlegung und Sprache“ [Schubert/Schwill 2003, 96f.] gemeinsam beziehen ließen [Schubert/Schwill 2003, 99].

Von „fundamentalen Ideen“ der Informatik, an die es Lernende heranzuführen gelte, spricht auch Baumann [Baumann 1996, 51-64]: die Idee der Formalisierung, die Idee der Automatisierung und die Idee der Vernetzung. Zwar ist die Terminologie in den angesprochenen Fachdidaktiken nicht durchweg ganz konsistent, aber überwiegend sind mit Kategorien grundlegende Fachtermini gemeint, während „fundamentale Ideen“ eher den Zielhorizont informatischer Tätigkeit bezeichnen und daher über den fachspezifischen Horizont hinausreichen.

In vielen Fällen sind die zentralen wissenschaftlichen und die zentralen Handlungskategorien weitgehend identisch. Die zentrale informatische Kategorie „Modell” beispielsweise ist nicht nur ein theoretisches Konzept der Informatik, sondern bezeichnet auch die Realität, in der Arbeit vom Typ Informationsarbeit praktisch

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stattfindet. Ein Informationsarbeiter bewegt sich in einem „Modell”, vielleicht ohne die entsprechende konkrete Realität, die dafür „Modell gestanden“ hat, überhaupt zu Gesicht zu bekommen (im Unterschied z.B. zum Produktionsarbeiter oder zum Transportarbeiter).

Eine den „fundamentalen Ideen“ vergleichbare Bedeutung hat das Kategoriale in Derbolavs Bildungstheorie. [Derbolav 1971] Während bei Klafki die Kategorien in Hinsicht ihrer aktuellen Bedeutung für Wissenschaft und Praxis angesprochen werden, enthalten sie für Derbolav sozusagen geheime transzendentale Hinweisschilder: Spuren einer meist vergessenen Sinnorientierung, die es wieder freizulegen und zu verfolgen gilt. Dadurch eröffnen die Kategorien nicht nur einen Zugang zu Wissenschaft und Praxis, wie sie existieren, sondern erschließen darüber hinaus einerseits Potenziale und Visionen, die in die Zukunft weisen, wie auch andererseits Ansatzpunkte immanenter Kritik, d.h. einer Kritik, die Wissenschaft und Praxis an ihren eigenen, vielleicht oft vergessenen, gleichwohl aber unbewusst weiter mittransportierten Sinn-Maßstäben (die bei Derbolav „regulative Ideen” heißen) misst. [Derbolav 1975]

10.3 Sacherschließung in der Didaktik Informationstechnischer Bildung

Im folgenden sollen einige Ansätze zur Erschließung der Sachstruktur der Informationstechnik vorgestellt werden, wie sie in der fachdidaktischen Literatur zur informationstechnischen Bildung angeboten werden.

10.3.1 Rechner Der „rechner-“ oder „hardware-orientierte Ansatz“ [Hubwieser 2001, 50f.] dominierte zu Beginn der konzeptionellen Überlegungen zu einer Didaktik informationstechnischer Bildung in den 70er Jahren. Als didaktisch Entscheidendes galt der elektrotechnische Aufbau eines „Rechners“, d.h. die schalttechnische Umsetzung logischer Operationen. Das kann man als eine klassische ingenieurwissenschaftliche Sichtweise auf die Informationstechnik bezeichnen. Sie drückte sich in Titel von Tagungen, Aufsätzen und Büchern aus, in denen von der „mikroelektronischen Revolution“ die Rede war und auch pädagogische Veröffentlichungen das Verhältnis von „Mikroelektronik und Bildung“ thematisierten.

Der Ansatz ist als wissenschaftsorientiert (Elektrotechnik) anzusehen. Er will ein technisches Fundamentum vermitteln.

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10.3.2 Algorithmen Der „algorithmenorientierte Ansatz“ löste in den 80er Jahren den „rechnerorientierten Ansatz“ ab [Hubwieser 2001, 51f.] und betonte ihm gegenüber die nachrangige Bedeutung der Hardware, die lediglich als grundsätzlich veränderbare Realisierung eines formalen Konzepts zu gelten habe. Die eigentliche Maschine, sagten zum Beispiel Bammé u.a., sei der Algorithmus. [Bammé u.a. 1983, 16] Hier wurde die Herkunft der Informatik aus der Mathematik in den Vordergrund gestellt. Informationstechnische Bildung sollte das Denken in Algorithmen fördern, wobei die Realisierung mittels einer Programmiersprache, also das eigentliche Programmieren, mit einbezogen werden könne, ohne allerdings den Schwerpunkt auf das Erlernen einer Programmiersprache zu legen. (In der Schulrealität fand dies dann doch sehr oft statt.) Informationstechnische Bildung wurde in diesem Konzept zu einer speziellen Fortsetzung oder Erweiterung des Mathematikunterrichts.

Algorithmen werden als fundamental angesehen. Der Ansatz orientiert sich ebenso wie der rechnerorientierte Ansatz am Wissenschaftsprinzip (Informatik, Mathematik).

Beide wissenschaftsorientierten Ansätze hatten ihren Sinn als wissenschaftspropädeutischer Unterricht für Schülerinnen und Schüler, die auf dem betreffenden Gebiet ihre speziellen Neigungen und Begabungen und entsprechende Studien- und Berufswünsche hatten (wobei der rechnerorientierte Ansatz inzwischen eher Geschichte ist). Als Konzepte für eine allgemeine informationstechnische Bildung haben sie sich nicht bewährt.

10.3.3 Anwendung Der anwendungsorientierte Ansatz entstand mit der Diskussion um eine Informationstechnische Grundbildung in der Sekundarstufe I (Jahrgangsstufen 5-10). Eine Orientierung an den wissenschaftlichen Disziplinen wurde als für diese Schulstufe unangemessen angesehen. Zudem sollte der Unterricht sich an alltäglichen und erwartbaren beruflichen Erfahrungen mit der Informationstechnik orientieren (Praxisprinzip). Daher wurde die praktische Anwendung der Informationstechnik in den Mittelpunkt der schulischen Sacharbeit am Gegenstand gerückt. Typische Anwendungsfelder wurden identifiziert und exemplarisch in Fallbeispielen durchgespielt. (Auch der Einsatz Neuer Medien im Unterricht der verschiedenen Fächer wurde als mögliche exemplarische Anwendungssituation für den Einsatz von Informationstechnik als Werkzeug oder Medium angesehen.)

Der anwendungsorientierte Ansatz litt und leidet immer noch im vollen Umfang unter den Problematiken eines didaktischen „Praxisprinzips“. Wie Untersuchungen zur informationstechnischen Grundbildung belegen, gelingt es in aller Regel nicht, die Oberfläche des zur Anwendung kommenden Systems zu durchdringen und zu den

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dahinterstehenden technologischen Konzepten vorzustoßen; die Thematisierung von gesellschaftlichen Zusammenhängen jenseits funktionaler Beziehungen kommt zu kurz, weil die meiste Zeit vom rein instrumentellen Zurechtkommen mit der Technik in Anspruch genommen wird.

In der neueren Literatur zur Didaktik informationstechnischer Bildung werden Versuche unternommen, durch eine Thematisierung der kulturellen und lebenspraktischen Bedeutung von Informationstechnik die Alternative von Wissenschafts- und Praxisprinzip zu überwinden. Die spezifische Leistung der Informatik im sozialen Kontext soll erfasst, herausgestellt und in den Mittelpunkt des Unterrichts gestellt werden.

10.3.4 Technische Semiotik Als erstes ist hier der Versuch zu nennen, die Informationstechnik als eine besondere Form der Zeichenerzeugung, also als Kulturtechnik zu vermitteln [Nake 2000; Wilkens 2000; Herzig 2001]. (Semiotik = Lehre von den Zeichen) Was Informatiker und Systementwickler machen, ist demnach das, was Kultur immer schon macht: die „Verdoppelung“ der Welt im Zeichen. Während aber sonst der Umgang mit den Zeichen bzw. ihre weitere Verarbeitung immer die Beteiligung eines interpretierenden Bewusstseins erforderte, das den Zeichen Bedeutung zuschreibt bzw. sie deutet, erlaubt der Computer eine automatisierte Manipulation der Zeichen ohne eine solche Beteiligung – vorausgesetzt, das Zeichen wurde zuvor aller kontextbezogenen Bedeutung entkleidet, also „formalisiert“. Das verleitet zu der Annahme, die Zeichen hätten eine Bedeutung nicht in Relation zu einem Bezeichneten, sondern an ihnen selbst, daher unabhängig von einem interpretierenden, also Relationen stiftenden Bewusstsein; und der Computer sei an sich zu bedeutungsvollen Operationen fähig, eben weil er Zeichen manipulieren könne.

Demgegenüber kommt es dem „zeichenorientierten“ Ansatz darauf an, die Generierung der Zeichen im informationstechnischen Entwurf ebenso wie ihre Entschlüsselung bei der Implementierung in Lebenszusammenhänge als originäre kulturelle Leistungen von Subjekten zu verstehen, die darüber vermittelt humanen Sinn zu realisieren versuchen.

Dieser Ansatz versucht, eine in der Informatik enthaltene, aber bisher unzureichend reflektierte Kategorie, die Kategorie des Zeichens, hinsichtlich ihrer Bedeutung für die kulturellen Kontexte des Einsatzes von Informationstechnik zu reflektieren. Man kann ihn daher einer kategorialen Didaktik zuordnen, welche eher dem Wissenschaftsprinzip verpflichtet ist. (Das Zeichen ist eher eine wissenschaftliche als eine praktische Kategorie.)

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10.3.5 Modellierung Während der Ansatz der technischen Semiotik die Konzentration auf das Zeichen als formales Ergebnis einer zeichengenerierenden Tätigkeit richtet, steht beim modellierungsorientierten Ansatz [Hubwieser 2001, 85-96; 147-215] der Vorgang der symbolischen Transformation selbst im Mittelpunkt. Bei dem, was die technische Semiotik formal als Zeichengenerierung charakterisiert, geht es dem Inhalt nach um Modellierung. Das erzeugte Modell steht zum modellierten Vorgang in einer bestimmten Beziehung, die durch die technische Semiotik nur unzureichend erfasst werden kann: Es oszilliert zwischen Abbildung (Simulation; u.a. erkenntnistheoretische Funktion), Vorbildung (Entwurf; konstruktive Funktion) und Antrieb (Steuerungsfunktion) ihres Gegenstandes. Auch der Vorgang der Modellierung abstrahiert von Kontexten, um aus dem Lebenszusammenhang eine Qualität herauszupräparieren, die dieser sonst nicht hat: reine Funktionalität.

Auch hier wird eine Kategorie ins Zentrum gerückt; aber dies ist eine sowohl praktisch als auch wissenschaftlich relevante Kategorie; sie bezeichnet die Tätigkeit des Informatikers ebenso, wie sie deren praktische Bedeutung unmittelbar thematisiert.

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11. Sechster Transformationsschritt: Methodische Transformation – Erschließung der Lernwürdigkeit (Motivation)

11.1 Anknüpfen an die Lern-Vorgeschichte Die didaktischen Transformationsschritte, die Lehrende bei der Vorbereitung von Unterricht zu vollziehen haben, beziehen gedanklich schon immer die Lernenden als Adressaten der Bemühungen mit ein. Ob Unterricht stattfindet (also gelingt), hängt letztlich von ihnen ab. Alles, was zuvor getan wurde, sowohl auf der „amtlichen” Transformationslinie als auch auf der Linie der Transformationen, die die Sache im Verständnis der Lehrenden durchläuft, war vergeblich, wenn die Vermittlung zur Linie der Transformationen, die die Sache im Verständnis der Lernenden durchläuft, nicht gelingt. Denn nur hier findet der Gesamtprozess didaktischer Transformation seinen Abschluss. Was der Lehrende intendierte und in Überlegungen zur Sachstrukturerschließung umsetzte, muss seine Fortsetzung und Erfüllung im Lernprozess der Schüler/innen erfahren, was voraussetzt, dass ihnen die Sache, wie sie ihnen vom Lehrenden präsentiert wird, lernwürdig und lernbar erscheint.

Der Transformationsprozess der Sache im Verständnis der Lernenden setzt jedoch nicht erst dort ein, wo Unterricht beginnt, wie ja auch der Transformationsprozess der Sache im Verständnis der Lehrenden nicht erst dort einsetzte, wo Schule beginnt. Aufnahmebereitschaft (Resonanz) für die vom Lehrer präsentierte Sache hat zur Bedingung, dass die Lernenden in der positiven Aufnahme der Unterrichtsintention auch die Transformationslinie fortsetzen können, die die Sache in ihrem Verständnis bereits durchlaufen hat. Nur dann erscheint die Sache ihnen in der vom Lehrer präsentierten Gestalt als lernwürdig und lernbar.

Nicht für alle, aber doch für viele Sachen und heute sicher für die Informationstechnik gilt, dass die Schüler/innen in ihrer Lebensgeschichte bereits Erfahrungen mit ihr gemacht haben, aus denen möglicherweise eine bestimmte Richtung sachbezogener Interessen resultierte. Institutionell ist Schulunterricht als Lernauftrag der Gesellschaft an ihre nachwachsende Generation konzipiert, ein Auftrag, dem sie zum Teil (Pflichtschulzeit) unbedingte Folge zu leisten haben, auch wenn tatsächlich nur die physische Anwesenheit während der Schulpflichtzeit erzwingbar ist, dem sie zum anderen Teil (abschlussbezogener Schulbesuch) dann Folge zu leisten haben, wenn sie in der späteren gesellschaftlichen Praxis in bestimmten Funktionen und Positionen tätig sein wollen (oder ihre Eltern das für sie wünschen).

Die Schule ist nicht primär eingerichtet, um Heranwachsenden zur Realisation ihrer Lerninteressen und Befriedigung ihrer Lernbedürfnisse zu verhelfen. Und das heißt: Unterricht ist nicht einfach nur die Fortsetzung der Transformationslinie, die die Sache im Verständnis der Lernenden durchlaufen hat. Er ist – darin ganz vergleichbar der

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Übernahme des Lehramts durch den Lehrer – Übernahme des Lernauftrags durch die Schüler/innen. Ebenso wie eine engagierte Berufsausübung dem Lehrer nicht möglich ist ohne Vermittlung von Amt und persönlicher Motivation, ist auch engagiertes Lernen nicht möglich ohne Vermittlung von gesellschaftlichem Lernauftrag und eigener Lernmotivation. Schüler/innen werden allerdings mit dem an sie gerichteten gesellschaftlichen Lernauftrag nicht unvermittelt konfrontiert (man legt ihnen nicht die amtlichen Lehrpläne und Richtlinien vor), sondern erfahren ihn in der von ihrem Lehrer jeweils persönlich vertretenen Form (worin die Art und Weise, wie sich bei diesem die Übernahme seines Amtes gestaltet hat, bereits enthalten ist). Insofern bringt der Unterricht unmittelbar nur Schüler/innen und Lehrer/innen zur Begegnung; doch ist dies eine – didaktisch gebrochene – Begegnung mit gesellschaftlichen Anforderungen. Der Lehrer ist didaktischer Mittler zwischen Gesellschaft und lernendem Individuum.

Bezugnahme auf die Lernmotivation heißt Bezugnahme auf vorgängige Transformationen, soweit die Sache solche im Verständnis der Lernenden bereits durchlaufen hat.

Im ersten Schritt (Distanzierung) ist die Sache für den Lernenden in irgendeiner Weise problematisch/fragwürdig/interessant geworden: sie hat seine Aufmerksamkeit soweit auf sich gezogen, dass er begonnen hat, sich mit ihr explizit zu beschäftigen, sie sich zum Gegenstand zu machen.

Im zweiten Schritt ist hieraus eine Fragehaltung geworden, die sich an andere Personen richtet, von denen angenommen wird, sie könnten Antworten geben (bei kleinen Kindern gibt es oft eine Phase exzessiven Fragens, meist gerichtet an die Eltern). Hier ist Vertrauen in die Sachautorität anderer Personen unterstellt.

Im dritten Schritt wird diese Fragehaltung auch auf die Lehrer als Vertreter der Institution Schule übertragen, was wiederum Vertrauen in diese Institution voraussetzt. (Kinder freuen sich oft auf die Schule; teils weil es zum Großwerden gehört, in die Schule zu gehen; teils aber auch – und das ist hier relevanter –, weil sie hoffen, dies sei der Ort, an dem ihre Fragen beantwortet, ihre Neugier gestillt, ihre Wissensbegierde befriedigt wird; die Desillusionierung bleibt leider nicht aus: Die Schule ist nicht primär dazu eingerichtet, die Fragen zu beantworten, die die Kinder tatsächlich haben, sondern die Fragen zu beantworten, die die Kinder haben sollen.)

Im vierten Schritt wird diese Lernmotivation zur Erwartungshaltung im konkreten Unterricht und richtet sich dort an das, was der Lehrer zu bieten hat. Das Kind verspricht sich etwas vom Unterricht über diese Sache. Damit verbunden ist eine hauptsächlich unbewusste Vorstrukturierung der Sache, die sich teils in Vorwissen bzw. einem Vorverständnis der Sache manifestiert, teils aber auch in einer Fragerichtung bzw. einem Fragehorizont, innerhalb dessen Antworten zwar nicht gewusst sind, aber erwartet werden. Man darf annehmen, dass das Kind in einer durch diese Transformationsschritte bestimmten Weise zum Lernen bereit (motiviert) ist, vorausgesetzt, das, was der Lehrer tut, entspricht seiner Erwartungshaltung. Dass nun das, was der Lehrer sich hinsichtlich Lehrintention und Sachstrukturierung überlegt hat,

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genau diesem so gebildeten Motivationshorizont jedes einzelnen Lernenden entspricht, ist praktisch ausgeschlossen.

Er könnte daher versucht sein, die Frage der Motivation zu übergehen bzw. auf eine Weise zu lösen, die von ihm nicht ein Eingehen auf die Schüler/innen verlangt. Er könnte Motivation durch Zwang ersetzen, indem er die Machtmittel anwendet, die ihm die Institution Schule dafür an die Hand gibt; er könnte Staatsgewalt ausüben. Damit kann er zwar keine sachbezogene Motivation erzeugen; aber er kann auf andere Beweggründe zum Lernen rechnen wie: Angst vor Strafe, Identifikation mit dem Aggressor, Bedürfnis nach sozialer Anerkennung; Interesse an Zertifikaten. Lernen wird dann zur Leistung, die man aus Gründen erbringt, die nicht im Gehalt der Leistung liegen, sondern in den sozialen und institutionellen Bedingungen, unter denen sie zu erbringen ist.

Der Lehrer könnte aber auch mit einem Unterricht auf solcher Motivationsbasis unzufrieden sein, z.B.

• weil seine Vorstellung von einem guten Unterricht auch die Erwartung beinhaltete, mit den Schüler/innen eine sachbezogene Interessensgemeinschaft bilden (den SchülerInnen sein eigenes Interesse an der Informationstechnik vermitteln) zu können;

• weil ein solcher Unterricht nicht seiner Vorstellung von einer persönlichen Beziehung zwischen ihm und seinen Schüler/innen entspricht (seine pädagogische Motivation hatte vielleicht etwas mit der Hoffnung zu tun, Heranwachsende in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen zu können);

• weil ein solcher Unterricht zu einer Form der Aneignung der Sache seitens der Schüler/innen führt, in der das über Informationstechnik Gelernte diesen äußerlich bleibt, daher nur relativ kurze Zeit „behalten” werden kann (bis zum Leistungstest) und sich kein dauerhafter Lernerfolg einstellt;

• weil Unterricht für ihn „bildend” sein sollte, d.h. zu einer persönlichen, reflektierten Haltung gegenüber der Informationstechnik führen sollte, die tragfähig ist für die gegenwärtige wie spätere Lebenspraxis der Lernenden.

Wie LehrerInnen sich an dieser Stelle des Transformationsprozesses zur Motivationsfrage verhalten, hängt also weitgehend davon ab, wie sie ihr eigenes Amt verstehen, d.h. wie sie jenen systematisch früheren Schritt des Transformationsprozesses, der „Intentionalisierung” genannt wurde, vollzogen haben.

Will der Lehrende nicht über die sachbezogenen Interessen, Bedürfnisse, Erwartungshaltungen und über das Vorwissen seiner Schüler/innen hinweggehen, muss er den Unterrichtsprozess hierfür öffnen und d.h. seine Schüler/innen so in ihn einbeziehen, dass das, was diese in den Unterricht mitbringen, dort zum Tragen kommen kann. Er muss sich auf ein Gespräch mit seinen Schüler/innen einlassen (ein Gesichtspunkt, den die Ansätze kommunikativer Didaktik betonen).

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Dieses Gespräch ist systematisch von vergleichbarer Bedeutung wie die Auseinandersetzung des Lehrenden mit den Implikationen seines Amtes beim Transformationsschritt der Intentionalisierung. Denn auch hier findet ein wechselseitiges Befragen, Infragestellen, eine wechselseitige Legitimationsprüfung statt, vorausgesetzt, es handelt sich um ein wirkliches Gespräch, in dem die Gesprächsteilnehmer/innen nicht nur ihre jeweilige „Meinung” zur Informationstechnik und ihrer Bedeutung darlegen, sondern aufeinander eingehen, den anderen zur Erläuterung und Begründung seiner Auffassungen bewegen, aber auch selbst ihre Auffassungen erläutern und begründen, vorausgesetzt also, das Gespräch bringt Bewegung in das Gefüge von Erfahrungen, Einstellungen, Auffassungen, Beurteilungen, Wissen zur Informationstechnik bei allen Teilnehmer/innen, auch beim Lehrenden. Denn dann erhält durch die Vermittlung der vorher getrennt verlaufenen Transformationslinien der Sache bei Lehrenden und Lernenden der Transformationsprozess auf beiden Linien neue Impulse, und im besten Falle kommt es zu einer weitgehenden Übereinstimmung: Schüler/innen und Lehrer/in verstehen sich nicht nur, sondern einigen sich auch darauf, was sie gemeinsamin Bezug auf die Informationstechnik als lernwürdig ansehen. Es wird ein von allen Beteiligten getragenes inhaltliches Unterrichtskonzept möglich.

Im Kommunikationsprozess über die Sache erfahren die Gesprächsteilnehmer/innen die Perspektiven der anderen und sind, wenn sie die anderen verstehen wollen, genötigt, sich in diese Perspektiven hineinzuversetzen. Für Lehrer/innen bedeutet das, sich in die Perspektive der SchülerInnen hineinzuversetzen, und zwar nicht nur in der abstrakten Weise, wie dies bei den vorhergehenden Transformationsschritten möglicherweise auch schon der Fall war, sondern ganz konkret in die Sichtweise der Kinder oder Jugendlichen/jungen Erwachsenen, mit denen sie Unterricht machen. Ihr Gegenüber ist nicht „ein Kind” oder „ein Jugendlicher”, wie es/er ihnen in kinderpsychologischen, jugendsoziologischen und anderen Büchern begegnet, sondern eine einzigartige Person mit Namen, zweite Person Singular: Du (bzw. dritte Person Plural: Sie, wo die deutsche Anrede-Sitte dies vorsieht).

Für Schüler/innen bedeutet das, sich in die Perspektive ihres Lehrers zu versetzen, vermittelt darüber aber weitergehend in die Perspektive der Gesellschaft und so zu erfahren, dass die eigene Perspektive einerseits gefragt ist, nämlich vom Lehrer als Repräsentanten der Gesellschaft als bedeutsam angesehen wird, andererseits sich aber auch in eine gesellschaftliche Gesamtperspektive einbinden lassen muss. Seinen Hobbies kann jede/r uneingeschränkt im privaten Bereich nachgehen; aber in der Schule sind auch die Schülerinnen und Schüler nicht nur Privatpersonen, sondern Mitglieder eines Sozialwesens, das von ihnen einen Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion und Weiterentwicklung erwartet.

Zu dieser Sozialerfahrung gehört auch die Auseinandersetzung der Schüler/innen untereinander. Repräsentiert der Lehrer idealerweise so etwas wie eine gesellschaftliche Gesamtperspektive, so die Schüler/innen die jeweiligen Einzelperspektiven, aus deren Vermittlung sich zumindest soweit eine

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Gesamtperspektive bilden soll, dass kein einzelner sich übergangen und unterdrückt fühlen muss und ein friedliches Zusammenleben möglich wird. Gesellschaft, erfahren die Teilnehmer/innen am Unterrichtsgespräch, ist nicht eine abstrakte übergeordnete Allgemeinheit, wie sie sich in der Macht der Institutionen, hier besonders der Schule, manifestiert, sondern ein Prozess der Auseinandersetzung und Verständigung, zu dem jeder einzelne aktiv und verantwortlich beiträgt, in dem niemand aber exkluvive Geltung für seine persönliche Perspektive beanspruchen kann. Gelingt dies, bilden sich nicht nur die Beteiligten, sondern bildet sich auch die Gesellschaft in einem solchen Unterricht.

Diese Überlegungen standen unter einer bestimmten Voraussetzung: Informationstechnik hat für die SchülerInnen selbst schon eine gewisse Bedeutung erhalten, an der anzuknüpfen ist, bevor sie zum Thema des Unterrichts gemacht werden soll. Das muss nicht sein. An jeder Stelle der vorausgehenden Transformationslinie kann der Prozess unterbrochen, abgebrochen oder gar nicht erst in Gang gekommen sein.

11.2 Probleme in der Lern-Vorgeschichte 11.2.1 Defizite auf der Stufe des ersten Transformationsschritts

(Distanzierung/Problematisierung) Das versteht sich von selbst, wenn und soweit es sich um Sachen handelt, mit denen die Schüler/innen in ihrer bisherigen Lebensgeschichte noch gar nicht in Berührung gekommen sind. Besonders in der beruflichen Bildung (aber nicht nur dort) hat der Unterricht oft die Aufgabe, auf Praxisbereiche vorzubereiten, zu denen die Lernenden erst nach erfolgreichem Schulbesuch und aufgrund ihrer dabei erworbenen Qualifikationen zugelassen werden. Zwar gibt es im Dualen System der beruflichen Bildung eine zeitliche Parallelität von betrieblicher, also praxisnaher, und schulischer Ausbildung, der im Prinzip auch eine didaktische Parallelität entsprechen soll (so dass in der Schule auf theoretischer Ebene Sachen behandelt werden, mit denen die Auszubildenden im Betrieb praktische Erfahrung gemacht haben); doch erweist sich in der Ausbildungspraxis die dazu nötige Abstimmung von betrieblicher Praxis und Berufsschulunterricht als äußerst schwierig, bzw. sie wird oft gar nicht erst wirklich versucht.

Heute wird man davon ausgehen können, dass alle Kinder und Jugendlichen schon mit Informationstechnik in Berührung gekommen sind, wenn entsprechender Unterricht einsetzt. Dennoch gibt es selbstverständlich auch bei Sachbereichen, mit denen die Lernenden schon Vorerfahrungen haben, immer Teilbereiche, von denen sie noch nichts gehört haben, die insofern für sie ganz neu sind.

Dass hier Gründe für Motivationsschwierigkeiten und Verständnisschwierigkeiten liegen können, liegt auf der Hand. Informationstechnische Sachverhalte erscheinen im Unterricht sozusagen aus dem Nichts, als leerer Begriff, abstraktes Modell,

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abgehobene Theorie oder dergleichen, sofern es nicht gelingt, den Praxiszusammenhang, innerhalb dessen diese Sachverhalte ihre Relevanz haben, im Unterricht nachzubilden und so deren Lernwürdigkeit zu erweisen – was voraussetzt, dass es sich um Praxiszusammenhänge handelt, die für die Schüler/innen von Interesse und Bedeutung sind. Nicht zuletzt aus diesem Grund (drohende Abstraktheit der zu behandelnden Sachen) haben Konzepte handlungsorientierten Unterrichts in der beruflichen Schulbildung in den letzten Jahren besondere Popularität unter den Didaktikern erlangt.

Anders als beim Lehrer, dessen fachbezogene Berufswahl schon ein interessiert-distanziertes Verhältnis zur Sache voraussetzt, das er in seinen privaten und institutionellen Lern- und Studienprozessen realisiert hat, kann der Schritt der Distanzierung bei den Schüler/innen aber auch ausgeblieben sein, obwohl Informationstechnik Teil ihrer Erfahrungswelt war oder ist. Diese Sache ist ihnen eben niemals problematisch/fragwürdig geworden und hat auch auf keine andere Weise bisher ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Man weiß, dass es Computer gibt, man hat auch ab und zu mal bei der großen Schwester in die Tastatur gehauen, aber ein Bedürfnis, dieser Sache näher nachzugehen, über sie etwas zu lernen, hat sich nicht herausgebildet.

Die gesellschaftlich erfolgte Problematisierung, die ja in der Tatsache ihren Niederschlag gefunden hat, dass Informationstechnik als Unterrichtsinhalt vorgesehen ist, muss in diesem Falle erst noch in eine persönlich nachvollziehbare Distanzierung, durch die die Sache in den mehr oder weniger aufmerksamen Blick gerät, umgesetzt werden. Auch hier sieht der Lehrer sich vor die Aufgabe gestellt, die Schüler/innen für Informationstechnik überhaupt erst zu interessieren, beispielsweise, indem ihre scheinbare Selbstverständlichkeit in Frage gestellt, die Sache in ein plötzlich anderes Licht gerückt wird.

Schwieriger wird es, wenn eine Distanzierung bereits gegeben ist, die mit negativem Interesse verbunden ist: wenn Schüler/innen aufgrund eigener Erfahrungen mit dem Computer (die auch in der Schule zuvor gemachte Erfahrungen sein können) bereits eine Abneigung gegen ihn entwickelt haben. Oder wenn die Beschäftigung mit ihm nicht zum Selbstideal passt (wenn sie aus der Sicht von Mädchen beispielsweise „uncool“ ist). Für den Unterricht über Informationstechnik kann der Lehrer seine Schüler/innen dann nur gewinnen, indem er sie ihnen in einem anderen als dem gewohnten, nun positives Interesse weckenden Lichte erscheinen lässt.

11.2.2 Defizite auf der Stufe des zweiten und dritten Transformationsschrittes (Vergesellschaftung/Prüfung gesellschaftlicher Relevanz/Institutionalisierung)

Sich für eine Sache zu interessieren, muss noch nicht heißen, dass man von anderen etwas darüber lernen will, schon gar nicht, dass man für andere etwas darüber zu lernen motiviert ist.

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Die Bereitschaft, von anderen zu lernen, also eine Fragehaltung bezüglich der interessierenden Sache zu entwickeln, die sich an andere richtet, setzt ein gewisses Vertrauen in die Sachautorität der anderen voraus, ein Vertrauen, das z.B. kleine Kinder meist „blind” in ihre Eltern setzen, das aber auch enttäuscht werden kann, weniger vielleicht durch tatsächlich mangelnden Sachverstand der Befragten (dann muss man eben warten, bis der andere sich sachkundig gemacht hat, oder andere fragen) als durch mangelnde Bereitschaft, sich überhaupt auf die Fragen des Kindes oder Jugendlichen einzulassen (dann wird die Bedeutsamkeit der eigenen Fragehaltung geleugnet). Persönliche Lebenserfahrungen, darunter auch Schulerfahrungen spielen hier eine große Rolle, so dass das Vertrauen, auf die eigenen, mehr oder weniger drängenden Fragen wenn schon nicht immer die erhoffte Antwort, so doch wenigstens eine Resonanz zu erfahren, bei den Lernenden ganz unterschiedlich ausgeprägt ist – im negativen Extremfall bis hin zum völligen Verlust einer Fragehaltung. Solche Schüler/innen erscheinen dann als völlig uninteressiert; dabei haben sie nur die Hoffnung verloren, dass ihr Interesse Resonanz erfährt (dass sich jemand für sie interessiert).

Es gibt aber auch gesellschaftlich-historische Situationen, in denen es aussieht, als ob eine ganze Generation das Vertrauen in die Sachautorität „der Erwachsenen” verloren hat. Ausdruck eines solchen Vertrauensverlustes war etwa die sogenannte Schüler- und Studentenrevolte der späten 60er Jahre, in der sich die in vielen Familien herrschende Sprachlosigkeit zwischen Eltern und Kindern ausweitete zu einer massiven Krise im Verhältnis zwischen den Generationen, die die Infragestellung der gesellschaftlichen Institutionen mit einschloss. In Westdeutschland war ganz sicher die Unfähigkeit der erwachsenen Generation, sich auf die Fragen der Heranwachsenden nach der eigenen Mitverantwortlichkeit für die Verbrechen des Nationalsozialismus einzulassen, mitursächlich für die tiefgreifende Erschütterung der Autorität der erwachsenen Generation. Der Verlust der moralischen Autorität hatte in diesem Fall den Verlust der sachlichen Autorität zur Folge, bzw. eine fern aller Moralität angesiedelte rein sachliche Autorität wurde als „technokratisch” in Zweifel gezogen. In dieser Situation waren gerade die Bildungsinstitutionen (Schulen und Hochschulen) radikaler Infragestellung ausgesetzt. Ihnen wurde nicht mehr zugetraut, jene Lernprozesse zu ermöglichen, die aus Sicht der jungen Generation im Hinblick auf ihre Vorstellungen von humanem Fortschritt notwendig waren. Schüler/innen und Student/innen erhoben des Anspruch, selbst zu bestimmen, welche Sachen in Unterricht und Studium zu behandeln seien.

(Die ökologische Krise hat zwar weniger spektakulär, möglicherweise langfristig aber nachhaltiger die Sachautorität der erwachsenen Generation in Frage gestellt. Wie zu bezweifeln war, dass diejenigen, die für die Verbrechen des Nationalsozialismus mitverantwortlich waren, die nötige moralische Autorität hatten, die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung und damit auch die gesellschaftliche Relevanz von Lerninhalten zu bestimmen, so sind nun Zweifel angebracht, ob diejenigen, die verantwortlich sind für die zunehmende Zerstörung der Naturgrundlagen des

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menschlichen Lebens, die Autorität beanspruchen dürfen festzulegen, was man wissen und können muss, um eben diese Krise zu bewältigen und den ökologischen Kollaps abzuwenden.)

Gerade bezogen auf die Informationstechnik zeigt sich, dass Sachautorität nicht unbedingt gleichzusetzen ist ausschließlich mit überlegenem Sachwissen oder Können. Die Informationstechnik ist eine so „junge“ Sache, dass Lehrerinnen und Lehrer oft weniger Erfahrung und KnowHow im Umgang mit ihr, teils auch in bestimmten Bereichen weniger Sachwissen über sie haben als manche ihrer Schüler. Zudem ändern sich die Erscheinungsformen dieser Technik so schnell, dass es bezogen auf die jeweils aktuellsten technischen Entwicklungen unvermeidlicherweise immer Defizite im Wissen und Können der Lehrenden gibt. Ihre Autorität können sie nicht wie Lehrerinnen und Lehrer anderer Fachgebiete, etwa der Geschichte, aus einem ständig nur anwachsenden Wissensbestand und sich ständig vergrößernden Wissensvorsprung gegenüber den Lernenden gewinnen. Worin ihr Vorsprung dagegen bestehen kann und sollte, ist, dass sie auch ihnen noch kaum bekannte neuere Entwicklungen vor dem Hintergrund ihrer Einsicht in die allgemeinen technologischen Grundlagen und Konzepte hinsichtlich ihrer Bedeutung einzuschätzen vermögen, dass sie wegen ihres theoretischen Grundlagenwissens sich nur jeweils die „obere Schicht“ des Sachwissens neu aneignen müssen und – vor allem – dass sie wissen, wie man sich immer wieder neu „auf den Stand bringen“ kann: dass sie Fachleute für Lernen sind. (Hinwegtäuschen über Wissensdefizite, um seine Sachautorität zu wahren, ist dagegen der schlechteste Weg.)

Der zweite Aspekt von „Vergesellschaftung”, die Bereitschaft, für andere zu lernen, hängt mit dem ersten eng zusammen. Jeder Mensch braucht die Zuwendung anderer Menschen, und nur wenn er sich angenommen weiß, kann er sich auch als ein für andere „wertvolles” Mitglied der menschlichen Gemeinschaft erfahren. Indem Erwachsene Interesse dafür zeigen, womit sich ihre Kinder befassen und welche Fragen sie stellen, wird den Kindern nicht nur Unterstützung hinsichtlich ihrer eigenen Entwicklung zuteil, sondern auch mitgeteilt, dass ihr Lernen etwas ist, das für die Gesellschaft von Bedeutung ist, dass sie als Lernende von der Gesellschaft gebraucht werden.

Beim kleinen Kind ist es die Begeisterung, mit der die Eltern an jedem Lernfortschritt teilhaben, das Interesse der Verwandten, Freunde und Bekannten an der Entwicklung, wodurch ihm gesagt wird: Dass Du Dich mit dieser Sache beschäftigst, ist für uns wichtig. Später sind es dann die Einrichtungen Kindergarten und (vor allem) Schule, in denen das Interesse der Gesellschaft am Lernen der nachwachsenden Generation institutionell verankert ist. In die Schule zu kommen, ist daher für die meisten Kinder ein von ihnen selbst auch so empfundener entscheidender Schritt aus der Familie in die Gesellschaft, an den z.T. hohe Erwartungen geknüpft sind, nun endlich all das lernen zu können, was man schon immer wissen wollte, mit dem sich aber auch eine weitgehende Bereitschaft verbindet, sich den sachbezogenen Leistungsanforderungen auszusetzen, die die Gesellschaft an ihre Kinder richtet.

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Nicht wenige Kinder haben allerdings von früh an die Erfahrung machen müssen, dass sich für ihre Entwicklung niemand interessierte, dass es niemandem wichtig war, was sie lernten. Sie werden auch mit dem Schulbesuch keine großen Erwartungen verbinden. Vor allem aber ist die Schule selbst so strukturiert, dass sie zumindest einem Teil der Kinder und Jugendlichen vermittelt: Euer Lernen genügt den gesellschaftlichen Anforderungen nicht; Euer Mangel an Leistungsfähigkeit macht Euch uninteressant für die Gesellschaft; was Ihr über die Sache zu sagen habt, ist zu vernachlässigen; auf das, was Ihr zu leisten imstande seid, legen wir keinen Wert. „Versagen” in der Schule signalisiert Wertlosigkeit für die Gesellschaft. Diese Erfahrung ist sicher eine der demütigendsten Verletzungen, die einem Menschen mit Bezug auf seine Entwicklung zugefügt werden kann. Wer einmal so abgestempelt ist, sitzt in der Schule höchstens noch seine Zeit ab. Ihm ist die Würde seines Lernens genommen worden.

11.2.3 Defizite auf der Stufe des vierten und fünften Transformationsschritts (Intentionalisierung/Strukturierung)

Im Interesse für eine Sache, in der Fragehaltung, in der Bereitschaft zum Lernen für die Gesellschaft ist eine implizite Sinngebung des Lernens eingeschlossen. Ein Kind kann vielleicht nicht sagen, wozu es lernen will, worin sein Interesse begründet ist, welche Art von Antwort es auf seine Fragen erwartet, in welcher Weise es seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten will. Aber es fühlt sich angesprochen von der Art, wie der Lehrer die Sache thematisiert, oder es ist enttäuscht und verliert die Motivation. In der Regel wird es keinen Sinn haben, Kinder, ja selbst Jugendliche zu fragen, wofür sie sich bei dieser Sache interessieren, was sie über sie lernen wollen. Denn in ihren Antworten werden kaum tiefe Einsichten in die eigene Motivation zum Ausdruck kommen.

In einer wie immer bewussten oder unbewussten Weise liegt der Lernmotivation auch ein Verständnis davon zugrunde, worum es im Leben überhaupt geht bzw. gehen sollte. Dabei spielt sicher eine Rolle, inwieweit die Kinder und Jugendlichen das Gefühl haben können, dass ihre persönliche Lebensperspektive sich in Übereinstimmung befindet mit den von den Erwachsenen vorgelebten Orientierungen bzw. mit gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen. Denn davon hängt ab, wieweit sie bereit sind, ihre persönliche Perspektive in den Unterricht einzubringen, oder sie sich, bezogen auf ihre Lernmotivation, bereits – resignativ – auf den Sinnhorizont zurückgezogen haben, den sie als in dieser Gesellschaft bzw. in dieser Institution realisierbar ansehen, während sie das, was sie wirklich im Innersten angeht, der Initimität ihres Privatlebens vorbehalten.

Es ist immer wieder davon die Rede, dass die Jugendlichen orientierungslos seien. Vielleicht sind die Symptome, die darauf hinweisen, nur Ausdruck dessen, dass sie ihre persönlichen Sinnperspektiven in dem, was in der Gesellschaft offiziell Wert hat und Anerkennung erntet, nicht wiederfinden können oder zwischen den propagierten Werten und den praktizierten eine Differenz besteht, die das öffentliche Reden über Sinn

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unglaubwürdig werden lässt. Dann wäre es die Gesellschaft, welche die Jugendlichen desorientiert hat. Bestenfalls spielen diese dann das Gesellschaftsspiel mit; sind aber nicht „mit dem Herzen” dabei. Die Sache, mit der man sich im Unterricht beschäftigen soll, erscheint unter eben dieser Perspektive: als Teil oder Element des Spiels, mit dem man gemäß den geltenden Spielregeln umgehen zu können lernen muss.

So kann ein Lehrer in einer Berufsschule wohl meist darauf rechnen, dass seine Schüler hinreichend motiviert sind, sich mit den Sachen zu beschäftigen, die für den Erwerb des angestrebten Zertifikats relevant sind. Sie sind daran interessiert zu erfahren, unter welcher Perspektive sie die Sache sehen sollen, aber das heißt nicht unbedingt, dass sie wirklich an der Sache interessiert sind; oder das, was sie eventuell an der Sache interessiert oder interessieren würde (wenn man ihr Interesse weckte), erscheint ihnen als irrelevant für den Unterricht, weil sie gar nicht darauf kommen, dass ihre eigene Sinngebung hinsichtlich der Lernwürdigkeit dieser Sache hier gefragt sein könnte.

Was dann vorliegt, ist eine merkwürdig verschobene, in sich verdunkelte Motivation. Es gibt eine pragmatisch angepasste Motivation an der Oberfläche, die – wahrscheinlich für den Lernenden selbst unbewusst – eine latente oder potenzielle tieferliegende Sinngebung des Lernens nicht nur verdeckt, sondern möglicherweise auch sabotiert. Die Sache wird äußerlich angeeignet und ihrer Struktur fehlt das innere Band, das sie auch mit dem Lernenden selbst verbinden könnte.

Die Ergebnisse der ersten fünf Transformationsschritte lassen auf seiten der Lernenden ein Bild von der Lernwürdigkeit dieser Sache entstehen und bilden die motivationale Voraussetzung, die Lehrer/innen bei ihren SchülerInnen zu berücksichtigen haben. Hier auftretende Defizite können nur nachholend oder kompensierend ausgeräumt oder reduziert werden:

• Aufmerksamkeit und Interesse für die Sache sollten geweckt werden;

• die sachbezogenen Fragen der Lernenden sollten Resonanz erfahren und ernst genommen werden, Vertrauen in die Sachautorität des Lehrers sollte sich entwickeln können,

• die Schüler/innen sollten erfahren können, dass ihre persönliche Zuwendung zu dieser Sache dem Lehrer nicht gleichgültig ist und er sich deswegen über ihre Lernfortschritte, unabhängig vom institutionell vorgeschriebenen Leistungsvergleich, freut,

• die Auseinandersetzung mit der Sache sollte den Schüler/innen Zugang zu ihrer persönlichen Sinnperspektive eröffnen und

• die Struktur der Sache sollte sich als eine Sinnstruktur erweisen, in die der Lernende sich einbinden kann.

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12. Sechster Transformationsschritt: Methodische Transformation – Lernbarmachen der Sache (Lernhilfen)

Wenn eine Sache als lernwürdig erscheint, heißt das noch nicht, dass sie damit auch schon lernbar ist. Hierzu muss sie auch kognitiv-intellektuell erfassbar und verständlich sein. Die Schüler/innen müssen einsehen können, warum und wozu die Sache ihnen vermittelt wird; sie müssen aber auch verstehen können, was ihnen vermittelt wird. Erstes ist notwendig, damit sie den Stoff lernen wollen, zweites ist notwendig, damit sie ihn auch lernen können.

In Abhängigkeit von der Art der zu erwartenden Verständnisprobleme muss ein Lehrer sich Gedanken machen, wie er die Sache für seine Schüler/innen vereinfachen, veranschaulichen oder verlebendigen kann.

Das Problem der Vereinfachung (oder des Fasslichmachens) wird insbesondere hinsichtlich der Vermittlung wissenschaftlicher Aussagen diskutiert: Wie ist Vereinfachung möglich ohne Verfälschung? Wenn eine wissenschaftliche Aussage vermittelt werden soll, die in ihrer Ursprungsgestalt so formuliert oder dargestellt ist, dass die Schüler/innen sie nicht verstehen können, muss deren Darstellungsform so umgewandelt werden, dass sie für Schüler/innen verstehbar oder fasslich wird. Bei diesem Umformungsprozess muss sie verändert, darf aber nicht verfälscht werden.

Dabei kann es sich um eine Veränderung (Vereinfachung) des Inhalts oder um eine Veränderung der Darstellungsform oder um beides zugleich handeln.

12.1 Vereinfachung des Inhalts In der didaktischen Literatur wird die Problematik einer Vereinfachung der Lehrinhalte unter dem Titel Didaktische Reduktion diskutiert. Aus der Fachdidaktik Wirtschaftswissenschaft [Jongebloed 1983] stammt der Vorschlag, die Vereinfachung des Inhalts („didaktische Reduktion“) als Abbau von Informationsgehalt zu begreifen, der wiederum auf zweierlei Weise möglich sein soll:

• als Abbau von Allgemeinheit und/oder

• als Abbau von Bestimmtheit.

Beim Abbau von Allgemeinheit wird eine an sich allgemeiner gültige Aussage auf einen überschaubareren Teilbereich bezogen. Aus dem Satz beispielsweise „Alle wissenschaftlichen Aussagen lassen sich durch Abbau von Allgemeinheit (oder Bestimmtheit) reduzieren” wird der Satz „Alle informatischen Aussagen lassen sich durch Abbau von Allgemeinheit (oder Bestimmtheit) reduzieren.”

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Beim Abbau von Bestimmtheit wird eine differenzierte Aussage undifferenzierter. Aus dem Satz „Alle wissenschaftlichen Aussagen lassen sich durch Abbau von Allgemeinheit (oder Bestimmtheit) reduzieren” wird der Satz „Alle wissenschaftlichen Aussagen lassen sich durch Abbau von Informationsgehalt reduzieren.” (Vgl. [Jongebloed 1983, 390])

Schauen wir uns diese Reduktionen genauer an.

Bei der Reduktion von Allgemeinheit soll der ursprüngliche ausgesagte Sachverhalt erhalten bleiben. Das heißt, die neue Aussage muss ohne Revision in die Ursprungsaussage zurück überführt werden können. Das ist in dem o.g. Beispiel der Fall. Es wäre nicht der Fall, wenn beim Übergang von der Aussage über „alle wissenschaftlichen Aussagen” zu einer Aussage über „alle informatischen Aussagen” Besonderungen eingeführt würden, die nicht für „alle wissenschaftlichen Aussagen” zutreffen, sondern nur für „alle informatischen Aussagen” (zum Beispiel: „… müssen sich operationalisieren lassen.“). Wir haben es beim Abbau von Allgemeinheit also nicht mit dem Schritt vom Allgemeinen zum Besonderen zu tun, sondern mit einem Schritt, in dem das Besondere (die „informatischen Aussagen”) zum Platzhalter für das Allgemeine (die „wissenschaftlichen Aussagen”) wird. Die Besonderheit des Besonderen aber (das, worin sich „alle informatischen Aussagen” von allen anderen wissenschaftlichen Aussagen unterscheiden) ist nicht Inhalt der neuen Aussage.

Bei dieser Art von Reduktion haben wir es also im Endeffekt mit einer Aussage zu tun, die über etwas Besonderes nichts Besonderes (sondern nur zwar Zutreffendes, aber Unspezifisches, also Allgemeines) sagt; die aber das Allgemeine nicht in seiner Allgemeinheit sagt. Im Grunde handelt es sich hierbei um Exemplifizierung des Allgemeinen an einem Besonderen; nur wird das Beispiel nicht als solches eingeführt. Der Sinn der reduzierten Aussage, dass sie nämlich keine spezifische Aussage über ihren besonderen Gegenstand ist, sondern eine aus dem didaktischen Grund der Vereinfachung exemplifizierte allgemeine Aussage, ist nur erkennbar in Kenntnis der Relation von Ursprungsaussage und reduzierter Aussage. Vertretbar scheint sie im Sinne der Ursprungsaussage daher auch nur zu sein, wenn sie zum Ausgangspunkt genommen würde, von dem aus dann zur Ursprungsaussage fortgeschritten wird. So würde man im genannten Beispiel zeigen, dass das, was dort über „alle informatischen Aussagen” gesagt wird, auch für „alle erziehungswissenschaftlichen”, „alle naturwissenschaftlichen Aussagen” und so fort gilt, es also nichts Besonderes ist, was die informatischen Aussagen charakterisiert, sondern etwas Allgemeines, das diese Aussagen mit allen anderen wissenschaftlichen Aussagen gemeinsam haben. Nur so würde die Ursprungsaussage tatsächlich zum Unterrichtsinhalt werden können.

Die durch Abbau von Allgemeinheit hergestellte sogenannte „vereinfachte” Fassung hingegen sagt nicht mehr, was die Ursprungsaussage sagte. Die neue Aussage ist aufgrund des übersichtlicheren Gegenstandsbereichs möglicherweise verständlicher als die Ursprungsaussage; aber sie ist nicht eine verständlichere Fassung der Ursprungsaussage, sondern eine andere Aussage, also auch nicht einfach „weniger von

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demselben” (wie es die Formulierung „Abbau von Informationsgehalt” nahe legt), sondern Übergang vom Allgemeinen zum Besonderen, ohne den damit verbundenen qualitativen Sprung zu vollziehen. Das heißt, der besondere Gegenstand, auf den sich die neue Aussage bezieht („alle informatischen Aussagen”), wird nicht in seiner Besonderheit, sondern als qualitativ von allen anderen wissenschaftlichen Aussagen ununterschiedene und lediglich quantitativ abgeteilte Teilmenge des allgemeinen Gegenstands („alle wissenschaftlichen Aussagen”) vorgestellt – ohne all dies jedoch deutlich zu machen. „Münzgeld stinkt nicht” ist keine „vereinfachte“ Fassung von „Geld stinkt nicht”.

Beim Abbau von Bestimmtheit wird die differenziertere Aussage pauschalisiert. „Abbau von Allgemeinheit (und Bestimmtheit)” wird ersetzt durch „Abbau von Informationsgehalt”. Die neue Fassung könnte jedoch ebenso eine Umformung der Formulierung „Abbau von Allgemeinheit” oder der Formulierung „Abbau von Bestimmtheit” sein. Dann aber wäre sie eine Umkehrung des Abbaus von Allgemeinheit, eine Verallgemeinerung, weil „Informationsgehalt” ein umfassenderer Begriff ist als „Allgemeinheit” oder „Bestimmtheit”, nämlich „Allgemeinheit und/oder Bestimmtheit” meint. Ich kann die neue Fassung wiederum nur als reduzierte Fassung der Ursprungsaussage auffassen, wenn ich diese bereits kenne, d.h. wenn ich weiß, dass in diesem Falle „Informationsgehalt” für die differenziertere Aussage steht, die beide möglichen Bestimmungen von Informationsgehalt umfasst. Das würde jedoch erst klar, wenn der Begriff Informationsgehalt von vornherein mit der differenzierteren Bedeutung durch den Adressaten besetzt oder die differenziertere Bedeutung im Laufe des Unterrichts erarbeitet würde. Dann aber läge kein Abbau von Informationsgehalt mehr vor.

Wenn also mit dem Begriff „Informationsgehalt” „Allgemeinheit (und Bestimmtheit)” gemeint ist und dies Gemeinte auch verstanden wird, findet kein Abbau von Informationsgehalt durch die Umformulierung statt. Der Satz wird nur übersichtlicher. Wenn aber unter dem Begriff „Informationsgehalt” nicht „Allgemeinheit (und Bestimmtheit)” von den Schüler/innen verstanden wird, fragt sich, welche Bedeutung der Begriff in ihrem Verständnis dann stattdessen hat. Ich vermute: entweder keine (die Schüler/innen wissen nicht, was der Begriff besagt) oder eine andere (die Schüler/innen verstehen den Begriff anders, als er gemeint ist). Mit Vereinfachung hat das dann aber nichts mehr zu tun, sondern mit der Provokation von Verständnislosigkeit oder Missverständnissen.

Zusammenfassend: Die vorgeschlagene wissenslogische Bestimmung von Vereinfachung gibt didaktisch nichts her. „Abbau von Informationsgehalt“ bezeichnet keine Operation didaktischer Vereinfachung. (Eher das Gegenteil)

Dennoch ist wohl unbestreitbar, dass viele, eben vor allem wissenschaftliche Inhalte, zu schwierig sind, um auf jeder Bildungsstufe vermittelt zu werden. Man muss dann prüfen, worin die Schwierigkeiten begründet liegen und ob sie auszuräumen sind. Ist letzteres nicht der Fall, können sie eben (noch) nicht zum Unterrichtsinhalt werden.

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12.2 Vereinfachung der Darstellung 12.2.1 Vereinfachung der Sprache Relativ einfach liegt die Sache, wenn es sich um terminologische Schwierigkeiten handelt. Die Wissenschaften (aber auch z.B. berufliche Praxisbereiche) haben ihre eigenen Fachsprachen entwickelt, die die Kommunikation der „Insider” zwar erleichtern, aber die Kommunikation mit Außenstehenden erschweren. Das gilt für die Informationstechnik in besonderem Maße.

Die zu behandelnde Sache sollte zuerst in einer den Schüler/innen verständlichen Sprache vorgestellt werden. Vorliegende Aussagen und Darstellungen, die diese Forderung nicht erfüllen, müssten erst „übersetzt” werden oder zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen werden. Ist der Gebrauch einer Fachterminologie unumgänglich (z.B. weil ihre Beherrschung selbst ein Unterrichtsziel ist, etwa in der beruflichen Bildung), sollte sie – ausgehend vom Wortschatz der Schüler/innen – behutsam eingeführt werden, und zwar immer erst, nachdem der durch einen Fachterminus zu bezeichnende Sachverhalt behandelt wurde. Wird erst der Begriff eingeführt und dann die damit bezeichnete Sache, kann die Beschäftigung mit der Sache durch das einleitende „Vokabellernen” schnell ihren Motivationsgrund verlieren.

Die „Übersetzung“ der Fachterminologie in Alltagssprache hat gerade bei der Informationstechnik allerdings auch ihre Tücken. Viele Termini kommen hier aus der Alltagssprache, erhalten aber eine neue, spezifische technische und fachliche Bedeutung. Die Differenz zwischen dem alltagssprachlichen Wortgebrauch und der Fachterminologie kann leicht verschwimmen. Operationen etwa wie read und write mit den Begriffen für die menschlichen Kulturtätigkeiten des Lesens und Schreibens zu „übersetzen“, verführt dazu, entweder dem Computer die Fähigkeit zu solchen Kulturleistungen zuzuschreiben oder die menschlichen Tätigkeiten nach dem Vorbild des Computers zu interpretieren. Das Bemühen um sprachliche Vereinfachung darf also nicht zur Verdeckung des Unterschieds zwischen Alltagssprache und Fachsprache führen.

Zur Bemühung um eine verständliche Sprache gehört auch, unnötig verschachtelte und grammatisch komplizierte Satzgebäude aufzulösen in einfache, überschaubare Sätze.

12.2.2 Übersichtlichkeit der Darstellung Übersichtlichkeit bezieht sich auf die Darstellung der Sache in ihrer inneren Systematik und ihrem Aufbau. Eine Aufgliederung des zu behandelnden Sachbereichs in überschaubare Einheiten bei gleichzeitiger überblicksartiger Darstellung ihres Zusammenhangs kann für die Orientierung hilfreich sein. Nicht nur der Lehrende

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sollte wissen, „wo“ im Sachgebiet der Informationstechnik sich der Unterricht gerade „aufhält“.

Welche Abfolge im Aufbau zu bevorzugen ist, hängt davon ab, welches Strukturierungsprinzip im Vordergrund stehen soll. Geht es darum, den Schüler/innen wissenschaftliche Aussagen nahezubringen, wird sich der Aufbau eher an der wissenschaftlichen Systematik orientieren; geht es aber um Einsicht in praktische Abläufe, wird sich der Aufbau am Prozessverlauf orientieren.

Immer ist dabei aber zu ermöglichen, dass die Lernenden ein Verständnis der Sache aufbauen können. Dazu müssen sie das Präsentierte anschließen können an etwas, das sie mitbringen. Es nützt nichts, wenn der (systematische, prozessuale) Aufbau an sich zwar stimmig ist, die Schüler/innen ihm aber nicht folgen können, weil ihnen das Vorwissen oder die Vorerfahrungen fehlen, um die ihnen vorgesetzte Aufbaulogik nachvollziehen zu können.

Bücher führen ihren Aufbau durch Inhaltsverzeichnis und Kapiteleinteilung denen, die mit ihnen lernen, ständig vor Augen. Bewegt sich der Unterricht aber nicht an einem Buch entlang, fehlt ihm aus der Perspektive der Lernenden oft diese Orientierung. Das Gleiche gilt, wenn Medien mit nicht-linearen Aufbaustrukturen eingesetzt werden wie das Internet bzw. Hypertexte. Es ist in solchen Fällen hilfreich, wenn der Lehrende deutlich macht, welche Schritte auf dem Weg der Inhaltsvermittlung er sich vorgenommen hat, und immer wieder eine „Positionsbestimmung“ vornimmt. (Zum Beispiel enthalten alle Folien zu dieser Vorlesung die jeweilige Gliederung mit farblicher Hervorhebung des Gliederungspunktes, an dem man sich gerade befindet. Analog könnte dies auch auf einer entsprechenden Tafelanschrift oder auf einem Poster fortlaufend markiert werden. Zur Wichtigkeit der Navigationshilfen für Hypertext-Medien vgl. 6. Kapitel des Skriptes zur Vorlesung über „Technische Netzwerke und virtuelle Räume der Bildung“)

12.3 Veranschaulichung Ganz wichtige Verständnishilfen sind alle Formen der Veranschaulichung, mittels derer der kognitive Prozess der Sacherfassung durch Ansprechung der Sinne unterstützt wird. Im Vordergrund steht in der Regel die Visualisierung (Verbildlichung) von Sachverhalten, beispielsweise in grafischen Darstellungen, Illustrierungen, dreidimensionalen Modellen. Sie helfen, Übersicht zu bewahren, wichtige Grundstrukturen hervorzuheben; sie unterstützen das Behalten, weil das, was man auch gesehen hat, sich besser einprägt als das, was man nur gehört hat. „Ein Bild”, heißt es, „sagt mehr als tausend Worte” – was natürlich Unsinn ist, weil es nur in Begleitung von tausend, ausgesprochenen oder unausgesprochenen, Worten etwas sagt. Kein Bild und keine Grafik kann das Wort ersetzen; aber sie können das Gesagte in einer Figur zusammenfassen, die dann all das Gesagte oder zu Sagende in sich symbolisiert. Zur

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Veranschaulichung im weiteren Sinne gehören im Prinzip aber auch alle anderen Weisen, zusätzliche Sinne anzusprechen, also z.B. der Einsatz von Geräuschen, von Gerüchen, Tastempfindungen usw. (was z.B. bei blinden oder sehbehinderten Kindern und Jugendlichen wichtig ist).

Das leitet über zur Frage des Medieneinsatzes.

12.3.1 Medieneinsatz Veranschaulichung ist die Domäne der Medien. Streng genommen ist natürlich jeder Text ein Medium, ganz gleich, in welcher Weise er dargeboten wird. Da der Text aber durch den Lehrer sprechend unmittelbar präsentiert werden kann, ohne Zuhilfenahme weiterer Hilfsmittel, liegt der besondere Gewinn des Medieneinsatzes in den Präsentationsmöglichkeiten, die über das gesprochene Wort hinaus gehen: der visuellen Darstellung und der akustischen Darstellung, soweit diese nicht bloß im gesprochenen Wort besteht. Wenn auch der Lehrer selbst und was er tut mit guten Gründen als Medium bezeichnet werden könnten, so ist doch üblich, als Medien nur Mittel zu bezeichnen, die im Unterricht zusätzlich zu oder an Stelle einer lehrenden Person eingesetzt werden, um Inhalte zu präsentieren. Mit den Medien erhält der Unterricht einen stärkeren technischen Akzent: Materialien, Instrumente, Geräte usw. kommen ins Spiel.

Der übliche Gebrauch des Begriffs Medium muss als verwirrend erscheinen, weil er je nach vorausgesetztem Verständnis-Kontext von Sprecher/innen und Hörer/innen Unterschiedliches meint. Wenn von den Neuen Medien die Rede ist, ist meist die eingesetzte Medientechnik gemeint: Laptop, Netzwerke, Beamer, Software. In didaktischer Hinsicht aber sind Medien die Präsentationsformen von Lerninhalten. (Die Rolle von Medien als Mittel der Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden und der Lernenden untereinander soll hier außer Betracht bleiben.)

Medien als Präsentationsformen von Lerninhalten sind geprägt durch

• gegenstandsbezogene didaktische Absichten: Auf welche Aspekte des Gegenstandes soll durch diese Präsentationsform die Aufmerksamkeit gelenkt werden?

• Rezeptionsbedingungen der Lernenden: An welchem Vorwissen, welchen Vorerfahrungen der Schüler/innen kann angesetzt werden? Auf welcher Interessens-Ebene sind die Schüler/innen erreichbar?

• technische Bedingungen und Möglichkeiten: Welche Sinne können bzw. sollen technisch angesprochen werden (was sowohl von den gegenstandsbezogenen Absichten als auch von den Rezeptionsbedingungen abhängt)?

Wichtig ist nun, dass die Wahl der Medientechnik keineswegs beliebig ist. Die Medientechnik ist nicht nur zwar unverzichtbare aber austauschbare materielle

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Grundlage des Mediums, sondern sie ist mitbestimmend für die Art und Weise, in der das Objekt überhaupt repräsentiert werden kann, und damit auch für die möglichen Ausrichtungen der Aufmerksamkeit im Lehr-Lernprozess. Mit der Wahl der Medientechnik werden daher auch pädagogische Entscheidungen getroffen.

Wir müssen diese technische Seite des Mediums nach zwei Seiten hin betrachten, entsprechend den zwei Seiten, die das Medium als Vermittlungsinstanz zwischen Lerner und Lernobjekt aufweist. Nach der einen Seite hat das Medium jene Bestimmungen des Objekts zu repräsentieren, auf die im Lernprozess die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll. Nach der anderen Seite hat das Medium die Wahrnehmungsorgane des Lerners anzusprechen, durch die dieser die Präsentation aufnehmen kann und soll (Auge, Ohr, Tastsinn …). Zwischen beidem besteht nicht unbedingt immer eine zwingende, aber auch in der Regel keine beliebige Beziehung.

Für konkret-sinnliche Eigenschaften des Objekts (wie Farbe, Geruch, Haptik, Form, Bewegung im Raum, Klang usw.) lassen sich primäre Sinne und Wahrnehmungsorgane bestimmen, über die sie für die Lernenden zugänglich werden. Man spricht hier auch von „Modalität“. Und in Bezug auf den Computer wird dann oft hervorgehoben, dass über ihn eben verschiedene „Rezeptionskanäle“ für das Lernen genutzt werden können, was dessen Effektivität etwa in Bezug auf Behaltensleistungen zugute komme. [Weidenmann 1994; 1995]

Will man die Lernenden möglichst ohne Umwege erreichen, wird man Medien einsetzen, die eben jene Sinne direkt ansprechen, die sich auf die darzustellenden Objekteigenschaften beziehen. Zwingend ist dies allerdings nicht. Denn grundsätzlich besteht immer auch die Möglichkeit, die Vorstellungskraft der Lernenden anzusprechen, also ihnen beispielsweise eine Landschaft in einem Text so zu beschreiben, dass sie selbst eine bildliche Vorstellung von ihr hervorbringen können.

Was dann greift, ist ein sozusagen sekundärer Sinn oder sekundäres Wahrnehmungsorgan, nämlich das geistige Vermögen des Menschen mit dem Gehirn als „Denkorgan“, das nicht darauf verwiesen ist, dass symbolische Repräsentationen in fertiger Form präsentiert werden, sondern selbst solche Repräsentationen aus dem ihm gebotenen Material erzeugen kann.

Dieses „Material“ ist allerdings von anderer Art als das Material für die primären Sinne, nämlich immaterieller, geistiger Art. Das geistige Vermögen anzusprechen, bedarf es zwar grundsätzlich ebenfalls eines sinnlichen Zugangs, aber keiner spezifischen Sinnesansprache. Es dominiert sicherlich der visuelle und auditive Zugang zu Texten; doch können Gedanken außer in zu lesender und zu hörender auch in zu tastender Schrift objektiviert werden (Blindenschrift); warum sollten prinzipiell nicht abstrakte Symbolsysteme sogar für den Geruchs- oder Geschmackssinn entwickelt werden können?

Die Indifferenz des geistigen „Stoffs“ gegenüber dem wahrnehmenden Sinn und damit auch gegenüber dem materiellen Träger des Mediums führt in Bildungsgängen,

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die primär auf kognitive Zugänge zum Lernobjekt setzen bzw. auf Zugänge zur kognitiven Struktur des Lernobjekts, zu einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber den anzusprechenden Sinnesmodalitäten und damit auch gegenüber den medialen Präsentationsformen. Dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften der Text dominiert, in der Mathematik und den Naturwissenschaften die Formel und in den Ingenieurwissenschaften die technische Zeichnung, ist Ausdruck der unterschiedlichen jeweils vorherrschenden Abstraktionsformen, hat aber nichts damit zu tun, dass bei den einen mehr als bei den anderen die primären Sinne angesprochen werden sollten. Das Auge ist – der Intention nach, faktisch mag dies durchaus anders sein – gleichsam nur als Durchgangsportal gefragt, nicht weil visuelle Sinnesqualitäten von Bedeutung wären.

Was in dieser in unseren Bildungseinrichtungen vorherrschenden Gleichgültigkeit gegen die Sinnesmodalitäten der Gegenstandspräsentation sich zeigt, ist, dass Bildung immer noch vor allem als Vermittlung gesellschaftlich bereits vorhandenen Wissens an die Lernenden verstanden wird, weniger als eigentätiger Aufbau von Wissen durch den Lernenden selbst, wie es traditionsreiches pädagogisches Verständnis von Bildung ist (auch wenn diese alte Erkenntnis neuerdings als konstruktivistische Entdeckung ausgegeben wird). Die Lernenden werden sogleich auf die Ebene der Abstraktionen geführt, wenn etwa die erste Präsentation eines fremden Landes als Landkarte daherkommt. Ob und wie diese Abstraktionen mit ihrer eigenen sinnlich vermittelten konkreten Welterfahrung zusammenhängen, wird – wenn überhaupt – zur sekundären Angelegenheit. Wenn in solchem Kontext dann ungewohnte mediale Sensationen aufgefahren werden wie bewegte Elemente, Geräusche und dergleichen, sind sie oft nicht von der Sache her begründet, sondern dienen eher der Aufmerksamkeitserregung.

Ein Großteil der Lernobjekte, mit denen Lernende sich auseinanderzusetzen haben, stammt nicht aus ihrer eigenen Erfahrungswelt. Die Präsentation stellt dann eine erstmalige Begegnung mit dem Objekt dar, das entsprechend erst einmal als für die Sinne konkret existierend erfahren werden sollte, bevor seine abstrakten Merkmale thematisiert werden. Zoologische Präparate zum Beispiel gehörten dementsprechend seit je zum Medienarsenal des Biologieunterrichts, nicht zuletzt um Kinder mit dem Aussehen von Tieren vertraut zu machen, die sie aus eigener Anschauung bis dahin nicht kannten. Das ändert, wie schon die Bezeichnung sagt, nichts daran, dass es sich bei der gezielten Ansprache der Sinne um pädagogisch motivierte Präparationen handelt: Die Repräsentation bleibt, in welcher medialen Gestalt auch immer sie auftritt, unterschieden vom Repräsentierten. Für diese pädagogisch motivierte Differenz gilt es Verantwortung zu übernehmen.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass bei der Medienwahl grundsätzlich zuerst einmal zu klären ist, auf welche Bestimmungen des Lernobjekts die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll:

• Sind es (1) die allgemeinen und daher nur geistig zu erfassenden Bestimmungen, für die eine adäquate Repräsentationsform gefunden werden muss?

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• Oder sind es (2) seine sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften?

Im ersten Falle muss die sinnliche Ebene eine Art Transparenz aufweisen, indem die mediale Form lediglich den Zugang zur geistigen Ebene öffnet, wie wir dies vor allem beim Lesen kennen, wenn Worte und Sätze nicht mehr mühsam zu entziffern sind, sondern direkt in ihrem Bedeutungsgehalt erfasst werden können.

Im zweiten Falle dagegen darf, ja soll die mediale Form an den Sinnen gleichsam hängenbleiben.

Wo im ersten Falle eine starke Ansprache der Sinne geradezu störend wirken kann, weil sie das zu Repräsentierende (den geistigen Gehalt) verstellt, kann sie im zweiten Falle gefordert sein, um das zu Repräsentierende (die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften) zur deutlichen Präsenz zu bringen.

12.3.2 Anschaulichkeit und Abstraktion Für die Informationstechnische Bildung wird hier ihre Nähe zur Medienbildung bedeutsam. Die Neuen Bildungsmedien sind Mittel des Unterrichts, aber sie fallen auch in seinen Gegenstandsbereich. Hierbei kann der Computer eine Medientechnik sein, die genutzt wird, um Präsentationsformen der Informationstechnik zu erzeugen und darzustellen, wie dies in anderen Fächern mit anderen Gegenständen ebenfalls getan wird. Der Computer kann aber auch selbst schon als Präsentationsform von Informationstechnik eingesetzt werden: „Dies ist die Sache, mit der wir uns beschäftigen werden.“

Aber ist es wirklich der im Unterricht eingesetzte Computer, der Gegenstand der Informationstechnischen Bildung ist? Als PC ist er eine ihrer möglichen Erscheinungsformen; und indem ein Exemplar präsent ist, kann man die Sache, um die es gehen soll, sehen, anfassen, mit ihr etwas machen. Doch ist der PC generell, dieser spezielle PC im Besonderen nur ein Beispiel, eben „exemplarisch“ für etwas Allgemeineres, das die Lernenden trotz seiner Präsenz nicht sehen und anfassen können: für Ideen, Konzepte, Strukturen usw., die also trotzdem erst noch veranschaulicht werden müssen, weil dieser Computer dort nicht ihre Veranschaulichung ist.

Daraus entsteht die charakteristische Schwierigkeit, die generell für das exemplarische Prinzip schon herausgestellt wurde: dass einerseits die Präsenz des Computers motivierend sein kann; es gibt da „die Sache“ zu sehen, und man kann sie anfassen und etwas mit ihr machen. Dass andererseits aber dieser Computer eben doch noch nicht „die Sache“ in ihrer Allgemeinheit ist, sondern sich lediglich an ihm etwas davon verdeutlichen lässt. Und genau dazu muss nun wieder abgesehen werden vom „anschaulichen“ Ding und die Aufmerksamkeit von ihm abgezogen werden, um nun „Veranschaulichungen des Abstrakten“ wie Strukturdiagramme, Formeln, Texte einzusetzen.

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Die kann ich wieder am Computer produzieren und darstellen; aber dann ist der Computer nur Präsentationsmedium wie in jedem anderen Fach auch.

Soll also die motivierende Wirkung des anschaulich präsenten Computers genutzt, dennoch aber zu den allgemeinen Inhalten fortgeschritten werden, müsste der Unterricht so angelegt sein, dass der handfeste Umgang mit dem Computer zu Problemen und Fragestellungen führt, die sich nur bearbeiten und beantworten lassen, wenn man wieder in eine theoretisierende Distanz zu ihm tritt und die Aufmerksamkeit auf das richtet, was sich nur in der Distanz der Theorie erschließt.

Was damit beschrieben ist, sind die ersten beiden Transformationsschritte: Distanzierung/Problematisierung und Erwachen einer Fragehaltung, jetzt aber nicht als Voraussetzungen, an denen der Unterricht bereits ansetzen kann, sondern als Voraussetzungen des Lernens, die er in seinem eigenen Rahmen erst schafft. (Es handelt sich also gleichsam um die Nachholung dieser Schritte didaktischer Transformation.) Zugleich ist damit ein Weg beschrieben, wie das Problem exemplarischen Lehrens und Lernens angegangen werden kann. Schließlich zeigt sich hier wieder, dass ein instrumentell-pragmatischer Zugang zur Sache nicht eine Alternative zum theoretischen Zugang, sondern eher dessen motivationale Vorstufe darstellt, was zudem auch die Alternative von Praxis- und Wissenschaftsprinzip fraglich werden lässt.

12.3.3 Verlebendigung Letztlich ist eine wirkliche Aneignung der Sache nur möglich, wenn der Lernende sie für sich selbst auch verlebendigen, und d.h. in einen Bezug zu seinem eigenen Leben setzen kann. Die Verlebendigung ist schon fast identisch mit dem abschließenden Transformationsschritt der persönlichen Aneignung und insofern nur durch den Lernenden selbst zu leisten: in ihm muss die Sache ihr Leben entfalten; seine Lebendigkeit muss durch sie angesprochen werden. Aber der Lehrer kann etwas tun, um dies zu unterstützen: die Sache in den persönlichen Horizont des einzelnen Lernenden einbringen, sie zu dessen Sache machen, indem er sie ihm übereignet, indem er sie zu einem Bestandteil seines Lebens zu machen versucht bzw. vorführt, wie sie sich als ein solcher ausnimmt, etwa durch Beispiele, in denen der angesprochene Lernende vorkommt und die tatsächlich aus seinem Leben gegriffen sein könnten. Ob der Lernende sie dann auch wirklich annimmt, liegt außerhalb seiner Macht.

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13. Siebter und achter Transformationsschritt: Aneignung und Praktischwerden

Mit dem siebten Transformationsschritt kommen wir zu dem Punkt, an dem sich entscheidet, ob der Unterricht erfolgreich war. Zugleich aber sind dies die Transformationen, die nur die Lernende selbst vollziehen können. Hier endet also die Tätigkeit des Lehrens im engeren Sinne und geht sie über in die Tätigkeit des Ermöglichens von Lernen.

Schon die methodische Transformation ist darauf gerichtet, Lernen zu ermöglichen, indem sie zu vermitteln versucht, dass es sich lohnt, sich mit Informationstechnik zu beschäftigen; und dafür sorgt, dass dies unter den Voraussetzungen, die die Lernenden mitbringen, gelingen kann. Dabei ist die methodische Transformation weiterhin zugleich auf die Sache gerichtet: sie transformiert die Sache Informationstechnik so, dass ihre Lernwürdigkeit aufscheinen und ihre Lernbarkeit erfahren werden kann. Jetzt wird die Fortführung der didaktischen Transformation der Sache, soweit sie aus der Perspektive des Lehrens (der beiden „oberen“ Transformationslinien) erfolgt ist, sozusagen „übergeben“ an die Lernenden, damit diese sie erfolgreich zu Ende führen. So gesehen, war alles nur Vorbereitung für diese beiden abschließenden Schritte.

Aneignung heißt: Wurde wirklich gelernt, was gelehrt worden ist? Praktischwerden heißt: Können die Schülerinnen und Schüler das, was sie gelernt haben, im Leben umsetzen?

Dass nun alles von den Schülerinnen und Schülern abhängt, heißt nicht, dass damit alle didaktischen Möglichkeiten der Lehrenden erschöpft seien. An der Transformation der Sache haben sie nicht weiter teil; aber durch Gestaltung der Lernbedingungen können sie einiges tun, um den Schritt der Aneignung zu unterstützen. Wir befinden uns damit weiterhin in dem Bereich der Lehreraktivität, die gewöhnlich unter den Begriff Methodik subsumiert wird: Methodik erschöpft sich nicht in der methodischen Transformatrion der Sache; sie umfasst darüber hinaus die Gestaltung der Bedingungen für ihre Aneignung durch die Lernenden.

Erst wenn diese die Schule verlassen, wenn also das Gelernte seine Bedeutsamkeit für das Leben erweisen muss, endet wirklich die didaktische Tätigkeit aus der Perspektive des Lehrens.

13.1 Aneignung Aneignung sagt vom Wort her: dass die Lernenden sich das, was ihnen durch Lehre angeboten wird, die in den verschiedenen zuvor erörterten Schritten didaktisch

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transformierte Gestalt der Informationstechnik, zu eigen machen. Dies ist eine Aktivität und nichts, was den Lernenden gleichsam durch das Lehren geschieht.

13.1.1 Aktivierende Lehrformen Dass Lernen eine Aktivität der Lernenden und nicht eine Wirkung des Lehrens ist, ist eine alte pädagogische Einsicht. Insbesondere die Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts hat die Bedeutung der Selbsttätigkeit, Selbstorganisation und Selbstregulierung des Lernens betont und in Reformkonzepte umgesetzt, die nicht nur in besonderen reformpädagogischen Einrichtungen (bis hin zur Alternativschulbewegung der 70er/80er Jahre) realisiert wurden, sondern auch die sogenannte Regelschule nachhaltig beeinflusst haben.

In neueren Veröffentlichungen zur Informationstechnischen Bildung ist im Zusammenhang mit der Erörterung von Fragen der methodischen Unterrichtsgestaltung von einem „Paradigmenwechsel“ die Rede, der sich neuerdings, unter dem Einfluß des Vordringens der neuen computerbasierten Medien, vollzogen habe: „von der Instruktion zur Konstruktion“. [Hubwieser 2001, 10f.; Humbert 2006, 37-39] Dabei bezieht man sich meist auf einen sog. „gemäßigten Konstruktivismus“ [Hubwieser 2001, 10], der in der deutschen didaktischen Diskussion von Mandl und seinen Mitarbeiter/innen als Konzept etabliert worden ist. [Mandl/Reinmann-Rothmeier 1996]

Damit ist gemeint, dass ein „altes Paradigma“ den Lernprozess im wesentlichen als Übertragung eines kognitiven Wissensbestandes vom Lehrenden auf den Lernenden verstanden habe, während das „neue Paradigma“ das Lernen als eine schöpferische Tätigkeit begreife, durch die der Lernende Wissen und Können aktiv aufbaue („konstruiere“). Entsprechend komme es bei der Gestaltung des Unterrichts darauf an, die Lernenden bei ihrer konstruktiven Lerntätigkeit zu unterstützen: ihnen einen organisatorischen Rahmen für selbstorganisiertes Lernen zur Verfügung zu stellen, Mittel für selbsttätiges Lernen an die Hand zu geben, als Berater und Helfer bereit zu stehen, wenn Beratung und Hilfe benötigt werden; insgesamt eine das aktive Lernen fördernde „Lernumgebung“ zu schaffen.

Dass solche Prinzipien derzeit als „neues Paradigma“ dargestellt werden können, obwohl sie doch seit mindestens hundert Jahren zum reformpädagogischen Traditionsbestand gehören, hat m.E. mehrere Gründe:

• Die Pädagogik als Disziplin hat sich weitgehend aus der Diskussion um die Bedeutung der Informationstechnik für die Bildung abgemeldet bzw. gar nicht erst auf sie eingelassen. Deshalb ist auch ihr Traditionsbestand dort nicht präsent. Ihre Stelle wird inzwischen fast vollständig von der Lernpsychologie eingenommen. Der viel beredete Paradigmenwechsel ist ein Paradigmenwechsel ausschließlich innerhalb der Lernpsychologie.

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• Die Schule als gesellschaftliche Institution in staatlicher Trägerschaft stellt den Unterricht in die Spannung von gesellschaftlichem und pädagogischem Auftrag. In Wahrnehmung ihres gesellschaftlichen Auftrags hat sie den Unterricht auf Vorgaben zu verpflichten, die auf der „oberen“ Transformationslinie des Strukturschemas entwickelt werden. Die Organisation der Schule ist weitgehend dazu da, dafür zu sorgen, dass Unterricht sich auch tatsächlich an diese Vorgaben hält, dass die Leistung der Schülerinnen und Schüler (also die Erfüllung des ihnen zukommenden gesellschaftlichen Lernauftrags) gemessen und verglichen wird und eine entsprechende Selektion stattfindet. Reformpädagogische Ideen haben seit je mit dieser institutionellen Ausrichtung der „Regelschule“ kollidiert. In der Schulrealität waren Prinzipien wie Selbstverantwortung und Selbstregulierung des Lernens tatsächlich nicht gerade stilprägend. Gegenüber der traditionellen Schulrealität kann daher das konstruktivistische Paradigma als „neu“ erscheinen.

• Eine pädagogische Reformierung auch der Regelschule hat dennoch in den letzten Jahrzehnten stattgefunden. Reformpädagogische Intentionen haben eine gewisse Berücksichtigung erfahren und prägen heute in weitaus stärkerem Maße auch den Schulalltag als vor 50 oder gar 100 Jahren. Der Gegensatz zwischen gesellschaftlichem und pädagogischem Auftrag der Schule hat sich abgeschwächt. Unter dem Einfluss des Vordringens der Informationstechnik schwächt er sich weiter ab, weil bestimmte Voraussetzungen der traditionellen Schulstruktur nicht mehr gegeben sind und diese daher an Legitimation verliert; so insbesondere die Kompetenz der Schule dafür, vorherbestimmen zu können, welches Wissen und welche Fähigkeiten in unserer Gesellschaft in Zukunft benötigt werden. Die Verantwortung für eine dauerhaft tragfähige Bildung kann von der Schule in immer geringerem Maße wahrgenommen werden. Deshalb verschiebt sich die Anforderung, welche die Gesellschaft an die Lernenden richtet, von der Erfüllung fester Vorgaben hin zur Fähigkeit, sich selbst um einen stets angemessenen und lebenslangen Lernprozess zu kümmern. „Neu“ ist also, dass der traditionelle pädagogische Auftrag jetzt weitgehend zur gesellschaftlichen Anforderung geworden ist.

Es bleibt jedoch ein großer Unterschied zwischen dem „neuen“ lernpsychologischen Paradigma und den traditionellen pädagogischen Bildungskonzepten: Um Selbstbestimmung geht es dem neuen Paradigma nicht. Selbsttätigkeit, Selbstorganisation, Selbstregulierung, Selbstverantwortung sind die Stichworte. Sie bezeichnen eher formale Qualitäten. Die inhaltlichen Anforderungen kommen auch hier von außen, nur jetzt (wieder) direkt von den gesellschaftlichen und technischen Veränderungen her und nicht mehr vermittelt, gefiltert, transformiert über schulische Vorgaben. Aus dieser Vermittlungsaufgabe der didaktischen Transformation beginnt die Schule sich zu verabschieden; und das „neue“ Paradigma liefert hierzu die Legitimation. Die Aktivität, die es vorsieht, ist Re-Aktivität: Die Fähigkeit soll unterstützt werden, sich je situativ auf die unvorhersehbaren und sich ständig

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wandelnden Anforderungen lernend einzustellen, welche von der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung ausgehen.

Selbstbestimmung im pädagogischen Verständnis hatte dagegen immer eine inhaltliche Qualität, welche es durch die Lernenden selbst mit Gehalt zu füllen gelten sollte: die Sinnbestimmung erfüllter humaner Existenz. An dieser sich selbst bestimmenden Humanität waren demnach auch immer die gesellschaftlichen Verhältnisse zu messen. Bildung stand in einem grundsätzlich kritischen, distanzierten Verhältnis zur sozialen Realität; sie sollte die Fähigkeit begründen, aktiv nicht lediglich sein Lernen, sondern die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse im humanen Sinne zu gestalten. Eben dies brachte sie grundsätzlich in ein Spannungsverhältnis zu jeglicher Form gesellschaftlicher Inanspruchnahme des Lernens.

Der theoretische Hintergrund des „neuen“ Paradigmas blendet dagegen solche Fragestellungen aus. Die Spannung zwischen gesellschaftlichem und pädagogischem Auftrag ist in ihm eliminiert, weil die pädagogische Dimension des Auftrags eliminiert ist.

Diese kritischen Bemerkungen ändern nichts daran, dass auf der Ebene der formalen methodischen Bestimmungen ein hohes Maß an Übereinstimmung besteht zwischen (reform-)pädagogischen und lernpsychologisch-konstruktivistischen Vorschlägen zur Aktivierung des Lernens:

• Rahmen für selbstorganisiertes und selbstreguliertes Lernen schaffen; das bedeutet Grenzen ziehen, Freiraum geben, Lernanlässe schaffen; Raum für Bildung schaffen;

• Möglichkeit einräumen, sich Wissen und Können selbst zu erarbeiten und mit ihm zu arbeiten; Eigeninitiative, Kreativität und Selbsttätigkeit unterstützen;

• Ressourcen zur Verfügung stellen; materielle Ausstattung sicherstellen;

• formale Qualifikationen und Techniken selbständigen Arbeitens vermitteln; Unabhängigkeit von Anleitung und Hilfe fördern;

• Funktionalität, Nutzen und Sinn des Zu-lernenden bzw. Gelernten erfahrbar und beurteilbar werden lassen; Praxis- und Lebensbezug herstellen;

• abschluss- und ergebnisorientiertes Arbeiten anregen; erfolgreiche Abschlüsse des Lernens fördern; Lernerfolg in Produkten sichtbar machen;

• Möglichkeiten zur Selbstevaluierung des Lernerfolgs durch die Lernenden anbieten; Selbstkontrolle statt Fremdkontrolle;

• Rückmeldung über Verlauf und Ergebnis der Lernprozesse geben; soziales Feedback; auch Öffentlichkeit herstellen;

• Teamarbeit unterstützen; soziale Dimension individueller Leistung anerkennen;

• Anlässe schaffen zur Reflexion über den Sinn des eigenen Tuns und Lernens.

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13.1.2 Produktives Lernen Verstehen wir Lernen als Tätigkeit, so erweist sich sein Erfolg an der Wirksamkeit dieser Tätigkeit. Dieser Erfolg ist, soweit er in Kompetenzentwicklung besteht, etwas dem Lernenden Innerliches und daher nicht unmittelbar sichtbar. Er „zeigt“ sich letztlich in der Realisierung der Kompetenz, wofür man den Begriff Performanz gebraucht. Damit ist das sichtbare Verhalten gemeint, das man auf ein ihm zu Grunde liegendes Vermögen (Kompetenz) zurückführt. Dies Verhalten wiederum steht immer in Kontexten und kann als wirksam und sinnvoll nur beurteilt werden in seinem Kontext, d.h. dadurch, wie es in diesem Kontext wirkt: welche Ergebnisse (Folgen, Veränderungen, Produkte …) es zeitigt. All dies gehört zum Praktischwerden des Gelernten und und insofern zur Rückkehr des Lernenden aus der Schule in seine Lebenswelt.

Für die meisten Lernenden ist Lernen als Selbstzweck nicht hinreichend motivierend. Sie benötigen zur Bestätigung, dass ihr Lernen – soweit es mit aktiver, willentlicher Anstrengung verbunden ist – sich lohnt, eines Erweises seiner realen Bedeutung. Dies kann eine soziale Antwort auf ihr Lernen sein; und die Beurteilung durch Lehrende in der Schule erfüllt diese Anforderung insoweit schon ein wenig; es kann aber auch das Sichtbarwerden des Lernerfolgs an einer performanten Wirkung sein, die in den Augen des Lernenden selbst (sowie der für ihn wichtigen sozialen Umgebung) etwas Wertvolles ist. Solches Lernen wird im positiven Sinne als produktiv empfunden: es führt zu etwas, es bewirkt etwas, es bringt etwas hervor.

Und doch: Lernen unterscheidet sich vom Arbeiten. Deshalb ist der Gedanke der Produktion auch nicht ganz unmodifiziert auf das Lernen übertragbar. Beim Arbeiten geht es in erster Linie um das Produkt, das irgendein Bedürfnis befriedigen soll. Bei der handwerklichen Arbeit steht es allerdings auch für die Leistung seines Urhebers: „Das Werk soll den Meister loben.“

Beim Lernen wird unmittelbar nichts Derartiges hergestellt. Die Lernleistung ist mit der Arbeitsleistung insofern nicht gleichzusetzen. Lernen hat zwar Ergebnisse, doch sind diese nicht vom Lernenden ablösbar. Der Zuwachs an Können, die neu gewonnene Einsicht – dies sind keine Produkte.

Dennoch gibt es gute Gründe dafür, auch in der Schule ein sichtbares Ergebnis anzustreben. Dabei ist der zweite Aspekt primär: Das Werk soll den Meister loben. Genauer gesagt: Es soll seinen Lernerfolg „loben“. Im Werk soll das, was sonst verborgen in der Subjektivität des Lernenden eingeschlossen bleibt, nach außen treten und sichtbar werden, für andere und für den Lernenden selbst.

Das Produkt, in dem der Lernende sein erworbenes Können demonstriert, gibt ihm eine Rückmeldung; im Prozess seiner Erstellung ebenso wie im Produkt. Der Lernende kann auf eine indirekte Weise sein eigenes Lernen betrachten; dadurch auch befragen,

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reflektieren, selbstkritisch beurteilen. Lernen stellt seine Wirksamkeit unter Beweis und damit seine lebenspraktische Relevanz.

Es ist eine wichtige didaktische Aufgabe, Möglichkeiten bereitzustellen, den persönlichen Lernprozess in Relation zu setzen zur Anforderungsstruktur der Lebensrealität (aufgaben- und projektorientiertes Lernen). Der Begriff Aufgabe akzentuiert stärker die Orientierung an Anforderungen, die von außen gestellt werden; der Begriff des Projekts akzentuiert stärker das eigene Vorhaben. (Allerdings kann man sich selbstverständlich auch selbst Aufgaben stellen; oder an Projekten teilnehmen, die von anderen konzipiert und initiiert wurden.)

Das Produkt besteht hier also in der Lösung bzw. Bewältigung der Aufgabe bzw. des Vorhabens. Und das Lernen dient diesem Ziel. Für viele Lernende ist damit ein erheblicher Motivationsgewinn verbunden. Lernen ist oft auch anstrengend; und es gibt für viele attraktivere Betätigungen. Wenn deutlich wird, „wofür“ es gut ist, fällt es ihnen sehr viel leichter, die Anstrengung des Lernens auf sich zu nehmen. (Daneben gibt es natürlich auch immer diejenigen, für die Lernen selbst schon soviel persönliche Bereicherung bedeutet, dass sie sich die Frage des „Wofür“ in dieser Weise gar nicht eigens zu stellen brauchen.)

13.2 Praktischwerden Die Gesellschaft richtet Schulen ein und institutionalisiert Informationstechnische Bildung, weil sie die dadurch (hoffentlich) vermittelten Kompetenzen für ihre Praxis und für deren Weiterentwicklung braucht. Auch wenn Lernen durchaus eine an sich selbst befriedigende, manchmal sogar beglückende Erfahrung und insofern auch ein Selbstzweck sein kann, ist die Schule nicht dafür eingerichtet, Heranwachsenden zu dieser Erfahrung zu verhelfen. Auch die Motivation der meisten Lernenden ist auf das Praktischwerden des Gelernten gerichtet; am Beginn des Schulbesuchs noch weniger, da stehen Wissensdurst und Neugier im Vordergrund (die sich allerdings schon mit der Ahnung verbinden, dass in die Schule zu gehen etwas mit der Perspektive des Erwachsenwerdens zu tun hat); mit fortschreitendem Alter aber rückt die künftige Lebenspraxis als das, worauf man sich in der Schule vorbereitet, immer mehr in den Vordergrund.

Dass der Schule es nicht immer gut genug gelingt, Schüler/innen zu praktisch relevanten Lernergebnissen zu verhelfen, ist bekannt und begleitet als Kritik die Schule seit ihrem Bestehen als obligatorische öffentliche Bildungsinstitution. Zuletzt signalisierte der Übergang von der Wissens- zur Kompetenzorientierung den Versuch, das in der Schule zu Lernende stärker auf die Bewältigung praktischer Anforderungen zu orientieren. Viel Wissen auf dem Fachgebiet seines künftigen Betätigungsfeldes zu haben, heißt offensichtlich noch nicht, dass man dadurch auch auf diesem Felde auch

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handlungskompetent ist, also sein Wissen (und was man sonst gelernt hat) praktisch werden lassen kann.

Was aber heißt: Praktischwerden des Gelernten?

Diese Frage lässt sich gar nicht so eindeutig beantworten, wie man vielleicht hoffen möchte. Es gibt verschiedene Arten des Praktischwerdens; und einige davon sollen abschließend noch kurz erörtert werden.

Tätig werden Eine erste Antwort lautet: Praktischwerden heiße, endlich tätig zu werden, endlich etwas zu tun. Dahinter steht die Vorstellung, dass Lernen selbst noch kein „richtiges“ Tun ist; erst recht nicht das Wissen, das man sich angeeignet hat. Aber Wissen ist ja nicht eine subjektive Verfassung, in der man passiv verharren kann; sondern zu wissen, heißt immer schon, etwas zu tun; ist – oft anstrengende und deshalb von allzu eifrigen Verfechtern des „Tuns“ oft gescheute – Praxis des Denkens: Informationen werden aufgenommen, geprüft, verknüpft, integriert usw. Allerdings ist dies ein immaterielles und daher unmittelbar nicht wirklichkeitsmächtiges Tun. Zum „Praktischwerden“ im Sinne des abschließenden Transformationsschritts bedarf es daher einer Umsetzung durch materielles Tun, also des handfesten Einsatzes leibgebundener Fertigkeiten – die selbst natürlich gelernt werden mussten.

Anwendung Eine zweite Antwort lautet: Praktischwerden des Gelernten heiße Anwendung des Gelernten. Damit verbindet sich meist die Vorstellung, das Gelernte sei eine Art Instrumentarium, das in der Praxis benutzt werde; so wie der Chirurg bei einer Operation das Skalpell benutzt oder sein Handbuch der plastischen Chirurgie (wenn es sich um eine kosmetische Operation handelt). Besteht die Aufgabe darin, eine E-Learning-Plattform zu entwickeln, dann wird im „Werkzeugkoffer“ des informatischen/informationstechnischen Wissens und Könnens nach dem dafür passenden Instrumentarium gekramt und „losgelegt“. Funktioniert das so?

Offensichtlich muss der Chirurg ja mehr gelernt haben als nur schneiden (das Skalpell steht sozusagen für das Instrumentarium des Schneidenkönnens) und in Büchern nachschlagen. Er muss wissen, dass und wofür er das Schneiden überhaupt braucht; er muss mit ihm umgehen können; er muss zur rechten Zeit und an der rechten Stelle schneiden; er muss wissen, wann er das Schneiden sein lässt und stattdessen näht; auch das Nähen muss er richtig einsetzen können; er muss wissen, wann er wonach im Buch nachschlägt, was ihm das, was dort steht, bezogen auf die gegebene Situation sagt und wie er es in seine Arbeit einfließen lässt. M.a.W. außer dem Instrumentarium braucht er die Fähigkeit, mit dem Instrumentarium sachangemessen und situationsadäquat

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umzugehen; diese Fähigkeit aber ist selbst kein Instrumentarium, das er im Koffer findet. Die Rede vom Anwenden ist demnach irreführend.

Das Anwendenkönnen muss selbst zu dem gehören, was gelernt wurde, sonst kann das Gelernte nicht praktisch werden. D.h. das Gelernte kann, um praktisch zu werden, nicht angewendet werden, sondern muss (anders als das Skalpell oder das Nachschlagewerk) in sich die Potenz haben, praktisch zu werden. Anwendungswissen wird nicht angewandt, sondern wendet sich selbst an die Praxis. Es enthält in sich ein Wissen darüber, wie es praktisch werden kann bzw. wozu es gut ist. (Dass man Wissen nicht einfach anwenden kann, sondern dass es in sich selbst den Anwendungsbezug schon haben muss, ist die Einsicht, die sich im Übergang von der Orientierung auf Wissensvermittlung zur Kompetenzvermittlung niederschlägt.)

Funktionieren Eine dritte Antwort lautet: Praktischwerden heiße, dass das Gelernte zur Bewältigung von praktischen Anforderungen „dient“. Dahinter steht die ideale Vorstellung einer wie eine „gut geölte Maschine“ funktionierenden Praxis, beispielsweise der Schulpraxis, die dann an die in ihr Tätigen, beispielsweise die Lehrer/innen, die Anforderung stellt, so zu handeln, dass diese ideal funktionierende Praxis sich einstellt. Lernen soll demnach Funktionieren ermöglichen.

Schwierig ist dann aber zu bestimmen, was Funktionieren heißt. Denn diese ideale „Maschine“ findet man ja nicht einfach vor und kann man ja auch nicht einfach entwerfen, so dass nur noch die Räder für ihr Getriebe (die funktionierenden Menschen) produziert werden müssten. In der Praxis müssen vielmehr ständig auch Entscheidungen getroffen werden, wie sie denn funktionieren soll; und da dies verschiedene Menschen unterschiedlich sehen, müssen diese Entscheidungen ausgehandelt werden. Mit dem bloßen „Dienen“ des Gelernten ist es also nicht getan; es muss auch gelernt werden, Entscheidungen zu treffen bzw. auszuhandeln, die über das, wofür gelernt wurde, selbst erst (mit-)bestimmen.

Wird beispielsweise ein E-Learning-System für die Hochschullehre entwickelt, ist damit auch mit darüber zu befinden, wie denn Hochschullehre aussehen soll. Dazu muss man mehr können, als seine E-Learning-Qualifikationen in den Dienst der (bestehenden) Hochschullehre zu stellen.

Innovation Eine vierte Antwort lautet: Praktischwerden heiße Innovation, nämlich die Praxis zu verbessern oder weiterzuentwickeln. E-Learning z.B. wird nicht eingeführt, damit alles bleibt, wie es ist, sondern damit Lehren und Lernen sich verbessern. Insofern knüpft dies an die vorhergehenden Überlegungen an: Es müssen Entscheidungen darüber getroffen werden, wie die Praxis denn aussehen soll.

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Dies aber erfordert, dass man sich über Entwicklungsperspektiven für das betreffende Tätigkeitsfeld Klarheit verschafft: Welche Dynamiken wirken dort; welche Interessen sind wirksam, wie ordne ich mich selbst dort ein? Und welche Möglichkeiten liegen objektiv vor? Welche Bedingungen setzen Grenzen? Also: Was soll sein; und was ist machbar? Und wie kommen wir dorthin?

Verantwortung übernehmen Und schließlich lautet eine fünfte Antwort: Praktischwerden heiße, Verantwortung zu übernehmen. Dies knüpft an das früher vorgestellte Postulat J. Derbolavs an, es sei der Übergang vom Wissen zum Gewissen, der didaktisch zu fördern sei, damit das Lernen seinen Sinn erfülle. Es knüpft auch an die Dimension der Gestaltungs- und Verantwortungskompetenz an, die bei der Vorstellung des unserer Arbeit im Arbeitsbereich „Bildung und Technik“ an der TUD zugrundegelegten Modells von Medienkompetenz dargestellt wurde. Dabei geht es um die Fähigkeit, für das, was man tut, sowohl vor sich selbst als auch vor anderen, die vom eigenen Handeln betroffen sind bzw. mit denen man kooperiert, mit Gründen einstehen (es legitimieren) zu können und – soweit diese Gründe nicht standhalten – auch lernfähig zu sein. Nicht starres Überzeugtsein und anfechtungsresistenter Glaube sind gemeint, sondern die Bereitschaft zur Selbstkritik ebenso wie dazu, sich der Kritik durch andere zu stellen und sie konstruktiv für die eigene Weiterentwicklung aufzunehmen.

Für Derbolav sind es die in den Wissenschaften wirkenden regulativen Ideen, aus welchen eine für das praktische Handeln orientierende Sinngebung sich erschließen kann. Ich hatte für die Informatik hier die Idee der Wiedergutmachung im digitalen Weltentwurf genannt. Nach der einen Seite wäre dies eine Aufnahme der Hoffnungen, welche sich gesellschaftlich mit der Informatik und den von ihr entwickelten Möglichkeiten zur Konstruktion von Welten verbinden, die über die Beschränkungen der real existierenden Welt hinauskommen kann, wenn sie sich zugleich dennoch mit den realen Möglichkeiten vermittelt. Informationstechnologie eröffnet wie keine andere Technologie ein Feld freier Konstruktion, auf dem nur noch die Vorstellungskraft Grenzen setzt. Andererseits muss für ihre Realisierung, also Implementierung in realen Systemen und deren Integration in lebensweltliche Zusammenhänge, immer noch eine fünffache Realitätsprüfung stattfinden:

• ihre klassisch-technische Umsetzbarkeit, die zumindest an den Naturgesetzen ihre Grenze findet (welche im informatischen Konstruktionsraum ja nur dann Geltung haben, wenn sie dort bewusst in Geltung gesetzt werden) und natürlich auch am jeweiligen Stand der Hardware-Technik (hier verbindet sich die Informationstechnik notwendig mit den klassischen Ingenieurwissenschaften und darüber vermittelt mit deren naturwissenschaftlichen Grundlagen);

• ihre Verträglichkeit mit den materiellen Lebensbedingungen von Menschen, was insofern über die physisch-technische Realisierbarkeit hinausgeht, als hier

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die ökologische Dimension vernetzter Umweltbedingungen ins Spiel kommt und Berücksichtigung verlangt (hier wird Informationstechnik in den Horizont der Lebens- und Umweltwissenschaften eingerückt);

• ihre ökonomische Realisierbarkeit: nicht alles, was prinzipiell machbar ist, ist dies auch mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen, wobei es hier nur zum Teil um absolute Grenzen handelt, meist eher um Grenzen, die durch Präferenzentscheidungen gezogen werden (Können und wollen wir für die Entwicklung einer Technik soviel Ressourcen einsetzen, wenn damit gleichzeitig anderen Perspektiven die Mittel entzogen werden?);

• ihre soziale Umsetzbarkeit, die abhängt von der Fähigkeit, informationstechnische Innovationen so in soziale Kontexte zu integrieren, dass die Betroffenen sie als Bereicherung empfinden können, weil darin ihre Hoffnungen auf eine bessere Welt aufgenommen sind (man spricht hier auch von „sozialverträglicher Technikgestaltung“);

• schließlich ihre persönliche Verantwortbarkeit: die im informationstechnischen Entwurf wirkende Idee muss eine Resonanz finden im persönlichen Lebensentwurf des Lernenden, soll sie auch ihm einen entsprechenden Sinnhorizont für eigenes Engagement eröffnen. Er muss in ihr sozusagen selbst „vorkommen“.

Damit ist ein wenig differenziert, was im 8. Kapitel zum Bildungssinn Informationstechnischer Bildung ausgeführt worden war: Informationstechnik ist geleitet von der Idee der totalen Freiheit von Natur im virtuellen Handeln informatischer Operationen und Konstruktionen, ist damit aber hinsichtlich der Anwendung dieser Konstruktionen mit der unauflöslichen Gebundenheit an eine materielle Welt und insofern mit ihrer Verantwortung für die Art und Weise der Wahrnehmung ihrer Freiheit konfrontiert. Wiedergutmachung der Welt heißt sowohl die Auflösung von allem, was mir das Gesetz meines Handelns aufzwingen könnte, um seiner Verbesserung willen (Motiv des Gutmachens – der „Optimierung“ – von Welt); und zugleich die Notwendigkeit, sich im so ermöglichten grenzenlos freien Handeln (das dadurch Operation und Konstruktion in einem leeren Raum jenseits der wirklichen Welt ist) selbst ein Gesetz zu geben (Autonomie), das die eigene Freiheit verantwortlich rückbindet an die Gegebenheiten menschlicher Existenz hinsichtlich der Implementierung dieser im leeren Raum geschaffenen Konstruktionen in die Fülle lebensweltlicher Kontexte. Die virtuell aufgelöste Welt wird so real wieder gutgemacht, indem an das angeschlossen wird, was „gut“ war und bleibt, und dies verbunden wird mit Neuem oder transformiert wird in Neues, das an die Stelle des Alten (nicht hinreichend Guten) tritt, von dem man sich dadurch löst.

Ob in diesem Sinne das Gelernte praktisch werden kann, dafür gibt es fördernde Voraussetzungen, für die durch Informationstechnische Bildung gesorgt werden kann. Garantieren aber kann sie dafür nicht.

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