12

Click here to load reader

Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

J. Eschler, Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers 167

_&us der kieferorthop~dischen und kiefe~chilurgischen Abteilung (Vmstand: Prof. Dr. Dr. J. Eschler) der Universiti~ts-Zahn- und -Kiefelklinik Freibmg i. Br. (DiIektor: P~of. Dr.

H. Rehm)

Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers Von J. Eschler, Freiburg i. Br.

Mit 8 Abbildungen

Bei der Geburt ist das Kausys tem des Menschen nur unvollkommen ausgebil- det. Die Z/~hne sind noch nicht durchgebrochen; die Gelenke sind als solche zwar vorhanden, ihre Form bildet sieh aber erst sp/iter aus ( S t e i n h a r d t , H i t u p l , Hof f e r ) . Bei dem vermeintliehen Waehstum des Gesichtssch~dels v o n d e r Geburt bis zur Reife handelt es sich nach K o r k h a u s nicht um eine einfaehe oder drei- dimensionale Vergr6Berung aller seiner Teile, also um ein , ,Waehstum", sondern um eine ,,Entwieklung". Diese Entwieklung des Gesiehtsseh/idels ist wohl dureh das sieh in ihm entwiekelnde GebiBsystem begrtindet. AuBerdem unterliegt die Gesiehtsentwieklung der T/~tigkeit der an den Gesiehtsknoehen entspringenden oder ansetzenden und ihnen benaehbarten Muskeln. Von diesen muskul~ren Fak- toren habe ieh die Funktion der Kaumuskeln einsehlieglieh Mundbodenmuskeln herausgegriffen.

Naehdem yon mir sehon auf tier letzten Tagung das umfangreiehe und sehwie- rige Gebiet der Kaumuskelfunktion in Beziehung zur R/ieklage des Unterkiefers abgehandelt wurde, will ieh versuehen, die Zusammenh/inge zwisehen Kaumuskel- funktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers zu erSrtern. Die Lateralver- lagerung des Unterkiefers ist ein altes urld immer wieder aufgerolltes Problem der Kieferorthop/idie. So haben 1951 E. R e i e h e n b a e h und D. N e u m a n n ein- gehend darfiber beriehtet. Umfangreiehe Verlagerungen f/ihren zu deutliehen Ge- siehtsasymmetrien, die mehr yon ehirurgiseher Seite behandelt wurden. •tio- logiseh werden fiir die angeborenen Asymmetrien intrauterine exogene Einfliisse, wie Fruehtwassermangel, Amnionf/iclen, Uteruskontrakt ionen u./i. verantwort- lieh gemaeht ( G r o t h , L i e b r e e h t , A b e l s u. a.).

Der Umfang des Stoffes zwingt mich, solehe Verlagerungen des Unterkiefers, die dutch eine fehlerhafte ZahnsteUung oder dureh naeh der Geburt auftretende Erkrankungen wie Ankylosen, Osteomyelitiden verursaeht sind, auszusehlieBen und mieh auf die muskul/irbedingten Lateralverlagerungen zu besehr/inken.

Die Funktion eines Muskels wird im allgemeinen dureh seine Wirkungsrieh- tung, die der Verlaufsriehtung yon seinem Ursprung zum Ansatz entgegengesetzt geriehtet ist, bestimmt. Wird ein solcher Muskel dutch einen nervalen Reiz zur T/~tigkeit angeregt, so bleibt die Bewegungsriehtung der Extremit~t immer die- selbe, unabh&ngig davon, ob der Muskel einen starken oder kleinen nervalen Reiz erh/ilt. Die Wirkungsriehtung eines Extremit~tenmuskels wird yon der HShe des f/Jr seine Tgtigkeit notwendigen Innervationsaufwandes nieht beeinfluBt. Von der H6he der EiTegung ist nur die Kraftst/~rke des Muskels abh/~ngig. Dureh einen hohen Innervationsaufwand wird der Muskel zu einer gr6I~eren Kraft leistung be- f~higt, a|s dureh einen niedrigen.

Page 2: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

168 Fortsehritte der Kieferorthop~idie Bd. 23 H. 1 u. 2 0962)

Diese Tatsaehen der Funk t ion der Skelet tmuskeln sind aber auf die Tatigkeit der Kaumuske ln nieht ohne weiteres iibertragbar. Die Einsehr~inkung ist dureh einige entwicklungsgeschiehtliche, anatomisehe und physiologisehe Eigenheiten des Kausys tems bedingt.

Das Kausys t em wird paarig, paramedian der Sch~idelmedianebene angelegt. Ober- und Unterkiefer bestehen zun~ichst aus zwei paramedianen Hfilften, die in der Sch~delmedianebene lest verwaehsen. Von den Kiefern interessiert vor allem der Unterkiefer, der als beweglicher Knochen zwar mit einer Ex t remi ta t vergleieh- bar, dennoch mit seinen Gelenken und den an ihn ansetzenden Muskeln eine ana- tomische und physiologische Besonderhei t darste]lt. Infolge seiner En ts tehung aus zwei paramedianen tt~ilften, wobei jede H~ilfte mi t dem Sehiidel gelenkig ver- bunden ist, ist er um zwei proximale Gelenke beweglieh. Es gibt keine Unter- kieferbewegung, an der nieht beide Kondy len teilhahen. An jeder Unterkiefer- h~lfte setzen Muskeln mi t jeweils derselben Ver]aufsr ichtung zu den 3 Sehfidel- ebenen, n~imlieh der horizontalen, f rontalen und sagit talen Ebene an. Da jeder Muskel mehr oder weniger schr~g zu allen diesen 3 Ebenen verlauft, setzt sieh die resultierende Wirkungsr ich tung eines jeden Muskels aus 3 ~Virkungskomponenten zusammen (Tabelle I).

Tabelle I. W i r k u n g s r i e h t u n g der e inze lnen am U n t e r k i e f e r a n s e t z e n d e n Muske ln

Mass. obliquus Mass. vertiealis

Temp. ant. Temp. med. Temp. post.

Pterygoid. reed.

Pterygoid. ]at.

.~Iundbodenmuskeln

kranial ~ ventral > medial (kontia~otatoriseh kranial >> dorsal ~ lateral (ipsiiotatoriseh)

kranial >> ventral > medial (kontlarotatoriseh kranial > ventral ;> medial (kontrarotatori~eh kranial > dorsal > lateral (ipsilotatori~ceh)

kranial > medial (kontiarotatoriseh) >> vential

ventral > medial (kontrarotatoriseh) >> kaudal

dorsal ~ kaudal >> lateral (ipsiIotatorisch)

Ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen - -sie wurden beleits an anderer Stelle er6rtert - - , soll diese Tabelle den Ausgangspunkt fiir die weiteren Ausfiih- rungen in Hinsieht zur Lateralver lagerung des Unterkiefers bilden. Betont soll werden, daft jeder Muskel neben seiner vert ikalen und frontalen }Virkungskompo- nente aueh eine mediale bzw. laterale Wirkungskomponen te besitzt. Da aber kein Muskel im Massenmittelpunkt des Unterkiefers ansetzt und nieht genau senk- reeht zur sagittalen Ebene ver]~uft, auBerdem die zur Sagittalebene sehr/ige Ver- laufsrichtung mit einer vertikalen und frontalen gekoppelt ist, wird die Unter- kieferh~tlfte dureh die Tiitigkeit keines Muskels in der horizontalen Ebene naeh medial oder lateral bewegt. Sie maeht eine l~otationsbewegung dureh. Die La- teralbewegung ist also immer eine Rotationsbewegung, wobei bei medialer ~Vir- kungskomponente das distale Ende der Unterkieferh/ilfte naeh der Gegenseite des Muskels (kontrarotatoriseh), bei lateraler ~Virkungskomponente naeh der Seite des Muskels (ipsirotatoriseh) bewegt wird. Diese rotatorisehe Wirkungskompo- nente steht in engster Beziehung mit der frontalen XVirkungskomponente. I m allgemeinen ist unter normalen Verhgltnissen mit der ventralen Wirkungskomponente eine kontrarotatorisehe und mit der Rfiek-

Page 3: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

J. Esehler, Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers 169

s e h u b k o m p o n e n t e eine i p s i r o t a t o r i s e h e W i r k u n g s k o m p o n e n t e ve r - bunden .

Da beide Unterkieferh/ilften in der Symphyse verwachsen sind und jeder Muskel einen kontrMateralen Partner besitzt, der zu den drei genannten Ebenen dieselbe Verlaufsriehtung einnimmt, miissen sich bei T/ttigkeit der beiden Muskeln eines bilateralen Muskelpaares die rotatorischen Wirkungskomponenten aufheben. Es bleiben nur die beiden Wirkungskomponenten zur horizontalen und frontalen Ebene fibrig (Tabelle II). Diese Wirkungskomponenten eines bilateralen Muskel- paares wurden als Hauptfunktion yon der als Nebenfunktion bezeichneten rota- torischen Tgtigkeit untersehieden (Eschler ) . Diese rotatorische Nebenfunktion tritt unter normalen anatomisehen Verh/iltnissen und bei gleichem Innervations- aufwand beider 5Iuskeln eines bilateralen Muskelpaares nicht in Erscheinung.

TabelleIL [Die Wirkungsr ieh tungen der b i la tera len Muskelpaare bei sym- metrisehen anatomisehen und neuromuskul~iren Verhiiltnissen und ihre

Auswirkung auf den Unterk iefer

3Iuskeln tIauptfunktion Bewegungsriehtung des Unterkiefers

Mass. obliquus

Mass. vertical.

Temp. anterior und reed.

�9 Temp. post.

Pterygoid. reed.

Pterygoid. lat.

3Iundbodenmuskeln

kranial ~ ventral

kranial >> dorsal

kranial > ventral

kranial > dorsal

kranial > ventral

ventral >> kaudal

dorsal ~ kaudal

Hebung > Vorsehub

I-[ebung >> Riieksehub

Hebung > Vorsehub

I-Iebung > tliieksehub

I-Iebung > Vorsehub

Vorsehub >> Senkung

Senkung ~ tliieksehub

Dureh die T/itigkeit eines Muskelpaares wird sonach die Unterkiefersymphyse entsprechend der I-Iauptfunktion des Muskelpaares in der Schgdelmedianebene bewegt. Da aber an jeder Unterkieferbewegung mehrere bilaterale Muskelpaare aktiv beteiligt sind und sie auch yon den Antagonisten sowie von den Bgndern und Gelenkkapseln und in den Bewegungsabschnitten, die unter Zahnkontakt ausgeffihrt werden, aueh von der Zahnstellung beeinfluftt wird, set zt jede Median- bewegung vollkommen symmetrische Verhgltnisse voraus. Das heigt, j eder Muskel mu$ unter dem gleiehen Neigungswinkel zu jeder der drei Ebenen verlaufen, der Innervationsaufwand eines jeden solchen Muskels mug gleich hoch sein, B/tnder und Gelenkkapseln als bremsende Faktoren m/issen dieselbe Struktur und Straff- heit besitzen und schlieBlich m/issen die Zahnb6gen im Ober- und Unterkiefer genau symmetrisch geformt sein. Dies ist aber ein Idealfall, d e r n u r sehr selten anzutreffen ist.

Von diesen genannten Faktoren interessiert in diesem Zusammenhang vor allem

1. Das Verhalten des Innervationsaufwandes der Muskeln der bilateralen Muskelpaare,

2. Die anatomischen Variationen der Muskeln der bilateralen Muskelpaare, 3. Kombinationsm6glichkeiten yon Innervationsaufwand und anatomisehen

Variationen.

Page 4: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

170 Fortschritte der Kieferorthcp~idie Bd. 23 H. 1 u. 2 (1962)

Die Funktion eines Muskels wird, wie sehon erw~hnt, von seiner Erregung und Wirkungsrichtung bestimmt. Ffir einen Muskel ist seine Funktionsrichtung seiner Wirkungsrichtung gleichzusetzen. Die Wirkungsrichtungen sind, abgesehen von ungleichem Wachstum der Uriterkieferh~tlften, wodurch sie asymmetrisch werden kSnnen, unabs Der Innervationsaufwand kann dagegen sehr weehselhaft sein. Aufschlu6 fiber den Innervationsaufwand gibt die Registrierung der bei der T/~tigkeit eines Muskels auftretenden elektrischen Potentiale. Diese k6nnen ab- geleitet werden

1. in der Ruhelage des Unterkiefers als sog. Grundspannungen, 2. beim Pressen der Zghne als PreBstrom, 3. bei der Ausf/ihrung yon Leerbewegungen des Unterkiefers, 4. bei der Aufaahme und Zerkleinerung versehiedener Nahrungsmittel, 5. beim Schluckakt, Sprechen u. g.

Bei dem gestellten Thema kommt es nun darauf an, die elektrischen Potentiale yon den Muskeln eines bilateralen Muskelpaares abzuleiten und zu vergleichen. Unter Beachtung meiner kritischen Stellungnahme auf der vorj~hrigen Tagung zur elektrisehen Untersuehung der Kaumuskeln m/issen, um die Ergebnisse einer bilateralen Ableitung vergleichen zu kSnnen, die Elektroden symmetrisch an- gelegt werden, bilateral gleichwertige Muskelabschnitte erfaBt und unter den- selben Bedingungen z. B. bei symmetrisch gleichstarkem Pressen, bei Ruhelage des Unterkiefers oder den Medianbewegungen abgeleitet werden.

Die Registrierung der Aktionsstrompotentiale kann nun ergeben, dab

1. die Erregung beider Muskeln gleichgrog ist, 2. die Erregung des linken Muskels gr6Ber ist als die des rechten, 3. die Erregung des rechten Muskels gr66er ist als die des linken.

Es kann sonaeh ffir ein bilaterales Muskelpaar eine funktionelle Gleichwertig- keit (funktionelle Symmetrie) oder eine funktionelle Hypervalenz eines Muskels fiber seinen kontralateralen Par tner (funktionelle Asymmetrie) bestehen.

Das funktionelle Zusammenspiel der beiden Muskeln eines bilateralen Muskel- paares, das durch eine gleichstarke Aktivit/tt beider Muskeln charakterisiert ist, entspricht einer bilateral koordinierten T/~tigkeit. Bei einer funktionellen IIyper- valenz eines Muskels eines bilateralen Muskelpaares besteht eine bilaterale In- koordination.

Bei Ausffihrung der Hauptfunkt ion eines bilateralen Muskelpaares fiberwiegt nun die rotatorische Nebenfunktion des hypervalenten Muskels die seines kontra- lateralen Partners: Sie kommt in der Bewegung der Unterkiefermitte nach der Seite zum Ausdruck. Die Seitenabweichung der Unterkiefermitte in Ruhe oder w/thrend der Bewegungen ist sonaeh das morphologisch-funktionelle Symptom einer inkoordinierten T~tigkeit eines bilateralen Muskelpaares (Tabelle I I I ) . Liegt die Symphyse des Unterkiefers bei seiner Ruhelage au6erhalb der Schgdelmedian- ebene, dann handelt es sich um eine bilaterale mandibulo-statistische Inkoordi- nation. Wenn bei den freien Leerbewegungen die Unterkiefermitte nach der Seite abweicht, sprechen wir yon einer bilateralen mandibulo-motorischen Inkoordi- nation. Die Verh/iltnisse werden sowohl bei Ruhelage als auch bei den freien Leerbewegungen dadurch kompliziert, dab immer mehrere Muskelpaare daran beteiligt sein k6nnen. Es kann auch eine bilaterale Inkoordination eines Muskel- paares durch die seitenverkehrte Inkoordination eines anderen Muskelpaares auf- gehoben werden. Die Unterkiefermitte verbleibt dann in der Schadelmedianebene.

Page 5: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

J. Eschler, Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers 171

TabellelII. Bewegung des Unterkiefers bei b i l a t e ra l - a symmet r i sehe r In- koord ina t ion eines Muskelpaares. I-Iypervalenz des reehten Muskels

Muskeln I-Iypervalenz Bewegungsriehtung der des rechten ~Iuskels UK-Symphyse

Mass. obliq.

Mass. vert.

Temp. ant.

Temp. post,

Pterygoid. med.

Pterygoid. lat.

,~Iundboden- muskeln

kranial ~ ventral ~ kontra- rotatoriseh

kranial >> dorsal ~ ipsirotato- risch

kranial > ventral > kontra- rotatorisch

kranial > dorsal > ipsirota- toriseh

kranial > kontrarotatoriseh >> ventral

ventral > kontrarotatoriseh >> kaudal

dorsal ~ kaudal >> ipsirota- toriseh

Hebung > Vorschub > naeh links

I-Iebung >> Riieksehub ~ naeh rechts

Ilebung > Vorschub > nach links

Kebung > l~iieksehub > naeh reehts

Hebung > Vorschub >> nach links

Vorschub >> Senkung < naeh links

Riickschub ~ Senkung >> nach reehts

Zur Feststellung der Valenz der einzelnen Muskeln miissen von jedem bilate- ralen Muskelpaar die elektrischen Potentiale registriert und verglichen werden. Dies ist aber in praxi, wie ieh andernorts erws habe, nicht m6glich. Wir sind deshalb dazu fibergegangen, neben der Registrierung der Aktionsstrompotentiale yon den mit Oberfl/iehenelektroden erfagbaren Muskeln die Bewegung und Lage der Unterkiefermitte und ihre dreidimensionale Verlagerung in bestimmten Unter- kieferstellungen mit einem daf/ir konstruierten Apparat genau zu messen.

Gewisse Anhaltspunkte fiir die Muskelverhgltnisse bei der Seitenverlagerung erbringt jedoch sehon die klinische Untersuchung, indem man die Medianbewe- gungen des Unterkiefers ausffihren 1/iBt. Bei einer, mehreren oder allen Median- bewegungen kann eine bilaterale Inkoordination bestehen.

Sonach gibt es 1. eine bilateral-inkoordinierte I)ffnung, 2. eine bilateral-inkoordinierte Schliegung, 3. eine bilateral-inkoordinierte Vorwgrtsbewegung, 4. eine bilateral-inkoordinierte Rfiekw~rtsbewegung.

Beriieksichtigt man dabei die Hauptfunktion der Muske]paare, das AusmaB ihrer Beteiligung an den Medianbewegungen und die rotatorisehen Wirkungs- komponenten, so kann man gewisse Anhaltspunkte f/Jr die die Seitenabweichung verursaehenden Muskeln gewinnen. Da jeder Muskel eine rotatorisehe ~Virkungs- komponente besitzt, die bei myogenen oder neuromuskuls Seitendifferenzen zum Vorsehein kommt, sollen die , ,Laterorotatoren" in Sinistro- und Dextro- rotatoren unterteilt werden. Die Unterkiefersymphyse weieht entsprechend nach links oder rechts ab, wenn das Muskelpaar seine tIauptfunktion ausfibt. In der Tabelle IV sind die Muskeln entsprechend ihrem Einflug auf die Seitenabweichung der Unterkiefersymphyse geordnet. Dennoch ist es vorerst sehr sehwierig, in jedem Fall eindeutig den ursgchlichen Muskel herauszufinden, da an jeder Unterkiefer-

Page 6: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

172 Fortsehritte der KieferorthoFiidie Bd. 23 H. 1 u. 2 (1962)

bewegung immer mehrere Muskelpaare aktiv beteiligt sind und diese aueh yon den Antagonisten beeinflul~t wird.

Tabelle IV. La t e ro ro t a to r en

1. Sinistrorotatoren

a) K o n t r a r o t a t o r e n der reehten Seite: Pterygoid. lat. Tempor. anterior. Masseter obliquus Pterygoid. reed.

b) I p s i ro t a to r en der l inken Seite: Tempor. post. Masseter vertic. Mundbodenmuskeln

2. Dextrorotat oi'en

a) K o n t r a r o t a t o r e n der l inken Seite: Pterygoid. lat. Tempor. anterior. Masseter obliquus Pterygoid. med.

b) I p s i r o t a t o r e n der reehten Seite: Tempor. post. Masseter vertie. Mundbodenmuskeln

Wenn wir aber unter Laterognathie die Lateralverlagerung des Unterkiefers in SehluBbigstellung und Ruhelage verstehen, werden bei ihr in der Mehrzahl der F/ille Muskeln mit einer Sehliegungsfunktion beteiligt sein. Es sind dies die Masseteren, Sehl~fenmuskeln und innerell Flfigelmuskeln. Je naeh der Anzahl der daran beteiligten Muskeln k6nnen wir eine part ielle Inkoordination yon einer totalen unterseheiden. Bei der part iellen sind nut 1 oder h6ehstens 2 der genannten Muskelpaare asymmetriseh innerviert, w/~hrend bei der totalen alle drei Muskel- paare einen asymmetrisehen Innervationsaufwand besitzen.

Neben der umfangreiehen Anzahl der Variationsm6gliehkeiten der Inner- vationsverh/Lttnisse k6nnen ebenso myogene Seitenversehiedenheiten ftir die La- teralverlagerung des Unterkiefers in Frage kommen. Ieh habe sehon irn vergan- genen Jahr auf der Hamburger Tagung mit wenigen S/itzen auf die m6gliehen Seitenversehiedenheiten hingewiesen. Hypoplasien der Muskeln, die mehr klein- fl/~ehig am Unterkiefer angreifen und einen Muskelbaueh besitzen, wirken sieh ~natomiseh auf die Lage des Unterkiefers nut unwesentlieh aus. Ein vollst/indiger Muskeldefekt (Aplasie) dagegen maeht sieh entspreehend seiner fehlenden rota- torisehen Wirkungskomponente in der Lage und Bewegung des Unterkiefers be- merkbar.

Bei den Muskeln, die in Form yon Muskelplatten vorhanden sind und breit- fl/~ehig im Bereieh des Kieferwinkels und am Seh~del ansetzen, wie der Masseter, der Pterygoideus medialis und der Temporalis, spielen sehon kleinere Variationen eine Rolle. Fiir den Masseter konnten solehe Variationen eindeutig bei vielen Pa- tienten, bei denen aus versehiedenen Griinden eine beidseitige Myotomie bzw.

Page 7: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

J. Eschler, Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers 173

Ansatztransposition vorgenommen wurde, nachgewiesen werden. ])urch Unter- suchungen an Leichensch/~deln konnte diese Tatsache weiter best/~tigt werden.

Der Ansatz des Masseters kann sich als Masseter obliquus individuell ver- schieden hoch auf den aufsteigenden Ast und auch mehr oder weniger weir nach

Abb. 1. Asymmetrischer Ansatz des Masseter obliquus, gekennzeichnet im Fernr6ntgenbild mittels Zinnfolien, die schmale Zinnfolie ist auf der rechten Seite, die breite auf der linken Seite aufgeklebt. Die untere Begrenzung

�9 der Zinnfolien entspricht dem Masseteransatz

Abb. 2 Abb, 3

Abb. 2. S/~ugiing mit Asymmetrie des Gesichtes, Verlagerung des Unterkiefers nach rechts und OhrmiBbildung rechts. Es besteht eine vollst~ndige Aplasie des Masseters und Pterygoideus medialis

Abb. 3. 5]/ihriger Junge mit derselben Miflbildung wie in Abb. 2. Die MiBbildung ist st/~rker ausgepr/igt, der Masseter und Pterygoideus medialis sind aplastisch

vorn auf den horizontalen Ast, dann als Masseter verticalis bezeichnet, ausbreiten. Letzterer ist in seiner Wirkungsrichtung der Pars profunda masseteris ungef/~hr gleichzusetzen. Der Masseter obliquus entfaltet bei hohem Ansatz eine starke

Page 8: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

174 Fortschritte der Kieferorthopgdie Bd. 23 H. 1 u. 2 (1962)

ventrale und kontrarotatorische Wirkmlgsrichtung. Bei Seitendifferenzen seines Ansatzes wirkt er auch im Sinne einer Verlagerung des Unterkiefers auf die Gegen- seite. Diese Seitendifferenzen des Masseters kSnnen durch Abtasten am hinteren Rand des aufsteigenden und unteren Rand des horizontalen Astes leicht fest-

gestellt werden. Sie k6nnen im FernrSntgenbild verifiziert werden, indem man an den Bewegungen des Ansatzes links breitere und rechts schmalere Zinnfolienstreifen anklebt (Abb. 1).

Es gibt nun verschiedene Schwe- regrade der Lateralverlagerung des Unterkiefers. In ausgepr~gten F~llen geht damit eine Hypoplasie des Unterkiefers der Verlagerungsseite einher. In der letzten Zeit konnten 3 Patienten verschiedenen Alters, ein S/~ugling (Abb. 2), ein 5j/~hriger Junge (Abb. 3) und eine 30j~hrige Patientin untersucht werden, bei denen eine solche ausgeprggte MiB- bfldung des Unterkiefers vorlag. Bei dem S/~ugling und dem 5j/~hrigen Jungen wurde in ~hnlicher ~e ise wie bei der Retrognathie beidseitig, aUerdings nur dutch eine einseitige Massetertransposition die Asymme- trie des Unterkiefers auszuheflen versucht. Bei der Operation wurde ]edoch festgestellt, dal3 weder der Masseter noch der Pterygoideus me- dialis vorhanden war. Ob auch an- dere Muskeln der Verlagerungsseite fehlten, wurde nicht untersucht. Derselbe Befund konnte auch bei der 30j~hrigen Patientin anl/~l~lich des operativen Eingriffes zur Verl/inge- rung des Unterkiefers erhoben wer- den. Diese, meist tinter der Diagnose

Abb. 4. A k t i o n s s t r o m k u r v e n v o m Masseter l inks und Gesichtsasymmetrie, Aplasie oder rechts des Pa t i en t en Vollm., Manfred, v o r Beg inn der Be- handlung. Die erste K u r v e b e i m K a u e n yon Zwieback v o m ttypoplasie des aufsteigenden Astes l inken Masseter , die zweite K u r v e v o m reehten Masseter , die dr i t t e K u r v e v o m l inken Masseter b e i m K a u e n *con laufenden Mil~bildungen, mit denen Brot innerem, die v ie r t e K u r v e v o m rechten Masseter . a u c h hiiufig eine Mil~bfldung d e s U n t e n der PreBstrom, l inks yore l inken, rechts v o m rech- ten Masseter . Die Akt ionspoten t ia le s ind im allgeraeinen Ohres, des Zochbeines und Schl/ifen-

yore rechten Masseter st~trker beines verbunden ist, ist sonach auch

dutch eine einseitige Aplasie bzw. Hypoplasie der Kaumuskulatur gekennzeichnet. W/~hrend der Unterkiefer nur hypoplastisch ist, ist die Muskulatur aplastisch. Der Unterkieferwinkel ist flach und als solcher kaum vorhanden. Das Gelenk ist ausgebildet. Wir stehen bei dieser Mil~bildung, wie bei der Retrognathie beidseitig, vor der Frage, ob nicht

Page 9: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

J. Eschler, Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers 175

die eiaseitige Aplasie des Myotoms oder der ihm zugeh6rigen Neurone der pri- m~re, kausale Faktor ist.

Der Vergleich dieser 3 Patienten zeigt aber, daB der bei der Geburt hypo- plastische Unterkiefer zwar mitw~chst, aber in vermind6rtem Ausmal3. I)iese MiB- bildung ist sonach ein gutes Stu- dienobjekt fiir den EinfluB der Mus- kulatur auf das Wachstum und die Ausbildung der Kieferwinkel.

Myogene Seitendifferenzen kSn- nen sieh dutch funktionelle neuro- muskul~re Seitenunterschiede an- derer Muskeln ausgleichen oder ver- st~rken. Bei einer myogenen Hypo- plasie eines Muskels wird die Unter- kiefersymphyse entsprechend der rotatorischen Nebenfunktion des gleiehen Muskels der anderen Seite bei sonst seitengleiehen Verh~ltnis- sen nach der Seite verlagert. Neh- men wir als Beispiel den Masseter obliquus: BeiBeschr~nkung des lin- ken Masseteransatzes auf den Kie- ferwinkel wird die Unterkiefersym- physe bei Ausffihrung der ttaupt- fnnktion der Masseteren infolge des Ausfalls der kontrarotatorischen Wirktmgskomponente des [inken Masseter obliquus und der da~lurch bedingten Hypervalenz der rechten auf die linke Seite verlagert. Diese Seitenverlagerung kanndurch einen niedrigeren Innervationsaufwand des rechten Masseter obliquus zum Tell aufgehoben oder verringert werden. Ein Ausgleich dieser myo- genen Seitendifferenz des Masseter obliquus - - Hypoplasie des linken Masseter obl iquus- kann aber auch dutch einen hSheren Innervations- aufwand des linken Pterygoideus Abb. 5. Aktionsstromkurven vom Patienten der Abb. 3 in media[is gegeniiber dem reehten his derselben Reihenfolge nach einj~hriger Behandlung. Der

rechte Masseter ist wesentlich st~irker geworden zu einem gewissen Ausmal~ erreicht werden. Denn die Hauptfunktion der Masseter ob[iqui ist der der Pterygoidei me- diales ungef~hr gleich. Auch der hShere Innervationsaufwand des Temporalis ante- rior der Seite des hypoplastischen Masseter obliquus kann den Ausgleich bewirken. In Ruhelage des Unterkiefers karm die myogene Se.itendifferenz des Masseter ob[iquus -- Hypoplasie des linken Masseter obliquus- auch durch den seitengleiehen hSheren Irmervationsaufwand anderer Muskeln mit kontrarotatorischer oder einen niedri- geren Innervationsaufwand yon Muskeln mit ipsirotatorischer Wirkungskompo- nente vermindert oder aufgehoben werden. Bei Ausfiihrung der Medianbewegun-

Page 10: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

176 Fortschritte der Kieferoithol0Kdie Bd. 23 H. 1 u. 2 (1962)

gen des Unterkiefers kSnnen jedoch die verschiedenen Seitendifferenzen zum Aus- druek kommen, da an jeder Medianbewegung immer andere Muskeln mit ihrer Hauptfuakt ion beteiligt sind. Da such die Antagonisten auf die Unterkiefer= bewegung Einflul3 nehmen, werden die Verh/~ltnisse sehr kompliziert.

Solehe myogene und neuromus- kul/ire Seitendifferenzen werden aber nicht nut in der Seitenverlagerung des Unterkiefers erkennbar. Die Seitendifferenzen der KieferschheB- muskeln bewirken eine einseitige Kaut~tigkeit, deren weitere Auswir- kungen sind: Neigung der transver- salen Kauebene; sie h~ngt zurNieht- verlagerungsseite. Der aufsteigende Ast der Verlagerungsseite ist kfirzer als tier der Niehtverlagerungsseite. Die Gelenke sind asymmetrisch ge- formt.

D a die Lateralverlagerung des Unterkiefers eigentlich eine Rotation ist, ist damit eine Sehwenkung des Ober- undUnterkiefers im Sinne yon A. M. S c h w a r z verbunden. AUe diese Symptome sind sonach das Resultat einer myogenen bzw. neuro- muskul/~ren Seitendifferenz yon Kau- muskeln. Das AusmaB der morpho- logischen Mil3bildung und Fehlent- wicklung hi~ngt im wesentlichen yon der GrSl3e des Seitenunterschiedes der Funktion eines, mehrerer oder aller Kaumuskeln ab.

Diekomplizierten muskul/~r-funk- tionellen und morphologischen Ver- h/~ltnisse sollen an dem Pat. Manfred Vollm. aufgezeigt werden. Es handelt sieh naeh dem Modellbefund um eine Angle-Klasse II/1 rechts, Protrusion, DistalbiB reehts grSl3er als links,

Abb. 6 , A k t i o n s s t r o m k ~ v e n ~ o m P a t i e n t e n tier Abb. 3 vo r S c h m ~ l k i e f e r und tiefem Bil3. Beginn der Behandlung . Die ers te K u r v e b e i m K a u e n yon Das EMG bei Behandlungsbeginn Zwieback v o m l inken Temporalis,= die zweite K u r v e v o m reeh ten Temporal is , die dr i t te K u r v e v o m l inken Tempo- im Oktober 1957 ergibt eine fast a u s - ral is be im K a u e n yon Bro t innerem, die v ie r t e K u r v e yore rechten Tempora l i s . U n t e n der Pref ls t rom, l inks yore l in- geglichene Aktivit/~t des Masseters. ken, rechts v o m rechten Tempora l i s . Das Akt ionss t rom- Leider wurde damals noeh nieht y o r e bild is t zwischen l inks und rechts z iemlieh ausgegl iehen

Masseter obliquus mid verticalis ge- t rennt abgeleitet. Zwieback wurde zwar mehr rechts gekaut. Der Prel3strom ist links etwas st/irker als rechts. Im ganzen sind die Amplituden kleiner, als es dem Ihtrchschnitt entsprieht; sie sind nicht gleichm~13ig hoch und nicht gleichm/iflig verteilt (Abb. 4). Nach einjiihriger Behandlung mit einem A.-H.-Apparat sind die Amplituden zahlreicher, yon gleichm/iBigerer HShe, yore rechten Masseter im

Page 11: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

J. Eschler, Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers 177

Durchschnitt etwas hSher als vom linken. Auch der PreBstrom zeigt rechts h6here Amplituden als links (Abb. 5).

Der Temporalis anterior zeigt zu Beginn der Behandlung, wenn man links trod rechts tmter denselben Bedingungen vergleicht, ein ziemlieh ausgeglichenes elek- trisehes Bild (Abb. 6). Nach ein- j~hriger Behandlung ist der reehte Temporalis anterior st/irker t/~tig, Ruhestrom und Prel]strom reehts sind wesentlieh st/~rker (Abb. 7).

Das Fernr6ntgenbfld in dorso- ventraler l~ichtung zeigt eine deut- fiche Schwenkung des Oberkiefer.s' nach links, gegenfiber der Seh~del-: medianebene ist die obere Kiefer- mitre stark nach links rotiert. Die Kauebene h/ingt naeh rechts (Abb. 8). Das Fernr6ntgenbild yon der Seite mit an den Masseter- ansatzgrenzen aufgeklebten Zinn- folien lii6t erkeimen, dab der Mas- seter obliquus mit seinem Ansatz reehts h6her auf den aufsteigen- den Ast hinaufragt als links (s. Abb. 1). Die Asymmetrie des Unter- kiefers ist deutlieh zu erkennen. Der aufsteigende Ast ist links k/ir- zer als rechts (Abb. 8).

Dieser Fall zeigt, dab durch die Behandlung mit dem A.-H.-Appa- rat die Aktivit/~t der Masseteren und Sehl/~fenmuskeln gleichm/~l~iger mad st/~rker geworden ist. Die l~ro- trusion und der DistalbiB waren in kurzer Zeit ausgeheilt. D e r t i e f e BiB besserte sich jedoch nicht, die Mittellinie des Unterkiefers 1/~Bt sich nicht einstellen. Die Unter- kiefermitte ist gegeniiber der des Oberkiefers nach rechts verlagert geblieben. Gegen/iber der Sch~ktel- Abb. 7. Aktionsstromkurven yore Patienten der Abb. 3 medianebene sind beide nach links nach einj~hriger Behandlung. Der rechte Temporalis ist

wesentlich starker geworden (2. und 4. Kurve) verlagert; beide Kiefer zeigen eine Schwenkmag naeh links. Als Ursache ffir die Schwenkung dfirfte der h6here An- satz des Masseter obliquus reehts zu werten sein. Seine kontrarotatorische Wir- kungskomponente zieht den Unterkiefer nach links. Die elektrische Untersuchung zeigt eine st/~rkere Aktivit/it des rechten Temporalis anterior, dessen kontrarota- torische Wirkungskomponente die des linken deshalb iiberwiegt. Auch dadureh wird der Unterkiefer naeh links verlagert. Mit dem Masseter wird auf beiden Seiten ziemlieh gleiehm~Big, mit dem Temporalis dagegen mehr rechts gekaut. Wir haben damit einen der seltenen F/ille einer Verlagerung der Unterkiefermitte 12 Fortschritte der Kieferorthop~die Bd. 23 ]K. 1 u. 2

Page 12: Kaumuskelfunktion und Lateralverlagerung des Unterkiefers

178 Fortschritte der Kieferorthopii~tie Bd. 23 H. 1 u. 2 (1962)

nach rechts gegeniiber der Oberkiefermitte. Dem entspricht, dab rechts die Kau- seite ist. Die Schwenkung dfirfte dutch die fiberwiegenden kontrarotatorischen Wirkungskomponenten des rechten Masseter obliquus und Temporalis ant. be- dingt sein. Inwieweit die anderen Muskeln noeh daran beteiligt sind, kann nicht gesagt werden. Jedenfalls bietet dieser komplizierte Fall mit seinen muskul~r- funktio~.ellen Verhi~ltnissen und seinen morphologisehen Abweichungen Anreguug genug, diesen Dingen welter naehzugehen.

Unsere Untersuchungsmethodik und die Erfahrungen mit der kieferortho- pfi~lischen Behandlung, wie auch der genannte Fall, zeigen uns auch bei der Lateralverlagerung des Unterkiefers myogene uad neuromuskul~re Ursaehen. ~Jan-

fiche Verhaltnisse liegen aueh bei der Retrognathie vor, fiber die ieh sehon auf der Hamburger Tagung beriehtete. Myogene Verlage- rungen sind pro- gnostiseh ungiin- stig, wenn nieht die Aktiviti~t yon Muskeln mit ent- gegengesetzter ro- tatoriseher Wir- kungskomponente dureh die Behand- lung so gesteigert werden kann, dab ein Ausgleieh der myogenen Seiten-

Abb. 8, FerarSntgenbild yore Pat. Vollm., Manfred, mit Kennzeichnung der trans- d i f ~ e r e n z herge- versalen Kauebene. Die Kauebene hitngt nach rechts, der Oberkiefer ist nach links s t e l l t w i r d . D a s

geschwenkt, die Unterkiefermitte ist nach rechts verlagert bedeutet, dab z. B.

die dureh den hohen Ansatz des Masseter obliquus links bedingte stKrkere kontra- rotatorisehe Wirkungskomponente durch eine st~rkere AktivitKt des Masseter obliquus reehts, des Temporalfis anterior reehts oder des Pterygoideus reed. rechts ausgegliehen werden mfiBte. Besteht dagegen eine myogene und neuromuskul~re t typervalenz von Muskeln mit derselben, rotatorfischen Wirkungskomponente wie im Fall Manfred Vollm., dann fist ein Ausgleieh kaum mSglich. Damit wird ein Problem aufgeworfen, das zu 15sen oder die zweekm~Bigste Behandlung vorzu- schlagen u. a. die Aufgabe der Zukunft sein mfiBte.

Mit einer Lateralverlagerung des Unterkiefers fist in der Regel eir~ ungleich- seitiger DistalbiB bzw. MesialbiB verbunden. Die Frage fist, wie dieser beseitigt werden soll, wenn es nieht gelingt, die Unterkiefermitte einzustellen. Die myogenen Seitenuagleichheiten kSnnen nieht beseitigt werden. Ein einseitiger singul~er Antagonismus, der dann mefist bestehen bleibt, kann nicht das Ziel unserer Be- handlung sein. Infolge der ungiinstigen Belastungsverh~ltnfisse der im singul~en Antagonfismus stehenden Zs kann er nieht belassen werden. Zu seiner Beseiti- gung sind umfangreiche Zahnbewegtmgen erforderlich.

Anschrift d. Verf.: Prof. Dr. Dr. g. E s c h 1 e r, Freiburg i. Br., Hugstetter Stra0e 55