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Walter Scott

Ivanhoe

Deutsche Bearbeitung Sybil Gräfin Schönfeldt

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cbj ist der Kin der- und Ju gend buchver la g in der Ver lags gruppe Ran dom House

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendeteFSC-zertifizierte Papier München Super Extra liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.

1. Auf lageErstmals als cbj Taschenbuch Dezember 2010Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform© 2006 cbj, MünchenAlle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten© 1992 für die deutsche Übersetzung Sybil Gräfin SchönfeldtDie englische Originalausgabe erschien erstmals 1819unter dem Titel »Ivanhoe«Umschlagabbildung und Innenillustrationen: Dieter WiesmüllerUmschlaggestaltung: Network! Werbeagentur GmbH, Münchenim · Herstellung: AnGSatz: Uhl + Massopust, AalenDruck: GGP Media GmbH, PößneckISBN 978-3-570-22208-9Printed in Germany

www.cbj-ver lag.de

MixProduktgruppe aus vorbildlich bewirtschaftetenWäldern und anderen kontrollierten Herkünftenwww.fsc.org Zert.-Nr. SGS-COC-001940© 1996 Forest Stewardship Council

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kapitel 1

D ie Sonne ging über einer der grasreichen Lichtungen desenglischen Waldes unter. Hunderte von Eichen mit brei-

tem Wipfel, kurzem Stamm und weit verbreiteten Ästen, dievielleicht noch den Marsch der stattlichen römischen Legionengesehen hatten, streckten ihre knorrigen Arme über einen dich-ten Teppich frischen Rasens aus. An einigen Stellen waren siemit Buchen, Stechpalmen und so dichtem Unterholz vermischt,dass die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne nicht hin-durchdrangen.

Die beiden menschlichen Gestalten, die diese Landschaft be-lebten, teilten hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Ansehensden wilden und ländlichen Charakter, der dem Gehölze vonWest Riding in Yorkshire zu jener Zeit eigen war. Der ältere vondiesen Männern hatte ein wildes und finsteres Aussehen. SeineKleidung bestand aus einer eng anliegenden Jacke mit Ärmeln,die aus einem gegerbten Tierfelle verfertigt war, an welchemman ursprünglich das Haar gelassen hatte. Doch da es an vielenStellen abgescheuert war, so konnte man an den wenigen nochübrigen Haarbüscheln nur mit Schwierigkeit unterscheiden,welchem Tiere es angehört hatte. Dieses Kleid reichte demManne der Vorzeit vom Halse bis an die Knie und war das ein-zige, welches er trug. Sandalen, mit Riemen von Eberfell fest-

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gebunden, schützten seine Füße, und eine dünne Lederbindewar kunstvoll um seine Beine gewickelt, die bis über die Wadeging und wie die eines schottischen Hochländers die Knie bloßließ. Um die Jacke fester um den Leib zusammenzuziehen, warsie in der Mitte von einem breiten ledernen Gürtel gehalten undmit einer kupfernen Schnalle versehen. An der einen Seite des-selben war eine Tasche befestigt, und an der andern hing einBockshorn, mit einem Mundstück, um darauf zu blasen. Indemselben Gürtel stak eines von jenen langen, breiten, scharfzugespitzten, zweischneidigen Messern, mit einem Griffe vonBockshorn, wie sie in der Gegend, selbst zu jener frühen Zeit,unter dem Namen Sheffielder Messer fabriziert wurden. DerMann trug keine Kopfbedeckung. Sein Haupt wurde bloßdurch sein eigenes dichtes Haar geschützt, welches struppig undverfilzt war. Es hatte von der Sonne eine rostige dunkelroteFarbe angenommen und bildete einen Gegensatz zu dem mäch-tigen blonden Barte an seinen Wangen. Nur ein Teil seiner Klei-dung blieb bis jetzt unerwähnt, der zu merkwürdig ist, umübergangen zu werden. Es war dies ein kupferner Ring, einemHundehalsband nicht unähnlich, doch ohne Öffnung und umseinen Hals so lose festgelötet, dass er ihn nicht am Atmen hin-derte, aber doch so dicht anlag, dass er ohne Anwendung einerFeile nicht abgenommen werden konnte. Auf diesem seltsamenHalsschmucke war in angelsächsischen Runen eine Aufschriftfolgenden Inhalts eingegraben: »Gurth, der Sohn Beowulfs, istder geborene Leibeigene Cedrics von Rotherwood.«

Neben dem Schweinehirten, denn ein solcher war Gurth, saßauf einem umgestürzten druidischen Denkmal ein Mann, demAnsehen nach etwa zehn Jahre jünger, dessen Kleider, obgleich

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denen seines Gefährten ähnlich, von etwas besserem Material,jedoch fantastischer waren. Seine Jacke war von hellem Pur-pur, auf die man versucht hatte, grotesken Zierrat in verschie-denen Farben zu malen. Außer der Jacke trug er noch einenkurzen Mantel, der kaum bis zur Hälfte über seine Schenkelreichte.

Er trug dünne silberne Armbänder und ein Band von dem-selben Metall um den Hals, auf welchem die Inschrift stand:»Wamba, der Sohn des Witleß, ist der Leibeigene Cedrics vonRotherwood.«

Dieser Mensch trug dieselben Sandalen wie sein Gefährte,aber anstatt der ledernen Binden steckten seine Beine in einerArt von Gamaschen, von denen die eine rot, die andere gelb war.Auch war er mit einer Kappe versehen, an welcher mehrereSchellen von der Größe derjenigen, die man den Falken an-hängt, rings herum angebracht waren; dieselben klingelten, so-bald er den Kopf von einer Seite zur andern bewegte, und da er selten eine Minute in der nämlichen Stellung blieb, so schiendas Geklingel fast unaufhörlich, was ihn samt dem halb ver-rückten, halb pfiffigen Ausdruck seines Gesichts hinlänglich alseinen jener Narren oder Spaßmacher bezeichnete, die in denFamilien der Reichen gehalten wurden.

Das äußere Aussehen dieser beiden Männer bildete kaumeinen stärkeren Kontrast als ihr Ausdruck und ihr Benehmen.Der Knecht war finster und traurig. Sein Blick war mit demAusdruck tiefer Niedergeschlagenheit auf den Boden geheftet.Wambas Blicke dagegen zeigten eine Art leerer Neugier nebstder äußersten Selbstzufriedenheit hinsichtlich seiner Lage undder Rolle, die er spielte. Ihr Gespräch wurde in angelsächsischer

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Sprache geführt, welche von den unteren Klassen damals allge-mein gesprochen wurde.

»Sankt Witholds Fluch über dieses verdammte Schweine-vieh!«, sagte der Hirt, nachdem er heftig auf seinem Horn ge-blasen hatte, um die zerstreute Schweineherde zu versammeln,»wenn der zweibeinige Wolf nicht vor Anbruch der Nachteinige von ihnen aufschnappt, so bin ich kein Mann! Hier, Pa-ckan, Packan!«, rief er mit lauter Stimme einem zottigen, wolf-ähnlichen Hunde zu. »Der Teufel reiße ihm die Zähne aus«,sagte Gurth, »und die Mutter des Unheils komme über denWildmeister, der unseren Hunden die Vorderzehen abschneidetund sie zu ihrem Geschäft untauglich macht! Wamba, machdich auf und hilf mir, wenn du ein Mann bist; lauf um den Hü-gel, um ihnen den Wind abzuschneiden; hast du sie vor dir, sokannst du sie treiben wie unschuldige Lämmer.«

»Wahrlich, sagte Wamba, ohne sich von der Stelle zu rühren,»ich habe meine Beine über die Sache befragt, und die sinddurchaus der Meinung, dass meine bunten Kleider durch diesePfützen zu schleppen eine unfreundschaftliche Handlung gegenmeine hohe Person und meine königliche Garderobe sein würde;deshalb rate ich dir, Gurth, deinen Packan zurückzurufen unddie Herde ihrem Schicksal zu überlassen. Mögen nun Bandenriesiger Kriegsleute sie treffen, oder Geächtete, oder wanderndePilger, die werden doch vor morgen früh zu deiner nicht gerin-gen Ruhe und Behaglichkeit in Normannen verwandelt werden.«

»Die Schweine sollen zu meiner Behaglichkeit in Normannenverwandelt werden?«, sagte Gurth.

»Nun, wie nennst du die grunzenden Bestien, die hier aufihren vier Beinen umherlaufen?«, fragte Wamba.

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»Schweine, Narr, Schweine«, sagte der Hirte, »jeder Narrweiß das.«

»Aber wie nennst du die Sau, wenn sie abgebrüht, gevierteltund gleich einem Verräter an den Fersen aufgehängt ist?«

»Porc«, antwortete der Schweinehirt.»Es ist mir lieb, dass auch das jeder Narr weiß«, sagte

Wamba, »und Porc, meine ich, ist gut normannisch. Wenn alsodas Tier lebt und unter der Obhut eines sächsischen Knechtessteht, so führt es auch seinen sächsischen Namen, wird aber einNormanne und Porc genannt, sobald es ins Schloss gebrachtwird, um von adeligen französischen Normannen verspeist zuwerden. Was denkst du dazu, Freund Gurth, he?«

»Bei Sankt Dunstan«, antwortete Gurth, »du sprichst nur zutraurige Wahrheiten aus; es ist uns wenig mehr übrig gelassen alsdie Luft, die wir einatmen, und die scheint man uns nach lan-gem Bedenken zugestanden zu haben, vielleicht nur, um uns inden Stand zu setzen, die Last zu tragen, welche sie auf unsereSchultern legen. Das Schönste und Fetteste ist für ihren Tisch;das Liebenswürdigste für ihr Lager; die Besten und Tapferstenfolgen ihren fremden Herren als Krieger, deren Gebeine in fer-nen Ländern bleichen, und sie lassen nur wenige zurück, welcheden Willen und die Macht haben, uns unglückliche Sachsen zubeschützen. Gottes Segen über Herrn Cedric, er hat das Werkeines Mannes getan, der sich in die Bresche stellt, aber ReginaldFront de Boeuf will in Person auf seine Besitzungen kommen,und wir werden bald sehen, wie wenig Cedrics Mühe ihm hel-fen wird. – Hier, hier!«, rief er wieder mit erhobener Stimme,»ho ho! ho ho! Gut! Packan! gut! Du hast sie jetzt alle vor dirund treibst sie wacker heran.«

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»Gurth«, sagte der Possenreißer, »ich weiß, dass du mich füreinen Narren hältst, sonst würdest du nicht so unbesonnen sein,deinen Kopf in meinen Rachen zu stecken. Ein Wort zu Regi-nald Front de Boeuf oder Philipp Malvoisin, dass du verräte-risch gegen Normannen geredet hast, würde machen, dass du aneinem dieser Bäume zappeltest, zum Schrecken aller, welche vonWürdenträgern Übles reden; du bist ja doch nur ein Sauhirt!«

»Hund, du wirst mich doch nicht verraten«, sagte Gurth,»nachdem du mich verleitet hast, Missgünstiges zu sagen?«

»Dich verraten?«, antwortete der Possenreißer; »nein, daswäre der Streich eines weisen Mannes; ein Narr kann sich nichthalb so gut helfen – aber still, wer kommt hier?«, sagte er, in-dem er auf den Hufschlag mehrerer Pferde horchte.

»Kümmere dich nicht um die da«, antwortete Gurth, derjetzt seine Herde vor sich hatte und sie mit Packans Hilfe einender langen, schattigen Baumgänge hinuntertrieb.

Die Reiter holten sie jedoch schnell auf der Straße ein. Eswaren zehn Mann, von denen die beiden voranreitenden Män-ner von bedeutender Wichtigkeit und die andern ihre Gefolgs-leute zu sein schienen. Den Stand und Charakter des einen vonihnen zu erraten, war nicht schwer. Er war offenbar ein Geist-licher von hohem Range; seine Kleidung war die eines Zister-ziensermönchs, bestand jedoch aus viel feineren Stoffen, als dieRegel jenes Ordens sie gestattete.

Dieser würdige Geistliche ritt ein wohlgenährtes, flinkesMaultier, dessen Reitzeug schön geschmückt und dessen Zaum,nach der Mode jener Zeit, mit silbernen Glöckchen verziertwar. In seiner Haltung zeigte er nicht das linkische Wesen derKlosterleute, sondern die leichte und gewohnte Grazie eines ge-

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übten Reiters. In der Tat schien der ritterliche Mönch sich desMaultiers auch nur auf Reisen zu bedienen, so gut und bequemdas Tier auch zugeritten sein mochte. Zum Gebrauche bei an-deren Gelegenheiten leitete ein Laienbruder seines Gefolgeseinen der schönsten spanischen Zelter, die je in Andalusien ge-zogen wurden, und ein anderer Laienbruder führte ein Saum-tier, das wahrscheinlich mit dem Gepäck seines Vorgesetztenbeladen war, und zwei Brüder von niederem Range ritten zu-sammen im Nachtrab und lachten und schwatzten miteinander.

Der Begleiter des geistlichen Würdenträgers war ein Tempel-ritter von mehr als vierzig Jahren, schlank, stark, groß und mus-kulös. Sein Kopf war von einer scharlachroten, mit Pelz besetz-ten Mütze bedeckt, sein Gesicht war daher vollständig zu sehen,und der Ausdruck desselben schien darauf angelegt, den Frem-den Ehrfurcht, wenn nicht gar Furcht einzuflößen. Eine tiefeNarbe auf seiner Stirn vermehrte noch die Strenge seiner Zügeund verlieh dem einen seiner Augen einen unheimlichen Aus-druck. Auf seinem Mantel befand sich an der Stelle, wo er dierechte Schulter deckte, ein Kreuz aus weißem Tuch von eigen-tümlicher Form. Unter dem Obergewand trug er ein eisernesPanzerhemd mit Ärmeln und Handschuhen. Er ritt einen star-ken Passgänger, um sein edles Schlachtross zu schonen, welches,vollkommen zum Streit gerüstet, von einem Knappen hinterihm hergeführt wurde. An der einen Seite des Sattels hing einekurze Streitaxt, an der andern des Reiters befiederter Helmnebst einem langen, mit beiden Händen zu führenden Schwert,dessen sich die Ritter jener Zeit bedienten. Ein zweiter Knappehielt die emporgerichtete Lanze seines Herrn, an deren Spitzeein Fähnchen flatterte.

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Diesen beiden Knappen folgten zwei Diener, deren dunkleGesichter, weiße Turbane und orientalische Kleidung sie alsEingeborene eines fernen Landes im Orient bezeichneten. Jedervon ihnen trug an seinem Sattelknopfe ein Bündel Wurfspießemit scharfen stählernen Spitzen, eine unter den Sarazenen sehrgebräuchliche Waffe.

Das seltsame Ansehen dieser Kavalkade zog nicht nur dieNeugierde Wambas auf sich, sondern erregte selbst die seinesweniger flatterhaften Gefährten. Den Mönch erkannte er so-gleich als den Prior der Abtei Jorvaulx, viele Meilen umher wohl-bekannt als ein Liebhaber der Jagd, der fröhlichen Gelage undauch anderer weltlicher Vergnügungen, die sich noch weniger mitseinem klösterlichen Gelübde vertrugen. Doch der Prior Aymerund sein heiteres und joviales Temperament machten ihn zumGünstling des hohen und niedern Adels, dem er durch Geburtangehörte.

Aber die seltsame Erscheinung seines Begleiters nebst dessenGefolge erregte die Verwunderung der beiden Sachsen derma-ßen, dass sie kaum auf die Frage des Priors von Jorvaulx achtenkonnten.

»Ich fragte euch, meine Kinder«, wiederholte der Prior mitlauterer Stimme in der Lingua Franca oder gemischten Sprache,in welcher sich die Normannen mit den Angelsachsen unter-redeten, »ob hier in der Gegend irgendein guter Mann wohnt,der um Gottes willen ein Nachtlager und Erfrischung gewährenwird?«

»Wenn die ehrwürdigen Väter gute Bewirtung und weichesLager lieben«, sagte Wamba, »so würde ein Ritt von einigenMeilen sie zu der Abtei Brinzworth bringen, wo ihr Rang ihnen

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die ehrenvollste Aufnahme sichern würde; oder wenn sie eineNacht in Gebeten vorzögen, so brauchten sie nur jene wildeLichtung hinunterzureiten, die sie zu der Einsiedelei von Cop-manhurst führen würde, wo ein frommer Eremit das Obdachseiner Hütte und den Segen seines Gebets mit ihnen teilenwerde.«

»Zum Henker mit deiner Unverschämtheit, Bursche«, sagteder bewaffnete Reiter, indem er mit stolzer und strengerStimme sein Geschwätz unterbrach, »und sage uns, wenn dukannst, den Weg zu – wie heißt doch der Mann, Prior Aymer?«

»Cedric«, antwortete der Prior, »Cedric der Sachse.«»Der Weg wird nicht leicht zu finden sein«, antwortete

Gurth, der zum ersten Male das Schweigen brach, »und CedricsFamilie geht früh zu Bett.«

»Streitest du mit mir, Sklave?«, rief der Krieger, setzte seinemPferde die Sporen in die Seite und ließ es eine halbe Volte überden Weg machen, indem er zugleich die Reitgerte erhob. DochPrior Aymer, welcher sein Maultier zwischen seinen Gefährtenund den Schweinehirten lenkte, verhinderte die beabsichtigteGewalttat.

»Nein, bei der heiligen Maria, Bruder Brian, ihr müsst nichtglauben, dass ihr noch in Palästina seid und über heidnischeTürken und ungläubige Sarazenen herrscht; wir auf der Insellieben keine andern Schläge als die der heiligen Kirche, welcheden züchtigt, den sie liebt. Zeige mir, guter Bursche«, fuhr er zuWamba gewendet fort, indem er seine Rede durch eine kleineSilbermünze eindringlicher zu machen suchte, »zeige mir denWeg zur Wohnung Cedrics, des Sachsen; sie kann dir nicht un-bekannt sein, und es ist deine Pflicht, Wanderer zurechtzuwei-

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sen, selbst wenn sie nicht so hoch an Rang und Würden sindwie wir!«

»Gut denn«, antwortete Wamba, »Euer Ehrwürden müssenauf diesem Wege bleiben, bis Ihr an ein versunkenes Kreuzkommt, welches kaum noch eine Elle lang aus dem Boden her-vorschaut; dann schlagt den Weg zur Linken ein, denn es sindvier Wege, die bei dem versunkenen Kreuz zusammenlaufen,und ich bin gewiss, Euer Ehrwürden werden ein Obdach erhal-ten, ehe das Gewitter heraufkommt.«

Als der Hufschlag ihrer Pferde kaum mehr zu hören war, sagteGurth zu seinem Gefährten: »Wenn sie deinem weisen Ratefolgen, werden die ehrwürdigen Väter dieser Nacht schwerlichRotherwood erreichen.«

»Nein«, sagte der Possenreißer grinsend, »aber sie könnenSheffield erreichen, wenn das Glück ihnen günstig ist, und dasist ein ebenso passender Ort für sie. Ich bin kein so schlechterWaidmann, dass ich dem Hunde zeigen sollte, wo das Reh liegt,wenn ich nicht will, dass er es jagen soll.«

»Du hast recht«, sagte Gurth, »es wäre schlimm, wennAymer unsre Herrin Rowena sähe, und es wäre vielleicht nochschlimmer, wenn Cedric mit diesem kriegerischen Mönche zan-ken sollte, was höchstwahrscheinlich der Fall sein würde.«

Wir kehren zu den Reitern zurück, die bald die Leibeigenenweit hinter sich gelassen hatten.

»Was wollen diese Kerle nur mit ihrer eigensinnigen Unver-schämtheit sagen?«, bemerkte der Templer.

»Wahrlich, Bruder Brian«, versetzte der Prior, »jedes Landhat seine eignen Sitten und Gewohnheiten, und abgesehen da-von dass, wenn ihr den Kerl schlügt, wir keine Nachricht über

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den Weg zu Cedrics Hause erhalten hätten, könnten wir auchgewiss sein, dass es Händel zwischen ihm und Euch gegebenhätte. Bedenkt, was ich euch sagte: Dieser reiche Freisasse iststolz, heftig, misstrauisch und reizbar, ein Gegner des Adelsund selbst seiner Nachbarn Reginald Front de Boeuf und Phi-lipp Malvoisin. Er besteht so fest auf den Vorrechten seinesStammes und ist so stolz auf seine Abkunft von Hereward,einem berühmten Krieger, dass er allgemein Cedric der Sachsegenannt wird, ja, er prahlt damit, jenem Volke anzugehören,während andere versuchen, ihre Abkunft von demselben zu ver-heimlichen.«

»Prior Aymer«, sagte der Templer, »Ihr seid ein Mann derGalanterie, erfahren in dem Studium der Schönheit und so be-wandert wie ein Troubadour in allen Liebesverhandlungen;doch ich muss sehr große Schönheit von dieser berühmtenRowena für die Selbstverleugnung und Zurückhaltung, die ichbrauche, erwarten, wenn ich mich um die Gunst eines so wider-borstigen Kerls bewerben soll, wie Ihr mir ihren Vater Cedricgeschildert habt.«

»Cedric ist nicht ihr Vater«, versetzte der Prior; »er ist nurihr entfernter Verwandter. Sie stammt von vornehmerem Bluteab, als er selber in Anspruch nimmt. Doch sein Mündel ist ihmso teuer, als wäre sie sein eigenes Kind.«

»Sollte Eure gerühmte Schönheit«, sagte der Templer, »aufder Waagschale als zu leicht befunden werden, so wisst Ihrunsere Wette –«

»Mein goldenes Halsband gegen zehn Fässer guten Weines«,antwortete der Prior.

»Und ich selber sollte Richter sein«, sagte der Templer, »und

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ich allein sollte nach meinem eigenen Zugeständnis erklären,dass ich seit vorigen Pfingsten kein so schönes Mädchen gese-hen habe – war es nicht so? – Prior, Euer Halsband ist in Ge-fahr!«

»Gewinnt es ehrlich«, sagte der Prior, »aber, Bruder, nehmtmeinen Rat an und feilt Eure Zunge zu etwas mehr Höflichkeit,als Ihr gegen ungläubige Gefangene und orientalische Sklavenanzuwenden pflegt. Ist Cedric der Sachse beleidigt – und er istsehr empfindlich –, so ist er der Mann, der, ohne Eure Ritter-würde und meinen geistlichen Rang noch die Heiligkeit vonuns beiden zu achten, sein Haus von uns säubern und uns hi-nausschicken würde, um bei den Lerchen zu übernachten, undwäre es um Mitternacht. Und seid vorsichtig, wenn ihr Rowenaerblickt, denn er liebt und bewacht sie mit der eifersüchtigstenSorgfalt; und falls er in der Hinsicht auch nur im Geringstenbeunruhigt wird, sind wir verloren. Er soll seinen einzigen Sohnaus seiner Familie verbannt haben, weil er seine Augen zärtlichzu dieser Schönen erhob.«

»Gut, Ihr habt genug gesagt«, antwortete der Templer, »ichwill mir auf einen Abend den notwendigen Zwang auferlegenund mich so sanft betragen wie ein Mädchen.«

»Aber hier ist des Narren versunkenes Kreuz«, antworteteder Prior, »und die Nacht ist so finster, dass wir schwerlich wer-den sehen können, welchem Wege wir folgen müssen. Michdünkt, er sagte uns, wir sollten uns links wenden.«

»Rechts«, sagte Brian, »soviel ich mich erinnere.«»Links, gewiss links, ich sah deutlich, dass er mit seinem höl-

zernen Schwerte dorthin zeigte«, bemerkte der Prior.»Hier liegt jemand entweder schlafend oder tot am Fuße

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dieses Kreuzes, – Hugo, gib ihm eins mit dem Schaft deinerLanze.«

Dies war kaum geschehen, als die Gestalt aufstand und aufgut Französisch rief: »Wer du auch bist, es ist unhöflich von dir,mich in meinen Gedanken zu stören.«

»Wir wollen Euch nur bitten, uns den Weg nach Rotherwoodzur Wohnung Cedrics des Sachsen zu zeigen«, sagte der Prior.

»Ich selber gehe dorthin«, versetzte der Fremde, »und wennich ein Pferd hätte, so wollte ich Euer Führer sein, denn der Wegist schwierig zu finden, obgleich ich ihn genau kenne.«

»Dir soll Dank und Belohnung zuteilwerden, mein Freund«,sagte der Prior. Dann ließ er einen seiner Begleiter sein eigenesHandpferd besteigen und gab das, worauf derselbe gesessen,dem Fremden.

Dieser schlug einen entgegengesetzten Weg von dem ein, wel-chen Wamba ihnen in der Absicht angegeben hatte, sie irrezu-leiten. Der Pfad führte sie tiefer in das Gehölz und über mehrals einen Bach, doch der Fremde schien wie aus Instinkt den fes-testen Boden und den sichersten Übergangspunkt zu kennenund führte die Gesellschaft in eine Allee, zeigte auf ein großes,niedriges, unregelmäßiges Gebäude am äußersten Ende dersel-ben und sagte zu dem Prior: »Dort ist Rotherwood, die Woh-nung Cedrics des Sachsen.«

Dies war eine freudige Nachricht für Aymer. Da er jetzt be-ruhigt und in der Nähe eines Obdachs war, erwachte seine Neu-gierde, und er fragte den Führer, wer und was er sei.

»Ein Pilger, der eben aus dem Gelobten Lande zurückkehrt.«»Ihr hättet lieber dort bleiben sollen, um für die Eroberung

des Heiligen Grabes zu fechten«, sagte der Templer.

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»Es ist wahr, ehrwürdiger Herr Ritter«, sagte der Mensch,der mit dem Äußern des Templers vollkommen bekannt zu seinschien, »doch wenn die, welche ein Eid bindet, die Heilige Stadtwiederzuerobern, in solcher Entfernung von dem Schauplatzeihrer Pflicht reisen, könnt Ihr Euch da wundern, wenn ein fried-licher Landmann wie ich die Aufgabe ablehnt, welche jene ver-lassen haben?«

Der Templer wollte ihm eine zornige Antwort geben, wurdeaber von Aymer unterbrochen, der sein Erstaunen aussprach,dass ihr Führer nach so langer Abwesenheit so genau mit denWaldwegen bekannt sei.

»Ich bin in dieser Gegend geboren«, sagte der Führer, und alser diese Antwort gab, standen sie vor Cedrics Wohnung.

Obgleich, nach der Größe zu schließen, der Bewohner einwohlhabender Mann sein musste, so unterschied sie sich dochgänzlich von den hohen, mit Türmchen und Zinnen versehenenGebäuden, in denen der normannische Adel residierte, und diein ganz England bereits den allgemeinen Baustil angaben.

Gleichwohl war Rotherwood nicht ohne Verteidigungswerke,da jede Wohnung in jener unruhigen Zeit solche haben musste.Ein tiefer Graben war um das ganze Gebäude gezogen undwurde von dem benachbarten Bache mit Wasser versehen. Einedoppelte Reihe von Palisaden verteidigte das äußere und innereUfer des Grabens. An der westlichen Seite befand sich eine Öff-nung in den äußeren Palisaden, welche durch eine Zugbrückemit einer ähnlichen Öffnung im Innern in Verbindung stand.

Vor diesem Eingange stieß der Templer laut in sein Horn,denn der Regen, welcher lange gedroht hatte, fiel bereits mitgroßer Heftigkeit.

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kapitel 2

I n einer Halle von geringer Höhe und außerordentlicherLänge und Breite stand auf einem langen eichenen Tische

die Abendmahlzeit Cedrics des Sachsen. Die Bedachung desZimmers bestand aus Balken und Sparren, und sie waren dasEinzige, was den Raum vom freien Himmel trennte. An jedemEnde dieser Halle befand sich ein ungeheurer Kamin, dessenSchornstein freilich so schlecht konstruiert war, dass wenigs-tens eben so viel Rauch ins Gemach eindrang, als zur Schorn-steinöffnung hinausging.

Die übrigen Einrichtungen des Hauses trugen dieselbe roheEinfachheit der angelsächsischen Periode an sich, die Cedric mitStolz beibehielt. Der Fußboden bestand aus Erde und Lehm.Massive Stühle und Sessel von geschnitztem Eichenholz stan-den auf einer Erhöhung, und über diesen Sitzen und dem nochhöheren Tische war ein Baldachin angebracht, welcher dazudiente, die ausgezeichneten Personen, welche diesen Ehrenplatzeinnahmen, einigermaßen vor dem Wetter und besonders vordem Regenwasser zu schützen, das sich an verschiedenen Stel-len durch das schlecht gebaute Dach Bahn brach.

Die Wände dieses oberen Endes der Halle waren, so weit sichdie Erhöhung erstreckte, mit groben Teppichen behangen. Überden ganzen Fußboden waren frische Binsen gestreut.

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In der Mitte des oberen Tisches standen zwei Stühle, höherals die übrigen, für den Hausherrn und die Hausfrau. Einendieser Sitze nahm gegenwärtig Cedric der Sachse ein. Er warvon mittlerer Größe, aber breitschultrig, hatte lange Arme undwar kräftig gebaut, wie ein Mann, der an die Anstrengungen desKrieges und der Jagd gewöhnt ist. Sein Gesicht, von frohlauni-gem Ausdruck, war breit, mit großen blauen Augen. Sein langesblondes Haar war auf dem Kopfe und an der Stirn gleich ge-scheitelt, und auf jeder Seite bis auf die Schulter niederge-kämmt, es hatte nur einen geringen grauen Schein, obgleich Ce-dric sich seinem sechzigsten Jahre näherte.

Seine Kleidung bestand aus einer waldgrünen Tunika, dieKnie waren bloß. An den Füßen trug Cedric Sandalen von der-selben Form wie die Leibeigenen, nur waren sie von feineremMaterial und vorn mit goldenen Schnallen befestigt. EinenSchmuck bildeten goldene Armbänder und ein Halsband vondemselben Metall. Um die Mitte des Leibes schloss sich einreich besetzter Gürtel, in welchem ein kurzes, gerades, zwei-schneidiges Schwert mit scharfer Spitze steckte, das fast senk-recht an der Seite herabstrebte.

Außer den verschiedenen Dienern waren zwei oder drei großezottige Jagdhunde, wie man sie damals auf der Hirsch- oderWolfsjagd gebrauchte, zugegen; ebenso viele Saupacker vonstarker und schöner Zucht, mit dicken Hälsen, großen Köpfenund langen Ohren, und ein paar von jenen kleineren Hunden,welche jetzt Teckel genannt werden, die alle mit Ungeduld dasAbendessen erwarteten. Doch hüteten sie sich, bei der klugenKenntnis der Physiognomie, welche ihrer Rasse eigentümlichist, wohl, das mürrische Schweigen ihres Herrn zu unterbre-

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chen. Noch war keine Nachricht von Gurth und seinen Schütz-lingen da, die schon längst aus dem Walde heim sein sollten. Sogroß war die Unsicherheit jener Zeit, dass man die Verzögerungleicht einer Beraubung durch Geächtete, von denen der naheWald voll war, zuschreiben konnte, oder der Gewalttätigkeiteines benachbarten Barons, dessen Machtbewusstsein ihn zu-gleich nachlässig gegen die Gesetze des Eigentums machte. DieSache war von Wichtigkeit, denn ein großer Teil des häuslichenWohlstandes der angelsächsischen Grundbesitzer bestand inzahlreichen Schweineherden, besonders in Waldgegenden, wodiese Tiere leicht zu ernähren waren.

»Wo bleibt Rowena?«, fragte Cedric endlich.»Sie wechselt nur ihren Kopfputz«, versetzte eine Dienerin,

»Ihr würdet doch nicht wünschen, dass sie sich in Kapuze undMantel zur Abendmahlzeit niedersetzte?«

Aus seinem Brüten wurde Cedric plötzlich durch den Ton desHornes geweckt, der von dem lauten Geheul und Bellen allerHunde beantwortet wurde, die sich in der Halle befanden, undnoch einigen zwanzig oder dreißig, die in anderen Teilen desGebäudes untergebracht waren.

»Zum Tor, Burschen!«, rief der Sachse hastig, sobald derTumult so weit beruhigt war, dass die Diener seine Stimme ver-nehmen konnten. »Seht zu, welche Nachricht jenes Horn unsverkündet!«

In weniger als drei Minuten zurückkehrend, meldete einWächter, dass der Prior von Jorvaulx und der gute Ritter Briande Bois-Guilbert, Mitglied des tapfern und ehrwürdigen Or-dens der Tempelherren, nebst einem kleinen Gefolge um gast-liche Aufnahme und um ein Nachtlager bäten, da sie auf dem

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Wege zu einem Turniere wären, welches in der Nähe von Ashbyde la Zouche zwei Tage später gehalten werden solle.

»Aymer, der Prior Aymer? Brian de Bois-Guilbert?«, mur-melte Cedric, »beide Normannen; aber Normann oder Sachse,gleichviel, die Gastfreundschaft von Rotherwood darf nichtverweigert werden; sie sind willkommen, da es ihnen gefallenhat, hier anzuhalten – willkommener würden sie gewesen sein,wären sie ihres Weges geritten. Sage ihnen, Hundebert, dass Ce-dric sie selber willkommen heißen würde, doch halte ihn einGelübde, keinem mehr als zwei Schritte entgegenzugehen, dernicht an dem angelsächsischen Königsblute Anteil hat. Geh,sieh, dass ihnen sorgfältig aufgewartet werde.«

Der Haushofmeister ging mit mehreren Dienern hinaus, umdie Befehle seines Herrn auszuführen. »Der Prior Aymer!«,wiederholte Cedric, indem er Oswald, den Mundschenk, ansah,»wenn ich nicht irre, der Bruder von Giles de Mauleverer, jetztHerr von Middleham?«

Oswald machte ein respektvolles Zeichen der Bejahung. »Sein Bruder sitzt auf dem Staatssessel, er soll willkommen

sein. Wie nanntet Ihr den Templer?«»Brian de Bois-Guilbert.«»Bois-Guilbert?«, sagte Cedric, noch immer in dem nach-

denklichen Tone, »dieser Name ist im guten und bösen Sinneweit und breit bekannt. Man sagt, er ist einer der Tapfersten sei-nes Ordens, aber mit deren gewöhnlichen Lastern, Stolz, An-maßung, Grausamkeit und Wollust, befleckt; ein hartherzigerMann, der weder Furcht auf Erden noch Scheu vor dem Him-mel kennt. Gut, es ist nur auf eine Nacht; auch er soll will-kommen sein. Oswald, stich das älteste Weinfass an; setze den

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besten Met, das stärkste Bier, den klarsten Most auf; fülle diegrößten Trinkhörner – Templer und Äbte lieben guten Weinund gutes Maß. – Elgitha, lass deine Herrin Rowena wissen,dass wir sie diesen Abend nicht in der Halle erwarten, es seidenn, es ist ihr besonderer Wunsch.«

Er zog seine Brauen zusammen und heftete seine Augen eineSekunde auf den Boden; als er sie wieder erhob, wurden die Flü-geltüren am unteren Ende der Halle geöffnet, und unter Vor-tritt des Haushofmeisters mit seinem Amtsstabe und von vierDienern mit brennenden Fackeln begleitet, traten die Gäste inden Saal.

Der Prior Aymer hatte die ihm gebotene Gelegenheit be-nutzt, sein kostbares Reitkleid gegen eins von noch kostbareremStoff zu vertauschen. Er trug jetzt einen kunstvoll gesticktenChorrock.

Das Äußere des Tempelritters war ebenfalls verändert, undwenn auch weniger mit Schmuck beladen, war seine Kleidungdoch ebenso reich und sein Äußeres um vieles gebieterischer alsdas seines Begleiters. Er hatte sein Panzerhemd gegen eine sei-dene, mit Pelz besetzte Untertunika von dunkler Purpurfarbevertauscht, über welche ein langes Gewand von fleckenlosemWeiß in weiten Falten niederfloss. Das achteckige Kreuz seinesOrdens, aus schwarzem Samt geschnitten, war auf der Schulteran seinen Mantel geheftet. Nichts hätte graziöser und majestä-tischer zugleich sein können, als sein Schritt und seine Haltung,hätten sie nicht zu deutlich ein hochfahrendes Wesen gezeigt,wie man es sich so leicht bei Ausübung eines unbestrittenen An-sehens anzueignen pflegt.

Diesen beiden hohen Personen folgten ihre Diener und in de-

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