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Jahresbericht zur Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal 2011 Langfassung Dr. Achim Siegel Dr. Ulrich Stößel Evaluations-Koordinierungsstelle Integrierte Versorgung (EKIV) an der Abteilung für Medizinische Soziologie Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Hebelstr. 29 79104 Freiburg [email protected] http://www.ekiv.org im Auftrag der Gesundes Kinzigtal GmbH in Zusammenarbeit mit AOK BW und LKK BW Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal

Jahresbericht zur Evaluation der Integrierten Versorgung ... · LP-Patienten und NLP-Patienten im Kinzigtal.....51 Tab. 13: Anteil der Patienten mit >30 DDD an Anxiolytika, Sedativa,

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Jahresbericht

zur Evaluation der Integrierten Versorgung

Gesundes Kinzigtal

2011

Langfassung

Dr. Achim Siegel Dr. Ulrich Stößel

Evaluations-Koordinierungsstelle

Integrierte Versorgung (EKIV)

an der Abteilung für Medizinische Soziologie Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Hebelstr. 29 79104 Freiburg

[email protected] http://www.ekiv.org

im Auftrag der Gesundes Kinzigtal GmbH in Zusammenarbeit mit AOK BW und LKK BW

Evaluation der Integrierten Versorgung

Gesundes Kinzigtal

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

2

Vorbemerkung

Mit dem Jahresbericht 2011 zur Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes

Kinzigtal legen wir einen Überblick vor zum aktuellen Stand der Projekte, mit denen

die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) extern evaluiert wird: Wir fassen

die bisherigen Ergebnisse zusammen und resümieren diese im Hinblick auf die über-

greifenden Fragestellungen der Evaluation der IVGK.1

Der vorliegende Evaluationsbericht (Langfassung) ist folgendermaßen geglie-

dert: Nach einer Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen des Berichts (Kapitel

1) erläutern wir in Kapitel 2 die projektübergreifenden Fragestellungen der IVGK-Eva-

luation. Anschließend, in den Kapiteln 3 bis 6, fassen wir den gegenwärtigen Stand

der einzelnen Evaluationsprojekte zusammen, diskutieren die jeweils offenen Fragen

und geben – wo möglich – einen Ausblick auf den Fortgang der Projekte.

Mit dem Jahresbericht 2011 schreiben wir den Jahresbericht aus dem vorher-

gehenden Jahr – den Jahresbericht 2010 – fort. Da im SDM-Projekt (Kapitel 3) im Ver-

gleich zum Jahresbericht 2010 keine neuen Evaluationsergebnisse vorliegen, fassen

wir in Kapitel 3 die bisherigen Ergebnisse sehr knapp zusammen und referieren die

Diskussion, die im Jahr 2011 um die Fortsetzung bzw. Beendigung des SDM-Projekts

geführt wurde. Für eine ausführlichere Zusammenfassung und Interpretation der Er-

gebnisse des SDM-Projekts verweisen wir auf den Jahresbericht 2010. In den Kapiteln

4 bis 6 gehen wir auf neue Evaluationsergebnisse im ÜUF-Projekt (Kapitel 4), im

PeGL-Projekt (Kapitel 5) und im AGil-Projekt (Kapitel 6) ein. Zum Abschluss versu-

chen wir eine Zwischenbilanz der bisherigen Ergebnisse (Kapitel 7).

Wir danken allen, die durch ihr produktives Feedback dazu beigetragen haben,

dass der Bericht in der jetzigen Form entstanden ist. Dazu gehören insbesondere Frau

Dr. Ingrid Schubert (PMV forschungsgruppe, Universität zu Köln) und Dr. Matthias

Nübling (Gesellschaft für empirische Beratung, Denzlingen). Gleichwohl verantworten

wir, die beiden Autoren, den folgenden Bericht und somit auch alle Unzulänglich-

keiten, die er eventuell noch enthält.

Freiburg, im April 2012 Achim Siegel & Ulrich Stößel

1 Neben diesen externen Evaluationsstudien gibt es auch noch eine interne Evaluation, für welche die Evaluations-Koordinierungsstelle (EKIV) allerdings nicht verantwortlich ist. Aufgabe der internen Evalua-tion ist es in erster Linie, Wirksamkeit und Effizienz einzelner IVGK-Gesundheitsprogramme zu beurteilen. Aktuelle interne Evaluationsstudien können unter folgender Adresse abgerufen werden: http://gesundes-kinzigtal.de/index.php?option=com_content&view=article&id=263%3Afb-start&catid=1%3Astatic&Itemid=192.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

3

Inhaltsübersicht

Vorbemerkung ................................................................................................................2

Inhaltsübersicht...............................................................................................................3

Gliederung ......................................................................................................................5

Tabellenverzeichnis ........................................................................................................8

Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................10

1 Zusammenfassung ....................................................................................................12

1.1 SDM-Projekt ....................................................................................................12

1.2 ÜUF-Projekt.....................................................................................................13

1.3 PeGL-Projekt...................................................................................................15

1.4 AGil-Projekt .....................................................................................................16

1.5 Resümee.........................................................................................................17

2 Fragestellungen der Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)...........................................................................................18 2.1 Hauptziele der IVGK .......................................................................................18

2.2 Der Stellenwert der Evaluation........................................................................19

2.3 Leitende Fragestellungen der Evaluation........................................................19

2.4 Hauptfragestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte ...............................21

3 Das SDM-Projekt: Erhebung und Ermittlung der Einstellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM) ...........................................................................24 3.1 Fragestellung, Material und Methoden des SDM-Projekts..............................24

3.2 Wichtige Ergebnisse des SDM-Projekts..........................................................25

3.3 Diskussion der Ergebnisse..............................................................................28

3.4 Ausblick ...........................................................................................................30

4 Das ÜUF-Projekt: Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehl- versorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten – Versorgungsevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten ...........................................33 4.1 Allgemeine Forschungsfragen des ÜUF-Projekts ...........................................34

4.2 Studienpopulationen und Methoden des ÜUF-Projekts ..................................37

4.3 Bisherige Ergebnisse: Die Beobachtungsjahre 2004-2008.............................42

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

4

4.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.......................................72

5 Das COPE-Teilprojekt 2: Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt)............................................................................82 5.1 Funktion und Forschungsfragen des PeGL-Projekts ......................................82

5.2 Methoden und Studienpopulation des PeGL-Projekts ....................................84

5.3 Ausgewählte Ergebnisse der ersten drei Befragungen der GK-Leistungspartner aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 ................................85

5.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.....................................108

6 Das AGil-Projekt: Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal. Prozess- und Ergebnisevaluation eines Interventionsprogramms im Kontext einer Integrierten Versorgung von AOK-Patienten ...................................111 6.1 Forschungsfragen des AGil-Projekts.............................................................111

6.2 Studienpopulation und Methoden des AGil-Projekts im Kinzigtal .................113

6.3 Ausgewählte Zwischenergebnisse des AGil-Evaluationsprojekts .................116

6.4 Diskussion und Ausblick................................................................................134

7 Versuch einer Zwischenbilanz der IVGK-Evaluation ...............................................131

8 Literaturverzeichnis..................................................................................................137

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

5

Gliederung

Vorbemerkung ................................................................................................................2

Inhaltsübersicht...............................................................................................................3

Gliederung ......................................................................................................................5

Tabellenverzeichnis ........................................................................................................8

Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................10

1 Zusammenfassung ....................................................................................................12

1.1 SDM-Projekt ....................................................................................................12

1.2 ÜUF-Projekt.....................................................................................................13

1.3 PeGL-Projekt...................................................................................................15

1.4 AGil-Projekt .....................................................................................................16

1.5 Resümee.........................................................................................................17

2 Fragestellungen der Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)...........................................................................................18 2.1 Hauptziele der IVGK .......................................................................................18

2.2 Der Stellenwert der Evaluation........................................................................19

2.3 Leitende Fragestellungen der Evaluation........................................................19

2.4 Hauptfragestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte ...............................21

3 Das SDM-Projekt: Erhebung und Ermittlung der Einstellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM) ...........................................................................24 3.1 Fragestellung, Material und Methoden des SDM-Projekts..............................24

3.2 Wichtige Ergebnisse des SDM-Projekts..........................................................25

3.3 Diskussion der Ergebnisse..............................................................................28

3.4 Ausblick ...........................................................................................................30

4 Das ÜUF-Projekt: Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehl- versorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten – Versorgungsevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten ...........................................33 4.1 Allgemeine Forschungsfragen des ÜUF-Projekts ...........................................34

4.1.1 Grundlagen: Die Definition von Über-, Unter- und Fehlversor- gung des Sachverständigenrats im Sondergutachten 2000/2001 .................34

4.1.2 Forschungsfragen des ÜUF-Projekts....................................................35

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

6

4.2 Studienpopulationen und Methoden des ÜUF-Projekts ..................................37

4.2.1 Studienpopulationen und Studiendauer des ÜUF-Projekts ..................37

4.2.2 Stichprobengrößen der Studienpopulationen .......................................39

4.2.3 Methoden des Populationenvergleichs.................................................41

4.3 Bisherige Ergebnisse: Die Beobachtungsjahre 2004-2008.............................42

4.3.1 Ausgewählte globale Prävalenzen, Inanspruchnahme- Kennziffern und Qualitätsindikatoren.............................................................43

4.3.1.1 Häufigste Behandlungsanlässe im Jahr 2008 ............................43

4.3.1.2 Versicherte mit Multimorbidität und Multimedikation ..................46

4.3.1.3 Versicherte mit problematischen Arzneimittelverordnungen ......50

4.3.1.4 Weitere globale Kennziffern der Inanspruchnahme ...................53

4.3.2 Indikationsbezogene Kennziffern und Qualitätsindikatoren ..................57

4.3.2.1 Chronische koronare Herzkrankheit (KHK) ................................58

4.3.2.2 Osteoporose und Frakturen........................................................64

4.3.2.3 Kennziffern und Qualitätsindikatoren zu anderen Indikationen im Überblick .......................................................................67

4.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.......................................72

4.4.1 Diskussion der bisherigen Ergebnisse..................................................72

4.4.2 Ausblick auf den Fortgang des ÜUF-Projekts.......................................80

5 Das COPE-Teilprojekt 2: Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt)............................................................................82 5.1 Funktion und Forschungsfragen des PeGL-Projekts ......................................82

5.2 Methoden und Studienpopulation des PeGL-Projekts ....................................84

5.3 Ausgewählte Ergebnisse der ersten drei Befragungen der GK-Leistungspartner aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 ................................85

5.3.1 Rücklauf der Befragungen ....................................................................85

5.3.2 Motive der Befragten, der IVGK als Leistungspartner beizutreten, und eventuelle Bedenken gegen die IVGK ................................86

5.3.3 Bewertung der die IVGK tragenden Institutionen..................................91

5.3.4 Kenntnis der IVGK-Gesundheitsprogramme, Vermittlung in Pro- gramme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme ..........................92

5.3.5 Bewertung ausgewählter Aspekte des Projektverlaufs und Zufriedenheit mit der IVGK ............................................................................95

5.3.6 Unterschiede zwischen Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern zur Zeit der T3-Befragung..............................................100

5.3.7 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrieren der Partizipativen Entscheidungsfindung aus Sicht der Leistungspartner................................103

5.3.7.1 Die Bedeutung von Zielvereinbarungen aus Sicht der Leistungspartner...................................................................................104

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

7

5.3.7.2 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrrieren der Partizipativen Entscheidungsfindung aus Sicht der Leistungspartner ........................107

5.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.....................................108

6 Das AGil-Projekt: Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal – Prozess- und Ergebnisevaluation eines Interventionsprogramms im Kontext einer Integrierten Versorgung von AOK-Patienten ...................................111 6.1 Forschungsfragen des AGil-Projekts.............................................................111

6.1.1 Grundlagen: Das Interventionsprogramm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ ...................................................................111

6.1.2 Forschungsfragen des AGil-Projekts im Kinzigtal...............................112

6.2 Studienpopulation und Methoden des AGil-Projekts im Kinzigtal .................113

6.2.1 Erhebungsmethoden der Prozessevaluation ......................................113

6.2.2 Studiendesign und Erhebungsmethoden der Ergebnisevaluation ......113

6.2.2.1 Ergebnisevaluation mittels Primärdaten ...................................114

6.2.2.2 Ergebnisevaluation mittels GKV-Routinedaten ........................115

6.2.3 Fallzahlenkalkulation und Einschlusskriterien.....................................115

6.3 Bisherige Ergebnisse des AGil-Evaluationsprojekts .....................................116

6.3.1 Ergebnisse der Prozessevaluation .....................................................116

6.3.1.1 Beteiligung am AGil-Programm und soziodemographische Merkmale der Programmteilnehmer .....................................................116

6.3.1.2 Bewertung des AGil-Programms durch die Teilnehmer ...........118

6.3.1.3 Umsetzung der AGil-Empfehlungen laut Angaben der Programmteilnehmer............................................................................120

6.3.1.4 Einschätzung der Nachhaltigkeit des Programms durch Mitglieder der Gesundheitsberater-Teams...........................................122

6.3.1.5 Zur Übertragbarkeit des AGil-Programms von einem großstädtischen auf einen ländlichen Kontext......................................123

6.3.2 Bisherige Resultate der Ergebnisevaluation im Überblick ..................124

6.3.2.1 Veränderungen des Ernährungsverhaltens..............................124

6.3.2.2 Veränderungen des Bewegungsverhaltens..............................125

6.3.2.3 Veränderungen sozialer Teilhaben und sozialer Vorsorge.......125

6.3.2.4 Veränderungen des subjektiven Gesundheitszustands und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität...................................126

6.3.2.5 Anmerkungen zur noch laufenden Ergebnisevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten.........................................................126

6.4 Diskussion und Ausblick................................................................................134

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

8

7 Versuch einer Zwischenbilanz der IVGK-Evaluation ...............................................131

8 Literaturverzeichnis..................................................................................................137

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Evaluationsprojekte zur Bearbeitung der Leitfragen der IVGK-Evaluation.......22

Tab. 2: Anzahl der Versicherten der AOK BW nach Versichertengruppe und Beobachtungsjahr (ohne Kassenwechsler) ...........................................................39

Tab. 3: Anzahl der Versicherten der LKK BW nach Versichertengruppe und Beobachtungsjahr (ohne Kassenwechsler) ...........................................................40

Tab. 4: Anteil der im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten nach Leistungs- partner-Status des behandelnden Arztes .....................................................................40

Tab. 5a: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008.................................................................................................44

Tab. 5b: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im stationären Sektor: Anteil der Versicherten mit stationärer Hauptent- lassungsdiagnose im Jahr 2008 ...................................................................................44

Tab. 6: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der LKK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008.................................................................................................45

Tab. 7: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimorbidität nach Beobachtungsjahr .......46

Tab. 8: AOK-Versicherte: Charlson-Komorbiditäts-Index .............................................48

Tab. 9: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr......49

Tab. 10: Anteil der LKK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr.....50

Tab. 11: AOK-Versicherte mit längerfristiger Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD) .................................................................................51

Tab. 12: Längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD) bei LP-Patienten und NLP-Patienten im Kinzigtal ..............................................................51

Tab. 13: Anteil der Patienten mit >30 DDD an Anxiolytika, Sedativa, Hypnotika in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte) ......................................................................52 Tab. 14: Anteil der Patienten mit >75 DDD an NSAR in mindestens einem Quar- tal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte).............53

Tab. 15: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt nach Beobachtungsjahr .......54

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

9

Tab. 16: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt und Notfallschein..................55

Tab. 17: Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-III (SGB XI) ............................56

Tab. 18: Generikaanteil der AOK-Versicherten ............................................................56

Tab. 19: Generikaanteil der LKK-Versicherten .............................................................57

Tab. 20: Anteil der AOK-Versicherten mit chronischer KHK.........................................59

Tab. 21: Anteil der KHK-Patienten mit TAH-Verordnung..............................................60

Tab. 22: Anteil der KHK-Patienten mit Betablocker-Verordnung..................................61

Tab. 23: Anteil der KHK-Patienten mit Statin-Verordnung............................................62

Tab. 24: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie .......................................62

Tab. 25: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie und Interventionen ........63

Tab. 26: Anteil der AOK-Versicherten mit Osteoporose ...............................................65

Tab. 27: Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur unter den Bekannten Osteoporose-Patienten...............................................................................66

Tab. 28: Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur, die eine osteoporosespezifische Therapie erhalten ...................................................................67

Tab. 29a: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil A ............................76

Tab. 29b: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil B ............................77

Tab. 29c: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil C............................78

Tab. 30: Charakteristika der Interventionsgruppe und der beiden Vergleichsgrup- pen der AGil-Studie (AOK-Versicherte mit zuordenbaren GKV-Routinedaten)..........127

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

10

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Beteiligung der Patienten an Therapieentscheidungen beim letzten Hausarztbesuch in der T0- und T2-Befragung (Instrument: PEF-FB, Werte- Bereich 0 – 100) ...........................................................................................................26 Abb. 2: Zufriedenheit mit der hausärztlichen Versorgung in der T0- und T2-Befragung (Instrument: ZAV, Wertebereich 0 – 100) ..............................................27 Abb. 3: Körperliche Lebensqualität in der T0- und T2-Befragung (Instrument: SF-12, Wertebereich 0 – 100) ..................................................................27 Abb. 4: Grundzüge des Studiendesigns des ÜUF-Projekts..........................................38 Abb. 5: Beteiligung an der Drittbefragung der GK-Leistungspartner: Anzahl (und Anteil der Responder in %) nach Berufsgruppe ...................................................86 Abb. 6: Motive der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008.................................................87 Abb. 7: Motive der sonstigen Leistungspartner für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010............................................................88 Abb. 8: Bedenken der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten gegen „Gesundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008.................................................................89 Abb. 9: Bedenken der sonstigen Leistungspartner gegen „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010 ...................................................................................90 Abb. 10: Beurteilung des Ärztenetzes MQNK/des Ärztlichen Beirats, der AOK BW und der LKK BW und der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH bei allen Befragten ............................................................................................91 Abb. 11: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme – alle Befragte ...............................93 Abb. 12: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme bei denjenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ............................94 Abb. 13: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution.........95 Abb. 14: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution durch diejenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ....................................................................................................96 Abb. 15: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht der Leistungspartner.....................................................................................................97

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

11

Abb. 16: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht derjenigen Leistungspartner (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ....................................................................................................98 Abb. 17: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf ............................................99 Abb. 18: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei denjenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ............................99 Abb. 19: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern in der T3-Befragung..............................................................................................................100 Abb. 20: Entwicklung von Kooperation und Informationsaustausch in der IVGK aus Sicht von Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern bei der T3-Befragung........................................................................................................101 Abb. 21: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern zur Zeit der T3-Befragung ..................102 Abb. 22: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten I .................104 Abb. 23: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten II ................105 Abb. 24: Funktionalität und Umsetzungsbarrieren einer Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) ......................................................................................107 Abb. 25: Fallzahlenentwicklung der AGil-Programmteilnehmer .................................117 Abb. 26: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit den Vorträgen der AGil-Interven- tion (Äußerungen zur Aussage „Mit den Vorträgen war ich insgesamt zufrieden“) ....118 Abb. 27: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit der Kleingruppenarbeit (Äuße- rungen zur Aussage „Mit der Kleingruppenarbeit war ich insgesamt zufrieden“) .......119 Abb. 28: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu gesunder Ernährung sechs Monate nach Intervention (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zur Ernährung schon umgesetzt werden?“)................................................................120 Abb. 29: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu körperlicher Aktivität (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zu körperlicher Aktivität bereits umgesetzt werden?“)....................................................................................................................121

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

12

1 Zusammenfassung

Die Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) verfolgt Frage-

stellungen, die sich aus den Zielen der IVGK ableiten. Hauptziel der IVGK ist, in der

Region Kinzigtal in Südbaden eine wirtschaftlichere Gesundheitsversorgung bei min-

destens gleich bleibender Versorgungsqualität – möglichst aber bei steigender Versor-

gungsqualität – zu erreichen. Bei der sektorenübergreifenden Koordination der Versor-

gung arbeitet die Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH eng mit den

Vertragspartnern AOK Baden-Württemberg und LKK Baden-Württemberg zusammen,

die für ihre im Kinzigtal wohnenden Versicherten mit der Gesundes Kinzigtal GmbH

langfristige Versorgungsverträge abgeschlossen haben. Diese haben zunächst eine

Laufzeit bis 30. Juni 2015 (AOK Baden-Württemberg) bzw. 31. Dezember 2015 (LKK

Baden-Württemberg); in beiden Fällen besteht die Option einer Vertragsverlängerung.

Bislang scheint es, als könne das Teilziel einer ökonomischeren Gesundheits-

versorgung im Kinzigtal erreicht werden: Die finanziellen Ergebnisse für die ersten

Jahre nach erfolgtem Strukturaufbau zeigen, dass es bereits in diesem Zeitraum

gelungen ist, die Gesundheitsversorgung der AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal

zunehmend wirtschaftlicher zu gestalten als vor dem Start der IVGK (vgl. Abschnitt

2.1).

Angesichts dieses doppelten Ziels der IVGK kommt der wissenschaftlichen Eva-

luation die wichtige Aufgabe zu, Aspekte der Versorgungsqualität im Kinzigtal und in

der IVGK zu erheben und zu bewerten. Von Beginn an lag den Gründern und Ver-

tragspartnern der IVGK viel daran, besonders die Qualitätsaspekte der Versorgung im

Kinzigtal gründlich und von unabhängigen Forschungsinstituten untersuchen zu las-

sen. Dafür haben sie nicht nur beträchtliche Summen für die Durchführung der Eva-

luation bereitgestellt, sondern auch beachtliche Kapazitäten u. a. für ein umfang-

reiches Datenmanagement. All dies hat dazu geführt, dass die Evaluation der IVGK

einmalig ist in der Geschichte der Integrierten Versorgung in Deutschland, denn

nirgendwo sonst existiert für Projekte der Integrierten Versorgung eine derart umfang-

reiche und unabhängige Evaluation.

1.1 SDM-Projekt Das SDM-Projekt (Kapitel 3) wird von Prof. Dr. Dr. Martin Härter (Universitätsklinikum

Hamburg-Eppendorf und Universitätsklinikum Freiburg) geleitet und von seinem Frei-

burger Forschungsteam durchgeführt. Mittels einer dreiarmigen kontrollierten Kohor-

tenstudie untersucht das Projektteam in erster Linie die Frage, ob es im Kontext eines

integrierten Versorgungssystems wie der IVGK und durch spezifische Fortbildungsver-

anstaltungen für Ärzte gelingt,

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

13

- die Patienten stärker an Therapieentscheidungen zu beteiligen als in der her-

kömmlichen Versorgung und

- zu einer höheren Zufriedenheit der Versicherten beizutragen.

Im SDM-Projekt werden weitere Ziel-Parameter erhoben wie z.B. die Lebensqualität

der Versicherten oder die Entscheidungskonfidenz von Patienten, d.h. das Ausmaß, in

dem diese den Eindruck haben, zusammen mit ihrem Arzt informierte und wohlabge-

wogene Entscheidungen getroffen zu haben.

Bislang haben im SDM-Projekt drei Versichertenbefragungen im Abstand von

jeweils einem Jahr stattgefunden. Bei der dritten Befragung (T2-Befragung) zeigte sich

lediglich bei einer der insgesamt neun Zielvariablen ein Interventionseffekt, d.h. eine

signifikant unterschiedliche Entwicklung der Zielvariablen in den einzelnen Studien-

gruppen: Das Ausmaß der erlebten Beteiligung an Therapieentscheidungen ging bei

allen drei Studiengruppen im Zeitverlauf zurück, aber entgegen den Forschungshypo-

thesen war der Rückgang in der Gruppe der IV-Versicherten signifikant stärker als in

den beiden Vergleichsgruppen. Dies schlug sich jedoch nicht bedeutsam in der Zufrie-

denheit der Versicherten mit der hausärztlichen Versorgung insgesamt nieder – die

Zufriedenheitswerte der IV-Versicherten wurden bislang von keiner der anderen Stu-

diengruppen übertroffen (vgl. Abschnitt 3.3.5).

Da wir die signifikant stärker zurückgehende erlebte Patientenbeteiligung in der

Interventionsgruppe für erklärungsbedürftig halten, diskutieren wir dieses Ergebnis

ausführlich in Abschnitt 3.4.1.2.

1.2 ÜUF-Projekt

Das ÜUF-Projekt, dessen bisherige Ergebnisse wir in Kapitel 4 zusammenfassen und

diskutieren, soll Antworten auf zwei entscheidende Fragen liefern: Entwickelt sich die

Gesundheit der Versicherten in der IVGK und in der Region Kinzigtal seit Beginn des

IVGK-Projekts günstiger als im übrigen Baden-Württemberg? Gelingt es im Zuge des

Ausbaus der IVGK, Phänomene der Über-, Unter- und Fehlversorgung (nach der Defi-

nition des Sachverständigenrats) im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg zu

reduzieren und so die komparative Versorgungsqualität im Kinzigtal zu erhöhen?

Das ÜUF-Projekt, durchgeführt von der PMV forschungsgruppe an der Univer-

sität zu Köln unter der Leitung von Frau Dr. Ingrid Schubert, basiert auf dem Design

einer bevölkerungsbezogenen quasi-experimentellen kontrollierten Studie. Dabei gel-

ten die im Kinzigtal wohnenden AOK- und LKK-Versicherten als Interventionsgruppe;

zum Vergleich wird eine für das übrige Baden-Württemberg repräsentative Zufalls-

stichprobe aller volljährigen AOK- und LKK-Versicherten herangezogen. Bei Popula-

tionsvergleichen werden die Ergebnisse der baden-württembergischen Vergleichs-

gruppe stets standardisiert auf die im Kinzigtal vorgefundene Alters- und Geschlechts-

verteilung der volljährigen AOK- und LKK-Versicherten. Die in der Studie analysierten

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

14

Daten sind sektorübergreifende pseudonymisierte GKV-Routinedaten der beteiligten

Versicherten.

Die Interventionsgruppe geht in Form einer Vollerhebung in die Studie ein (ca.

31.000 Versicherte), während für die Vergleichsgruppe eine Zufallsstichprobe gezo-

gen wurde, die rund 20 % der Grundgesamtheit beträgt (ca. 500.000 Versicherte). Als

Basisjahr der Studie gilt das Jahr 2004, da es das letzte interventionsfreie Kalen-

derjahr darstellt; alle darauf folgenden Beobachtungsjahre (2005 bis 2011) sind dem-

entsprechend Jahre mit einer sukzessive zunehmenden Interventionsintensität.

Die Zwischenergebnisse, die wir im gegenwärtigen Evaluationsbericht darstellen

und interpretieren, beruhen auf einer Analyse des Zeitraums 2004-2008. Den Untersu-

chungen zur Versorgungsqualität, die die PMV forschungsgruppe mittels Qualitätsindi-

katoren und anderen Kennziffern analysiert, entnehmen wir, dass die Versorgungs-

qualität im Kinzigtal und in der IVGK alles in allem als relativ gut einzuschätzen ist und

sich im Zeitraum 2004-08 insgesamt positiv entwickelt hat.

So sind einige Phänomene der Über-, Unter- und Fehlversorgung (im Sinne des

Sachverständigenrats) in der IVGK und im Kinzigtal erkennbar geringer ausgeprägt

als im übrigen Baden-Württemberg. Dies betrifft insbesondere die Prävalenz proble-

matischer Arzneimittelverordnungen wie z.B. die längerfristige Verordnung von Benzo-

diazepinen oder generell von anderen Arzneimitteln mit Abhängigkeitspotential. So

fanden sich im Jahr 2008 nur bei 2,4% der volljährigen AOK-Versicherten länger-

fristige Benzodiazepin-Verordnungen zu Lasten der GKV, während es im übrigen Ba-

den-Württemberg (alters- und geschlechtsstandardisiert) 3,9% waren.

Auch bei indikationsspezifischen Kennziffern und Qualitätsindikatoren sind für

das Kinzigtal komparative Verbesserungen häufiger zu verzeichnen als komparative

Verschlechterungen. Sehr eindrücklich ist zum Beispiel, dass es im Kinzigtal im

Zeitraum 2004-08 gelang, den Anteil der Patienten mit Fraktur unter den bekannten

Osteoporose-Patienten auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau konstant zu

halten, wohingegen der von Beginn an höhere Anteil im übrigen Baden-Württemberg

im selben Zeitraum weiter anstieg (vgl. Abschnitt 4.3.2.2). Für den Zeitraum 2004-

2008 jedenfalls lässt sich im Hinblick auf Phänomene der Über-, Unter- und Fehl-

versorgung und auf sonstige wichtige Kennziffern für das Kinzigtal eine insgesamt

positive Bilanz erkennen (vgl. Abschnitt 4.4.1).

Auch hinsichtlich der zweiten großen Forschungsfrage des ÜUF-Projekts er-

scheinen die bisherigen Zwischenergebnisse angesichts der Ziele der IVGK viel

versprechend: Bei fast allen untersuchten Indikationen zeigt sich, dass die admini-

strativen Prävalenzen im Zeitraum 2004-2008 im Kinzigtal langsamer stiegen – oder

ggf. stärker zurückgingen – als im übrigen Baden-Württemberg. Aus verschiedenen

Gründen halten wir es aber für verfrüht, diesen bislang erkennbaren Trend bereits jetzt

– auf Basis von lediglich fünf Beobachtungsjahren – als hinreichend stabil und

verlässlich anzusehen. Diese Vorbehalte diskutieren wir ausführlich in Abschnitt 4.4.1

und in Kapitel 7.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

15

1.3 PeGL-Projekt

Das dritte Evaluationsprojekt, dessen Ergebnisse wir in Kapitel 5 zusammenfassen, ist

die seit 2008 jährlich stattfindende Befragung der GK-Leistungspartner, die „Prozess-

evaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner“ (PeGL). Das Projekt wird von Dr. Matt-

hias Nübling (Gesellschaft für empirische Beratung, Denzlingen) geleitet.

Von diesem Projekt erhoffen wir uns unter anderem Antworten auf die folgenden

beiden Fragen: Wie zufrieden sind die am IV-Projekt beteiligten Ärzte und andere Lei-

stungspartner mit der IVGK und verschiedenen Aspekten des Projektverlaufs? Ent-

steht im Zuge des Aufbaus der IVGK eine intensivere Kooperation zwischen Vertre-

tern verschiedener medizinischer Disziplinen und verschiedener anderer Gesundheits-

berufe?

Auf die erste Frage bieten die bisherigen Ergebnisse des PeGL-Projekts eine

ermutigende Antwort: Die Zufriedenheit der GK-Leistungspartner mit dem IVGK-Pro-

jekt war bei allen drei bisherigen Befragungen (2008, 2009 und 2010) sehr hoch: Rund

94 % der im Jahr 2010 per Fragebogen antwortenden Leistungspartner würden wieder

Mitglied in GK werden, wenn sie noch einmal vor der Entscheidung stünden. Ein

genauso hoher Anteil der Leistungspartner würde anderen „die Mitgliedschaft in GK

empfehlen“. Vor allem im Hinblick auf die Frage, ob sich für die Leistungspartner auch

konkrete Vorteile – auch finanzieller Art – durch die Kooperation mit der IVGK ergeben

hätten, unterscheiden sich die Antworten der Leistungspartner je nach Berufsgruppe:

So gaben die Hausärzte am häufigsten positive Antworten, gefolgt von den Fach-

ärzten und den sonstigen Leistungspartnern (Klinikärzte, Physiotherapeuten, Vertreter

von Pflegeheimen und Pflegediensten). Die Hausärzte unter den IVGK-Leistungs-

partnern äußern sich im Übrigen auch im Hinblick auf die klassischen Fragen der Ge-

samtzufriedenheit am positivsten.

Hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage lässt sich anhand der Daten der Dritt-

befragung (2010) ebenfalls ein positiver Trend erkennen: So haben sich aus Sicht der

Mehrheit der Befragten z.B. „die Kooperation und der Informationsaustausch mit

anderen Praxen und Leistungserbringern seit Beginn der IVGK vorteilhaft entwickelt“.

Dieser Trend ist am klarsten bei der Subgruppe derjenigen Befragten festzustellen, die

an allen drei Befragungen teilgenommen haben und demzufolge auch schon seit

Beginn des Jahres 2008 mit der IVGK kooperieren. Auffällig ist, dass bei dieser Frage

Fachärzte und vor allem Hausärzte häufiger eine positive Antwort geben als die

sonstigen Leistungspartner. Bei dieser grundsätzlichen Frage der interdisziplinären

Kooperation scheint es also auch für die IVGK noch Entwicklungspotential zu geben –

zumindest aus Sicht der sonstigen Leistungspartner. Allerdings ist zu berücksichtigen,

dass viele der „sonstigen Leistungspartner“ zum Zeitpunkt der Drittbefragung 2010

noch nicht lange IVGK-Leistungspartner waren und demzufolge auch nur für eine

kurze Zeit Erfahrungen mit der IVGK sammeln konnten. Gerade im Hinblick auf die bei

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

16

der letzten Befragung feststellbaren Unterschiede zwischen den drei Leistungspart-

nergruppen ist also noch vieles „im Fluss“.

1.4 AGil-Projekt

Das mittlerweile beendete AGil-Programm im Kinzigtal hatte das Ziel, Senioren ab 60

Jahren zu einer möglichst gesunden Ernährung, zu körperlicher Aktivität und sozialer

Teilhabe zu befähigen. Dies sollte zum einen durch eine halbtägige Veranstaltung er-

reicht werden, die sowohl Informations- und Beratungskomponenten als auch Klein-

gruppenarbeit umfasst. Zum anderen sollte dies durch einen Empfehlungsbrief ge-

schehen, der individuelle Tipps zu gesunder Ernährung und zur Steigerung körper-

licher Aktivität enthält. Diesen Empfehlungsbrief erhalten alle Programmteilnehmer

zwei Wochen nach der Veranstaltung.

Das AGil-Evaluationsprojekt wird von Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck (Univer-

sitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) geleitet. Die vom Bundesministerium für Bildung

und Forschung finanzierte AGil-Studie hat die Aufgabe, das AGil-Programm im Kin-

zigtal zu evaluieren, und zwar in Form einer Prozessevaluation wie auch einer um-

fangreichen Ergebnisevaluation. Bei letzterer werden Effektivität und Effizienz des

AGil-Programms untersucht; dabei soll die dreifache Frage beantwortet werden, ob

das AGil-Programm in einer ländlichen Gegend wie dem Kinzigtal geeignet ist,

1. den Programmteilnehmern zu einem besseren Gesundheitszustand zu ver-

helfen,

2. bei den Programmteilnehmern ein anderes Verhalten bei der Inanspruchnah-

me von Versorgungsleistungen in Gang zu setzen und

3. die Versorgungskosten der Programmteilnehmer im Vergleich zu Nicht-Teil-

nehmern zu verändern.

Zur Beantwortung vor allem der letzten beiden Fragen werden Primärdaten (Frage-

bogendaten) der Programmteilnehmer mit deren pseudonymisierten GKV-Routine-

daten verknüpft; diese werden dann mit den GKV-Routinedaten zweier Kontrollgrup-

pen retrospektiv verglichen (retrospektive kontrollierte Kohortenstudie). Die pseudo-

nymisierten GKV-Routinedaten werden von der AOK Baden-Württemberg zur Ver-

fügung gestellt. Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage werden im Wesent-

lichen Primärdaten herangezogen, die durch die Befragung der Programmteilnehmer

mittels teilstandardisierter Fragebögen erhoben wurden.

Bislang liegen uns die Ergebnisse der Prozessevaluation und eines Teils der

Ergebnisevaluation vor. Die Auswertung der Ergebnisse, die auf den GKV-Routine-

daten der AGil-Programmteilnehmer beruhen, dauert hingegen noch an. Die AGil-

Teilnehmer selbst erlebten die Intervention offenkundig als sehr nützlich. Rund 98 %

aller per Fragebogen antwortenden Teilnehmer würden die Teilnahme am AGil-

Programm auch Freunden weiterempfehlen. Nach der Teilnahme am AGil-Programm

änderte sich das – per Fragebogen ermittelte – Ernährungsverhalten der Teilnehmer

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

17

signifikant in dem Sinne, dass diese häufiger als zuvor Obst und Gemüse aßen. Auch

engagierten sich die Programmteilnehmer nach der Intervention signifikant häufiger

als zuvor, und auch soziale Vorsorgemaßnahmen (Patientenverfügungen und Vor-

sorgevollmachten) wurden nach der Intervention von den am AGil-Programm teilneh-

menden Frauen signifikant häufiger getroffen als zuvor. Bei einer ganzen Reihe von

Ergebnisparametern konnten jedoch keine signifikanten Änderungen gemessen wer-

den; dies gilt auch für die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die wohl den wich-

tigsten Ergebnisparameter darstellt, der mittels Primärdaten erhoben wurde. Da die

entsprechenden Fragebogendaten nur bei der Interventionsgruppe und nicht auch

noch bei einer Kontrollgruppe erhoben wurden, ist es aus methodischen Gründen pro-

blematisch, die bei den AGil-Teilnehmern festgestellten signifikanten Änderungen auf

die Programmteilnahme zurückzuführen. So kann z. B. die bei den AGil-Teilnehmern

gefundene Zunahme an sozialen Vorsorgemaßnahmen auch nur einen säkularen ge-

sellschaftlichen Trend widerspiegeln. Das würde bedeuten, dass die Teilnahme am

AGil-Programm nicht ursächlich wäre für die bei den Programmteilnehmern festge-

stellte Zunahme an sozialen Vorsorgemaßnahmen.

Die Ergebnisparameter, die auf Basis von GKV-Routinedaten ermittelt werden,

wurden nicht nur bei der Interventionsgruppe – den AGil-Programmteilnehmern –

erhoben, sondern retrospektiv auch bei zwei Kontrollgruppen. Dieser Teil der Ergeb-

nisevaluation beruht also auf einem methodologisch aussagekräftigeren Studien-

design (kontrollierte Kohortenstudie) als der Teil, der auf Primärdaten basiert. Man

darf also gespannt sein, welche Resultate sich bei der noch ausstehenden Auswer-

tung der GKV-Routinedaten ergeben. Die Ergebnisevaluation des AGil-Programms

wird voraussichtlich noch im Lauf des Jahres 2012 abgeschlossen sein.

1.5 Resümee

Aus den bisherigen externen Evaluationsstudien ergibt sich in unseren Augen bislang

eine insgesamt positive Zwischenbilanz für die IVGK: In vielen Bereichen können wir

Anzeichen für eine relativ hohe Versorgungsqualität erkennen, die häufig – auch im

Vergleich mit dem übrigen Baden-Württemberg – im Zeitraum 2004-08 weiter ge-

stiegen ist. Deutlich seltener gibt es Indizien für eine (absolute oder komparative) Ver-

schlechterung der Versorgungsqualität. Dass die bisherigen Ergebnisse im SDM-Pro-

jekt eine etwas zurückgehende erlebte Beteiligung von Patienten an Therapieent-

scheidungen zeigen – siehe unsere ausführliche Diskussion in Abschnitt 3.3 und in

Kapitel 7 –, stellt das bislang recht positive Gesamtbild unseres Erachtens nicht in

Frage.

Zu welchem Ergebnis die Evaluationsprojekte am Ende auch gelangen werden –

in jedem Fall scheint uns die Evaluation der IVGK geeignet, praxisrelevante Antworten

auf wichtige Fragen zur Gestaltung der zukünftigen Gesundheitsversorgung in

Deutschland hervorzubringen.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

18

2 Fragestellungen der Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)

Die Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) soll verschie-

dene Fragestellungen beantworten, die sich von den Zielen und dem Charakter des IV-

Projekts „Gesundes Kinzigtal“ ableiten. Wir umreißen deshalb zunächst kurz die Haupt-

ziele der IVGK.

2.1 Hauptziele der IVGK

Hauptziel des IV-Projekts „Gesundes Kinzigtal“ ist, eine – im Vergleich zur herkömm-

lichen Versorgung – wirtschaftlichere Gesundheitsversorgung im Kinzigtal zu organi-

sieren, und zwar ohne Abstriche bei der Versorgungsqualität.

Dieses doppelte Ziel wird auf Basis eines integrierten Versorgungssystems ange-

strebt: Die Träger der IVGK versuchen also, die Kooperation der verschiedenen Lei-

stungserbringer über Berufs- und Sektorengrenzen hinweg zu optimieren, um die übli-

chen Schnittstellenprobleme des herkömmlichen Versorgungssystems und die daraus

resultierenden ökonomischen Ineffizienzen zu überwinden. Darüber hinaus legen Be-

treiber und Initiatoren der IVGK großes Gewicht auf Prävention: Mit zielgenauen Prä-

ventionsprogrammen zu verschiedenen Indikationen soll die Entstehung von Krank-

heiten (bzw. von Folgeerkrankungen) aufgeschoben oder – wenn möglich – verhindert

werden. Dies soll mittel- und langfristig ebenfalls zu Effizienzgewinnen führen (Her-

mann et al. 2006, Hildebrandt et al. 2010). Das Ziel einer höheren Wirtschaftlichkeit der

IVGK wollen Betreiber und Vertragspartner der IVGK ausdrücklich nicht auf Kosten der

Versorgungsqualität erreichen: Mit Blick auf die herkömmliche Versorgung soll eine

mindestens gleich hohe, möglichst aber eine höhere Versorgungsqualität etabliert

werden. Aus Sicht des IVGK-Managements gilt es also zu verhindern, dass die höhere

Wirtschaftlichkeit der Versorgungsregion Kinzigtal durch eine sich im Vergleich ver-

schlechternde Versorgungsqualität erkauft wird.

Das erste dieser beiden Ziele – eine höhere Wirtschaftlichkeit – scheint bereits in

Reichweite: Die bisherigen finanziellen Ergebnisse der IVGK, die im Fall der AOK-

Versicherten für die Jahre bis einschließlich 2008 vorliegen und im Fall der LKK-

Versicherten bis einschließlich 2010 (Stand: Januar 2012), erbrachten für die Versi-

cherten im Kinzigtal deutliche und zunehmende Deckungsbeitragsverbesserungen in

Bezug auf den Deckungsbeitrag vor dem Start der IVGK (vgl. Rabatta 2009, Daul

2009, Optimedis AG 2011, Staeck 2012). Diese positiven finanziellen Ergebnisse

waren angesichts des erst unmittelbar zuvor vollzogenen Strukturaufbaus der IVGK in

ihrer Höhe überraschend. Derart deutliche Deckungsbeitragserhöhungen waren erst

später erwartet worden (Hildebrandt et al. 2010: 10).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

19

2.2 Der Stellenwert der Evaluation der IVGK Die Relevanz der wirtschaftlichen Ziele der IVGK für die Fragestellungen der Evalua-

tion wird klarer, wenn man sich vergegenwärtigt, was eine Deckungsbeitragserhöhung

bedeutet. Den Deckungsbeitrag der Kinzigtal-Versicherten zu erhöhen ist gleichbedeu-

tend damit, bei der Versorgung der Kinzigtal-Versicherten im Vergleich zur Kostenent-

wicklung der Referenzbevölkerung (hier: Versicherte in Deutschland-West) Kosten ein-

zusparen. Eine Deckungsbeitragserhöhung bedeutet also stets eine komparative Ko-

steneinsparung.

Angesichts der bislang positiven finanziellen Ergebnisse der IVGK wird die

Relevanz der wissenschaftlichen Evaluation der IVGK umso größer: Die Aufgabe der

Evaluation, die Entwicklung der Versorgungsqualität im Kinzigtal und in der IVGK zu

untersuchen – und zwar auch im Vergleich zur herkömmlichen Versorgung –, wird

dadurch zur Untersuchung der Frage, ob die positiven finanziellen Ergebnisse der

IVGK auch mit einer absolut und/oder komparativ sich erhöhenden Versorgungsqua-

lität einhergehen oder aber ob sie durch eine absolut oder komparativ sich verschlech-

ternde Versorgungsqualität erkauft wurden. Letzteres wäre z.B. der Fall, wenn im

Kinzigtal Phänomene der Unter- oder Fehlversorgung stärker zunähmen (oder in

geringerem Ausmaß zurückgingen) als in der herkömmlichen Versorgung.

Vor dem Hintergrund der Geschichte von Managed-Care-Organisationen in der

Schweiz und in den USA könnte man theoretisch noch eine weitere unerwünschte

Quelle von Einsparungen vermuten (Lehmann & Zweifel 2004: 1010; Leu & Beck 2007:

123): eine vorrangige Selektion so genannter „guter Risiken“, also vergleichsweise

gesunder Versicherter, im Einzugsbereich der IVGK. Dies ist im Fall der IVGK bei

genauerer Betrachtung zum einen theoretisch unplausibel, da es keine finanziellen

Anreize für eine Risikoselektion gibt (Hermann et al. 2006: 21; Siegel et al. 2008). Zum

anderen lassen sich keinerlei empirische Indizien für eine solche Risikoselektion finden

– vielmehr ist das Gegenteil der Fall (ebd.: 232ff; Köster et al. 2011a: 12).

Als Möglichkeit, positive finanzielle Ergebnisse mit nicht erwünschten Mitteln zu

erreichen, bleibt also nur die theoretische Möglichkeit einer zunehmenden (absoluten

oder komparativen) Unter- und Fehlversorgung der Kinzigtal-Versicherten, d.h. einer

absoluten oder relativen Verschlechterung der Versorgungsqualität.

2.3 Leitende Fragestellungen der IVGK-Evaluation

Auf der Grundlage derartiger Überlegungen wurden bereits im Jahr 2006 folgende

neun Leitfragen für die Evaluation der IVGK formuliert und in den „Vorschlag für ein

Rahmenkonzept“ (Stößel 2006) der Evaluation aufgenommen:

1) Inwieweit eignet sich ein solches Modell, Unter-, Fehl- und Überversorgung

(entsprechend der Definition des BMG und des Sachverständigenrates) zu

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

20

identifizieren und durch geeignete Interventionen auf personaler (personen-

bezogener) und struktureller (versorgungsbezogener) Ebene abzubauen?

2) Inwieweit trägt ein solches Modell zur stärkeren Patientenaktivierung und Be-

teiligung an Entscheidungsprozessen in Prävention, Kuration und Rehabilitation

und zur Stärkung von Selbsthilfeinitiativen bei?

3) Trägt ein solches Modell zu einer Qualitätssteigerung in den Versorgungs-

strukturen und Abläufen innerhalb der Sektoren und sektorenübergreifend bei?

4) Verändern sich Berufszufriedenheit bei Ärzten und die Patientenzufriedenheit

im Sinne einer effektiven und effizienten Nutzung von Versorgungsangeboten?

5) Erzeugt ein solches Modell ein höheres Wirtschaftlichkeitspotential ohne Ein-

bußen an Qualität der Versorgung und Zufriedenheit bei den Versorgern und

Patienten?

6) Verbessert ein solches Modell die fachliche Kooperation der Gesundheitsberufe

untereinander?

7) Lassen sich auf der Ebene des gesundheitlichen Outcomes bei den Patienten

im präventiven, kurativen und rehabilitativen Bereich Indikatoren identifizieren

und messen, die einen Vergleich des Outcomes mit Vergleichspopulationen

und –regionen ermöglichen?

8) Lassen sich durch die Verknüpfung von GKV-Routinedaten mit Daten aus Pri-

märerhebungen Erkenntnisse generieren, die für Integrierte Versorgungssyste-

me eine bessere Entscheidungsgrundlage erlauben?

9) Welchen Einfluss haben mögliche Gesetzesänderungen auf die Ausgestaltung

und den Ablauf des Modells?

Mittlerweile hat sich bei der Operationalisierung der Fragen in Form von funktions-

fähigen Evaluationsmodulen (Forschungsprojekten) gezeigt, dass etliche dieser neun

Fragen inhaltlich redundant sind, d.h. die Fragen überschneiden sich zum Teil. Dies ist

z.B. der Fall bei den Fragen 1) und 3) und 7): Steigerungen der Versorgungsqualität –

vgl. die Fragen 3), 5) und 7) – lassen sich reliabel und valide beispielsweise mit Quali-

tätsindikatoren messen, die zumindest teilweise dann auch einen Zustand oder eine

Entwicklung von Über-, Unter- oder Fehlversorgung anzeigen. Sodann sollten „Steige-

rungen“ der Versorgungsqualität bzw. die Entwicklung gesundheitlicher, patientenbe-

zogener Ergebnisparameter sinnvollerweise von vornherein nicht nur absolut, d.h. in

der begrenzten Region Kinzigtal, gemessen werden (wie es mit dem Wortlaut der

Fragen 1), 3) und 5) noch vereinbar wäre), sondern grundsätzlich auch komparativ in

Bezug auf eine Vergleichspopulation, wie es in Frage 7) formuliert ist.

Im Zuge der Ausschreibung einzelner Evaluationsmodule und der damit einher-

gehenden Operationalisierung der Forschungsfragen haben wir die Leitfragen der

Evaluation der IVGK kompakter gefasst und in Form folgender sieben Fragen reformu-

liert:

1. Gelingt es im Zuge der Etablierung des integrierten Versorgungssystems im

Kinzigtal, die Patienten stärker zu aktivieren und stärker an den medizinischen/-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

21

therapeutischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, und zwar im Vergleich

mit einer strukturell ähnlichen Versichertenpopulation außerhalb des Kinzigtals?

2. Wie entwickelt sich die Zufriedenheit der IV-Versicherten und der übrigen Ver-

sicherten im Kinzigtal mit der Gesundheitsversorgung, und zwar auch im Hin-

blick auf eine Vergleichspopulation?

3. Entwickelt sich die Gesundheit der IV-Versicherten und der Versicherten im

Kinzigtal günstiger als die einer strukturell ähnlichen Vergleichspopulation aus

dem übrigen Baden-Württemberg?

4. Gelingt es im Zuge des Aufbaus der IVGK, auch Phänomene der Über-, Unter-

und Fehlversorgung – wie vom Sachverständigenrat definiert – zu reduzieren

und damit die Versorgungsqualität im Kinzigtal auch im Hinblick auf eine

Vergleichspopulation zu erhöhen?

5. Wie entwickelt sich die Zufriedenheit der niedergelassenen Ärzte und anderer

Leistungserbringer mit dem IV-Projekt und der IVGK?

6. Entsteht im Zuge des Aufbaus der IVGK eine intensivere Kooperation zwischen

den Vertretern verschiedener medizinischer Disziplinen und verschiedener

Gesundheitsberufe?

7. Ist die neue Versorgungsform, die durch die IVGK repräsentiert wird, wirt-

schaftlicher als die Normalversorgung – und zwar bei mindestens gleich hoher

und gleich bleibender Versorgungsqualität in Bezug auf die herkömmliche Ver-

sorgung?

2.4 Hauptfragestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte Wir wollen nun noch kurz skizzieren, welche dieser Leitfragen in welchen Evaluations-

projekten untersucht werden (siehe Tab. 1). Eine ausführlichere Darstellung der Fra-

gestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte – sowie deren Forschungsdesigns,

Zwischenergebnissen und offenen Fragen – bleibt den Kapiteln 3 bis 6 vorbehalten.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

22

Tab. 1: Evaluationsprojekte zur Bearbeitung der Leitfragen der IVGK-Evaluation

Leitfragen (Kurzfassung) werden untersucht im…

1. Stärkere Patientenaktivierung und Patienten- beteiligung im Vergleich?

SDM-Projekt

2. Zufriedenheit der Versicherten im Vergleich? SDM-Projekt

3. Entwicklung der Gesundheit der Versicherten im Vergleich?

ÜUF-Projekt, SDM-Projekt, AGil-Projekt

4. Erhöhung der Versorgungsqualität und Reduk- tion von Über-, Unter- und Fehlversorgung im Vergleich?

ÜUF-Projekt

5. Zufriedenheit der niedergelassenen Ärzte und anderer Leistungserbringer mit IVGK?

PeGL-Projekt

6. Intensivere fachliche und interdisziplinäre Kooperation durch IVGK?

PeGL-Projekt

7. Ist die neue Versorgungsform wirtschaftlicher – ohne Qualitätseinbußen?

finanzielle Ergebnisrechung, ÜUF-, SDM-, AGil-, PeGL-Projekt

Die Fragen 1. und 2. werden im Projekt „Erhebung und Ermittlung der Einstellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM)“ untersucht. Dieses Projekt bezeichnen wir im Folgenden ab-gekürzt als „SDM-Projekt“. Frage 3. wird in mehreren Evaluationsprojekten bearbeitet. Die Fragestellung wird anhand von GKV-Routinedaten umfassend im ÜUF-Projekt untersucht. Der volle Name dieses Projekts lautet: „Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehl-versorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten. Versorgungs-evaluation auf Basis von GKV-Routinedaten“. Neben dem ÜUF-Projekt nehmen sich allerdings auch das SDM-Projekt (siehe oben) und das AGil-Projekt Teilaspekten der Fragestellung 3. an. So thematisiert das SDM-Projekt die gesundheitliche Entwicklung der Versicherten im Hinblick auf den Aspekt der subjektiv empfundenen Lebensqualität der Patienten. Das AGil-Projekt („Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal“) untersucht die Lebensqualität sowie verschiedene Aspekte des Gesund-heitsverhaltens bei einer bestimmten Gruppe von IV-Versicherten, nämlich den Teil-nehmern des Gesundheitsförderungsprogramms „AGil“,2 das von der IVGK angeboten wird. Zudem wird die Effektivität einzelner anderer Gesundheitsprogramme intern eva-luiert, d.h. die entsprechende Programmevaluation wird durch Mitarbeiter der Gesun-des Kinzigtal GmbH oder der Optimedis AG selbst durchgeführt. Diese internen Eva-luationsprojekte sind allerdings nicht Gegenstand des EKIV-Evaluationsberichts. Frage 4. wird ausschließlich im ÜUF-Projekt und anhand von GKV-Routinedaten untersucht.

2 Siehe hierzu http://www.gesundes-kinzigtal.de/index.php?option=com_content&view=article&id=120&catid=5&Itemid=65.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

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Die Fragen 5. und 6. sind Thema des Projekts „Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner“ (PeGL-Projekt). Frage 7. ist sicher die spannendste, aber auch die umfassendste Forschungs-frage – und zugleich die, welche auch entscheidend dafür ist, ob der Leuchtturm „Gesundes Kinzigtal“ (Seiler et al. 2006) nachhaltig Vorbildcharakter für integrierte Vollversorgungslösungen in Deutschland gewinnt. Die Teilfrage nach der Wirtschaft-lichkeit der IVGK als System wird durch die finanzielle Ergebnisrechnung beantwortet, die in Abschnitt 2.1 erwähnt wurde. Die Frage nach der Versorgungsqualität in der Region Kinzigtal und bei den IV-Versicherten wird hingegen im Grunde von allen bisher genannten Evaluationsprojekten bearbeitet, wobei das ÜUF-Projekt sicher den größten und umfassendsten Beitrag leistet. Aber auch andere Evaluationsprojekte tragen hier-zu bei: So wird im AGil-Evaluationsprojekt das AGil-Programm im Hinblick auf seine Effektivität und Effizienz – also auch auf seine Wirtschaftlichkeit hin – untersucht. Da die im SDM-Projekt untersuchte Zufriedenheit der Versicherten ein wichtiges Quali-tätsmerkmal darstellt, trägt auch das SDM-Projekt seinen Teil zur Beantwortung der Frage nach der Versorgungsqualität bei. Ähnliches gilt – mutatis mutandis – für das PeGL-Projekt. Demnach lässt sich also behaupten: Die Beantwortung von Frage 7. entsteht als Synthese der (jährlich fortlaufenden) finanziellen Ergebnisrechnungen und sämtlicher Evaluationsprojekte.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

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3 Das SDM-Projekt: Erhebung und Ermittlung der Ein-stellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM)

Das SDM-Projekt wurde am 25.10.2006 ausgeschrieben3 und Anfang des Jahres 2007

an Prof. Dr. Dr. Martin Härter vergeben. Prof. Härter und seine gesamte Forschungs-

gruppe arbeiteten zu dieser Zeit am Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung Psychia-

trie und Psychotherapie, Sektion Epidemiologie und Versorgungsforschung. Im Jahr

2010 leitet Prof. Härter noch immer die Sektion Epidemiologie und Versorgungsfor-

schung, er ist jedoch hauptsächlich am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf tätig,

wo er im Jahr 2008 die Leitung des Instituts und der Poliklinik für Medizinische Psycho-

logie übernommen hat. Die Arbeit am SDM-Projekt wird seit 2008 sowohl von Freiburg

aus – hier insbesondere von Dipl.-Psych. Lars Hölzel – als auch von Hamburg aus ge-

leistet. Prof. Härter und seine Arbeitsgruppe sind Experten auf dem Gebiet der

Erforschung und Umsetzung von Patientenbeteiligung bei Therapieentscheidungen,

also dessen, was der englische Fachbegriff des shared decision-making ausdrückt.

Im SDM-Projekt sind im Jahr 2011 keine neuen Ergebnisse zu verzeichnen.

Daher beschränken wir uns im Folgenden auf eine knappe Zusammenfassung der

bisherigen Ergebnisse (Abschnitte 3.1 bis 3.3). Des Weiteren referieren wir die

Diskussion, die im Jahr 2011 um die Fortsetzung des SDM-Projekts geführt wurde

(Abschnitt 3.4). Eine ausführliche Zusammenfassung und Interpretation der bisherigen

Ergebnisse des SDM-Projekts findet sich im letzten Jahresbericht 2010 (Langfassung).

3.1 Fragestellung, Material und Methoden des SDM-Projekts

Das SDM-Projekt wird von Prof. Dr. Dr. Martin Härter (Universitätsklinikum Hamburg-

Eppendorf und Universitätsklinikum Freiburg) geleitet und von seinem Freiburger For-

schungsteam durchgeführt. Mittels einer dreiarmigen kontrollierten Kohortenstudie un-

tersucht das Projektteam in erster Linie die Frage, ob es im Kontext eines integrierten

Versorgungssystems nach Art der IVGK sowie durch spezifische Fortbildungsveran-

staltungen für Ärzte gelingt,

- die in der IVGK eingeschriebenen Patienten stärker an Therapieentscheidun-

gen zu beteiligen als in der herkömmlichen Versorgung und

- zu einer höheren Zufriedenheit der Versicherten mit der Versorgung beizutra-

gen.

Das Projektteam untersucht diese Forschungsfragen in Anlehnung an das heuristische

Modell der Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF); dieses ist gleichbedeutend mit

3 Der Ausschreibungstext findet sich auf http://www.ekiv.org/pdf/EKIV-Shared-Decision-Making(SDM).pdf.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

25

dem Modell des Shared Decision-Making (SDM). Dabei wird von folgenden Hypothe-

sen ausgegangen: Eine gelungene Beteiligung des Patienten an den Therapieent-

scheidungen des Arztes führt zu einer höheren Entscheidungskonfidenz (Entschei-

dungssicherheit) des Patienten, d.h. der Patient begreift die partizipativ getroffene The-

rapieentscheidung als eine informierte und wohl abgewogene Entscheidung. Ist die

Entscheidungssicherheit des Patienten hoch, so ist auch die Wahrscheinlichkeit hoch,

dass der Patient die getroffene Behandlungsentscheidung umsetzt. Weiterhin wird im

PEF-Modell angenommen, dass eine hohe Entscheidungssicherheit zu einer hohen

Zufriedenheit des Patienten mit dem behandelnden Arzt beiträgt. Im Idealfall führt eine

stärkere Beteiligung des Patienten an Therapieentscheidungen somit zu einer höheren

Therapietreue des Patienten und zu einem besseren Behandlungserfolg. Dieser wie-

derum bewirkt idealerweise und unter sonst gleichen Bedingungen eine höhere Le-

bensqualität des Patienten (vgl. Härter et al. 2008: 7f).

Im SDM-Projekt werden – in Anlehnung an das heuristische PEF-Modell –

neben der Patientenbeteiligung an Therapieentscheidungen und der Patientenzufrie-

denheit weitere Ziel-Parameter erhoben wie z.B. die gesundheitsbezogene Lebens-

qualität der Versicherten, ihre Beteiligungs- und Informationspräferenz sowie ihre Ent-

scheidungskonfidenz (Entscheidungssicherheit).

Die Forschungsfragen des SDM-Projekts werden auf Basis einer dreiarmigen

kontrollierten Kohortenstudie untersucht. Als Interventionskohorte („Gruppe IV“) wur-

den bei der ersten Erhebung 1.153 AOK- und 40 LKK-Versicherte angeschrieben, die

sich bis März 2007 in die IVGK eingeschrieben hatten (Vollerhebung der damaligen

IVGK-Versicherten). Als erste Kontrollstichprobe („Stichprobe NIV“) wurden 2.523

AOK- und 115 LKK-Versicherte angeschrieben, die im Kinzigtal wohnten, aber bis

März 2007 nicht in die IVGK eingeschrieben waren. Als zweite Kontrollstichprobe

(„Stichprobe S-B“) wurden 2.596 AOK- und 115 LKK-Versicherte angeschrieben, die

in der Region um Sigmaringen und Biberach ihren Wohnsitz hatten. Die beiden

Kontrollstichproben waren hinsichtlich der Variablen Alter, Geschlecht, Versicherten-

status und GKV-Kosten im Jahr 2006 nach Maßgabe der Interventionskohorte strati-

fiziert aus der Grundgesamtheit gezogen worden, damit eine möglichst gute Vergleich-

barkeit der drei Kohorten gegeben war.

3.2 Wichtige Ergebnisse des SDM-Projekts

Bislang fanden im SDM-Projekt drei Befragungen (T0-, T1- und T2-Befragung) im

Abstand von jeweils einem Jahr statt.4 Nach der T0-Erhebung waren die Fragebögen

von insgesamt 2.351 Probanden auswertbar (Antwort-Rate: 36%), nach der T2-Befra-

gung immerhin noch 1.205 Fragebögen (Antwort-Rate bzgl. der zu T0 angeschriebe-

4 Die im Folgenden referierten Ergebnisse sind den Projektberichten zur T0-Erhebung (Härter et al. 2008) und zur T2-Erhebung (Härter et al. 2010) entnommen.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

26

nen Versicherten: 18,4%). Die Antwort-Rate war in der IV-Gruppe signifikant höher als

in den beiden Kontrollstichproben.

Die Daten der zweiten Befragung (T1-Befragung) erwiesen in Bezug zur

Erstbefragung (T0-Befragung) keine Interventionseffekte. Bei der dritten Befragung

(T2-Befragung) zeigte sich bezüglich der T0-Befragung lediglich bei einer der insge-

samt neun Zielvariablen ein Interventionseffekt, d.h. eine signifikant unterschiedliche

Entwicklung der Zielvariablen in den drei Studiengruppen: Das Ausmaß der erlebten

Beteiligung an Therapieentscheidungen ging bei allen drei Studiengruppen im Zeit-

verlauf zurück, aber entgegen den Erwartungen war der Rückgang in der Gruppe der

IV-Versicherten (IV-Gruppe) signifikant stärker als in den beiden Kontrollgruppen.

Dieses Ergebnis ist in Abb. 1 graphisch dargestellt.

Abb. 1: Beteiligung der Patienten an Therapieentscheidungen beim letzten Hausarzt-besuch in der T0- und T2-Befragung (Instrument: PEF-FB, Wertebereich 0 – 100)

Die signifikant stärker zurückgehende erlebte Beteiligung der Patienten in der IV-

Gruppe schlug sich jedoch nicht bedeutsam in der Zufriedenheit der Versicherten mit

der hausärztlichen Versorgung insgesamt nieder: Die Entwicklung der Zufriedenheits-

werte in den drei Studiengruppen im Zeitverlauf unterschied sich nicht signifikant

voneinander (Abb. 2). In der IV-Gruppe ging zwar der Durchschnittswert von 82,8 auf

81,5 Punkte zurück, wie Abb. 2 zeigt; dieser Wert wurde zum Zeitpunkt T2 dennoch

von keiner der anderen Studiengruppen übertroffen.

72,3

64,870 68,869,4 67,2

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

T0 T2

IV-Kinzigtal (n=255)

NIV-Kinzigtal(n=329)

Sigm.-Bib. (n=403)

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

27

Abb. 2: Zufriedenheit mit der hausärztlichen Versorgung in der T0- und T2-Befragung

(Instrument: ZAV, Wertebereich 0 – 100)

Hinsichtlich der körperlichen Lebensqualität (Abb. 3) zeigten sich zwar ebenfalls keine

statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Werten der drei Stichproben; ein

statistisch signifikanter Interventionseffekt wurde aber nur knapp verfehlt (p=0.07): Wie

in Abb. 3 zu sehen ist, stieg der durchschnittliche Indexwert der körperlichen Lebens-

qualität in der IV-Gruppe um einen Prozentpunkt an, während der entsprechende Wert

in der NIV-Gruppe zurückging und in der S-B-Gruppe ungefähr konstant blieb. Abb. 3: Körperliche Lebensqualität in der T0- und T2-Befragung (Instrument: SF-12, Wertebereich 0 – 100)

82,8 81,281,3 81,280,3 80

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

T0 T2

IV-Kinzigtal (n=293)

NIV-Kinzigtal(n=376)

Sigm.-Bib. (n=474)

42,3 43,342,2 41,242 42,2

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

T0 T2

IV-Kinzigtal (n=124)

NIV-Kinzigtal(n=174)

Sigm.-Bib. (n=226)

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

28

3.3 Diskussion der Ergebnisse

Während die körperliche Lebensqualität (Abb. 3) und die psychische Lebensqualität

(ohne Abb.) in den drei Studiengruppen sich immerhin tendenziell in der erwarteten

Richtung veränderten – ohne dass jedoch dieser Interventionseffekt statistisch signi-

fikant war –, ergab sich bei der von den Befragten erlebten Beteiligung an Therapieent-

scheidungen in den drei Studiengruppen ein statistisch signifikantes Ergebnis entge-

gen den Erwartungen: Das Ausmaß der erlebten Beteiligung verringerte sich bei den in

die IVGK eingeschriebenen Patienten signifikant stärker als bei den übrigen Proban-

den. Zwar erscheint das Ausmaß des „übermäßigen“ Rückgangs der erlebten Betei-

ligung bei den IV-Versicherten substantiell nicht dramatisch, d.h. klinisch noch „nicht

relevant“ (Härter et al. 2010: 29), aber es ist dennoch ein signifikantes Ergebnis ent-

gegen den Erwartungen. Obwohl die gesunkene erlebte Beteiligung bei den IV-Ver-

sicherten sich bislang offenkundig nicht auf deren Zufriedenheit mit der hausärztlichen

Versorgung niedergeschlagen hat, halten wir die zurückgegangene erlebte Beteiligung

der IV-Versicherten für erklärungsbedürftig. Grundsätzlich sehen wir drei Möglichkei-

ten, dieses Ergebnis zu erklären:

(1) Im vergleichenden Hinblick auf ein analoges Studienergebnis aus der

Schweiz (Busato et al. 2010) ist prinzipiell folgendes Erklärungsmuster denkbar: Da

Netzwerkpraxen in der Regel stärker als Einzelpraxen auf Basis strukturierter und evtl.

sogar sektorenübergreifender strukturierter Behandlungspfade arbeiten, erscheinen

den Patienten von Netzwerkpraxen die möglichen Behandlungsoptionen in stärkerem

Ausmaß vorgegeben als den Patienten von Einzelpraxen. In Einzelpraxen können die

Behandlungsoptionen den Patienten in stärkerem Ausmaß als „selbständig bestimmt“

und „aushandelbar“ erscheinen, da dort die Arzt-Patient-Dyade weniger stark in ein

übergreifendes (Behandlungs-)Netz eingebunden ist als in Netzwerkpraxen mit ihrer

Vielzahl an strukturierten Behandlungsprogrammen. Dieses Erklärungsmuster impli-

ziert, dass in der zurückgehenden „erlebten Beteiligung“, die bei den IV-Versicherten

im Kinzigtal gemessen wurde, eine objektiv sinkende Patientenbeteiligung ihren Nie-

derschlag gefunden hat.

(2) Abweichend von der zuletzt genannten Annahme kann man aber auch davon

ausgehen, dass in den Wahrnehmungen und Situationseinschätzungen der IV-Pro-

banden sich nicht nur eine (möglicherweise) objektiv verringerte Patientenbeteiligung

widerspiegelt, sondern dass sich in der zurückgehenden erlebten Beteiligung zumin-

dest auch ein Erwartungseffekt ausgewirkt hat: Die in die IVGK eintretenden AOK- und

LKK-Versicherten haben sich offenkundig in die IVGK eingeschrieben, weil sie vom

Argument der höheren Versorgungsqualität und stärkeren Patientenorientierung über-

zeugt wurden. (Finanzielle Anreize für einen Eintritt – wie z.B. eine reduzierte Pra-

xisgebühr – gab es für die AOK-Versicherten nicht.) Bereits dies wird sich in der IV-

Gruppe in höheren Erwartungen an Versorgungsqualität und Patientenbeteiligung

ausgewirkt haben. Zudem waren die umfangreichen Eingangsuntersuchungen, Befra-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

29

gungen und Therapiezielvereinbarungen, die bei allen IV-Versicherten unmittelbar

nach deren Eintritt in die IVGK anstanden, zweifellos geeignet, bei den IV-Versicherten

besonders hohe Erwartungen an die IVGK zu wecken – Erwartungen, die im Behand-

lungsalltag der folgenden Monate und Jahre vermutlich so nicht eingelöst werden

konnten. Die mutmaßlich folgende „Ernüchterung“ führte dann folgerichtig – so kann

man annehmen – bei den IV-Versicherten zu einer etwas kritischeren Sichtweise des

ärztlichen Beteiligungsverhaltens.

Den gerade beschriebenen Erwartungseffekt zu unterstellen, erfordert nicht un-

bedingt, eine objektiv sinkende Patientenbeteiligung – worauf das Erklärungsmuster (1)

fokussiert – zu negieren. Denn man kann unterstellen, dass beide Effekte wirksam

waren, d.h. dass sowohl die Patientenbeteiligung in der IVGK objektiv zurückging als

auch der beschriebene Erwartungseffekt auftrat. Unmöglich ist es jedoch, die relative

Stärke der beiden Effekte mit Verweis auf empirische Daten zu bestimmen, da die im

SDM-Projekt eingesetzten Messinstrumente etwaige „objektive“ Effekte nicht separat

messen, sondern stets nur als von den Versicherten wahrgenommene objektive

Effekte, in der die Eigendynamik der Wahrnehmungsschemata der Versicherten immer

enthalten ist.5

(3) Wenn man grundsätzlich unterstellt, dass auch ein Erwartungseffekt der oben

beschriebenen Art stattgefunden hat und man aber beide Effekte – nämlich den

„reinen“ Erwartungseffekt und den Effekt einer objektiv veränderten Beteiligungsrealität

– nicht vergleichend quantifizieren kann, dann ergibt sich noch ein drittes mögliches

Erklärungsmuster: Man könnte unterstellen, dass sich die Patientenbeteiligung in der

IVGK objektiv sogar etwas erhöht hat, da ja entsprechende Fortbildungsveranstal-

tungen für die Ärzte sowie die mit Patienten abgeschlossenen Zielvereinbarungen auch

eine beteiligungsfördernde Wirkung hinterlassen haben müssten. Verträte man ein

solches Argument, dann müsste man dennoch anerkennen, dass der mutmaßliche

Anstieg der „objektiven“ Patientenbeteiligung so gering war, dass er von dem beschrie-

benen Erwartungseffekt dominiert, d.h. überkompensiert wurde, denn der Gesamteffekt

steht ja zweifelsfrei fest: Die von den Patienten wahrgenommene Patientenbeteiligung

ging in der IVGK signifikant stärker zurück als in den Kontrollgruppen.

Wir verfügen nicht über empirische Daten, die uns verlässliche Hinweise darauf

geben könnten, welche der drei Erklärungsmöglichkeiten die Realität am besten trifft.

Angesichts neuester – eher ernüchternder – Literatur-Reviews (z.B. Légaré et al.

2010) zur Frage, welche Arten von SDM-Interventionen zu einer objektiv größeren

Patientenbeteiligung führen, halten wir Erklärungsmuster (3) jedoch für wenig plau-

sibel. Da wir auf der anderen Seite einen Erwartungseffekt in der geschilderten Art für

wahrscheinlich halten, scheint uns Erklärungsmuster (2) am plausibelsten. Wie dem

5 Dass es einen solchen Erwartungseffekt gegeben hat, lässt sich nicht zuverlässig nachweisen – dies liegt in der Natur des im SDM-Projekt angewandten Studiendesigns. Derartige Erwartungseffekte lassen sich im Grunde nur mithilfe einer randomisierten kontrollierten Studie (Doppelblind-Studie) verhindern bzw. zuverlässig kontrollieren. Ein solches Studiendesign war jedoch im SDM-Projekt nicht anwendbar.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

30

auch sei: Bisher müssen wir jedenfalls die Forschungsfrage verneinen, ob ein Versor-

gungssystem wie die IVGK zu einer – aus Patientensicht – stärkeren Patienten-

beteiligung an Therapieentscheidungen führt.

Ungeachtet dieses Teilergebnisses ist die Zufriedenheit der IVGK-Patienten mit

der hausärztlichen Versorgung insgesamt weiterhin sehr hoch, und sie wird auch von

den Zufriedenheitswerten der Kontrollgruppen nicht übertroffen. Letzteres gilt auch für

die Indexwerte der körperlichen und psychischen Lebensqualität.

3.4 Ausblick

Im Mai 2010 wurde angesichts der bis dahin im SDM-Projekt vorliegenden Ergebnisse

beschlossen, die ursprünglich für den Spätsommer 2010 vorgesehene T3-Erhebung

auszusetzen. Da die bis Frühjahr 2010 vorliegenden Ergebnisse signalisierten, dass

die bisher durchgeführten Interventionen für eine stärkere Patientenbeteiligung an The-

rapieentscheidungen nicht die erwarteten Ergebnisse zeitigten, sollten zunächst einmal

– so wurde beschlossen – die bisherigen Ergebnisse genauer analysiert, die bisherigen

Interventionen sorgfältig überprüft und eventuell neuartige Interventionen geprüft und

möglicherweise implementiert werden. Auf der Basis dieser Analysen und Überle-

gungen sollte dann neu über die Fortsetzung des SDM-Projekts in Gestalt einer T3-

Erhebung entschieden werden.

Mit Zustimmung aller an der IVGK beteiligten Organisationen war für Anfang

2011 eine erste Zusatzuntersuchung (sog. „Benchmarking-Analyse“) geplant: Anhand

der bislang vorliegenden Daten im SDM-Projekt sollte geprüft werden, wie stark die

Ergebnisse über die einzelnen Arztpraxen hinweg streuen, bei denen die Probanden

jeweils in Behandlung sind. Dabei sollten die Hausärzte im Kinzigtal, die mit der IVGK

kooperieren, ein individuelles Feedback im Sinne einer Benchmarking-Analyse erhal-

ten. In diesem Feedback-Bericht sollte (in anonymisierter Form) dargestellt werden,

wie die Probanden, die bei dem betreffenden Hausarzt regelmäßig in Behandlung sind,

im Vergleich zu allen übrigen Probanden geantwortet haben. Mit der Benchmarking-

Analyse sollte also jedem einzelnen Hausarzt in der IVGK die Möglichkeit gegeben

werden, die auf seine Patientenbeteiligungspraxis bezogenen Ergebnisse mit den

Ergebnissen der anderen Ärzte zu vergleichen und damit zu erkennen, ob „seine“

Ergebnisse eine über- oder unterdurchschnittliche Patientenbeteiligung und Patienten-

zufriedenheit zeigen. Die Projektauftraggeber, also die Managementgesellschaft und

die an der IVGK beteiligten Krankenkassen, sollten nur vollständig anonymisierte

Ergebnisse erhalten. Aus diesen sollte lediglich hervorgehen, dass z.B. Hausarztpraxis

Nr. 12 bei der Variable „erlebte Beteiligung (T2)“ um x Standardabweichungen unter

dem Durchschnitt liegt. Die Information, welche Praxis dies ist, sollte den Projekt-

auftraggebern nicht preisgegeben werden. Die IVGK-Ärzte wären in diesem Fall jedoch

frei gewesen, „ihre“ Ergebnisse mit ihren Kollegen und mit dem GK-Management zu

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

31

erörtern und Möglichkeiten zu diskutieren, wie die Ergebnisse zu verbessern sind. Es

wurde erwartet, dass viele IVGK-Ärzte davon Gebrauch machen würden.

Erst im Anschluss an eine sorgfältige Auswertung und Interpretation der Ergeb-

nisse der Benchmarking-Analyse – so war geplant – sollte dann im Lauf des Jahres

2011 über den Fortgang bzw. die weitere Ausgestaltung SDM-bezogener Interven-

tionen in der IVGK entschieden werden. Zusammen mit der Benchmarking-Analyse

wurde der Forschungsgruppe Härter auch der Auftrag erteilt, die Ergebnisse der

bisherigen Erhebungen auch noch einmal auf spezielle Fragestellungen hin zu prüfen.

So sollte z. B. untersucht werden, ob in den Fragebögen einzelne fehlende Werte im

Nachhinein durch plausible Annahmen ersetzt werden könnten, womit dann eventuell

die Fallzahlen für die Endauswertungen erhöht werden, die Ergebnisse also auf eine

bessere statistische Grundlage gestellt werden könnten.

Seitens der Projektauftragnehmer – der Forschungsgruppe Härter – und seitens

der Evaluationskoordinierungsstelle (EKIV) waren die Vorbereitungen für die Bench-

marking-Analyse Ende August 2010 getroffen worden: Die „Vorhabensbeschreibung

‚Praxisbezogene Benchmarking-Analyse der Ergebnisparameter im SDM-Projekt’“ war

an die AOK BW zur Operationalisierung und Weiterbearbeitung geschickt worden.

Nach erfolgter Datenanforderung seitens der AOK BW sollte die LKK BW für ihre

Probanden analoge Daten selektieren und der Forschungsgruppe Härter bereitstellen.

Im Herbst 2010 und noch einmal im Frühjahr 2011 stellte die AOK Baden-Würt-

temberg fest, dass die für die Benchmarking-Analyse nötige Datenselektion wesentlich

schwieriger als erwartet sei und die Daten voraussichtlich später als geplant geliefert

werden könnten. Im Mai 2011 wurden die bisherigen Evaluationsergebnisse des SDM-

Projekts im strategischen Gremium der IVGK thematisiert. Nach eingehender Prüfung

der Datenanforderungen und der bisherigen Evaluationsergebnisse erklärte die AOK

schließlich, dass sie für die Benchmarking-Analyse keine Ressourcen mehr zur Verfü-

gung stellen könne: Durch die Datenauswahl und Datenselektion wäre ein hoher

personeller und zeitlicher Aufwand entstanden, so dass die daraus resultierenden

Kosten den als gering eingeschätzen Nutzen nicht gerechtfertigt hätten. Aufgrund

dessen musste die Benchmarking-Analyse storniert werden. Mit der Stornierung der

Benchmarking-Analyse fehlt eine arztpraxisbezogene Analyse der Ergebnisparameter

der SDM-Studie und damit eine wichtige Informationsgrundlage für die Weiterentwick-

lung von Interventionsprogrammen im Kinzigtal, die eine stärker partizipative und pa-

tientenorientierte Arzt-Patient-Kommunikation zum Ziel haben.

Die nochmalige Auswertung der bisherigen Ergebnisse wird aber in jedem Fall

noch durchgeführt werden; dies hat die Forschungsgruppe Härter zugesagt. In dieser

Endauswertung der bisher erhobenen Daten soll versucht werden, möglichst viele der

in den Fragebögen fehlenden Werte durch plausible „Ersatzwerte“ zu ersetzen, damit

die Endauswertung auf einer möglichst hohen Fallzahl basiert.

Eine Weiterführung und evtl. Neugestaltung patientenorientierter Interventionen

in der IVGK halten wir – die EKIV – grundsätzlich für sinnvoll. Die Forschungsliteratur

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

32

zum Thema Patientenorientierung und Patientenbeteiligung zeigt, dass es eine breite

Palette wirksamer Maßnahmen gibt – Maßnahmen, die nicht notwendigerweise auf die

Fortbildung von Ärzten fokussiert sind, sondern die sich vor allem – z.B. in Form sog.

Entscheidungshilfen („decision aids“) – an Patienten wenden und in erster Linie ein

„empowerment“ von Patienten bezwecken. (Vgl. hierzu Légaré et al. 2010, O’Connor et

al. 2009.)

Wünschenswert wäre ebenfalls, über die Praxis der Zielvereinbarungen zwischen

IVGK-Vertrauensärzten und ihren Risikopatienten mehr Klarheit zu erhalten, damit die

Auswirkungen der Zielvereinbarungen auf den Praxisalltag und die Selbstmanage-

ment-Fähigkeiten der Patienten besser eingeschätzt werden können. In jedem Fall

sollten die zu erwartenden Kosten und Nutzen weiterer SDM-Interventionen und ent-

sprechender Studien sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

33

4 Das ÜUF-Projekt: Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten – Versorgungs-evaluation auf Basis von GKV-Routinedaten

Das ÜUF-Projekt wurde am 20.12.2006 ausgeschrieben6 und im Frühjahr 2007 an die

PMV forschungsgruppe unter der Leitung von Frau Dr. Ingrid Schubert vergeben. Die

PMV forschungsgruppe verfügt über langjährige Expertise in der Erhebung, Aufberei-

tung und Analyse von GKV-Routinedaten für versorgungsepidemiologische, pharmako-

epidemiologische und gesundheitsökonomische Fragestellungen.7

Der in der Ausschreibung genannte Titel des Forschungsprojekts lautete zu-

nächst „Erhebung von Unter-, Fehl- und Überversorgung sowie Status-Quo-Analyse

des Gesundheitszustands von Versicherten anhand von AOK-/LKK-Routinedaten für

die Versicherten des Kinzigtals in den Jahren 2002-2006 und begleitend für die Jahre

2007 bis 2009“. Es war also zunächst vorgesehen, die Daten der Jahre 2002 bis 2006

rückwirkend in einem Schritt zu analysieren und anschließend jährlich die Daten der

Jahre 2007 bis 2009 zu untersuchen. In der Folgezeit wurden jedoch mehrere Eck-

punkte des Forschungsvorhabens modifiziert: Bereits in ersten Projektgesprächen mit

der PMV forschungsgruppe und den Krankenkassen AOK BW und LKK BW zeigte

sich, dass eine Bereitstellung der Daten und eine Analyse der Beobachtungsjahre

2002-2003 aus verschiedenen Gründen nur wenig kosteneffektiv wäre. Daher einigte

man sich darauf, dass erst die Daten der Jahre ab 2004 untersucht werden sollten.

In späteren Projektgesprächen wurden weitere Modifikationen beschlossen: Zum

einen wurde die Projektlaufzeit verlängert: So sollen – bis auf weiteres – die Daten der

Jahre 2004 bis einschließlich 2011 untersucht werden. Zum zweiten wurde vereinbart,

dass das Jahr 2004 als Basisjahr betrachtet werden soll, da es das letzte interven-

tionsfreie Kalenderjahr in der Region Kinzigtal – der Interventionsregion – darstellt. Die

folgenden Jahre 2005 bis 2011 gelten dann als Jahre mit jeweils zunehmender

Interventionsintensität. (Weitere Details zum Studiendesign und der Methodik des

ÜUF-Projekts finden sich in Abschnitt 4.2.)

6 Der Ausschreibungstext findet sich auf http://www.ekiv.org/pdf/EKIV-Shared-Decision-Making(SDM).pdf 7 Siehe z.B. Ihle et al. (2005), Schubert et al. (2008) sowie Swart & Ihle (Hg.)(2005); letzteres gilt im deutschen Sprachraum als Standardwerk zur Forschung mit GKV-Routinedaten.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

34

4.1 Allgemeine Forschungsfragen des ÜUF-Projekts

4.1.1 Grundlagen: Die Definition von Über-, Unter- und Fehlversor-gung des Sachverständigenrats im Sondergutachten 2000/2001

Im Jahr 1999 erhielt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im

Gesundheitswesen (bis 2003: „Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Ge-

sundheitswesen“) den Auftrag, in einem Sondergutachten zu untersuchen, wie die Ver-

sorgungssteuerung im deutschen Gesundheitswesen verbessert werden kann. Band III

dieses Sondergutachtens wurde im Jahr 2001 unter dem Titel „Über-, Unter- und

Fehlversorgung“ veröffentlicht. Dieser Band bietet nicht nur konzeptionelle Grundlagen

für die empirische Untersuchung von Über-, Unter- und Fehlversorgung, er enthält

auch die Ergebnisse von Umfragen, welche die Sicht von Experten auf Phänomene der

Über-, Unter- und Fehlversorgung in verschiedenen Sektoren und bei verschiedenen

Indikationen widerspiegeln. Zudem gibt der Sachverständigenrat Empfehlungen, wie

Phänomene der Über-, Unter- und Fehlversorgung abgebaut werden können. Das

Sondergutachten schließt mit dem Fazit, dass in vielen Bereichen des Gesund-

heitswesens in Deutschland eine zum Teil eklatante Über-, Unter- und Fehlversorgung

besteht und also die Versorgungsqualität verbesserungsbedürftig ist. Die Ergebnisse

dieses Sondergutachtens können und sollen hier nicht wiedergegeben werden.8 Da

jedoch das Verständnis der Begriffe Über-, Unter- und Fehlversorgung aus dem Son-

dergutachten auch heute noch maßgeblich ist für empirische Untersuchungen zu

diesem Thema, wollen wir hier diese Begriffe erläutern.

„Unterversorgung“ besteht, wenn bestimmte Leistungen den Bedürftigen komplett

oder teilweise vorenthalten werden, obwohl diese Leistungen zur Verfügung stehen

und auch wirtschaftlich erbracht werden können. So stellte der Sachverständigenrat

beispielsweise bei der Versorgung depressiv Erkrankter eine weit verbreitete Unter-

versorgung mit Psycho- aber auch mit Pharmakotherapien fest (Sachverständigenrat

2001: 15). Im Fall chronisch an Rückenschmerzen Erkrankter wies der Rat auf eine

Unterversorgung mit aktivierenden Behandlungsformen hin (ebd.).

Unter „Überversorgung“ versteht der Rat eine Versorgung, die über den beste-

henden Bedarf hinaus entweder keinen Nutzen bringt oder nur einen solchen Nutzen,

der in keinem hinreichend günstigen Verhältnis zu den aufgewendeten Kosten steht,

also ineffizient erbracht wird. Beim Phänomen Überversorgung unterscheidet der Rat

zwischen „medizinischer“ und „ökonomischer Überversorgung“: Erstere besteht dann,

wenn ohne indizierten Nutzen versorgt wird oder ohne dass ein hinreichend gesicherter

Netto-Nutzen für den Patienten entsteht. „Ökonomische Überversorgung“ bezeichnet

eine Versorgung mit Leistungen, die nur einen geringen Nutzen haben und ihre Kosten

8 Zusammenfassungen des Gutachtens können von der Homepage des Sachverständigenrats herun-tergeladen werden: http://www.svr-gesundheit.de/Startseite/Startseite.htm. Die Langversion des Sonder-gutachtens ist als Bundestagsdrucksache 16/13770 erhältlich.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

35

nicht rechtfertigen können oder mit Leistungen, die ineffizient erbracht werden. Über-

versorgung sieht der Rat z.B. bei Patienten mit Kreuzschmerzen gegeben: Hier be-

stehe eine „deutliche Überversorgung mit bildgebenden diagnostischen und invasiv-

therapeutischen Verfahren“ (ebd.).

„Fehlversorgung“ ist eine Versorgung mit Leistungen, die zu einem vermeidbaren

Schaden führen. Dabei können folgende Unterkategorien unterschieden werden: (a)

Eine nicht bedarfsgerechte Leistung führt zu einem Schaden; (b) eine bedarfsgerechte,

aber nicht fachgerecht erbrachte Leistung führt zu einem vermeidbaren Schaden; (c)

die verspätete oder nicht sachgerechte Durchführung einer Leistung lässt einen ver-

meidbaren Schaden entstehen.

Seit diesem Sondergutachten des Sachverständigenrats haben Untersuchun-

gen von Versorgungsdaten auf der Basis von Qualitätsindikatoren – die dann auch das

Ausmaß von Über-, Unter- und Fehlversorgung in den untersuchten Bereichen wider-

spiegeln sollen – einen Aufschwung erfahren. Inzwischen gibt es auch eine Reihe von

Qualitätsindikatoren-Systemen, von denen AQUIK (initiiert von der Kassenärztlichen

Bundesvereinigung) und die vom AQUA-Institut im Auftrag des AOK–Bundesverbands

erarbeiteten QiSA-Indikatoren nur die bekanntesten darstellen.9

Als konzeptionelle Basis für die Bildung von Qualitätsindikatoren werden häufig

sog. evidenzbasierte Behandlungsleitlinien herangezogen, in denen leicht nachvoll-

ziehbare Behandlungsalgorithmen auf der Grundlage neuester Ergebnisse wissen-

schaftlicher Studien dargestellt werden. Der Sachverständigenrat hat leitliniengestützte

Versorgungsansätze als ein Mittel für einen kurzfristigen – wenn auch nur partiellen –

Abbau von Überversorgung erwähnt (ebd.: 20). Für einen nachhaltigen Abbau von

Über- und Fehlversorgung hält der Rat umfangreichere Strukturreformen im Versor-

gungssystem für erforderlich. Diese müssten auf die Überwindung der sektoralen

Grenzen und der daraus resultierenden Ineffizienzen zielen, das bestehende Über-

gewicht akutmedizinischer kurativer Behandlungen reduzieren und insbesondere die

Prävention und eine angemessene – auch verstärkt interdisziplinäre – Betreuung chro-

nisch Kranker fördern (ebd: 13-21).

4.1.2 Forschungsfragen des ÜUF-Projekts

Die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) zeichnet sich dadurch aus, dass

sie viele der in verschiedenen Gutachten des Sachverständigenrats vorgeschlagenen

Strukturreformen zu realisieren versucht hat (vgl. Sachverständigenrat 2009: 676f).

Nicht nur versucht die Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH, die

Versorgung im Kinzigtal zusammen mit den Projektpartnern AOK Baden-Württemberg

und LKK Baden-Württemberg sektorenübergreifend zu steuern; mit dem Einsparcon-

9 Nähere Informationen zu den QiSA-Indikatoren finden sich auf folgender Homepage: QiSA: http://www.aok-gesundheitspartner.de/bund/qisa/index.html. Genauere Informationen zu den AQUIK-Indikatoren können auf http://www.kbv.de/themen/aquik.html eingesehen werden.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

36

tracting wurde auch ein innovatives Anreizsystem implementiert, so dass sich kom-

parative Kosteneinsparungen durch höhere Versorgungseffizienz im Kinzigtal für

Managementgesellschaft, Versorger und Krankenkassen auch finanziell lohnen (vgl.

Hermann et al. 2006, Hildebrandt et al. 2010). Damit wurden in der Region Kinzigtal

gute Grundlagen für einen Abbau von Über- und Fehlversorgung geschaffen – zumin-

dest im Hinblick auf die Versorgung der AOK- und LKK-Versicherten. Grundsätzlich be-

absichtigen die Träger der IVGK, die Versorgungsqualität zu erhöhen, also auch Unter-

versorgung zu vermeiden. Zu diesem Zweck wurden auch eine Reihe von institu-

tionellen Vorkehrungen geschaffen (ebd., vgl. auch Siegel et al. 2008).

Das ÜUF-Projekt soll daher anhand der Analyse von GKV-Routinedaten prüfen,

ob mit zunehmender Dauer der IVGK sich die Versorgungsqualität für die AOK- und

LKK-Versicherten im Kinzigtal im Vergleich zur herkömmlichen Versorgung verbessert

und ob es Indizien gibt, dass die Morbidität (Krankheitslast) in der Region Kinzigtal im

Zeitverlauf zurückgeht bzw. im Vergleich zu Regionen mit überwiegend herkömmlicher

Versorgung in geringerem Ausmaß ansteigt. Zu diesem Zweck erhebt die PMV for-

schungsgruppe aus GKV-Routinedaten die administrative Prävalenz verschiedener

Indikationen, bildet Kennziffern zur Inanspruchnahme der Versorgung sowie Qualitäts-

indikatoren, um die Versorgungsqualität zu beurteilen und ggf. Indizien für Über-,

Unter- und Fehlversorgung zu erhalten. Zu einem späteren Zeitpunkt werden auch

Inzidenz- und Überlebens-Kennziffern zu verschiedenen Indikationen und Krankheits-

zuständen erhoben. Neben globalen, d.h. indikationsunabhängigen Kennziffern und

Qualitätsindikatoren werden zu folgenden einzelnen Ziel-Indikationen spezielle Kenn-

ziffern und Indikatoren gebildet:

- chronische KHK

- Demenz

- Depression/affektive Störungen

- Diabetes

- Herzinsuffizienz

- Hypertonie

- Osteoporose und Frakturen

- Rückenschmerzen

Zu den Indikationen Brustkrebs, Prostatakrebs und Darmkrebs sowie für die Gruppe

der Arthropathien werden detaillierte Prävalenz-Kennziffern, jedoch keine Qualitätsin-

dikatoren erhoben. Zu Suchterkrankungen werden verschiedene Kennziffern erhoben,

die dem IVGK-Management als Hintergrundinformationen dienen können, wegen ihrer

eingeschränkten Aussagekraft aber nicht Teil der Evaluation sind.

Die Möglichkeiten zur Bildung von Kennziffern und Qualitätskennziffern im ÜUF-

Projekt sind dadurch beschränkt, dass die Untersuchung der PMV forschungsgruppe

„nur“ auf GKV-Routinedaten – Leistungs- und Abrechnungsdaten der beteiligten Kran-

kenkassen – basiert: So können z.B. viele AQUIK- und QiSA-Indikatoren nicht abge-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

37

bildet werden, da viele dieser Indikatoren auch auf Behandlerdaten beruhen, die nicht

in die GKV-Routinedaten eingehen.

Die Fokussierung auf GKV-Routinedaten hat in unserem Forschungskontext je-

doch entscheidende Vorteile: Zum einen können GKV-Routinedaten relativ schnell

verfügbar gemacht werden, und sie können für jeden Versicherten in pseudonymi-

sierter Form sektorenübergreifend (und im Übrigen datenschutzkonform) zusammen-

geführt werden. Zum anderen hätte man bei einer alternativen Vorgehensweise – z.B.

durch die zusätzliche Verwendung von Arzt- bzw. Behandlerdaten – zunächst kaum

überwindliche praktische und konzeptionelle Probleme: Diese Behandlerdaten könnten

nur für einen Teil (!) der Interventionsgruppe, also nur für einen Teil aller im Kinzigtal

versicherten AOK- und LKK-Versicherten in einigermaßen ökonomischer Weise

verfügbar gemacht werden. Hingegen wäre der Aufwand unabsehbar, den man

betreiben müsste, um an die Behandlerdaten einer adäquaten Vergleichsgruppe

außerhalb des Kinzigtal zu kommen und an die Behandlerdaten für diejenigen AOK-

und LKK-Versicherten im Kinzigtal, die nicht von IVGK-Leistungspartnern behandelt

werden.

Aus diesen Gründen erschien die Analyse von GKV-Routinedaten als der auf

absehbare Zeit kosteneffektivste Ansatz für die bevölkerungsbezogene vergleichende

ÜUF-Studie.

4.2 Studienpopulationen und Methoden des ÜUF-Projekts

4.2.1 Studienpopulationen und Studiendauer des ÜUF-Projekts

Das ÜUF-Projekt entspricht dem Design einer bevölkerungsbezogenen quasi-experi-

mentellen kontrollierten Studie: Prävalenzen, Kennziffern und Qualitätsindikatoren, die

für die AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal ermittelt wurden (Interventionsgruppe),

werden mit den Daten einer für ganz Baden-Württemberg repräsentativen Stichprobe

volljähriger AOK- bzw. LKK-Versicherter verglichen, aus der Versicherte der Region

Kinzigtal ausgeschlossen wurden (Vergleichsgruppe).

Die Grundgesamtheit der Interventionsgruppe im weitesten Sinn besteht aus

den im Kinzigtal wohnenden AOK- und LKK-Versicherten (PLZ-Bereiche 77709-77797,

78132), während die Grundgesamtheit der Interventionsgruppe im engeren Sinn die-

jenigen AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal bilden, die – zu einem gegebenen

Stichtag – aktiv in die IVGK eingeschrieben waren. Die Grundgesamtheit der Ver-

gleichsgruppe setzt sich aus allen volljährigen Versicherten der AOK Baden-Württem-

berg (AOK BW) und der LKK Baden-Württemberg (LKK BW) zusammen, die außerhalb

der Region Kinzigtal ihren Wohnsitz haben. Während bei den Interventionsgruppen

eine Vollerhebung durchgeführt wurde und somit die Daten aller ca. 31.000 AOK- und

LKK-Versicherten im Kinzigtal analysiert werden, steht für die Untersuchung der Ver-

gleichsgruppe eine Zufallsstichprobe zur Verfügung, die rund 20 % der Grundgesamt-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

38

T0: 2004 T7: 2011T3: 2007T2: 2006T1: 2005 …

Interventionen der IVGK

Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-

Versicherte im übrigen Baden-Württemberg

Interventions-gruppe:

AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal

Interventions-gruppe:

AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal

Interventions-gruppe:

AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal

Interventions-gruppe:

AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal

Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-

Versicherte im übrigen Baden-

Württemberg

Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-

Versicherte im übrigen Baden-Württemberg

Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-

Versicherte im übrigen Baden-Württemberg

Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-

Versicherte im übrigen Baden-Württemberg

T0-Vergleich:Prävalenzen,

Indikatoren derVersorgung

T1-Vergleich:dito

T2-Vergleich:dito

T3-Vergleich:dito

T7-Vergleich:Prävalenzen,

Indikatoren derVersorgung,Inzidenzen,

Interventions-gruppe:

AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal

heit der Vergleichsgruppe und somit die Daten von ca. 500.000 volljährigen Ver-

sicherten umfasst.

Wie oben erwähnt, werden im ÜUF-Projekt die Daten der Beobachtungsjahre

2004 bis 2011 analysiert. Bisher liegen Berichte zu den Daten der Jahre 2004-08 vor.

Das Jahr 2004 gilt dabei als Basisjahr, weil es das letzte interventionsfreie Kalender-

jahr darstellt. Die folgenden Jahre 2005-11 gelten dementsprechend als Jahre mit

zunehmend intensiver und extensiver Intervention seitens der IVGK. Grundzüge des

Studiendesigns sind in Abb. 18 illustriert.

In Abb. 18 symbolisieren die unterschiedlichen Farb-Abstufungen innerhalb der

Interventionsgruppe im weitesten Sinn verschiedene Teilgruppen: (a) Die Farbe weiß

stellt diejenigen AOK-/LKK-Versicherten im Kinzigtal dar, die nicht von hausärztlichen

IVGK-Leistungspartnern behandelt werden; diese Versicherten werden zwar nicht

durch die Interventionen der IVGK erreicht, die IVGK übernimmt jedoch auch für diese

Versicherten eine virtuelle Budgetmitverantwortung. (b) Die Farbe hellgrün symbolisiert

diejenigen AOK-/LKK-Versicherten im Kinzigtal, die zwar regelmäßig von hausärzt-

lichen IVGK-Leistungspartnern behandelt werden, die sich aber (noch) nicht in die

IVGK eingeschrieben haben. (c) Die Farbe mittelgrün stellt diejenigen AOK-/LKK-Ver-

sicherten im Kinzigtal dar, die sich in die IVGK eingeschrieben haben und somit auch

direkt in den Genuss der IVGK-spezifischen Gesundheits- und Krankheitsmanage-

mentprogramme kommen; zudem wählen sie den IVGK-Patientenbeirat.

Abb. 18: Grundzüge des Studiendesigns des ÜUF-Projekts

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

39

4.2.2 Stichprobengrößen der Studienpopulationen

In die folgenden Untersuchungen wurden grundsätzlich nur AOK- und LKK-Versicherte

einbezogen, die in den einzelnen Beobachtungsjahren durchgängig versichert waren

oder – falls sie im betreffenden Jahr verstarben – bis zu ihrem Sterbedatum durch-

gängig versichert waren. Kassenwechsler wurden für das Jahr ihres Kassenwechsels

also nicht berücksichtigt. Weitere Details zur Auswahl der Vergleichsstichprobe finden

sich im aktuellen Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe (Köster et al. 2011a: 29f

und 2011b: 29f). Die Ergebnisse für die Versicherten beider Kassen werden im

Folgenden stets getrennt wiedergegeben.

In Tab. 4 sind die Stichprobengrößen der betrachteten Studienpopulationen der

AOK BW dargestellt. Als „IV-Versicherte“ wurden AOK-Versicherte aus dem Kinzigtal

kategorisiert, wenn sie am 31.12.2008 – dem letzten Tag des betrachteten Zeitraums

2004-08 – in die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) eingeschrieben

waren. Alle anderen im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten gelten als „Nicht-IV-

Versicherte“. Beide Gruppen zusammengenommen bilden – wie oben erwähnt – die

„Interventionsgruppe im weitesten Sinn“, während die Teilgruppe der „IV-Versicherten“

die „Interventionsgruppe im engeren Sinn“ darstellt. Die Versicherten der AOK BW mit

Wohnsitz außerhalb des Kinzigtals, die zum Vergleich herangezogen wurden, werden

im Folgenden als „Vergleichsstichprobe BW“ bezeichnet. Diese Vergleichsstichprobe

enthält – aus Gründen, die hier nicht zu erläutern sind – nur volljährige Versicherte. Für

die drei AOK-Versichertengruppen bzw. –stichproben ergeben sich die in Tab. 2 wie-

dergegebenen Umfänge (vgl. Köster et al. 2011a: 34).10

Tab. 2: Anzahl der Versicherten der AOK BW nach Versichertengruppe und Beobach-tungsjahr (ohne Kassenwechsler) Versicherte der AOK BW in der Region Kinzigtal Vergleichsstich-

Jahr IV-Versicherte Nicht-IV-Versicherte Gesamt probe BW

2004 3.776 24.080 27.856 512.293

2005 3.842 24.474 28.316 503.530

2006 3.928 24.703 28.631 494.432

2007 3.961 23.939 27.900 483.601

2008 3.909 23.129 27.038 460.414

Im Fall der LKK BW wurden ebenfalls diejenigen Versicherten als „IV-Versicherte“

gewertet, die am 31.12.2008 in die IVGK eingeschrieben waren. Alle anderen im Kin-

zigtal wohnenden LKK-Versicherten gelten im Folgenden als „Nicht-IV-Versicherte“. In

der „Vergleichsstichprobe BW“ der LKK-Versicherten sind – wie im Fall der AOK-Ver-

10 Alle in Kapitel 4 wiedergegebenen Tabellen und Ergebnisse sind dem aktuellen Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe entnommen: Siehe Köster et al. 2010a und Köster et al. 2010b.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

40

sicherten – nur volljährige Versicherte enthalten. Für die drei betrachteten Versicher-

tengruppen der LKK BW ergeben sich die in Tab. 3 dargestellten Populationsumfänge

(Köster et al. 2011b: 34):

Tab. 3: Anzahl der Versicherten der LKK BW nach Versichertengruppe und Beo-bachtungsjahr (ohne Kassenwechsler)

Versicherte der LKK BW in der Region Kinzigtal Vergleichs-

Jahr IV-Versicherte Nicht-IV-Versicherte Gesamt stichprobe BW

2004 257 1.361 1.618 15.594

2005 255 1.390 1.645 15.488

2006 258 1.416 1.674 15.459

2007 261 1.411 1.672 15.206

2008 262 1.411 1.673 14.455

Zum ersten Mal in einem Zwischenbericht führte die PMV forschungsgruppe neben

den bereits erwähnten Differenzierungen der Versicherten nach Gruppen und Unter-

gruppen für einige Auswertungen noch eine weitere Differenzierung ein: Die in der

Region Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten wurden bei manchen Fragestellungen

auch noch danach unterschieden, ob sie überwiegend von ärztlichen Leistungs-

partnern der IVGK betreut wurden oder überwiegend von nicht zur IVGK gehörenden

Ärzten. Erstere werden im Folgenden abgekürzt als „LP-Patienten“ („Leistungspartner-

Patienten“) bezeichnet, letztere als „NLP-Patienten“ („Nicht-Leistungspartner-Patien-

ten“). Tab. 4 zeigt, wie sich die im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten nach

diesem Kriterium verteilen.

Tab. 4: Anteil der im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten nach Leistungspartner-Status des behandelnden Arztes

Anteil (%) der AOK-BW-Versicherten in der Region Kinzigtal

Jahr

LP-Patienten

NLP-Patienten

nicht zuordenbar

Gesamt

2004 37,9 56,1 6,0 100,0

2005 38,5 56,8 4,6 100,0

2006 39,1 57,4 3,4 100,0

2007 39,1 57,6 3,3 100,0

2008 39,2 57,6 3,1 100,0

Alle im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten wurden anhand ihrer Originalscheine

bei hausärztlich, kinderärztlich oder gynäkologisch tätigen Ärzten im Zeitraum 2006 bis

2008 einer der drei Gruppen (LP-Patienten vs. NLP-Patienten vs. nicht zuordenbar)

zugeordnet. Als LP-Patienten wurden solche Versicherte klassifiziert, die mehr als 50%

der Originalscheine bei IVGK-Leistungspartnern abgegeben hatten. Als NLP-Patienten

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

41

wurden hingegen Versicherte klassifiziert, die höchstens 50% ihrer Originalscheine bei

IVGK-Leistungspartnern abgegeben hatten. Die dann noch übrig bleibende Gruppe der

„nicht zuordenbaren“ Versicherten besteht folglich aus zwei Gruppen von Versicherten,

nämlich (a) Versicherten mit ambulanter Inanspruchnahme, aber ohne Originalschein

bei hausärztlich oder kinderärztlich oder gynäkologisch tätigen Ärzten im Zeitraum

2006-08 und (b) Versicherten ohne ambulante Inanspruchnahme im Zeitraum 2006-08.

Man wird davon ausgehen können, dass die LP-Patienten in der Regel stärker als die

NLP-Patienten und stärker als die nicht zuordenbaren Versicherten von den Grund-

sätzen und Handlungsmaximen der IVGK berührt werden. Gleichzeitig sind die beiden

Gruppen der LP-Patienten und der NLP-Patienten relativ gut miteinander vergleichbar,

was die durchschnittliche Krankheitslast pro Person betrifft (Köster et al. 2011a: 74).

Aus diesem Grund kann es für bestimmte Fragestellungen sinnvoll sein, Kennziffern

bzw. Qualitätsindikatoren bei LP-Patienten und NLP-Patienten miteinander zu ver-

gleichen und daraus Folgerungen hinsichtlich der Effektivität der IVGK innerhalb der

Region Kinzigtal abzuleiten.

Aus Tab. 4 wird ersichtlich, dass 2006-08 knapp 40% der AOK-Versicherten im

Kinzigtal überwiegend von haus- oder kinderärztlich oder gynäkologisch tätigen Lei-

stungspartnern der IVGK behandelt wurden. Die übrigen AOK-Versicherten aus dem

Kinzigtal hatten ihre haus- oder kinderärztlichen oder gynäkologischen Originalscheine

nicht mehrheitlich bei IVGK-Leistungspartnern abgegeben (rund 58%) oder waren im

Zeitraum 2006-08 nicht ambulant hausärztlich, kinderärztlich oder gynäkologisch

behandelt worden (rund 3%).

Wegen der relativ geringen Anzahl der im Kinzigtal wohnenden LKK-Versicherten

hat die PMV forschungsgruppe darauf verzichtet, für die LKK-Versicherten Kennziffern

und Qualitätsindikatoren auch nach dem Leistungspartner-Status des maßgeblich

behandelnden Arztes zu differenzieren. Derartige Ergebnisse wären wegen der relativ

geringen Fallzahl weitaus weniger aussagekräftig als die analogen Ergebnisse bei den

AOK-Versicherten.

4.2.3 Methoden des Populationenvergleichs: Standardisierung und Fall-Kontroll-Ansatz

Bei vergleichenden Analysen zu Morbiditätskennziffern, globalen Inanspruchnahme-

Kennziffern und globalen Qualitätsindikatoren wird die für das übrige Baden-Württem-

berg repräsentative Vergleichsstichprobe („Vergleichsstichprobe BW“) vollständig ein-

bezogen und dabei auf die Alters- und Geschlechtsverteilung der volljährigen Versi-

cherten aus der Region Kinzigtal standardisiert. Mit Hilfe der Standardisierung einer

Vergleichspopulation auf bestimmte Parameter der Interventionspopulation können die

zu vergleichenden Populationen auch dann sinnvoll miteinander verglichen werden,

wenn die betreffenden Parameter (hier: Alter und Geschlecht) in den einzelnen Popula-

tionen nicht gleich verteilt sind. Da die Variablen Alter und Geschlecht aber im Allge-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

42

meinen wichtige Parameter darstellen, die die Verbreitung von Krankheiten und die

damit zusammenhängenden Inanspruchnahme-Kennziffern beeinflussen, ist eine Stan-

dardisierung zum Zweck eines validen Vergleichs unabdingbar. Die im Fall der Ver-

gleichsstichprobe BW standardisierten Prävalenzen (z.B. Multimorbiditätsprävalenz)

und anderen Kennziffern geben daher auch nicht die betreffende Prävalenz bei

volljährigen AOK-Versicherten aus dem übrigen Baden-Württemberg wieder, sondern

streng genommen nur die Prävalenz bei volljährigen AOK-Versicherten aus dem übri-

gen Baden-Württemberg, falls bei diesen dieselbe Alters- und Geschlechtsverteilung

vorläge wie bei den volljährigen AOK-Versicherten im Kinzigtal.

Bei den Auswertungen indikationsspezifischer Kennziffern und Qualitätsindika-

toren wird, falls nicht anders angegeben, ebenfalls das Verfahren der Standardisierung

bezüglich der Parameter Alter und Geschlecht angewendet. Lediglich in wenigen –

entsprechend ausgewiesenen – Einzelfällen wird auf das Verfahren der Standardi-

sierung verzichtet. Stattdessen basieren in diesen Fällen die Vergleiche zwischen

Interventionsgruppe und Vergleichsstichprobe auf einem Fall-Kontroll-Ansatz: Zu-

nächst werden aus der Interventionspopulation („Kinzigtal-Versicherte insgesamt“)

sämtliche Versicherte mit der entsprechenden Ziel-Indikation ausgewählt und bezüglich

der betreffenden Inanspruchnahme etc. betrachtet; für jeden Kinzigtal-Versicherten mit

der gegebenen Ziel-Indikation („Fall“) werden dann nach dem Zufallsprinzip jeweils fünf

Versicherte aus der baden-württembergischen Vergleichsstichprobe („Kontrollen“) ge-

zogen, die nicht nur dieselbe Ziel-Indikation, sondern auch noch dasselbe Alter und

dasselbe Geschlecht wie der entsprechende „Fall“ aufweisen. Mit diesem Fall-Kontroll-

Ansatz ist gewährleistet, dass Interventions- und Vergleichspopulation im Hinblick auf

indikationsspezifische Kennziffern und Indikatoren auch dann valide verglichen werden

können, wenn die betreffende Ziel-Indikation in beiden Populationen unterschiedlich

häufig vorkommt. Falls nicht anders angegeben, beträgt das zahlenmäßige Verhältnis

zwischen je einem Fall und „seinen“ Kontrollen stets 1:5 (Matching-Verhältnis 1:5).

4.3 Bisherige Ergebnisse: Die Beobachtungsjahre 2004-2008

In den folgenden beiden Abschnitten fassen wir diejenigen Zwischenergebnisse der

Jahre 2004-08 zusammen, welche unseres Erachtens aussagekräftige Antworten auf

die oben erwähnten Forschungsfragen enthalten.11 Selbstverständlich sind diese Ant-

worten als vorläufig zu betrachten, da wir nur Zwischenergebnisse kommentieren. Die

11 Der vollständige Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe zu den Beobachtungsjahren 2004-08 lässt sich – für den die AOK BW-Versicherten betreffenden Teilbericht – auf dem geschlossenen (passwortgeschützten) Bereich der EKIV-Homepage einsehen und herunterladen: http://www.ekiv.org/de/intern/pdf/projektberichte/KIT-PMV-UEUF_AOK%202004-2007-fin-2010-03-29_korr-sicher.pdf. Auf den Zwischenbericht der Jahre 2004-08 (AOK BW-Daten) wird im Folgenden als Köster et al. 2011a verwiesen, auf den entsprechenden Zwischenbericht zu den LKK-Daten als Köster et al. 2011b. Um den Bericht einzusehen, der die Daten der LKK-Versicherten untersucht, wenden sich Interessenten bitte an Frau Stützle von der LKK Baden-Württemberg.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

43

Verantwortung für Auswahl und Interpretation der folgenden Zwischenergebnisse tra-

gen die Autoren des vorliegenden Berichts.

Wir referieren zunächst ausgewählte globale Prävalenzen, Kennziffern und Qua-

litätsindikatoren (Abschnitt 4.3.1), bevor wir auf Indikatoren zu einzelnen Ziel-Indika-

tionen eingehen (Abschnitt 4.3.2).

4.3.1 Ausgewählte globale Prävalenzen, Inanspruchnahme-Kennziffern und Qualitätsindikatoren 4.3.1.1 Häufigste Behandlungsanlässe im Jahr 2008

Im Folgenden werden stets fünf verschiedene Teil-Populationen unterschieden (vgl.

Tab. 5a und 5b): Für den Kinzigtal-internen Vergleich zwischen IV-Versicherten (1) und

Nicht-IV-Versicherten (2) wurden stets alle Versicherten unabhängig von ihrem Alter

einbezogen; das Durchschnittsalter der IV-Versicherten ist dabei wesentlich höher als

das der Nicht-IV-Versicherten. Die Teilpopulationen (1) und (2) ergeben zusammen die

Versichertenpopulation „Kinzigtal Gesamt“ (3). Werden die Ergebnisse aus dem Kin-

zigtal mit den Ergebnissen einer hinsichtlich Alter und Geschlecht auf die Kinzigtal-

Population standardisierten Stichprobe volljähriger Versicherter aus dem übrigen

Baden-Württemberg (5) verglichen, so werden dabei auch bei der Kinzigtal-Population

grundsätzlich nur die volljährigen Versicherten (4) betrachtet.

Ein Blick auf die häufigsten Behandlungsanlässe fördert wichtige Charakte-

ristika der Versicherten aus dem Kinzigtal zutage. Bei den AOK-Versicherten bilden im

Jahr 2008 folgende ICD-Gruppen die zehn häufigsten Behandlungsanlässe im ambu-

lanten Sektor (Tab. 5a) bzw. im stationären Sektor (Tab. 5b):

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

44

Tab. 5a: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008

Kinzigtal Alter >= 18 J.

ICD-

Gruppe

Bezeichnung IV-Vers.

(1)

Nicht-IV-

Vers. (2)

Gesamt

(3)

Kinzigtal

(4)

standard.

BW (5)

M40-M54 Krankh.d.Wirbelsäule & d.Rückens 50,3 32,0 34,6 39,6 42,2

I10-I15 Hypertonie 43,7 25,3 28,0 33,3 35,0

M00-M25 Arthropathien 41,8 23,4 26,1 29,8 28,7

E70-E90 Stoffwechselstörungen 37,2 20,6 23,0 27,2 29,5 N80-N98 Nichtentzündliche Krankheiten des

weiblichen Genitaltraktes 26,5 21,0 21,8 24,9 22,8

M60-M79 Krankheiten der Weichteilgewebe 28,1 17,0 18,6 20,9 20,6

J00-J06 Akute Infekt. d. oberen Atemwege 23,7 24,1 24,0 20,3 20,3

I80-I89 Krankh.d.Venen, Lymphgefäße u. Lymphknoten, andernorts n. klass.

22,8 13,9 15,2 17,9 18,0

H49-H52

Affekt. d. Augenmuskeln, Stör. d. Blickbewegungen, Akkomodations- störungen & Refraktionsfehler

28,3 15,3 17,2 17,0 22,2

J40-J47 Chron.Krankh. d. unteren Atemwege 21,9 16,0 16,9 16,7 16,8

Tab. 5b: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im stationären Sektor: Anteil der Versicherten mit stationärer Hauptentlassungsdiagnose im Jahr 2008

Kinzigtal Alter >= 18 J.

ICD-

Gruppe

Bezeichnung IV-Vers.

(1)

Nicht-IV-

Vers. (2)

Gesamt

(3)

Kinzigtal

(4)

standard.

BW (5)

I30-I52 Sonstige Formen d. Herzkrankh. 15,6 9,1 10,0 11,9 11,0

C00-C97 Bösartige Neubildungen 12,3 8,7 9,2 11,0 12,4

M00-M25 Arthropathien 13,6 8,0 8,8 10,4 9,4

M40-M54 Krankh.d.Wirbelsäule & Rückens 11,0 4,4 5,3 6,4 5,9

I20-I25 Ischämische Herzkrankheiten 11,0 4,1 5,1 6,1 8,3

I60-I69 Zerebrovaskuläre Krankheiten 6,9 4,0 4,4 5,3 5,5

G40-G47 Episodische und paroxysmale Krankheiten d. Nervensystems

7,7 3,9 4,4 5,0 4,2

R50-R69 Allgemeinsymptome 5,4 3,9 4,1 4,8 3,9

K55-K63 Sonstige Krankh. d. Darms 6,7 3,4 3,8 4,5 5,5

K40-K46 Hernien 5,9 3,2 3,6 4,2 4,0

Ein Blick auf die beiden Tabellen (Tab. 5a und 5b) zeigt keine auffälligen und

systematisch indikationsübergreifenden Niveauunterschiede zwischen den volljährigen

AOK-Versicherten im Kinzigtal einerseits und der alters- und geschlechtsstandar-

disierten Vergleichsstichprobe aus dem übrigen Baden-Württemberg andererseits.

Anteil ( in % ) mit ambulant-ärztlicher Diagnose

Anzahl m. stat. Hauptentlassungsdiagnose pro 1.000 Vers.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

45

Dies gilt sowohl für die Krankenscheindiagnosen als auch für die stationären Hauptent-

lassungsdiagnosen.

Vergleicht man die Behandlungshäufigkeiten bei den IV-Versicherten und Nicht-

IV-Versicherten im Kinzigtal, so zeigen sich deutliche Unterschiede: Sowohl im ambu-

lanten als auch im stationären Sektor weisen die IV-Versicherten durchweg eine we-

sentlich höhere Behandlungsprävalenz auf als die Nicht-IV-Versicherten (nicht stan-

dardisierte Werte). Dieses Ergebnis deckt sich mit dem – bereits an anderer Stelle

diskutierten12 – Befund, dass in der IVGK eine umgekehrte Risikoselektion praktiziert

wird: Als IV-Versicherte werden zunächst und vorwiegend ältere und mit einer höheren

Krankheitslast konfrontierte Versicherte eingeschrieben.

Die Resultate zu den zehn häufigsten ambulanten Behandlungsanlässen bei den

LKK-Versicherten finden sich in Tabellen 6.

Tab. 6: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der LKK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008

Kinzigtal Alter >= 18 J.

ICD-

Gruppe

Bezeichnung IV-Vers.

(1)

Nicht-IV-

Vers. (2)

Gesamt

(3)

Kinzigtal

(4)

standard.

BW (5)

I10-I15 Hypertonie 55,0 33,3 36,7 43,0 47,1

M40-M54 Krankh.d.Wirbelsäule & d. Rückens 50,4 31,4 34,4 39,0 41,9

M00-M25 Arthropathien 53,1 30,3 33,8 38,4 38,9

E79-E90 Stoffwechselstörungen 33,6 23,4 25,0 29,4 32,7

I80-I89 Krankh. der Venen, Lymphgefäße & Lymphknoten, andernorts n. klass.

34,7 19,1 21,5 25,2 25,5

I30-I52 Sonstige Formen der Herzkrankheit 27,9 18,9 20,3 23,7 24,6

E00-E07 Krankh. der Schilddrüse 24,0 18,4 19,2 22,4 20,2

M60-M79 Krankheiten der Weichteilgewebe 26,7 15,0 16,9 17,9 21,2

H49-H52 Affektionen der Augenmuskeln, Stör. d.Blickbew., Akkomodationstionsstö-rungen u. Refraktionsfehler

31,3 15,5 17,9 17,8 22,8

H25-H28 Affektionen der Linse 23,7 10,8 12,8 15,0 15,0

12 Siehe ausführlich: Siegel A & Stößel U: Umgekehrte Risikoselektion in der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal – Sozialstruktur und GKV-Kosten von eingeschriebenen und nicht-eingeschriebenen Versicherten im Zeitverlauf. In: EKIV-Newsletter 1/2009: 10-14. Download unter: http://www.ekiv.org/de/pdf/EKIV-Newsletter_2009-1.pdf

Anteil ( in % ) mit ambulant-ärztlicher Diagnose

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

46

Beim Blick auf die Ergebnisse der LKK-Versicherten fallen vor allem zwei Dinge auf:

(1) Die Behandlungsprävalenzen im ambulanten Sektor sind im Kinzigtal fast durchweg

niedriger als im übrigen Baden-Württemberg; demgegenüber sind sie im stationären

Sektor (ohne Tabelle13) fast durchweg höher als im restlichen Baden-Württemberg. (2)

Die Behandlungsprävalenzen bei den IV-Versicherten im Kinzigtal sind sowohl im

ambulanten als auch im stationären Sektor deutlich höher als bei den Nicht-IV-Versi-

cherten im Kinzigtal: Die von der IVGK praktizierte umgekehrte Risikoselektion zeigt

sich also auch im Fall der LKK-Versicherten sehr deutlich.

4.3.1.2 Versicherte mit Multimorbidität und Multimedikation

Einen guten Überblick über die Entwicklung der Morbidität bei den AOK-Versicherten

erhält man in einer einzigen Tabelle, wenn man den Anteil der Versicherten mit Multi-

morbidität in den fünf Beobachtungsjahren bildet. Das Kriterium „Multimorbidität“ galt

als erfüllt, wenn bei einem Versicherten Diagnosen aus mindestens drei verschiedenen

ICD-Untergruppen und diese über mindestens drei Quartale im Jahr dokumentiert

waren. Demnach lässt sich für die AOK-Versicherten folgende Entwicklung feststellen:

Tab. 7: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimorbidität nach Beobachtungsjahr

Tabelle 7 zeigt, dass sowohl im Kinzigtal als auch in der Vergleichsstichprobe BW der

Anteil der Versicherten mit Multimorbidität im Zeitraum 2004-08 steigt. Der Anstieg fällt

bei den volljährigen Versicherten im Kinzigtal etwas geringer aus (von rund 28 % im

Jahr 2004 auf 34 % im Jahr 2008 – Anstieg: 21%) als in der alters- und geschlechts-

standardisierten baden-württembergischen Vergleichsgruppe (von rund 28 % im Jahr

13 Wegen sehr geringer Fallzahlen müssen wir an dieser Stelle aus Datenschutzgründen darauf verzichten, die stationäre Behandlungsprävalenz bei den LKK-Versicherten nach Indikationengruppen aufzulisten.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

47

2004 auf 36 % im Jahr 2008 – Anstieg: 28%). Betrachtet man die beiden Versicherten-

gruppen innerhalb des Kinzigtals, so zeigen sich erneut die – durchaus erwünschten –

Auswirkungen der umgekehrten Risikoselektion in der IVGK: Unter den IV-Versicherten

ist der Anteil an Versicherten mit Multimorbidität im Jahr 2008 mehr als doppelt so

hoch wie unter den Nicht-IV-Versicherten im Kinzigtal (nicht standardisierte Werte).

Vergleicht man die Multimorbiditätsprävalenz bei den LP-Patienten und den NLP-

Patienten im Kinzigtal (alters- und geschlechtsstandardisierte Werte), so zeigt sich eine

signifikant höhere Prävalenz bei den Patienten der IVGK-Leistungspartner: Im Jahr

2008 beträgt diese Prävalenz 32,4% bei den LP-Patienten und 28,2% bei den NLP-

Patienten.

Für die LKK-Versicherten liegen Ergebnisse bezüglich der Multimorbiditätsprä-

valenz bislang nur für die Jahre 2007 und 2008 vor (Köster et al. 2011b: 71): 2008

beläuft sich die Prävalenz auf rund 42% bei den volljährigen LKK-Versicherten im

Kinzigtal, während es im übrigen Baden-Württemberg rund 44 % sind (ohne Tabelle).

Die in die IVGK eingeschriebenen Versicherten haben dabei eine deutlich höhere

Prävalenz als die Nicht-Eingeschriebenen (rund 59% vs. 32%; nicht standardisiert).

Der sog. Charlson-Komorbiditäts-Index misst im Grundsatz etwas Ähnliches wie

die Multimorbiditätsprävalenz (Köster et al. 2011a: 61ff): Er stellt einen eindimen-

sionalen Morbiditätsmaßstab dar, in den 17 Erkrankungen eingehen; sein prognosti-

scher Wert für die 10-Jahres-Mortalität ist beachtlich (vgl. ebd.). Je höher der Index-

wert, desto höher die Krankheitslast eines Versicherten. Tab. 7 zeigt die Entwicklung

des durchschnittlichen Charlson-Komorbiditäts-Indexwerts unter den AOK-Versicher-

ten. Wie im Fall der Multimorbiditätsprävalenz steigt auch der Charlson-Komorbiditäts-

Indexwert im Kinzigtal im Zeitraum 2006-08 langsamer an als im übrigen Baden-

Württemberg (Anstieg um 13% vs. 19%). Auch ist der durchschnittliche Indexwert im

Kinzigtal geringer als in der Vergleichsstichprobe (2008: 0,69 vs. 0,81). Ähnlich wie im

Fall der Multimorbiditätsprävalenz ist der Indexwert bei den IV-Versicherten im Kin-

zigtal 2008 etwas mehr als doppelt so hoch wie bei den Nicht-IV-Versicherten (1,04 vs.

0,51).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

48

Tab. 8: Charlson-Komorbidäts-Index unter den Versicherten der AOK BW

An dieser Stelle lohnt wieder ein Vergleich der Charlson-Indexwerte bei LP-Patienten

und NLP-Patienten: Im Basisjahr 2004 lagen die alters- und geschlechtsstandardi-

sierten Durchschnittswerte beinahe auf gleicher Höhe, nämlich bei 0,49 (LP-Patienten)

und bei 0,48 (NLP-Patienten). Im Zeitraum 2004-08 stieg jedoch der durchschnittliche

Indexwert unter den LP-Patienten etwas stärker als unter den NLP-Patienten (Anstieg

um 31% vs. 23%). Deshalb unterscheiden sich die alters- und geschlechtsstan-

dardisierten Durchschnittswerte im Jahr 2008 etwas deutlicher als noch 2004 (LP-

Patienten 2008: 0,64; NLP-Patienten 2008: 0,59). Dies bedeutet nicht zwingend, dass

die LP-Patienten objektiv „schneller krank“ geworden sind als die NLP-Patienten. Denn

der schneller gestiegene durchschnittliche Charlson-Indexwert unter den LP-Patienten

kann (auch!) darin begründet sein, dass die Einführung der IVGK bei den IVGK-

Leistungspartnern zu einer steigenden Aufmerksamkeit für etwaige Komorbiditäten und

somit zu einer etwas häufigeren Kodierung von Nebendiagnosen geführt hat.

Im Vergleich zu den AOK-Versicherten zeigen sich bei den LKK-Versicherten

beider Teilpopulationen deutlich höhere Charlson-Komorbiditäts-Indexwerte: Während

die LKK-Versicherten im Kinzigtal im Jahr 2008 einen Durchschnittswert von 0,84

aufweisen, beträgt dieser bei den LKK-Versicherten der Vergleichsstichprobe 0,98

(alters- und geschlechtsstandardisierte Werte). Diese höheren Werte beim Charlson-

Index bei den LKK-Versicherten bestätigen inhaltlich das oben referierte Ergebnis zur

Multimorbiditätsprävalenz: Die in die Studie einbezogenen LKK-Versicherten haben im

Vergleich zu den untersuchten AOK-Versicherten eine höhere Krankheitslast (nicht

alters- und geschlechtsstandardisiert!).

Tab. 9 gibt den Anteil der AOK-Versicherten mit Multimedikation wieder. Das Kri-

terium „Multimedikation“ galt als erfüllt, wenn bei einem Versicherten in allen vier Quar-

talen eines Jahres mindestens fünf verschiedene Verordnungen (ATC 7-stellig) doku-

mentiert waren. Einen hohen Anteil von Versicherten mit Multimedikation interpretieren

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

49

wir grundsätzlich – auch wenn das nicht für jeden Einzelfall gilt – kritisch, denn bei Pa-

tienten mit Multimedikation steigt die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Arzneimittel-

wirkungen bzw. unvorgesehener Arzneimittelinteraktionen.

Tab. 9: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr

Wie aus Tab. 9 zu erkennen ist, liegt der Anteil volljähriger Versicherter mit Multimedi-

kation im Kinzigtal im Jahr 2008 mit 6,3% um knapp ein Fünftel niedriger als in der

baden-württembergischen Vergleichsstichprobe mit 7,5%. Der Anteil steigt in beiden

Versichertengruppen von 2004 bis 2008 merklich an; dabei verläuft der Anstieg im

Kinzigtal etwas steiler als in der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichs-

gruppe (40% vs. 34%). Vergleicht man die alters- und geschlechtsstandardisierte

Multimedikationsprävalenz bei LP-Patienten und NLP-Patienten unter den AOK-

Versicherten des Kinzigtals, so erhält man auch wieder eine etwas höhere Prävalenz

für die LP-Patienten (2008: 5,7% vs. 5,3%). Der Unterschied ist nicht signifikant (Köster

et al. 2011a: 75).

Tab. 10 bildet diese Kennziffer für die LKK-Versicherten ab. Auch hier liegt der

Anteil der Versicherten mit Multimedikation im Kinzigtal im gesamten betrachteten

Zeitraum deutlich unter dem Anteil im übrigen Baden-Württemberg. Allerdings steigt

unter den Kinzigtaler LKK-Versicherten der Anteil von 2004-08 deutlicher an (81%) als

im übrigen Baden-Württemberg (61%). Die Ergebnisse im Kinzigtal beruhen jedoch auf

geringen Fallzahlen und sind dementsprechend mit Vorsicht zu interpretieren.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

50

Tab. 10: Anteil der LKK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr 4.3.1.3 Versicherte mit problematischen Arzneimittelverordnungen

Es gibt Medikationskennziffern, die wesentlich eindeutiger als problematisch anzuse-

hen sind als dies bei der gerade erwähnten Multimedikation der Fall ist. Diese können

deshalb auch als Qualitätsindikatoren im eigentlichen Wortsinn interpretiert werden.

Dies gilt vor allem für die längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen. Eine länger-

fristige Benzodiazepin-Verordnung ist wegen des hohen Abhängigkeitspotentials als

kritisch einzuschätzen. Als „längerfristig“ galt eine Verordnung, wenn bei einem Ver-

sicherten mehr als 20 Tagesdosen (>20 DDD) pro Jahr dokumentiert waren. Die

entsprechende Verordnungsprävalenz kann also als globaler Qualitätsindikator inter-

pretiert werden, der eine Fehlversorgung anzeigt. Tab. 11 gibt die Entwicklung der

längerfristigen Benzodiazepin-Verordnungen zu Lasten der GKV bei den AOK-Ver-

sicherten wieder.

Wie anhand von Tab. 11 zu sehen ist, kommen bei den AOK-Versicherten im

Kinzigtal längerfristige Benzodiazepin-Verordnungen in jedem Beobachtungsjahr von

2004 bis 2008 deutlich seltener vor (2,5% im Jahr 2004; 2,4% im Jahr 2008) als in der

alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsstichprobe aus dem übrigen Baden-

Württemberg (4,0% im Jahr 2004; 3,9% im Jahr 2008). Diese Kennziffern berück-

sichtigen allerdings nur Benzodiazepine, die zu Lasten der GKV verordnet wurden –

Verordnungen auf Privatrezept werden in GKV-Routinedaten grundsätzlich nicht er-

fasst. Die tatsächliche Prävalenz aller Benzodiazepin-Verordnungen wird daher ver-

mutlich in beiden Versichertengruppen unterschätzt.

Die PMV forschungsgruppe hat im aktuellen Jahresbericht auch ein alters- und

geschlechtsadjustiertes Odds Ratio (OR) für einen Kinzigtal-Versicherten berechnet,

eine längerfristige Benzodiazepin-Verordnung zu Lasten der GKV zu erhalten (Re-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

51

ferenz: Vergleichsstichprobe BW). Dabei war das OR eines Kinzigtal-Versicherten sig-

nifikant unter dem Referenzwert (2008: OR=0,60; 95% Konfidenzintervall 0,55-0,65). Tab. 11: AOK-Versicherte mit längerfristiger Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD)

Vergleicht man die Verordnungsprävalenz bei LP-Patienten und NLP-Patienten im

Kinzigtal, so erhält man folgendes Ergebnis (Tab. 12). Tab. 12: Längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD) bei LP-Patienten und NLP-Patienten im Kinzigtal

Tab. 12 zeigt eine in allen betrachteten Jahren (2006-08) signifikant geringere Präva-

lenz unter den LP-Patienten. Das Odds Ratio der LP-Patienten (Referenzgruppe: NLP-

Patienten) bewegt sich in diesem Zeitraum zwischen 0,70 (2006) und 0,76 (2008).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

52

Auch bei den LKK-Versicherten (ohne Tabelle) finden sich im Kinzigtal in allen be-

trachteten Jahren deutlich seltener längerfristige Benzodiazepin-Verordnungen zu La-

sten der GKV als im übrigen Baden-Württemberg (2008: 2,8% im Kinzigtal; 4,2% im

übrigen Baden-Württemberg; vgl. Köster et al. 2011b: 81). Dieses Ergebnis spiegelt

sich ebenfalls in einer für die Kinzigtal-Versicherten signifikant verringerten Odds Ratio

wider (OR im Jahr 2008: 0,65; 95% Konfidenzintervall: 0,46-0,90 – Köster et al. 2011b:

82). Auf eine detaillierte Darstellung des Zeitverlaufs bei den LKK-Versicherten

verzichten wir wegen teilweise sehr geringer Fallzahlen.

Die Problematik einer potentiellen Medikamentenabhängigkeit wird auch in ei-

nem QiSA-Indikator abgebildet: Dort wird der Anteil der Patienten mit mehr als 30 DDD

Anxiolytika, Sedativa oder Hypnotika pro Quartal an allen Patienten mit diesen Wirk-

stoffen dargestellt (QiSA-Indikator Nr. 11, Szecsenyi et al. 2009: 46ff). Da der Nenner

des Indikators (alle Patienten mit mindestens einer Verordnung eines betreffenden

Wirkstoffs pro Quartal) in diesem Fall bereits eine deutlich eingeschränkte Population

im Vergleich zur Gesamtstichprobe/Gesamtpopulation darstellt, liegt der Anteil auch

entsprechend höher, wie aus Tab. 13 zu erkennen ist.

Tab. 13: Anteil der Patienten mit >30 DDD an Anxiolytika, Sedativa, Hypnotika in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte) Auch bei diesem Indikator zeigt sich eine geringere Prävalenz bei den volljährigen Ver-

sicherten im Kinzigtal (33,8% im Jahr 2008) im Vergleich zum übrigen Baden-Würt-

temberg (39,4% im Jahr 2008). Im Jahr 2008 ist die Prävalenz bei den (späteren) IV-

Eingeschriebenen mit rund 28% sogar am niedrigsten. Die Prävalenz der Kinzigtal-

Versicherten ist im Vergleich zu den Versicherten aus dem übrigen Baden-Württem-

berg signifikant geringer (OR im Jahr 2008: 0,78; 95% Konfidenzintervall: 0,68-0,90 –

Köster et al. 2011a: 88). Vergleicht man die Prävalenz bei LP-Patienten und NLP-

Patienten im Kinzigtal, zeigt sich im Jahr 2008 eine geringere Prävalenz bei den LP-

Patienten (30,3% vs. 35,5%); diese Differenz ist nicht signifikant. Auf eine Darstellung

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

53

dieser Kennziffer bei den LKK-Versicherten verzichten wir hier wegen der einge-

schränkten Aussagekraft aufgrund sehr geringer Fallzahlen.

Zum Abschluss dieses Abschnitts referieren wir einen letzten Indikator zu proble-

matischen Arzneimittelverordnungen, nämlich den Anteil der Patienten mit länger an-

dauernder und/oder hoch dosierter Anwendung nicht-steroidaler Antirheumatika (>75

DDD) in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe

(Tab. 14). Die länger andauernde Einnahme nicht-steroidaler Antirheumatika (NSAR)

ist problematisch, da sie ein erhöhtes Risiko einer Ulkusentwicklung beinhaltet. Der

Indikator findet sich ebenfalls in der Liste der QiSA-Indikatoren (QiSA-Indikator Nr. 12;

Szecsenyi et al. 2008: 49ff). Auch im Hinblick auf diesen Indikator sind konstant nied-

rigere Indikatorwerte im Kinzigtal im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg zu

erkennen (7,1% vs. 10,0% im Jahr 2008). Die alters- und geschlechtsstandardisierten

Prävalenzen im Jahr 2008 sind im Kinzigtal signifikant geringer als im übrigen Baden-

Württemberg (OR 0,67; 95% Konfidenzintervall: 0,61-0,74 – Köster et al. 2011a: 89).

Auch dieses Ergebnis ist für die Versorgung im Kinzigtal positiv zu werten. Die

höheren Werte unter den IV-Versicherten können als Folgeerscheinung der umge-

kehrten Risikoselektion interpretiert werden, d.h. durch die Tatsache, dass die Morbidi-

tät in der Gruppe der IV-Versicherten höher ist als bei den Nicht-IV-Versicherten. Tab. 14: Anteil der Patienten mit >75 DDD an NSAR in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte)

4.3.1.4 Weitere globale Kennziffern der Inanspruchnahme

In diesem Unterabschnitt geben wir eine Reihe ausgewählter weiterer Inanspruch-

nahme-Kennziffern wieder. Tab. 15 stellt den Anteil der AOK-Versicherten mit Praxis-

kontakt pro Jahr dar.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

54

Tab. 15: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt nach Beobachtungsjahr

Wie aus Tab. 15 zu erkennen ist, unterscheiden sich die volljährigen Versicherten im

Kinzigtal im Jahr 2008 nicht von der Vergleichsgruppe (92,0% vs. 92,1%). Lediglich in

den Vorjahren ist der Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt im Kinzigtal etwas

höher als im übrigen Baden-Württemberg (2007: 91,4% vs. 89,7%). Von den in die

IVGK eingeschriebenen AOK-Versicherten haben 2008 so gut wie alle mindestens ein

Mal im Jahr Kontakt zu einer Arztpraxis (2008: 99,2%).

Bei den LKK-Versicherten (ohne Tabelle) liegt der Anteil der Versicherten mit

Praxiskontakt im Jahr 2008 im Kinzigtal bei 89%, im übrigen Baden-Württemberg bei

90,6%. Von den in die IVGK eingeschriebenen LKK-Versicherten haben 98,5% minde-

stens einen Praxiskontakt im Jahr 2008.14

Ein wichtiges Ziel integrierter Versorgungssysteme ist es, durch eine besser ko-

ordinierte Routineversorgung der Patienten die Anzahl sowie den Anteil von Notfallbe-

handlungen zu reduzieren. Tab. 16 illustriert die Entwicklung des Anteils der AOK-

Versicherten mit Abrechnung einer Leistung im Notfall und im organisierten ärztlichen

Not(fall)dienst. Darunter fallen z.B. diejenigen Versicherten, die sich in einem gege-

benen Jahr selbst ins Krankenhaus einweisen oder z.B. diejenigen, die im betreffenden

Jahr den Wochenend-Notdienst der KV in Anspruch nehmen.

Aus Tab. 16 geht hervor, dass die entsprechenden Anteile im Kinzigtal im ge-

samten Zeitraum etwas höher sind als in der Vergleichsgruppe (2008: 18,7% vs.

16,4%). Wegen der EBM-Umstellung ist die Berechnung der Kennziffer erst ab 2006

möglich. Tab. 16 zeigt jedoch auch, dass der Anteil im Kinzigtal von 2006 bis 2008

etwas geringer ansteigt (+8%) als in der Vergleichgruppe (+11%). Es wird interessant

sein zu beobachten, ob dieser Trend auch in den Folgejahren anhält.

14 Wir verzichten hier auf eine Tabelle, da die LKK-Daten der Jahre 2004 und 2006 unvollständig und die Daten des Jahres 2005 nicht verfügbar sind.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

55

Tab. 16: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt und Notfallschein

Bei den LKK-Versicherten ist bisher ein gegenläufiger Trend auszumachen (ohne

Tabelle): Im Jahr 2006 hatten lediglich 8,8% der Kinzigtaler LKK-Versicherten eine

Notfallbehandlung gegenüber 11,3% in der Vergleichsgruppe; im Jahr 2008 lag diese

Kennziffer jedoch im Kinzigtal höher als in der Vergleichsgruppe (16,2% vs. 15,2%).

Eine wichtige Kennziffer, die die PMV forschungsgruppe im aktuellen Zwischen-

bericht erstmals ausgewiesen hat, ist der Anteil der Versicherten mit Pflegestufe I-III

nach SGB XI. Jede nachhaltige Strategie zur Verbesserung der Gesundheitsversor-

gung sollte zum Ziel haben, durch geeignete präventive Maßnahmen Pflegebedürftig-

keit im Alter zu verhindern oder zu verzögern. Tab. 17 zeigt dementsprechend den

Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-III.

Aus Tab. 17 geht hervor, dass der Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-

III bis zum Jahr 2006 im Kinzigtal und in der Vergleichsgruppe auf gleicher Höhe war

(2006: jeweils 5,6%). In den Jahren 2007 und 2008 zeigt sich ein Trend zu einem

geringeren Anteil im Kinzigtal (2008: 5,5% vs. 6,0%). Bezogen auf das Basisjahr 2004

hat sich bis 2008 der Anteil im Kinzigtal also um 5% reduziert, in der Vergleichsgruppe

ist er hingegen um 5% gewachsen. (Die Differenz im Jahr 2008 wurde nicht auf stati-

stische Signifikanz geprüft.)

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

56

Tab. 17: Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-III (SGB XI)

Schließlich sei hier noch ein letztes Ergebnis aus dem Bereich der globalen, d.h.

indikationenübergreifenden Inanspruchnahmekennziffern dargestellt – ein Ergebnis,

das auch einen Teil zum finanziellen Erfolg der IVGK bis 2008 beigetragen hat: der

Generikaanteil an allen Tagesdosen generikafähiger Präparate. Die Erhöhung des Ge-

nerikaanteils gilt als eine Möglichkeit, ohne Qualitätsverlust Kosten zu senken. Zwar

wird die Steuerung des Generikaanteils durch die kürzlich in Kraft getretenen Rabatt-

verträge nicht mehr durch die Verordnung des Arztes vorgenommen, doch sind die

Ergebnisse für den Zeitraum 2004-08 noch relevant und bedeutsam (Tabellen 18 und

19).

Tab. 18: Generikaanteil der AOK-Versicherten

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

57

Tab. 19: Generikaanteil der LKK-Versicherten

Obwohl der Generikaanteil auch bei den baden-württembergischen Vergleichsgruppen

von AOK und LKK sehr hoch ist, wird er im Kinzigtal noch einmal übertroffen (89,5%

vs. 87,1% bei den Verordnungen der AOK-Versicherten im Jahr 2008; 89,4% vs.

88,0% bei den Verordnungen der LKK-Versicherten im Jahr 2008). Gleichwohl ist

erkennbar, dass – aus oben genanntem Grund – die bis 2006 und 2007 noch beträcht-

liche Differenz im Jahr 2008 tendenziell geringer geworden ist.

Betrachtet man die Generikaquoten für IV-Versicherte und Nicht-IV-Versicherte

im Kinzigtal, so fällt auf, dass der Generikaanteil bei den IV-Versicherten den der Nicht-

IV-Versicherten jeweils immer noch deutlich übersteigt: Der Generikaanteil beträgt für

die IV-Versicherten der AOK 91,8% (Nicht-IV-Versicherte der AOK: 88,5%). Der Gene-

rikaanteil für die IV-Versicherten der LKK beläuft sich sogar auf 92,9% (Nicht-IV-Versi-

cherte der LKK: 88,4%).

4.3.2 Ausgewählte indikationsbezogene Prävalenzen, Kennziffern und Qualitätsindikatoren

Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Entwicklung indikationsspezifischer

Kennziffern und Qualitätsindikatoren im Zeitraum 2004-08. Diese beziehen sich auf die

Versorgung von Patienten mit den folgenden Indikationen:

- Chronische KHK

- Herzinsuffizienz

- Diabetes mellitus

- Affektive Störungen

- Demenz

- Osteoporose und Frakturen

- Rückenschmerzen.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

58

Zunächst stellen wir die bisherigen Zwischenergebnisse zur Versorgung von Patienten

mit chronischer KHK und von Patienten mit Osteoporose und Frakturen im Detail vor

(Abschnitte 4.3.2.1 und 4.3.2.2), um die Vorgehensweise der PMV forschungsgruppe

bei der Bildung und Auswertung von indikationsspezifischen Kennziffern und Qualitäts-

indikatoren zu veranschaulichen. Anschließend fassen wir in Abschnitt 4.3.2.3 die

Ergebnisse zu allen übrigen Indikationen zusammen (Herzinsuffizienz, Diabetes melli-

tus, affektive Störungen, Demenz, Rückenschmerzen).

Da für die LKK-Versicherten die Fallzahlen bei indikationsbezogenen Analysen

oft sehr gering sind, sehen wir in den folgenden Abschnitten von einer Darstellung der

LKK-Ergebnisse ab.

Die bisherigen Zwischenergebnisse zu indikationsspezifischen Indikatoren las-

sen sich folgendermaßen zusammenfassen: Im Zeitraum 2004-08 wurde im Kinzigtal

die Versorgungsqualität absolut gesehen in zahlreichen Bereichen verbessert (absolu-

te Verbesserung). Dabei konnten in vielen Fällen die Indikatorwerte auch im Vergleich

zum übrigen Baden-Württemberg verbessert werden (absolute und komparative Ver-

besserung der Versorgung im Kinzigtal). In einigen anderen Versorgungsbereichen

wurden aber auch deutliche Optimierungspotentiale für das Kinzigtal identifiziert. Nur

in sehr wenigen Bereichen muss der Versorgung im Kinzigtal unseres Erachtens ein

vergleichsweise negatives Ergebnis bescheinigt werden. Ein „vergleichsweise nega-

tives Ergebnis“ betrachten wir dann als gegeben, wenn nicht nur das aktuelle Versor-

gungsniveau im Kinzigtal (hier: 2008) im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg

auf einem als weniger gut zu bewertenden Niveau liegt, sondern wenn sich die Indi-

katorwerte im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08 auch noch weniger günstig entwickelten

als im übrigen Baden-Württemberg.

4.3.2.1 Chronische koronare Herzkrankheit (KHK) Zum Oberbegriff der „chronischen koronaren Herzkrankheit“ (chronische KHK) wurden

in der vorliegenden Untersuchung die ICD-10-Diagnosen I20 (Angina pectoris) bis I25

(chronische ischämische Herzkrankheit) sowie die Codes Z95.1 (Vorhandensein eines

aortokoronaren Bypasses) und Z95.2 (Vorhandensein eines Implantates oder Trans-

plantates nach koronarer Gefäßplastik) gezählt.

Bei der Ermittlung der administrativen Prävalenz bestimmter Ziel-Indikationen bil-

dete die PMV forschungsgruppe stets zwei Prävalenz-Varianten, nämlich

a. die Prävalenz, die sich ergibt, wenn in den GKV-Routinedaten eines Versicher-

ten die entsprechende Diagnose (nach ICD-10) im betrachteten Zeitraum (Jahr)

zumindest einmal kodiert war (Prävalenz aufgrund Diagnosenennung), und

b. die Prävalenz, die nur epidemiologisch sichere Fälle umfasst, so dass Ver-

dachtsdiagnosen weitgehend ausgeschlossen sind (Prävalenz auf Basis epide-

miologisch sicherer Fälle).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

59

Im Fall der chronischen KHK wurde für die „Prävalenz aufgrund Diagnosenennung“

jeder Versicherte (im Zähler der Kennziffer) gezählt, bei dem im gegebenen Beobach-

tungsjahr zumindest einmal einer der folgenden ICD-10-Codes dokumentiert war: I20,

I21, I22, I23, I24, I25, Z95.1 oder Z95.2.

Für die Prävalenz der chronischen KHK auf Basis epidemiologisch sicherer Fälle

hingegen wurde ein Versicherter nur dann gezählt, wenn

(a) ein stationärer Aufenthalt mit einer entsprechenden ICD-10-Diagnose (chroni-

sche KHK) als Hauptentlassungsdiagnose dokumentiert war oder

(b) eine entsprechende ICD-10-Diagnose (chronische KHK) in mindestens drei von

vier Quartalen des betreffenden Jahres vorlag (Köster et al. 2011a: 40).

Im Folgenden referieren wir stets nur Prävalenzen, die sich auf die „epidemiologisch

sicheren“ Fälle beziehen. Auf dieser Basis stellt sich die administrative Prävalenz der

chronischen KHK bei den AOK-Versicherten im Kinzigtal und im übrigen Baden-

Württemberg – letztere standardisiert auf die Alters- und Geschlechtsverteilung der

Versicherten im Kinzigtal – wie folgt dar:

Tab. 20: Anteil der AOK-Versicherten mit chronischer KHK Wie in Tab. 20 zu sehen, ist die administrative Prävalenz der chronischen KHK im Kin-

zigtal geringer als in der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe aus

dem übrigen Baden-Württemberg (2008: 5,8% vs. 7,1%). Deutlich wird auch hier

wieder das Phänomen der „umgekehrten Risikoselektion“ in der IVGK: Die IVGK-

Eingeschriebenen weisen einen mehr als doppelt so hohen Anteil an Versicherten mit

chronischer KHK auf wie die Nicht-Eingeschriebenen (2008: 8,6% vs. 4,2%).

Im Folgenden geben wir beispielhaft zunächst drei Qualitätsindikatoren wieder;

damit soll eine potentielle Unterversorgung bei chronischer KHK untersucht werden.

Diese Indikatoren sind aus einschlägigen Behandlungsleitlinien wie etwa der Natio-

nalen Versorgungsleitlinie KHK abgeleitet und betreffen die Prävalenz der

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

60

(1) Verordnung von Trombozytenaggregationshemmern (TAH),

(2) Verordnung von Betablockern und

(3) Verordnung von Statinen bei chronischer KHK.

Bei der Darstellung dieser drei Indikatoren wird vernachlässigt, dass es bei manchen

Patienten möglicherweise Kontraindikationen für die in Leitlinien empfohlene Medika-

tion gibt.

Tab. 21 zeigt den Anteil der Patienten mit chronischer KHK, die in einem gege-

benen Jahr Thromozytenaggregationshemmer (TAH) verordnet bekommen haben. Zu

sehen ist, dass im Jahr 2008 die Statin-Verordnungsprävalenz im Kinzigtal noch etwas

unter dem Niveau der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe liegt

(40,8% vs. 41,7%). Deutlich wird jedoch auch, dass die Verordnungsprävalenz im

Kinzigtal von 2004 bis 2008 deutlich stärker gestiegen ist (+24%) als in der Ver-

gleichsgruppe (+10%). Insofern wurde eine im Kinzigtal bestehende (absolute und

komparative) Unterversorgung im betrachteten Zeitraum verringert. Zu beachten ist

jedoch, dass TAH die Selbstmedikation der Patienten offenkundig eine bedeutende

Rolle spielt. Die hier abgebildeten Verordnungsprävalenzen unterschätzen deshalb

vermutlich die reale Einnahme von TAH durch Patienten mit chronischer KHK in beiden

Populationen.

Tab. 21: Anteil der KHK-Patienten mit TAH-Verordnung nach Beobachtungsjahr

In Tab. 22 wird die Behandlungshäufigkeit von Patienten mit chronischer KHK (Basis:

epidemiologisch sichere KHK-Fälle) mit Betablockern wiedergegeben. Wie Tab. 22

zeigt, werden Betablocker im Kinzigtal über den gesamten Zeitraum um rund drei Pro-

zentpunkte häufiger verordnet als in der Kontrollgruppe. Die Differenz ist signifikant

(OR 2008: 1,17; 95% Konfidenzintervall: 1,04–1,32). Die Verordnungsprävalenz erhöh-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

61

te sich in beiden Populationen im Zeitraum 2004-08 in etwa gleichem Maße (15% vs.

16%).

Tab. 22: Anteil der KHK-Patienten mit Betablockern nach Beobachtungsjahr Schaut man sich die Verordnungsprävalenz bei den IV-Versicherten im Kinzigtal an

(Tab. 22), so fällt eine etwas höhere – nicht alters- und geschlechtsstandardisierte (!) –

Verordnungshäufigkeit im Vergleich zu den Nicht-IV-Versicherten im Kinzigtal auf

(2008: 72,8% vs. 68,5%).

Vergleicht man die Verordnungsprävalenz bei LP- und NLP-Patienten (ohne

Tabelle), so zeigt sich eine etwas geringere Prävalenz unter den LP-Patienten (2008:

67,7% vs. 70,8%); die Ergebnisse beider Teilgruppen sind hinsichtlich Alter, Ge-

schlecht und Charlson-Index standardisiert. Diese Differenz ist allerdings nicht signifi-

kant (Köster et al. 2011a: 123).

Tab. 23 gibt den Anteil der KHK-Patienten wieder, denen Statine verordnet wur-

den. Hier zeigt sich eine etwas geringere Verordnungshäufigkeit im Kinzigtal (2008:

52,0%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (2008: 54,2%). In beiden Populationen hat sich

der Anteil der KHK-Patienten mit Statin-Verordnungen im Zeitraum 2004-08 erhöht;

dabei war der Anstieg im Kinzigtal etwas größer als in der Vergleichsgruppe (41% vs.

36%). Während die Verordnungsprävalenz im Jahr 2005 sich in den beiden Popula-

tionen noch signifikant unterschied, war das im Jahr 2008 nicht mehr Fall (Köster et al.

2011a: 124).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

62

Tab. 23: Anteil der KHK-Patienten mit Statinen

Zum Abschluss der KHK-bezogenen Kennziffern referieren wir noch einen Indikator,

der eine mögliche Überversorgung thematisiert, nämlich die Häufigkeit von Koronar-

angiographien – d.h. Herzkatheteruntersuchungen – bei Patienten mit chronischer

KHK. (Zur Kontroverse um die Häufigkeit von Koronarangiographien als einem mög-

lichen Überversorgungsphänomen vgl. Köster et al. 2011a: 115f.)

Wir referieren in Tab. 24 zunächst die Häufigkeit von Koronarangiographien bei

KHK-Patienten, bevor wir in Tab. 25 eine Methode der PMV forschungsgruppe wieder-

geben, den Anteil der therapeutisch folgenreichen Koronarangiographien zu bestim-

men und somit einen Indikator für den „Grad der Indiziertheit“ von Koronarangiogra-

phien zu bilden.

Tab. 24: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

63

Wie aus Tab. 24 hervorgeht, liegt im Jahr 2007 der Anteil der KHK-Patienten mit Koro-

narangiographie im Kinzigtal (9,7%) etwa gleichauf mit dem entsprechenden Anteil in

der Kontrollgruppe (9,9%). Betrachtet man die Anteile im zeitlichen Verlauf, so kann

man feststellen, dass der Anteil im Kinzigtal von 2004 bis 2006 deutlicher als in der

Kontrollgruppe gestiegen, dann aber – von 2006 auf 2007 – deutlich zurückgegangen

ist.

Bei allen diesen Ergebnissen ist nicht auszumachen, ob die Entscheidung zur

Koronarangiographie leitlinienkonform gestellt wurde; damit ist auch nicht zu be-

urteilen, ob im Kinzigtal eine eventuelle Überversorgung (die sich bis 2006 aufgebaut

hatte) im Jahr 2007 wieder abgebaut wurde. Um hier einer möglichen Überversorgung

besser auf die Spur zu kommen, hat die PMV forschungsgruppe eine weitere Kenn-

ziffer gebildet, nämlich die Anzahl der Interventionen oder kardiochirurgischen Maß-

nahmen (PCTA, Anlage eines Stents, Desobliteration, Operationen an Koronararterien,

Bypass-Chirurgie) in Relation zur Anzahl der Koronarangiographien. Sollte sich hier

zeigen, dass der weit überwiegende Teil der Koronarangiographien therapeutisch fol-

genlos bleibt, erschiene eine Überversorgung mit dieser invasiven Diagnostik als

wahrscheinlich.15 Die entsprechende Kennziffer ist in Tab. 25 dargestellt.

Tab. 25: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie und Interventionen Wie die Ergebnisse in Tab. 25 zeigen, ist der Anteil der KHK-Patienten mit Inter-

ventionen an allen KHK-Patienten mit Koronarangiographien im Kinzigtal im Zeitraum

2004-07 deutlich gestiegen, und zwar von 41% (2004) auf 68% (2007). Demgegenüber

ist der entsprechende Anteil in der baden-württembergischen Kontrollgruppe relativ

15 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass einige Leitlinien eine Herzkatheteruntersuchung zur Diagnose-abklärung vor Verordnung bestimmter Arzneimittel empfehlen; in solchen Fällen sind nicht zwingend Interventionen zu erwarten.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

64

konstant geblieben (rund 54% im Jahr 2004, 58% im Jahr 2007). Unterstellt man, dass

die Indikation für Interventionen stets leitlinienkonform gestellt wird, so kann man

dieses Ergebnis als ein Indiz dafür interpretieren, dass eine relative Überversorgung im

Kinzigtal im Jahr 2004 bis zum Jahr 2007 zunehmend abgebaut wurde. Dennoch sollte der Wert dieser Kennziffer immer einen deutlichen Abstand zum

Maximalwert haben, denn wenn bei allen oder fast allen KHK-Patienten mit Herz-katheteruntersuchung auch eine Intervention folgen würde, wäre die Indikation für eine Koronarangiographie mit Sicherheit zu eng gestellt.

Die PMV forschungsgruppe hat zur Indikation chronische KHK zwei weitere Kennziffern errechnet, die wir ebenfalls für wichtig halten. Wir wollen die entspre-chenden Ergebnisse im Folgenden kurz skizzieren (ohne Tabellen).

Leitlinien empfehlen bei der Risikostratifizierung und zur genaueren Abklärung einiger medizinischer Sachverhalte die Einbeziehung eines Kardiologen. Dement-sprechend ermittelte die PMV forschungsgruppe den Anteil der Versicherten mit chronischer KHK, die einen Kardiologen aufgesucht haben. Im Jahr 2008 ist dieser Anteil im Kinzigtal signifikant höher als in alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe (35,8% vs. 30,1%). Zudem hat sich der Anteil in den Jahren 2006 bis 2008 im Kinzigtal erhöht (+12%), während er sich in der Vergleichsgruppe etwas verringert hat (-3%). (Für die Jahre 2004-05 fehlten die entsprechenden EBM-Daten, damit Kardiologen in den Routinedaten identifiziert werden konnten.)

Die IVGK beabsichtigt, durch eine bessere ambulante Versorgung die Zahl der Krankenhauseinweisungen möglichst gering zu halten. Dementsprechend errechnete die PMV forschungsgruppe den Anteil der Versicherten mit chronischer KHK, die einen Krankenhausaufenthalt mit der Hauptentlassungsdiagnose „ischämische Herzkrank-heit“ (ICD 10: I20-I25) hatten. Dieser Anteil konnte in beiden Teilpopulationen im Zeitraum 2004-08 gleichermaßen um 9% reduziert werden. Der Anteil lag im Jahr 2008 im Kinzigtal auf einem etwas geringeren Niveau als in der Vergleichsgruppe (10,5% vs. 11,3%).

4.3.2.2 Osteoporose und Frakturen Unter dem Oberbegriff „Osteoporose“ wurden die beiden ICD-10-Codes M80 („Osteo-

porose mit pathologischer Fraktur“) und M81 („Osteoporose ohne pathologische Frak-

tur“) zusammengefasst. Als epidemiologisch sicher wurden diejenigen Patienten defi-

niert, die mindestens eine der folgenden drei Bedingungen erfüllten:

(a) stationärer Aufenthalt mit entsprechender Diagnose (M80 oder M81) als Haupt-

entlassungsdiagnose;

(b) eine entsprechende Diagnose in mindestens einem Quartal und zusätzlich

mindestens eine Verordnung eines Arzneimittels, das typischerweise zur Be-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

65

handlung von Osteoporose eingesetzt wird16, verordnet durch den die Diagnose

stellenden Arzt;

(c) eine entsprechende Diagnose in mindestens zwei Quartalen.

Tab. 26 weist die Prävalenz einer epidemiologisch sicheren Osteoporose-Diagnose bei

den AOK-Versicherten aus.

Tab. 26: Anteil der AOK-Versicherten mit Osteoporose nach Beobachtungsjahr

Laut Tab. 26 ist die Osteoporose-Prävalenz im Kinzigtal im gesamten Zeitraum etwas

höher als in der baden-württembergischen Vergleichsgruppe. Nach den vorliegenden

Zahlen ist die Prävalenz im Zeitraum 2004-08 im Kinzigtal mit einem Anstieg von 15%

sogar etwas stärker gestiegen als in der Vergleichsgruppe mit 10%. Bei der Interpre-

tation dieser Daten ist jedoch Vorsicht geboten, denn eine höhere Osteoporose-

Prävalenz kann durchaus auch durch einen höheren Grad an Aufmerksamkeit bedingt

sein, die sich evtl. aus dem Ziel einer frühzeitigen Entdeckung erklärt.

Besonders deutlich wird in Tab. 26 wieder das Phänomen der „umgekehrten Ri-

sikoselektion“ in der IVGK: Unter den IV-Versicherten im Kinzigtal ist die Prävalenz im

Jahr 2008 mit 10,7% besonders hoch. Auch wenn man LP-Patienten und NLP-

Patienten hinsichtlich der Osteoporose-Prävalenz vergleicht, zeigt sich ein signifikant

höherer Anteil an Patienten mit Osteoporose unter den LP-Patienten (2008: 5,9% vs.

4,8% - Köster et al. 2011a: 197).

16 Hierzu wurden die Wirkstoffe mit den folgenden ATC Codes gezählt: A11CC, A12AA, A12AX, G02CE, G03CA, G03CB, G03FA, G03FB, G03XC, M05BA, M05BB (Köster et al. 2010a: 49).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

66

Tab. 27: Anteil der Patienten mit Fraktur unter den bekannten Osteoporosepatienten Tab. 27 zeigt den Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur. Diese Kennziffer be-

trachten wir als einen wichtigen Indikator für die Effektivität der Osteoporose-Prä-

vention und Osteoporose-Behandlung: Je geringer dieser Anteil ist und je stärker sich

der Anteil in einem gegebenen Zeitraum verringert, als desto effektiver kann die

Primär-, Sekundär- und ggf. Tertiärprävention von Osteoporose gelten. (Unterstellt ist

dabei eine ähnliche Verteilung der Schweregrade der Osteoporose in den zu ver-

gleichenden Bevölkerungsgruppen.)

Wie aus Tab. 27 hervorgeht, ist der Anteil der Patienten mit Fraktur an allen

bekannten – bereits anhand der ICD-Codes des Vorjahres identifizierten – Osteopo-

rose-Patienten im Kinzigtal deutlich und signifikant geringer (2008: 22,4%) als in der

Kontrollgruppe (2008: 30,0%). Das Risiko, als bekannter Osteoporose-Patient eine

Fraktur zu erleiden, ist demnach im Kinzigtal signifikant geringer als in der Vergleichs-

stichprobe (OR 0,68; 95% Konfidenzintervall: 0,59-0,78). Ebenfalls beachtlich ist die

zeitliche Entwicklung im Vergleich: Der Anteil der bekannten Osteoporose-Patienten

mit Fraktur bleibt im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08 nahezu konstant (Anstieg um 2%),

in der Kontrollgruppe steigt er recht deutlich an (Anstieg um 11%). Vergleicht man

diese Frakturprävalenz bei LP-Patienten und NLP-Patienten mit bekannter Osteopo-

rose, so erhält man für die LP-Patienten ein etwas verringertes Risiko (2008: OR 0,88);

die Odds Ratio für die LP-Patienten ist jedoch nicht statistisch signifikant verringert.

Das Thema „Versorgung von Patienten mit Osteoporose“ wollen wir mit einem

Qualitätsindikator abschließen, der die Verordnungsprävalenz einer spezifischen The-

rapie bei Patienten mit manifester Osteoporose – hier operationalisiert als „Patienten

mit Osteoporose und Fraktur“ – wiedergibt. Sofern keine Kontraindikationen vorliegen,

empfehlen Leitlinien für Patienten mit manifester Osteoporose eine spezifische Thera-

pie (Verordnung von Biphosphonaten, Strontiumranelat, SERM, Teriparatid oder Para-

thyroidhormon – siehe Köster et al. 2011a: 205).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

67

Tab. 28: Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur, die eine osteoporosespezifische Therapie erhalten Tab. 28 weist für das Kinzigtal einen höheren Anteil an Osteoporose-Patienten mit

Fraktur und spezifischer Therapie aus (2008: 50,0%) als die Kontrollgruppe aus dem

übrigen Baden-Württemberg (2008: 44,1%); diese Differenz ist knapp nicht signifikant

(2008 OR: 1,25; 95% Konfidenzintervall: 0,99-1,56). Unter den IV-Versicherten ist der

entsprechende Anteil noch deutlich höher (2008: 66,3%). Vergleicht man LP-Patienten

und NLP-Patienten, zeigt sich ein (nicht signifikant) höherer Anteil mit spezifischer

Therapie bei den LP-Patienten (55,7% vs. 45,9%).

4.3.2.3 Kennziffern und Qualitätsindikatoren zu anderen Indikationen – ein Überblick Im Folgenden fassen wir die unseres Erachtens wichtigsten Kennziffern und Qualitäts-

indikatoren zu den übrigen Indikationen zusammen. Dabei referieren wir nur die Er-

gebnisse zu den AOK-Versicherten; bei den LKK-Versicherten ergeben sich im Hin-

blick auf indikationsspezifische Indikatoren meist zu geringe Fallzahlen für eine sinn-

volle Interpretation.

Patienten mit Herzinsuffizienz: Der Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit einer

leitliniengemäßen Medikation (Behandlung mit ACE-Hemmern, AT1-Antagonisten

und/oder Betablockern) erhöhte sich im Zeitraum 2004-08 in beiden Populationen

annähernd gleichermaßen stark, nämlich um 13% im Kinzigtal und um 11% in der Ver-

gleichsgruppe. Der Anteil liegt im Jahr 2008 in beiden Populationen auf gleicher Höhe,

nämlich bei rund 80%. Der Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit leitliniengemäßer

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

68

Medikation ist unter den IV-Versicherten im Kinzigtal mit 84,7% (nicht alters- und

geschlechtsstandardisiert!) höher als unter den Nicht-IV-Versicherten. Vergleicht man

LP-Patienten und NLP-Patienten, so zeigt sich für 2008 ein etwas – aber nicht sta-

tistisch signifikant – höherer Anteil unter den LP-Patienten (81,8% vs. 79,2%).

Leitlinien verweisen auf die Notwendigkeit einer kardiologischen Diagnose-

sicherung und einer jährlichen Untersuchung der linksventrikulären Pumpfunktion.

Nimmt man dies als Maßstab, so zeigt sich eine Unterversorgung im Hinblick auf den

Anteil der Herzinsuffizienzpatienten mit dieser kardiologischen Abklärung, denn nur

rund ein Viertel bzw. ein Fünftel aller Herzinsuffizienz-Patienten (Kinzigtal: 24,2%;

Vergleichsgruppe BW: 19,2%) weist einen jährlichen Kontakt mit einem Kardiologen

auf. Bei den Kinzigtaler Herzinsuffizienz-Patienten hat sich der Anteil im Zeitraum

2004-08 stark erhöht (+41%), in der Vergleichsgruppe hingegen ist er leicht gesunken

(-3%). Daher hat im Jahr 2008 ein Herzinsuffizienz-Patient im Kinzigtal eine signifikant

höhere Chance auf einen Kardiologenkontakt als ein Herzinsuffizient aus dem übrigen

Baden-Württemberg (OR 1,34; 95% Konfidenzintervall: 1,15-1,56). Im Kinzigtal ist es

also im Zeitraum 2004-08 gelungen, die Unterversorgung zu verringern; im übrigen

Baden-Württemberg ist das nicht der Fall. Zwischen LP-Patienten (24,9%) und NLP-

Patienten (23,3%) innerhalb des Kinzigtals besteht 2008 nur ein geringer Unterschied.

Die Kennziffer Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten, die mindestens einen Kran-

kenhausaufenthalt mit einer Hauptentlassungsdiagnose „Ischämische Herzkrankheit“

(ICD 10: I20-I25) hatten, signalisiert, inwiefern es durch eine gute ambulante Routine-

versorgung von Herzinsuffizienz-Patienten gelungen ist, Komplikationen und Kranken-

hausaufenthalte gering zu halten bzw. zu verringern. Im Jahr 2008 war dieser Anteil

im Kinzigtal geringer (2,6%) als in der alters- und geschlechtsstandardisierten Ver-

gleichsgruppe (3,8%). Allerdings stieg der Anteil im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08

etwas stärker an (+8%) als in der Vergleichsgruppe (+3%).

Patienten mit Diabetes mellitus: Im Zeitraum 2004-08 stieg im Kinzigtal der Anteil

der Diabetiker mit KHK und/oder Fettstoffwechselstörungen, die Statine verordnet

bekamen, um 52%, nämlich von 31,7% im Jahr 2004 auf 48,3% im Jahr 2008. Dies ist

als deutlicher Rückgang einer Unterversorgung zu werten. Auch in der alters- und ge-

schlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe stieg der entsprechende Anteil von 36,2%

(2004) auf 49,6% (2007). Mit 37% fiel der Anstieg in der Vergleichsgruppe geringer

aus als im Kinzigtal. Die Anteile in den beiden Populationen liegen damit im Jahr 2008

auf annähernd gleichem Niveau.

Noch deutliches Optimierungspotential besteht für die Diabetiker beider Popula-

tionen im Hinblick auf Augenhintergrunduntersuchungen, die laut einschlägiger Leitli-

nien bei Diabetikern einmal pro Jahr erfolgen sollten. Im Kinzigtal fand eine jährliche

Augenhintergrunduntersuchung im Jahr 2008 nur bei gut der Hälfte aller Diabetiker

(51,2%) statt, in der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe bei

57,1%. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (OR 0,78; 95% Konfidenzintervall

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

69

0,72-0,84). Der Anteil der Diabetiker mit Augenarztkontakt hat sich im Kinzigtal im

Zeitraum 2004-08 stärker erhöht (+9%) als in der Vergleichsgruppe (+3%). Von den

IV-versicherten Diabetikern erhielten 2008 immerhin 63,8% eine Augenhintergrund-

untersuchung (nicht alters- und geschlechtsstandardisiert!). Vergleicht man LP-Pa-

tienten und NLP-Patienten innerhalb des Kinzigtals, so zeigt sich ein signifikant höhe-

rer Anteil für die LP-Patienten (56,3% vs. 47,5% – diese Prozentzahlen sind alters-,

geschlechts- und komorbiditätsadjustiert!). Das bedeutet: Der Anteil der Diabetiker mit

jährlichem Augenarztkontakt entspricht unter den LP-Patienten in etwa dem baden-

württembergischen Durchschnitt. An diesem Ergebnismuster ändert sich nichts

Entscheidendes, wenn man als Kennziffer die Augenarztkontaktprävalenz für einen

Zweijahreszeitraum berechnet (Köster et al. 2011a: 181).

Im Kinzigtal zeigte sich im Zeitraum 2004-08 ein leichter Anstieg des Anteils der

Diabetiker, die wegen ihres Diabetes stationär behandelt wurden: Der Anteil erhöhte

sich von 3,7% im Jahr 2004 auf 4,1% im Jahr 2008 (Anstieg um 11%). Demgegenüber

verringerte sich der entsprechende, d.h. alters- und geschlechtsstandardisierte Anteil

in der Vergleichsgruppe um 20%, nämlich von 4,0% (2004) auf 3,2% (2008). Dies ist

als Hinweis auf eine erhöhte Rate an Entgleisungen oder Komplikationen der Erkran-

kung im Kinzigtal zu werten (absolute und komparative Verschlechterung im Kinzigtal).

Hier wird man gut im Auge behalten müssen, ob sich ein solches Ergebnis in den

kommenden Jahren fortsetzt oder ob wir es im Kinzigtal mit einem „Ausreißerjahr“ zu

tun haben, wie man aufgrund der bisherigen Zeitreihe vermuten könnte (vgl. Köster et

al. 2011a: 175). Vergleicht man LP-Patienten und NLP-Patienten im Kinzigtal, dann

zeigt sich ein merklich – wenn auch nicht signifikant – geringerer Anteil für die LP-

Patienten (3,3% vs. 4,8%). Unter den von Leistungspartnern der IVGK betreuten

Diabetes-Patienten gab es also eine deutlich geringere Rate (OR 0,71) an Patienten,

die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Patienten mit affektiven Störungen: Psychische Erkrankungen zählen zu den häu-

figsten Ursachen einer Arbeitsunfähigkeit. Ein wichtiges Ziel einer besseren Betreuung

von Patienten mit psychischen Erkrankungen ist die Verringerung der Tage mit

Arbeitsunfähigkeit. Bei Patienten mit affektiven Störungen, von denen die Patienten

mit unipolarer Depression den weitaus größten Anteil ausmachen, wurde daher der

Anteil derjenigen Patienten berechnet, bei denen pro Jahr mehr als 20 AU-Tage

dokumentiert waren. Unabhängig von der konkreten AU-Diagnose verringerte sich der

Anteil der Patienten mit affektiven Störungen, die mehr als 20 AU-Tage pro Jahr

aufwiesen, im Kinzigtal von 38,4% (2004) auf 37,3% (2008). In der baden-württem-

bergischen Vergleichsgruppe ging der entsprechende Anteil stärker zurück, nämlich

von 40,2% (2004) auf 36,2% (2008). Die Anteile im Jahr 2008 unterscheiden sich nicht

signifikant voneinander. Zählt man hingegen nur diejenigen AU-Tage, die wegen

affektiver Störungen (als AU-Diagnose) entstanden, so belief sich der entsprechende

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

70

Anteil im Kinzigtal auf 13,2% sowohl 2004 als auch 2008. In der Vergleichsgruppe

lagen die entsprechenden Anteile bei 9,8% (2004) bzw. 10,5% (2008).

Eine wichtige Kennziffer zur Beurteilung der ambulanten Versorgung von Patien-

ten mit affektiven Störungen ist der Anteil der Patienten mit affektiven Störungen, die

in einem Jahr einen Krankenhausaufenthalt wegen affektiver Störungen hatten. Im

aktuellsten Beobachtungsjahr 2008 war dieser Anteil im Kinzigtal merklich und

signifikant höher als im übrigen Baden-Württemberg (3,9% vs. 2,9%). Immerhin hat

sich der Anteil im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08 um 5% verringert (von 4,1% auf

3,9%), während er in der Vergleichsgruppe konstant geblieben ist.

Ein anderer, im letzten EKIV-Jahresbericht noch referierter Indikator wurde von

der PMV forschungsgruppe im aktuellen Zwischenbericht nicht mehr berechnet. Es

handelt sich um einen Indikator zur Kontinuität der (medikamentösen) Antidepressiva-

Therapie. Hier entschied sich die PMV forschungsgruppe nach ausführlichen Diskus-

sionen und Überlegungen zum Verzicht auf diesen Indikator, da die Komplexität ak-

tueller Leitlinienempfehlungen in Kombination mit verschiedenen Unwägbarkeiten der

betreffenden Routinedaten die Konstruktvalidität des Indikators zu stark beeinträch-

tigten (Köster et al. 2011a: 159).

Patienten mit Demenz: Zur Beschreibung der Versorgung von Patienten mit De-

menzerkrankungen wurden mehrere Kennziffern gebildet. Davon können drei als

Qualitätsindikatoren herangezogen werden. Zwei von diesen dokumentieren eine

spezifische Fehl- bzw. Überversorgung: Nicht empfohlen wird in evidenzbasierten

Leitlinien eine Nootropika-Behandlung bei Patienten mit Alzheimer-Demenz; dasselbe

gilt für eine Behandlung mit Antidementiva bei Patienten mit vaskulärer Demenz. Der

dritte Qualitätsindikator operationalisiert die einschlägige Empfehlung, im Fall einer

Therapie mit spezifischen Antidementiva auch eine Verlaufskontrolle der Therapie zu

dokumentieren.

Im Zeitraum 2004-08 verringerte sich der Anteil von Patienten mit Alzheimer-

demenz, die Nootropika verordnet bekamen, in beiden Populationen deutlich. Im Kin-

zigtal war der Rückgang stärker als in der Vergleichsgruppe (-46% vs. -34%). Im Jahr

2008 liegt der Anteil im Kinzigtal bei 2,1% im Vergleich zu 2,3% im übrigen Baden-

Württemberg. Die Differenz im Jahr 2008 ist nicht signifikant.

Hingegen konnte das Niveau einer zweiten Art von Fehlversorgung bei der

Behandlung von Patienten mit vaskulärer Demenz in beiden Populationen nicht redu-

ziert werden: Der Anteil der Patienten mit vaskulärer Demenz, die nicht empfohlene

Antidementiva erhielten, stieg im Zeitraum 2004-08 in beiden Populationen geringfügig

an; dabei war der Anstieg im Kinzigtal etwas geringer (+2%) als in der Vergleichs-

gruppe (+6%). Im Jahr 2008 lag der Anteil im Kinzigtal (knapp nicht signifikant) höher

als im übrigen Baden-Württemberg (20,7% vs. 13,9%).

Der Anteil von mit Antidementiva behandelten Demenzpatienten, bei denen eine

Verlaufsbeobachtung stattfand, verringerte sich in beiden Populationen im Zeitraum

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

71

2004-08 annähernd gleichmäßig (Kinzigtal: -12%; Vergleichsgruppe: -14%). 2008 lag

der Anteil im Kinzigtal um ein Zehntel höher als in der Vergleichsgruppe (24,4% vs.

22,0%).

Demenzpatienten mit längerfristiger Psycholeptika-Verordnung (mehr als 180

definierte Tagesdosen) pro Jahr stellen in jedem Fall eine Risikopopulation dar, und

zwar unabhängig von der Frage, ob eine Psycholeptika-Behandlung therapeutisch

indiziert ist. Der entsprechende Anteil an allen Demenzpatienten ist im Kinzigtal mit

7,3% (2008) deutlich und signifikant geringer als in der alters- und geschlechtsstan-

dardisierten Vergleichsgruppe mit 11,2% (2008); der alters-, geschlechts- und

komorbiditätsadjustierte OR-Wert für die Patienten im Kinzigtal beträgt 0,63 (95%

Konfidenzintervall 0,45-0,86). Beim Vergleich der LP- und NLP-Patienten innerhalb

des Kinzigtals zeigt sich ein – nicht signifikant – geringerer Anteil bei den LP-Patienten

(alters-, geschlechts- und komorbiditätsadjustierte OR für LP-Patienten: 0,74).

Als weitere Risiko-Kennziffer wurde der Anteil der Demenzpatienten mit Hinweis

auf eine Fraktur ausgewiesen. Dieser Anteil lag im Kinzigtal wie auch in der Ver-

gleichsgruppe im Jahr 2008 bei rund 15%.

Patienten mit Rückenschmerzen: Im Hinblick auf die Behandlung von Rücken-

schmerzen stellte der Sachverständigenrat vor einigen Jahren eine generelle Über-

versorgung mit bildgebender Diagnostik fest (Sachverständigenrat 2001, S. 12).

Dementsprechend wurden zwei Indikatoren berechnet, die eine potentielle Überver-

sorgung anzeigen. Ein erster Indikator operationalisiert den Anteil von Rücken-

schmerz-Patienten, die eine CT oder MRT als bildgebendes Verfahren verordnet

bekamen, ein zweiter Indikator thematisiert den Anteil der Patienten, der ein anderes

bildgebendes Verfahren als CT oder MRT erhalten hat.

Der Anteil der Rückenschmerzpatienten mit mindestens einem CT oder MRT pro

Jahr war 2008 im Kinzigtal deutlich und signifikant geringer als im übrigen Baden-

Württemberg (7,6% vs. 10,2%). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Anteil im

Zeitraum 2004-08 im Kinzigtal etwas gestiegen ist (+7%), während er in der Ver-

gleichsgruppe gefallen ist (-6%).

Der Anteil der Rückenschmerz-Patienten mit einem anderen bildgebenden

Verfahren als CT oder MRT war 2008 im Kinzigtal und im restlichen Baden-Württem-

berg auf gleicher Höhe (33,2% vs. 33,3%). Der Anteil verringerte sich im Zeitraum

2004-08 im Kinzigtal geringfügig stärker als in der Vergleichsgruppe (-9% im Kinzigtal;

-7% in der Vergleichsgruppe).

Anders als in der Vergleichsgruppe ist der Anteil der Rückenschmerz-Patienten,

die pro Jahr mehr als 14 AU-Tage wegen Rückenschmerzen aufweisen, im Kinzigtal

angestiegen, nämlich von 10,0% im Jahr 2004 auf 14,1% im Jahr 2008. In der

Vergleichsgruppe ist der Anteil konstant geblieben. Dies ist eine Entwicklung, die das

IVGK-Management im Auge behalten sollte.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

72

Ebenfalls im Auge behalten werden sollte der Anteil der Rückenschmerz-

Patienten mit einer Wirbelsäulen-OP, also einem schwerwiegenden, kostspieligen und

risikoreichen invasiven Eingriff. Dieser Patientenanteil kann als eine Risikopopulation

gelten, die so gering wie möglich sein sollte. Im Jahr 2008 lag der Anteil im Kinzigtal

höher als in der Vergleichsgruppe (3,5 Promille vs. 3,0 Promille), und auch der Anstieg

im Zeitraum 2004-08 verlief bei den Patienten im Kinzigtal deutlich steiler als in der

Vergleichsgruppe (+289% vs. 76%).

4.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick

In Abschnitt 4.4.1 erörtern wir zunächst, welche vorläufigen Folgerungen aus den

bisherigen Ergebnissen im ÜUF-Projekt gezogen werden können – und zwar ins-

besondere vor dem Hintergrund der leitenden Forschungshypothesen (vgl. Abschnitt

4.1.2). Anschließend geben wir in Abschnitt 4.4.2 einen Ausblick auf den weiteren

Fortgang der ÜUF-Studie.

4.4.1 Diskussion der bisherigen Ergebnisse

Die von uns ausgewählten Zwischenergebnisse zu globalen, d.h. indikationenübergrei-

fenden Prävalenzen, Inanspruchnahme-Kennziffern und Qualitätsindikatoren brachten

bereits Aufschluss über wichtige Aspekte der Versorgung im Kinzigtal im Vergleich

zum übrigen Baden-Württemberg.

Bei vielen der hier dargestellten globalen Kennziffern und Qualitätsindikatoren

konnten wir positive Ergebnisse für die Versorgung im Kinzigtal feststellen: So waren

nicht nur längerfristige Benzodiazepin-Verordnungen bei den Versicherten im Kinzigtal

signifikant seltener als in der Vergleichsgruppe; auch andere problematische Arznei-

mittel-Verordnungen, die in den QiSA-Indikatoren Nr. 11 und 12 (häufige Verordnun-

gen von Anxiolytika, Sedativa und Hypnotika sowie von NSAR) abgebildet werden,

waren im Kinzigtal signifikant seltener zu finden.

Auffallend ist auch die im gesamten Zeitraum 2004-08 höhere Generikaquote

im Kinzigtal; dabei erreicht die Generikaquote bei den Verordnungen der IVGK-

Versicherten sehr hohe Werte (Generikaquote der IV-Versicherten der AOK im

Kinzigtal: 89,5%; Generikaquote der IV-Versicherten der LKK im Kinzigtal: 89,4%).

Darüber hinaus ist es im Kinzigtal auch gelungen, den Anteil der AOK-Versicherten mit

Pflegestufe I-III (nach SGB XI) im Zeitraum 2004-08 konstant zu halten; angesichts des

Anstiegs im übrigen Baden-Württemberg scheint uns das ein beachtliches Ergebnis.

Auch die bisherigen Auswertungen zu den indikationsbezogenen Kennziffern und

Qualitätsindikatoren zeigen unseres Erachtens, dass die Versorgung im Kinzigtal und

in der IVGK auf gutem Weg ist, ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Unsere Zusam-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

73

menfassung der indikationsspezifischen Indikatoren zeigte zum einen, dass sich die

meisten Indikatoren im Kinzigtal (in absoluten Werten) verbesserten. Zum anderen

waren aber auch die für das Kinzigtal zu verzeichnenden komparativen Verbesse-

rungen – d.h. Verbesserungen gemessen an der Entwicklung der Vergleichsgruppe –

häufiger als komparative Verschlechterungen. In den nächsten Berichten wird sich

zeigen, ob die bislang feststellbaren positiven Trends sich verstetigen und ggf. ver-

stärken und damit nachhaltig über säkuläre Entwicklungstrends hinausgehen.

Wir wollen an dieser Stelle versuchen, die oben referierten Zwischenergebnisse

des ÜUF-Projekts im Hinblick auf die Qualitätsindikatoren und wichtigen – da im Sinne

der IVGK-Ziele erfolgsrelevanten – Kennziffern quantifizierend zu bilanzieren. Diese

Bilanz kann nur einen vorläufigen Charakter haben, da sie zum einen auf einer noch

unvollständigen Zeitreihe beruht – es fehlen noch die Beobachtungsjahre 2009-11 –

und da sie zum anderen auch inhaltlich noch einen Entwurfscharakter hat, d.h. in den

nächsten Monaten noch Gegenstand weiterer Erörterungen sein wird.

In den folgenden drei Tabellen haben wir jeweils in der ersten Spalte die unseres

Erachtens aussagekräftigsten Kennziffern und Qualitätsindikatoren aufgeführt (Tab.

29a, 29b, 29c). Jeweils in der zweiten, dritten und vierten Spalte haben wir versucht,

die bisherigen Ergebnisse des betreffenden Indikators aus der Perspektive der IVGK

zu kategorisieren, d.h. zu bewerten, ob das Ergebnis den Zielen der IVGK entspricht

oder eher nicht entspricht.17 Dies soll etwas ausführlicher erläutert werden:

Zunächst haben wir in der zweiten Spalte bewertet, ob das aktuelle Niveau der

betreffenden Kennziffer den Zielen der IVGK entspricht, konkreter formuliert: ob die

betreffende Kennziffer im aktuellsten Beobachtungsjahr (hier: 2008) einen „besseren“

oder einen als „schlechter“ zu bewertenden Wert aufweist als die Vergleichsgruppe.

Beispiele: Die längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen zu Lasten der GKV liegt

im Jahr 2008 im Kinzigtal auf einem niedrigeren Niveau als in der Vergleichsgruppe.

Dieses Ergebnis ist aus der Perspektive der IVGK positiv zu bewerten (Tab. 29a, Zeile

2, Spalte 2). Der Anteil der Versicherten mit Notfallschein ist 2008 im Kinzigtal auf

einem höheren Niveau als in der Vergleichsgruppe. Dieses Ergebnis ist aus der

Perspektive der IVGK als negativ zu kategorisieren (Tab. 29a, Zeile 5, Spalte 2). Wenn

die Indikatorwerte im aktuellsten Beobachtungsjahr 2008 signifikant verschieden

waren, haben wir die kategorisierenden Bewertungen in Spalte 2 zusätzlich fettge-

druckt und mit einem Sternchen (*) versehen (so z.B. in Tab. 29a, Zeile 2, Spalte 2).

Für die Gesamtbewertung der IVGK wichtig ist jedoch nicht nur das Niveau einer

Kennziffer im aktuellsten Beobachtungsjahr im Populationsvergleich. Ebenso wichtig

ist, wie sich eine Kennziffer im Zeitraum 2004-08 – also ab dem Basisjahr 2004 bis

zum aktuellsten Beobachtungsjahr – entwickelt hat. Die komparative Veränderung

einer Kennziffer im bisher betrachteten Zeitraum 2004-08 haben wir – aus der Per-

17 Da die Aussagekraft der Ergebnisse bei den AOK-Versicherten aufgrund der höheren Fallzahlen wesentlich höher ist als bei den LKK-Versicherten, beschränken wir diesen Versuch einer quantifi-zierenden Zwischenbilanz auf die Ergebnisse bei den AOK-Versicherten.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

74

spektive der IVGK – in der dritten Spalte bewertet. Beispiele: Der Anteil der Ver-

sicherten mit Pflegestufe I-III (nach SGB XI) hat sich im Zeitraum 2004-08 im Kinzigtal

um 5% verringert, während er sich im übrigen Baden-Württemberg um 5% erhöht hat.

Dieses Ergebnis ist aus Sicht der IVGK positiv zu bewerten (Tab. 29a, Zeile 6, Spalte

3). Hingegen ist z.B. die Veränderung des Anteils der Herzinsuffizienzpatienten, die

einen stationären Aufenthalt mit einer Hauptentlassungsdiagnose „ischämische Herz-

krankheit“ hatten, als negativ zu kategorisieren (Tab. 29b, Zeile 8, Spalte 3), denn im

Zeitraum 2004-08 ist dieser Anteil im Kinzigtal um 8% gestiegen, in der Vergleichs-

gruppe aber nur um 3%. Aus Sicht der IVGK als neutral zu kategorisieren ist z.B. die

komparative Veränderung des Anteils der Versicherten mit längerfristiger Benzodia-

zepin-Verordnung (Tab. 29a, Zeile 2, Spalte 3): Dieser Anteil ging im Kinzigtal um 4%

zurück, in der Vergleichsgruppe um 2%; diese Differenz der Veränderungsraten (zwei

Prozentpunkte) stuften wir als nicht bewertungsrelevant ein, d.h. wir kategorisierten sie

als „neutrales Ergebnis“.

Schließlich haben wir in der vierten Spalte bei jeder Kennziffer bzw. jedem Indi-

kator eine Gesamtbewertung vorgenommen. Positiv (aus Sicht der IVGK) fiel diese

Gesamtbewertung in den folgenden beiden Fällen aus:

(a) Der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist aus Sicht der IVGK als vergleichs-

weise positiv zu bewerten und die komparative Veränderung der Kennziffer im

Zeitraum 2004-08 ist nicht als negativ zu bewerten.

(b) Die komparative Veränderung der Kennziffer im Zeitraum 2004-08 ist aus

Sicht der IVGK als positiv zu bewerten und der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist

nicht als vergleichsweise negativ zu bewerten.

Negativ fiel unsere Gesamtbewertung (aus Sicht der IVGK) in den folgenden

beiden Fällen aus:

(c) Der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist aus Sicht der IVGK als vergleichs-

weise negativ zu bewerten und die komparative Veränderung der Kennziffer im Zeit-

raum 2004-08 ist nicht als positiv zu bewerten.

(d) Die komparative Veränderung der Kennziffer im Zeitraum 2004-08 ist aus

Sicht der IVGK als negativ zu bewerten und der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist

nicht als vergleichsweise positiv zu bewerten.

Neutral fiel unsere Gesamtbewertung in folgendem Fall aus:

(e) Sowohl der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 als auch die komparative

Veränderung der Kennziffer im Zeitraum 2004-08 ist aus Sicht der IVGK als neutral zu

bewerten.

Noch eine wichtige Bemerkung zu unserem Bewertungsalgorithmus: Wir berück-

sichtigen bei unserer Kategorisierung der Ergebnisse zunächst keine inferenzstatisti-

schen Aspekte, d.h. wir fragen nicht nach der Signifikanz einer (per Querschnittsbe-

trachtung ermittelten) Differenz. Das hat folgenden Grund: Wir sehen es für die Ge-

samtbewertung eines Ergebnisses (bzw. einer Kennziffer) nicht nur als wesentlich an,

dass (i) der Wert der betreffenden Kennziffer im aktuellsten Beobachtungsjahr im

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

75

Kinzigtal als „besser“ oder „schlechter“ oder „neutral“ zu beurteilen ist, sondern

genauso wesentlich erscheint uns (ii) die komparative Veränderung einer Kennziffer

relativ zum Basisjahr. Da wir zur Beurteilung des zuletzt genannten Aspekts (ii) über

keine inferenzstatistischen Ergebnisse verfügen, haben wir bei unserer Gesamtbewer-

tung (Spalte 4 in den Tabellen 29a bis 29c) die von der PMV forschungsgruppe durch-

geführten inferenzstatistischen Ergebnisse zu Aspekt (i) zunächst nur als nachrangigen

Aspekt behandelt. In einer Sensitivitätsanalyse haben wir jedoch diese inferenzstatisti-

schen Ergebnisse in unserem Bewertungsalgorithmus berücksichtigt und anhand eines

entsprechend modifizierten Bewertungsschemas geprüft, wie sich dies auf das Ge-

samtergebnis auswirkt (siehe unten).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

76

Tab. 29a: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Refe-renzgruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil A Kennziffer / Qualitätsindikator Bewertung

Niveau

2008 im

Vergleich

Bewertung

komparative

Veränderung

2004-2008

Gesamt-

bewertung

bisheriges

Ergebnis

Anteil der Versicherten mit längerfristiger Benzodia-

zepin-Verordnung (>20 DDD / Jahr) [F] +* . +

Anteil der Versicherten mit >30 DDD an Anxiolytika,

Sedativa, Hypnotika in mindestens einem Quartal an

allen Empfängern dieser Wirkstoffe [F]

+* + +

Anteil der Versicherten mit >75 DDD an NSAR in

mindestens einem Quartal des Jahres an allen Emp-

fängern dieser Wirkstoffe [F]

+* . +

Anteil der Versicherten mit Praxiskontakt und Not-

fallschein [Kz-min] – + .

Anteil der Versicherten mit Pflegestufe I-III (SGB XI)

[K-min] + + +

Anteil der KHK-Patienten mit Verordnung von

Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) [U] . + +

Anteil der KHK-Patienten mit Verordnung von Beta-

blockern [U] +* . +

Anteil der KHK-Patienten mit Verordnung von

Statinen [U] – + .

Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie,

davon mit Interventionen [Ü umgekehrt] +* + +

Erläuterungen zu den Tabellen 29a-c:

Ü = Indikator einer potentiellen Überversorgung

U = Indikator einer potentiellen Unterversorgung

F = Indikator einer potentiellen Fehlversorgung

K-min = Kennziffer, die im Interesse einer wirksamen Prävention oder allgemeiner Effizienz-erwägungen möglichst minimiert werden sollte

+ = im Sinne der Ziele der IVGK positiv zu bewertendes Ergebnis

+* = im Sinne der Ziele der IVGK positiv zu bewertendes Ergebnis; Differenz zur Vergleichs-gruppe im Jahr 2008 ist zudem statistisch signifikant

– = im Sinne der Ziele der IVGK negativ zu bewertendes Ergebnis

–* = im Sinne der Ziele der IVGK negativ zu bewertendes Ergebnis; Differenz zur Vergleichs-gruppe im Jahr 2008 ist zudem statistisch signifikant

. = im Sinne der Ziele der IVGK neutral zu bewertendes Ergebnis

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

77

Tab. 29b: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil B Kennziffer / Qualitätsindikator Bewertung

Niveau 2008

im Vergleich

Bewertung

komparative

Veränderung

2004-2008

Gesamt-

bewertung

bisheriges

Ergebnis

Anteil der Patienten mit chronischer KHK, die

einen Kardiologen aufsuchten [U] +* + +

Anteil der Versicherten mit chronischer KHK, die

mindestens einen Krankenhausaufenthalt mit

Entlassungsdiagnose „ischämische Herzkrank-

heit“ hatten [K-min]

. . .

Anteil der Patienten mit Fraktur unter den be-

kannten Osteoporose-Patienten [K-min] +* + +

Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur, die

eine osteoporosespezifische Therapie erhalten

[U]

+ + +

Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit einer

leitliniengemäßen Medikation [U]

. . .

Anteil der Herzinsuffizienzpatienten mit jährli-

chem Kardiologenkontakt [U]

+* + +

Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit minde-

stens einem Krankenhausaufenthalt mit Haupt-

entlassungsdiagnose „Ischämische Herzkrank-

heit“ (ICD 10: I20-I25) [K-min]

+ – .

Anteil der Diabetiker mit KHK und/oder Fett-

stoffwechselstörungen, die Statine verordnet be-

kamen [U]

– + .

Anteil der Diabetiker mit jährlichem Augenarzt-

kontakt [U]

–* + .

Anteil der Diabetiker, die wegen Diabetes statio-

när behandelt wurden [K-min]

–* – –

Anteil der Versicherten mit affektiven Störungen,

bei denen >14 AU-Tage pro Jahr dokumentiert

waren [K-min]

– – –

Anteil der Versicherten mit affektiven Störungen,

bei denen >14 AU-Tage pro Jahr mit AU-Diag-

nose „affektive Störungen“ dokumentiert waren

[K-min]

–* + .

Anteil der Patienten mit affektiven Störungen, die

einen Krankenhausaufenthalt wegen affektiver

Störungen hatten [K-min]

–* + .

Legende: Siehe Legende zu Tabelle 29a, S. 76.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

78

Tab. 29c: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Refe-renzgruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil C Kennziffer / Qualitätsindikator Bewertung

Niveau

2008 im

Vergleich

Bewertung

komparative

Veränderung

2004-2008

Gesamt-

bewertung

bisheriges

Ergebnis

Anteil von Patienten mit Alzheimerdemenz, die

Nootropika verordnet bekamen [Ü/F]

. + +

Anteil der Patienten mit vaskulärer Demenz, die

nicht empfohlene Antidementiva erhielten [Ü/F)

– + .

Anteil von mit Antidementiva behandelten Demenz-

patienten, bei denen eine Verlaufsbeobachtung

stattfand [U]

+ . +

Demenzpatienten mit längerfristiger Psycholeptika-

Verordnung (>180 DDD) pro Jahr [K-min]

+* + +

Anteil der Demenzpatienten mit Hinweis auf eine

Fraktur [K-min]

. . .

Anteil der Rückenschmerzpatienten mit minde-

stens einem CT oder MRT pro Jahr [Ü/F]

+* – .

Anteil der Rückenschmerz-Patienten mit einem

anderen bildgebenden Verfahren als CT oder MRT

pro Jahr [Ü/F]

. . .

Anteil der Rückenschmerz-Patienten, die pro Jahr

mehr als 14 AU-Tage wegen Rückenschmerzen

hatten [K-min]

–* – –

Anteil der Versicherten mit Operation an der Wir-

belsäule [K-min]

– – –

Legende: Siehe Legende zu Tab. 29a, S. 76.

Akzeptiert man unseren Bewertungsalgorithmus für eine bilanzierende Gesamtbewer-

tung des Vergleichs Kinzigtal vs. Vergleichsgruppe (übriges Baden-Württemberg),

dann können die in den Tabellen 29a bis 29c wiedergegebenen Ergebnisse in einer

einfachen Formel zusammengefasst werden, indem man positive, neutrale und nega-

tive Gesamtergebnisse auszählt. Dieses Verhältnis beträgt in unserem Fall 14:13:4.

Das bedeutet: 14 positiven Ergebnissen stehen 13 neutrale und 4 negative Ergebnisse

gegenüber. Akzeptiert man unseren Bewertungsalgorithmus, dann kann man dieses

Ergebnis unseres Erachtens als einen klaren – wenn auch vorläufigen – Hinweis

interpretieren, dass die IVGK bislang auf gutem Weg ist, ihre Ziele zu erreichen.

An dieser Stelle wollen wir im Sinne einer Sensitivitätsanalyse skizzieren, wie

sich das Gesamtergebnis (14:13:4) verändert, wenn wir einen alternativen – leicht

veränderten – Bewertungsalgorithmus als Grundlage heranziehen. Eine einigermaßen

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

79

plausible Veränderung unseres bisherigen Bewertungsschemas könnte darin beste-

hen, dass man ein positives oder negatives Gesamtergebnis bei einer gegebenen

Kennziffer nur dann (als positives bzw. negatives Gesamtergebnis) gelten lässt, wenn

die Indikatorwerte des aktuellsten Beobachtungsjahres – hier: 2008 – sich in den bei-

den Teilpopulationen signifikant (!) unterscheiden. Diese Bedingung wäre gleichbe-

deutend mit einer inferenzstatistischen Absicherung des Unterschieds der Indikator-

werte im aktuellsten Beobachtungsjahr. Auf Basis dieses modifizierten Bewertungs-

algorithmus käme man schließlich auf 8 positive, 21 neutrale und 2 negative Ge-

samtergebnisse bei den 31 Qualitätsindikatoren und Kennziffern. Aus den oben ge-

nannten Gründen halten wir diesen alternativen Bewertungsalgorithmus wegen der

darin implizierten Übergewichtung einer rein querschnittlichen Betrachtung (im aktu-

ellsten Beobachtungsjahr) inhaltlich für weniger angemessen als unser zuerst ausge-

führtes Bewertungsschema. Gleichwohl wird deutlich, dass auch das Ergebnis auf

Basis des alternativen Bewertungsalgorithmus (8:21:2) eine ähnliche Schlussfolgerung

wie oben zulässt: Die aus Sicht der IVGK positiven Resultate überwiegen die negativen

Resultate bei weitem.

Generell ist angesichts der Zwischenergebnisse des ÜUF-Projekts zu bedenken,

dass der bisher betrachtete Zeitraum erst fünf Jahre beträgt, wobei die ersten Inter-

ventionen des IVGK-Managements erst im letzten Quartal des Jahres 2005 einsetzten.

Schon allein deshalb sollten die bisher erkennbaren Trends noch mit Vorsicht

interpretiert werden. Es bedarf eines längeren Beobachtungszeitraums, damit man von

nachhaltigen Trends sprechen kann.

Dieser Vorbehalt gilt besonders im Hinblick auf die Forschungsfrage, ob die

Morbidität im Kinzigtal – im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg – im Verlauf

des IV-Projekts reduziert werden kann und die Gesundheit der Versicherten im Kin-

zigtal und in der IVGK sich günstiger entwickelt als im übrigen Baden-Württemberg.

Zwar lässt sich bislang erkennen, dass in dem bisher betrachteten Zeitraum 2004-08

die administrativen Prävalenzen der meisten untersuchten Ziel-Indikationen sowie die

Multimorbiditätsprävalenz im Kinzigtal langsamer anstiegen (bzw. deutlicher zurück-

gingen) als im übrigen Baden-Württemberg – was ein erfolgreiches Zwischenergebnis

im Sinne der von der IVGK verfolgten Ziele zu sein scheint. Jedoch sollte man sich

stets drei methodische Vorbehalte vor Augen führen, bevor man Schlüsse im Hinblick

auf die genannte Forschungsfrage zieht:

Zum ersten sind es bisher – wie bereits erwähnt – lediglich vier Beobachtungs-

jahre, in denen sich ein solcher Trend zeigt. Das ist sicher ein noch zu kurzer Zeitraum,

damit ein Trend verlässlich bestimmbar ist. So ist beispielsweise bei einigen Indika-

tionen zu sehen, dass es vor allem vom Jahr 2004 zum Jahr 2005 überdurchschnittlich

deutliche Zäsuren bei den ermittelten Prävalenzen gibt; dabei kann nicht ausgeschlos-

sen werden, dass diese auch auf besondere Kodier-Effekte im Jahr 2004 zurückzu-

führen sind. Analog hierzu ist nicht auszuschließen, dass z.B. in den GKV-Routine-

daten des Jahres 2009 – dem ersten Jahr des morbiditätsortientierten Risikostruktur-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

80

ausgleichs – sich Kodier-Effekte zeigen werden, die unsere heutigen vorläufigen

Schlussfolgerungen als relativierungsbedürftig erscheinen lassen könnten.

Zum zweiten sind die auf Basis von GKV-Routinedaten ermittelten Prävalenzen

stets administrative Prävalenzen; das bedeutet, dass diese nur die im Versorgungs-

system gleichsam „aktenkundig werdende“ Krankheitslast widerspiegeln. Bei manchen

Indikationen ist jedoch bekannt, dass die entsprechenden Krankheiten – wie z.B. De-

pressionen – häufig nicht erkannt, somit „unterdiagnostiziert“ und folglich unterbe-

handelt sind, weswegen die administrativen Prävalenzen die realen Prävalenzen unzu-

reichend widerspiegeln. Wird dann in einer bestimmten Region (wie etwa dem

Kinzigtal) ein darauf bezogenes Interventionsprogramm implementiert – z.B. mit der

Absicht, Depressionen besser zu diagnostizieren, um sie möglichst frühzeitig behan-

deln zu können –, dann ist es denkbar, dass die administrative Prävalenz zunächst ein-

mal ansteigt, obwohl Diagnostik und Behandlung effektiver werden.

Zum dritten sind Prävalenz-Kennziffern (und ihre Veränderung im Zeitverlauf)

grundsätzlich weniger aussagekräftig als es z.B. Inzidenz-Ziffern sind, die die Häufig-

keit neu auftretender Erkrankungen in einem bestimmten Zeitraum und in einer defi-

nierten Population messen. Inzidenzen und Inzidenzunterschiede zwischen Interven-

tionsregion und Vergleichsregion können jedoch zum jetzigen Zeitpunkt im ÜUF-Pro-

jekt für viele interessierende Krankheitsbilder (z.B. neu auftretende Herzinfarkte oder

Re-Infarkte; bestimmte Folgeerkrankungen bei Diabetikern, etc.) noch nicht verlässlich

bestimmt werden. Hierfür ist es nötig, deutlich längere Zeiträume zu berücksichtigen,

damit mehr neu auftretende Fälle als bisher beobachtet werden können.

4.4.2 Ausblick auf den Fortgang des ÜUF-Projekts

Das zentrale Thema des ÜUF-Projekts ist die Veränderung der Versorgungsqualität

aller AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal im Vergleich zur herkömmlichen Versor-

gung außerhalb des Kinzigtals. Der aktuelle Zwischenbericht der PMV forschungsgrup-

pe (mit 2008 als aktuellstem Beobachtungsjahr) enthielt im Vergleich zu den früheren

Berichten eine zusätzliche vergleichende Komponente: Der Vergleich von (A) Patien-

ten im Kinzigtal, die von IVGK-Leistungspartnern (hausärztlich, kinderärztlich oder gy-

näkologisch) betreut werden, mit (B) Patienten im Kinzigtal, die von anderen Ärzten

(hausärztlich, kinderärztlich oder gynäkologisch) betreut werden. Für diese Art von

Vergleichen liegen bislang nur drei Beobachtungsjahre (2006-08) vor, so dass uns eine

systematische Bewertung der Ergebnisse dieser Vergleiche zum jetzigen Zeitpunkt

noch verfrüht erscheint. Im nächsten Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe, der

zusätzlich Daten der Jahre 2009 und 2010 umfassen wird, werden dann die Ergeb-

nisse solcher Vergleiche umfassender und daher angemessener zu bewerten sein.

Mit einem grundsätzlichen Problem hinsichtlich der Spezifität und Validität der

GKV-Routinedaten wird das ÜUF-Projekt zukünftig umzugehen haben: dem Problem

der zunehmenden Relevanz von Abrechnungspauschalen und Komplexziffern im Ver-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

81

sorgungsalltag von Ärzten. Dies wird vor allem im Zuge zunehmender Einschreibe-

zahlen von AOK-Versicherten in die baden-württembergische Hausarzt-zentrierte

Versorgung (HzV) an Bedeutung gewinnen: Die ab 2009 zunehmende Relevanz von

Komplexziffern und Pauschalen könnte es mit sich bringen, dass einzelne EBM-Ziffern,

die in Zähler oder Nenner von Qualitätsindikatoren eingehen, im Rahmen neuartiger

Verträge (wie z.B. dem HzV) nicht mehr einzeln abgerechnet werden. Falls also ein

relevanter Teil der baden-württembergischen Vergleichsgruppe in den HzV einge-

schrieben wäre, würden für die Behandlung dieser HzV-Versicherten unter bestimmten

Umständen keine einzelnen EBM-Ziffern mehr abgerechnet, welche Teil eines Quali-

tätsindikators sind. Dies könnte in den Regionen zu einer Unterschätzung der Lei-

stungserbringung und der Verzerrung der Versorgungsqualität führen, in denen über-

proportional viele AOK-Versicherte in die HzV eingeschrieben sind. Für das Kinzigtal

mit seiner (mutmaßlich) unterdurchschnittlichen HzV-Einschreibequote würde eine

analoge Verzerrung der Versorgungsqualität resultieren. In jedem Fall wird der betref-

fende Indikator entwertet. Dafür hat das GK-Evaluationsteam aber bereits Vorkeh-

rungen getroffen, denn im Frühjahr 2010 wurde Folgendes beschlossen: Die PMV for-

schungsgruppe erhält für alle Daten ab dem Jahr 2009 jeweils aktuelle Informationen

darüber, (a) welche einzelnen EBM-Ziffern in neuartigen Komplex-Ziffern „aufgehen“

und (b) welche Versicherten(pseudonyme) aus dem ÜUF-Projekt sich in Versor-

gungsverträge (wie z.B. den HzV) eingeschrieben haben, in denen derartige Komplex-

Ziffern abgerechnet werden. Damit wäre es der PMV forschungsgruppe möglich, bei

künftigen Auswertungen Vorkehrungen gegen mögliche Verzerrungen zu treffen.

Unserer Ansicht nach hat es sich bislang bewährt, die Versorgung im Kinzigtal

auf Basis von GKV-Routinedaten vergleichend evaluieren zu lassen. Ungeachtet der

bekannten methodischen Limitationen (vgl. Abschnitt 4.1.2) hat das ÜUF-Projekt be-

reits zum jetzigen Zeitpunkt wertvolle Erkenntnisse geliefert, die trotz des unver-

meidlichen Zeitverzugs zwischen der Entstehung der Leistungen und der Leistungs-

daten einerseits und dem Zeitpunkt der Datenlieferung und des darauf Bezug nehmen-

den Berichts andererseits auch für das Qualitäts-Monitoring der IVGK von Bedeutung

sind: Die Komponente des inner-baden-württembergischen Vergleichs ist ja nicht nur

für die Evaluation der IVGK von entscheidender Bedeutung, sondern bietet auch dem

IVGK-Management viele wertvolle Anhaltspunkte dafür, „wo das Kinzigtal im Vergleich

zu anderen steht“.

Unseres Erachtens ist es momentan nur auf der Basis von GKV-Routinedaten

mit einem vertretbaren Aufwand möglich, verschiedene Versorgungsregionen sekto-

ren- und leistungserbringerübergreifend über einen langen Beobachtungszeitraum zu

vergleichen. Das bedeutet natürlich nicht, dass bei der IVGK-Evaluation zukünftig nicht

auch noch die (pseudonymisierten) Daten der Leistungspartner berücksichtigt werden

sollten, denn viele AQUIK- und QiSA-Indikatoren setzen gerade auf solchen Daten auf.

Im Moment jedoch ist die Analyse von GKV-Routinedaten der kosteneffektivste Weg

zur Realisierung eines Vergleichs von Versorgungssystemen.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

82

5 Das COPE-Teilprojekt 2: Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt)

Das COPE-Projekt (Coaching und Prozessevaluation aus Sicht der Leistungserbringer)

wurde am 22.10.2007 ausgeschrieben. Es bestand bis Anfang 2010 aus zwei Teilpro-

jekten, nämlich (1) aus dem Teilprojekt 1 „Coaching der Funktionsträger der Integrier-

ten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)“ und (2) aus dem Teilprojekt 2, der „Pro-

zessevaluation aus Sicht der Leistungserbringer“. Durchführung und Auswertung von

Teilprojekt 1 oblagen nicht primär der Evaluations-Koordinierungsstelle. Teilprojekt 1

wurde Anfang 2010 vorerst beendet; Einzelheiten zum Verlauf von Teilprojekt 1 finden

sich im EKIV-Evaluationsbericht des letzten Jahres.

Mit der Durchführung von Teilprojekt 2, der Prozessevaluation aus Sicht der GK-

Leistungspartner, wurde Dr. Matthias Nübling beauftragt. Dr. Nübling leitet die „Ge-

sellschaft für empirische Beratung“ in Denzlingen; Ärztebefragungen und andere Pri-

märdatenerhebungen bei Beschäftigten im Gesundheitswesen gehören zu seinem

Spezialgebiet.18 Das Teilprojekt 2, die Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungs-

partner (abgekürzt: PeGL), wurde als zunächst dreimalige Befragung der GK-Lei-

stungspartner über insgesamt drei Jahre hinweg (2008 – 2010) durchgeführt. Die Er-

gebnisse dieser drei Befragungen sind Gegenstand des EKIV-Evaluationsberichts

2011. Ab 2012 soll die Befragung der GK-Leistungspartner alle zwei Jahre durchge-

führt werden.

5.1 Funktion und Forschungsfragen des PeGL-Projekts

Die Evaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner hat im Wesentlichen drei Aufgaben.

Sie soll

- den IVGK-Entscheidungsträgern Hinweise geben, wie das IV-Projekt verbessert

werden kann,

- beschreiben und analysieren, wie die GK-Leistungspartner die Prozess-, aber

auch die Struktur- und Ergebnisqualität des IV-Projekts bewerten und

- beschreiben und analysieren, wie sich diese Bewertung im Zeitverlauf verän-

dert.

Zusammengefasst könnte man sagen: Das PeGL-Projekt soll dem IVGK-Management

ein standardisiertes Feedback der GK-Leistungspartner geben. Für die ersten beiden

Befragungen in den Jahren 2008 und 2009 wurde für alle befragten IVGK-Leistungs-

partner ein einheitlicher Fragebogen verwendet. Die Fragen konzentrierten sich dabei

auf die folgenden Bereiche:

- Motive der Ärzte und anderer Leistungserbringer, der IVGK beizutreten19,

18 Siehe hierzu http://www.empirische-beratung.de/. 19 Fragen zu diesem Thema wurden bei der Zweitbefragung (2009) weggelassen.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

83

- eventuelle Bedenken gegen die IVGK (nur T1-Befragung 2008)20,

- Bewertung der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH in Haslach,

- Bewertung der beiden Krankenkassen AOK Baden-Württemberg (AOK BW)

und LKK Baden-Württemberg (LKK BW),

- Bewertung des Ärztlichen Beirats und des Ärztenetzes MQNK,

- Kenntnis der GK-Krankheitsmanagement- bzw. -Präventionsprogramme,

- Häufigkeit der Vermittlung von Patienten in jene Programme,

- Einschätzung der Beliebtheit der Programme bzw. der Nachfrage seitens der

Patienten,

- Bewertung der Programme,

- Bewertung des bisherigen Verlaufs der IVGK,

- Gesamtzufriedenheit mit der IVGK,

- Erwartungen und Wünsche für die Zukunft sowie

- Vorschläge und Anmerkungen zu verschiedenen anderen Fragen.

Bei der Drittbefragung (T3-Erhebung) wurden erstmals zwei verschiedene Fragebo-

genversionen verwendet, und zwar eine Version für die niedergelassenen ärztlichen

und psychotherapeutischen Leistungspartner, die für die Patienten als „Ärzte des

Vertrauens“ fungieren können (Version A), und eine Version B für die sonstigen Lei-

stungspartner (Klinikärzte, Pflegeheime, Pflegedienste, Physiotherapeuten). Mit dieser

Differenzierung in zwei verschiedene Fragebogenvarianten sollten die unterschiedli-

chen Positionen und Problemstellungen der verschiedenen Leistungspartnergruppen

spezifischer erfasst werden. Die etwas kürzere Version B für die „sonstigen Leistungs-

partner“ umfasste Fragen zu folgenden Themen:

- Motivation zum Eintritt in die IVGK,

- Bewertung eventueller Bedenken gegen eine Kooperation mit der IVGK,

- Bewertung der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal (GK) GmbH in Haslach,

- Bewertung der beiden Krankenkassen AOK Baden-Württemberg (AOK BW)

und LKK Baden-Württemberg (LKK BW) sowie Bewertung des Ärztlichen Bei-

rats/des Ärztenetzes MQNK,

- Kenntnis der GK-Krankheitsmanagement- bzw. GK-Präventionsprogramme,

- Bewertung der Programme,

- Bewertung des bisherigen Verlaufs der IVGK,

- Gesamtzufriedenheit,

- Erwartungen und Wünsche für die Zukunft sowie

- Vorschläge und Anmerkungen zu verschiedenen anderen Fragen.

In Version A, also dem Fragebogen für die niedergelassenen ärztlichen und psycho-

therapeutischen Leistungspartner, fehlten die ersten beiden Fragen (Motivation zum

Eintritt in die IVGK und Bewertung eventueller Bedenken gegen eine Kooperation mit

der IVGK), da die überwiegende Mehrheit der niedergelassenen Ärzte und Psychothe-

rapeuten diese beiden Fragen bereits bei der Erstbefragung im Jahr 2008 beantwortet

20 Fragen zu diesem Thema wurden bei der Zweitbefragung (2009) weggelassen.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

84

hatte. Im Vergleich zur Version B enthielt Version A aber einige zusätzliche Fragen, die

auf die Tätigkeit von Ärzten des Vertrauens zugeschnitten waren. Dazu gehörten

Fragen zu folgenden Themen:

- Häufigkeit der Vermittlung der Patienten in jene Programme,

- Einschätzung der Beliebtheit der Programme bzw. der Nachfrage seitens der

Patienten,

- praktische Probleme und Funktionalität von Zielvereinbarungen mit Patienten,

- Probleme und Funktionalität der Partizipativen Entscheidungsfindung mit Pa-

tienten.

Fragen zu den beiden letztgenannten Fragen wurden in der Drittbefragung zum ersten

Mal überhaupt gestellt.

5.2 Methoden und Studienpopulation des PeGL-Projekts Bei der Befragung der GK-Leistungspartner wird stets ein teilstandardisierter Frage-

bogen eingesetzt. Die Versionen, die bei der Erst- bzw. der Zweitbefragung eingesetzt

wurden, enthalten insgesamt 94 (bzw. 9021) Fragen zu den oben genannten Themen.

Die Relevanz der thematischen Bereiche und einzelner Fragen wurde vor der ersten

Befragung mittels eines ausführlichen Fokusgruppengesprächs mit Vertretern der GK-

Leistungspartner festgelegt (Nübling 2008: 7). Die Version A des bei der Drittbefragung

eingesetzten Fragebogens enthält insgesamt 105 Fragen, die Version B hingegen 91

Fragen.

Das PeGL-Projekt folgt prinzipiell dem Design einer Kohorten- bzw. Trend-

Studie: Beginnend mit dem Jahr 2008 werden die GK-Leistungspartner in zunächst

drei aufeinander folgenden Jahren befragt. Da in den Jahren der Zweit- und Dritt-

befragung, also 2009 und 2010, stets weitere neue Leistungspartner hinzukamen,

erweiterte sich jeweils der Kreis der Befragten in diesen Jahren. Die Befragung fand

stets im Mai/Juni eines Jahres statt.

21 Wie oben erwähnt, wurden bei der Zweitbefragung Fragen zur Eintrittsmotivation und zu den möglichen Motiven, nicht einzutreten, vorerst nicht mehr gestellt. Dafür wurden in der Zweitbefragung zusätzliche Fragen zu neu implementierten Gesundheitsprogrammen gestellt, die zur Zeit der T1-Befragung noch nicht existierten.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

85

5.3 Ausgewählte Ergebnisse der Befragungen aus den Jahren 2008, 2009 und 201022

5.3.1 Rücklauf der drei Befragungen

Im Mai 2008, zum Zeitpunkt der ersten Befragung (T1-Befragung), gehörten der IVGK

insgesamt 50 Leistungserbringer an, an die der Fragebogen ausgegeben wurde. Von

diesen 50 Fragebögen wurden 35 an das evaluierende Institut zurückgeschickt; dies

entspricht einem guten Rücklauf von 70%. Unter den 35 Respondern befanden sich 15

Hausärzte, 16 Fachärzte und drei sonstige Leistungspartner.

Im Mai/Juni 2009 wurde der T2-Fragebogen an 59 Leistungserbringer verteilt;

34 Fragebögen wurden an das auswertende Institut zurückgeschickt. Dies entspricht

einem Rücklauf von 58% – der Rücklauf der Zweitbefragung war also geringer als bei

der Erstbefragung. Unter den 34 Respondern der T2-Erhebung waren 17 Hausärzte,

12 Fachärzte, 3 Vertreter von Kliniken und 2 Physiotherapeuten.

Im Juni 2010 erhielten insgesamt 85 Leistungspartner einen Fragebogen; 51

Fragebögen wurden ausgefüllt zurückgeschickt (Rücklauf: 60%). Seit der Zweitbefra-

gung im Jahr 2009 hatten sich also viele neue Leistungspartner der IVGK ange-

schlossen, darunter überproportional viele sonstige Leistungspartner.

Der zunehmende Anteil der sonstigen Leistungspartner im Zeitverlauf ist klar

erkennbar, wenn man die Zusammensetzung der Responder nach Berufsgruppen bei

der Erstbefragung mit ihrer Zusammensetzung bei der Drittbefragung vergleicht: Fielen

bei der Erstbefragung 2008 lediglich 3 Responder (9 %) in die Gruppe der „sonstigen

Leistungspartner“, so waren es bei der Drittbefragung 2010 13 Befragte (26 %). Umge-

kehrt formuliert: 2008 waren gut 90 % der Responder niedergelassene Ärzte (oder

Psychotherapeuten), 2010 machten sie einen Anteil von drei Vierteln der Responder

aus. In Abb. 5 sind die Responder der T3-Befragung (2010) nach ihrer Berufszuge-

hörigkeit detailliert aufgeschlüsselt.

22 Die folgenden Ergebnisse sind den drei bisherigen Ergebnisberichten entnommen (vgl. Nübling 2008; Nübling 2009; Nübling 2010).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

86

Hausarzt (inkl.Psychoth.)Facharzt

Klinik

Physiotherap.

Pflegeheim/-dienstsonstiges

N=21 (41%)

N=17 (33%)

N=3 (6%)

N=4 (8%)

N=5 (10%)

N=1 (2%)

Abb. 5: Beteiligung an der Drittbefragung der GK-Leistungspartner: Anzahl (und Anteil der Responder in %) nach Berufsgruppe (nach Nübling 2010: 11) 5.3.2 Motive der Befragten, der IVGK als Leistungspartner beizutreten, und eventuelle Bedenken gegen die IVGK Die Motive, der IVGK als Leistungspartner beizutreten, sowie eventuelle Bedenken ge-

gen die IVGK wurden in der T1-Befragung im Jahr 2008 erfragt. Bei dieser ersten Be-

fragung konnten die Motive der sonstigen Leistungspartner nur unzureichend erhoben

werden, da sie sich der IVGK großenteils erst später anschlossen. Deshalb wurden die

Fragen nach Eintrittsmotiven und Bedenken gegen einen Beitritt den sonstigen Lei-

stungspartnern bei der Drittbefragung erneut gestellt – nunmehr in der separaten Fra-

gebogen-Version B (vgl. oben, Abschnitt 5.1).

Die Beitrittsmotive der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten lassen

sich Abb. 6 entnehmen. Die zugrunde liegende Frage lautete: „Was waren Ihre Motive

für den Eintritt bei ‚Gesundes Kinzigtal?’“ Bei der Antwort mussten die einzelnen Motive

nach ihrer Bedeutung gewichtet werden.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

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7670 73

5644

32

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Abb. 6: Motive der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008 (Punktwerte: 100 „sehr wichtiger Grund/-Hauptgrund“; 67 „wichtiger Grund“; 33 „weniger wichtig“; 0 „gar nicht wichtig“)

Bei den Befragten an erster Stelle steht das Motiv „etwas Neues ausprobieren, neue

Wege gehen“ und damit gleichsam eine „Vorreiterrolle“ einzunehmen (durchschnittlich

76 Punkte), an zweiter Stelle folgt die „Hoffnung auf Vernetzung und Informations-

austausch mit anderen Praxen/Leistungserbringern“ (durchschnittlich 73 Punkte). Das

im Durchschnitt drittwichtigste Motiv, der IVGK beizutreten, besteht in der „Hoffnung

auf Verbesserung der Patientenversorgung durch Integrierte Versorgung“ (durch-

schnittlich 70 Punkte). Weitere wichtige Gründe, der IVGK beizutreten, sind die „Hoff-

nung auf Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem (ohne Abstriche bei Patienten-

versorgung)“ (62 Punkte), die Handlungsmaxime „raus aus dem Einzelkämpferdasein“

(57 Punkte), die „Hoffnung auf finanzielle Vorteile für meine Praxis/Institution“ (56

Punkte) sowie die „Unzufriedenheit mit dem bestehenden System/Frustration“ (55

Punkte). Weniger wichtig waren hingegen die Motive „Hoffnung auf Unterstützung bei

EDV“ (44 Punkte) und „Hoffnung auf Verbesserung der Versorgungsqualität in meiner

Praxis“ (43 Punkte). Noch weniger wichtig erschien der Mehrheit der Befragten das

Motiv „Hoffnung auf Verbesserung der Patientenbindung an meine Praxis durch

Einschreibungen“ (32 Punkte). Bemerkenswert ist, dass unter den drei wichtigsten

Gründen, der IVGK beizutreten, kein klassisches eigennütziges Motiv zu finden ist. Die

angegebenen wichtigsten Motive lassen sich vielmehr als „kommunitäre“, d.h. Gemein-

sinn ausdrückende Motive kategorisieren (so z.B. „bessere Vernetzung/Informations-

austausch mit anderen Praxen“, „Hoffnung auf Verbesserung der Patientenversorgung

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

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zelk

ämpf

erda

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erun

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Ver

sorg

ungs

qual

ität

durch IV“ oder auch „raus aus dem Einzelkämpferdasein“) oder als „Selbstverwirkli-

chungsmotive“ („etwas Neues ausprobieren“, „Vorreiterrolle einnehmen“). Erst an sech-

ster Stelle folgt ein klassisches eigennütziges Motiv („Hoffnung auf finanzielle Vorteile

für meine Praxis/Institution“).

Die Eintrittsmotive der sonstigen Leistungspartner unterscheiden sich von denen

der niedergelassenen Ärzte in einigen Aspekten, jedoch nicht gravierend (Abb. 7).

Abb. 7: Motive der sonstigen Leistungspartner für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010 (Punktwerte: 100 „sehr wichtiger Grund/Hauptgrund“; 67 „wichtiger Grund“; 33 „weniger wichtig“; 0 „gar nicht wichtig“)

Deutliche Unterschiede lassen sich vor allem hinsichtlich der Motive „Unterstützung bei

EDV“ und „Verbesserung der Patientenbindung“ feststellen: Während die Unterstüt-

zung bei der Implementierung einer netzkompatiblen EDV-Ausrüstung bei den nieder-

gelassenen Ärzten noch relativ wichtig war (durchschnittlich 44 Punkte), ist das bei den

sonstigen Leistungspartnern kaum der Fall (20 Punkte). Die Verbesserung der Patien-

tenbindung ist hingegen für die sonstigen Leistungspartner ein recht wichtiges Motiv,

der IVGK beizutreten (durchschnittlich 54 Punkte), während das bei den niedergelasse-

nen Ärzten eindeutig – und auch statistisch signifikant (p < 0.05) – weniger der Fall ist

(32 Punkte). Hingegen sind Motive, welche die Unzufriedenheit mit der Regelver-

sorgung sowie die eigene Vorreiterrolle bei der Schaffung eines neuartigen Versor-

gungssystems ausdrücken, von den niedergelassenen Ärzten in der Regel stärker

gewichtet worden als von den sonstigen Leistungspartnern.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

89

28 2923 19

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Für interessant halten wir auch die Antworten auf die Frage, welche Bedenken die

Befragten gegen das Projekt „Gesundes Kinzigtal“ vor bzw. bei ihrem Eintritt hatten.

Die Frage lautete wörtlich: „Nichtmitglieder äußern zum Teil Bedenken gegen das

Projekt ‚Gesundes Kinzigtal’. Inwiefern hatten auch Sie folgende Bedenken vor bzw.

beim Eintritt?“ Die Ergebnisse zu dieser Frage finden sich in Abb. 8.

Abb. 8: Bedenken der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten gegen „Ge-sundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008 (Punktwerte: 100 „starke Bedenken“; 50 „einige Bedenken“; 0 „keine Bedenken“) Zur Kategorie „starke Bedenken“ rechnen die niedergelassenen Ärzte und Psychothe-

rapeuten im Durchschnitt keine der hier aufgeführten Bedenken. Das ist keine Sensa-

tion, denn die Befragten hatten sich zum Zeitpunkt der Befragung bereits für den

Beitritt zur IVGK entschieden, so dass es nur „menschlich“ (und insofern „natürlich“) ist,

dass sie eine affirmative Haltung zu ihrer Entscheidung einnehmen und den Beitritt

auch im Nachhinein nicht in Frage stellen, indem sie z.B. viele „starke Bedenken“

hegen. Für interessanter halten wir, dass die beiden mit Abstand stärksten Bedenken,

nämlich „die Teilnahme wird mir viel Zusatzarbeit einbringen“ (62 Punkte) und „die

Teilnahme wird mich viel Zeit kosten“ (59 Punkte), keine ideologisch oder standes-

politisch motivierten Bedenken sind, sondern vielmehr pragmatisch-praktische Beden-

ken. Deutlich schwächer sind hingegen die Bedenken, dass sich eine Teilnahme finan-

ziell nicht lohnen werde (35 Punkte). Alle übrigen hier aufgeführten potentiellen Beden-

ken wiegen noch weniger schwer und finden sich gleichsam in der Grauzone zwischen

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

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35

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2331

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den Kategorien „einige Bedenken“ und „keine Bedenken“ – angefangen bei eher inte-

ressenpolitischen Bedenken („die Ärzte lassen sich vor einen fremden Karren spannen

und es entsteht eine neue KV“ – 29 Punkte) bis hin zur Befürchtung, beim Projekt

„Gesundes Kinzigtal“ ginge es „nur um finanzielle Vorteile für die Ärzteschaft“ (19

Punkte).

Im Hinblick auf die Wertigkeit der Bedenken gegen einen Beitritt zur IVGK unter-

scheiden sich die sonstigen Leistungspartner nur in Nuancen von den niederge-

lassenen Ärzten (Abb. 9). Abb. 9: Bedenken der sonstigen Leistungspartner gegen „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010 (Punktwerte: 100 „starke Bedenken“; 50 „einige Bedenken“; 0 „keine Bedenken“)

So ist die Befürchtung, bei „Gesundes Kinzigtal“ gehe es „nur um finanzielle Vorteile für

die Ärzteschaft“, bei den sonstigen Leistungspartnern im Durchschnitt etwas ausge-

prägter (31 Punkte) als bei den niedergelassenen Ärzten (19 Punkte). Auf der anderen

Seite befürchten die sonstigen Leistungspartner im Durchschnitt etwas weniger die

niedergelassenen Ärzte, dass die Teilnahme an der IVGK „viel Zeit kosten“ wird oder

„viel Zusatzarbeit einbringt“ (42 und 46 Punkte im Vergleich zu 59 und 62 Punkten).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

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MQNK/ärztl.Beirat AOK/LKK GK-Geschäftsstelle

2008

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5.3.3 Bewertung der die IVGK tragenden Institutionen Wie bei der Erst- und Zweitbefragung (2008, 2009) beurteilten alle befragten Lei-

stungspartner auch bei der Drittbefragung 2010 jene drei Institutionen, denen eine be-

sondere Bedeutung für die Steuerung der IVGK zukommt: 1) das Ärztenetz MQNK

bzw. den Ärztlichen Beirat, der die Interessen der Leistungserbringer vertritt und der an

allen Entscheidungen in der IVGK über medizinisch-therapeutische Belange beteiligt

ist, 2) die Krankenkassen AOK Baden-Württemberg und LKK Baden-Württemberg und

3) die Geschäftsstelle der IV-Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH.

Abb. 10 lässt erkennen, dass keine der drei Organisationen bzw. Institutionen im

Durchschnitt als „weniger gut“ oder gar als „schlecht“ beurteilt wird. Die beiden Kran-

kenkassen AOK Baden-Württemberg (AOK BW) und LKK Baden-Württemberg (LKK

BW) liegen bei allen drei Befragungszeitpunkten stabil im Bereich zwischen 50 und 60

Punkten, also im noch guten bis befriedigenden Bereich. Zusehends verbessert hat

sich die Bewertung des MQNK bzw. des Ärztlichen Beirats, die von im Durchschnitt 55

Punkten (2008) über 57 Punkte (2009) auf 62 Punkte (2010) gestiegen ist. Weiterhin

herausragend ist die Bewertung der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH –

diese findet sich in allen drei Befragungen im Wertebereich zwischen „gut“ und „sehr

gut“ (81 Punkte im Jahr 2008, 76 Punkte im Jahr 2010). Abb. 10: Beurteilung des Ärztenetzes MQNK/des Ärztlichen Beirats, der AOK BW und der LKK BW und der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH bei allen Befrag-ten (Punktwerte: 100 „sehr gut“; 67 „gut“; 33 „weniger gut“, 0 „schlecht“)

Zu beachten ist bei den in Abbildung 10 illustrierten Ergebnissen, dass die Kriterien zur

Beurteilung der drei Institutionen verschieden sind. Deshalb sind die „Noten“ (Punkt-

werte) der drei Organisationen bzw. Institutionen nicht direkt miteinander vergleichbar.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

92

Die Beurteilungskriterien für die GK-Geschäftsstelle waren „Freundlichkeit“, „Kompe-

tenz bei der Beantwortung von Fragen“, „Erreichbarkeit (per Mail/Telefon)“, „Schnellig-

keit bei der Beantwortung von Fragen/bei Hilfe“, „Informationen über GK bzw. Pro-

gramme/Projekte/Sitzungen“, „Verhandlungen bei Rabatt-Verträgen“ sowie eine Ge-

samtbeurteilung der Geschäftsstelle. Die Kriterien zur Bewertung des ärztlichen Beirats

waren hingegen „Vertretung meiner Interessen durch den ärztlichen Beirat (MQNK)“,

„Informationen und Beratung zu GK“ sowie „fachliche Unterstützung“. Für die Bewer-

tung von AOK BW und LKK BW galten folgende Kriterien: „Kooperation mit der

AOK/LKK“, „Informationen und Beratung durch AOK/LKK“ sowie „Unterstützung durch

und Zusammenarbeit mit AOK/LKK“.

In der T3-Befragung (2010) wurde den Leistungspartnern erstmals eine weitere

Frage zur Zusammenarbeit mit AOK BW und LKK BW gestellt: Diese lautete: „Wie

beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit der AOK / LKK im Vergleich zu anderen Kran-

kenkassen?“ Hierbei gab es fünf gültige Antwortmöglichkeiten, nämlich

- „deutlich schlechter“ (dieser Antwort wurden bei der Auswertung 0 Punkte zu-

gewiesen),

- „etwas schlechter“ (25 Punkte),

- „gleich gut“ (50 Punkte),

- „etwas besser“ (75 Punkte) und

- „deutlich besser“ (100 Punkte).

Die durchschnittliche Punktzahl aller gültigen Antworten lag bei 74 Punkten. Das be-

deutet: Die dominierende Antworttendenz der im Jahr 2010 befragten IVGK-Leistungs-

partner wird durch die Antwort „etwas besser“ repräsentiert. Dabei gaben 41 der ins-

gesamt 51 befragten Leistungspartner inhaltlich valide Antworten, die zur Berechnung

des Durchschnittswerts herangezogen werden konnten; 10 Befragte machten keine

Angabe oder kreuzten die Antwort „kann ich nicht beurteilen“ an.

5.3.4 Kenntnis der IVGK-Gesundheitsprogramme, Vermittlung in Program-me und Einschätzung der Beliebtheit der Programme Im Folgenden referieren wir Ergebnisse dazu, (1) wie gut die Leistungspartner die

IVGK-Gesundheitsprogramme kennen, (2) wie häufig sie Patienten in diese Program-

me vermitteln und (3) wie sie die Beliebtheit der Programme bei den Patienten ein-

schätzen. Die Ergebnisse zu diesen drei Aspekten werden in Abb. 11 wiedergegeben.

Die drei Aspekte werden dabei jeweils von Skalen-Mittelwerten widergespiegelt, d.h.

ein gegebener Mittelwert ist selbst bereits die Zusammenfassung mehrerer Einzel-

fragen. Sämtliche in Abb. 11 dargestellten Mittelwerte beziehen sich auf diejenigen

Gesundheitsprogramme, die auch bereits im Jahr 2008 Gegenstand der Befragung

waren.

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2008

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Abb. 11: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme bei allen Befragten (Wertebereich: 0-100; 100 = bestmögliche Bewertung)

Während der Skalenmittelwert hinsichtlich der Kenntnis der Programme (Abb. 11,

linkes Säulentripel) bei der Befragung im Jahr 2008 69 Punkte betrug, belief er sich

2009 auf 87 Punkte und sank dann 2010 wieder leicht auf 77 Punkte. Im Jahr 2009 war

die Kenntnis der IVGK-Gesundheitsprogramme unter allen im jeweiligen Jahr befragten

Leistungspartnern also am größten. Ein ähnliches Ergebnismuster zeigt sich bei der

Vermittlung von Patienten in die Programme: Die Skalenmittelwerte hinsichtlich der

Vermittlung von Patienten in Programme (Abb. 11, mittleres Säulentripel) stiegen zu-

nächst deutlich von 2008 (29 Punkte) auf 2009 (46 Punkte), fielen dann aber im Jahr

2010 wieder etwas ab (36 Punkte). Lediglich bei der Einschätzung der Beliebtheit der

Programme bei den Patienten (aus Sicht der Leistungspartner) blieb der deutliche

Anstieg zwischen 2008 und 2009 auch im Jahr 2010 erhalten, wenn auch in abge-

schwächter Form (Abb. 11, rechtes Säulentripel).

Der Rückgang im Jahr 2010 bei den Skalen „Kenntnis der Programme“ und

„Vermittlung in Programme“ kann allerdings damit zusammenhängen, dass bei der T3-

Befragung im Jahr 2010 zahlreiche neu in die IVGK eingetretene Leistungspartner

erstmals befragt wurden. Der Rückgang bei den Skalenmittelmittelwerten im Jahr 2010

wäre dann nicht gleichbedeutend mit einer allgemein zurückgehenden, d.h. ver-

schlechterten Kenntnis bzw. Vermittlung der Patienten in die Programme, sondern

wäre lediglich eine Folge dessen, dass viele der neu eingetretenen Leistungspartner im

Jahr 2010 noch nicht so vertraut mit den IVGK-Gesundheitsprogrammen waren wie

diejenigen Leistungserbringer, die schon länger mit der IVGK kooperierten. Um zu

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

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2008

2009

2010

prüfen, ob diese Vermutung zutrifft, kann man die gleichen Skalenmittelwerte bei einer

Teilgruppe der Befragten ermitteln, und zwar bei denjenigen Leistungspartnern, die

bisher an allen drei Befragungen (2008, 2009, 2010) teilgenommen haben. Unter den

51 Teilnehmern der T3-Befragung 2010 gab es 20 Befragte, die auch schon 2008 und

2009 dabei waren. Abb. 12 zeigt die Mittelwerte der Skalen „Kenntnis der Programme“,

„Vermittlung in Programme“ und „Einschätzung der Beliebtheit der Programme“ für

diese 20 Befragten.

Abb. 12: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme bei denjenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Wertebereich: 0-100; 100 = best-mögliche Bewertung)

Abb. 12 lässt erkennen, dass der von 2008 auf 2009 stattgefundene Anstieg der Ska-

lenmittelwerte auch im Jahr 2010 erhalten geblieben ist (bzw. sich noch etwas fort-

gesetzt hat). Ein Rückgang der Skalenmittelwerte 2010 unter das in 2009 vorge-

fundene Niveau ist nicht zu erkennen. Das bedeutet: Bei der oben genannten Kohorte

– den schon bis zum Frühjahr 2008 mit der IVGK kooperierenden und seither konti-

nuierlich an der Befragung teilnehmenden Leistungspartnern – ist die (durchschnitt-

liche) Programmkenntnis, die Häufigkeit der Vermittlung von Patienten in Programme

und die eingeschätzte Beliebtheit der Programme in keinem Befragungsjahr unter

einen früher schon einmal erreichten Wert gefallen.

Bei den Skalen „Vermittlung in Programme“ und „Beliebtheit/Nutzung der Pro-

gramme“ ist generell zu berücksichtigen, dass nicht alle Leistungspartner gleicher-

maßen Patienten in Programme einschreiben oder diese vermitteln können, so dass

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

95

ein Anstieg der Skalenwerte auf die jeweiligen Maximalwerte von vornherein wenig

wahrscheinlich ist: So wird z.B. ein Facharzt für Kardiologie selten oder nie Patienten in

das Osteoporose-Präventionsprogramm „Starke Muskeln, feste Knochen“ vermitteln,

und umgekehrt wird ein Facharzt für Orthopädie nur selten – wenn überhaupt –

Patienten in das Programm „Starkes Herz“ vermitteln. Für die befragten Psychothe-

rapeuten, Physiotherapeuten und andere aus der Kategorie „sonstige Leistungser-

bringer“ gilt (mutatis mutandis) das Gleiche. Lediglich bei der Skala „Kenntnis der Pro-

gramme“ besteht eine gute Chance, dass sich der Mittelwert dem Maximalwert 100

annähert oder ihn erreicht.

5.3.5 Bewertung ausgewählter Aspekte des Projektverlaufs und Zufrie-denheit mit der IVGK

In Abb. 13 geben wir ausgewählte Befragungsergebnisse zu verschiedenen Aspekten

des Projektverlaufs wieder. Diese betreffen vor allem die Frage, inwieweit die befragten

Leistungspartner positive Effekte der IVGK für ihre Praxen (bzw. Institutionen) spüren.

Abb. 13: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution (Punkt-werte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“) In den Antworten der Leistungspartner, die in Abb. 13 illustriert sind, deutet sich eine

tendenziell wachsende Zufriedenheit mit dem Verlauf des IV-Projekts an. Der negativ

4441

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bisher wenig positiveEffekte für meinePraxis /Institution

für meine Praxis /Institution haben sich

finanzielle Vorteileergeben

werde an denEntscheidungen

genügend beteiligt

2008

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2010

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

96

formulierten Aussage „Für meine Praxis haben sich bisher wenig positive Effekte er-

geben“ stimmten die Befragten zwar schon 2008 „eher nicht“ zu (44 Punkte), die

Zustimmung ist bei den Folgebefragungen 2009 und 2010 aber weiter gesunken (36

Punkte).

Ähnlich stellt sich das Ergebnis dar, wenn man sich die Zustimmung zu fol-

gender Aussage ansieht (mittleres Säulentripel in Abb. 13): „Für meine Praxis/Institu-

tion haben sich finanzielle Vorteile ergeben“. Hier stieg die Zustimmung von 41 Punk-

ten im Jahr 2008 auf 55 Punkte 2009 und 56 Punkte 2010. Trotz der positiven Ent-

wicklungstendenz in den bisherigen Jahren ist hier in den zukünftigen Befragungen

noch „Spielraum nach oben“.

Eine aus Sicht der IVGK und der beteiligten Leistungspartner positive Entwick-

lung signalisiert auch das in Abb. 13 ganz rechts abgebildete Säulentripel: Die Aus-

sage „ich werde an der Entwicklung und an den Entscheidungen des Netzwerkes ge-

nügend beteiligt“ traf 2010 auf eine im Durchschnitt höhere Zustimmung (75 Punkte)

als 2009 (68 Punkte) und 2008 (63 Punkte). Die Leistungspartner sind also mit ihrer

Beteiligung an den Netz-Entscheidungen im Mittel zufrieden bis sehr zufrieden.

Die positiven Entwicklungstendenzen bei den drei genannten Aspekten erschei-

nen noch etwas stetiger, wenn man nur die Angaben jener 20 Befragten berücksichtigt,

die an allen bisherigen Befragungen (T1, T2, T3) teilgenommen haben. Die Ergebnisse

für diese Teilgruppe sind in Abb. 14 illustriert.

Abb. 14: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution durch diejenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“)

37

56

63

28

69 70

25

73 75

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

bisher wenigpositive Effekte für

meine Praxis/Institution

für meine Praxis /Institution habensich finanzielle

Vorteile ergeben

werde an denEntscheidungen

genügend beteiligt

2008

2009

2010

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

97

Ein wesentliches Ziel integrierter Versorgungssysteme ist ein effektiverer Informations-

austausch und eine intensivere Zusammenarbeit verschiedener Leistungserbringer

über Fachgrenzen und Sektoren hinweg. Auch zu diesem Aspekt wurden allen Lei-

stungspartnern Fragen gestellt. Einige Ergebnisse hierzu finden sich in Abb. 15:

Abb. 15: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht der Lei-stungspartner (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“)

Die beiden Aussagen zu Kooperation bzw. Vernetzung und Informationsaustausch in

Abb. 15 signalisieren eine moderate Tendenz zu einer stärkeren Kooperation der Lei-

stungspartner. Demgegenüber scheint die bis 2009 zunehmende Tendenz eines uner-

wartet hohen Zeitaufwands (Zustimmung zur Aussage „die Teilnahme am Netzwerk

frisst deutlich mehr Zeit als vermutet“) vorerst gestoppt. Diese Tendenzen haben auch

dann Bestand, wenn man nur die Antworten der Leistungspartner berücksichtigt, die an

allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Abb. 16).

50

5962

5460

70

56

6761

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

kooperiere jetztstärker mit anderenLeistungserbringern

(LE) als zuvor

Vernetzung und Info-Austausch mit

anderen LE habensich vorteilhaft

entwickelt

Teilnahme amNetzwerk frisst

deutlich mehr Zeit alsvermutet

2008

2009

2010

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

98

Abb. 16: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht derjenigen Leistungspartner (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilggenommen haben (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“)

Abb. 17 gibt verschiedene Aspekte der Gesamtzufriedenheit mit der IVGK wieder. Be-

reits bei der Befragung im Jahr 2008 ernteten die Aussagen „ich würde wieder Mitglied

in GK werden“ (85 Punkte) und „ich würde anderen die Mitgliedschaft empfehlen“ (83

Punkte) überragende Zustimmungswerte. Bei der Befragung im Jahr 2009 wurden

diese Werte mit 89 bzw. 91 Punkten sogar noch übertroffen (Abb. 26). Bei der Befra-

gung im Jahr 2010 gingen die Werte wieder zurück und befanden sich geringfügig

unter dem Niveau aus dem Jahr 2008 (80 Punkte). Damit sind sie allerdings noch

immer auf einem sehr hohen Niveau.

Eine ähnliche Entwicklung nahm die Zustimmung zur Aussage „das Ziel

‚Einsparungen ohne Abstriche bei der Versorgungsqualität’ kann – soweit ich das

sehen kann – erreicht werden.“ Hier drückte die noch etwas verhaltene Zustimmung im

Jahr 2008 (59 Punkte) noch eine „Rest-Skepsis“ vieler IVGK-Leistungspartner gegen-

über dem Hauptziel des integrierten Versorgungssystems aus. Im Jahr 2009 wich

diese „Rest-Skepsis“ zusehends; zur Zeit der Drittbefragung im Jahr 2010 war sie

wieder etwas stärker vorhanden (64 Punkte), ohne jedoch das Niveau aus dem Jahr

2008 zu erreichen (59 Punkte).

54

6369

56 56

72

61

71 71

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

kooperiere jetztstärker mit anderen

LE als zuvor

Vernetzung und Info-Austausch mit

anderen LE habensich vorteilhaft

entwickelt

Teilnahme amNetzwerk frisst

deutlich mehr Zeit alsvermutet

2008

2009

2010

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

99

Abb. 17: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf (Punktwerte: 100 „sicher ja“; 67 „eher ja“; 33 „eher nein“; 0 „sicher nein“) Die analogen Ergebnisse für diejenigen Leistungspartner, die an allen bisherigen Be-

fragungen teilgenommen haben (Abb. 18), zeigen bei allen genannten Indikatoren der

Gesamtzufriedenheit einen etwas geringeren Rückgang von 2009 auf 2010 als es in

der Gesamtgruppe der Befragten der Fall ist. Zudem ist das Niveau der Zufriedenheits-

indikatoren in dieser Teilgruppe 2010 durchweg etwas höher als in der Gesamtgruppe. Abb. 18: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei den Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Punktwerte: 100 „sicher ja“; 67 „eher ja“; 33 „eher nein“; 0 „sicher nein“)

85 83

59

89 91

71

80 80

64

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

"würde wiederMitglied in GK

werden"

"würde anderen dieMitgliedschaft

empfehlen"

Ziel "Einsparungenohne Abstriche beiVers.qualität" kann

erreicht werden

2008

2009

2010

8783

60

87 90

76

85 85

71

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

"würde wiederMitglied in GK

werden"

"würde anderen dieMitgliedschaft

empfehlen"

Ziel "Einsparungenohne Abstriche beiVers.qualität" kann

erreicht werden

2008

2009

2010

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

100

5.3.6 Unterschiede zwischen Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Lei-stungspartnern zur Zeit der T3-Befragung

In den Berichten zu den drei bisherigen Befragungen der GK-Leistungspartner finden

sich auch detaillierte Darstellungen dazu, wie stark Hausärzte, Fachärzte und sonstige

Leistungspartner sich in ihren Einschätzungen unterscheiden. Wir beleuchten in

diesem Abschnitt ein paar markante Unterschiede, aber auch einige interessante

Gemeinsamkeiten zwischen diesen drei Gruppen. Dabei beschränken wir uns auf die

Daten der T3-Befragung, denn mit der Drittbefragung liegen erstmals auch hinreichend

viele Daten für die „sonstigen Leistungspartner“ vor.

In Abb. 19 finden sich die Einschätzungen von Hausärzten, Fachärzten und

sonstigen Leistungspartnern bezüglich der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw.

Institution. (Die analogen Ergebnisse für die Gesamtgruppe wurden bereits in Abb. 13

illustriert.)

Abb. 19: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern in der T3-Befragung (Punkt-werte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“) Die in Abb. 19 dargestellten Einschätzungen lassen deutliche Unterschiede zwischen

den drei Berufsgruppen erkennen: Am positivsten wird die Entwicklung von den Haus-

ärzten gesehen, dann folgen die Fachärzte und schließlich die sonstigen Leistungs-

partner (vgl. das linke und mittlere Säulentripel in Abb. 19). Im Hinblick auf die Frage,

inwieweit sich die Leistungspartner „an den Entscheidungen genügend beteiligt“ sehen,

sind die Unterschiede zwischen den drei Gruppen jedoch gering. Zu berücksichtigen

24

7780

45 44

67

53

26

73

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

es gibt bisherwenig positive

Effekte für meinePraxis /Institution

für meine Praxis /Institution habensich finanzielle

Vorteile ergeben

werde an denEntscheidungen

genügend beteiligt

Hausärzte

Fachärzte

andere

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

101

ist, dass ein großer Teil der sonstigen Leistungspartner erst kurz vor der T3-Befragung

in die IVGK eingetreten ist; daher können etwaige positive Effekte auf die eigene

Praxis/Institution – z. B. eine erhöhte Patientenbindung – möglicherweise erst später

erfahren werden. Dennoch kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass

die IVGK bei allen Leistungspartnergruppen im Lauf der Zeit zu gleichermaßen positi-

ven Effekten führt. Dies scheint auch der Vergleich zwischen Haus- und Fachärzten zu

zeigen (Abb. 19).

In Abb. 20 sind die Einschätzungen der drei Gruppen zur Entwicklung von Ko-

operation, Vernetzung und Informationsaustausch in der IVGK dargestellt.

Abb. 20: Entwicklung von Kooperation und Informationsaustausch in der IVGK aus Sicht von Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern bei der T3-Befra-gung (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme überhaupt nicht zu“) Abb. 20 zeigt eine nahezu gleich ausgeprägte, moderate Zustimmung von Hausärzten

und Fachärzten zur Aussage, dass man nun stärker mit anderen kooperiere und dass

Vernetzung und Informationsaustausch sich „vorteilhaft entwickelt“ hätten. Diesen Aus-

sagen stimmen die sonstigen Leistungspartner „eher nicht zu“ (26 bzw. 33 Punkte).

Ähnliche Unterschiede, wenn auch im Ausmaß etwas geringer, bestehen hinsichtlich

der Aussage „die Teilnahme am Netzwerk frisst deutlich mehr Zeit als erwartet“: Hier

stimmen die Hausärzte am deutlichsten zu (72 Punkte), während die Zustimmung der

Fachärzte deutlich geringer ausfällt (56 Punkte); die sonstigen Leistungspartner stim-

men hier tendenziell „eher nicht zu“ (39 Punkte), d. h. Ihnen erscheint der Zeitaufwand

durch die Kooperation mit der IVGK tendenziell nicht deutlich höher als erwartet.

6973 72

61

73

56

2633

39

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

kooperiere jetztstärker mit anderen

LE als zuvor

Vernetzung undInfo-Austausch mitanderen LE haben

sich vorteilhaftentwickelt

Teilnahme amNetzwerk frisst

deutlich mehr Zeitals vermutet

Hausärzte

Fachärzte

andere LE

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

102

Die in Abb. 20 abgebildeten Umfragewerte zur Frage einer intensiveren fachlichen Ko-

operation zeigen also eine positive Tendenz bei den niedergelassenen ärztlichen Lei-

stungspartner, sie indizieren aber vor allem bei den sonstigen Leistungspartnern noch

Entwicklungspotential. Die Möglichkeiten eines integrierten Versorgungssystems er-

scheinen hier also noch nicht ausgeschöpft.

Bei den Indikatoren der Gesamtzufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf

(Abb. 21) liegen für die drei Leistungspartnergruppen vergleichsweise ähnliche Ergeb-

nisse vor. Die beiden klassischen Indikatoren (linkes und mittleres Säulentripel in Abb.

21) zeigen in der Tendenz eine sehr hohe (Hausärzte) bzw. hohe Zufriedenheit

(Fachärzte und sonstige Leistungspartner). Haus- und Fachärzte halten das Hauptziel

der IVGK tendenziell für erreichbar (rechts Säulentripel in Abb. 21), während die

sonstigen Leistungspartner hier noch erkennbar mehr Skepsis hegen.

Abb. 21: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern zur Zeit der T3-Befragung (Punktwerte: 100 – „sicher ja“; 67 – „eher ja“; 33 „eher nein“; 0 – „sicher nein“)

Die nach Berufsgruppe differenzierten Ergebnisse (Abb. 19-21) spiegeln offenkundig

auch die Tatsache wider, dass die sonstigen Leistungspartner bislang noch nicht in

demselben Maße wie die niedergelassenen Ärzte in die Steuerung der IVGK und die

Versorgungskoordination eingebunden sind. Allerdings unterscheiden sich auch die

niedergelassenen Fachärzte in wichtigen Aspekten von den Hausärzten. Tendenziell

haben diese Unterschiede zwischen der T2- und der T3-Befragung etwas zugenom-

93 90

6773 73

6570

73

57

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

"würde wiederMitglied in GK

werden"

"würde anderendie Mitgliedschaft

empfehlen"

Ziel "Einsparungenohne Abstriche bei

Vers.qualität"kann erreicht

werden

Hausärzte

Fachärzte

andere LE

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

103

men.23 Es besteht kein Anlass, diese Entwicklung zu dramatisieren; gleichwohl wird

das IVGK-Management derartige Entwicklungen im Auge behalten müssen.

5.3.7 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrieren der Partizipativen Entschei-dungsfindung aus Sicht der Leistungspartner

Im letzten Abschnitt zum PeGL-Projekt konzentrieren wir uns auf die beiden Aspekte,

zu denen Hausärzte (inkl. Psychotherapeuten) und Fachärzte bei der Drittbefragung

erstmals befragt wurden, nämlich zur Funktionalität und zu den Umsetzungshindernis-

sen von partizipativer Entscheidungsfindung im Allgemeinen und von Zielvereinbarun-

gen mit Risikopatienten im Besonderen. Diese Fragestellung erscheint uns aus folgen-

den Gründen besonders interessant:

(1) Im Jahr 2007 organisierte die IVGK für die kooperierenden niedergelassenen

Ärzte eine Weiterbildungsveranstaltung zur Theorie und Praxis der Partizipa-

tiven Entscheidungsfindung (PEF). Im Jahr 2008 wurden drei Folgeveran-

staltungen zu weiteren Aspekten der Arzt-Patient-Kommunikation angeboten.

Insofern sollte man eine gewisse Offenheit der GK-Leistungspartner für die

Grundgedanken der PEF erwarten können.

(2) Zudem haben sich die mit der IVGK kooperierenden niedergelassenen Ärzte

bzw. Psychotherapeuten verpflichtet, mit Risikopatienten regelmäßig Therapie-

zielvereinbarungen abzuschließen, um Therapiemotivation und Selbstmanage-

mentfähigkeiten der Patienten zu verbessern. Als „Risikopatient“ gilt ein Ver-

sicherter, wenn bei ihm/ihr z. B. in der Eingangsuntersuchung oder im sog.

Risikofragebogen eine chronische Krankheit oder einschlägige Risikofaktoren

(wie z. B. Rauchen oder Adipositas) festgestellt wurden. Das Management der

IVGK betrachtet Zielvereinbarungen mit Risikopatienten, die zu einer höheren

Therapiemotivation und größeren Selbstmanagementfähigkeiten der Patienten

führen sollen, als wichtige Faktoren einer höheren „Gesundheitsproduktivität“

im Kinzigtal.

(3) Darüber hinaus interessieren uns diese beiden Fragenkomplexe besonders,

weil sich im SDM-Evaluationsprojekt bislang gezeigt hat, dass die subjektive

(d.h. von den Patienten wahrgenommene) Beteiligung von Patienten an Thera-

pieentscheidungen seit 2007 unter den IVGK-Patienten entgegen den Erwar-

tungen etwas stärker zurückgegangen ist als in zwei Kontrollgruppen (vgl.

oben, Kapitel 3). Offenkundig ist es auch innerhalb der IVGK schwieriger als

zunächst gedacht, Patienten stärker zu beteiligen. Daher ist es von Interesse,

mehr über die praktischen Umsetzungsbarrieren von PEF allgemein und von

Zielvereinbarungen im Besonderen zu erfahren.

23 Die Unterschiede zwischen der T2- und T3-Befragung können hier aus Platzgründen nicht wieder-gegeben werden (vgl. hierzu ausführlich Nübling 2010: z. B. S. 27).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

104

63

5244 44

0102030405060708090

100

"ZV sindzielführendesInstrument zurSteigerung d.

Therapiemotivation d.Patienten

"in meiner Praxiswerden regelmäßigZV gemeinsam mit

Pat. getroffen"

"In meiner Praxiswerden die ZV

schriftlichdokumentiert"

"Die ZV werdengemeinsam mit Pat.überprüft und ggf.

angepasst"

Wer

tebe

reic

h

5.3.7.1 Die Bedeutung von Zielvereinbarungen aus Sicht der Leistungspartner

Zum Thema „Zielvereinbarungen“ wurden den Befragten sieben Aussagen vorgelegt,

denen sie stärker oder abgeschwächt zustimmen konnten („trifft voll zu“, „trifft eher zu“)

oder die sie mehr oder weniger entschieden ablehnen konnten („trifft eher nicht zu“,

„trifft nicht zu“). Eine fünfte Antwortmöglichkeit lautete jeweils: „Kann ich nicht

beurteilen“. Die Antworten zu diesen sieben Fragen sind in den beiden folgenden

Abbildungen zusammengefasst; nicht berücksichtigt ist dabei jeweils die Häufigkeit der

Antwort „kann ich nicht beurteilen“.

Abb. 22: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten I (Wertebereich:

100 „trifft voll zu“, 67 „trifft eher zu“, 33 „trifft eher nicht zu“, 0 „trifft nicht zu“)

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

105

5649

53

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

"aus Patientensicht sind ZVein wichtiges Element der

Behandlung"

"Die Patienten bemühen sichdarum, die ZV einzuhalten"

"Die ZV führen zu dengewünschten positivenGesundheitseffekten"

Wer

tebe

reic

hAbb. 23: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten II (Werte-

bereich: 100 „trifft voll zu“, 67 „trifft eher zu“, 33 „trifft eher nicht zu“, 0 „trifft nicht zu“)

In Abb. 22 und 23 werden für die einzelnen Fragen – wie üblich – jeweils Durch-

schnittswerte dargestellt. Die Antworten der Befragten auf die Aussage „Zielvereinba-

rungen sind für mich ein zielführendes Instrument, um die Therapiemotivation der Pa-

tienten zu erhöhen“ resultieren in einem Durchschnittswert von 63 Punkten. Betrachtet

man bei dieser Frage allein den Durchschnittswert, dann erscheint das Ergebnis po-

sitiv, d. h. es spiegelt eine vom Netzmanagement gewünschte und in mehreren Fortbil-

dungsveranstaltungen geförderte Haltung der Netzärzte wider. Dieser Befund ist je-

doch zu relativieren, wenn man zwei Dinge berücksichtigt: Von den 25 Befragten, die

eine gültige Antwort gaben, lehnten immerhin acht Personen (32 %) die betreffende

Aussage ab („trifft nicht zu“ oder „trifft eher nicht zu“). Das bedeutet: Ein Drittel der Be-

fragten, die eine gültige – inhaltlich interpretierbare – Antwort gaben, teilt die genannte

Auffassung ausdrücklich nicht. Ebenfalls klärungsbedürftig erscheint uns die Tatsache,

dass weitere 13 Befragte – also 34 % aller Personen, denen die Frage gestellt wurde –

die betreffende Aussage entweder explizit nicht beurteilen konnten (n=11) oder aus

sonstigen Gründen keine gültige Antwort gaben (n=2). Diese 13 Personen wird man

vernünftigerweise nicht – jedenfalls nicht mehrheitlich – zu denjenigen Leistungs-

partnern zählen können, die von Sinn und Zweck von Zielvereinbarungen in ihrer Pra-

xis überzeugt sind. So gesehen bedeutet das Ergebnis, dass von 38 niedergelassenen

Ärzten/Psychotherapeuten, die an der Befragung teilnahmen, weniger als die Hälfte

(n=17) davon überzeugt sind, dass Zielvereinbarungen mit Patienten deren Therapie-

motivation erhöhen und/oder deren Selbstmanagement verbessern können. Ange-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

106

sichts der Tatsache, dass das IVGK-Management Zielvereinbarungen als ein wichtiges

Element der Behandler-Patient-Kommunikation ansieht, erscheint dieses Ergebnis

optimierungsfähig.

Bei den drei übrigen in Abb. 22 dargestellten Ergebnissen ist der Anteil der

Befragten ohne gültige Antwort deutlich geringer: Die drei betreffenden Aussagen

konnten oder wollten jeweils nur acht Befragte nicht beurteilen. Aber auch hinsichtlich

dieser drei Aussagen zeigen die Ergebnisse eine eher gemischte Bilanz: Zielverein-

barungen mit Patienten treffen regelmäßig demnach nur 16 („trifft voll zu“ oder „trifft

eher zu“) der insgesamt 38 Befragten – hier resultiert ein Durchschnittswert von 52.

Schriftlich dokumentiert werden die Zielvereinbarungen sogar nur von insgesamt 13

Befragten („trifft voll zu“ oder „trifft eher zu“) – zusammen mit den anderen Antworten

resultiert bei dieser Aussage ein Durchschnittswert von 44 Punkten. Ähnlich ist die

Situation bei der Frage der Überprüfung und ggf. Modifikation der Zielvereinbarungen

mit den Patienten (Abb. 22, erste Säule von rechts): Hier gaben insgesamt 14 Befragte

eine ausdrücklich positive Antwort und kreuzten entweder die Kategorie „trifft voll zu“

oder „trifft eher zu“ an, 16 Befragte antworteten explizit negativ („trifft eher nicht zu“

oder „trifft nicht zu“) – hier resultiert ein Durchschnittswert von ebenfalls 44 Punkten.

Eine eher gemischte Bilanz kann man auch im Hinblick auf die in Abb. 23

dargestellten Ergebnisse feststellen. Bei der Aussage „Zielvereinbarungen stellen aus

Sicht der Patienten ein wichtiges Element der Behandlung dar“ (Abb. 23, erste Säule

von links) enthielten sich 13 der 38 Befragten einer gültigen, d. h. inhaltlich inter-

pretierbaren Antwort. Von den restlichen 25 Befragten gaben 14 eine positive Antwort

(„trifft voll zu“ oder „trifft eher zu“), 11 Befragte eine negative Antwort („trifft nicht zu“

oder „trifft eher nicht zu“) – hier resultiert ein Durchschnittswert von 56. Noch

verhaltener sind die Befragten hinsichtlich der Aussage „die Patienten bemühen sich

darum, die Zielvereinbarungen einzuhalten“ (Abb. 23, mittlere Säule). Hier antworteten

nur noch 11 Befragte tendenziell positiv, 12 Befragte tendenziell negativ, während sich

15 Befragte einer Beurteilung enthielten. Ähnlich ist die Antworttendenz bei der Frage,

ob Zielvereinbarungen zu gewünschten positiven Gesundheitseffekten führten (Abb.

23, erste Säule von rechts): 11 Befragte antworteten tendenziell positiv, 11 tendenziell

negativ, während 16 Befragte sich eines Urteils enthielten.

Zusammenfassend lässt sich also in Bezug auf die Aussagen zur Bedeutung von

Zielvereinbarungen Folgendes feststellen: Interpretiert man den zumeist recht hohen

Anteil derer, die sich kein Urteil über die Relevanz von Zielvereinbarungen erlauben

können oder wollen, als Zurückhaltung aufgrund fehlender eigener Erfahrungen bzw.

fehlenden Anwendungswissens, dann bedeuten die Ergebnisse, dass nur eine

Minderheit der antwortenden niedergelassenen Haus- und Fachärzte sowie Psycho-

therapeuten vom guten Sinn und Zweck von Zielvereinbarungen überzeugt ist und/oder

diese auch im Praxisalltag anwendet.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

107

91

67

46

80

0102030405060708090

100

"Es ist grundsätzlichsinnvoll, die

Patienten - soweitmöglich - an med.

und therap.Entscheidungen zu

beteiligen"

"PEF ist für mich sehrzeitaufwändig"

"PEF stellt zu hoheAnforderungen an die

Kompetenzen derPatienten"

"PEF ist geeignet, dieTherapiemotivation

und dasSelbstmanagement

der Patienten zuerhöhen"

Wer

tebe

reic

h3.5.7.2 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrieren der Partizipativen Entscheidungs-

findung (PEF) aus Sicht der Leistungspartner

Gemeinsame Therapiezielvereinbarungen mit Patienten machen lediglich einen spe-

ziellen Teilaspekt dessen aus, was allgemein mit dem Begriff der Partizipativen Ent-

scheidungsfindung (PEF; engl.: shared decision-making) bezeichnet wird. Bei der

Drittbefragung der GK-Leistungspartner wurde daher auch die Sicht der nieder-

gelassenen Ärzte und Psychotherapeuten auf die Partizipative Entscheidungsfindung

allgemein erfragt, und zwar in Form von vier Aussagen, denen die Befragten entweder

zustimmen („trifft voll zu“, „trifft eher zu“) oder die sie ablehnen konnten („trifft eher

nicht zu“, „trifft nicht zu“). Eine fünfte Antwortmöglichkeit war „kann ich nicht beurteilen“.

In Abb. 24 stellen wir die Durchschnittswerte der vier Aussagen dar. Die zugrunde

liegenden Aussagen geben wieder, wie die Patienten – nach Einschätzung ihrer Ärzte

– die Zielvereinbarungen sehen.

Abb. 24: Funktionalität und Umsetzungsbarrieren einer Partizipativen Entscheidungs-

findung (PEF)

Die erste Aussage lautete „Es ist grundsätzlich sinnvoll, die Patienten – soweit möglich

– an medizinischen und therapeutischen Entscheidungen zu beteiligen“ (Abb. 24, erste

Säule von links). Hier enthielten sich nur insgesamt fünf von 38 Befragten einer gülti-

gen Aussage. Zudem stimmten sämtliche Befragte, die eine gültige Antwort gaben, der

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

108

Aussage entweder „voll“ zu (24 von 33 Befragten) oder „eher“ zu (9 von 33 Befragten),

so dass sich ein sehr hoher Durchschnittswert von 91 Punkten ergab. Die ganz über-

wiegende Mehrheit der Befragten teilt also im Grundsatz die Idee der PEF.

Die nächsten beiden Aussagen beschreiben mögliche Umsetzungshindernisse

der PEF im Praxisalltag (Abb. 24, zweite und dritte Säule von links). Bei beiden Aus-

sagen enthielten sich insgesamt 9 von 38 Befragten einer gültigen Antwort. Einen

hohen Zeitaufwand für die PEF nannten 21 von 29 Antwortenden. (Aber immerhin acht

Befragte ließen dies für sich nicht gelten – Durchschnittswert 67 Punkte). „Zu hohe

Anforderungen an die Kompetenzen der Patienten“ nannten dagegen nur 13 der 29

Antwortenden als Umsetzungshindernis; 16 Befragte widersprachen ausdrücklich der

Aussage, dass die PEF zu hohe Anforderungen an die Kompetenzen der Patienten

stelle (Durchschnittswert 46 Punkte).

Die im Grundsatz optimistische Aussage, die PEF sei „geeignet, die Therapie-

motivation und das Selbstmanagement der Patienten zu erhöhen“, traf weitgehend auf

Zustimmung: 29 von insgesamt 38 Befragten teilten diese Auffassung ausdrücklich.

Lediglich ein Befragter widersprach dieser Aussage explizit; acht Befragte enthielten

sich einer inhaltlich interpretierbaren Stellungnahme.

Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der in Abb. 24 illustrierten Ergebnisse

also folgendes Resümee ziehen: Was die Haltung zur Partizipativen Entscheidungs-

findung (PEF) im Grundsätzlichen betrifft, gibt es eine recht weitgehende Übereinstim-

mung zwischen den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten mit der „Philo-

sophie“ des IVGK-Managements. Allerdings sehen viele der befragten Leistungs-

partner im hohen Zeitaufwand der PEF beträchtliche Umsetzungshindernisse. Ein Teil

der Befragten meint zudem, dass die PEF zu hohe Anforderungen an die Kompeten-

zen der Patienten stelle.

5.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick

Nach den ersten drei Befragungen der IVGK-Leistungspartner gibt es unseres Erach-

tens eine ganze Reihe bemerkenswerter und wichtiger Ergebnisse.

Die Arbeit der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH wird in allen drei

Befragungen als gut bis sehr gut beurteilt. Die Tätigkeiten der beiden Krankenkassen

AOK BW und LKK BW sowie des Ärztlichen Beirats bzw. des Ärztenetzes MQNK

werden als befriedigend bis gut beurteilt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang

ist, dass die Leistungspartner der IVGK die Zusammenarbeit mit AOK BW und LKK

BW im Schnitt als „etwas besser“ beurteilen als die Zusammenarbeit mit anderen

Kassen. Dieses Ergebnis kann als erstes Indiz dafür betrachtet werden, dass sich im

Zuge der Etablierung der IVGK tatsächlich eine höhere „Vertrauensproduktivität“

zwischen Krankenkassen und Leistungspartnern entwickelt als in der herkömmlichen

Versorgung.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

109

Für ein wichtiges Ergebnis halten wir auch, wie die Leistungspartner die Entwicklung

des Informationsaustauschs und der Kooperation mit anderen Leistungspartnern im

Netz einschätzen. Wie oben gezeigt, teilt ein allmählich wachsender Anteil der Lei-

stungspartner die Einschätzung, dass man seit dem Start der IVGK stärker mit anderen

Leistungspartnern kooperiere als vorher und dass die Vernetzung und der wechsel-

seitige Informationsaustausch sich positiv entwickelt habe. Erfreulich für das IVGK-Ma-

nagement ist sicher, dass unter den Leistungspartnern zunehmend die Meinung

herrscht, man werde „an den Entscheidungen des Netzwerks genügend beteiligt“.

Sehr wichtig für die Leistungspartner ist zweifellos, ob ihr Engagement und die

Kooperation mit dem Netzmanagement auf Dauer positive Auswirkungen für sie hat,

seien diese nun unmittelbar finanzieller oder anderer Art. Die bisherigen Befragungen

zeigen, dass der Anteil der Leistungspartner, die bislang „nur wenige positive Effekte“

auf ihre Praxis bzw. ihre Institution sehen, im Zeitverlauf zurückgeht. Schränkt man die

Frage auf unmittelbar finanzielle Auswirkungen ein, so konstatiert ein allmählich wach-

sender Teil der Leistungspartner „finanzielle Vorteile“ für sich durch die IVGK. Eine

solch positive Entwicklung für ihre Praxis bzw. ihre Institution sehen vor allem dieje-

nigen Leistungspartner, die zumindest seit Frühjahr 2008 der IVGK angehören, d. h.

die an allen bisherigen Leistungspartnerbefragungen teilgenommen haben. Bei denje-

nigen, die sich erst vor kurzem der IVGK angeschlossen haben, ist das dementspre-

chend (noch) etwas anders.

Noch deutliche Unterschiede existieren in genau dieser Frage zwischen ver-

schiedenen Leistungspartnergruppen, nämlich zwischen (a) Hausärzten, (b) niederge-

lassenen Fachärzten und (c) den sonstigen Leistungspartnern (Klinikärzte, Physio-

therapeuten, Vertreter von Pflegeheimen, Pflegediensten und sozialtherapeutischen

Diensten). Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen drei Gruppen

haben wir anhand der Daten der Drittbefragung (2010) genauer untersucht. Demnach

konstatieren Hausärzte deutlich stärker als die anderen beiden Gruppen positive

Auswirkungen für sich; dies gilt auch im Hinblick auf unmittelbar finanzielle Vorteile. Mit

recht deutlichem Abstand folgen die Fachärzte und dann die sonstigen Leistungs-

partner. Die Hausärzte sind allerdings auch diejenige Gruppe, die am deutlichsten

bekennt, dass „die Teilnahme am Netzwerk (…) deutlich mehr Zeit (frisst) als erwartet“.

Weitgehend einig sind sich alle drei Gruppen hingegen, dass sie an den Entschei-

dungen der IVGK „genügend beteiligt“ werden. Dies darf man als großen Erfolg des

bisherigen Netzmanagements sehen – ein Erfolg, der keineswegs selbstverständlich,

aber gleichwohl wichtig für die weitere Entwicklung der IVGK ist.

Im Hinblick auf die Frage, ob die Kooperation und der Informationsaustausch

mit anderen Leistungspartnern intensiver geworden seien und sich „vorteilhaft ent-

wickelt“ hätten, unterscheiden sich die drei Gruppen wieder recht deutlich voneinander:

Haus- und Fachärzte konstatieren hier in ungefähr gleichem Maße eine positive Ent-

wicklung, während das bei den sonstigen Leistungspartnern (noch) nicht der Fall ist.

Dies mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass viele der sonstigen Leistungs-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

110

partner sich erst relativ kurz vor der Drittbefragung – aus der diese Daten stammen –

der IVGK angeschlossen haben.

Bei den beiden Indikatoren der Gesamtzufriedenheit mit dem bisherigen Pro-

jektverlauf liegen alle drei Leistungspartnergruppen in dem Bereich, der eine hohe bis

sehr hohe Zufriedenheit anzeigt. Dabei äußern die Hausärzte im Durchschnitt eine

sehr hohe Zufriedenheit (93 bzw. 90 Punkte), die beiden anderen Gruppen immerhin

eine hohe Zufriedenheit (73 bzw. 70 Punkte).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

111

6 Das AGil-Projekt: Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal – Prozess- und Ergebnis-evaluation eines Interventionsprogramms im Kontext einer Integrierten Versorgung von AOK-Patienten

Das Akronym „AGil“ steht für den ausführlichen Projektnamen „Aktive Gesundheitsför-

derung bei alten Menschen im Kinzigtal – Prozess- und Ergebnisevaluation eines Inter-

ventionsprogramms im Kontext der Integrierten Versorgung von AOK-Patienten“. Das

AGil-Projekt wurde nicht aus dem IVGK-Evaluationsbudget finanziert, sondern vom

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderschwer-

punkts „Präventionsforschung“ (Förderkennzeichen 01EL0715). Die Projektlaufzeit be-

gann am 01.11.2007 und endete am 28.02.2011.

Das Projekt wurde geleitet von Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck, Institut für

Medizinische Soziologie, Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie des Universitäts-

klinikums Hamburg-Eppendorf. Bei der Durchführung einzelner Evaluationsbestandtei-

le kooperierte die Hamburger Forschungsgruppe mit Dr. Enno Swart, Institut für Sozial-

medizin an der Universität Magdeburg, und mit Prof. Dr. Heinz Rothgang, Zentrum für

Sozialpolitik an der Universität Bremen (vgl. Abschnitt 6.2.2.2).

Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse beruhen auf dem Schlussbericht

der Projektgruppe an das BMBF (Knesebeck et al. 2011) sowie auf Publikationen von

Projektergebnissen in Fachzeitschriften (Hofreuter-Gätgens et al. 2011, Swart et al.

2011a, Swart et al. 2011b).

6.1 Forschungsfragen des AGil-Projekts

6.1.1 Grundlagen: Das Interventionsprogramm „Aktive Gesundheits-förderung im Alter“

Angesichts der demographischen Alterung fortgeschrittener Industriegesellschaften ist

in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl an Programmen zur Gesundheitsförde-

rung im höheren Lebensalter entwickelt worden. Ein viel versprechendes Interventions-

programm wurde unter dem Namen „AGil“ („Aktive Gesundheitsförderung im Alter“) am

Zentrum für Gerontologie und Geriatrie des Albertinen-Hauses in Hamburg entwickelt

und mit dem Deutschen Präventionspreis 2005 ausgezeichnet (Dapp et al. 2005;

Meier-Baumgartner et al. 2006). Ziel dieses Programms ist die eigenverantwortliche

Selbstbestimmung im Alter („Empowerment“): Nicht-pflegebedürftige Menschen ab

einem Alter von 60 Jahren sollen in drei Bereichen zu eigenverantwortlicher Selbst-

bestimmung befähigt werden: Sie sollen 1. zu körperlicher Aktivität, 2. gesunder Ernäh-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

112

rung und 3. zu größerer sozialer Teilhabe (Ausbau bzw. Erhalt eines sozialen Netzes

und gesellschaftlicher Aktivitäten) motiviert und angeleitet werden. Das AGil-Programm

wurde bereits in einem städtischen Kontext (Hamburg) erfolgreich erprobt. Dabei wur-

den die Empfehlungen der Gesundheitsberater, die das Programm durchführten, von

den Programmteilnehmern weitgehend erfolgreich umgesetzt (Meier-Baumgartner et

al. 2006: 24f, 68f). Seither werden am Albertinen-Haus in Hamburg Multiplikatoren

geschult, die als vierköpfige interdisziplinäre Gesundheitsberater-Teams – bestehend

aus einem Ökothrophologen (Ernährungsberater), einem Physiotherapeuten, einem

Sozialpädagogen und einem leitenden Arzt – die Teilnehmer von AGil-Programmen zu

eigenverantwortlichem Gesundheitsverhalten anleiten.

Das insgesamt halbtägige Interventionsprogramm umfasst mehrere Komponen-

ten: zum ersten eine Informationsveranstaltung zu den Themen

- medizinische Grundlagen des Alterns,

- Bedeutung sozialer Vorsorge und geistiger Aktivität,

- Stellenwert körperlicher Aktivität und

- gesunde Ernährung.

Zum zweiten schließt sich an diese Informationsveranstaltung eine Arbeit in Klein-

gruppen mit jeweils maximal sechs Personen an, in der die Teilnehmer individuell be-

raten werden. Zum dritten erhalten die Teilnehmer zwei Wochen nach der Veran-

staltung Informationsbriefe mit individuellen Empfehlungen zur Steigerung körperlicher

Aktivität und gesunder Ernährung.24

Für das AGil-Projekt in der Variante, wie es in Hamburg stattfand, liegen bislang

nur Ergebnisse einer Prozessevaluation vor. Hingegen wurden die Ergebnisse – sei es

in gesundheitlicher oder gesundheitsökonomischer Hinsicht – bislang nicht evaluiert.

Das AGil-Projekt im Kinzigtal leistet also auch in dieser Hinsicht Pionierarbeit.

6.1.2 Forschungsfragen des AGil-Projekts im Kinzigtal

Die Evaluation des AGil-Programms im Kinzigtal (im Folgenden: AGil-Projekt) bein-

haltet sowohl eine Prozess- als auch eine Ergebnisevaluation der AGil-Intervention im

Kinzigtal. Eine allgemein interessierende Forschungsfrage ist dabei, wie gut das AGil-

Programm, das ursprünglich in einem großstädtischen Kontext erprobt wurde, auf eine

ländlich geprägte Umgebung wie das Kinzigtal übertragbar ist.

Im Rahmen der Prozessevaluation sollen folgende spezifischen Forschungs-

fragen beantwortet werden:

- Inwieweit wird die Zielgruppe des Programms im Rahmen des IV-Projekts

„Gesundes Kinzigtal“ erreicht?

24 Im Rahmen des AGil-Programms, das in Hamburg durchgeführt wurde, erhielten die Teilnehmer ein halbes Jahr nach dieser ersten Informationsveranstaltung eine Einladung zu einem gemeinsamen Erfah-rungsaustausch und zur Teilnahme an einem weiteren Workshop. Diese Komponente entfiel bei der im Kinzigtal angewandten Programmvariante.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

113

- Wie hoch ist die Akzeptanz des Programms bei der Zielgruppe und den übrigen

Beteiligten?

- Wird das Programm wie geplant durchgeführt? Welche Umsetzungshindernisse

treten dabei ggf. auf?

Bei der Ergebnisevaluation stehen folgende Fragen im Vordergrund:

- Wie entwickeln sich die Einstellungen und Kenntnisse der Programmteilnehmer

in den drei Interventionsbereichen körperliche Aktivität, gesunde Ernährung und

soziale Teilhabe?

- Inwieweit werden die Kenntnisse und Einstellungen der Programmteilnehmer

aus den drei Interventionsbereichen im Alltag umgesetzt?

- Wie entwickelt sich der Gesundheitszustand der Programmteilnehmer?

- Verändert sich bei den Programmteilnehmern die Inanspruchnahme von Ver-

sorgungsleistungen?

- Wie entwickeln sich die Versorgungskosten der Programmteilnehmer?

6.2 Studienpopulation und Methoden des AGil-Projekts im Kinzigtal

6.2.1 Erhebungsmethoden der Prozessevaluation

Im Rahmen der Prozessevaluation werden sowohl die Programmdurchführenden als

auch die Hausärzte der Programmteilnehmer sowie die Interventionsteilnehmer selbst

befragt, und zwar zu jeweils verschiedenen Aspekten der Programmdurchführung. Da-

bei kommen zum einen Leitfadeninterviews zum Einsatz – nämlich bei der Befragung

der Gesundheitsberater-Teams und der Hausärzte –, zum anderen auch kurze, stan-

dardisierte Befragungen. Letztere werden bei der Befragung der Programmteilnehmer

eingesetzt. Dabei werden diese z. B. zu ihrer Einschätzung der Informationsveran-

staltung und der Beratung in Kleingruppen befragt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der

Prozessevaluation besteht in der kurzen Befragung derer, die zwar eine Einladung zur

Programmteilnahme erhalten, aber nicht teilgenommen haben (Nicht-Teilnehmer).

6.2.2 Studiendesign und Erhebungsmethoden der Ergebnis-evaluation

Die Forschungsfragen der Ergebnisevaluation sollen zum einen durch einen Vorher-

Nachher-Vergleich beantwortet werden, zum anderen durch eine retrospektive kon-

trollierte Kohortenstudie. Welches der beiden Designs angewendet wird, bestimmt sich

nach der Art der Daten, die zur Evaluation verwendet werden. Zum einen werden Primärdaten der Programmteilnehmer mittels Fragebogen erhoben. Hierbei wird nur die Interventionsgruppe befragt, d.h. die entsprechenden

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

114

Primärdaten stehen für keine irgendwie geartete Kontrollgruppe zur Verfügung. Zum anderen werden jedoch auch Sekundärdaten in Form von GKV-Routinedaten heran-gezogen: Die Forschungsgruppe kann über die sektorübergreifenden GKV-Routine-daten aller im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten verfügen, die vor dem 01. Oktober 1952 geboren wurden. Für die Sekundärdatenanalyse stehen also die GKV-Routinedaten all jener AOK-Versicherten aus dem Kinzigtal zur Verfügung, die zu Beginn der AGil-Rekrutierung das 55. Lebensjahr vollendet hatten. Aus den Daten der nicht am AGil-Projekt teilnehmenden Versicherten lässt sich also retrospektiv eine (oder mehrere) Vergleichsgruppe(n) konstruieren.

Das bedeutet in methodischer Hinsicht Folgendes: In Bezug auf die Frage-stellungen, die mittels GKV-Routinedaten beantwortet werden können, wird das Design einer retrospektiven kontrollierten Kohortenstudie angewendet. In Bezug auf die Frage-stellungen, die mittels Primärdaten beantwortet werden, kommt lediglich das – aus-sageschwächere – Design eines Vorher-Nachher-Vergleichs zum Einsatz. 6.2.2.1 Ergebnisevaluation mittels Primärdaten Die Programmteilnehmer werden mittels standardisierten Fragebögen befragt, und

zwar zu insgesamt vier Messzeitpunkten:

- t0: unmittelbar vor Intervention,

- t1: ein halbes Jahr nach Intervention,

- t2: ein Jahr nach Intervention und

- t3: eineinhalb Jahre nach Intervention.25

Gegenstand dieser Befragungen sind zum einen gesundheitsrelevante Einstellungen,

Kenntnisse und Verhaltensgewohnheiten sowie Aspekte des momentanen Gesund-

heitszustands; dabei werden insbesondere erhoben:

- gesundheitsrelevante Kontrollüberzeugungen (Wallston et al. 1978; Knesebeck

1998),

- gesundheitsrelevante Kenntnisse im Hinblick auf Bewegung, Ernährung und

soziale Vorsorge,

- Ernährungsgewohnheiten (Meier-Baumgartner et al. 2006: 130),

- körperliche Aktivitäten (ebd.: 133),

- soziales Netz/soziale Teilhabe,

- gesundheitsbezogene Lebensqualität (Instrument: SF-36; Bullinger & Kirch-

berger 1998) sowie

- verhaltensbezogene und biomedizinische Risikofaktoren.

Weiterhin werden kritische Lebensereignisse sowie soziodemographische Merkmale

der Versicherten erfragt.

25 Ursprünglich war der Zeitpunkt der T3-Erhebung zwei Jahre nach der Intervention vorgesehen (Knese-beck & Trojan 2006: 13). Da jedoch die Phase der Teilnehmer-Rekrutierung verlängert werden musste, damit genügend Probanden rekrutiert werden konnten, wurde der Zeitpunkt für die letzte Erhebung vor-verlegt.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

115

6.2.2.2 Ergebnisevaluation mittels GKV-Routinedaten

Die beiden in Abschnitt 6.1.2 zuletzt genannten Forschungsfragen der Ergebnisevalua-

tion, nämlich

- verändert sich bei den Programmteilnehmern die Inanspruchnahme von Versor-

gungsleistungen?

- wie entwickeln sich die Versorgungskosten der Programmteilnehmer?

werden auf der Basis von GKV-Routinedaten beantwortet. Diese stellt die AOK Baden-

Württemberg für ihre am AGil-Programm teilnehmenden Versicherten in pseudonymi-

sierter Form zur Verfügung. Für diesen speziellen Teil der Ergebnisevaluation wurden

die Kooperationspartner Dr. Enno Swart (Universität Magdeburg) und Prof. Heinz Roth-

gang (Universität Bremen) beauftragt.

Da – wie oben erwähnt – die GKV-Routinedaten in pseudonymisierter Form für

alle im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten geliefert wurden, die am 30. 09. 1952

das 55. Lebensjahr vollendet hatten, können auf der Basis von GKV-Routinedaten

auch Vergleichsgruppen zur Analyse herangezogen werden. Für diesen Teil der Eva-

luation liegen noch keine Vorbilder, standardisierten Instrumente oder Auswertungs-

routinen vor. Das AGil-Projekt leistet hinsichtlich dieser Dimension der Ergebniseva-

luation also auch Entwicklungs- und Erprobungsarbeit.

Spezielle Analysen zum Inanspruchnahmeverhalten der AGil-Teilnehmer wer-

den von Dr. Enno Swart und seinem Team angefertigt.26 Die Frage, wie sich die Ver-

sorgungskosten der Programmteilnehmer entwickeln, wird im Rahmen einer gesund-

heitsökonomischen Evaluation zu beantworten versucht, für die Prof. Rothgang

verantwortlich ist.

Die Teile der Ergebnisevaluation, die auf der Auswertung von GKV-Routine-

daten beruhen, dauern noch an (Stand: März 2012) – Genaueres wird in Abschnitt

6.3.2.5 erläutert. Aus diesem Grund kann auf diesen Teil der Ergebnisevaluation hier

nur ein Ausblick gegeben werden.

6.2.3 Fallzahlenkalkulation und Einschlusskriterien

Bei der Studienplanung wurde davon ausgegangen, dass im Rahmen der Ergebnis-

evaluation Verteilungsunterschiede von ca. zehn Prozentpunkten in einem Vorher-

Nachher-Vergleich mit einer Teststärke von 80% aufgedeckt werden können. Hierzu

wären 309 auswertbare Datensätze nötig, d.h. es müssten die Daten von 309 Re-

spondern vorliegen. Da die Forschungsgruppe Knesebeck und ihre Kooperationspart-

ner aber auch Interventionseffekte zwischen verschiedenen Subgruppen (z.B. nach

26 Weitere Details zu den Perspektiven von Inanspruchnahme-Analysen auf der Basis von GKV-Routinedaten finden sich in einer Präsentation von Enno Swart, die Grundlage seines Vortrags auf dem 1. GK-Evaluationsplenum war: http://www.ekiv.org/de/intern/pdf/Evaluationsplenum_2009-7/Swart-2009-07-02.pdf.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

116

Geschlecht oder Schichtzugehörigkeit) vergleichen wollten, sollten die Daten von

insgesamt 600 Programmteilnehmern erhoben werden.

Für die Teilnahme am AGil-Programm galten folgende Einschlusskriterien: Die

Programmteilnehmer sollten mindestens 60 Jahre alt, nicht pflegebedürftig und nicht

kognitiv eingeschränkt (d.h. nicht dement) sein. Zudem mussten Studienteilnehmer in

die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) eingeschrieben sein.

6.3 Ausgewählte Ergebnisse des AGil-Evaluationsprojekts

6.3.1 Ergebnisse der Prozessevaluation

Im Folgenden gehen wir auf vier Aspekte der Prozessevaluation ein. Dabei sollen auch

die drei oben genannten Forschungsfragen der Prozessevaluation beantwortet werden.

6.3.1.1 Beteiligung am AGil-Programm und soziodemographische Merkmale der Teilnehmer

Die Beteiligung der IV-eingeschriebenen Versicherten ab 60 Jahren am AGil-Pro-

gramm und an der Programmevaluation wird ausführlich in Abb. 25 dargestellt. Laut

Einschlusskriterien kamen im Rekrutierungszeitraum 2045 Versicherte für eine Pro-

grammteilnahme in Frage. Bis zum Ende des Rekrutierungszeitraums (31. März 2009)

wurden insgesamt 2016 Versicherte schriftlich eingeladen, am AGil-Programm teilzu-

nehmen und sich an der Studie zu beteiligen (Abb. 25).

Am AGil-Programm teilgenommen haben schließlich 468 Versicherte. Davon

haben sich 361 Personen (76 % der Programmteilnehmer) auch an der Evaluation und

damit an der T0-Befragung beteiligt. Von den insgesamt 1577 Nicht-Teilnehmern

haben später 450 Personen (29 %) an einer kurzen standardisierten Befragung teilge-

nommen. Weitere 733 Nicht-Teilnehmer konnten telefonisch kontaktiert werden; ihre

Gründe für die Ablehnung der Teilnahme wurden in Telefonprotokollen erhoben. An

der T1-Befragung, die im September 2009 abgeschlossen wurde, beteiligten sich 317

Versicherte, an der T2-Befragung immerhin noch 300 Personen. Bei der letzten Erhe-

bungswelle (T3-Befragung) waren es noch 288 Teilnehmer. Die T2-Befragung wurde

im März 2010 abgeschlossen, die T3-Befragung im Herbst 2010. Angaben zu allen vier

Befragungen liegen von insgesamt 229 Personen vor; das entspricht rund 63 % der

Befragten.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

117

Abb. 25: Fallzahlenentwicklung der AGil-Programmteilnehmer bzw. Studienteilnehmer

(nach Knesebeck et al. 2011: 14)

Damit wurde das ursprüngliche Ziel, am Ende der Studie die Primärdaten von insge-

samt 600 Programmteilnehmern analysieren zu können, verfehlt. Da sich dies bereits

im Jahr 2008 abzuzeichnen begann, wurde der ursprünglich geplante Rekrutierungs-

zeitraum verlängert, und zwar bis zum 31. 03. 2009. Damit sich die Gesamtlaufzeit des

Projekts nicht auch noch entsprechend verlängerte, musste gleichzeitig der Zeitpunkt

für die letzte Datenerhebung (T3-Erhebung) verkürzt werden, nämlich von zunächst 24

Monaten nach Intervention auf letztlich 18 Monate nach Intervention. Eine Beteiligung

von knapp 300 Programmteilnehmern an der T3-Befragung reicht aus, um die vermu-

teten Verteilungsunterschiede von ca. 10 Prozentpunkten im Vorher-Nachher-Vergleich

mit einer Teststärke von etwas weniger als 80% aufzudecken.

Die Analyse der soziodemographischen Zusammensetzung der AGil-Teilneh-

mer brachte folgende Ergebnisse: Die Mehrheit der 468 Programmteilnehmer waren

Frauen (58%). Das Durchschnittsalter der teilnehmenden Frauen wie auch der teil-

nehmenden Männer lag bei 71 Jahren; damit sind die AGil-Teilnehmer im Kinzigtal im

Durchschnitt rund ein Jahr älter als die AGil-Teilnehmer in Hamburg, deren Durch-

schnittsalter 70,1 Jahre betrug.

Die meisten AGil-Teilnehmer im Kinzigtal sind verheiratet und leben mit dem

Ehepartner zusammen (75,6%); sie sind überwiegend in Rente (76,8%) oder Haus-

frau/Hausmann (17,2%). Die weit überwiegende Mehrheit der AGil-Teilnehmer im

Kinzigtal hat einen Volksschul- oder Hauptschulabschluss (86,9%).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zielgruppe trotz des relativ hohen

Rekrutierungsaufwands der Gesundes Kinzigtal GmbH nur in einem moderaten Um-

fang vom AGil-Programm erreicht wurde (Knesebeck et al. 2011: 12): 468 der 2045

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

118

Personen (23 %), die die Einschlusskriterien erfüllten, nahmen am Programm teil.

Mögliche Teilnahmebarrieren kommen in Abschnitt 6.3.1.3 zur Sprache.

6.3.1.2 Bewertung des AGil-Programms durch die Teilnehmer

Die Akzeptanz des AGil-Programms im Kinzigtal bei den Programmteilnehmern lässt

sich sehr anschaulich an deren Bewertungen der verschiedenen Programmbestand-

teile und des Programms insgesamt verdeutlichen. Die folgenden Bewertungen des

AGil-Programms durch die Programmteilnehmer im Kinzigtal basieren auf den An-

gaben bei der T1-Befragung, an der insgesamt 317 Personen teilgenommen haben.

Die T1-Befragung fand sechs Monate nach der Intervention statt.

Abb. 26: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit den Vorträgen der AGil-Intervention

(Äußerungen zur Aussage „Mit den Vorträgen war ich insgesamt zufrieden“) Abb. 26 zeigt, dass die ganz überwiegende Mehrheit der AGil-Teilnehmer voll oder

weitgehend mit den Vorträgen zufrieden war. Dabei stimmten rund 60% der teilneh-

menden Frauen „voll zu“, mit den Vorträgen zufrieden zu sein; bei den Männern war es

knapp die Hälfte (43,4%).

Ähnlich zufrieden waren die Teilnehmer mit der sich an die Vorträge an-

schließenden Arbeit in Kleingruppen, in denen die Teilnehmer in Bezug auf körperliche

%

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

119

Aktivität, gesunde Ernährung und soziale Teilhabe beraten wurden. Die detaillierten

Ergebnisse zu dieser Frage sind in Abb. 27 dargestellt.

Abb. 27: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit der Kleingruppenarbeit (Äußerungen

zur Aussage „Mit der Kleingruppenarbeit war ich insgesamt zufrieden“)

Sehr zufrieden waren die Programmteilnehmer auch mit den schriftlichen Empfeh-

lungsschreiben, die sie ca. zwei Wochen nach der Veranstaltung erhielten: Rund 96 %

hielten die Empfehlungsbriefe für eine gute Ergänzung der Veranstaltung (Knesebeck

et al. 2011: 89).

Die positive Bewertung der einzelnen Bestandteile der Veranstaltung spiegelt

sich auch darin wider, dass 97,7 % der befragten Teilnehmer „die Veranstaltung

jederzeit weiterempfehlen“ würden. Dies stellt ein sehr positives Gesamturteil dar. Die

sehr positive Beurteilung führt jedoch nur bei einer Minderheit der Teilnehmer (9 %)

dazu, dass die Teilnehmer selbst für die normalerweise anfallenden Kosten der

Veranstaltung (89,- € pro Person) aufkommen würden. Rund die Häfte der Teilnehmer

lehnte dies ab; rund 39 % der Teilnehmer waren sich nicht sicher (ebd.: 88).

%

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

120

6.3.1.3 Umsetzung der AGil-Empfehlungen laut Angaben der Programmteil-nehmer

Die beiden folgenden Abbildungen geben wieder, inwieweit die AGil-Teilnehmer die

Empfehlungen der AGil-Gesundheitsberater in Bezug auf körperliche Aktivität und ge-

sunde Ernährung nach eigenen Angaben sechs Monate nach der Intervention bereits

umgesetzt haben oder umsetzen wollten. Dies kann als ein spezifischer Aspekt der

Akzeptanz des AGil-Programms gesehen werden.

So zeigt Abb. 28, dass erstaunlich viele Versicherte – nämlich etwas mehr als

drei Viertel aller befragten Programmteilnehmer – bei der T1-Befragung angeben, dass

sie die Empfehlungen in Bezug auf gesunde Ernährung bereits umsetzen konnten.

Bemerkenswert ist hierbei, dass der Anteil bei den Männern beinahe so hoch ist wie

der Anteil bei den Frauen, obwohl die Männer das AGil-Programm etwas kritischer

beurteilen (vgl. Abschnitt 6.3.3). Weitere 15% der Befragten geben an, demnächst mit

der Umsetzung beginnen zu wollen. Weniger als 5% der Programmteilnehmer erklä-

ren, dass sie nicht damit beginnen wollen, d.h. dass sie den Empfehlungen nicht folgen

werden.

Abb. 28: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu gesunder Ernährung sechs Monate

nach Intervention (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zur Ernährung

schon umgesetzt werden?“)

%

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

121

In Bezug auf die AGil-Empfehlungen zu körperlicher Aktivität und Bewegung – siehe

Abb. 29 – äußern etwas mehr als zwei Drittel der Programmteilnehmer, dass sie die

Empfehlungen bereits umsetzen konnten. Die Antworten der befragten Männer unter-

scheiden sich wiederum kaum von denen der Frauen. Nur rund zehn Prozent der

Befragten geben an, dass sie nicht mit der Umsetzung dieser Empfehlungen beginnen

werden. Die „bereits umgesetzten“ Empfehlungen beziehen sich vor allem auf die

Aspekte gesunde Ernähung und tägliche Flüssigkeitsaufnahme und etwas seltener auf

die Aspekte vermehrte Bewegung und sportliche Aktivitäten (Knesebeck et al. 2011:

90). Nach Einschätzung der Teilnehmer hat sich durch die Teilnahme am AGil-Pro-

gramm das eigene Wissen im Hinblick auf ein gesundheitsförderliches Verhalten deut-

lich verbessert, z. B. in punkto gesunde Ernährung, Flüssigkeitsaufnahme und körper-

liche Aktivität (ebd.: 91). Dies gilt nach Einschätzung der Teilnehmer nicht nur für das

Wissen, sondern auch – obwohl in etwas geringerem Maß – für das eigene Verhalten

(ebd.). Abb. 29: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu körperlicher Aktivität (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zu körperlicher Aktivität bereits umgesetzt wer-den?“)

Die berichteten Ergebnisse können als Beleg für die hohe Akzeptanz des AGil-Pro-

gramms bei den Teilnehmern angesehen werden. Bei den Einschätzungen zur Nütz-

%

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

122

lichkeit des Programms und bei den Angaben zur Umsetzung der Empfehlungen durch

die Teilnehmer ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Antworteffekt der „sozialen Er-

wünschtheit“ zu den überaus positiven Antworten beigetragen haben könnte: Die Teil-

nehmer waren im Verlauf der AGil-Intervention für die (erwünschten) Effekte eines

gesundheitsorientierten Verhaltens sensibilisiert worden und sahen sich nun verpflich-

tet, bei der Befragung tendenziell im Sinne des Erwünschten zu antworten. Zu einer

möglichen Verzerrung in Richtung „positiver“ Antworten der Probanden mag aber nicht

nur das Prinzip sozialer Erwünschtheit beigetragen haben, sondern auch – in kom-

plementärer Weise – der Mechanismus der kognitiven Dissonanzreduktion (Knesebeck

et al. 2011: 91): Um den Aufwand der Programmteilnahme im nachhinein als „ange-

messen“ zu rechtfertigen, neigen Probanden häufig dazu, ein Programm als „wirksam“

einzuschätzen, auch wenn dies einer kritischen und objektiven Betrachtung nicht stand

hält.

6.3.1.4 Einschätzung der Nachhaltigkeit des Programms durch Mitglieder der Gesundheitsberater-Teams

Im Hinblick auf die Atmosphäre bei den AGil-Veranstaltungen teilen auch die Gesund-

heitsberater den positiven Eindruck, wie man ihn aus den Einschätzungen der Teil-

nehmer gewinnt. Die Gesundheitsberater, die das Programm durchführten, so Knese-

beck und Kollegen, „berichten in der Regel von positiven Eindrücken, die sie in den

Veranstaltungen gewonnen haben. Vor allem die atmosphärischen Aspekte werden

dabei herausgehoben (Aktivität, Interesse und Verständnis der Teilnehmer), so dass

Probleme die Ausnahme bilden. Zuweilen wurde die Gruppenzusammensetzung krit-

isch angesprochen, insbesondere dann, wenn die Gruppen bezüglich des Alters und

ihrer Leistungsfähigkeit zu heterogen waren“ (ebd.: 80).

Die Einschätzungen der Programmdurchführenden hinsichtlich der Nachhaltig-

keit des Programms fallen hingegen weniger positiv aus. Die von Beginn an beste-

henden Zweifel an der Nachhaltigkeit des Programms bei den Gesundheitsberatern

bestanden auch nach Durchführung des Programms fort (ebd.: 70-74): Grundsätzlich

bestanden Zweifel daran, dass eine Veranstaltung, die nur an einem einzigen Nach-

mittag abgehalten wird – auch in Verbindung mit einem späteren Empfehlungsschrei-

ben –, zu nachhaltigen Änderungen des Gesundheitsverhaltens der Teilnehmer führt.

Diese Zweifel wurden in den Augen der Gesundheitsberater noch verstärkt durch

spezifische Schwierigkeiten der Programmdurchführung im Kinzigtal: So war ein

unerwartet großer Anteil der Teilnehmer so krank oder kognitiv so stark eingeschränkt,

dass bei den Programmdurchführenden nicht die Erwartung aufkommen konnte, dass

die Empfehlungen in großem Ausmaß und dauerhaft umgesetzt würden (ebd.: 69f).

Auf Basis der Leitfaden-Interviews mit den Programmdurchführenden kristalli-

sierten sich drei Gründe heraus, warum die Gesundheitsberater das AGil-Programm im

Kinzigtal nicht als nachhaltig einschätzen; gleichsam spiegelbildlich dazu werden

Möglichkeiten erkennbar, wie das Programm nachhaltiger gestaltet werden könnte:

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

123

(1) Für einige Mitglieder der Gesundheitsberater-Teams waren die Hausärzte

der Teilnehmer nicht hinreichend in das Programm und vor allem in die Umsetzung der

Gesundheitsempfehlungen eingebunden. In einer Neuauflage des Programms könnte

dies jedoch geändert werden. Die Hausärzte könnten zumindest bei der Umsetzung

der Gesundheitsempfehlungen systematisch einbezogen werden (ebd.: 70).

(2) Die Sportmöglichkeiten für Ältere im Kinzigtal erscheinen begrenzt. So gab

es bislang wenige auf Ältere zugeschnittene Sportmöglichkeiten im Kinzigtal, zudem

gibt es die entsprechenden Sportstätten – wie z.B. Schwimmbäder oder Hallenbäder –

nur in sehr begrenztem Umfang (ebd.: 70). Diesem Mangel könnte man zumindest

partiell entgegenwirken durch spezifische Sportangebote für Senioren, die z. B. mit den

Sportvereinen erarbeitet und angeboten werden könnten.

(3) Motivation und Eignung der Teilnehmer machten eine nachhaltige Wirkung

des Programms unwahrscheinlich (ebd.: 71). Zum einen war – wie oben bereits

erwähnt – ein unerwartet großer Teil der Teilnehmer nach Einschätzung der Gesund-

heitsberater bereits „zu krank“ oder kognitiv zu eingeschränkt. Zum anderen meinten

einige der Gesundheitsberater, bei vielen Teilnehmern keine intrinsische Teilnahme-

motivation zu erkennen. Vielmehr sei ein großer Teil der Teilnehmer extrinsisch moti-

viert worden, d.h. viele Versicherte nahmen primär wegen der Empfehlung und

Fürsprache ihres Hausarztes oder der Programmkoordinatoren teil und weniger, weil

sie von Sinn und Zweck der Veranstaltung überzeugt waren (ebd.: 71).

6.3.1.5 Zur Übertragbarkeit des AGil-Programms von einem großstädtischen auf

einen ländlichen Kontext

Nach den Analysen der Forschungsgruppe Knesebeck spielte der ländliche und klein-

städtische Kontext des AGil-Programms im Kinzigtal einerseits eine für die Umsetzung

förderliche, anderseits aber auch eine hemmende Rolle.

Eine förderliche Rolle ergab sich durch die relativ enge soziale Vernetzung der

Versicherten: Die kommunikative Vernetzung erbrachte einen – im Vergleich zum

großstädtischen Kontext – spezifischen Zugangsweg und eine spezifische Form der

Werbung für das AGil-Programm, nämlich die sog. Nachbarschaftswerbung: „So

äußerten die an der Rekrutierung beteiligten Ärzte, dass Patienten, die zunächst Ein-

wände gegen die Teilnahme an der Intervention geäußert haben, nach einiger Zeit

dem Programm doch positiv gegenüberstanden, weil Bekannte ihnen davon positiv

berichtet hatten“ (ebd.: 94).

Auf der anderen Seite wirkte sich die ländliche und zum Teil bergige Region

auch hemmend auf die Programmteilnahme aus: Wegen des – im Vergleich zur

Großstadt Hamburg – schlechter ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetzes stellte die

ländliche Region für viele potentielle Versicherte eine Teilnahmebarriere dar, denn vor

allem ältere Frauen besitzen dort oft keinen Führerschein oder haben keine Fahrpraxis

(mehr), und auch die vom Veranstalter organisierten Fahrgemeinschaften werden von

einigen potentiellen Teilnehmern als Hürde wahrgenommen. Daher waren nach Anga-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

124

ben der befragten Ärzte mobile Versicherte mit Führerschein und Fahrpraxis unter den

Programmteilnehmern überrepräsentiert.

Zudem wurde die potentielle Wirksamkeit der Gesundheitsempfehlungen durch

besondere Gegebenheiten der ländlich und kleinstädtisch geprägten Region verringert:

Manche Sportstätten – wie z. B. Freibäder und Hallenbäder –, deren verstärkte Nut-

zung den Programmteilnehmern im großstädtischen Kontext häufig empfohlen wurde,

gibt es in weiten Teilen des Kinzigtals nicht bzw. für eine Nutzung müssen oft große

Strecken überwunden werden (vgl. Knesebeck et al. 2011: 95).

6.3.2 Bisherige Resultate der Ergebnisevaluation im Überblick

Im Folgenden werden die abgeschlossenen Teile der Ergebnisevaluation in vier Ab-

schnitten zusammengefasst (6.3.2.1 bis 6.3.2.4). Wie oben erläutert, dauern die Teile

der Ergebnisevaluation noch an, die auf der Auswertung von GKV-Routinedaten be-

ruhen. Zu letzterer geben wir in Abschnitt 6.3.2.5 lediglich einen kurzen Überblick und

Ausblick. Eine ausführlichere Darstellung dieser vorläufigen, d.h. noch nicht abge-

schlossenen Ergebnisse findet sich in Knesebeck et al. 2011: 107-184.

Die in den Abschnitten 6.3.2.1 bis 6.3.2.4 betrachteten Aspekte basieren auf

Primärdaten, genauer: auf standardisierten Befragungen der Programmteilnehmer.

Diese Ergebnisse beruhen auf den Angaben jener 229 AGil-Teilnehmer, die an allen

vier Befragungen (t0 bis t3) teilgenommen haben und von denen also vollständige

Befragungsdaten vorliegen. Der Anteil dieser Teilgruppe an allen Programmteilneh-

mern (n=361) beträgt 63,4 % (ebd.: 96).27 6.3.2.1 Veränderungen des Ernährungsverhaltens

In den standardisierten Befragungen wurden die Probanden jedes Mal gefragt, wie

viele Obst- und Gemüseportionen sie an einem „normalen Tag“ zu sich nehmen. Für

die 229 kontinuierlichen Studienteilnehmer ergab sich eine signifikante Zunahme nach

der Intervention, die auch längerfristig – bis zum letzten Befragungszeitpunkt 18 Mo-

nate nach Intervention (t3) – stabil blieb. Dies galt auch – und sogar verstärkt – für die

Teilgruppe der Studienteilnehmer, in deren Empfehlungsschreiben eine darauf bezo-

gene Empfehlung ausdrücklich enthalten war (vgl. ebd.: 98f).

Im Hinblick auf das Trinkverhalten galt es als gesund, wenn täglich mindestens

1,5 Liter nicht-alkoholische Getränke getrunken wurden. Hier gaben sehr viele AGil-

Teilnehmer bereits vor der Intervention (t0) eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr an.

Dementsprechend konnte nach der Intervention für die Gesamtgruppe der kontinuier-

lichen Studienteilnehmer (n=229) auch keine signifikante Zunahme festgestellt werden.

27 Ein Vergleich beider Teilgruppen zeigt, dass die Teilgruppe der an allen vier Befragungen teilneh-menden Probanden etwas jünger und gesundheitlich etwas weniger eingeschränkt ist als die Teilgruppe derer, die nicht an allen Befragungen teilgenommen haben (ebd.: 96).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

125

Bei jenem Drittel der Studienteilnehmer, die eine ausdrückliche Empfehlung bekamen,

täglich mehr zu trinken, konnte hingegen eine signifikante Zunahme eines gesunden

Trinkverhaltens ermittelt werden. Dies gilt aber in erster Linie für die Männer mit einem

entsprechenden Empfehlungsschreiben und weniger für die Frauen (ebd.: 99f). Bei den

Männern mit entsprechender Empfehlung war das veränderte Trinkverhalten auch 18

Monate nach Intervention stabil (ebd.). 6.3.2.2 Veränderungen des Bewegungsverhaltens

Das Bewegungsverhalten wurde mit den folgenden drei Fragen erhoben:

(1) „An wie vielen Tagen der letzten Woche waren Sie aus irgendeinem Grund

außerhalb Ihrer Wohnung unterwegs wie z. B. zum Spazieren, Einkaufen, für Besuche

oder andere Tätigkeiten?“

(2) „An wie vielen Tagen sind Sie in der letzten Woche leichten sportlichen

Aktivitäten nachgegangen wie z. B. Walken, Schwimmen, Radfahren?“

(3) „An wie vielen Tagen sind Sie in der letzten Woche anstrengenden sport-

lichen Aktivitäten nachgegangen wie z. B. Bergwandern, Joggen, Fußball?“

Mögliche Antworten auf alle drei Fragen waren „gar nicht“, „an 1-2 Tagen“, „an

3-4 Tagen“ oder „an 5-7 Tagen“.

Die Auswertung der erhobenen Daten zeigt, dass einfache Aktivitäten wie Spa-

ziergänge oder Besorgungen zu Fuß nach der Intervention nicht signifikant gesteigert

wurden, sondern der Tendenz nach sogar abnahmen – auch wenn diese Tendenz

nicht statistisch signifikant war (ebd.: 100).

Bei leichten sportlichen Aktivitäten wie z. B. Walken, Schwimmen oder Radfah-

ren war zwar im Trend eine leichte Zunahme zu verzeichnen; diese war jedoch nicht

signifikant. Dies gilt auch für die Teilgruppe der Probanden, deren Empfehlungsschrei-

ben eine entsprechende Empfehlung ausdrücklich enthielt (ebd.: 101). 6.3.2.3 Veränderungen sozialer Teilhabe und sozialer Vorsorge

Zur Ermittlung der sozialen Teilhabe wurde den Probanden eine Liste mit verschiede-

nen Gruppen und Vereinen vorgelegt; enthalten waren hier z. B. Kirche, Selbsthilfe-

gruppe, Sportvereine. Dabei wurden die Befragten gebeten anzugeben, wie häufig sie

an deren Aktivitäten teilnahmen. Mögliche Antworten waren „(fast) täglich“, „1 mal pro

Woche“, „1 mal pro Monat“, „seltener“ oder „nie“. Zudem wurden die Probanden

gefragt, mit wie vielen Verwandten sie sich treffen, wie viele von ihnen man auch um

Hilfe bitten und mit wie vielen man über persönliche Probleme sprechen würde.

Letztere Fragen wurden auch mit Bezug auf Freunde gestellt. Aus den Antworten auf

diese drei Fragen wurden drei Indikatoren für soziale Teilhabe gebildet.

In allen vier Befragungen wurden die Programmteilnehmer auch zu ihrer sozialen

Vorsorge befragt – Patientenverfügungen und allgemein Vorsorgevollmachten waren

auch ein Thema der AGil-Vorträge gewesen. In den Befragungen wurde daher gefragt,

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

126

ob die Betreffenden eine Patientenverfügung bzw. eine Vorsorgevollmacht erstellt

hatten und – wenn nicht – ob sie dies in Zukunft beabsichtigten.

Im Hinblick auf die Kontakthäufigkeiten zu Verwandten und Freunden sind im

gesamten Studienzeitraum keine signifikante Veränderungen festzustellen. Insgesamt

gehen die Häufigkeiten aller drei erfragten Kontaktarten tendenziell etwas zurück; die

Unterschiede zwischen den einzelnen Befragungszeitpunkten sind jedoch nicht signifi-

kant (ebd.: 98). Bei der sozialen Integration der Studienteilnehmer in Gruppen und

Vereinen ist das anders: Hier nehmen die Aktivitäten der Studienteilnehmer im Zeit-

verlauf nach der Intervention recht deutlich und signifikant zu, vor allem bei den männ-

lichen Studienteilnehmern (ebd.: 102f).

Auch im Hinblick auf die beiden Indikatoren der sozialen Vorsorge gibt es bemer-

kenswerte Veränderungen. Die Anzahl der weiblichen Probanden mit Patienten-

verfügungen oder mit einer entsprechenden Absicht nimmt zwischen dem ersten und

letzten Befragungszeitpunkt (t0–t3) signifikant zu. Bei den Männern geht der ent-

sprechende Anteil leicht – aber nicht signifikant – zurück (ebd.: 103). Im Hinblick auf

Vorsorgevollmachten ist sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern eine Zu-

nahme (t0-t3) festzustellen. Bei den Frauen fällt die Zunahme ziemlich deutlich aus und

ist zudem signifikant, bei den Männern hingegen nicht (ebd.: 104). 6.2.2.4 Veränderungen des subjektiven Gesundheitszustands und der gesund-heitsbezogenen Lebensqualität

Der subjektiv empfundene Gesundheitszustand und die gesundheitsbezogene Lebens-

qualität der Probanden wurden mit dem seit langem etablierten Instrument des SF-36

erhoben. Das Instrument enthält 36 Fragen; es lässt sich in acht Subskalen gliedern,

die jeweils einen anderen Aspekt des Gesundheitszustands wiedergeben – wie z.B.

körperliche Funktionsfähigkeit, das Ausmaß körperlicher Schmerzen, soziale Funk-

tionsfähigkeit oder verschiedene Aspekte des psychischen Befindens. Für die konti-

nuierlichen Studienteilnehmer ließen sich nur sehr geringfügige (und nicht signifikante)

Veränderungen für die acht Subskalen im Zeitverlauf ermitteln. Auch für bestimmte

Untergruppen der Probanden – z. B. für diejenigen, die ihr Ess- und Trinkverhalten

oder ihr Bewegungsverhalten verbessert hatten – ließen sich keine signifikanten Ver-

änderungen feststellen (ebd.: 104f). 6.2.2.5 Anmerkungen zur noch laufenden Ergebnisevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten

Während die auf Primärdaten basierenden Ergebnisse das Design eines Vorher-

Nachher-Vergleichs ohne Kontrollgruppe verfolgen, beruhen die mittels Sekundärdaten

ermittelten Ergebnisse auf dem Design einer retrospektiven kontrollierten Kohorten-

studie. Die Aussagekraft der zuletzt genannten Ergebnisse ist methodologisch also

höher einzuschätzen, da zur Kontrolle der Ergebnisse in der Interventionsgruppe eine

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

127

regelrechte Kontrollgruppe herangezogen wird – auch wenn diese nicht randomisiert

und nicht prospektiv bestimmt wurde.

Für die Sekundärdatenanalysen werden die sektorübergreifenden GKV-Routinedaten

von insgesamt 10.118 AOK-Versicherten berücksichtigt. Einbezogen werden die Daten

von Versicherten, die

- vor dem 01. Oktober 1952 geboren sind,

- ihren Wohnort im Kinzigtal haben (Postleitzahlen 777xx oder 78132),

- seit 2004 durchgängig oder bis zu ihrem Tod bei der AOK BW versichert waren.

58,3 % dieser 10.118 Versicherten waren Frauen, 41,7 % waren Männer. Das Durch-

schnittsalter betrug im Jahr 2007 71,2 Jahre; die Frauen waren dabei im Schnitt etwas

älter (72,6 Jahre) als die Männer (69,3 Jahre).

Diese 10.118 AOK-Versicherten wurden für die Sekundäranalysen in drei

Gruppen eingeteilt, nämlich in die Interventionsgruppe (AGil-Teilnehmer) und in zwei

Vergleichsgruppen (IVGK-Eingeschriebene, aber keine AGil-Teilnehmer vs. Nicht-

Eingeschriebene). Die zahlenmäßige Verteilung der 10.118 Versicherten auf die drei

Gruppen ist detailliert in Tab. 30 wiedergegeben; die Tabelle stellt auch das Durch-

schnittsalter und den Frauenanteil in den drei Gruppen dar. Bei den späteren Grup-

penvergleichen wird stets eine Alters- und Geschlechtsstandardisierung der drei Grup-

pen durchgeführt, damit die Ergebnisse trotz der – geringfügigen – Alters- und Ge-

schlechtsunterschiede möglichst gut vergleichbar sind. Tab. 30: Charakteristika der Interventionsgruppe und der beiden Vergleichsgruppen der AGil-Studie (AOK-Versicherte mit zuordenbaren GKV-Routinedaten) AGil-Teilnehmer IVGK-Eingeschriebe-

ne (am 30.06.2009)

übrige AOK BW-

Versicherte

Anzahl Versicherte 414 2.227 7.477

Frauenanteil (in %) 58,2 58,1 58,4

Durchschittsalter (in Jahren) 70,6 70,1 71,6

Aus Tab. 30 geht hervor, dass für insgesamt 414 Programmteilnehmer auch individuell

zuordenbare GKV-Routinedaten vorliegen. Zum jetzigen Zeitpunkt (März 2012) sind

jedoch nur für 232 Programmteilnehmer die Routinedaten für einen mindestens ein-

jährigen Zeitraum vor der Intervention und für einen einjährigen Zeitraum nach der

Intervention (Follow-Up-Zeitraum) auswertbar. Von diesen 232 Teilnehmern sind wie-

derum nur die Daten von 204 Probanden planmäßig auswertbar; die übrigen 28

Probanden können in der Endauswertung wegen Restriktionen bei der Datenzusam-

menführung nicht berücksichtigt werden (genauer hierzu: Knesebeck et al. 2012: 25-

29). Und lediglich für 158 dieser 204 Probanden liegt auch ein ausgefüllter Fragebogen

zum Erhebungszeitpunkt T0 vor, d. h. zum jetzigen Zeitpunkt können nur für 158 Pro-

banden deren GKV-Routinedaten in Verknüpfung mit den per Fragebogen gewonne-

nen Primärdaten ausgewertet werden.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

128

Dies erklärt auch, warum die Teile der Ergebnisevaluation, die auf der Auswer-

tung von GKV-Routinedaten basieren, noch nicht abgeschlossen sind: Für diejenigen

Programmteilnehmer, die z. B. erst im März 2009 für die Studie rekrutiert wurden, ist

der avisierte einjährige Follow-Up-Zeitraum erst mit den GKV-Routinedaten vollständig,

die den Zeitraum vom 01. 04. 2009 bis zum 31. 03. 2010 abbilden. Die GKV-Routine-

daten, die den Zeitraum bis 31. 03. 2010 abbilden, stellte die AOK Baden-Württemberg

der auswertenden Forschungsgruppe im Februar 2012 zur Verfügung. Mit dieser Da-

tenlieferung wird also für alle Programmteilnehmer, deren GKV-Routinedaten prinzipiell

verfügbar sind, ein mindestens einjähriger Follow-Up-Zeitraum auswertbar sein.

Zum jetzigen Zeitpunkt liegen daher noch keine verlässlichen Resultate der auf

GKV-Routinedaten basierenden Ergebnisevaluation vor. Erste, vorläufige Ergebnisten-

denzen sind im Bericht der Projektgruppe Knesebeck an das BMBF ausgeführt (ebd.:

107-184). Demnach zeigen sich aufgrund der bislang verfügbaren Daten für die AGil-

Interventionsteilnehmer keine Effekte im Sinne einer zurückgehenden Inanspruchnah-

me ambulanter oder stationärer Versorgungsleistungen durch die Intervention. Aller-

dings wurde bislang auch noch kein systematischer Vergleich zwischen Interventions-

gruppe und Kontrollgruppe angestellt (vgl. ebd.: 159-171). Auf eine genauere Dar-

stellung der bisherigen Ergebnisse der Inanspruchnahme-Analyse und der gesund-

heitsökonomischen Analyse verzichten wir an dieser Stelle.

6.4 Diskussion und Ausblick

Unsere Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse der AGil-Studie hat gezeigt,

dass die Programmteilnehmer das AGil-Programm sehr positiv bewertet haben: Rund

98% der Teilnehmer würden die Veranstaltung „jederzeit weiterempfehlen.“ Die ganz

überwiegende Mehrheit der Teilnehmer konnte ein halbes Jahr nach Intervention die

Empfehlungen der AGil-Gesundheitsberater in Bezug auf gesunde Ernährung und kör-

perliche Aktivität nach eigenen Angaben „bereits umsetzen“; weitere 15 bis 20% der

Teilnehmer wollten „demnächst“ damit beginnen.

In einem moderaten Umfang könnte das AGil-Programm bei den Teilnehmern

auch eine Veränderung des gesundheitsrelevanten Verhaltens begünstigt haben: So

nahm der durchschnittliche tägliche Verzehr von Obst und Gemüse nach der Inter-

vention signifikant zu, und auch die soziale Integration der AGil-Teilnehmer in gesell-

schaftlichen Gruppen und Vereinen war nach der Intervention signifikant höher als

zuvor. Keine signifikanten Veränderungen ergaben sich im Hinblick auf ein gesund-

heitsförderliches Trinkverhalten, körperliche Bewegung, soziale Kontakte mit engen

Familienangehörigen und Freunden und im Hinblick auf die subjektiv wahrgenommene

gesundheitsbezogene Lebensqualität, die mithilfe des SF-36 erhoben wurde. Das

soziale Vorsorgeverhalten (tatsächliche oder geplante Vorsorgevollmachten und Pa-

tientenverfügungen) nahm nach der Intervention bei den weiblichen AGil-Teilnehmern

zwar signifikant zu; ob dies aber als Effekt der AGil-Teilnahme interpretiert werden

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

129

kann, ist fraglich. Denn das Thema Vorsorgevollmachten (insbesondere Patientenver-

fügungen) wird in der gesamten Gesellschaft seit einigen Jahren verstärkt diskutiert, so

dass nicht klar ist, inwieweit die Zunahme eines Vorsorgeverhaltens bei den AGil-

Teilnehmern nur einen säkularen Trend widerspiegelt.

Das zuletzt genannte Argument wirft ein generelles methodisches Problem der

AGil-Studie auf: Für die Ergebnisparameter, die mittels Primärdaten erhoben wurden,

existiert keine irgendwie geartete Kontrollgruppe. So kann z. B. nicht geprüft werden,

inwieweit die unter den weiblichen AGil-Teilnehmern festgestellte Zunahme des sozia-

len Vorsorgeverhaltens über den säkularen Trend hinausgeht. Genausowenig kann

überprüft werden, ob beispielsweise die zeitliche Konstanz der gesundheitsbezogenen

Lebensqualität bei den AGil-Teilnehmern eine vergleichsweise Verbesserung gegen-

über gleichartigen Personen ohne AGil-Teilnahme darstellt: Es ist immerhin denkbar,

dass der säkulare Trend, der sich in den Werten einer entsprechenden Kontrollgruppe

ausdrücken würde, in einer signifikant zurückgehenden Lebensqualität bestünde. Wäre

das der Fall, so könnte die gleichbleibende Lebensqualität unter den AGil-Teilnehmern

unter Umständen als Erfolg des AGil-Programms interpretiert werden. Es zeigt sich

also, dass das Design eines Vorher-Nachher-Vergleichs offenbar zu schwach ist, um

unter den Bedingungen eines mutmaßlich geringen Programmeffekts aussagekräftige

Evaluationsergebnisse zu liefern. Für die bisherigen Ergebnisse gilt eine weitere Ein-

schränkung So positiv einige der oben referierten, auf Basis von Primärdaten gewon-

nenen Ergebnisse auch sind: Es handelt sich dabei um Teilnehmer-Angaben, bei de-

nen nicht auszuschließen ist, dass diese durch eine Antworttendenz im Sinne der „so-

zialen Erwünschtheit“ beeinflusst sind und dementsprechend positiv ausfielen.

Eine methodisch aussagekräftigere Prüfung der Wirksamkeit des AGil-Pro-

gramms ist also wohl eher in den Teilen der Ergebnisevaluation zu sehen, die die

Effekte der Programmteilnahme auf die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen

und Versorgungskosten zu messen versuchen, denn hier spielt der Aspekt der sozialen

Erwünschheit keine Rolle, und zur Kontrolle der Programmeffekte werden immerhin die

Vergleichswerte zweier Kontrollgruppen (retrospektiv) herangezogen. In diesem Punkt

müssen also noch belastbare Ergebnisse abgewartet werden.

An dieser Stelle wollen wir deshalb nur noch ein methodisches Problem be-

schreiben, das bei der Interpretation der noch ausstehenden Teile der Ergebniseva-

laution auftreten könnte: Das größte Problem bei der Beurteilung der Ergebnisse wird

voraussichtlich darin bestehen, eine „virtuelle Kontrollgruppe“ zu finden, die den Selbst-

selektionseffekt kompensieren kann, der sich bei den Teilnehmern des AGil-Pro-

gramms im Kinzigtal ausgewirkt haben könnte: Es kann nämlich angenommen werden,

dass die Programm- und Studienteilnehmer im Vergleich zu den zur Programmteil-

nahme zwar eingeladenen, aber nicht teilnehmenden Versicherten in höherem Aus-

maß Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die von vornherein mit einer überdurch-

schnittlichen Gesundheitsprognose assoziiert sind. Diese Annahme ist gleichbedeu-

tend mit der Vermutung eines „healthy-user-“ bzw. „healthy-adherer-Effekts“: Proban-

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

130

den, die über die persönlichen und/oder gesundheitlichen Ressourcen verfügen, die

nötig sind, um überhaupt ein bestimmtes Interventionsprogramm zu absolvieren, haben

in der Regel von vornherein eine bessere Prognose als diejenigen Probanden, die das

Interventionsprogramm abbrechen oder gar nicht erst beginnen. Würde man diesen –

wahrscheinlich auch mit der AGil-Programmteilnahme verbundenen – „healthy-ad-

herer-Effekt“ bei der Selektion einer virtuellen Vergleichsgruppe (oder zumindest bei

der Ergebnisinterpretation) nicht berücksichtigen, so würde man die Effektivität des

AGil-Programms wahrscheinlich überschätzen.28 Ein derartiger „healthy-user“ oder

„healthy-adherer-Effekt“ ist nicht nur theoretisch plausibel, sondern es gibt auch

empirische Hinweise darauf, dass er auch bei den Teilnehmern des AGil-Programms

im Kinzigtal existiert. So hat ein erster Vergleich von AGil-Teilnehmern und Nicht-

Teilnehmern durch die Forschungsgruppe Knesebeck gezeigt, dass die Teilnehmer im

Vergleich zu den Nicht-Teilnehmern sich offenkundig als gesünder einschätzten.

Ein weiteres Problem bei der Interpretation der Ergebnisse könnte sein, dass

sich die AGil-Programmteilnehmer von den Kontrollgruppen nicht nur durch die AGil-

Teilnahme (und einem evtl. „dazu gehörenden“ healthy-user-Effekt) unterscheiden,

sondern möglicherweise auch durch die Teilnahme an weiteren IVGK-Gesundheitspro-

grammen, die ja ebenfalls eine gesundheitserhaltende Wirkung haben sollten. Sofern

also die AGil-Teilnehmer zum großen Teil auch an anderen IVGK-Programmen teil-

nehmen – was aus Sicht der IVGK wünschenswert ist –, wäre die Treatment-Bedin-

gung „AGil-Teilnahme“ in methodischer Hinsicht „kontaminiert“ mit zusätzlichen ge-

sundheitsförderlichen Faktoren, die in dieser Form in der virtuellen Kontrollgruppe

vermutlich nicht zur Wirkung kämen. In diesem Fall würde die Effektivität des AGil-

Programms (als alleiniger Intervention!) ebenfalls überschätzt.29 Für die Verantwort-

lichen der IVGK wird dieser Aspekt letztlich zweitrangig sein, sofern das AGil-Pro-

gramm sozusagen „seinen Beitrag“ im „Konzert der IVGK-Programme“ leistet, d.h. im

Zusammenspiel mit den übrigen Interventionen zu einer gesünderen Bevölkerung und

zu komparativ geringeren Versorgungskosten beiträgt. Im Hinblick auf die Zurechnung

des eventuell zu beobachtenden Gesundheitseffekts (als Wirkung) zum AGil-Pro-

gramm (als Ursache) stellt dies jedoch ein konzeptionelles Problem dar. Zunächst sind

jedoch die noch ausstehenden Ergebnisse der AGil-Studie abzuwarten – möglicher-

weise stellt sich dann das Problem in der skizzierten Form nicht.

28 Natürlich ist es nur auf der Grundlage eines randomisierten kontrollierten Studiendesigns möglich, derartige Effekte vollständig auszuschalten bzw. zu kontrollieren. Dennoch wird man auch mit einer nicht-randomisiert gezogenen Kontrollgruppe in vielen Fällen Vorkehrungen treffen können, damit der beschriebene Effekt einigermaßen kontrolliert oder zumindest bei der Ergebnisinterpretation angemessen berücksichtigt werden kann. 29 Diesen Aspekt haben wir kürzlich in zwei Beiträgen als ein generelles methodisches Problem bei der Evaluation kleinräumiger Versorgungssysteme beschrieben (Siegel et al. 2011a und 2011b).

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

131

7 Versuch einer Zwischenbilanz der IVGK-Evaluation

Zum Abschluss wollen wir noch einmal auf die zu Beginn (in Abschnitt 2.3 und 2.4) ge-

nannten übergreifenden Fragestellungen der IVGK-Evaluation zurückkommen und

ausloten, inwieweit sich bereits beim jetzigen Stand der Evaluation Antworten andeu-

ten.

Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch keine verlässliche, aussagekräftige

Bilanz der Ergebnisse des AGil-Projekts ziehen. Da die methodisch aussagekräftigsten

Aspekte der Ergebnisevaluation des AGil-Programms noch ausstehen, gilt es diese

abzuwarten.

Eine recht ermutigende Bilanz ergibt sich unseres Erachtens aus den bisherigen

Ergebnissen der Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt).

Die Zufriedenheit der GK-Leistungspartner mit dem bisherigen Verlauf des IVGK-

Projekts war bei allen drei bisherigen Befragungen (2008, 2009 und 2010) insgesamt

sehr hoch (vgl. Abschnitt 5.3.5). So gaben rund 94 % der antwortenden Leistungs-

partner an, dass sie „wieder Mitglied in GK“ werden würden, wenn sie noch einmal vor

der Wahl stünden, und ebenfalls rund 94 % der Antwortenden würden „anderen die

Mitgliedschaft empfehlen“. Im Hinblick auf die Frage, ob im Zuge der Etablierung der

IVGK eine intensivere Kooperation zwischen den Vertretern verschiedener medizini-

scher Disziplinen und verschiedener Gesundheitsberufe entstehe, lässt sich eine posi-

tive Entwicklungstendenz erkennen (vgl. Abschnitt 5.3.6). Ein stetig steigender Anteil

derjenigen Leistungspartner, die bei allen drei Befragungen teilgenommen haben – und

insofern auch schon zu Beginn des Jahres 2008 Leistungspartner waren –, sieht für

sich bzw. die eigene Institution (Praxis oder sonstige Institution) Vorteile seit dem

Beginn der IVGK. Im Hinblick auf finanzielle Vorteile gilt das vor allem für die

Hausärzte, weniger für Fachärzte und die übrigen Leistungspartner (Klinikangestellte,

Physiotherapeuten, Vertreter von Pflegeheimen und Pflegediensten). Auch im Hinblick

auf verschiedene Indikatoren der Gesamtzufriedenheit gibt es Unterschiede zwischen

den drei Leistungspartnergruppen: Am zufriedensten sind die Hausärzte – deren

Zufriedenheitswerte erreichen nahezu das Optimum. Demgegenüber sind die

Fachärzte und die übrigen Leistungserbringer etwas weniger positiv gestimmt, aber

dennoch im Durchschnitt zufrieden (vgl. Abschnitt 5.3.6). Im Hinblick auf die Ent-

wicklung des Informationsaustauschs und interdisziplinärer Kooperation sehen eben-

falls die Hausärzte am häufigsten einen positiven Trend, gefolgt von den Fachärzten.

Bislang kaum Änderungen in diesem Bereich sehen die sonstigen Leistungspartner.

Ein Großteil der sonstigen Leistungspartner gehört jedoch erst seit kurzem der IVGK

an und hat bei der Drittbefragung (2010) zum ersten Mal überhaupt an einer Leistungs-

partnerbefragung teilgenommen. Es ist daher davon auszugehen, dass die in der T3-

Befragung festgestellten Unterschiede zwischen den drei Berufsgruppen schon allein

wegen der erst kurzen Zugehörigkeitsdauer vieler sonstiger Leistungspartner noch

sehr stark „im Fluss“ sind.

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

132

Eine insgesamt positive Zwischenbilanz können wir aus den bisherigen Ergebnissen

der ÜUF-Studie ziehen. Darin wird die Versorgung im Kinzigtal auf Basis von GKV-

Routinedaten evaluiert. Aus unserer Diskussion der bislang vorliegenden Ergebnisse

(vgl. Abschnitt 4.4) geht hervor, dass die auf Basis von GKV-Routinedaten bestimm-

bare Versorgungsqualität im Kinzigtal insgesamt als relativ hoch einzuschätzen ist und

im Zeitraum 2004-08 sich hinsichtlich vieler Indikatoren verbessert hat.

Eine Reihe von Phänomenen der Über-, Unter- oder Fehlversorgung scheinen

im Kinzigtal weniger ausgeprägt als im übrigen Baden-Württemberg. Im Hinblick auf

viele globale – d.h. nicht indikationsspezifische – Kennziffern und Qualitätsindikatoren

war die Versorgung im Kinzigtal bereits im Basisjahr 2004 dem übrigen Baden-Würt-

temberg überlegen (z.B. höhere Generikaquote, weniger problematische Arzneimittel-

verordnungen wie z.B. längerfristige Verordnung von Medikamenten mit hohem Abhän-

gigkeitspotential u.a.). In diesen Bereichen konnten die komparativen Vorteile des Kin-

zigtals auch in den Folgejahren weitgehend gehalten werden. Auch in Bezug auf

indikationsspezifische Kennziffern und Qualitätsindikatoren schneidet die Versorgung

im Kinzigtal alles in allem positiv ab und hat sich im betrachteten Zeitraum auch

vergleichsweise positiv entwickelt.

In Abschnitt 4.4.1 haben wir zwei verschiedene Algorithmen gebildet und erör-

tert, mit denen unseres Erachtens am zweckmäßigsten das Verhältnis zwischen „posi-

tiven Ergebnissen“, „neutralen Ergebnissen“ und „negativen Ergebnissen“ bei einzel-

nen Indikatoren zu bestimmen ist. Die Ergebniskategorisierung haben wir dabei grund-

sätzlich in komparativer Weise operationalisiert, d. h. wir haben die Ergebnisse im

Kinzigtal stets im Vergleich zum säkularen Trend kategorisiert; letzteren sahen wir in

der Versorgung der AOK- (bzw. LKK-)Versicherten im übrigen Baden-Württemberg

verwirklicht. Wie in Abschnitt 4.4.1 ausgeführt, sind für das Kinzigtal im Zeitraum 2004-

2008 deutlich mehr positive als negative Ergebnisse zu verzeichnen, und zwar un-

abhängig davon, welchen der beiden erörterten Algorithmen man letztlich anwendet.

Im einen Fall stehen 14 positiven Ergebnissen 13 neutrale und 4 negative Ergebnisse

gegenüber (Resultat 14: 13: 4). Im anderen Fall, dem ein eher konservativer Algorith-

mus zugrunde liegt, stehen 8 positiven Ergebnissen 21 neutrale und 2 negative Ergeb-

nisse gegenüber (Resultat: 8: 21: 2). Man sieht also, dass in jedem Fall die Anzahl der

positiven Ergebnisse die Anzahl der negativen Ergebnisse um den Faktor 3,5 bis 4

übersteigt. Dieses Ergebnis spricht also für eine vergleichsweise hohe und sich im

Zeitraum 2004-08 vergleichsweise erhöhende Versorgungsqualität im Kinzigtal.

Generell sollte jedoch angesichts der hier referierten Ergebnisse stets bedacht

werden, dass der bisher betrachtete Zeitraum nur fünf Jahre beträgt und deshalb die

anscheinend erkennbaren Trends noch nicht als stabil angesehen werden können.

Hierfür bedarf es noch weiterer Beobachtungsjahre.

Dieser Vorbehalt gilt besonders im Hinblick auf die übergreifende Forschungs-

frage, ob die Morbidität im Kinzigtal im Verlauf des IV-Projekts vergleichsweise re-

duziert werden kann und die Gesundheit der Versicherten im Kinzigtal und in der IVGK

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

133

sich günstiger entwickelt als im übrigen Baden-Württemberg. Zwar lässt sich erkennen,

dass in dem bisher betrachteten Zeitraum 2004-08 die administrativen Prävalenzen der

meisten untersuchten Ziel-Indikationen wie auch die Multimorbiditätsprävalenz im

Kinzigtal langsamer anstiegen als im übrigen Baden-Württemberg – was zweifellos ein

Ergebnis ist, das aus Sicht der IVGK als wichtiger Etappenerfolg angesehen werden

kann. Jedoch sollte man sich stets drei methodische Vorbehalte vor Augen führen,

bevor man Schlüsse im Hinblick auf die genannte Forschungsfrage zieht:

Zum ersten sind es – wie bereits erwähnt – bisher lediglich fünf Beobachtungs-

jahre, in denen sich ein solcher Trend zeigt. Das ist sicher ein noch zu kurzer Zeitraum,

damit ein Trend verlässlich bestimmbar ist. So ist beispielsweise bei einigen Indika-

tionen zu sehen, dass es vor allem vom Jahr 2004 zum Jahr 2005 Zäsuren bei den

ermittelten Prävalenzen gibt; es ist möglich, dass diese Zäsuren auch auf besondere

Kodier-Effekte im Jahr 2004 zurückzuführen sind (vgl. hierzu auch Abschnitt 4.4.1).

Analog dazu ist auch nicht völlig auszuschließen, dass z.B. in den GKV-Routinedaten

des Jahres 2009 – dem ersten Jahr des morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-

gleichs – sich Kodier-Effekte zeigen werden, die unsere heutigen vorläufigen Schluss-

folgerungen als überholt erscheinen lassen könnten.

Zum zweiten sind die auf Basis von GKV-Routinedaten ermittelten Prävalenzen

stets administrative Prävalenzen; das bedeutet, dass diese nur die im Versorgungs-

system gleichsam „aktenkundig werdende“ Krankheitslast widerspiegeln. Bei manchen

Krankheiten – wie z.B. Depressionen – ist jedoch bekannt, dass sie häufig nicht er-

kannt werden und somit „unterdiagnostiziert“ und folglich unterbehandelt sind, weswe-

gen die administrativen Prävalenzen die realen Prävalenzen unzureichend widerspie-

geln. Wird dann in einer bestimmten Region (wie etwa dem Kinzigtal) ein darauf bezo-

genes Interventionsprogramm implementiert – z.B. mit der Absicht, Depressionen

besser zu diagnostizieren, um sie möglichst frühzeitig behandeln zu können –, dann ist

es denkbar, dass die administrative Prävalenz zunächst einmal ansteigt, obwohl Diag-

nostik und Behandlung effektiver werden.

Zum dritten sind Prävalenz-Kennziffern (und ihre Veränderung im Zeitverlauf)

grundsätzlich weniger aussagekräftig als es z.B. Inzidenz-Ziffern sind, die die Häufig-

keit neu auftretender Erkrankungen in einem bestimmten Zeitraum und in einer defi-

nierten Population messen. Inzidenzen und Inzidenzunterschiede zwischen Interven-

tionsregion und Vergleichsregion können jedoch zum jetzigen Zeitpunkt im ÜUF-Pro-

jekt für viele interessierende Krankheitsbilder (z.B. neu auftretende Herzinfarkte oder

Re-Infarkte; bestimmte Folgeerkrankungen bei Patienten mit Diabetes, etc.) noch nicht

verlässlich bestimmt werden. Hierfür ist es nötig, deutlich längere Zeiträume zu berück-

sichtigen, damit mehr neu auftretende Fälle als bisher beobachtet werden können.

Natürlich ist es möglich, dass die bisher beobachteten ersten Trends einer lang-

samer ansteigenden Krankheitslast im Kinzigtal gleichsam das „erste Kapitel“ in Sa-

chen erfolgreicher Prävention darstellen. Man sollte jedoch der Versuchung widerste-

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134

hen, bereits zum jetzigen Zeitpunkt von einer komparativ abnehmenden Krankheitslast

und einem dadurch höheren Gesundheitsnutzen im Kinzigtal zu sprechen.

Während die Zwischenergebnisse aus dem ÜUF-Projekt und dem PeGL-Projekt

aus Sicht der IVGK unseres Erachtens bislang sehr ermutigend sind, verhält es sich

beim SDM-Projekt etwas anders. Denn das am meisten überraschende Zwischener-

gebnis im SDM-Projekt lautet: Das Ausmaß der erlebten Beteiligung von Patienten an

Therapieentscheidungen verringert sich bei den in die IVGK eingeschriebenen Patien-

ten signifikant stärker als bei den übrigen Probanden. Zwar ist das Ausmaß des „über-

mäßigen“ Rückgangs der erlebten Beteiligung bei den IV-Versicherten nicht drama-

tisch, d.h. es ist klinisch „nicht relevant“ (Härter et al. 2010: 29); dennoch ist es ein

statistisch signifikantes Ergebnis, das den Erwartungen und Forschungshypothesen

widerspricht. Obwohl die gesunkene erlebte Beteiligung bei den IV-Versicherten sich

bislang nicht auf deren Zufriedenheit mit der hausärztlichen Versorgung niederge-

schlagen hat – diese ist nämlich weiterhin auf einem etwas (statistisch aber nicht sig-

nifikant) höheren Niveau als die Zufriedenheit der Probanden aus der Kontrollregion

um Sigmaringen-Biberach –, halten wir die zurückgegangene erlebte Beteiligung der

IV-Versicherten für erklärungsbedürftig. Wie in Abschnitt 3.4.1.2 ausführlich diskutiert,

sehen wir grundsätzlich drei Möglichkeiten, dieses vorläufige Ergebnis zu erklären:

(1) Im Hinblick auf ein analoges Studienergebnis aus der Schweiz (vgl. Abschnitt

3.4.1.2) ist prinzipiell folgendes Erklärungsmuster denkbar: Da Netzwerkpraxen in der

Regel stärker als Einzelpraxen auf Basis strukturierter und evtl. sektorenübergreifender

Behandlungspfade arbeiten, erscheinen den Patienten von Netzwerkpraxen die mögli-

chen Behandlungsoptionen in stärkerem Ausmaß vorgegeben als den Patienten von

Einzelpraxen. In Einzelpraxen können die Behandlungsoptionen deshalb in größerem

Ausmaß als „selbstständig bestimmt“ und „aushandelbar“ erscheinen, da dort die Arzt-

Patient-Dyade in geringerem Ausmaß in ein übergreifendes (Behandlungs-)Netz einge-

bunden ist als in Netzwerkpraxen mit ihrer Vielzahl an strukturierten Behandlungs-

programmen. Dieses Erklärungsmuster impliziert, dass in der zurückgehenden „erleb-

ten Beteiligung“, die bei den IV-Versicherten im Kinzigtal gemessen wurde, eine

objektiv sinkende Patientenbeteiligung ihren angemessenen Niederschlag gefunden

hat.

(2) Im Gegensatz zur zuletzt genannten Annahme kann man aber auch davon

ausgehen, dass in den Wahrnehmungen und Situationseinschätzungen der IV-Pro-

banden sich nicht nur eine (möglicherweise) objektiv verringerte Patientenbeteiligung

widerspiegelt, sondern dass sich in der zurückgehenden erlebten Beteiligung zu-

mindest auch ein Erwartungseffekt ausgewirkt hat: Die umfangreichen Eingangs-

untersuchungen, Befragungen und Therapiezielvereinbarungen, die bei den IV-Versi-

cherten unmittelbar nach deren Eintritt in die IVGK stattfanden, waren zweifellos geeig-

net, bei den IV-Versicherten anfangs besonders hohe Erwartungen an die IVGK (in

punkto Patientenbeteiligung und Versorgungsqualität) zu wecken – Erwartungen, die

im Behandlungsalltag der folgenden Monate und Jahre vermutlich so nicht eingelöst

EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung

135

werden konnten. Die folgende „Ernüchterung“ führte dann folgerichtig – so kann man

annehmen – bei den IV-Versicherten zu einer etwas kritischeren Sichtweise des

ärztlichen Beteiligungsverhaltens. Mit der Annahme eines solchen Ernüchterungs-

effekts könnte jedenfalls plausibel erklärt werden, warum die erlebte Beteiligung unter

den IV-Versicherten von einem überdurchschnittlichen Niveau aus startete (T0-Befra-

gung), aber seit der T1-Befragung sich auf einem unterdurchschnittlichen Niveau be-

fand, was sich aber erst bei der T2-Befragung in einem statistisch signifikanten Effekt

auswirkte (vgl. Abschnitt 3.3.5.3). Den gerade beschriebenen Erwartungseffekt zu

unterstellen, erfordert nicht unbedingt, eine objektiv sinkende Patientenbeteiligung –

worauf das Erklärungsmuster (1) fokussiert – zu negieren. Denn man kann unter-

stellen, dass beide Effekte wirksam waren, d.h. dass sowohl die Patientenbeteiligung in

der IVGK objektiv zurückging als auch der beschriebene Ernüchterungseffekt auftrat.

Unmöglich ist es jedoch, die relative Größe der beiden Effekte mit Verweis auf

empirische Daten zu bestimmen, da die im SDM-Projekt eingesetzten Messinstru-

mente etwaige „objektive“ Effekte nicht separat von den Wahrnehmungen und Erwar-

tungen der Patienten messen, sondern stets nur „Gesamteffekte“ – d.h. die objektive

Realität so, wie sie durch den befragten Probanden wahrgenommen wird.

(3) Wenn man grundsätzlich unterstellt, dass auch ein Erwartungseffekt der oben

beschriebenen Art stattgefunden hat und man aber beide Effekte – nämlich den

„Ernüchterungseffekt“ und den Effekt einer objektiv veränderten Beteiligungsrealität –

nicht quantifizieren kann, dann ergibt sich theoretisch noch ein drittes mögliches Erklä-

rungsmuster: Man könnte unterstellen, dass sich die Patientenbeteiligung in der IVGK

objektiv sogar etwas erhöht hat, da ja entsprechende Fortbildungsveranstaltungen für

die Ärzte sowie die mit Patienten abgeschlossenen Zielvereinbarungen auch eine –

wenn auch geringe – beteiligungsfördernde Wirkung hinterlassen haben müssten. Ver-

träte man ein solches Argument, dann müsste man dennoch anerkennen, dass der

mutmaßliche Anstieg der „objektiven“ Patientenbeteiligung letztendlich so gering war,

dass er von dem beschriebenen Ernüchterungseffekt dominiert, d.h. überkompensiert

wurde, denn der Gesamteffekt steht ja zweifelsfrei fest: Die von den Patienten wahrge-

nommene Patientenbeteiligung ging in der IVGK signifikant stärker zurück als in den

Kontrollgruppen.

Wir verfügen nicht über empirische Daten, die uns verlässliche Hinweise darauf

geben könnten, welche der drei Erklärungsmöglichkeiten die Realität am besten trifft.

Wir haben jedoch in Abschnitt 3.4.1.2 begründet, dass uns das dort ausgeführte zweite

Erklärungsmuster am plausibelsten erscheint, und zwar auch angesichts – eher er-

nüchternder – neuester Literatur-Reviews zu der Frage, welche Arten von SDM-Inter-

ventionen zu einer objektiv größeren Patientenbeteiligung an Therapieentscheidungen

führen. Mit anderen Worten: Die Ergebnisse neuester Literatur-Reviews machen es

eher unwahrscheinlich, dass Erklärungsmuster (3) zutrifft. Wie dem auch sei: Bisher

müssen wir jedenfalls die anfangs (vgl. Abschnitt 2.4) gestellte Forschungsfrage ver-

neinen, ob ein Versorgungssystem wie die IVGK zu einer aus Patientensicht stärkeren

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136

Patientenbeteiligung an Therapieentscheidungen führt. Ungeachtet dieses Teilergeb-

nisses ist die Zufriedenheit der IVGK-Patienten mit der hausärztlichen Versorgung ins-

gesamt weiterhin sehr hoch, und sie wird auch von den Zufriedenheitswerten der

Kontrollgruppen nicht übertroffen.

Angesichts der viel versprechenden Ergebnisse aus den anderen Evaluations-

studien (PeGL-Projekt und vor allem ÜUF-Projekt) erscheint die eher „gemischte“ Zwi-

schenbilanz des SDM-Projekts aus Sicht der IVGK gut verkraftbar. Wichtiger aber als

die Frage, ob am Ende der IVGK-Evaluation auch Ergebnisse stehen, die den optimi-

stischen Erwartungen entsprechen, ist aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung fol-

gende Feststellung: Die Evaluation der IVGK ist insgesamt auf einem guten Weg,

brauchbare Antworten auf gestaltungsrelevante und zukunftsweisende Forschungs-

fragen hervorzubringen.

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