16
Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen 3.1 Jordan’sche Normalform In diesem kurzen Abschnitt wiederholen wir einige Begriffe der linearen Algebra. Sei eine lineare Abbildung mit zugeh¨ origer Matrix (diese wird durch die Wahl einer Basis bestimmt). Wir gehen immer von der kanonischen Basis aus und identifizieren auf diese Weise die lineare Abbildung mit der Matrix. Eine Zahl heißt Eigenwert von , wenn es einen Vektor gibt mit Dieser Vektor wird Eigenvektor genannt. Nat ¨ urlich m ¨ ussen wir auch bei reellen Ma- trizen komplexe Eigenwerte und Eigenvektoren zulassen. Deshalb arbeiten wir zun¨ achst im komplexifizierten Raum. Die Eigenwerte sind L ¨ osungen der charakteristischen Glei- chung (3.1.1) Wegen des Fundamentalsatzes der Algebra gibt es (mit Vielfachheiten gerechnet) ge- nau Wurzeln dieser Gleichung. Jede Wurzel von (3.1.1) ist auch Eigenwert, jedoch gibt es im allgemeinen weniger als Eigenvektoren. Sei ein Eigenwert, so ist ein -invarianter Unterraum, der Eigenraum von zum Eigenwert . Sei die Dimen- sion von . ist enthalten im verallgemeinerten Eigenraum, der gegeben ist durch mit Der verallgemeinerte Eigenraum zum Eigenwert ist invariant unter der Abbil- dung . Eine weitere Zerlegung in invariante Unterr¨ aume ist m ¨ oglich. Dazu betrachtet man den minimalen Wert , so daß ist. So eine Zahl existiert im- mer. In existiert eine Basis , welches die Vereinigung von Mengen ist, wobei jedes die Form (3.1.2) 57

Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

  • Upload
    others

  • View
    4

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

Kapitel 3

Lineare Differentialgleichungen

3.1 Jordan’sche Normalform

In diesem kurzen Abschnitt wiederholen wir einige Begriffe der linearen Algebra. Sei� ������� ���eine lineare Abbildung mit zugehoriger Matrix (diese wird durch

die Wahl einer Basis bestimmt). Wir gehen immer von der kanonischen Basis aus undidentifizieren auf diese Weise die lineare Abbildung mit der Matrix. Eine Zahl ��� heißt Eigenwert von , wenn es einen Vektor ������ �

gibt mit

�������������Dieser Vektor ��� wird Eigenvektor genannt. Naturlich mussen wir auch bei reellen Ma-trizen komplexe Eigenwerte und Eigenvektoren zulassen. Deshalb arbeiten wir zunachstim komplexifizierten Raum. Die Eigenwerte sind Losungen der charakteristischen Glei-chung ��� �"! �#�%$'&)(*�,+-�(3.1.1)

Wegen des Fundamentalsatzes der Algebra gibt es (mit Vielfachheiten gerechnet) ge-nau . Wurzeln dieser Gleichung. Jede Wurzel von (3.1.1) ist auch Eigenwert, jedochgibt es im allgemeinen weniger als . Eigenvektoren. Sei ein Eigenwert, so ist/�0 �21 �435! 2#6%$'&7(ein -invarianter Unterraum, der Eigenraum von zum Eigenwert . Sei 8 die Dimen-sion von

/90./90

ist enthalten im verallgemeinerten Eigenraum, der gegeben ist durch:;0 �=<"�>�� �@? A�B �DC mit! �#6%$'&7(FE4�G�,+IHJ�

Der verallgemeinerte Eigenraum:�0

zum Eigenwert ist invariant unter der Abbil-dung . Eine weitere Zerlegung in invariante Unterraume ist moglich. Dazu betrachtetman den minimalen Wert

BLK, so daß 1 � 3"! ,#�%$'&)( EFM � :�0

ist. So eine Zahl existiert im-mer. In

:�0existiert eine Basis N , welches die Vereinigung von 8 Mengen OQPSRT�T�T�SRUO@V

ist, wobei jedes O E die Form

O E �W<"� ESX PURT�T�4� R�� E X Y[Z H(3.1.2)

57

Page 2: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

58 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

hat mit ! �#�%$'&)( � ESX ��� P � � E X � R � � $ RT�4�T�4R�� E R! �#� $ &)(F� E X P �,+-�

Die Einschrankung von auf:�0

hat in der Basis N dann die Gestalt��������

P + �T�T� �T�T� ++ �� + �T�T� +... . . . . . . . . . ...+ �T�T� + ++ �T�T� �T�T� + V

��������� R(3.1.3)

wobei jeder dieser � E�� � E BlockeE die einfache Form

E �

�������������

$ + �T�4� �T�T� ++ $ + . . . +... . . . . . . . . . . . . ...... . . . . . . . . . +... . . . $+ �T�4� �T�T� �T�4� +

��������������

(3.1.4)

hat. Damit haben wir die komplexe Jordan’sche1 Normalform einer Matrix erhalten. Inder reellen Jordan’schen Normalform hat man auch eine Darstellung in Blocken wiein (3.1.3), jedoch sehen die Blocke i.a. anders aus. Ist reell so bleibt die Form (3.1.4)erhalten. Fur komplexe Eigenwerte Q��� ��� , ergibt sich statt (3.1.4) die Form

E �

�������������������

������� # ���! "� $ + �T�4� �T�T� �T�T� +�#�$ %� ���&��� + $ + �T�T� �T�T� ++ + ���&��� # �#�! "� $ + �T�T� ++ + �#�$ '� �(���)� + $ �T�T� +...

... . . . . . . . . . . . . . . . ...... . . . . . . . . . $ +... . . . . . . + $+ �4�T� �T�T� �T�T� �T�4� + �(����� # �#�$ "�+ �4�T� �T�T� �T�T� �T�4� + ���! '� �(���)�

��������������������

�(3.1.5)

Eine einfache Begrundung fur diese Form ergibt sich aus der komplexen JordanschenNormalform und der folgenden Uberlegung. Ist >� ein komplexer Eigenwert einerreellen Matrix so ist * ebenso ein Eigenwert und es gibt zu dem zur Menge aus Glei-chung 3.1.2 O E � <"� E X PUR4�T�T�4R � ESX Y Z H eine Menge O,+E �W< � E X P�RT�T�T� R � E X Y Z H konjugiert komple-xer Vektoren die eine entsprechende Basis zum Eigenwert * bilden. Wir definieren nun

1Camille Marie Ennemond Jordan (5.1.1838-21.1.1922) wurde zunachst zum Bergbauingenieur aus-gebildet. Im Jahre 1916 wurde er Prasident der franzosischen Akademie der Wissenschaften. Sein Werkumfaßt neben der Normalform Beitrage zur Algebra (u.a. zur Galois-Theorie), zur Analysis, zur Wahr-scheinlichkeitsrechnung und zur Topologie der Ebene (Kurvensatz).

Page 3: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

3.2. EXPONENTIALABBILDUNG 59

ein Paar reeller Vektoren � ESX � � $� ! � E X ��� � E X � (SR��@� $ RT�4�T�4R�� E� ESX � � $�� ! � E X � # � E X � (SR� � $ RT�T�T� R�� E �Nun sehen wir leicht

� E X � � $� ! � E X ��� � ESX � (� � E X ��� P � ����� ! � ( # ���! ! � (�#�! ! � ( ���&� ! � (�� � E X �� E X � � �

Fur � E X � ergibt eine ahnliche Rechnung ein ganz ahnliches Ergebnis. Fur die Basis,die immer aus Paaren

O��E �=< � ESX P R � E X P�RT�T�T�SR � E X Y Z R � E X Y[Z Hbesteht ergibt sich dann die obige Abbildungsmatrix.

Wie sieht der Block fur Q� ? ? � ��� aus?

3.2 Die Exponentialabbildung

Definition 3.2.1 Sei W��� ! �9� R ��� ( . Wir setzen � �� � ����� < ? � ? ? �>� �9� R ? � ? � $�H .

Lemma 3.2.2 ����� ist eine Norm auf dem linearen Raum der linearen Abbildungen von� �

insich. Außerdem gilt � N������ �� �SN!� .Beweis. Einfaches Nachrechnen!

Definition 3.2.3 Sei eine . � . -Matrix. Die Funktion: � � � � ! � � R � � ( sei definiert

durch : ! R�" ( � #$E&% K " EB(' E �(3.2.4)

Wir nennen: ! R�" ( die Matrixexponentialfunktion und schreiben dafur auch manchmal

: ! R�" ( � �*)+ �Lemma 3.2.5 Die Funktion

: ! R�" ( ist fur jedes �,� ! � � R ��� ( und jede reelle Zahl " � �definiert.

Beweis. Ubungsaufgabe!

Page 4: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

60 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

Satz 3.2.6 Die Matrixexponentialfunktion: ! R�" ( lost das Anfangswertproblem (2.2.22)

�� �, � R � ! + ( � $'&aus Hilfssatz 2.2.21.

Beweis. Zunachst betrachten wir eine Teilsumme der Reihe: ! R�" (

: V ! R�" ( � V$E�% K " EB ' E �

Die Ableitung von: V ! R�" ( ist naturlich

�: V ! R�" ( � V$E&% P " E � P! B #�$"( ' E �, : V � P ! R�" (S�

Wegen der gleichmaßigen Konvergenz der rechten Seite (auf kompakten Teilmengenvon

�) ist

: ! R " ( differenzierbar und�: ! R " ( �2 : ! R " ( . Naturlich ist auch

: ! R�+L( �$ & .Die Losung des Anfangswertproblems

�� � � , � ! +L(�� � K erhalt man also durch� ! " R � K (*� : ! R�" ( � K .Hilfssatz 3.2.7 Kommutieren die beiden Matrizen RUN miteinander, d.h. ist N � N ,folgt fur alle " � �

N : ! R�" (*� : ! R�" (FN Rund es gilt : ! � N R�" (*� : ! R " ( : ! N R�" ( � : ! N R " ( : ! R�" (��(" � � �Beweis. Die erste Eigenschaft ist eine unmittelbare Konsequenz der Definition, diezweite erhalt man aus dem Eindeutigkeitssatz fur die Losung von Anfangswertpro-blemen, indem man nachpruft, daß

: ! � N R " ( und: ! R�" ( : ! N R " ( das gleiche An-

fangswertproblem losen.

kann durch eine Ahnlichkeitstransformation in die Jordan’sche Normalform ge-bracht werden. Sei � die Jordan’sche Normalform von und

�die Transformations-

matrix, also � � � � � P . Die allgemeine Form des Verhaltens der Losungen unterKoordinatentransformation ist in Aufgabe 4, Blatt 5 angegeben. Fur den Spezialfallkonnen wir die Losung des Ausgangsproblems gewinnen, indem wir in die Jor-dan’sche Normalform uberfuhren, fur diese dann die Gleichung losen und zuruck-transformieren. Wir erhalten

� ! " R�� K ( � : ! R�" (F� K � � � P � ! " R � � K (*� � � P : !�-R " ( � � K �

Aus der Eindeutigkeit der Losung folgt noch: ! R�" (*� � � P : ! � � � P R " ( � �

Page 5: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

3.2. EXPONENTIALABBILDUNG 61

Naturlich kann man diese Formel auch unmittelbar aus der Definition von: ! R " (

schließen. Zur allgemeinen Losung linearer Anfangswertprobleme mussen wir noch: !�-R " ( ausrechnen. Wir gehen von der Gestalt (3.1.3) aus. Naturlich gilt fur eine Ma-

trix � in Blockdiagonalgestalt

�>� � ����� ! PSRT�T�T�SR V ( ( Rdaß die Matrixexponentialfunktion auch Blockdiagonalgestalt annimmt, also

: !�IR�" (*� � ����� ! : ! PSR�" ( RT�T�T�SR : ! V�R�" ( ( �

Ist

ein Block der Lange $ , also � ! �( , so ist naturlich

: ! R�" (;� � 0 + . Ist

ein Blockder Lange ��� $ und der zugehorige Eigenwert reell, so ergibt sich die Exponential-reihe aus folgenden Betrachtungen.

Definition 3.2.8 Eine Matrix � heißt nilpotent, wenn es ein � �DC gibt mit � Y � + .

Lemma 3.2.9 Ein Block der Gestalt (3.1.4) ist die Summe einer Diagonalmatrix � und einernilpotenten Matrix � .

Beweis. Naturlich ist � � � ����� ! %RT�T�4� R �( . Ubrig bleibt die � � � Matrix

� �

�������������

+ $ + �4�T� �T�T�=++ + $ + . . . +... . . . . . . . . . . . . ...... . . . . . . . . . +... . . . + $+ �4�T� �T�T� �4�T� + +

�������������

�(3.2.10)

Eine einfache Rechnung zeigt, daß � Y � + ist. Damit ist � nilpotent.

Bemerkung 3.2.11 Genauer gilt, daß jede Matrix Summe einer diagonalisierbaren undeiner nilpotenten Matrix ist. Unser Beweis zeigt dies zumindest fur reelle Matrizen mit aus-schließlich reellen Eigenwerten.

Lemma 3.2.12 Die Matrixexponentialfunktion: ! R�" ( eines Jordan-Blocks der Lange � zum

Eigenwert hat die Gestalt

: ! R " ( ��� 0 +�������������

$ " " � � "�� � �4�T� +������� Y � P����+ $ " . . . . . . ...... . . . . . . . . . . . . "�� � ... . . . . . . . . . " �� �... . . . $ "+ �T�T� �T�T� �T�T� + $

��������������

(3.2.13)

Page 6: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

62 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

Beweis. Es gilt � � � � � und daher mit dem Hilfssatz 3.2.7: ! R�" (*� : !� � � R�" (*� : !

�>R�" ( : !� R�" (S�

Nun ergibt: !

�>R�" ( ��� 0 + $'& und da � nilpotent ist, hat man

: !� R " ( �W$'& � " � � " �� �

� � �4�T� � " Y � P! � #�$"( ' � Y � P �Fur einen nichtreellen Eigenwert stellt man die gleiche Betrachtung im Komplexen anund schneidet den Losungsraum mit dem

� �. Wir wollen die entsprechende Formel

im Moment nicht angeben.Den Losungsraum linearer autonomer Gleichungen kann man einfach charakterisie-ren. Dies ist der Inhalt des nachsten Satzes, der im weiteren noch verallgemeinert wird.

Satz 3.2.14 (Algebraische Struktur des Losungsraumes I) Sei � � ! �G� R ��� ( .Wir set-zen

� � <"�W� � P ! � R ��� ( ? �� � �%H .�

ist ein linearer Raum. Die Dimension von�

ist. .

Beweis. Offensichtlich ist die Summe zweier Losungen wieder eine Losung. Gleichesgilt fur das Produkt � � mit � � �

und � � �. Also bleibt zu zeigen, daß

� ��� � � .ist. Sei

� � � � � �die Abbildung

� � � � ! +L( . Offensichtlich ist�

linear und wegender eindeutigen Losbarkeit von Anfangswertproblemen injektiv. Wegen des globalenExistenzsatzes ist

�surjektiv. Also gilt

��� � �.

Als nachsten Schritt betrachten wir die inhomogene lineare Gleichung, gegeben durch�� � �� ��� ! " ( R(3.2.15)

wobei � � � � ���eine stetige Abbildung ist. Wir wissen, aufgrund des Existenzsat-

zes, daß diese Gleichung bei Vorgabe eines Anfangswertes losbar ist. Die algebraischeStruktur ist naturlich etwas anders als vorher. Wie in der linearen Algebra besteht dieallgemeine Losung aus einer speziellen Losung plus einem beliebigen Element aus

�.

Satz 3.2.16 (Algebraische Struktur des Losungsraumes II) Sei� �W<"� � � P ! � R � � ( ? �� � �� ��� ! " (UHJ�

�ist ein . -dimensionaler affiner Unterraum von

� P ! � R ��� ( . Es existiert also ein �K

�� P ! � R ��� ( mit der Eigenschaft, da� �=<"�

K � � ? �>� � HJ�Beweis. Wie schon bemerkt, hat die Gleichung (3.2.15) immer eine Losung. Sei �

Keine

solche Losung. Dann ist naturlich fur � � � auch �K � � eine Losung. Wir mussen noch

zeigen, daß jede Losung diese Form hat. Sei � P eine weitere Losung der Gleichung(3.2.15). Dann ist �

K#�� P eine Losung der homogenen linearen Gleichung (einfaches

Nachprufen zeigt dies). Damit ist �K# � P � � .

Wir wollen uns noch kurz Gedanken machen, wie man eine spezielle Losung �K

findet.

Page 7: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

3.3. NICHTAUTONOME LINEARE GLEICHUNGEN 63

Lemma 3.2.17 (Formel der Variation der Konstanten) Sei � � ! �G� R ��� ( , � �I� � ���stetig. Sei � K � ���

. Dann ist eine spezielle Losung der Gleichung��2� � � � ! " ( gegeben

durch�K ! " (*���*) + � K � � +K �*) � + ��� � � !�� (�� � �(3.2.18)

Beweis. Differenzieren ergibt

���" � K ! " ( �2��*) + � K �� �*) � + ��� � � !� (��� ����� � � +K �

��" �*) � + ��� � � !� (�� � Ralso �

��" � K ! " (*�,��*) + � K ��� ! " ( � � +K �*) � + ��� � � !�� (�� � � �� � � ! " (S�3.3 Die nichtautonome lineare Gleichung

In diesem Abschnitt widmen wir uns den Gleichungen��Q�2 ! " ( �(3.3.1)

und ��Q�, ! " (F� � � ! " (SR(3.3.2)

wobei ��� � � ! � � R � � ( und � ����� � �stetige Abbildungen auf einem offenen

Intervall��� �

sind. Naturlich kann man hier nicht erwarten, daß die Konstruktionder Matrixexponentialfunktion zum Ziel fuhrt.

Lemma 3.3.3 Das Anfangswertproblem�� �, ! " ( � R � ! " K ( � $'&(3.3.4)

hat fur eine stetige Abbildung ���@� � ! �9� R ��� ( und " K � �eine eindeutige Losung

� � � ! " R�" K ( ��� � � � � ! � � R � � (S�Beweis: Die Existenz folgt aus den Existenzsatzen (2.1.7) und (2.1.18).

Definition 3.3.5 Die Abbildung� ��� � � � ! � � R � � ( � ! " R�" K (��� � ! " R�" K ( heißt Ubergangs-

matrix.

Man uberlege sich eine anschauliche Begrundung fur die Terminologie.

Satz 3.3.6 (Eigenschaften der Ubergangsmatrix) Die Ubergangsmatrix� ! " R " K ( ist fur je-

des Paar! " R�" K ( � � �

definiert und hat die Eigenschaften

Page 8: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

64 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

� � ! " R�" (*� $ & ;� � ! " R � ( � !� R " K ( � � ! " R�" K (�� ! " R � R�" K ( � � � ;� � ! " R�" K ( � P � � ! " K R�" ( .

Beweis. Die erste Eigenschaft ist nach Definition gegeben. Fur die zweite Aussage be-trachtet man die matrixwertige Funktion

� ! " ( � � ! " R � ( � !�� R�" K ( . Sie genugt der Diffe-rentialgleichung �� ! " ( � � ! " (mit dem Anfangswert

� !� ( � $'& � !�� R�" K ( . Offenbar ist� ! �)R�" K ( eine Losung derselben Dif-

ferentialgleichung und fur "�� �hat man den Wert

� !�� R�" K ( . Eindeutigkeit der Losungdes Anfangswertproblems liefert die Gleichheit der linken und der rechten Seite. Diedritte Aussage ist eine unmittelbare Konsequenz der zweiten.

Wie zuvor sei nun� � �

ein Intervall, ���9� � ! � � R � � ( eine stetige Abbildung. Wirsetzen fur eine stetige Funktion � ����� �9�

� �W<"�>� � P ! � R � � ( ? ��Q�2 ! " ( � ��� HJ�Sei

� � � K. Wir notieren einige einfache Aussagen.

Lemma 3.3.7 1. � P � � R�� � � ����� � P � � � � � � � [Superpositionsprinzip];

2.� ��� � K �,. ;

3. Sei � K � � fest. Dann ist� �W<"� K � � ? � � � HJ� [Algebraische Struktur des Losungs-

raumes III];

4. Jedes � � � hat die Darstellung � ! " R " K R � K ( � � ! " R�" K ( � K .Beweis. Die erste und die dritte Aussage sind trivial. Fur die zweite fixieren wir einenZeitpunkt " K � �

und zeigen wie zuvor, daß die Abbildung� � � � �9��� � �� � ! " K (

ein Isomorphismus ist. Die letzte Aussage folgt wieder aus der Eindeutigkeit: Sei �Losung des Anfangswertproblems

�� � �� R � ! " K R�" K R � K ( �,� K �Dann ergibt sich fur � ! " ( � � ! " R�" K (F� K

�� � �� ! " R " K (F� K �, � ! " R�" K (F� K �, � R � ! " K ( � � ! " K R " K (F� K � � K �Also ist � � � .

Wie zuvor erhalt man aus der Formel der Variation der Konstanten die Darstellungder Losung der inhomogenen Gleichung.

Page 9: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

3.4. EBENE LINEARE SYSTEME 65

Satz 3.3.8 (Variation der Konstanten) Sei��� �

ein Intervall, � ��� � ! �G� R ��� ( und� � � � ���seien stetig, " K � �

. Sei� � � � � � ! ��� R ��� ( die zugehorige Ubergangsmatrix.

Dann hat die Losung � ! " R�" K R�� K ( des Anfangswertproblems�� � ! " (F� � � ! " (� ! +L( � � K(3.3.9)

die Losung

� ! " R�" K R � K ( � � ! " R�" K ( � K � � ++ M � ! " R � ( � !�� ( � � �Beweis. Sei � ! " (*� � ! " R " K (F� K � � ++ M � ! " R � ( � !�� (�� � �Dann ist � ! " K ( � $ &)� K �,� K und

�� �2 ! " ( � ! " R " K ( � K ��� ! " ( � � ++ M ! " ( � ! " R � ( � !� (�� � �, � � � �Die Eindeutigkeit der Losung bringt das gewunschte Resultat.

3.4 Ebene lineare Systeme

In diesem Abschnitt wollen wir ebene, lineare und autonome Systeme charakterisie-ren. Wir betrachten also eine Gleichung der Form

��G� �� R(3.4.1)

wobei � � ! � � R � � ( eine lineare Abbildung ist. Seien %P R � die Eigenwerte von .Wir unterscheiden:

1. P � � ��+ ;

2. P*�, � ��+ ;

3. P*� � R�� � P � + ;

4. P � � � + ;

5. P*�, � � + ;

6. Re P ��� � � �,+ , ����,+ ;

7. P ��+ � � ;8. P*�, ��� + ;

Page 10: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

66 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

−5 −4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 5−5

−4

−3

−2

−1

0

1

2

3

4

5

Abbildung 3.1: Die Trajektorien von: !

�IR�" ( .

−5 −4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 5−5

−4

−3

−2

−1

0

1

2

3

4

5

Abbildung 3.2: Die Trajektorien von: ! R�" ( mit schiefliegenden Eigenraumen.

9. P � � � + ;

10. P � � R � � P � + ;

11. P � � � + .

1. Fall: Dabei hat die Jordan Normalform die Gestalt

�>� P ++ � �(3.4.2)

Seien � PSR�� � die Eigenvektoren zu P X�. Dann konvergieren alle Losungen fur " � # �

gegen Null, fur " �� verlassen alle Losungen (außer einer!) jedes Kompaktum. Sie

schmiegen sich (fur " � # � ) an die � � -Achse an.

2. Fall: Wir unterscheiden zwei mogliche Formen des Jordan Blocks (Eigenwerte sindgeometrisch einfach oder nicht). Zunachst der Fall der geometrisch einfachen Eigen-werte. Hier hat der entsprechende Jordanblock die Form

�>� P ++ P � �(3.4.3)

Page 11: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

3.4. EBENE LINEARE SYSTEME 67

−15 −10 −5 0 5 10 15−15

−10

−5

0

5

10

15

Abbildung 3.3: Die Trajektorien von: !

�IR�" ( mit halbeinfachen Eigenwerten.

−15 −10 −5 0 5 10 15−15

−10

−5

0

5

10

15

Abbildung 3.4: Die Trajektorien von: !

�IR�" ( mit geometrisch einfachem, algebraischdoppelten Eigenwert.

Alle Losungen haben dieselben Konvergenzeigenschaften wie zuvor. Nur ist die Be-wegung langs gerader Linien.Ist der Eigenwert nicht geometrisch einfach, so hat der Jordanblock die Gestalt

� � P $+ P � �(3.4.4)

Auch hier hat man die Konvergenzeigenschaften wie im ersten Fall, jedoch schaut dasBild wiederum anders aus.

3. Fall: Wieder ergibt sich die gleiche Konvergenz, jedoch erhalt man einen Strudel. Sei P*� ? ? � ��� . Dann ist � � ? ? � � ��� und die reelle Normalform hat die Form

� � ? ? ���&��� # �#�! ���#�$ �� ���&��� � �(3.4.5)

4. Fall: Fur die Jordan Form ergibt sich

� � $ ++ +�� �(3.4.6)

Page 12: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

68 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

Langs der � � -Achse hat man konstante Losungen (Ruhelagen). Alle anderen Losungenkonvergieren fur " � # � gegen 0 und verlassen in positiver Zeitrichtung jedes Kom-paktum.5. Fall: In diesem Fall hat die Jordan Form das Aussehen

�>� + ++ +��(3.4.7)

oder

�>� + $+ + � �(3.4.8)

Der erste dieser beiden Falle liefert ausschließlich konstante Losungen. Im zweiten hatman eine Bewegung auf Parallelen zur � P -Achse gegen unendlich.6. Fall: Unsere Abbildung erhalt die Gestalt

�>� �(��� � # �#�! ��#�$ � �(��� � � �(3.4.9)

Wir erhalten Losungen, die sich auf Kreislinien um den Ursprung bewegen.7. Fall: Ein qualitativ neues Bild ergibt sich hier. Auf der einen Achse bewegt man sichfur " �

� gegen unendlich und fur " � # � gegen Null, auf der anderen Achse hatman das gegenteilige Verhalten. Dazwischen sind Losungen, die fur beide Zeitrichtun-gen jedes Kompaktum verlassen und sich fur " � � � an die jeweilige Eigenwertach-se anschmiegen. (Dies ist die Motivation fur den Begriff hyperbolisch, den wir nocheinfuhren werden.)In den anderen Fallen ergeben sich ganz ahnliche Bilder wie bisher, nur die Zeitrich-tungen sind anders. Wir geben nur die Normalformen und die Bilder, keine weiterenKommentare.

�>� P ++ � �(3.4.10)

8. Fall:

�>� P ++ P �(3.4.11)

oder

�>� P $+ P �(3.4.12)

9. Fall:

�>� P ++ � �(3.4.13)

10. Fall:

� � ������� # ���! ��#�! � ������� �(3.4.14)

Page 13: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

3.5. EIGENWERTE UND LANGZEITVERHALTEN 69

11. Fall:

�>� P ++ +��(3.4.15)

3.5 Eigenwerte und Langzeitverhalten

Die Betrachtungen im vorstehenden Abschnitt legen es nahe zu vermuten, daß dieEigenwerte und das Langzeitverhalten fur lineare, autonome Systeme eng gekoppeltsind. Wir wollen dieses bestatigen.

Satz 3.5.1 (Spektrum und Stabilitat I) Sei � � ! � � R ��� ( . Wir betrachten die Differenti-algleichung ��G� �� �Mit �

! ( bezeichnen wir das Spektrum von , d.h. �! ( ist die Menge aller Eigenwerte von . Dann hat man folgendes Verhalten:

Haben alle Eigenwerte negativen Realteil, so ist + die einzige beschrankte Losung und alleanderen konvergieren fur " � � gegen + . Fur " � # � hat man Konvergenz gegen unendlich.Gibt es einen Eigenwert mit positivem Realteil, so gibt es eine Losung, die fur " � # � gegen+ konvergiert und fur " � � jedes Kompaktum verlaßt.Gibt es einen Eigenwert mit Realteil + , so existiert zumindest eine Losung � ! " R�� K ( , � K �� + ,welche fur alle Zeiten beschrankt ist.

Beweis. Angenommen, � K ist Anfangswert einer beschrankten Losung � ! " R�� K ( . JedeLosung der linearen Gleichung hat wegen der Bemerkung nach Satz 3.2.6 die Dar-stellung � ! " R�� K ( � : ! R�" (F� K . Sei

�die Matrix, die in die komplexe Jordan Nor-

malform � transformiert, � K � � � K ist dann der Anfangswert fur eine beschrankteLosung � ! " ( � : !

�-R " ( � K . Sei � K � ! � PK RT�T�4�4R � �K ( . Ist � K �� + , so ist � K �� + und es gibt ein� �,<J$ R4�T�T�SR�. H mit ���K �� + und fur 8 �,< � � $ RT�4�T�4R�. H ist � VK � + . Sei der Eigenwertzum � -ten Eigenvektor in der Basis zur Jordan Form. So ist die � -te Komponente von: !

�-R " ( � K gegeben durch � 0 + ���K . Dann ist? � 0 + � K ? � ����� � 0 � + ? ���K ? . Fur " � # � ist dies unbe-

schrankt. Um die Konvergenz zu zeigen, betrachten wir � � ��� < � � ! �( ? 2���! (UH .

Dann ist � � + und: !

�-R�" ( � ��� � +�� ! " ( . Dabei ist � eine matrixwertige Funktion. Jedes�! " ( ist eine obere Dreiecksmatrix, mit Eintragen ��� +�� ! " ( , wobei � ein Polynom ist und

��L!�� ( � + . Dann ist � � ! " ( � beschrankt und � : !

�IR�" ( � � + fur " �� . Damit konvergiert

auch � : ! R�" ( � � � � � P : !�-R�" ( � � ��� � � � : !

�IR�" ( � � � �fur " � � gegen null.Die zweite Aussage beweist man ebenso wie die Unbeschranktheit fur � ! " R�� K ( fur" � # � im ersten Fall. Man betrachtet hier einfach einen Anfangswert im verall-gemeinerten Eigenraum zum Eigenwert mit positivem Realteil.

Page 14: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

70 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

Die dritte Aussage erhalt man, indem man einen Eigenvektor als Anfangswert im Ei-genraum des Eigenwertes mit verschwindendem Realteil betrachtet. Hier unterschei-det man zwei Falle,(a) G�,+(b) ��,+ .Der erste dieser Falle ist einfach. Ist � K im Kern von , so ist naturlich

: ! R�" ( � K � � Kfur alle " und damit ist die Losung � ! " R�� K (*�2� K eine konstante, und damit beschrankteLosung.Im zweiten Fall hat man im Komplexen einen Anfangswert � �K , so daß

: ! R�" ( � �K ��� 0 + � �Kist, also gilt

? : ! R " (F� �K ? � ? � 0 + ?)? � �K ? � ? � �K ? . Wir setzen � K � � �K � � �K . Dies ist ein reellerVektor. Es gilt

: ! R�" ( � K � � 0 + � �K � � � 0 + � �K . Da 2� # ist dies immer reell. Da beideSummanden in der Norm beschrankt sind, folgt dies auch fur

: ! R�" ( � K .3.6 Aufgaben

Aufgabe 3.6.1 Wir bezeichnen mit �� die Transponierte einer reellen Matrix undmit

� 35! ( die Spur von . Man zeige:(a)

���S� : ! R�" (*��� ��� � ) � +(b)

: ! �� R�" (*� ! : ! R�" ( (��(c) Ist schiefsymmetrisch, d.h. � �� � + , so ist

: ! R " ( fur alle " � �orthogonal.

(Eine Matrix N heißt orthogonal, wenn N�� N � N@N� � $'& ist.)

Aufgabe 3.6.2 Sei � � � � � �stetig und beschrankt, � � ! � � R � � ( . habe keinen

Eigenwert mit ��L! Q( � + .

(a) Man zeige: Die Gleichung��Q� � ��� ! " ( besitzt eine beschrankte Losung.

(b) Ist diese Losung eindeutig?(c) Ist � periodisch mit Periode

� + , so ist auch die in (a) gefundene Losung

-periodisch.

Aufgabe 3.6.3 Man finde: ! R�" ( fur folgende Matrizen

,� $ # $$ $ � R �

�� + $ +# $ + $+ # $ +

�� R �

�� + $ $+ + $+ + +

�� �

Wie sieht: ! R�" (F� K fur verschiedene � K �� + aus.

Aufgabe 3.6.4 Sei� � �

ein Intervall, � � � � ! � � R ��� ( eine stetige Abbildung.Gegeben seien . Losungen �%P RT�T�T�SR�� � der Differentialgleichung

��G�, ! " (F� .(a) Man zeige: Gibt es ein � � �

, so daß die Vektoren � P ! ��(SRT�T�4�4R�� � ! ��( linear unabhangigsind, so sind die Vektoren � P ! " (SR4�T�T�4R � � ! " ( fur alle " � �

linear unabhangig. Man nenntdann �%P ! " (SR4�T�T�4R � � ! " ( ein Fundamentalsystem und die Matrix �

! " ( , deren Spalten aus denVektoren �%P ! " (SRT�4�T�4R�� � ! " ( besteht, Fundamentalmatrix.

Page 15: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

3.6. AUFGABEN 71

(b) Ist �! " ( eine Fundamentalmatrix, so nennt man die reellwertige Funktion � ! " ( ����S�

�! " ( die Wronski-Determinante von . Man zeige: � lost die Differentialgleichung�� � � 35! ( � .

Aufgabe 3.6.5 Sei � � � � ! � � R � � ( eine stetige Abbildung auf einem Intervall� ��

. Sei� �2� �

eine offene, nichtleere Teilmenge und " K � �sei fest gewahlt. Setze

� ! " ( �W<"� ! " R�" K R�� K ( ? � K � � HJRwobei � ! " R " K R�� K ( die Losung des Anfangswertproblems

�� �� ! " (F� R � ! " R " K R � K ( � � K be-zeichnet. Mit � bezeichnen wir das Lebesgue Maß auf

� �. Man gebe eine hinreichende

Bedingung an dafur, daß � ! � ! " ( ( � � ! � ( fur alle " � �gilt.

Aufgabe 3.6.6 Man lose die Differentialgleichungen!�� ( �� � � �#�$ ! " ( � ! ���! ! " ( ( � !�� ( ! $ � " � ( �� � " �G� " �

Page 16: Kapitel 3 Lineare Differentialgleichungen

72 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN