Jan Assmann, HIEROTAXIS Textkonstitution und Bildkomposition in der altägyptischen Kunst und Literatur

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    HIEROTAXIS

    Textkonstitution und Bildk ompos ition in der altgyptischen Kunstund Literatur

    Jan Assmann

    1 VorbemerkungenAls die beso ndere Leistun g der altg yptis chen Kultu r hat man im-mer und zu Recht ihre Form kraft a ngeseh en, die einzig artig e F-higkeit, sowohl gltige Formen von unerschpflicher Wiederholb ar-keit auszu bilde n als auch sich diesem Wied erho lungs ansp ruch aufJahrtausende zu unterw erfen. Denn die einziga rtige Zeitre siste nzder gyptischen Formensprache verda nkt sich ja ganz offensichtlichnicht nur einem entschlossenen Festhalten und einer immer erneu-erten Rckbi ndung ber die Jahr taus ende hinwe g, sondern auch einerintrinsischen "Ausgereiftheit" und "Vollkommenheit" (nichts ande-res besagt der gyptische Begriff der Schnheit: nfrw), die auchwir, von Piaton bis heut e, nur bewun dern knnen. Die Formen sindnicht nur immer wied erho lt worden, sie war en allem Ansc hei n nachvon Anf ang an auf unbeg renzt e Wie derh olb arke it, d.h. auf "Ewig-keit" angelegt. Ein es der Probl eme, mit denen uns dieser Befundkonfrontiert, schien in der bis zu Fechts Arbei ten unbez weife ltenTatsache zu liegen, da sich dieser gran diose Form sinn auf diebildende Kuns t und die Arch itek tur besc hrn kt, und da sich auchdiesem jahrta usend elange n Festhal ten an einem Form enka non - imvollen religi sen Sinn des Kanon -Begr iffs - in der sprachl ichenTradition nicht s Ents prec hende s an die Seite stellen lt. Diegypter hatten Heilige, aber nicht Kanonische Texte. Das Korpusder Pyra mide ntex te ent wicke lte sich zu dem der Sargte xte undschlielich zum Tote nbuc h, und erst in der Sptzeit ist mit dersog. "Saitisch en Rezension" des Totenb uchs dieser Proze sti llge-stellt worden. Vergeb lich suchte man auf textlichem Gebiet nacheiner der bildenden Kunst vergleichbaren Form strenge und Form -treue. Was Piaton gemeint haben knnte, der in seine Bewunderung

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    Originalverffentlichung in: J.Osing, G.Dreyer (Hg.), Form und Mass. Beitrge zu Sprache, Literatur und Kunst des alten ypten.Festschrift fr Gerhard Fecht, Wiesbaden 1987, S. 18-42

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    fr die gyptische Kunst auch die "Musik", d.h. also Poesie, ein-bezog und den zeitlos gltigen "Formen" (Schemata) der bildendenKunst die ebenso zeitlosen "Weisen" (mele) der Lyrik gegenber-1stellte , bleibt rtselhaft.In dieses Dunkel haben Fechts Arbeiten zur gyptischen MetrikLicht gebracht. Seine Textanalysen beruhen auf einem untrglichenFormsinn, der erstmals in der gyptologie vom Text als einersthetischen Ganzheit ausgeht und alle Einzelaussagen auf diesenRahmen bezieht. Niemand wird bestreiten, da diese Methode einerintegralen, d.h. in allen Schritten auf den Text als Gesamtrahmenbezogenen semantischen Textanalyse das Verstndnis jedes einzel-nen Textes, auf den Fecht sie angewendet hat, entscheidend gefr-dert hat. Nichts legitimiert eindrucksvoller die innere Wahrheitder gefundenen Form, als dieser Gewinn an Sinn. Fr Fecht und al-le, die ihm auf diesem Wege gefolgt sind, stellt sich nun das al-te Problem in der umgekehrten Richtung. Wie lt sich das, was anFormprinzipien in der gyptischen Sprachkunst in den Blick getre-ten ist, mit den Formprinzipien der bildenden Kunst in Verbindungbringen? Fecht selbst, dessen Formsinn sich auf dem Gebiet der

    2bildenden Kunst in uerst treffenden Analysen bewhrt hat , be-schftigen diese Fragen intensiver, als seine verffentlichtenArbeiten glauben lassen, und ich denke dankbar an manche Seminareund Gesprche zurck, die meinen eigenen Forschungen und berle-gungen auf diesem Gebiet Ansto und Richtung gegeben haben. Indiesen Problemkreis gehren die folgenden Gedanken.2 Semantische Hierarchie in der TextgliederungZur Frage nach Entsprechungen der Metrik in der Bildkunst hat Pe-ter Munro seine interessante These einer "Bildmetrik" vorgelegt .Sie mte an weiteren Beispielen substantiiert werden; die ersten

    1 Plato, Legg. 2.656-7 (cf.7.799 a-b), vgl. dazu Wh.M. DAVIS,Plato on Egyptian Art, in: JEA 65, 1979, 121-127.2 G. FECHT, Vom Wandel des Menschenbildes in der gyptischen Rund-plastik, Hildesheim 1965.3 P. MUNRO, Untersuchungen zur altgyptischen Bildmetrik, in:Stdel Jb. NF 3, Mnchen 1971, 7-42; DERS., in: L I 582-86 s.v.Auszeichnung durch graphische Mittel. S.a. K.-H. MEYER, Kanon,Komposition und 'Metrik' der Narmer-Palette, in: SAK 1, 1974,247-65; DERS., in: L II 244-256 s.v. Flachbild.

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    Ergebnisse sind vielversprechend. Ich selbst gehe einen ganz ande-ren Weg, der sich mit Munros Methode brigens in keiner Weise aus-schliet. Ich beschrnke mich auf die rein semantischen Aspekteder Gliederung, sehe also beim Wandbild wie beim Text von allemMessen und Zhlen ab und suche den gemeinsamen Nenner beiderKunstgattungen in der Hierarchie, d.h. der sowohl sthetischen wielogischen Unterordnung der Einzelelemente unter das Ganze. Diesesehr elementaren und teilweise banalen Beobachtungen lassen sichdann in den Bereich des Messens und Zhlens hinein ausweiten, siebehalten aber auch ihre Gltigkeit ohne solche im engeren Sinnemetrische Verifikation, genauso wie Fechts Methode einer semanti-schen Texta nalys e auch unabhng ig von dem reko nstru ierte n Regel-system ihre Gltigkeit hat.Jeder Text ist gegliedert. Aber nicht jede Gliederung ist eine"Gestalt" in einem sthetisch relevanten Sinne. Aisthesis heit"Wahrnehmung"; stheti sch irreleva nt ist daher das Unsche inba re.Um sthetis ch bedeut sam zu werd en, mu eine Gestalt in Ersc hei-nung treten. Wah rneh mba r wird eine Gestal t durch zweierlei: ein-mal negativ, durch Ausschaltung von berschssiger Vielheit undStiftung eines strengen Selektionsrahmens, dessen konomie nurganz bestimmte Elemente zult, und zum anderen positiv: durchRekurrenz. Erst in seinem Mehrfachauftreten gibt sich ein Elementals formkonstitutiv zu erkennen. Wir nennen das negative Verfah-ren "Stil" und drfen wohl dav on ausge hen , da es in der Fo rmeines Selektionsrahmens in gypten konventional isiert und jedemEinzeltext vorgegeben war. Das positive Verfahren, das geordneteMehrfachauftreten der Elemente nennen wir "Form". Auf diesen As-pekt wollen wir uns im folgenden beschrnken. Rekurrenz bildetdie universale Grundlage aller poetischen Formung. Uns ist sieals Rhyth mus und Reim mehr in der Form phone tisch er Rekurr enzvertraut, in der orient alisc hen Wel t spielt sie vor allem auf se-mantischer Ebene , als "Gedanken reim" (Herder) eine Rolle. Dur chRekurrenz wird eine Textgliederung sthetisch wahrnehmbar, undauch fr gy pte n gilt, was von vornh erei n anz unehmen war: da

    "co vujTi- hl :K ;'^I5lIdies eine Rekurrenz auf semantischer Ebene ist .4 Vgl . hierzu G. FECHT, Stilist ische Ku nst, in: HdO 1.1 g ypt olo -gie, 2: Liter atur, 2.Aufl. 1970, 19-51, Absc hnit t "Phnomen eder Wiederholung und Rckkehr", 38-51.20

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    Rekurrenz auf semantischer Ebene nennt man Parallelismus membro-rum. Roman Jakobson hat diesen aus der alttestamentlichen Wissen-schaft stammenden und dort, mit Bezug auf die hebrische Dichtung,in einem sehr viel engeren Sinne gebrauchten Terminus auf seman-tische Rekurrenz allgemein ausgeweitet, unabhngig davon, ob siesich auf ein Verspaar oder eine mehrere Verse umfassende Gruppeoder schlielich um distante Textelemente bezieht^. In diesemSinne ist der Begriff geeignet, auch das Grundprinzip der gypti-schen Dichtung, so wie es in der Rekonstruktion G. Fechts hervor-tritt, zu beschreiben. Einzelne Verse werden durch semantischeRekurrenz zu Versgruppen, Versgruppen zu Strophen, Strophen zuhheren Einheiten und schlielich zum Gesamttext verbunden. Des-zendent formuliert: der Gesamtsinn des Textes gliedert sich inkapitelkonstitutive, diese wieder in strophenbildende, diese inversgruppenbildende Teilaspekte. Es gibt drei Grundformen von se-

    7mantischer Rekurrenz: Synonymie, Antithese und Progression . Da-von ist Synonymie am strksten, Progression am schwchsten wahr-nehmbar im sthetischen Sinne. Rekurrenz ist auch in anderer Hin-sicht intensivierbar. Die Anzahl der rekurrenten Seme kann hheroder niedriger sein; sie ist hher z.B. in einem Verspaar wie

    Du bist Amun, der Herr des SchweigendenQ

    der kommt auf die Stimme des Armenwo sich "Herr" mit "der kommt auf die Stimme" und "Schweigender"roit "Armer" "reimen", sie ist niedriger in einem Verspaar wie

    Ich fand den Herrn der Gtter, wie er gekommen warim Nordwind,

    9sen Lufthauch ihm vorauswo sich nur "Nordwind" und "ser Lufthauch" reimen. Sie knnen5 St. GEVIRTZ, Patterns in the Early Poetry of Israel, SAOC 32,1963. M. DAHOOD, Psalms 1-50, The Anchor Bible, New York 1966,XXXIII-XXXV; J. K R A S O V E C , Der Merismus im Biblisch-Hebrischenund Nordwestsemitischen, Rom 1977.6 R. JAKOBSON, Poetik, Frankfurt 1979. Vgl. J. ASSMANN, in: L900-910 s.v. Parallelismus membrorum.7 Vgl. die drei schon von Bischof Lowth 1753 unterschiedenen Ty-pen des Parallelismus membrorum: Synonymer, Antithetischer undSynthetischerP. (ASSMANN, a.a.O., 900).

    8 Berlin 20377 = HG Nr. 148, B 1-5-16.9 HG 148, B 39-90.

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    vor allem untersttzt werden durch Rekurrenzen auf anderen Ebenen,r~ 1 . . , ' M M - , M M U H , 10 < - -vor allem syntaktischer StrukturenUnter all diesen Formen sthetischer Hervorhebung einer semanti-schen Textgliederung durch Rekurrenz ist die paarweise Verkopplungbenachbarter Verse nur eine. Es ist daher ein Rckschritt gegen-ber der Forma nalys e G. Fechts, wenn dieses Verfa hren zu dem po e-tischen Formprinzip schlechthin verabsolutiert wird, wie es John

    11L. Foster vorg esch lage n hat . Natr lich hat die Distich enstr uk-tur auf Grund ihrer leichten Wahrnehmbarkeit eine spontane Evidenzund wird deswegen imm er eine Grundf orm von beso nder er V erbre itungdarstellen; in schriftlichen Literaturwerken spielt aber geradeder sich erst dem eindr ingen den Lesen und Wied erle sen ersc hlie en-de Gesam taufba u, die "Architektur" des Text es, eine bede uten desthetische Rolle, und man darf erwarten, da ein in solchen For-men geschult er Sinn ganz andere Zusammen hnge zu erfasse n vermagals unser durch bermige Schriftkommunikat ion verbildetes Ge-dchtnis. Ich mc hte daher, gegen Foster und fr Fecht, entsc hie-den dafr pldieren, semantische Rekurrenz als poetisches Form-prinzip auf allen Ebenen der hierarchischen Textgliederung anzuer-kennen. Die dicht erisc he Form mani fest iert sich sowohl linear, inder semant ischen Verkn pfun g der Einz elve rse, als auch ru mlich,in der Architektur des Gesamtaufbaus. Und angesichts der Tatsache,da alles Sprechen notwendigerweise in linearer Form auftritt, istes die architektonische Form, die als geordnete Hierarchie sthe-tisch wahrnehmbar gewordene Textgliederung, die sich als dasBesondere, Unwah rsche inlic he und in dies em Sinne "Poetische" ausdem Alltagsgebr auch der Sprache heraushebt.Der architektonischen Rumlichkeit des poetischen Textes trgt diegyptische Termi nolog ie Rechn ung, indem sie den gefor mten Text

    1 2hwt, d.h. "Haus" nenn t . hwt heit ein Text aber immer nur dann,wenn er als Teil eines Zyklus auftritt. Es ist ein Terminus der10 Vgl. hierzu S.R. LEVIN, Linguistic Structures in Poetry, JanuaLinguarum, ser. min. 21, 1962 bes . 30- 41.11 J.L. FOSTER, Thought Couplets and Clause Sequences in a Lite-rary Text: The Maxims of Ptah-hotep, Toronto 1977, sowie meh-rere Auf st ze in JNE S, s. L IV 907-10 .12 Vgl. dazu A.M. BLACKMAN, in: Or 7, 1938, 64ff.; weitere Belegebei ASSMA NN, Liturgische Lie der, 246 m.n. 5.

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    Abgrenzung, nicht der Zusammenfassung. Der Text ist, in Abwandlungeines Wortes von Martin Heidegger, "das Haus des Sinns", aber erwird in gypten als solches nur bezeichnet in Abgrenzung zu ande-ren "Husern". Uns interessiert aber mehr die Innenarchitektur desTextes, d.h. seine (semantische) Gliederung. Wie kann sie durchRekurrenz als poetische Form wahrnehmbar werden? Wir wollen hiernicht in Einzelheiten gehen und uns nur soviel klarmachen, da je-de Rekurrenz eine Verrumlichung, ein Anarbeiten gegen das linea-re Verflieen des Textes ist und da solche Verrumlichung umsointensiver und groartiger gelingt, ber je grere Abstnde hin-weg Bezge durch Rekurrenz wahrnehmbar gemacht werden, bis danneinem Leser oder oftmaligen Hrer der Text in seiner Gesamtarchi-tektur "vor Augen steht". Jedem Musikhrer ist dieser verrumli-chende, orientierende, den Augenblickseindruck in einen wahrnehm-baren Gesamtaufbau einbindende Effekt der Rekurrenz vertraut. ImText ist es aber gerade nicht die musikalisch-klangliche Seite derSprache (Rhythmus, Alliteration, Reim usw.)/ die diesen Effektvornehmlich erzeugt, sondern die semantische. Denn nur auf derEbene des Sinns knnen grere Zusammenhnge ber Abstnde hinwegdeutlich, kann vor allem die Art des Zusammenhangs spezifiziertund hierarchisch gestuft werden.Die gyptische Metrik, so wie sie sich in der RekonstruktionG. Fechts darstellt, beruht in einem (zumindest von der abendln-dischen Tradition aus gesehen) ganz ungewhnlichem Umfang auf se-

    1 3mantischer Rekurrenz und stellt daher eher die rumlich-archi-tektonischen Qualitten eines Textes im Sinne eines hierarchischgegliederten Aufbaus als die klanglichen Qualitten in den Vorder-grund. Damit nhert sie sich in einem rein formalen Sinne der bil-denden Kunst. Diese rein strukturelle Analogie gewinnt jedoch inberraschendem Umfang an inhaltlicher Substanz, wenn man sie ein-mal von der Seite der bildenden Kunst, vor allem der Flachkunst

    1 4betrachtet . Denn hier zeigt sich, da dasselbe Prinzip einesnach rein semantischen Kriterien hierarchisch gegliederten Auf-baus auch die Komposition des gyptischen Bildes bestimmt. In die-13 Zur sinngliedernden Funktion der gyptischen Metrik s. beson-ders G. FECHT, Literarische Zeugnisse der 'Persnlichen Frm-migkeit' in gypten, AHAW 1965, 111-115.14 zur Beziehung von sprachlicher und bildnerischer Form s. FECHT,ibd., 19f. sowie 115 m. Anmerkung 92.

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    sem Prinzip konvergieren Sprachkunst und Bildkunst. Auch die gyp-tische Bildkunst beruht in einem - uns auf diesem Gebiet noch vielungewohnteren - Umfang auf semantischen Kategorien. SemantischeKohrenz tritt an die Stelle rumlicher Kohrenz und mit den da-durch gegebenen Mglichkeiten hierarchischer Abstufung eine stren-ge hypotaktische Gliederung an die Stelle der in aller Kunst vorErfindung der Zentralperspektive vorherrschenden additiven oderaggregierenden Komposition. Diese These soll im Folgenden nhererlutert werden.3 Semantische Hierarchie in der Bildkomposition3.1 Abstrakte Elemente im gyptischen BildJedem, der sich einmal der Aufgabe gewidmet hat, das Dekorations-programm eines gyptischen Tempels oder Grabes zu beschreiben,wird sich in der reichabgestuften Hierarchie seiner bedeutungshal-tigen Elemente, von der Einzelfigur ber die Szene, die Szenen-gruppe, das Register, das Wandbild, die Wand, den Raum, die Raum-folge bis zum Gesamtbauwerk, die Analogie zu einem komplexen Textaufgedrngt haben und seiner Gliederung in Kapitel, Abschnitte,Abstze bis hinunter zum einzelnen Satz - vergleichbar der "Szene"1 5- und Satzglied - vergleichbar der Einzelfigur . Aus diesem viel-15 Zur semantischen Analyse komplexerer Dekorationsprogramme vgl.einerseits die Untersuchungen der "Grammaire du temple": P.DERCHAIN, in: CdE 3 7 , 1 9 6 2 , 3 3 f . ders., BSFE 4 6 , 1 9 6 6 , 1 7 sowiev.a. E. WINTER, Untersuchungen zu den gyptischen Tempelreliefsder griechisch-rmischen Zeit, DAW 9 8 , 1 9 6 8 , andererseitsGrabpublikationen bes. der Saitenzeit, z.B. J. ASSMANN, DasGrab des Basa, AV 6 , 1 9 7 3 , und Das Grab der Mutirdis, AV 1 3 ,

    1 9 7 7 .Auf einer mehr theoretischen Ebene hat R. TEFNIN, Discours eticonicite dans l'art egpytien, in: GM 7 9 , 1 9 8 4 , 5 5 - 7 1 , die Zu-sammenhnge von Sprache und Bild im gyptischen verfolgt. SeineAuffassung berhrt sich in vieler Hinsicht mit meiner Position.Den Hauptunterschied sehe ich darin, da Tefnin die Analogiezwischen der hierarchischen Stufung im Bildaufbau, von der Ein-zelfigur bis zur Wand und zur architektonischen Einheit, undder Stufung der bedeutungstragenden Einheiten, vom Morphem biszum Text, im natrlichen Sprachbau des gyptischen wie jederanderen Sprache im Blick hat, whrend es mir um die Analogie,ja Identitt der Prinzipien geht, die in der gyptischen Kunstund Poetik, jenseits der natrlichen Gegebenheiten des Bildensund Sprechens, Bildaufbau und (poetische) Textkonstitution re-geln. Tefnin geht es um die Analogie zwischen Kunst und Spra-che, mir um die zwischen Kunst und poetisch geformten Text. Diebeiden Positionen schlieen sich nicht aus, im Gegenteil sindviele Bemerkungen R. Tefnins hier unmittelbar anschliebar.

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    stufigen Gefge mchte ich mich hier auf einen Ausschnitt be-schrnken und beim Wandbild als oberster Einheit haltmachen. Esgeht um die Prinzipien, die den Aufbau des Wandbildes aus Regi-stern und Szenen organisieren. Als semantische Prinzipien sindsie "abstrakt", d.h. sie haben keinen ikonischen Bezug zu einemKorrelat in der sichtbaren Wirklichkeit, sie bilden kein rumli-ches Zueinander ab. Diese Abstraktheit oder Anikonizitt bildetdie entscheidende Grundlage fr ihre organisierende Funktion.Jedes gjjiyptische Bild besteht aus der Verbindung von, und derSpannung zwischen sehr abstrakten (anikonischen) und sehr konkre-ten (ikonischen) Elementen. Das gilt in einem sehr allgemeinenund grundlegenden Sinne fr Skulptur und Flachbild. In der Rund-plastik manifestieren sich anikonische Elemente als "Trgermate-rie", die das ikonische Element, das "Bild" im engeren Sinne,sttzt: Sockel, Plinthe, Sitzkubus, Rckenpfeiler, Stege zwischenBeinen, zwischen Rumpf und Armen usw. In der Plastik des AltenReichs sind diese Elemente schwarz bemalt, um sie ikonisch gleich1 6sam stumm zu machen, auszuschalten . Dem korrespondiert auf deranderen Seite ein ungewhnlicher Realismus des ikonischen Anteilsgyptische Plastik ist - sieht man einmal von ihrer eigentmli-chen Eingebundenheit in abstrakte "Trgermaterie" ab - anatomischkorrekter, lebenshnlicher als alle vergleichbare "vorgriechische1 7Plastik sowie gyptische Plastik aus Niedergangsperioden . Dasgleiche Verhltnis von realistischer Ikonizitt und abstraktester"Trgermaterie" finden wir im Flachbild wieder. Die Darstellungeines Schiffes z.B. ist oft so genau, da sie eine Rekonstruk-tion des Vorbildes ermglicht. Die Darstellung eines Knotensverdeutlicht seine Knpfart. Tiere und Pflanzen sind in der Re-gel exakt biologisch bestimmbar. Die Flche aber und die Bild-zeile, auf der diese Figuren angeordnet sind, ist bar aller iko-ttischen - d.h. rumlichen - Assoziationen und reine TrgermaterieWorauf es mir nun vor allem ankommt, ist die Tatsache, da solche16 Vgl. j. ASSMANN, Die Gestalt der Zeit in der gyptischen Kunst

    in: J. ASSMANN/G. BURKARD (Hgg.), 5000 Jahre gypten. Geneseund Permanenz pharaonischer Kunst, Heidelberg-Nuloch 1983,14f.17 Zum "Realismus" gyptischer Kunst s. J. BAINES, Theories andUniversals of Representation: Heinrich Schfer and EgyptianArt, in: Art History 8, 1985, 1-25. 2

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    Abstraktheit nichts Selbstverstndliches, Universales, in natr-licher Weise Vorgegebenes darstellt, sondern im Gegenteil das Er-gebnis eines hchst bewuten Abstraktions- und Selektionsprozes-ses, mit dem die gyptische Kunst, anders als es der von HeinrichSchfer geprgte, diese wesentlichen Unterschiede nivellierendeTerminus des "Vorgriechischen" glauben lt, einen sie von allerbrigen Kunst abhebenden Sonderweg beschritten hat.3.1.1 Die Neutralisierung der FlcheBeim Vergleich von gyptischer mit primitiver, vorgriechischerund Kinder-Kunst hat man den in meinen Augen entscheidenden Unterschied bisher bersehen: fast alle nicht-gyptische Kunst weistManifestationen von "Welthaltigkeit" auf, und zwar in vier inverschiedener Weise miteinander kombinierbaren Formen: in derForm naiver oder bewuter, und in der Form realistischer oder or-namentalisierter Welthaltigkeit. In der gyptischen Kunst ist da-gegen solche Welthaltigkeit bis auf wenige jeweils erklrbareAusnahmen kategorisch ausgeschaltet. Diese These mu wohl nichtim einzelnen belegt werden. Die "naive Welthaltigkeit" aller Kin-derkunst ist bekannt genug, z.B. das verbreitete Schema, nach demzwischen der dunklen Linie unten, der Erde, und der blauen Linieoben, dem Himmel mit Sonne und vielleicht auch Wolken, die "the-matischen Objekte" ausgebreitet werden wie Haus, Baum, Kind, Autousw. Auch wo Figuren ohne den kosmischen Rahmen auf Papier ge-setzt sind, finden sich fast immer "Umwelt-Chiffren" wie ein Baumoder ein Vogel, die die Flche als Umwelt aktualisieren. Dasgleiche Prinzip scheint sich mit einem bruchlosen bergang vonnaiver zu bewut selegierter und komponierter Welthaltigkeit inaller "vorgriechischen" Kunst wiederzufinden, von Ostasien berden Mittelmeerraum bis zum prkolumbianischen Amerika. DieseWelthaltigkeit kann bis zu ornamentalisierten Umwelt-Chiffrenstilisiert werden wie z.B. die Felsen und Wolken in der ostasia-tischen und prkolumbianischen Kunst, sie kann aber auch die gan-ze Bildflche realistisch in "Welt" umsetzen wie z.B. in denFresken von Thera (Santorin) und neuassyrischen Reliefs. Bei sol-cher Welthaltigkeit handelt es sich allem Anschein nach um einuniversales natrliches Verfahren, dessen Fehlen in der gypti-schen Kunst daher den Charakter einer bewuten Vermeidung, Aus-26

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    filterung, Ausblendung aufweist. Im Gegensatz zu integrierenden,mehr oder weniger welthaltigen Darstellungsweisen, die als dasNormale gelten drfen, kultiviert die gyptische Kunst eine iso-lierende Darstellungsweise. Sie isoliert die Figuren aus ihrer natrliehen Umwelt, ihrem kosmischen Zusammenhang, ihrer real-rum-lichen Kohrenz und re-arrangiert sie auf einer zur abstraktenTrgermaterie neutralisierten Flche nach anderen Kohrenz-Geset-zen. Diese neutrale Flche mu aber erst geschaffen werden; vonhause aus steckt sie voller raumzeitlicher Potentialitt. Der"Hintergrund" mu zum bloen "Grund" depotenziert werden, zum anikonischen Trger des auf die Figuren reduzierten "Bildes". Nichtdas Zusammenspiel ikonischer Elemente wie Aktion und Szenerie, Figur und Umfeld macht das gyptische Bild aus, sondern vielmehr daZusammenspiel von Figur und Grund, Bild und anikonischer Trgermaterie, vor allem aber Bild und Schrift. Die fr die gyptischenZwecke entscheidende Eigenschaft des seiner rumlichen Assoziationen entkleideten neutralen Grundes ist seine vollkommen unproble-matische, uneingeschrnkte Beschriftbarkeit. Das die gyptischeKunst kennzeichnende harmonische Ineinander von Bild und Schriftberuht auf der entrumlichten Neutralitt des beiden gemeinsamenGrundes als seiner entscheidenden Voraussetzung.3.1.2 Die Neutralisierung der StandlinieDie Erfindung der "Standlinie" trennt in gypten die geschichtli-che von der vorgeschichtlichen Kunst und fllt in dieselbe Zeitwie die Schrifterfindung und die als "Reichseinigung" bezeichnetepolitische und wirtschaftliche Integration. Auch sie ist Zeicheneines organisierenden und integrierenden Geistes. In der prhistorischen Vasenmalerei scheinen die Figuren frei ber die Flcheverteilt. Die Flche ist noch nicht zum neutralen Grund depoten-ziert, sondern stiftet eine welthaltige Kohrenz, die durch kos-mische Chiffren wie Berge und Wasserlinien aktualisiert wird.Beim bergang zur prdynastischen Zeit wird diese ungeordneteKohrenz und Welthaltigkeit ausgeschaltet, die thematischen Bild-elemente werden isoliert, aber offenbar beliebig ber die Flcheverteilt, vgl. z.B. das bemalte Grab in Hierakonpolis. Mit derEinfhrung der Standlinie ist diese Beliebigkeit dann schlagartigaus der gyptischen Kunst verschwunden. Sie verweist auf eine

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    durchgehende Gliederung und Metrisierung der Bildflche, die alleBildelemente nach Ort und Umfang systematisch festlegt Die Stand-linien sind zugleich Bildzeilen, die die Flche in der Horizonta-len in regelmigen Proportionen gliedern, auf der Narmer-Palettez.B. nach dem Schema 1 : 5 ( = 2 + 3 ) : 2 1 8.In dieser gliedernden Funktion liegt die Hauptaufgabe der "Stand-linie" . Sie ist weniger Standlinie als Bildzeile, die das Bild

    1 9lesbar machtUm diese abstrakte, gliedernde Funktion zu erfllen, mu dieStandlinie von allen ikonischen Assoziationen als Wiedergabe vonBoden ebenso befreit werden, wie die Flche von den Assoziationeneines rumlichen Umfeldes. Nur auf einer abstrakten Zeile knnenSzenen verschiedener Lokalisierung nebeneinandergestellt werden.Auf diese abstrakte Bildzeile knnen dann ikonische Elemente ge-stellt werden, die Untergrund wiedergeben: Gelndewellen und Was-serstreifen. Solche ikonischen Aktualisierungen von Rumlichkeitsind aber immer thematisch bedingt, nie bloes Beiwerk. Das giltauch fr gelegentliche Andeutungen von Umwelt, die in die Flchebergreifen wie Strucher, Bume, Papyrusdickicht. Solche Elemen-te sind auch, bis auf wenige Ausnahmen, der Handlung untergeord-net. Sie spielen im Bild die Nebenrolle eines verdeutlichendenAttributs, vergleichbar der Rolle von Lokaladverbien im Satz.Der einzige Fall, da einmal nicht Szenenelemente in die Hand-lung, sondern die Handlung in einer Szenerie eingebettet wird,ist die Jagd im Papyrusdickicht, aber auch dieser den gesamtenBildgrund welthaltig aktualisierende Bildtypus verweist durchseine strenge Stilisierung der Papyrus Stengel in Form einer ver-tikalen Schraffur auf die abstrakte Beziehung von Figur und Grund.Weitere Ausnahmen wie das "Tableau" der Amarnakunst und das "Hi-storienbild" der Ramessidenzeit sind nicht systematisch, sondernhistorisch zu erklren. Ich werde darauf zurckkommen.3.2 Hierotaxis: Syntaxregeln der gyptischen Bildkunst3.2.1 Formen der KoordinationHat man sich einmal die strenge anikonische Abstraktheit von Wand-18 Vgl. K.-H. MEYER, in: SAK 1, 1974, 247ff.19 Zum Begriff der "Lesbarkeit" (lisibilite) des Bildes, ganz indem auch hier verwendeten Sinne, s. TEFNIN, a.a.O., sowie inCdE 54, 1979, 218ff. (lecture de l'image).28

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    flche und Bild zeil e klarmac ht, hat ma n vor allem diese Abs tra kt-heit in ihrer ganzen Unselbstvers tndlichk eit als Ergebnis eineshochselektiven Stilisierungsprozesses verstehen gelernt, dannwird man auch der weite rgehe nden These folgen, da die rumlicheAnordnung der Szenen auf der Wand nicht ein rum liche s Bei ein an-der der Figuren und Szenen in der Wirklich keit wi ederge ben will,sondern gleichermaen abstrakten, anikonischen Kompositionsgeset-zen folgt. Die Prin zipi en, na ch denen die Ein zels zen en auf dieWnde und inner halb der Wan dfe lde r auf Regis ter verteilt sind,lassen sich in drei Grupp en zu samm enfa ssen , in den en man un schwe rdie Grundtypen des Parallelismus membrorum wiedererkennen wir d:

    20a) Synonymie oder Ko-Hy ponymi e: Entfaltung eines gemeinsam enOberbegriffes.Dieser Typus liegt vor, wen n ein Gene ralt hema wie z.B. "Vieh-zucht", "Schlachtung", "Opfertrger" in einer Flle von Einzel-

    21szenen dargestell t wird ;b) Antonymie: begriffliche AntithesenGegensatzbildungen liegen der Verte ilung von Szenenko mplex en aufWnde zugrunde, z.B. "Totenkult" auf der West-, "landwirtschaf t-liche Arbei ten" auf der Ostwand, regel n auf niederer hierarc hi-scher Ebene aber auch die Vertei lung von Szenen(gru ppen) aufeiner Wand: Acke rbau vs. Viehzuc ht, Landar beite n vs. Handwer ker,Arbeiten vs. Vergngungen;c) Temporale ProgressionSzenenverkettung nach dem Pri nzip "Vorh er-N achhe r" bzw. "Erst a,dann b, dann c ..." liegt vor z.B. bei der beliebten Abfolge"Pflgen" + "Sen" + "Ernten" oder "Aufzucht von Rindern" + "Vor-fhren" + "Schlachten" + "Darbrin gen", aber auch bei der Darst el-lung von Kulte pisode n eines Rituals (z.B. Beisetzun g oder Mund ff-20 Zur Begrif flichk eit s. J, LYONS, Structura l Semantics, Oxford1963. Unter Ko-Hyp onymie verstehe ich mit Lyons die Mit glie d-schaft unter einem geme insa men Oberbeg riff (Apfel und Birne

    als Kohyponyme von Obst).21 Vgl. R. TEFNI N, in: CdE 54, 1979, 218ff., der in ganz hn li-chem Sinne zwischen enumeratio n und Oppositi on u nters cheide t.Sein Begriff der enumeration entspricht "Synonymie", und Oppo-sition natrlich "Antonymie". Progression ist wohl als einFall von enumerat ion einzu stufen.

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    nung)Sehr s t r e n g g e s e h e n l a s s e n s i c h d i e s e T y p e n n i c h t s c h e i d e n . D i eeinzelnen E p i s o d e n e i n e s R i t u a l s l a s s e n s i c h a u c h i m S i n n e d e r K o -Hyponymie a l s K o n s t i t u e n t e n e i n e s O b e r b e g r i f f s v e r s t e h e n . V og el J-jagd u n d F i s c h f a n g s i n d i n d e r e i n e n H i n s i c h t a n t o n y m ( Vgel vs.Fisch), i n a n d e r e r H i n s i c h t s y n o n y m ( V e r g n g u n g e n i m D e l t a ) . A b e rdas g i l t g a n z g e n a u s o f r d i e S p r a c h e . W e r w i l l e n t s c h e i d e n , o bnhh u n d dt S y n o n y m e o d e r A n t o n y m e s i n d ? F e s t l e g u n g e n d i e s e r A r twerden n i c h t a u f d e r E b e n e d e s S y s t e m s , d e r l a n g u e , v o r e n t s c h i e -den, s o n d e r n in d e n e i n z e l n e n A k t e n i n d i v i d u e l l e r A k t u a l i s i e r u n g ,der p a r o l e , g e t r o f f e n . S o l c h e S y s t e m e l a s t i z i t t s i c h e r t d e m e i n -zelnen T e x t b z w . W a n d b i l d s e i n e n i n d i v i d u e l l e n un d s c h p f e r i s c h e n

    23Charakter3.2.2 F o r m e n u n d S u b o r d i n a t i o nHier g e h t e s u m z w e i A s p e k t e e i n u n d d e s s e l b e n P h n o m e n s , d i esorgfltig u n t e r s c h i e d e n w e r d e n m s s e n : d e s " B e d e u t u n g s m a s t a b s " .a) H e r v or h e bu n g b zw . A u s z e i c h n u n g ^Das W i c h t i g e r e , B e d e u t e n d e r e g r e r , d a s N e b e n s c h l i c h e k l e i n e rdarzustellen i s t e i n g e r a d e z u u n i v e r s a l e s P r i n z i p a l l e r " v o r g r i e -chischen" K u n s t . D i e g y p t i s c h e K u n s t m a c h t h i e r k e i n e A u s n a h m e .Aber e s e r g i b t s i c h v o n s e l b s t a u s d e m r i g i d e n P r i n z i p d e r h o r i -zontalen B i l d z e i l e n g l i e d e r u n g , d a s o l c h e h e r v o r h e b e n d e n G r e n -unterschiede h i e r d i e F o r m m e t r i s c h e r P r o p o r t i o n e n a n n e h m e n . D e rwichtigere W a n d a b s c h n i t t u m f a t m e h r R e g i s t e r a l s d e r u n t e r g e o r d -nete. D i e S d w a n d d e r K u l t k a m m e r d e s T i - G r a b e s z . B . i s t i n e i n e noberen ( H a u p t - ) A b s c h n i t t m i t 6 R e g i s t e r n u n d e i n e n u n t e r e n m i t 4Registern g e t e i l t . D a s V e r h l t n i s 3 : 2 i st f r s o l c h e m e t r i s c h e-ii&ti&Q. i&b i&d rioas i t > d . , " a s w i l u c h x C " + " nsdilos> 2 5Hervorhebung, w o r a u f P . M u n r o h i n g e w i e s e n h a t , b e s o n d e r s h u f i g .Zuweilen i s t a u c h a u s d e r M e n g e d e r R e g i s t e r e i n e s d u r c h b e s o n -22 H i e r h e r g e h r t a u c h a l s e i n S o n d e r f a l l d a s P h n o m e n " n a r r a t i -

    t v e r " B i l d - o d e r S z e n e n s e q u e n z e n , s . A . A . G A B A L L A , N a r r a t i v e i nEgyptian A r t , M a i n z 19 76, b e s o n d e r s d i e g r o e n h i s t o r i s c h e nZyklen d e s N R , v o n d e n P u n t - R e l i e f s d e r H a t s c h e p s u t b i s z u rSeeschlacht R a m s e s 1 I I I . i n M e d i n e t - H a b u .23 Vgl . LA IV 90 5f.24 S . h i e r z u P . M U N R O , A u s z e i c h n u n g d u r c h s p r a c h l i c h e M i t t e l , i n :L I 5 8 2 - 8 6 .25 a . a . O .30

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    dere Hhe als das Hauptbildfeld herausgehobenEine ganz andere Form mastblicher Hervorhebung bezieht sich aufFiguren innerhalb einer Szene. In "Familienszenen" wie z.B. denBootsfahrten im Papyrussumpf ist regelmig der Grabherr in we-sentlich grerem Mastab dargestellt als seine Frau und seineKinder.b) VerklammerungStreng von der hervorhebenden Funktion des Bedeutungsmastabs zuunterscheiden ist seine verklammernde Funktion. Im Gegensatz zujener, die universal verbreitet ist, scheint diese eine Eigenartder gyptischen Kunst. Hier geht es um die ber- und Unterordnungnicht von Figuren, sondern von Szenen bzw. Handlungen. Wenn dieFigur des Grabherrn mehrere Register umgreift, dann sind die ein-zelnen in diesen Registern dargestellten Szenen der Handlung desGrabherrn, z.B. "Betrachten" oder "Empfangen" untergeordnet.Durch die verklammernde Funktion des Bedeutungsmastabes gelingtes der gyptischen Kunst, auch uerst komplexe, Hunderte einzel-ner Figuren umfassende Szenen und Szenengruppen in einen geordne-ten und lesbaren HandlungsZusammenhang zu integrieren.Durch solche hypotaktische Verklammerung erhlt das gyptischeWandbild einen Grad von Systematizitt, wie es sonst erst wiederdie Zentralperspektive hervorgebracht hat, die ja ebenfalls jedesEinzelelement einem, nun aber nach dem ikonischen Prinzip rumli-cher Kohrenz organisierten Zusammenhang unterordnet. Vor der Er-findung der Zentralperspektive herrscht, wie E. Panofsky so ein-

    27drucksvoll aufgezeigt hat , in den raumdarstellenden Kunsttradi-tionen der "Aggregatraum", und im gleichen Sinne additiv oder ag-gregierend verfahren auch alle anderen Traditionen inklusive dergyptischen sofern diese nicht von dem Mittel der hypotaktischenVerklammerung Gebrauch macht. Im Kontext parataktischer Verfahren,die vor Erfindung der Zentralperspektive die allgemeine Regel dar-stellen, ist der verklammernde Bedeutungsmastab in gypten dergroe Sonderfall eines hypotaktischen Prinzips, das zwischenHaupt- und Nebenakteuren, Haupt- und Nebenhandlungen unterschei-26 Z.B. A. MOUSSA/H. ALTENMLLER, Das Grab von Nianchchnum undChnum-hotep, AV 21, 1977, 89, oder J. ASSMANN, Das Grab desAmenemope (im Druck), Sz. 7 5.21.27 E. PANOFSKY, Die Perspektive als symbolische Form, Leipzig-Berlin 1927. 31

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    det, die Nebenelemente den Hauptelementen unterordnet und diesebegriffliche Hypotaxe im Bild durch regelmige Proportionensinnfllig macht.Das Regelwerk, das ich unter dem Begriff "Hierotaxis" zusammen-fassen mchte, um damit die Begriffe der Hierarchie (ber- undUnterordnung) und der Syntax zu verknpfen, ist ein vollkommen2 8abstraktes, anikonisches Prinzip der Bildorganisation . Der ent-scheidende Unterschied liegt nicht darin, ob das gyptische Bildsich auf eine optisch wahrgenommene oder geistig vorgestellteWirklichkeit bezieht. Der Unterschied liegt vielmehr in der Artdes Bezugs: ob das zweidimensionale Arrangement von Szenen und Fi-guren auf der Wandflche als Projektion des rumlichen Beieinan-ders in einer (geschauten oder gedachten) Wirklichkeit aufzufas-sen ist oder vielmehr als Wiedergabe einer rein begrifflichenOrdnung, eine Art bildliches Inventar, die Bildenzyklopdie einesWeltausschnitts. Die Kohrenz des Bildes, und die Kohrenz derWirklichkeit, sind weder "perspektivisch" noch "aspektivisch",sondern sprachlich vermittelt, ber eine begriffliche Artikulati-on der Wirklichkeit, auf die sich das Bild in seiner organisier-ten Lesbarkeit und Rationalitt wie eine Begriffsschrift bezieht.3.2.3 Analyse eines BeispielsDas Regelwerk, das ich hier unter dem Terminus "Hierotaxis" zusam-menfasse, ist in seinen Einzelheiten so offenkundig und jedemgyptologen vertraut, da sich im Grunde Beispiele erbrigen. Le-diglich die Terminologie, in der ich diese vertrauten Phnomenehier beschrieben habe, um ihre strukturelle Analogie zu Phnome-nen der Textgliederung herauszuarbeiten, bedarf der Veranschau-lichung. Zu diesem Zweck greife ich ein Beispiel heraus, das mg-lichst alle der genannten koordinierenden und subordinierendenPrinzipien auf einer Grabwand vereinigt, und whle hierfr die

    28 Zur Raumabstraktheit des gyptischen Flachbilds vgl. H.A.GROENEWEGEN-FRANKFORT, Arrest and Movement, London 1951, repr,New York 1972, sowie J. ASSMANN, Flachbildkunst des NeuenReichs, in: C. VANDERSLEYEN, Das Alte gypten, PropylenKunstgeschichte 15, 1975, 304-31.7, und Wh. DAVIS, The Canoni-cal Theory of Composition in Egyptian Art, in: GM 56, 1982,9-26.

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    Ostwand der Grabk apell e von Nef er und Kahai in Saqq ara aus derMitte der 5. Dyn., weil dieses Einr aumg rab das Dekor ation spro -gramm nicht auf eine Flle von Wnd en verteilen, sondern weit ge-hend auf einer einzigen Wand entfalten mu, die darum in themati-scher Hinsicht besonders vielseitig istDie Wand ist in 5 horiz ontal e Bil dze ile n oder Register gleiche rHhe getei lt, von dene n die obere n 3 und die unteren 2 je durchverklammernde Rahme nszen en verbun den sind. Die Wand ist also nachdem bl ich en Schem a 3 : 2 gete ilt und dadurch der obere Tei l her-vorgehoben. Dieser Teil ist eingerahmt von den stehenden Figurender beiden Grabherren. Zwischen ihnen lassen sich 9 Einzelszenenunterscheiden (von o. nach u. und 1. nach r.): Grasende Ziegen,Fischfang im Netz, Papyrusdickicht mit dem Bau von Papyrusbootenund dem Treiben und Fttern von Rindern, darunter Backen, Vogel-zucht und Vogeljagd mit dem Klappnetz; rechts abschlieend oben:Abrechnung mit den GutsVerwaltern, darunter Vorfhren der Rinder,unten: Darbringung der Vgel.Der untere Teil ist eingerahmt, links von der Figur des "Brudersder Totenstif tung" Tjenti, rechts von Schiffen. Dazwischen 6 Sze-nen. Oben: Weinbereitung, Schmuekherstellung und Gaben, Tanz, Mu-sik vor einer Dame in einer Festlaube; unten: Pflgen, Sen, Fi-scherstechen.Die 9 Einzel handl ungen der oberen drei Register, die durch diemetrische 3 : 2-Gliederung als der bedeuten dere Bildt eil hervorge-hoben sind, sind einer bergr eifende n Haupthandl ung untergeordn et.Das Prinz ip des Bedeutu ngsmast abs macht diese Hypotax e dadu rchsinnfllig, da es die Protagonisten der Haupthandlung in ein diedrei Register umgreifendes und auf diese Weise verkla mmernde sBildfeld stellt und daher in dreimal gre rem Mastab darstell tals die Figuren der Nebenhand lungen. Zwei senkrechte Schriftz ei-len, die die Hauptbildfelder gegen die zwischen ihnen ausgespann-29 Vie lle ich t ist es Zufall, da unsere Wah l auf ein Grab ge fal-len ist, dessen Inhaber beide als Gesangsmeister mit dem Titel

    hrp mdt nfrt "Leiter der schnen Rede" in die Gesetze derTextkomposition eing ewei ht ware n und von denen eine r (Nefer)darberhinaus als Vorst eher der Palastwerksttten auch mit bil-dender Kuns t zu tun hat te, also in sein er Berufst tig kei t gena uden Zusam menha ng verk rper te, auf den es uns hier ankomm t.

    30 A. MOUSSA/H. ALTENM LLE R, The Tomb of Nefe r and Ka-H ay, AV 5,1971, Tf. 1.

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    ten d r e i R e g i s t e r a b s e t z e n , b e s c h r e i b e n d ie b e r g e o r d n e t e H a n d -lung w i e f o l g t : ( l i nk s : ) " D a s B e s i c h t i g e n d e r F i s c h e r , V o g e l f n -ger u n d S c h r e i b e r s e i n e r G t e r i n O b e r - u n d U n t e r g y p t e n "(rechts:) " D as B e s i c h t i g e n d e r I n v e n t a r v e r z e i c h n i s s e d e r G r a b -stiftung, d e r A b g a b e n d e r F i s c h e r u n d d e r A b r e c h n u n g m i t d e n V e r -waltern" .Alle 9 E i n z e l h a n d l u n g e n w e r d e n d i e s e m b e r g r e i f e n d e n H a n d l u n g s z u -sammenhang b z w . " H a u p t s a t z " u n t e r g e o r d n e t . A b e r i n n e r h a l b d i e s e sGrozusammenhangs, d e r d u r c h d a s s u b o r d i n i e r e n d e P r i n z i p d e s(verklammernden) B e d e u t u n g s m a s t a b s s i n n f l l i g g e m a c h t w i r d , r e -geln d i e k o o r d i n i e r e n d e n P r i n z i p i e n s e m a n t i s c h e r K o h r e n z d i e A n -ordnung d e r S z e n e n :Begriffliche E i n h e i t ( S y n o n y m i e b z w . K o h y p o n o m i e )verbindet d i e S z e n e n 2 , 3 u n d 9 i n e i n e r i n t e r e s s a n t e n f l a c h - d r e i -eckfrmigen K o m p o s i t i o n : ^ 3

    sowie a l l e S z e n e n d e s z w e i t u n t e r s t e n R e g i s t e r ( 1 0 - 1 2 ) , d i e u n t e rdem O b e r b e g r i f f " F e s t" s t e h e n . D i e s e F e s t - S z e n e n f a l l e n d a n n a u feiner h h e r e n A l l g e m e i n h e i t s s t u f e d e r B e g r i f f s b i l d u n g z u s a m m e n m i tden S z e n e n d e s F i s c h e r s t e c h e n s ( 14 ) u n t e r d e m O b e r b e g r i f f d e r

    Einheit d e s O r t e s i s t a l s e i n S p e z i a l f a l l v o n b e g r i f f l i c h e r E i n -heit e i n z u s t u f e n . S i e v e r b i n d e t z . B . d a s k o m p o s i t o r i s c h s t a r k h e r -vorgehobene P a p y r u s d i c k i c h t (3) m i t d e n r e c h t s a n s c h l i e e n d e nSzenen 4 u n d 6 , w a s d u r c h d i e R e k u r r e n z d e s E l e m e n t s " P a p y r u s " i nForm d e r g e t r a g e n e n P a p y r u s s t e n g e l d e u t l i c h g e m a c h t w i r d .Begriffliche A n t i t h e s e ( A n t o n y m i e )reguliert z u n c h s t e i n m a l d i e V e r t e i l u n g d e r t h e m a t i s c h e n K o m p l e x eauf d i e e i n z e l n e n W n d e : s o f e h l t h i e r a l l e s , w a s m i t d e m T o t e n -kult z u s a m m e n h n g t u n d s e i n e n O r t a u f d e r g e g e n b e r l i e g e n d e n W e s t -wand h a t , u n d b e s t i m m t d a n n d i e Z s u r z w i s c h e n d e m H a u p t b i l d f e l dder o b e r e n d r e i , u n d d e m N e b e n b i l d f e l d d e r u n t e r e n z w e i R e g i s t e r .Der e v i d e n t e S i n n d i e s e r G e g e n b e r s t e l l u n g i s t " A r b e i t " (k3t) v s ."Vergngen" (shmh-jb), a u c h w e n n i n n e r h a l b d e s d e m V e r g n g e n g e -widmeten B i l d f e l d s d a s T h e m a " A r b e i t " n o c h e i n m a l i n G e s t a l t v o nSzene 13 a + b a u s s c h n i t t h a f t z i t i e r t w i r d . S c h w c h e r e A n t i t h e s e nkontrastieren 1 und 6 (Kl ein- und Gro v ie h) , 2 und 9 ( Fisch- und

    Herzensbelustigung" (shmh-jb).

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    Vogelfang).Temporale Progressionverbindet die Szenen 3 (Rinder treiben), 6 (Fttern) und 7 (Vor-fhren) ; 9 (Vgel fangen und darbringen); 10 a (Wein pressen),c (Keltern) und b (auf Flaschen fllen); 13 a (Pflgen) und b(Sen). Das Prinzip arbeitet in diesem Fall von links nach rechtsund ist immer nur lokal wirksam. Es umfat nie ganze Bildzeilenwie bei Bildergeschichten im eigentlichen Sinne.

    313.3 Raumbezug und ZeitbezugDas Beispiel drfte die grundstzliche Raumbstraktheit der gyp-tischen Bildkomposition hinreichend deutlich gemacht haben. Washier auf den Bildzeilen der Ostwand an Szenen unter dem berge-ordneten HandlungsZusammenhang der "Besichtigung" vereinigt ist,findet an den verschiedensten -Orten statt. Die grundstzlicheRaumabstraktheit der zur anikonischen Trgermaterie depotenzier-ten Elemente "Flche" und "Bildzeile" gestattet die Kollokationvon Szenen, die in der rumlichen Wirklichkeit weit auseinanderliegen, z.B. Ziegen auf der Weide und Fischfang. Was diesen Sze-nen in der Wirklichkeit entspricht, ist nicht ein "Sehfeld", son-dern ein Thema, das sich in seiner rumlichen Ausdehnung auf einenniemals insgesamt auf einmal in Augenschein zu nehmenden Bereichbezieht, nmlich - wie es in der Beischrift ausdrcklich heit -"Ober- und Untergypten", was fr damalige Begriffe so viel heitwie die ganze geordnete Schpfungswelt. Die rumliche Welt wirdin dem hier herausgegriffenen Ausschnitt der den Grabherrn inter-essierenden und charakterisierenden Handlungen enzyklopdisch er-

    32fat , gegliedert und in einer geradezu tabellarischen Form les-31 S. hierzu H.A. GROENEWEGEN-FRANKFORT, Arrest and Movement. AnEssay on Space and Time in the representational Art of the an-cient Near East, London 1951.32 Das enzyklopdische Element dieser Bilder tritt am reinsten inden "Jahreszeitenbildern" der Sonnenheiligtmer hervor, diedie Szenen, die das Wirken des Sonnengottes in der Natur undin der landwirtschaftlichen Arbeit zur Anschauung bringen, inder Art einer ikonischen "Naturlehre" entfalten und ganz gewifr die Entwicklung der Flachbildkunst in der 5. und 6. Dyn.prgend gewirkt haben, vgl. dazu H. ALTENMLLER, "Lebenszeitund Unsterblichkeit in den Darstellungen der Grber des AltenReiches", in: ASSMANN/BURKARD (Hgg)., 5000 Jahre gypten. Ge-nese und Permanenz pharaonischer Kunst, 75-87, bes. 86.36

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    bar g e m a c h t .Was f r d e n R a u m b e z u g d i e s e r B i l d k o m p o s i t i o n g e s a g t w u r d e , g i l tebenso f r d e n Z e i t b e z u g . D e r A l l g e m e i n h e i t d e r g e o r d n e t e n S c h p -fungswelt a l s O b e r b e g r i f f d e s r u m l i c h e n B e z u g s e n t s p r i c h t d i eAllgemeinheit j e n e r " Z e i t f l l e " , a u f d i e s i c h d e r g y p t i s c h e B e -griff nhh b e z i e h t . W a s d i e B e g r i f f s s c h r i f t d e r K u n s t i n i h r e n " L e -sebildern" a u f z e i c h n e t , i s t e i n e W i r k l i c h k e i t , d i e n i c h t z u e i n e mbestimmten Z e i t p u n k t s o w i e d a r g e s t e l l t i n E r s c h e i n u n g g e t r e t e nist, s o n d e r n d i e i n d e r F o r m d e s B i l d e s f r i m m e r " b e r e i t g e s t e l l t "wird. E s w i r d n i c h t e t w a e i n r e a l e r I n s p e k t i o n s a k t d a r g e s t e l l t ,der e t w a z u d e n O b l i e g e n h e i t e n d e s G r a b h e r r n b e i L e b z e i t e n g e h r thtte u n d n u n a l s e i n h e r a u s g e h o b e n e s E r e i g n i s s e i n e r b e r u f l i c h e nTtigkeit d e n k m a l h a f t k o m m e m o r i e r t w e r d e n s o l l . V i e l m e h r w i r d d e mGrabherrn a u s H a n d l u n g e n , d i e s i c h i m m e r w i e d e r v o l l z i e h e n , e i n e"Sphre d e s S e i n i g e n " a u f g e b a u t , d i e a l s d a s b i l d l i c h e I n v e n t a reiner ( r e a l e n o d e r f i k t i v e n ) T o t e n s t i f t u n g i h m f r i m m e r z u r V e r -

    33fgung s t e h e n s o l l . N i c h t d as L e b e n a l s g e s c h i c h t l i c h e V e r g a n -genheit w i r d a u f d e n G r a b w n d e n v e r e w i g t , a l s o e t w a s V e r g n g l i c h e sund V e r g a n g e n e s i n d i e E w i g k e i t d es B i l d e s t r a n s f o r m i e r t . V i e l m e h rwird d a s L e b e n u n t e r d e m g e n e r e l l e n A s p e k t d e s " I m m e r w i e d e r " a l sein s e l b s t e w i g e s d a r g e s t e l l t . D a s B i l d h l t n i c h t e r i n n e r n d d a saktuell-Einmalige, s o n d e r n e n z y k l o p d i s c h d a s p o t e n t i e l l - E w i g e

    34fest . D a r a u s e r g i b t s i c h s o w o h l d e r u n g e m e i n e l e b e n s n a h e R e a l i s -mus i m D e t a i l al s a u c h d i e i n v e n t a r h a f t e A b s t r a k t h e i t d e r K o m p o s i -tion.Die Z e i t a b s t r a k t h e i t d e s i k o n o l o g i s c h e n B e z u g s z w i n g t z u e i n e rstrengen S e l e k t i v i t t . D a s g y p t i s c h e B i l d s t e l l t n i c h t s E i n m a l i -ges, V e r g a n g e n e s o d e r T r a n s i t o r i s c h e s d a r . D a s g e h t so w e i t , d a sich n i c h t e i n m a l A b b i l d u n g e n m y t h i s c h e r E r e i g n i s s e f i n d e n , a l sob d e r e n V e r a n k e r u n g i n i l l o t e m p o r e b e r e i t s G r u n d g e n u g w r e ,

    33 V g l . A l t e n m l l e r , a . a . O .34 I m g l e i c h e n S i n n e u e r t s i c h a u c h R . T E F N I N , i n : C d E 5 4 , 1 9 7 9 ,

    218ff.

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    sie dem Verdikt der Zeitverhaftung anheimfallen zu lassen . Dar-gestellt wird nur, was in einer von zwei mglichen Formen in

    3 6einem der beiden Ewigkeitsaspekte des gyptischen Zeitdenkensverankert ist. Das sind zum einen die immer wieder kehrenden All-tags-, Fest- und Genreszenen, wie wir sie am Beispiel des Grabesvon Nefer und Kahai behandelt haben. Das sind zum anderen, woraufbisher noch nicht eingegangen wurde, bleibende Konstellationen.Beide sind auf ihre je eigene Weise zeitenthoben. Bleibende Kon-stellationen sind z.B. der den "Hauptsatz" der Ostwandszenen bil-dende bergeordnete Handlungszusammenhang, die Konstellation des"betrachtenden" Grabherrn und der "Sphre des Seinigen" oder derGrabherr vor dem Opfertisch. Auf eine bleibende Konstellation be-zieht sich z.B. auch der Bildtypus des "Erschlagens der Feinde".An diesem durch mehr als drei Jahrtausende fast unverndert fest-

    3 7gehaltenen "Piktogramm" wird das Prinzip in paradigmatischerWeise greifbar. Denn es bezieht sich genau auf das, was darin ka-tegorisch ausgeschlossen wird: das historische Ereignis. Hinterdieser immer wiederholten Formel vom Erschlagen der Feinde ver-birgt sich eine Flle kriegerischer Aktionen, deren ereignishafteIndividualitt und geschichtliche Kontingenz durch das auf blei-bende Konstellationen zielende Bild ausgelscht wird. In der hi-storischen Reprsentationskunst gyptens erscheint die Geschichte

    3 8als eine Folge von Manifestationen unwandelbarer GrundmusterAn dem einzelnen Ereignis ist diesem Geschichtsbild nichts gele-35 Ob der Bildzyklus der "Geburt des Gottknigs" mit Brunner alsWiedergabe eines Mythos, oder eher als "fiktives Ritual" im

    Zusammenhang der Thronbesteigung (J. ASSMANN, Die Zeugung desSohnes, in: DERS./W. BURKERT/F. STOLZ, Funktionen und Leistun-gen des Mythos, 0B0 48, 1982, 13ff.) aufzufassen ist, brauchthier nicht entschieden zu werden, da seine Aufzeichnung bereitsin eine Zeit fllt, die genau in diesem Punkt neue Mglichkei-ten erffnet (z.B. Punt-Zyklus).36 Vgl. hierzu J. ASSMANN, Das Doppelgesicht der Zeit im altgyp-tischen Denken, in: A. PEISL/A. MHLER (Hgg.), Die Zeit.Schriften der C.F.-v.Siemens-Stiftung Bd. 6, Mnchen 1983.37 Der Geschichte und Bedeutung dieses Piktogramms widmet sich

    eine Monographie von Sylvia Schoske, die in der series archae-ologica des Orbis Biblicus et Orientalis erscheinen soll.38 Vgl. hierzu H.A. GROENEWEGEN-FRANKFORT, a.a.O., sowie auchmeinen Beitrag "Krieg und Frieden im alten gypten. Ramses II.und die Schlacht bei Qadesch" im mannheimer forum 83/84.38

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    gen, alles dagegen an der zeitlosen Konste llat ion, die sich indem Erei gnis manif esti ert hat. Die Wirk lich kei t, auf die sich dasBild bezieht, besteht in der ewigen Wiederke hr der Grundmuster.Identifizierende Hinwe ise auf den Einz elfa ll einer solchen Mani -festation zeitloser Ordnung werden an die Schrif t delegi ert.Diese bewut zugespi tzte und auf die allgem einen Grund struk turendes gyptischen Bildes konzentrierte Formulierung lt die Aus-nahmestellung jener Epoche umso schrfer herv ortre ten, auf diesie am wen igst en z utreffen: das Neue Reich. Da ich in mei nemBeitrag zur Propylen- Kunstgesch ichte ber die Flachbildkunst desNeuen Reiches die Geschichte dieser Epoche unter genau diesemAspekt der Emanzip ation von einem sonst streng beobachteten Kanon

    r& i rTftif In.-frftM 3fllTfrfri4 JittfU^TTiifQ jP1 !r '* 9 -dargestellt habe , brauc he ich hier darauf nicht nher einz uge-40

    hen. Das Intere sse an der komm emora tiven Funkti on , ein neuerSinn fr die Einm alig keit des diessei tige n Lebens und der ge-schichtswendenden Tat hat, zusammen vermut lich mit einem Ver -blassen der Vor stel lun gen einer zeitlosen Ordnun g, zu neuen For-men der Bildkompo sition gefhrt wie dem "Tableau".der A marnaku nst

    42und dem rame ssidi sche n Hist orien bild , die beide durch ihre Ein -bettung von Handlung in Szenerie so etwas wie rumliche Kohren zins Bild bring en. Auch die Ersetz ung des Regis terst ils durch denBildstreifenstil als Prinzip der Wanddeko ration in den P rivatgr-

    43bern wird in dies en Zusamme nhang geh ren . Da es diese Au snah -men gegeben hat, beeintrchtigt m .E. in keiner Weise die Gltig-keit des dargest ellt en Rege lwerks. Man darf nur nicht in den Feh-ler verfallen, die Errungenscha ften des Neuen Reiches zu genera-39 Vgl. Anm. 28. Mit diesem Beitra g folgte ich bri gen s ein er

    Einladung G. Fech ts, der sich dann spt er leider von seinerHerausgeberschaft zurckzog.40 Vgl. H. te VELD E, Commemor ation in Anc ien t Egyp t. in: Comme mo-

    rative Figu res, Visible Relig ion 1, 1982, 135-153. Die Katego-rie der Kommemoratio n spielt in Frau Groenewege n-Frankfort sAnalysen eine wichtig e Roll e.

    41 Vgl. hier zu "Krieg und Frie den" (Anm. 38).42 Vgl. R. ANTHES , Die Bildkompo sition in Amarn a und die ramessi-dischen Schlachte nbilder, VI. Internationaler Kongre fr Ar-chologie (1939), 273-277.43 S. hierzu J. ASS MAN N, Das Grab des Amen emop e (Nr. 41), THEBENIII (im Druck).

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    lisieren und den Grundstrukturen der gyptischen Kunst zuzurech-nen. In der Kunstgeschichte des Neuen Reichs tritt vielmehr zwei-erlei sehr klar hervor: erstens die Grenze, bis zu der ein bewutrevolutionierender Eingriff berhaupt mglich war und jenseitsderen wir es mit habitualisierten, bewuter Verfgung entzogenenStrukturen zu tun haben: so hat man zwar begriffliche Kohrenzsehr weitgehend durch rumliche Kohrenz, und den Bezug auf Zeit-loses (sei es als genrehaftes Immer-Wieder, sei es als bleibendeKonstellation) durch den Bezug auf Einmaliges ersetzt, aber dochsowohl am Bedeutungsmastab als auch an der grundstzlichen Be-schriftbarkeit und damit Abstraktheit des Grundes festgehalten.Zweitens zeigt sich der Grad von kanonischer Geltung, den diesesRegelwerk im Laufe der Geschichte erreicht hatte, und zwar inder Tatsache, da mit dem Ende der Ramessidenzeit alle dieseNeuerungen wieder verschwunden sind.4 Bild, Schrift und TextKanon und Habitus, diese beiden Formen, in denen die gyptischeKunst im Laufe ihrer Geschichte eine eigentmliche Gebundenheitan ein ihr zugrundeliegendes Regelwerk an den Tag legt, bindendas Bild an die Schrift und die Schrift an das Bild. Im Falle derSchrift ist diese Bindung klarer zu erkennen und vor allem in ih-rem Geltungsbereich zu bestimmen. Die Bildbindung gilt nur fr dieHieroglyphenschrift, d.h. fr den monumentalen Schriftgebrauch inSteininschriften. Innerhalb dieses Funktionsrahmens hat sich diegyptische Schrift ber Jahrtausende hinweg keinen Fingerbreitvon ihrer ursprnglichen Bildhaftigkeit entfernt. Schriftge-schichtlich ist das ein einzigartiges Faktum. Offensichtlich gal-ten in diesem Bereich eiserne Gesetze, die jede eigengesetzlicheFortentwicklung der Schrift blockiert haben. Meine These behaup-tet dasselbe fr die bildende Kunst. Auch hier haben die eisernenGesetze der "Hierotaxis" jede eigengesetzliche Fortentwicklungblockiert - mit der einen Ausnahme des Neuen Reichs. Der Schluliegt nahe, da die Gesetze der Hierotaxis und die Gesetze derHieroglyphenschrift identisch sind, da es also dieselben Krftesind, die die Bildhaftigkeit der Schrift und die die Schrifthaf-tigkeit des Bildes gewhrleistet haben, Regeln eines bergreifen-den "hieroglyphischen" Ausdruckssystems, das sich der Schrift und40

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    des Bildes im Sinne komple ment rer Medien bedientDiesen im gyptischen Denken, vor allem aber in den institutionel-len Rahmenb edingu ngen alles Schreiben s und Bilden s in gyp ten un-auflslich eingewurzelten Zusammenhang von Schrift und Bild kn-nen wir hier nicht weiter verfolgen; wir mssen ihn nur insoweitim Auge behalten, als er die Grundlage darstellt fr den weiter-gehenden Zusammenhang von Bild und Text, Bildaufbau und Textkon-stitution, wie er hier postuliert wird. Wenn wir es bei diesenoffenkundigen Gebundenheiten mit einem gemeinsamen bergreifendenRegelsystem zu tun haben, dann ergibt sich klar, da es sich hiernicht lediglich um eine allgemeine strukturelle Analogie handelt,sondern um mater ialit er identische Prinzipi en. Beide Knste, diedes metri sier ten Textaufb aus und die der Wandde korat ion, beruhenauf demselben Wissen: dem Wissen um die Aspekte, in die sich einWeltausschnitt glie dert, und um die "Ikone", die trad itio nell eFormulierungsgestalt solcher Aspekte sowie typisierte Formenihrer Verbindung. Hier wre etwa an die Sonnenhymnen zu erinnern,bei denen die Vorstellungen vom Sonnenlauf zu festen, auch in derbildenden Kunst auftretenden "Ikonen" kristallisieren, die dann,etwa in der Form des "Tageszeit enliedes", feste Verbin dungen ein-45gehen . Die "Ikone" des Sonnenlaufs entsprec hen hier Strophendes Textes, so wie Szenen und Szeneng ruppen als bildliche Reali-sierungen von "Ikonen" Register eines Wandbilds konstituieren.Der typischen Dreir egistrig keit des Amdua t liegt eine A-B-AStruktur zugrunde, die sich als eine typische thematische Gliede-rung (A - B: Epipha nie - Empfa ng) in den Sonnenh ymnen ausprgt.Die verklammernde Funktion der Hierotaxis hat ihre textliche Ent-sprechung in der For m des anapho rischen Stroph enlie des: de nn hier"verklammert" die Refrainzeile mehrere Strophen ebenso wie die4 Zur Komplementaritt von Bild und Schrift s. bes. H.G. FISCHER,Egyptian Studies II: The Orientation of Hieroglyphs, Part 1:Reversais, New York 1977; DERS. , Hiero gly phe n, in: L II 1189-1199, sowie R. TEFNIN, Discours et iconicite dans 1'art egyp-tien, in: GM 79, 1984, 55-72; P. VERNUS, Des relations entre

    textes et representations dans l'Egypte pharaonique, in: M.A.CHRISTIN (Hg.), Ecr itu res II, Paris 1985, 45-69.5 Hierzu und zum folgenden vgl. J. ASSMANN, Re und Muri. Die Kri-se des polytheist ischen Wel tbilds im gyp ten der 18.-20. Dyn.,0B0 51, 1983, 54-95.

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    bergreifende Gestalt mehrere Register, und das Schriftbild be-dient sich dafr desselben Mittels, indem es diese Zeile quer voroder ber die einzelnen Strophenzeilen stellt. "Hierotaxis", umdas abschlieend noch einmal klarzustellen, ist ein hherstufigesPrinzip, das elementarere Regeln voraussetzt. Im Bereich der Text-konstitution sind das die Regeln der Vers- und Kolonbildung, imBereich der Bildkunst die Regeln des Proportionskanons und derFlchenprojektion. Von diesen Regeln habe ich hier abgesehen. Sieerzeugen zuallererst die Einheiten, auf denen das Regelwerk derHierotaxis aufbaut. Worauf es mir ankam, war der Versuch, den Gel-tungsbereich dieser Regeln ber den Bereich der Texte, in demG. Fecht sie so eindrucksvoll demonstriert hat, auf den der Bild-kunst auszudehnen, d.h. einen Kernbereich kompositorischer Prin-zipien abzustecken, die nicht nur "sprachlicher und schriftli-

    46eher", sondern auch bildlicher Formung gemeinsam sind.

    46 H. GRAPOW, Sprachliche und schriftliche Formung altgyptischerTexte, LS 7, 1936.