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Fiinftes Kapitel Mein Aufenthalt von mehreren Wochen in Konstantinopel hatte bereits die Neu- gierde befriedigt, mit der ich diese Gegend betrat. Ich hatte mir die Hauptstadt des Osmanischen Reiches und ihre naheren Umgebungen ziemlich bekanntge- macht, und der Anblick des Marmara-Meeres machte immer mehr den Wunsch in mir rege, die an demselben gelegenen in der Geschichte so merkwiirdigen Gegenden zu besuchen. Wirklich sind die Ufer des Bosporus, der Propontis und des Hellesponts seit mehr denn dreitausend Jahren die Schaubiihne der merk- wiirdigsten Ereignisse gewesen, Bei dem Anblick dieser klassischen Gestade glaubte ich die allgemeine Geschichte der alteren und neueren Volker aufge- schlagen zu sehen, Hier erschallte des Orpheus Leier, der sich bekanntlich den nach Kolchis se- gelnden Argonauten zugesellt hatte. Das fromme Gebet des Heiden, sein begeis- terter Gesang sollen die tobenden Wogen des Pontus mehrmals beschwichtigt haben. Jene entfemten in einen lichten blauen Nebel gehtillten Felsen an der Pro- pontis und dem Hellespont gaben das frohlockende Jauchzen der homerischen Heiden und der unter Alkibiades und dem makedonischen Alexander fechten- denKrieger zuriick. Hier lagerten Roms siegreiche Legionen; dort bewiesen die Heerscharen der griechischen Kaiser, daB sie den Namen remischer Soldaten unter Leitung ge- schickter Feldherren nicht unruhrnlich fuhrten, Dies ist die Stelle, wo Darius Hystaspes seine Briicke schlug. Dort fochten die Gallier, die Awaren, die Go- then, die Hunnen, die Ungam, die Bulgaren, die Perser unter Chosro, die Araber im ersten Jahrhundert des Islam und spater unter Harun al-Raschid. Jener Hafen ist es wo Gottfried von Bouillon, Konrad III. von Deutschland und Ludwig VII. von' Frankreich, nebst seiner schonen Gemahlin Eleonora von Aquitanien, an der Spitze der italienischen, franz6sischen und deutschen Ritter- welt den asiatischen Boden beriihrten. Hier fiihrte Mehmet II. seine kampfbegierigen, sieggewohnten Janitscharen gegen die festen Mauem von Konstantinopel, deren Anlage ein Engel dem Gro- BenKonstantin angegeben haben soli. Bekanntlich sturmte der Osmane i~ Jahre 1453 die Hauptstadt des griechischen Kaisertums, dessen festeste Stutze im 63

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  • Fiinftes Kapitel

    Mein Aufenthalt von mehreren Wochen in Konstantinopel hatte bereits die Neu-gierde befriedigt, mit der ich diese Gegend betrat. Ich hatte mir die Hauptstadtdes Osmanischen Reiches und ihre naheren Umgebungen ziemlich bekanntge-macht, und der Anblick des Marmara-Meeres machte immer mehr den Wunschin mir rege, die an demselben gelegenen in der Geschichte so merkwiirdigenGegenden zu besuchen. Wirklich sind die Ufer des Bosporus, der Propontis unddes Hellesponts seit mehr denn dreitausend Jahren die Schaubiihne der merk-wiirdigsten Ereignisse gewesen, Bei dem Anblick dieser klassischen Gestadeglaubte ich die allgemeine Geschichte der alteren und neueren Volker aufge-schlagen zu sehen,

    Hier erschallte des Orpheus Leier, der sich bekanntlich den nach Kolchis se-gelnden Argonauten zugesellt hatte. Das fromme Gebet des Heiden, sein begeis-terter Gesang sollen die tobenden Wogen des Pontus mehrmals beschwichtigthaben.

    Jene entfemten in einen lichten blauen Nebel gehtillten Felsen an der Pro-pontis und dem Hellespont gaben das frohlockende Jauchzen der homerischenHeiden und der unter Alkibiades und dem makedonischen Alexander fechten-den Krieger zuriick.

    Hier lagerten Roms siegreiche Legionen; dort bewiesen die Heerscharen dergriechischen Kaiser, daB sie den Namen remischer Soldaten unter Leitung ge-schickter Feldherren nicht unruhrnlich fuhrten, Dies ist die Stelle, wo DariusHystaspes seine Briicke schlug. Dort fochten die Gallier, die Awaren, die Go-then, die Hunnen, die Ungam, die Bulgaren, die Perser unter Chosro, die Araberim ersten Jahrhundert des Islam und spater unter Harun al-Raschid.

    Jener Hafen ist es wo Gottfried von Bouillon, Konrad III. von Deutschlandund Ludwig VII. von' Frankreich, nebst seiner schonen Gemahlin Eleonora vonAquitanien, an der Spitze der italienischen, franz6sischen und deutschen Ritter-welt den asiatischen Boden beriihrten.

    Hier fiihrte Mehmet II. seine kampfbegierigen, sieggewohnten Janitscharengegen die festen Mauem von Konstantinopel, deren Anlage ein Engel dem Gro-BenKonstantin angegeben haben soli. Bekanntlich sturmte der Osmane i~ Jahre1453 die Hauptstadt des griechischen Kaisertums, dessen festeste Stutze im

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  • II'

    dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die Schar der im femen Norden inEngland, Dlinemark, Schweden, Norwegen und Island geworbenen Warliger ge-

    wesen war.Auf diesen Gewlissern wehten die Flaggen der griechischen Katalonier, der

    Normannen und Sizilianer, der Slawen, Kosaken und Russen; und hier war es,wo die venezianischen und genuesischen Flotten einem Reich Gesetze gaben,das den Namen des Rornischen fiihrte. Hier endlich haben die Russen im acht-zehnten Jahrhundert unter Elfinston und Orlow und die Engllinder vor wenigenJahren unter Duckworth gefochten. Fiigt man noch hinzu, was unser gelehrterkritischer Geschichtsschreiber Naruszewicz wahrscheinlich findet, daB auch derPolenkonig Boleslaus im Jahre 1112 sich einem Kreuzzug beigesellt und an derSpitze eines Heeres diesen Weg nach Asien genornrnen habe, so lliBt sich wohlmit Recht sagen, dieser Boden sei ein Feld der Ehre gewesen, auf welchern diehier genannten Nationen urn den Vorzug der Tapferkeit und des Kriegsruhmsgekampft haben. lch beschloB, diese in der Geschichte der Menschheit so merk-wiirdige Gegend zu besuchen und, den giinstigen Nordwind benutzend, durchdie Propontis und den Hellespont sofort nach dem Agaischen Meer zu segeln.

    Als wir am zehnten September vom Land stieBen, urn die mir unvergeBlicheReise anzutreten, erblickten wir den GroBherrn, der soeben an der Spitze vielerreich verzierter Kaiks und Gondeln das Serail verlassen hatte, um sich auf dasLustschloB Besiktas zu begeben. Die oberen Beamten des Hofes, der KizlarAgasi, der Bostanci Pasa begleiteten den GroBherrn. Die Batterien des Arsenalsund die unlangst aus dem Archipelagus zuruckgekommene osmanische Kriegs-flotte feuerten ihr Geschiitz in wiederholten Ehrensalven aboDie Schiffe flagg-ten, der ganze Kanal wirnrnelte von Booten aller Art, und zwischen den festlichgeschmiickten sich in Pulverdampf hiillenden Zwei- und Dreideckem glitt unserleichter Nachen dahin... Ein starker Nordwind begiinstigte unsere Fahrt, und bald waren wir anUskiidar voriibergesegelt. Auf der Nord- und Westseite dieser Stadt ziehen sichweit ins Feld hinein mehrere Begrabnisplatze, deren bedeutender Umfang mitder nur von vierzigtausend Menschen bewohnten Stadt in keinem Verhliltnissteht. Wirklich istdie Zahl der hier beerdigten Muslime weit groBer, als es dieSterbelisten von Uskiidar mit sich bringen, indem die in der Hauptstadt selbstwohnenden Tiirken sich lieber hier auf der asiatischen Kiiste als bei Konstanti-nopel beerdigen lassen. Der Grund dieser sonderbaren Vorliebe liegt in dernGlauben an eine im Tiirkischen Reich allgemein bekannte Weissagung, welcherzufolge die Russen einst die Osmanen aus ihren europliischen Provinzen nachAsien zuriickdrlingen sollen, welchen letzteren Weltteil die Vorsehung denMuslimen auf immer zugesichert habe .. Von diesem V?rurteil sind auch die aufgekllirtesten Manner dieser Nation

    mcht fr~l. Die meisten in Konstantinopel lebenden Tiirken von Bedeutung ha-ben IIIUskudar Familiengrliber, welche sie ofters zu besuchen pflegen. Ihre Be-

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  • grabnisplatze sind zu jeder Zeit mit Menschen angefiillt, welche daselbst mitdem warmen Gefiihl eines liebevollen Schmerzes auf den Grabern der verblie-benen, ihnen unvergeJllich gebliebenen Anverwandten, Freunde und Kinder be-ten. Abdulkadir Bey, den ich schon friiher erwahnt habe, versicherte mich, daBer wenigstens aile Wochen einrnal das Grab seines Vaters besuchte, den er voreinigen Jahren veri or. Ein so dauemder Schmerz scheint mir ein sprechenderBeweis der festen Bande zu sein, welche hier in den meisten Fallen die ver-schiedenen Mitglieder einer Familie aneinander ketten.

    Die Stadt Oskiidar war im Altertum unter dem Namen Chrysopolis (GoldeneStadt) bekannt. Die Geschichtsschreiber weichen in ihren Meinungen tiber dieHerleitung dieser Benennung abo Nach einigen fiihrte sie den Namen wegen deshier den persischen Kiinigen von den benachbarten Provinzen erlegten Tributs.Nach anderen war es die schiine Chryseis, Agamemnons edle Tochter, die die-sem Ort ihren Namen gab. Die Athener bemachtigtcn sich dieser Stadt im Jahre409 vor Christi Geburt und legten dem Rat des Alkibiades zufolge allen durchden Bosporus segelnden Schiffen einen Zoll auf.

    Merkwiirdig ist Uskudar in der Geschichte des griechischen Kaisertums undin der des vierten Kreuzzuges. Hier war es, wo der heldenmiitige Greis Dandolodie verbiindeten franziisischen und venezianischen Krieger ans Land setzte. Andemselben Tag griff eine Schar von achtzig franz6sischen Rittem eine fiinfhun-dert Mann starke Abteilung griechischer Reiter an und zersprengte sie. Der Aus-gang dieses merkwiirdigen Kriegszuges diirfte wenigen meiner Leser unbekanntsein. Am siebenten Juli 1204 gingen die Verbiindeten iiber den Bosporus undstellten sich auf der europaiscben Kuste in Schlachtordnung, ohne daB ihnen dieLandung von seiten der Griechen mit einigem Nachdruck ware streitig gemachtworden. Am achtzehnten Juli wagten die Venezianer und Franzosen einenSturm gegen die festen Mauem von Konstantinopel, wobei der seines Gesichtsberaubte Dandolo mutig an der Spitze focht. Der Sturm ward abgeschlagen,doch erreichten dabei die Verbiindeten nicht weniger ihren Zweck. Der feigeAlexis, der seinen Bruder Isaak entthront und sich der Kaiserkrone bemachtigthatte, bewies an diesem Tage, wie wenig er ihrer wiirdig war. Der bei weitemgriiBeren Zahl seiner Truppen, der bewahrten Festigkeit seiner Hauptstadt un-geachtet, verlor er alle Fassung beim Anblick der mutig fechtenden Franken. ErverlieB heimlich seine Hauptstadt und entfloh. Der rechtmaBige Kaiser, dermehrere Monate in einem Kerker geschmachtet hatte, wurde hierauf feierlicheingeladen, seinen Thron wieder zu besteigen, und die Franken, die den Haupt-zweck ihres Kriegszuges erreicht sahen, folgten als Freunde und V~rbiindeteseinem festlichen Einzug. Doch bald darauf, als der GroBschatzmetster erneneue Verschwiirung anzettelte und den Kaiser Isaak nebst.semem Sohn ermo.~-den lieB erklarten die Venezianer und Franzosen den grlechlschen Thron furerledigt,' griffen Konstantinopel zum zweiten Mal an und nahmen die Stadt mit

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  • Sturm ein. Hierauf schritten ihre Anfiihrer zu einer neuen Kaiserwahl, und GrafBalduin von Flandem bestieg den Thron des groBen Konstantin,

    Gegenwartig ist Uskiidar der Aufenthalt mehrerer von den iiffentlichen Ge-schaften entfemt lebender vorneluner Tiirken, oft auch solcher, die ihre Stellenam Hof verloren haben, dieselben wieder zu erlangen wiinschen und sich wederzu sehr den Augen neidischer Nebenbuhler aussetzen noch sich zu weit vomMittelpunkt der Geschafte und Kabalen entfemt halten wollen. Der persischeGesandte bei der Pforte pflegte in Uskiidar zu wohnen. Die mifltrauische Staats-kunst des Divans erlaubt selten einem fremden Gesandten, die Hauptstadt derMonarchie zu bewohnen.

    Unweit der Stadt liegt eine zerstiirte Moschee, welche Selim III. fiir das neueTruppencorps hatte erbauen lassen, welchem er die europaische Organisationund Taktik geben wollte. Bekanntlich hatte dieser liebenswiirdige, eines besse-ren Schicksals werte Monarch die Idee, die Janitscharen umzufonnen und sieden regularen Truppen der europaischen Machte gleich zu stellen. Als jene sichweigerten, sich einer solchen Abanderung zu unterwerfen, lief der Sultan neueTruppen werben, welchen er den Namen Nizami cedid (Neue Werbung) gab.Diese fiir das Tiirkische Reich so wichtige MaBregel bewirkte den Sturz und denzu friihen Tod des patriotisch gesinnten Selim. Die Janitscharen, welche dasneue Heer bereits auf dreiBigtausend Mann verstarkt sahen, ernporten sich ge-gen den GroBhenn und griffen die Neugeworbenen in ihren Standquartieren an.Diese, noch zu wenig in der neueren besseren Taktik geiibt, leisteten nur schwa-chen Widerstand und wurden zersprengt und niedergemacht, worauf ihre neu er-bauten Kasernen und die oben erwahnte Moschee von dem wiitenden Yolk zer-stiirt wurden.

    Ostlich von Uskiidar liegt an der See das Dorf Kadikoy an derselben Stelle,wo im Jahre 665 vor Christi Geburt, also einige vierzig Jahre vor Eroberung derStadt Konstantinopel, die Megarer ihren Pflanzort Chalkedon anlegten. Unbe-greiflich ist diese iibel berechnete Wahl eines handelnden, auf seinen Vorteil be-dachten Volkes. So nahe bei dem Goldenen Hom, wie konnte diese in allerHinsicht vorteilhaftere Lage ihren Blicken entgehen? Diese unbesonnene Wahlbewog ein Orakel des Apollo, die Megarer in Chalkedon blind zu nennen. Die-ser Ort selbst ist aber im grauen Altertum durch ein Orakel beriihrnt gewesen,welches zu seiner Zeit in Griechenland und in den benachbarten Landern in gro-Bern Ansehen stand.

    Im fiinften Jahrhundert bemachtigten sich die Athener dieses Ortes.Irn Jahre 525 der christlichen Zeitrechnung erfocht hier Konstantin der Gro-

    Be einen entscheidenden Sieg iiber seinen Gegner, den Licinius Augustus. DerWunsch, die Allemherrschaft der Riimerwelt an sich zu reiBen war die Ursachedes Biirgerkrieges. Das Waffengliick, den rornischen Adlern des Licinius un-treu, begiinstigte das Labarum, und der siegreiche Konstantin sah seinen Gegnerden Purpur zu semen FiiBen niederlegen.

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  • ..---------------Im Jahre 602 fliichtete sich der griechische Kaiser Mauritius mit seiner Fa-

    milie nach Chalkedon, als sein ernportes Heer den Phokas erst zu seinem Ober-haupt und bald darauf zum Kaiser ausrief. Fiinf Kinder sah der ungliicklicheMauritius unter dem Mordstahl der von Phokas gesandten Henker bluten. DerTodesstreich, der zuletzt ihn traf, machte der Hollenpein seines Vaterherzensein Ende und mag deshalb nicht der schrnerzhafteste gewesen sein.

    Nicht minder merkwiirdig ist Chalkedon in den Jahrbiichem der Kirchenge-schichte. Hier wurde irn Jahre 451 eine allgemeine Kirchenversamrnlung ge-.halten. Die auf derselben zusamrnengetretenen Vater verwarfen die Lehre desNestor und des Eutychius und erklarten die zweite Person der Dreieinigkeiteiner gottlichen und menschlichen Natur zugleich teilhaftig.

    In einiger Entfemung von dem Dorf Kadikoy liegen die Fiirsten-Inseln, alsobenannt, weil auf denselben einer alten Sage zufolge mehrere griechische Prin-zessinnen gefangen gehalten wurden. Die Aussicht von hier auf das Marmara-Meer ist vorziiglich schon. Interessant fiir den Landschaftsmaler ist der sanfte,milde azurblaue Ton, welchen die entfemten Gegenstande in diesem Lande furden Beschauer annehmen, wahrend sie bekanntlich in unserem nordlichen Him-melsstrich wie in einen kalten grauen Nebel gehiillt erscheinen. In der Darstel-lung dieses warmen, durchsichtigen, allen warmeren Liindern eigenen Luftkrei-ses ist der bekannte Claude Lorrain vorziiglich gliicklich gewesen, und es be-steht darin ein Hauptreiz seiner Landschaften.

    Die erste der Fiirsten-Inseln, mit Namen Prate (tiirkisch: Kmalt Ada), ist un-bebaut. Die zweite heiBt Antigona (tiirkisch: Burgaz Ada). Die dritte, Kalko(tiirkisch: Heybeli Ada), fiihrte irn Altertum den Namen Chalkitis und war ihrerKupferbergwerke wegen bekannt. Diese sind jetzt ganz vemachlassigt, undkaum ahnen die Bewohner das Dasein der wichtigen Erwerbsquelle, die sie un-genutzt lassen. Auf dieser Insel wurde der Englander Eduard Barton beerdigt,welcher als Gesandter der Konigin Elisabeth mehrere Jahre in Konstantinopelverlebte. Mit dem Gefiihl der Verehrung und des Dankes betrachtete ich dasGrabmal eines Mannes, der in einer wichtigen diplomatischen Angelegenheitdas Interesse meines Vaterlandes mit Nachdruck verfocht. Im Jahre 1590 hattennarnlich die Kosaken damals noch Polens treue Lehnsmanner, die tiirkischeGrenzfestung Bender ~berrumpelt und gepliindert. Dreimal hunderttausend Ta-ler verlangte Kaiser Murat Ill. als Schadensersatz; zugleich forderte er den Ko-nig Sigismund III. von Polen auf, nebst seiner Nation zum Islam iiberzugehen.Der entehrende Vorschlag wurde mit Verachtung abgewiesen, .und ein blutigerKrieg schien unvermeidlich. In dieser wichtigen Angelegenhelt trat der englt-sche Gesandte als Vermittler auf, er erklarte im Namen seiner Mouarchin, derallgemein gefiirchteten Elisabeth, daf das Londoner Kabinett, seinen Verbin-dungen mit Sigismund getreu, im Faile einer Kriegserklarung auf seine Selle zutreten entschlossen sei. Diese Erklarung des englischen Gesandten bewog den

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  • Divan, seine anmaBenden Forderungen zuriickzunehmen, und die Sache ward

    friedlich beigelegt. . .. ..' .. ..Die vierte und groflte der Fiirsten-Inseln tst Prmkipo (turkisch: Buyuk Ada).

    Dieser anmutige art ist vor einigen Jahren sehr belebt gewes~n, indern mehrerefremde Gesandte und viele europaische Kaufleute hier Landhauser gerruetet hat-ten welche sie in der schonen Jahreszeit bewohnten. Seit der letzten Pest, weI-che auf Prinkipo viele Menschen wegraffte, haben sich die Franken von dieserInsel zuriickgezogen.

    Ragib Pasa, der unter Mustafa 111.den Posten eines GroBwesirs mehrere Jah-re riihrnlich verwaltete, hatte den weisen Plan, hier eine Quarantane anzulegenund so die Hauptstadt des Osmanischen Reiches vor den haufigen Pestanfallenzu sichem. Der zu friih erfolgte Tod dieses Staatsmannes vereitelte seine wohl-tatige menschenfreundliche Absicht.

    Die Fiirsten-Inseln, welche die Griechen Daimonesi, die Tiirken aber Adalarnennen, galten schon bei den Bewohnern der Hauptstadt des Griechischen Rei-ches fur einen angenehmen Landsitz. Hier pflegte der im zwolften Jahrhundertso beriihmt gewordene Kaiser Emanuel Konmenos die schone Jahreszeit zuzu-bringen. Dieser Monarch, eine glanzende Ausnahme in der ruhmlosen Folge dertragen Nachfolger Justinians und Heraklios', scheint in seinen haufigen Kriegengegen die Turken und Ungam die erdichteten Heldentaten der Ritter der Tafel-runde verwirklicht zu haben. Dem griechischen Paladin, welchen Gibbon mitRichard Lowenherz von England vergleicht, waren die feindlichen Scharen min-der gefahrlich als seine eigenen Leidenschaften. Er vergaB nur zu leicht in Frie-denszeiten die Pflichten des Regenten, und brachte mehrere Monate des Jahresauf den Fiirstcn-Inseln mit seiner geliebten Nichte Theodora zu, mit der er inblutschanderischer Verbindung gelebt haben soll.

    Unser Steuermann, dem die nordliche Kiiste des Mannara-Meeres besser alsdie siidliche bekannt war, entschlof sich, langs der ersten zu segeln. Mein Fern-rohr in der Hand, verfolgte ich mit demselben die in der Geschichte merkwtir-digen Stellen auf der asiatischen Kuste der Propontis.

    Auf dem ersten Vorgebirge jenseits von Kadikoy lag ehemals die Stadt Li-byssa und das Grabmal des Karthagers Hannibal. Weiter gegen Siiden liegt Ni-kornedia, einst der Wohnsitz mehrerer romischer Kaiser. Hier legte Diodetianseinen Purpur nieder und trat freiwillig in den Privatstand zuruck, von welchemer sich auf den ersten Thron der Welt emporgeschwungen hatte. Ein heroischerEntschluB, der selten nachgemacht, noch seltener unbereut geblieben ist. Nochwelter, an dem See Askanius, betritt der Reisende das SchIachtfeld, auf wel-chern im Jahre 1190 der Sultan von Nikaia den Vortrab der Kreuzfahrer ver-nichtete, welchen Walther der Arme, Peters des Eremiten Freund, leitete. DerVerlust der Christen bei dieser Gelegenheit war so grof), daB der Sultan von denGebemen der Erschlagenen einen Hugel zusarnmentragen lieB, welcher den iib-ngen Abteilungen des christlichen Heeres zur Wamung dienen sollte.

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  • 5Herrlich war die Aussicht, deren wir uns an diesem Abend zu erfreuen hat-ten. Vor unseren Augen erhob die Insel Marmara ihre zackigen Felsenmassen,auf der europaischen sowohl als auf der asiatischen Kuste der Propontis botenuns fast jedes Vorgebirge, jeder Felsen, jede Bucht die interessantesten Riick-erinnerungen dar; hinter uns leuchteten die Kuppeln und Minares der seit Jahr-tausenden bliihenden Kaiserstadl.

    Bald nach Sonnenuntergang, als wir das Stadtchen Aya Stefano vorbeisegel-ten, fing der Himmel an sich zu bew6lken, und der Wind wurde mit jeder Minu-te starker. Wir hatten einen Sturm zu befiirchten, den unser vorsichtiger Steuer-mann nicht abwarten wollte. Er lief demnach die Segel streichen und erreichtemit Hilfe seiner Ruderer die kJeine Bucht bei Aya Stefano. Unsere Matrosenbanden den Nachen an einen Granitfelsen fest und spannten iiber demselben einZelt auf, unter dessen Schutz wir die sturmische Nacht recht soldatisch zu-brachten. Der Wind wurde gegen Mittemacht so heftig, daBdie Wellen ein nachKonstantinopel segelndes tiirkisches Frachtboot an dem Felsen zertriimmerten.Der Eigentiimer verlor sein Schiff und alle Waren, womit er dasselbe befrachtethatte, und nur mit Miihe wurde die Mannschaft gerettet.

    Aya Stefano kann, soviel mir bekannt, seine Abstammung nicht aus dem Al-tertum herleiten, dennoch scheint es ehemals viel besser angebaut gewesen zusein als jetzt. Die Bewohner finden haufig in ihren Weinbergen und Garten gan-ze Saulen von Porphyr und antikes Glas, wovon ich bedeutende Bruchstiicke ge-

    sehen habe.Am elften September mit Tagesanbruch fing der Sturm an sich zu legen;

    dennoch glaubten unsere Matrosen einem gewissen Tod entgegenzugehen, alssie auf mein wiederholtes GeheiB den sicheren Ankerplatz gegen Mittag verlie-Ben.Dem ungliickweissagenden Steuermann zum Trotz wurde das Wetter im-mer heiterer. Wir spann ten alle unsere Segel auf, und in wenigen Stunden hattenwir Eregli erreicht. Diese Stadt, im Altertum unter dem Namen HerakJeia be-kannt, ist sehr all. Urspriinglich hief der art Perinthus. Seitdem verw~chseltendie Einwohner beide Namen zu verschiedenen Malen. Nachdem der Kaiser Sep-timius Severus die seinen Widersacher Pescennius Niger begiinstigende StadtByzanz zerstort hatte, iibertrug er der Stadt HerakJeia die Oberberrschaft tiberdie auf den Triimmem des friiher so bliihenden Ortes zuriickgebhebenen Byzan-tiner,

    In der r6mischen Geschichte ist HerakJeia ein merkwUrdiger art. Hier fiel imJahre 275 der christlichen Zeitrechnung der Kaiser Aurelian, von seinen Feld-herrn und Hausgenossen ermordet, als er eben auf einern Heereszug gegen diePerser begriffen war. Ein gewisser Eros, von anderen Mnestheus genannt, warder Urheber des Frevels: der Elende befiirchtete den Zorn des KaIsers,. welcherihm . .' d oht hatte Ole StrafeI eiruge Male seiner groben Vergehungen wegen ge r :pflegte schnell dem Verweis des strengen Aurelian zu folgen- Urn dleser zu ent-gehen, machte Eros die Schrift des Kaisers nach und setzte in derselben em

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  • Verzeichnis der vomehmsten Kanigsbeamten auf, mit der Bemerkung,. daJl sieals ein Opfer des vorgeblichen Unwillens des Kaisers fallen sollten. Dies Ver-zeichnis teilte Eros den darin benannten Feldherrn mit, und dtese ermordetenden Sieger der Zenobia an der Spitze seiner Legi?nen. . .

    Die Pest, welche in dieser Stadt wiitete, verhinderte mich, ins Innere dersel-ben zu dringen, urn wenigstens die Triimmer der stolzen Gebaude nachzusu-chen mit welchen sie im sechsten lahrhundert geprangt haben soli. Dem Zeug-nis eines gleichzeitigen Geschichtsschreibers zufolge sollen sie zu jener Zeit dereinzigen Hauptstadt des Griechischen Kaiserstaats nicht nachgestanden haben.Ich fand in Erekli keine andere Spur altertumlicher Gebaude als einige hier undda noch stehende Bruchstucke der Stadtmauem, einen von Quadem aufgefiihr-ten Bogen und einige marmome Saulen, deren unformlich gestaltete Kapitellemir ein hinlanglicher Beweis zu sein schienen, daJl sie zu einem im MittelalteraufgefUhrtenGebaude gehort haben.

    Nach einer sehr frugalen auf unserem Boot eingenommenen Mahlzeit gingenwir unter Segel und verlieJlen mit Wohlgefiihl den gefahrlichen Ort. Der kiihleNordwind begiinstigte unsere Fahrt; wir segelten an Rodosto voriiber und war-fen spat des Abends den Anker bei einem unbedeutenden Flecken, dessen Na-men mir entfallen ist. Bald darauf artete der immer starker werdende Wind ineinen heftigen Sturm aus. Der Himmel hatte sich mit schwarzen Gewitterwol-ken umwolkt, und unsere Lage war urn so unangenehmer geworden, da wir derheftigen Brandung und der schroffen Felsen wegen unmoglich ans Land korn-men konnten. Unser Nachen war ein Ball der Wellen geworden, und das leichteZeit, welches wir dariiber gespannt hatten, schiitzte uns nur sehr unvollkommenvor dem eindringenden Regen. Nach Mittemacht schien der Sturm sich zu le-gen, worauf unsere Matrosen nebst dem Steuermann, meiner Wamung unge-achtet, sich samtlich zur Ruhe begaben.

    Den zehnten September vor Sonnenaufgang riJl ein heftiger WindstoJl unserAnkertau entzwei und trieb unser Boot in die offene See sorglos wie ich schon, ,bemerkt, hatte die ganze Mannschaft ihren Posten verlassen, und die erste etwasgraJlere Welle muJlte notwendig das schwache Boot verschlingen und unserGrab werden. Zum Gliick stand ein griechischer Dreimaster hier vor Anker, undder Wind trieb unser Boot gerade auf denselben los. Das Geschrei der Schiffs-mannschaft weckte uns aus dem gefahrlichen Schlummer. Wir griffen alle zuden Rudem, arbeiteten uns mit Muhe an das Ufer und banden das Boot an einvortretendes schiitzendes Felsenstiick, welches wir friiher nicht wahrgenomrnenhatten. Nie habe ich so heftige Donnerschlage gehort als in diesem Land undvorzughch m dieser Nacht. Das betaubende Getose derselben hinderte uns, un-sere ei~ene Stimme zu horen, dauerte mehrere Minuten lang, und kaum hatte eSaufgeh0n.,so fing e~mit verdoppelter Heftigkeit wieder an. Ich glaubte dies hef-tige Getose zum Tell den hohen Felsen zuschreiben zu miissen welche die Pro-pontis umringen und dasselbe verdoppelt zuriickgeben; doch mag der slidliche

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  • Himmel auch viel dazu beitragen, da bekanntlich der warmere Luftkreis mehrelektrischen Stoff entwickelt.

    Gegen Mittag legte sich der Sturm. Wir benutzten den glinstigen Zeitpunktund lichteten sogleich die Anker. Auf die furchterliche Nacht war ein freundli-cher Sommertag gefolgt. Von dem Dorf Ganos an ziehen sich die Felsen, wel-che die Propontis einschlieBen, etwas landeinwarts. Eine uppige, sorgfaltig be-baute Ebene fullt den Zwischenraum zwischen der See und den Hugeln aus undbietet dem Reisenden das reizende Bild einer groBen Fruchtbarkeit und, was indiesem Land vie! seltener ist, des die reichen Naturgaben benutzenden Men-schenfleiBes dar.Am dreizehnten September, mit Tagesanbruch, kamen wir zu dem auf der

    asiatischen Kuste gelegenen Dorf Lapseki, vormals Lampsacus genannt. DerReisebeschreiber Wheeler fand an diesem vormals dem beruchtigten Gott derGarten geweihten Ort Triimmer altertumlicher Gebaude und mehrere Inschrif-ten. Eine derselben, der Julia Augusta geweiht, gibt dieser Matrone die sehr we-nig verdienten Beinamen einer zweiten Vesta und Ceres. Der Ort, wo sie er-wahnt wird, schien ihren Sitten weit besser zu entsprechen als die ehrwiirdigenNamen der beiden keuschen Giittinnen.

    Bekannt ist die Verderbtheit der Sitten und der Hang zu ausschweifendenVergniigungen der Einwohner dieser Gegend im Altertum. Der Name der an dernordlichen Kuste des Hellesponts gelegenen Stadt Priapos zeugt von der Gott-heit, welche in derselben verehrt wurde, und deutet auf die Sitten ihrer Einwoh-ner hin. Dem verpestenden Beispiel folgten die Einwohner von Lampsacus undAbydos; letztere galten iiberdies noch fiir Liigner und leichtsinnige Schwarzer.

    Der Perserkiinig Artaxerxes, der bekanntlich den von seinen Mitbiirgern ver-bannten Themistokles groBmiitig aufnahm, wies dem Heiden zu seinem Unter-halt die Stadte Lampsacus, Magnesia und Myus. Die Stadt Lampsacus sollteihm den niitigen Wein liefem. Uppige Weinberge umgeben noch den FleckenLapseki und machen die Haupterwerbsquelle seiner Einwohner aus.

    Lapseki gegenliber, auf der europajschen Kiiste, flieBt der in der griechi-schen Geschichte bekannte Bach Aigospotamos. Hier war es, wo Lysander ander Spitze einer lakedaimonischen Flotte einen entscheidenden Sieg iiber dieAthener erfocht, im Jahre 405 vor Christi Geburt; wodurch er den Peloponnesi-schen Krieg zum Vorteil seines Vaterlandes beendigte. Der spartische FeldherrwuBte geschickt den erfochtenen Sieg und den Schrecken, welchen er verbreitethatte, zu benutzen. Unverziiglich segelte er nach Athen, eroberte diese Stadt,lief ihre Mauem schleifen, zerstiirte die noch vor kurzem furchtbare Marine undgab der Regierung des befeindeten Staates eine andere Verfassung.

    Siidlich von Lapseki, auf der asiatischen Kiiste, liegt ein Tekke oder Der-wischkloster. Hier verengt sich der Kanal auf kaum tausend Klafter. An dieserStelle lagen ehemals die Stadte Sestos und Abydos, wo Xerxes seine Bruckeschlug und die Myriaden seiner Siildlinge iiber den Hellespont fuhrte.

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    ------------_ ..

  • Hier ging Alexander der Grobe an der Spitze s~ines dreiBigtausend Mann

    tk Heeres iiber diese Meerenge. Der FluB Grarucus, an welchem er semen

    s ar en ., Meil dwaersten Sieg gegen die Perser erfocht, fallt kaum emige ei en nor warts von

    Canakkale in den Hellespont. ..'Hier betraten die Araber im Jahre 718 der chrlsthchen Zeitrechnung den eu-

    ropaischen Boden und setzten ihren Zug langs der nordlichen Kuste der I1-0pon-tis gegen Konstantinopel fort, welches sie bel~gerten. Das Gluck begiinstigtediesmal nicht die Waffen der in jener Epoche uberall slegenden Mushme, undsie wurden mit Verlust des groBten Teils ihres Heeres zum Riickzug genotigt.Bei dieser Gelegenheit erwahnt die Geschichte zum ersten Mal die beriichtigtengriechischen Feuer, derer sich die Verteidiger von Konstantinopel gegen dieAraber mit viel Erfolg bedienten.

    Hier endlich schwamm der in den Annalen der Liebe beriihmte Leander iiberden Hellespont und verlor, wie bekannt, sein Leben in den tobenden Wellendesselben. Das Schwimmen iiber die Meerenge isl bei dem spezifisch vielschwereren Seewasser eben nicht schwierig. Die heftige Stromung diirfte beieiner solchen Untemehmung das groflte Hindemis sein.

    Bei der Benennung der Bundesgenossen der Trojaner fuhrt Homer die StadteSetos und Abydos an:

    Welche Perkote sodann und Praktion ringsum bestellet,Sestos dann und Abydos gebaut und die edle Arisbe,Ordnete Hyrtakos' Sohn.

    Die erste ist ganzlich vernichtet. Umsonst wiirde der Altertumsforscher nur eineSpur derselben suchen. Auf den Triimmem von Abydos steht ein muslimischesDerwischkloster, dessen Bewohner haufig in ihrer Nahe Miinzen der vormaligenStadt finden.

    Etwas sudwarts liegt das sogenannte alte SchloB der Dardanellen. Die Tiir-ken haben neben demselben eine Stadt erbaut, welche sie sowie das SchioBselbst Canakkale oder das Topfer-Schloll nennen. Aller Wahrscheinlichkeitnach lag in der Nahe von Canakkale die Stadt Dardanos, bekannt durch den inderselben geschlossenen Friedenstraktat zwischen dem Diktator Sulla und dernseiner wiirdigen Gegner, dem Konig von Pontus, Mithridates. Die jetzige Be-nennung der Dardanellen laBt sich mit vieler Wahrscheinlichkeit von jenemallen Dardanos ableiten.

    Gegen Mittag stieBen wir bei Canakkale ans Land und setzten wenige Stun-den darauf unsere Reise fort. Bald darauf erblickten wir auf einem nahen verge-bl~ge das Grabmal des Ajax, einen hohen aufgeschiitteten Erdhaufen, den dieTU~kenIn.tepenennen. Etwas weiter ergieBt sich der in der Ilias so beriihrnte Si-m~ts m die See; noch weiter an der Miindung des Hellesponts stehen die Grab-maier des Achilles und des Patroklos. Mit einem Freudengeschrei begrUJllen wir

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  • die in der Feme sich aus den Fluten hebenden ersten griechischen Inseln Tene-dos und Imbros.

    Ich trat in eine klassische durch Homers Dichtung unvergeJllich gewordeneLandschaft. Die alten Agypter sollen auf der Inse! Elephantine, an der Grenzezu Nubien, Prachtgebaude angelegt haben, vorziiglich in der Absicht, urn dembenachbarten Yolk eine hohe Meinung von ihrer Kultur, ihrem Reichtum unddem bliihenden Zustand der Kiinste in Agypten zu geben. Gliicklicher sind dieGriechen zu preisen. Homer hat ihrem Volkerruhm gleich am Eingang in ihrLand ein Denkmal errichtet, welches viel dauemder ist als alle Granitsaulen vonElephantine.

    leh glaubte dem Rat unseres Steuerrnanns folgen zu miissen und den in die-ser Jahreszeit sehr unbestandigen Nordwind zu benutzen. Ich beschloB dem-nach, unverziiglich nach der Inse! Tenedos zu segeln, urn auf meiner Riickreisedie Landschaft von Troja mit der des hohen Gegenstandes wiirdigen Aufmerk-samkeit zu durchwandem. Gegen Abend langte ich auf der Insel Tenedos an, alseben der Donner des Geschiitzes der auf den verschiedenen Reeden des Helles-ponts stehenden Schiffe das Eroffnen des Bairam-Festes ankiindigte. SamtlicheSchiffe flaggten, ein frohes Getiimrnel auf der ganzen Insel verkiindigte den indem religiosen Kultus der Tiirken festlichen Tag.

    Am vierzehnten September besichtigte ich die Insel Tenedos, welche etwaeinige deutsche Meilen lang und halb so breit ist. Das einzige an der Ostseitederse!ben gelegene Stadtchen haben die Englander und Russen im Jahre 1807 inAsche gelegt und das feste SchloB in die Luft gesprengt. Ein ansehnlicher Meer-busen sichert die hier liegenden Schiffe vor den Nord-, Siid- und West-Winden,Der sandige Grund ist vortrefflich und die Reede so tief, daB auch groBe Fregat-ten hier vor Anker gehen konnen. Dem Leser der Aeneis wird es nicht unbe-kannt sein, daB die griechisehe Flotte des Agamemnon, nachdem sie die troja-nische Kiiste verlassen hatte, sich bei der Insel Tenedos in Hinterhalt gelegt. leheilte naeh der westlichen Kiiste des Eilandes und suehte daselbst die breite ge-raumige Reede auf, welche die tausend Schiffe der Archiver harte aufnehmenkonnen, fand aber nur eine unbedeutende Bucht, in welcher einige zwanzigSchifferkahne vor Anker liegen konnen. Wie Agamemnons zahlreiche Flottehier Platz finden konnte, ist unbegreiflich.

    Die altertiimliche Stadt auf der Insel Tenedos heiBt Aiolis. Dieser Ort sowieder beriihmte Tempel des Smintheischen Apollo sind ganzlich zerstort, dochglaube ich jenseits der Stadt Triimmer bemerkt zu haben, welche auf ein an-sehnliches hier ehemals gestandenes Gebaude zu deuten schienen. Ob diesessich noch aus dem Alteretum herschreibt oder, was viel wahrscheinlicher ist,von den Venezianem oder Tiirken ist erbaut worden, diirfte nur durch Nachgra-bungen zu errnitteln sein.

    Nach Strabo soli diese Insel auch Kalydna und Leukophrys genannt wordensein. Den heutigen Namen leiten die Schriftsteller des Altertums von einem ge-

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  • T es Sohn des in Kolone herrschenden Kyknos, her, welcher hier denWlssen enn , . hi h M h

    Pflnzort angelegt haben 5011. Der grlec sc en yt e zufolge soil Philo-

    ersten a . idra.jhr S' f hn TG ttin des Kyknos, eine zwette Pbai ra, I en tie so ennes, den sienome, a ihr bl hi d .frevelhaft liebte, angeklagt haben, als habe. er I . utsc an .ensche Antrage ge-

    cht. Ein beslOchener Flotenspieler bestatlgte die unbegrundete Anklage; da-~:rkam die grieehisehe Redensart von einem tennedischen Flotenspieler, womitman einen falsehen Zeugen zu bezeichnen ptlegte. Der erziimte Kyknos hattedem sehuldig geglaubten Sohn den Tad zuerkannt, doch da er sein Blut zu ver-gieGensieh straubte. schlof er ihn in eine holzeme Kiste ein und warf diese indie See. Der Wind trieb die Kiste auf die Insel Tenedos, deren Einwohner denungliiekliehen Tennes befreiten und zu ihrem Oberhaupt wahlten. Kyknos, derbald der Wahrheit auf den Grund gekommen war, eilte nach Tenedos, urn dartden unsehuldigen Sohn zu versohnen; doch dieser wies seinen Vater ab und hiebmit einem Beil das Tau ab, mit dem derselbe sein Boot an das Ufer befestigthatte. Daher kam wieder das griechische Sprichwort von des Tennes Axt, womitman einen unversohnliehen HaB bezeichnete.

    Auf den meisten Miinzen dieser Insel sieht man eine Axt abgebildet. DerErdbesehreiber Stephanus von Byzanz versichert, dieses Zeichen sei von denTenedem dem Andenken eines ihrer Fiirsten geweiht, welcher seinen einzigenSohn enthaupten lieB, weil er das eheliche Gliick eines tenedischen Biirgers zer-stort hatte, ein Verbrechen, auf welches der strenge Fiirst die Todesstrafe ge-

    setzt hatte.Diese Insel, der Geburtsort des Stemdeuters Kleoslrates und des Erdbe-

    schreibers Andretas, huldigte im Alterturn den Athenem, spaterhin den Romemund noeh spater den grieehischen Kaisem.

    1msechsten Jahrhundert hat Kaiser Justinian hier betrachtliche Komspeiehererbauen lassen, in der Absieht, die Verptlegung seiner Hauptstadt zu siehem.Die agyprischen Fraehtsehiffe, denen die hier so gewohnlichen Nordwinde niehterlaubten, die StraBe des Hellesponts herauf zu segeln, legten in Tenedos diemltgebraehten Vorrate nieder und eilten sogleich nach Alexandrien zuriiek, urndaselbst eme neue Fraeht einzunehmen. Andere Schiffsabteilungen fiihrten Inder giinstigen Jahreszeit die in Tenedos aufgehauflen Vorrate nich Kons

    tan-

    lmopel.1m vierzehnten lahrhunden suchten die Venezianer und die ihren vorteil

    eben so wahl berechnenden Genueser zu dem Besitz der fiir den Handel der Le-vante so giinstig gelegenen Insel zu gelangen. Das GlUck begiinstigte die Ve~e-zlaner. Sle bemeistenen sich derselben und blieben mehrere Jahre im Bes

    ltz

    dleses wiehtigen Postens.Carl lono, dessen ritterlicher Mut und Feldherrntalent der Gesehieh

    tevon

    Venedig im vierzehnten und fiinfzehnten Jahrhundert so viel Glanz mitteilt, be-fand sieh als Jiingling in Konstantinopel zu dem Zeitpunkt, da der Kaiser Ar;-dromkos Palaiologos seinen Vater Johannes entthronte und in einem GefangnlS

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  • festhielt. Der Ruf der Tapferkeit des jungen Venezianers hatte sich in Konstan-tinopel verbreitet, und der ungliickliche Vater wandte sich an ihn, urn mit seinerHilfe Thron und Freiheit wiederzuerlangen. Erwiinscht muBte dem ruhmdiir-stenden Jiingling die Gelegenheit sein, in das politische Raderwerk des Kaiser-staates einzugreifen und sich dabei auf eine so glanzende Art auszuzeichnen. ErvergaB die Gefahr, der er sich dabei aussetzen muBte, und versprach, des ent-thronten Kaisers Wunsch zu erfiillen. In wenigen Tagen hatte er einige hundertbeherzte Manner in sein Verstandnis gezogen, sie mit Waffen versehen, und,nachdem er selbige in der bestimmten Nacht auf einige zur Behauptung derHauptstadt wichtige Punkte ausgestellt hatte, begab er sich in einem leichtenNachen an das Gefangnis des entthronten Monarchen, welcher vermittels einerStrickleiter sein Gefangnis verlassen und an die Spitze seiner zahlreichen An-hanger treten sollte. Des Greises Zaghaftigkeit in diesem entscheidenden Au-genblick vereitelte den kiihnen Plan des Venezianers. Einige Tage darauf for-derte Palaiologos seinen Beschiitzer zum zweiten Mal auf, versicherte ihn seinerunbedingten Nachgiebigkeit und fiigte, urn Zeno ganz zu versohnen und ihn dergemachten Ausgaben wegen schadlos zu halten, einen Befehl an den Statthalterder Insel Tenedos bei, diese an die Venezianer zu iiberliefern. Zenos darauf er-folgte Antwort geriet durch einen ungliicklichen Zufall in die Hande des KaisersAndronikos. Die Wachen wurden sogleich verdoppelt und alle Anstalten getrof-fen, den Venezianer zu ergreifen, welcher mit einem schnellen Tod seinen kiih-nen Anschlag biiBen sollte. Der tatige und entschlossene Zeno wuBte sich derGefahr geschickt zu entziehen, eilte mit der venezianischen auf der Propontiskreuzenden Flotte nach der Insel Tenedos und nahm diese dem vorgezeigtenBefehl des griechischen Kaisers zufolge fur seine Vaterstadt in Besitz. Doch ge-lang es bald darauf den Genuesern, vermittelst einer politischen Unterhandlungdiesen wichtigen Posten ihren Nebenbuhlern zu entreiBen. Dem im Jahre 1381in Turin zwischen Venedig und Genua abgeschlossenen Friedenstraktat zufolgewurden samtliche Festungswerke auf dieser Insel geschleift und die Insel selbstdem Herzog Amadeus von Savoyen iibergeben.

    Im Jahre 1656, wahrend der Belagerung von Kandia, bemachtigten sich dieVenezianer der wichtigen Insel Kreta zum zweiten Mal, doch blieben sie nurwenige Monate irn Besitz derselben und iibergaben sie bald darauf einem aufder Insel gelandeten tiirkischen Belagerungscorps. Endlich fiel sie im Jahre1807 den Englandern und Russen in die Hande, welche, wie schon bemerktwurde, die Stadt einzuaschern und das Schlof in die Luft zu sprengen fiir notigfanden. Die Griechen, welche nach diesem traurigen Ereignis ihren vaterlichenBoden dennoch nicht verlassen hatten und von dem bei dieser Gelegenheit erlit-tenen Verlust sprachen, vergossen bei der Erzablung ihrer Leiden viele Tranen.Die muslimischen Einwohner ertrugen dasselbe mit mannlicher Wiirde. "Kis-met", sagte mir ein hochbejahrter Emir, "so wollte es die Vorsehung haben",

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    --------------

  • und kehrte ruhig zu der auf den Trlimmem seines vormaligen Hauses von Bret-

    tern aufgeflihrten Hiitte zuruck . . .Der Teil der Insel, den ich besuchte, kam rrur zlemllch bebaut vor. Doch ha-

    be ich auf derselben keine Dorfer bemerkt, nur hier und da zerstreute Meierho-fe welche die Turken

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    Zeit sich wohl dieses ereignet hatte, Vor etwa dreitausend Jahren, erwiderte ich.Hierauf gab mir derselbe deutlich zu verstehen, daJl er die ganze Sache fur er-dichtet hielte, denn vor dreitausend Jahren meinte er, gab es noch keine Chri-sten, folglich konnte es keine Griechen geben. Diesen SchluJl fand ich so chro-nologisch richtig, daJl ich ihn sehr gem bei seiner Meinung lieJl.

    Am fiinfzehnten September mit Sonnenaufgang warfen wir die Anker in demHafen der Stadt Moliwa auf der Insel Lesbos. Das Vergniigen, den griechischenBoden zu betreten, lieJl mich keinen Augenblick ruhen. Ich stieg sogleich ansLand und begab mich auf einen siidlich der Stadt gelegenen ansehnlichen Hii-gel, von welchem ich den Meerbusen bei Moliwa und die naheren Umgebungendieser Stadt mit einem Blick iibersehen konnte. Wie reizend, wie gesegnet istdieses Land! Mit einem herrlichen Klima, dem iippigsten Boden und einer fiirHandel und Schiffahrt giinstigen Lage begabt, fiihrt es eine Reihe merkwiirdigerMenschen auf, die es erzeugte. Wem sind wohl die Namen des Dichters Alkai-os, des Tonkiinstlers Terpander und jenes Theophrast unbekannt, welcher diegeheimsten Ziige des menschlichen Herzens so gliicklich aufzufassen wuJlte.Mit gerechtem erhebendem SelbstgefUhl fuhren die Lesbier in der Zahl ihrerMitbiirger jene Sappho an, welche den Namen der zehnten Muse getragen, undden weisen Pittakos, der mir ein unbezweifeltes Recht zu diesem glorreichenBeinamen zu haben scheint. Die Gesetze, welche dieser treffliche Mann seinerVaterstadt Mitylene gab, begriindeten auf lange Zeit das Gliick ihrer Einwohner.

    Bekannt ist die den gewaltsamen Tad des Orpheus betreffende My the. DieWellen sollen sein Haupt durch den Pontus, die Propontis und den Hellespontauf die lesbische Kiiste geworfen haben. Die Einwohner der Stadt Mitylene be-statteten es zur Erde mit viel Ehrfurcht und weihten dem Verblichenen einenTempel. Seiner wiirdig war der Lohn, welchen der dankbare Halbgott den from-men Lesbiem angedeihen lieJl. Sie wurden mit so vielen wissenschaftlichen An-lagen, einer so reinen Mundart und einem so graJlen Rednertalent begabt, daJlbei der Beerdigung jenes Lesbiers die Musen Tranen vergossen haben sollen.Wahrscheinlicher diirften meine Leser die Meinung mehrerer griechischer Ge-lehrter finden, welche die ausgezeichneten Geistesgaben der Lesbier dem giin-stigen Klima ihres Vaterlandes zuschreiben. Ebenso vorteilhaft war ihre physi-sche Ausbildung. Die Frauen dieser Insel waren ihrer Sch6nheit wegen beriihmt.Sollte wohl Eitelkeit von weiblicher Sch6nheit unzertrennlich sein? Wenigstenskann ein solcher Vorwurf die lesbischen Frauen mit einigem Recht treffen.

    Nicht zufrieden mit den Huldigungen unseres Geschlechts, rangen sie of-fentlich urn den Vorzug ihrer Reize. Diese fur die wetteifemden Schonen sowichtigen Zweifel16sten die edelsten Jiinglinge der Insel in dem Tempel der Ju-no. Wohl laJlt sich verrnuten, daJl Arion seinen ersten Dithyrambus gedichtet,um die Reize zu verg6ttem, mit denen bei einer solchen Gelegenheit der Tempel

    der groJlen G6ttin geprangt haben mag.

  • 'II

    I

    All Wahrscheinlichkeit nach liegt die jetzige Stadt Moliwa auf derselbenStelle,e:o einst Methymna, des Makareos Tochter, einer Stadt dieser Insel ihrenNamen gab. Das auf einer Anh6he iiberderStadt hervorragende Sc?loB :nachtine recht malerische Wirkung und hat m eimger Entfemung ziemlich die Ge-~talt einer Mauerkrone (corona muralis), welche die Maler der G6ttin Vesta auf-zusetzen pflegen. Der Hafen bei Moliwa ist mit einem sorgfaltig vo~ Quader-steinen erbauten Damm umgeben, hat aber so wemg Tiefe, daB nur kleme Kauf-fahrteischiffe oder Kaiks in demselben stehen konnen. Uber meine Erwartunghabe ich hier eine zur Reinigung des Hafens eingerichtete kleine Baggerrna-schine gefunden, welche ich in einer unbedeutenden tiirkischen Seestadt kaum

    erwartete.Umsonst wiirde der Reisende in Moliwa Triimmer des alten Methymna auf-

    suchen. Dieser Ort ist bis auf die letzte Spur vertilgt. Doch fand ich in der Stadteinen antiken Sarkophag von Granit, den die Einwohner zu einem Wassertrogbei einem Springbrunnen umgestaltet hatten. Die Verzierungen dieses alter-tiimlichen Denkrnals waren durch das haufige Bereiben fast ganzlich verwischt.

    Die jetzige Stadt, welche etwa tausend Hauser zahlt, ist allen iibrigen ahn-lich, die ich in diesem Land bisher gesehen habe; die StraBen sind eng, wink1igund aulierst schlecht gepflastert. Bei einer regelmalligen Bauart wiirde der Orteinen urn so mehr angenehmeren Anblick gewahren, als er, auf dem Abhang ei-nes Berges erbaut, sich einer entziickenden Aussicht auf die asiatische Kiiste zuerfreuen hat. Die Hauser in Moliwa sind von gesprengten rohen Steinen erbaut,samtlich nur einen Stock hoch, und haben statt der Dacher flache von Ton fest-gestampfte Terrassen, der irn sudlichen Italien gew6hnlichen Bauart gleich.Diese Bedachung machte auf mich einen unangenehmen Eindruck. An unserespitzen Dacher gew6hnt, glaubte ich beim Eintritt in die Stadt auf eine Brand-stelle zu stollen und die blollen Mauem der abgebrannten Gebaude auf dersel-ben zu sehen. Das Schloll in Moliwa, so fest seine Mauem sind, diirfte, da esvon zwei nahe daran liegenden Anh6hen bestrichen wird, urn so weniger in dieReihe fester Platze aufzufiihren sein, als ihm die wichtigsten Bestandteile einessolchen fehlen, namlich ein Graben, ein bedeckter Weg und ein Glacis. Diegr611tenHindemisse wiirden den etwaigen Belagerem die massiven Hauser undGartenmauem entgegenstellen, mit denen das Schloll umgeben ist, und die eineentschlossene Besatzung lange behaupten k6nnte.

    Am sechzehnten September begab ich mich nach dem anderthalb Meilen vonMoliwa gelegenen Flecken Petra. Eine breite Stralle ziemlich im Stil der Appi-schen und Flaminischen Riesenwerke erbaut zieht sich etwa eine Viertelmeile

    n6:dlich von Moliwa hin. Unser Wegweiser wuflte mir keine Auskunft iiber dieZeit und den Zweck ihrer Erbauung zu geben. Unbezweifelt riihrt sie aus demAltertum her, und ihre Haltbarkeit ist bei der festen Unterlage des felsigen Bo-dens und der Tiichtigkeit des Werkes sehr leicht zu erklaren.

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    ~---~

  • Ein ebenso interessantes Denkmal des Altertums stiell mir in dieser Gegendauf. Ich bemerkte etwas seitwarts von dem Weg einen unterirdischen etwa tau-send Klafter langen Kanal, der, aller Vermutung nach, eine Wasserleitung ge-wesen ist, vermittelst welcher man Trinkwasser nach der Stadt Methymna ge-fiihrt hat. Dieser in einen ungemein harten Felsen gehauene Kanal ist gegenvierundzwanzig Full tief und an mehreren Stellen mit Erde und Steinen zuge-ftillt. Wir verloren seine Spur an einem Hiigel, der, aller Wahrscheinlichkeitnach, durch ein Erdbeben eingestiirzt ist und den Kanal verschiittet hat. Bewun-dernswiirdig. ist der hohe schOpferische Geist des Altertums, welcher die Be-wohner eines unbedeutenden Fleckens bewog, so schwierige und kostspieligeWerke zu vollbringen. Zu beiden Seiten des nach Petra fiihrenden Weges sahich hohe Granitfelsen an mehreren Stellen nur mit einer leichten Erdschicht be-deckt. Die Gipfel dieser Felsen, von denen der Regen die Erde abgespiilt hatte,starren drohend empor und gewahren einen imponierenden Anblick. In den Ta-lern, wo die Erdschicht hoher ist, wird dieselbe von den Einwohnern ziemlichfleillig angebaut.

    Die Stadt Methymna war im Altertum ihrer Weinberge wegen bekannt, wel-che noch bis jetzt die Haupterwerbsquelle der Einwohner der Stadt Moliwa aus-machen. Das Klima auf dieser Insel ist so warm, dall ich an mehreren StellenTrauben sah, welche an dem Stock bereits zu Rosinen getrocknet waren. Dieserfur den Winzer so gliickIichen Lage ungeachtet ist die Kultur des Weinstocksebenso mangelhaft als die Sortierung der Trauben und die Anordnung der Pres-sen. Deshalb ist der auf der Insel gewonnene Wein kaum unter die mittelmalii-gen zu zahlen und mit dem franzcsischen gar nicht zu vergleichen. Unendlichbesser ist der gekochte siille Wein, der auf den Inseln Samos und Tine gewon-nen wird und der seines lieblichen Geschmacks und seines aromatischen Ge-ruchs wegen unter die edelsten Dessertweine gehort.

    Gegen Mittag trafen wir in Petra ein. Dieses Stadtchen ist auf den Triimmerndes alten Antissa erbaut, welches die Romer im zweiten Jahrhundert vor ChristiGeburt zerstort haben, urn die Bewohner fiir ihre Anhanglichkeit an denmakedonischen Perseus zu bestrafen. Ein sonderbares Naturereignis hat diesemOrt seinen Namen gegeben. Auf einer schonen Ebene, ohne aile Verbindung mitden weiter von der See liegenden Felsengruppen, ragt ein etwa sechzig Full ho-her Granitfelsen empor, auf dessen Gipfel ein griechisches von gebrochenenFeldsteinen erbautes Kloster liegt. Entziickend ist die Aussicht von diesemStandpunkt. Petra liegt an einem Meerbusen; die an beiden Seiten desselbenaufsteigenden Bergketten und die Insel in der Bucht heben sich stufenartig iiber-einander empor. Die dunklen Granitfelsen wiirden der Landschaft ein finsteresAnsehen geben, wenn bei dem gliickIichen Klima dieser Insel die Natur, ohnesich selbst zu verleugnen, anders als mild und segnend erscheinen konnte. Nir-gends Jallt sich eine Landschaft mit Worten darstellen: hier, glaube ich, mullteauch der geniale Zeichner die Unzulanglichkeit seiner ReiJlfeder bekennen,

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  • , II

    I

    wenn er die Reize dieser Natur, so wie sein Auge ~ie auffaBt, wiedergebenwoll-te. Nur einem Claude Lorrain hatte es gehngen konnen, diese Gegend~n m derganzen Schanheit ihrer Beleuchtung darzustellen ..Nur er, der ~nsterbhche Ma-ler konnte auf seine Lemwand diesen Luftkrels hmhauchen, wie er ill der Fernemit der See ineinanderflieBt; diese leicht bewegten Wogen, wie sie von der Son-ne beschienen Flammen zu spriihen scheinen; und endlich diesen blauen atheri-schen Ton, der dieser Landschaft eine wirklich himmlische Anmut verleiht.

    Am siebzehnten September besuchte ich die westlich urn Moliwa gelegenenOrtschaften. Die Bewohner der Insel Lesbos, Muslime und Griechen, leben inrecht freundschaftlichen Verhaltnissen miteinander. Die Hauptursache dieser imTiirkischen Reich seltenen Erscheinung sind unstreitig die ehelichen Verbin-dungen, welche die Familien beider Nationen aneinander kniipfen. Die diese In-sel bewohnenden Muslime scheinen von der fanatischen Bekehrungssucht voll-kommen frei zu sein, welche den Turken in Konstantinopel und in den meistenProvinzen des Osmanischen Reiches eigen ist. Sie lassen ihren griechischenFrauen die freie Ubung ihrer Religion und leben desungeachtet mit Ihnen imbesten Einvernehmen. Doch folgen die Kinder beider Geschlechter dem Glau-ben ihrerVater und werden im Islam erzogen.

    In einer geringen Entfernung von Moliwa sah ich mehrere Pflanzungen vonblbaumen. Dieser Erwerbszweig ist ungemein wichtig fur die Bewohner der In-sel, welche das hier gewonnene ot nach Konstantinopel, Agypten und dem sud-lichen Frankreich verschicken, woselbst es in den Seifensiedereien sehr gesuchtwird.

    Der wilde Olbaum, welcher auf den Bergen strauchartig wachst, tragt wenigFriichte, doch ist das aus denselben gewonnene 01 von vorziiglicher Giite. Die-jenigen Stamme, welche die Baumzucht veredelt hat, erreichen die Hohe unse-rer Weiden; auch ist die Form des Baumes und die Farbe des Blattes den Wei-den vollkommen ahnlich. Die Bewohner dieser Inse! kennen keine Baumschu-len; der Landmann, welcher eine neue Pflanzung anzulegen gedenkt, sucht inden Bergen wilde Stamme auf, die er in seinen locker gemachten Boden ver-pflanzt; oder er impft auf einen wilden Stock Reiser welche von einem verede!-ten. Olbaum entnommen sind. Der junge Stamm 'fangt im zwolften Jahr anFruchte zu tragen und lebt mehrere hundert Jahre. Pausanias, der ein Verzeich-ntS der altesten in Griechenland befindlichen Baumstarnme aufgesetzt hat, fuhrtillde~selben auch einen auf der Burg zu Athen gewachsenen Olstamm auf. .

    Die Kultur des Olbaumes ist keineswegs miihsam noch kostspielig; nur emoder hochstens zweimal im Jahr muB der Boden, auf dem sie stehen, gepfliigt

    oder gehackt werden. Urn diese Arbeit zu erleichtern werden die Baume imIDer

    in gerader Linie in einer Entfemung von zwolf bis funfzehn Schritt voneinadergepflanzt und ihr Stamm im Winter etwas mit Erde umhiigelt. Sie bliihen irnApnl, die Frucht wird im Oktober reif. Die Olbaume welche nur in einem war-men Klima gedeihen, sind urn so ergiebiger, wenn sie bewassert werden. Die

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  • Bewohner von Attika, welche mit einer ganz eigenen Vorliebe den Olbaum, die-se kostliche Gabe ihrer vormaligen Schutzgottin, ziehen, legen oft mit bedeuten-den Kosten kleine Wasserleitungen an und fiihren dadurch das ihren Olpflan-zungen notige Wasser herbei. Die Kultur des Olbautnes wirft einen bedeuten-deren Gewinn ab als selbst die des Weizenbaus. Und man berechnet einen mitOlbaurnen bepflanzten Klllmischen Morgen auf achtzig Taler reinen Ertrag.

    Der Besitzer des mit Olbaumen bepflanzten Gartens, den ich bei Moliwa be-suchte, hatte in demselben eine Rollmiihle und aile iibrigen zum Olpressen noti-gen Maschinen angelegt. Seine ganze Anlage war hochst einfach und entsprachdennoch seinen Zwecken vollkomrnen. Die reifen Oliven werden mit langenStaben von den Baumen heruntergeschlagen, auf einer ebenen Stelle unter Be-dachung ausgebreitet, woselbst sie bis auf einen gewissen Grad weich werdenmiissen; dann werden sie in einer Miihle verrnittelst eines senkrecht urn seineAchse wie ein Wagenrad laufenden Miihlsteins zerquetscht, in Sacke gepackt

    und in die Presse gebracht.Das beste 01 wird aus unreifen Oliven geprellt; doch gibt die reife Frucht be-

    deutend mehr Ertrag. Das schlechteste wird dadurch gewonnen, dall die bereitsausgeprellten Sacke mit siedendem Wasser begossen werden, wodurch die nochzuriickgebliebenen oligen Teile gesamrnelt werden. Ich habe in dieser FabrikUmen von Topferarbeit gesehen, welche gegen dreihundert Quart halten. IhreForm ist voJlkomrnen die jener Amphoren, derer sich die Romer bedienten unddie man in Herculaneum ausgegraben hat. Diese Gefalie scmenen mir viele Vor-ziige vor unseren holzernen Tonnen zu haben; worunter besonders der zu beach-ten, dall die darin enthaltene Fliissigkeit bei weitem nicht so leicht eintrocknet.Eine Manufaktur ahnlicher Geschirre durfte bei unseren Brau- und Brennereien

    von grollem Nutzen sein.Die diese Insel bewohnenden griechischen Frauen haben meist schone und

    regelmalsige Gesichtsziige, denen ihre Leibesgestalt aber selten entspricht; undihre geschmacklose Kleidung mag auch viel dazu beitragen. diese in ein nochungiinstigeres Licht zu stellen. Schon friiher habe ich bemerkt, dall die Frauenin der Levante keine Schniirbriiste tragen. Die Lesbierinnen scheinen nochgleichgiiltiger gegen die Vorziige eines schlanken Wuchses zu sein. Sie tragenbreite Giirtel mit grollen silbemen Klamrnem, welche vorn schlaff herunterhan-gen und selbst jungen Madchen das Ansehen iiberrnalliger Wohlbeleibtheit ge-ben. Dernnach entspricht weder ihr Korperbau noch ihre Kleidung jenen Idea-len, die wir in den weiblichen Naturen des griechischen Altertums bewundem.Ebenso unasthetisch ist ihr Kopfputz, der ziemlich einer Bischofsmiitze ahnlichist. Ich habe in Moliwa eine reiche Kaufmannsfrau gesehen, welche eine solcheMiitze, von Goldstoff gearbeitet und mit echten Perlen verziert, auf dem Kopftrug. In der Trauerzeit ist ihre Kleidung durchgehends schwarz.

    In den ersten Jahren des achtzehnten Jahrhunderts, als der bekannte Reise-beschreiber Toumefort die Inseln des Archipelagus besuchte, hatten die lesbi-

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  • Blick auf Petra auf der lnsel LesbosSkizziert von L. Fuhrmann, gezeichnet von Cassas in Paris, gestochen von Frenzel in Dresden

    II

    III

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  • Griecben in reichcn GewandemGestcchen von L. Fuhrmann, vervollkommnet von Kretlow

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    I

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  • Blick auf die Landzunge Baba, die im Altertum Lectos hieBSkizziert von L. Fuhrmann, gezeichnet von Michalon in Paris, gestocben von Frenzel in Dresden

    II

    I[II

    III

  • Ruinen in TroasGezeichnet von Bruder in warschau, gestochcn von Hammer in Dresden

  • II

    schen Frauen eine von der jetzt gebriiuchlichen ganz verschiedene Art sich zukleiden. Hoffentlich werden die europiiischen Schonen sich kaum wundem, dieLesbierinnen einrnal in hundert Jahren ihre Moden veriindem zu sehen. Urn-sonst habe ich nahere Erkundigungen iiber die Sitten der Lesbierinnen einzu-ziehen gesucht, welche bekanntlich i~ Altertum der sapphis.chen. Liebe ergebengewesen sein sollen. Man verstand mich mcht oder wollte mich mcht verstehen.

    Meine Schiffsgeflihrten, mit der ganzen EJllust von Agamemnons Seeleutenbegabt, waren mit ihrem Aufenthalt in Moliwa keineswegs zufrieden; auch mo-gen ihre Klagen nicht ganz unbegriindet gewesen sein ..Dieser art war so spar-sam mit Vorraten versehen, daf auf dem Markt auBer Ol, Wein und Brot kaumandere Lebensmittel zu finden waren. Das Brat selbst war iiuBerst schlecht undwohl schwer jenem gleich, welches dem Horaz mag aufgetischt worden sein,der bekanntlich das hier zubereitete Mehl weiBer denn Schnee (nive candidior)nennt.

    Die Bevolkerung dieser Insel, auf welcher man gegen zweihundert Dorferund Meierhofe zahlt, sol1 sich bis auf fiinfzigtausend Bewohner belaufen. Dochstehe ich keineswegs fiir die Richtigkeit dieser statistischen Angabe. Der Agader Janitscharen, der sie mir mitteilte, schien mir kein Hassel zu sein und konnteweder lesen noch schreiben.

    Die Geschichte der Insel Lesbos greift weit in das graue Altertum hinein.Nach Strabo soil sie friiher den Namen Issa gefiihrt haben. Diodor von Sizilienbehauptet, den ersten Pflanzort auf derselben habe Xanthus, ein pelasgischerFiirst, angelegt und diesen Pelasgia genannt. Seine Nachkommen bewohnten dieInsel seit sechs Menschenaltem, als die in der Geschichte der Vorzeit so rnerk-wiirdige Siindflut des Deukalion einen Teil von Griechenland und die meistenInseln des Archipelagus iiberschwemmte und ihrer Bewohner beraubte. Nach-dem sich die Fluten verlaufen, soil Makareos, ein achaischer Fiirst, den Homerim vierundzwanzigsten Buch der Ilias erwahnt, diese Insel zum zweiten Mal be-volkert haben. Die Geschichtsschreiber erwahnen seine beiden Tochter Me-thymna und Mitylene, deren Namen die zwei wichtigsten Stadte dieser Inselfiihrten. Ein gewisser Lesbos, thessalischer Herkunft, wurde der GemaW derMethyrnna, und nach dem Tode seines Schwahers das Oberhaupt der Insel, wel-cher er seinen in der griechischen Geschichte so beriihmten Namen gab. DenGeschichtsschreibem des Trajanischen Krieges zufolge huldigte die Insel da-mals dem edlen Priamos. Achilles verheerte sie und entriB dem Phorbas, Pria-mas' Statthalter, seine schone Tochter Diomede. Spaterhin legten hier die Ao-her den Grund zu sechs Stadten, die sie bevolkerten.

    Strabo versichert, diese Insel habe hunderttausend Stadien oder neunund-achtzigtausendeinhundert Klafter im Umfang. Diese Angabe des romischenErdbeschreibers scheint nicht ganz richtig zu sein. Nach einer im achtzehntenJahrhundert mit aller Genauigkeit gemachten Karte betragt ihr Umkreis sechs-undzwanzig Meilen oder hundertundsechstausend Klafter.

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  • Injener fur die Griechen so merkwiirdigen Epoche, da ihnen Xerxes die blu-tige Fehde angekiindigt hatte, verpflichteten sich die Lesbier, eine gewisse An-zahl Schiffe zum Behufe der Gemeinsache zu stellen, auch eine bedeutendeSumrne zu demselben Zweck zu erlegen. Nach dem fur die Griechen so gliick-lich beendigten Krieg horten die Athener nicht auf, die von den Lesbiem wah-rend des Krieges geleistete Hilfe als einen ihnen, dem beschiitzenden und mach-tigeren Staat, schuldigen Tribut jahrlich zu verlangen. Die Einwohner der Inselsuchten sich nun von der driickenden und demiitigenden Abgabe zu befreien.Sie schickten demnach im vierten Jahr des Peloponnesischen Krieges Gesandtenach Sparta und auberten den Wunsch, in die Zahl der Bundesgenossen dieserRepublik aufgenommen zu werden. Ihr Gesuch ward ihnen gewahrt, und einelakedaimonische Hilfsflotte ging unverziiglich, ihnen zur Hilfe, unter Segel.Doch behaupteten die Athener auch bei dieser Getegenheit den Vorzug, der ih-nen in ihren Seekriegen so oft zuteil ward. Die spartische Flotte wurde zumWeichen gebracht, und ein athenisches Truppencorps stieg bei Mitylene ansLand, belagerte diesen Hauptort der Insel und zwang denselben zur Ubergabe.Das athenische Volk, welches das Benehmen der in Biindnis mit ihren Feindentretenden Lesbier als einen Hochverrat betrachtete, erkannte die Todesstrafe al-len mannlichen Bewohnem der Insel zu. Dieses grausame Urteil wurde zwar inder folgenden Volksversammlung im ganzen zuriickgenommen, doch ward esschonungslos an tausend der bedeutendsten Bewohner vollbracht, we1che beidieser Gelegenheit an die Spitze ihrer Mitbiirger getreten waren. Aile iibrigenwurden ihres Eigentums verlustig erklart, dieses in dreitausend Teile geteilt undathenischen Biirgem zuerkannt.

    Spater wurde Lesbos eine ramische Provinz. Hier suchte Cornelia, Pompei-us' hochherzige Witwe, eine Zuflucht nach des Gatten Tode.

    In den ersten Jahren des neunten Jahrhunderts verlebte hier die griechischeKaiserin Irene verlassen und in Diirftigkeit ihre letzten Lebensjahre, nachdemsie vom GroBschatzmeister Nikephoros gezwungen worden war, der Krone zuentsagen. Zonaras behauptet, zu demselben Zeitpunkt, wo sie das Zepter nieder-gelegt, das sie nicht unriihmlich geflihrt hatte, seien Gesandte Kaiser Karls desGroBen in Konstantinopel eingetroffen, we1che den Auftrag hatten, ihr eine ehe-liche Verbindung mit dem HeIden des Okzidents vorzuschlagen. Nicht zu be-rechnen sind die Folgen, welche diese Verbindung.nach sich gezogen harte,

    Zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, da die Venezianer und FranzosenKonstantinopel eroberten und die wichtigsten Provinzen dem erschiitterten Staatentrissen und unter sich verteilten, fiel die Inset Lesbos den Venezianern zu,doch wurde sie ihnen bald darauf von dem Kaiser von Nikaia Wataces wiederentrissen. Im Jahre 1354 erhielt sie einen eigenen Regenten. Der GenueserFranz Catalusi oder Gattilusi, welcher dem griechischen Kaiser Johannes Pa-laiologos wichtige Dienste geleistet hatte, wurde des Monarchen Eidam und er-hielt die Insel Lesbos als ein Lehen des Griechischen Kaisertums. Der kleine

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  • 1\

    1\I Staat konnte wahl unmoglich unabhangig bleiben. 1m Jahre 1413, bei der immer

    mehr um sich greifenden Macht der Osmanen, erklarte sich Dominikus Catalusi,Enkel des friiher genannten Franz, zum Lehnsmann Mehmets 1. Im Jahre 1464eroberte Mehmet II. die Insel, und in dem ungleichen Kampf verloren die Cata-

    lusier Fiirstenhut und Leben.1m sechzehnten Jahrhundert ward auf der Insel der bekannte Hayrettin Bar-

    barossa geboren, der mehrmals an der Spitze der tiirkischen Flotte gegen diechristlichen Seemachte siegreich gefochten und endlich Konig von Aigier wur-de. Das Grabmal des ebenso gliicklichen als grausamen Korsaren ist in Besiktas,einem am Bosporus unweit Konstantinopels gelegenen Flecken, zu sehen.

    Die Zeit, welche ich meiner Reise widmen durfte, war bald verstrichen. Ichsah mich gen6tigt, an die Riickreise zu denken. Es kostete mich Uberwindung,den Archipelagus zu verlassen, diese k1assische Landschaft, die von so viel He-roismus, so vie! Tugenden und so viel hohen Geisteskrliften in jeder Hinsichtzeugt. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, diirfte eine Reise in dies Land nieaufhoren, interessant zu sein; auch dann noch, wenn aile Denkmaler griechi-scher Kunst bis auf die letzte Spur vernichtet werden sollten. Die Tiirken achtensolche bekanntlich ebenso wenig, als sie das Andenken der Feldherren undStaatsmanner Griechenlands ehren. Bei der stolzen Riickerinnerung an die vonihren Vorfahren in Europa, Asien und Afrika gemachten Eroberungen reden siemit Geringschatzung von Mannern, welche mehrere Jahrhunderte lang sich einLandchen streitig machten, das heute dem Kizlar Agasi oder Vorsteher derschwarzen Verschnitteten des Padischahs zinsbar ist.

    Ungern trat ich die Riickreise nach Norden an. Ich beschloll, zuvor noch dieRuinen der auf der asiatischen Kiiste Lesbos gegeniiber liegenden und fiir denArchaologen nicht unwichtigen Stadt Assos zu besuchen. Der Graf ChoiseulGouffier hat im zweiten Band seiner in so mancher Riicksicht rnerkwiirdigenReise eine Ansicht dieses ories geliefert, wie er vor seiner Zerstorung beschaf-fen gewesen sein mag.

    Am zweiundzwanzigsten September gingen wir nach Sonnenuntergang unterSegel und setzten in wenigen Stunden iiber die schmale Meerenge, welche Les-bas von der Kiiste von Kleinasien trennt. Hier auf diesen Gewlissern war es, woim siebzehnten Jahrhundert Marcus von Jakimowski, ein Pole, sich durch seineEntschlossenheit auszuzeichnen Gelegenheit fand. Er war seit einigen Jahren intiirkische Gefangenschaft geraten und befand sich als Rudersklave auf einer Ga-leere, welche irn Jahre 1627 nebst noch drei anderen tiirkischen Kriegsschiffenim Hafen von Mitylene vor Anker lag. Hier glaubte Jakimowski die langst er-sehnte Gelegenheit gefunden zu haben, seine Pesseln zu brechen. Nur zwei sei-ner Mitgefangenen machte er mit dem kiihnen Gedanken vertraut. Auf ein gege-benes Zeichen fielen sie plotzlich iiber einige auf dem Verdeck wachthabendeund keine Gefahr ahnende Tiirken her, und nachdem sie diese iiberwliltigt hat-ten, gelang es den drei Christen, die Riistkammer des Schiffs zu erbrechen. Die

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  • christlichen Rudersklaven, derer die Galeere zweihundertundzwolf zahlte, er-griffen die Waffen, welche Jakimowski und seine Gefahrten ihnen reichten, siegriffen die tiirkischen Seesoldaten an und bezwangen sie nach einem heftigenWiderstand. Wenige Schiisse waren gefallen, und auf den iibrigen in einigerEntfemung liegenden tiirkischen Schiffen ahnte man das Geschehene nicht. Un-gesaumt lichteten die Christen die Anker und verlieJlen die Reede. Die Befehls-haber der iibrigen tiirkischen Schiffe glaubten, die schnellsegelnde Galeere wareeinem besonderen Auftrag zufolge unter Segel gegangen. Nachdem sich der Irr-tum aufgeklart hatte, eilte das Geschwader den Christen nach, und bald beganneine heftige Kanonade. 1m entscheidenden Moment aber entstand ein heftigerSturm. Die Tiirken suchten ihre Zuflucht in einer nahen Bucht. Die Christen,welche den mutigen Jakimowski einstimmig zu ihrem Oberhaupt erwahlt hat-ten, wagten das aullerste und steuerten gegen Italien. Das Gliick begiinstigte sie,der Sturm legte sich, und sie kamen gliicklich nach Messina und bald daraufnach Rom. Jakimowski legte zu den Fiillen des Heiligen Vaters die Flagge deseroberten Schiffes. Eine andere Standarte weihte er dem Heiligen Stanislaus,Polens Schutzpatron, in der Domkirche zu Krakau. Beneidenswert in jederRiicksicht war sein Triumph. Unter den Christensklaven, die ihm ihre Freiheitverdankten, befand sich auch die reizende Margaretha, eine Italienerin, die ih-rem Retter ihr Herz schenkte und in Rom sein Weib ward. Stolz auf die echtrnannliche Tat des Lehiden, wie gem hatte ich ihm, vom Altertum die begei-stemde Sitte entlehnend, auf diesem Felsen ein Siegeszeichen errichtet, demmutigen Krieger auf dem klassischen Boden des Heldenmuts!

    Vor Sonnenuntergang landeten wir auf der asiatischen Kiiste. Wir trafen hiereinen griechischen Seemann, der viel in Italien gewesen war und diese Spracheziemlich fertig sprach. Mit Vergniigen horten wir den Hellenen von Homer undHerodot reden, die er dem Namen nach wenigstens kannte. Er war in dieser Ge-gend geboren und erbot sich uns zum Wegweiser. Mit Miihe bestiegen wir denhohen steilen Felsen, auf dem die alte Stadt erbaut war. Schon haben wir denGipfel bestiegen, und der ode, entvolkerte art, das kalte weite Grab, stehl vorunseren Blicken da. Die bisher unversehrt stehenden Ringmauem geben ganzgenau die Form der altertiimlichen Stadt an, von ihrem vormaligen Glanz zeu-gen die Granitquader, aus denen sie erbaut sind, die Saulen, Inschriften, die er-habenen Bildwerke, die ihre Prachtgebaude schmiickten und jetzt ordnungslosihren Raum ausfiillen.

    Ein geraumiges Theater nahm zuerst unsere Aufmerksamkeit in Anspruch.Seine Form ist die eines Halbkreises, wie das bei allen altertiimlichen Theatemder Fall ist. Der Baumeister, der dieses in Assos anlegte, wullte geschickt einenetwas gebogenen Hiigel zu benutzen. Die Sitze fur die Zuschauer sind zum Teilin den Felsen selbst, auf dessen Abhang, eingehauen, zum Teil auf demselbenvon Granitquadem aufgeflihrt. Zu beiden Seiten, wo der Hiigel eine andereWendung nimmt, stehen zwei hohe Mauem als Stiitzen der daran stollenden

    85

  • Stufen. Der erste Blick auf dieses so stark beschadigte

    Theater liiBt dem Zu-schauet kaum noch einen Zweifel ubrig, daB eS ein Erdbeben gewes

    en, welches

    dies Gebaude und wahl auch die ubrige Stadt zerstort nabe. Es wurde, glaubeich, nicht schwer sein, alle Quadem zusanunenzulesen, welche zu ihrem Aufbaugebraucht worden sind, doch sind alle mehr oder weniger aus ihrer Lage ge-riickt, und viele derselben Hegen ganz unten auf der Stelle, die man Orchestronnannte. Diese einhundertundvierzig FuB breite Buhne zahlt dreiBig Stufen oderSitzreihen, auf einer Hohe von zweiundzwanzig FuB. Ein breiter Korridor, miteiner sieben FuB hohen Mauer umgeben, schlieBt das Ganz

    eein und gab allein

    mehr denn tausend zuschauem Raum. Das ganze Theater konnte derer wenig-stens siebentausend fassen. Die Sitze oder Stufen laufen hintereinander fort, oh-ne jede Absatze, welche man in den meisten altertumlichen Theatern findet undwelche der Graf Choiseul Gouffier irrigerweise in seiner mutmaBlichen Ansichtder Stadt Assos bemerkt hat. Die Mauern des Prosceniums sind ganzlichzerstort. Die innere Einrichtung der alten romischen und griechischen Buhnenist so bekannt, daBman in dieser Rucksicht kaum irren kann.Einig

    ehundert Schritt sudwarts vom Theater liegt ein kleines ziemlich wohl-

    erhaltenes Gebaude, welches mir ein Bad gewesen zu sein scheint. Die schwe-ren zehn FuB lang

    enund fiinf FuB starken Quadem, aus welchen es erbaut ist,

    haben den zerstorenden Erdbeben getrotzt. Der innere Raum desselben ist mitSteinen und Erde verschuttet. Deshalb haben wir den Kanal nicht auffinden kon-nen, verrnittels

    tdessen, wenn anders meine MutmaBung riicksichtlich der Be-

    stinunung dieses Geb.udes begriindet ist, das notige Wasser herge\eitet wurde.Unmog

    lichkonn

    teaber diese gemeinniitzige Anstalt in dieser Hinsicht eine vor-

    teilhaftere Lage haben, da wir in einer geringen Entfemung von derselben Spu-

    ren einer Wasserleitung fanden.Links von dieser letzteren bemerkte ich unter mehreren nahe aneinander Iie-genden Triinunerhaufen verstununelte dorische Saulen, Knaufe, Inschriften,samtlich aUSschweren Granitblocken gearbeitet. Das Gebaude, dessen Zierdesie einst gewes

    en, ist aller Wahrscheinlichkeit nach das Gemeinh

    ausdes alten

    Assos, wie solches aus der Inschrift Nr. I zu ersehen ist.Die Ringm

    auemder Stadt sind vollkonunen wohlerhalten und kaum an eini-

    gen Stellen beschadigt. lch weiB es mit nicht zu erklaren, wie diese einem Erd-beben haben widerstehen konnen, welches die ganze Stadt zerstort un

    dsagar

    das auf einem Felsen, ja zum Teil in denselben erbaute Theater beschadigt hat.Den Stadtmauem gleich ist auch ein Tor vollkonunen erhalten, dessen Verhalt-nisse mir aber etwas plump zu sein schienen, einem finsteren gothis

    chgewo1b

    -

    ten Gang ahnlich.Nachdem wir das Tor hinter uns gelassen hatten, traten wir auf einen zweitenebenfalls mit Mauem umgebenen Platz, welcher der Begrabnis

    ortder al

    ten

    Stadt gewesen

    ist. Die Grabmaler dieser alten Nekropolis, siimtlich aus sehrhar-tern Granit gearbeitet, sind aile geoffnet. AHem Verrnuten nach hat man in den

    86

  • spateren Zeiten Schatze darin zu finden geglaubt. Einer dieser Tumuli hat elfFull Lange, sechs Full Breite, acht Full Hohe und mag ein Familiengrab gewe-sen sein. Die ubrigen sind viel kleiner, den gewohnlichen Verhaltnissen desmenschlichen Leibes gernafl, Mit einem wohltuenden Gefiihl bemerkte ich, dalldie diese heilige Statte umfassende Mauer ebenso stark und hoch ist als die dieStadt selbst umgebende. Wer durfte hier wohl noch zweifeln, daB die Bewohnerdes alten Assos die Asche ihrer teuren Verblichenen ebenso hoch schatzten alsihr eigenes Leben, ihr Hab und Gut, und daB sie das eine mit demselben Nach-druck wie das andere zu verteidigen entschlossen waren. In unserem philosophi-schen Zeitalter scheint man fiir tote Asche viel gleichgiiltiger geworden zu sein.

    Neben der alten Nekropolis liegt der von mehreren hundert Tiirken bewohnteFlecken Behram. Nachdem wir hier in einem elenden Kaffeehaus etwas ausge-ruht hatten, bestiegen wir einen zweiten starken Felsen, auf welchem die BurgAssos lag. Hohe Tiirrne, von Granitquadern erbaut, und Mauem, die noch festersind als die, welche die Stadt selbst umgeben, scheinen anzudeuten, dall dieseFeste das letzte Bollwerk gegen einen auswartigen Feind oder der Zufluchtsortder an der Spitze des Gemeinwesens stehenden Manner bei inneren Unruhenund Emporungen sein sollte. Wirklich ist die Lage dieses Platzes so fest, daB erzu einer Zeit, wo das Schiellpulver noch nicht erfunden war, fur unbezwinglichgelten konnte. In der Burg bemerkte ich einen sehr tiefen und breiten in den Fel-sen gehauenen Brunnen, in welchen man vermittelst einer Wendeltreppe hinun-tersteigen kann.

    Auf dem Gipfel dieses Berges stehend, iibersah ich mit einem Blick die zer-storte Stadt und die ihren Raum ausfullenden Trummer. Inder Feme breitet sichdie Kiiste von Kleinasien gegen Edremit und Smyrna (Izmir) aus. Die zackigenFelsen der Insel Lesbos erheben sich in grollen Massen und versinnlichen demBeschauer die Fabel der von den Titanen aufeinandergetiirmten Berge. Die brei-te Meerenge, welche hier Europa von Asien trennt, erschien meinen Augen wieein gigantischer Hafen, den ich in seiner vollen Ausdehnung kaum iibersehenkonnte. GroB ist dieser Anblick und tief der Eindruck, den er auf uns machte.Bekanntlich lief Perikles, als er die Athener zu einem gefahrlichen Krieg bere-den wollte, die Rednerbiihne so stellen, daBdas versammelte Volk seine Kriegs-hafen, Festungswerke und die an Schiffen belebte See vor Augen haben sollte.Ich bin nicht in Athen gewesen und habe nicht von den Propylaen herunter denherzerhebenden und zugleich traurigen Anblick des Pyraus gehabt; doch habeich auf der Burg von Assos innig empfunden, wie richtig der grolle Staatsmannden Eindruck berechnet hatte, welchen ein solcher Anblick auf ein ehrgeiziges,ruhmdurstiges Volk machen mullte. In einer ahnlichen Lage, in diesem Klimaund bei einer republikanischen Verfassung: wie konnte es da demogeiibtcn Red-ner schwer fallen, in seinen Zuhorern das Gefiihl zu erwecken, dall sie alles wa-gen dtirften, daB sie uniiberwindlich waren,

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  • - -----1

    Auf ebenderselben Stel1e, die rnir einen so erhebenden Alibli'6k gewahrte,

    stand der Sitte der alten Griechen gemaB, welche ihren iiffentlichen Gebaudenimrner eine ihrer Bestimmung entsprechende Lage gaben, ein mit einem dori-schen portal verzierter Tempel. Die unversehrt gebliebenen Saulen lieg

    enauf

    der Erde, als wenn sie eben erst fertig geworden waren und aufgestellt werdensollten. Ihr Durchschnitt betragt funf FuB, und sie sind ganz im Stil der Saulenvon Pastum gearbeitet. lch habe auf dieser Stelle zwei mit erhabenen Bildwer-ken verzierte Granitplatten gesehen, welche allem Anschein nach den Giebeldes Tempels geschmuckt haben. Der Stil dieser Bildwerke ist sehr unvol1kom-

    men und erinnert an den der agyptischen Hieroglyphen.lch sah auf der Burg von Asses eine runde Moschee mit einem Porticus von

    vier Saulen, welche mit hohen Biigen uberwiilbt sind. Das ganze Gebaude ruhtauf einer sehr sorgfliltig von Granitquadem erbauten Grundmauer. lch glaubedaher, daB, wo nicht das ganze Gebaude, doch wenigs

    tensdiese Grundmauer

    antik ist. Eine nahere Besichtigung der Moschee in ihrem Innem hatte mir eini-gen AufschluB dariiber gegeben. Man verweigerte mir aber den Eintritt.

    Samtliche Bauten, deren Triimmer ich in Assos gesehen, waren von Granitausg

    efiihrt, und ich habe unter so vielen Ruinen keinen einzigen Ziegel, nicht

    einmal

    einen Quader von irgendeiner minder festen Steinart gesehen. Der Gra-nit, den man in Assos verarbeitet hat, ist so hart, daB auch die zartesten Gesimsenoch jetzt vollkommen erhalten sind. Wenn man die Muhe und die ungeheurenKrafte erwagt, welche der Bau einer so bedeutenden Stadt auS einer so schwerzu bearbeitenden Steinmasse erforderte, so drangt sich dem staunenden Beob-achter unwi1lkiirlich der Gedanke auf, die Menschen jener Zeiten seien Riesengewes

    en, mit ubermenschlichen Kriiften begabt. Werke, deren AusfUhrung bei

    einer etwas niiheren Betrachtung der dabei zu bekampfenden Schwierigkeitenunsere Phantasie ermuden, scheinen fUr sie ganz gewiihnlich gewesen zu sein.

    Plinius versichert, dieser Ort habe vormals den Namen Apollonia gefiihrt.Pausanias fuhrt i\rn in der Zahl der troischen Stadte auf. Pomponius Mela versi-chert, die Stadt sei von den Aoliem erbaut worden. Strabo aber fUhrt das Zeug-nis des Myrsilus auf, der sie von den Methymnem angelegt wissen will. Der ge-lehrte d' Anvi1le hat diesen Ort seiner ibm eigenen Genauigkeit gemaB sehr rich-tig auf der Karte von Kleinasien bemerkt; doch ist seine Behauptung unbegriin-det, als wenn die jetzigen Bewohner dieser Gegend den alten Nam

    enAssos bei-

    behalten hatten. Dieser altertiimliche, dem Beschauer seiner Ruinen ehrWiirdiggewordene Name ist jetzt in dieser Gegend ganz unbekannt. Anes sorgfaltig

    en

    Forschens ungeachtet habe ich in der Geschichte weder die Zeit der Eroberungdieses Ortes noch seine Schicksale und die Peri ode seiner Zerstiirung auffindenkiinnen. Der byzantinische Grammatiker Hierokles, der im neunten Jahrhundertlebte, fiihrt in seinem Verzeichnis der Provinzen und Stadte des ostriimis

    chen

    Reiches auch die Stadt Assos in der Provinz Asien an, die einem Prokonsul

    un-tergeordnet war. In dem von Philippus Cyprius aufgesetzten Verzeichn

    isder

    88

  • asiatischen Kirchensprengel finde ich auch das Bistum Assos, dessen Bischofdem Erzbistum von Ephesus untergeordnet war. Doch glaube ich, daB Hieroklesund der zyprische Gelehrte dem auf den Triimmem von Assos gelegenenFlecken Behram den altertiimlichen Namen gegeben haben und das wirklicheAssos noch vor Konstantin dem GroBen entviilkert worden ist. Meine Mutma-Bung griindet sich auf den Umstand, daB ich unter den vielen Inschriften undTriimmem von erhabenem Bildwerk und Schnitzwerk aller Art kein Kreuz, keinHeiligenbild noch irgendein Symbol des christlichen Kultus gesehen habe.Auch deutet der Stil der Bauten mehr auf jene friiheren Zeitalter des griechi-schen Altertums, wo die Kiinste noch nicht ausgebildet waren, als auf die spate-ren Zeitalter des Ostr6mischen Reiches, wo sie sich ihrem Untergang zuneigten.

    Schon oben habe ich dem Leser meine MutmaBung mitgeteilt, der zufolgeich die Zerst6rung dieser Stadt starken Erdbeben zuschreiben wiirde. Eine ge-naue Besichtigung ihrer Triimmer scheint mir aile Zweifel in dieser Riicksichtzu losen, Keine epidemische Krankheit und die daraus entstehende Entvolke-rung, kein Krieg, keine Feuersbrunst konnten eine aus Granitquadem erbauteStadt vemichten; solche aber mit Menschenhanden niederzureiBen wiirde unge-heure Summen gekostet haben, welche zu allen Zeiten wohl eher dem Aufbauder Stadte als ihrer Zerst6rung gewidmet worden sind.

    Am zweiundzwanzigsten September, nach Sonnenuntergang, verlieBen wirdiesen uns so merkwiirdig gewordenen Ort und traten unsere Riickreise nachKonstantinopel an.

    Ein sonderbares Naturereignis nahrn in dieser Nacht meine Aufmerksamkeitin Anspruch. Ich sah die See bei jedem Ruderschlag Funken spriihen und dasvon den Rudem herunterrieselnde Wasser leuchten, als wenn jeder Tropfendurch einen Zauberschlag zu einern Funken geworden ware. Das daraus entste-hende Licht war so stark, daB man dabei hatte lesen konnen, Diese Naturer-scheinung wuBte ich mir nicht zu erklaren, Das Leuchten des Wassers im siidli-chen Ozean schreibt man gewissen Insekten zu; doch leuchtet es dort nur beiTage. Hier hingegen geschieht es in der Nacht und nur beim Aufschlagen desWassers. Eine schnelle Entwicklung phosphorischer Teile ist der wahrschein-lichste Grund dieser Erscheinung, welche viel dazu beitrug, uns diese Nachtrecht angenehrn zu machen.

    Am dreiundzwanzigsten September, mit Tagesanbruch, niitigte uns derpliitzlich ungiinstig gewordene Wind, bei dem Vorgebirge Baba (im AltertumLektos genannt) zu landen. Die jetzige Stadt ist im Osmanischen Reich durchmehrere Fabriken von Handscharen (tiirkisch: hancer) oder groBen Messem be-riihmt, derer sich bekanntlich die Tiirken im Krieg bedienen. Die Eisenstabe,welche die hiesigen Schwertfeger verarbeiten, kommen meistens aus den sibiri-schen Hiittenwerken und stehen den steyerrnarkischen, schwedischen und engli-schen bedeutend nacho Dennoch sind die aus denselben gearbeiteten Klingenvon einer vorziiglichen Giite und werden oft fiir Damaszener verkauft. Einer der

    89

  • vomelunsten Arbeiter dieses Ortes glaubte die Giite der hier gearbeiteten Waf-fen dem Wasser zuschreiben zu diirfen, in welchem das mehrmals gegliihte Ei-sen gelo

    schtwird. Eine chemische Untersuchung der hiesigen Quell

    enkonnte

    von einigem Nutzen fiir unsere Eisenhammer werden.

    An der SeekUste liegt auf einem Vorgebirge ein festes SchloB. Dieses an-sehnliche Gebaude, ohne Walle, Graben nnd bedeckten Weg, gewahrt von derSee her einen recht malerischen Anblick; doch scheint solches der einzigeZweck zu sein, den man bei Erbauung desselben beabsichtigte, denn seine Mau-em sind so schwach, daB sie kaum einer vollen Lage eines feindlichen Kriegs-

    schiffes Widerstand leisten durften-Das Wort Baba heiBt in tiirkischer Sprache Vater. Unter demselben Namenist in dieser Gegend ein muslimischer Derwisch bekannt, der im siebzehntenJahrhundert gelebt hat und von dern man viele Wunder erzahlt, welche er denwahren Glaubigen von Allah und seinem Propheten erfleht haben soli. Das

    Stadtchen, in welchem er geboren ist, fiihrt seinen NamenIm letzten Krieg der Osmanen gegen die Englander und Russen, im Jahre

    1807, feuerte das verbiindete christliche Geschwader, welches hier kreuzte, niegegen dieses SchloB; aller Wahrscheinlichkeit nach nur aus dern Grund, weil esvon der unbedeutenden Feste nichts zu fiirchten zu haben glaubte. Ein bejahrterJanitschar, welcher die sehr voneinander abweichenden posten des Gouvemeursund des Torhiiters der Feste zugleich bekleidete und der iiberdem die Besatzungderselben ganz allein ausmachte, wollte diese Neutralitat des Feindes der tiefenEhrfurcht zuschreiben, welche auch Unglaubige fiir die Asche des hier beerdig-

    ten Heiligen empfinden miiBten.Auf eben der Stelle, welche heute dieses zwecklose SchloB einnimmt, stand

    im Altertum ein Altar, von Agamemnon den zw61f groBen Gottem geweiht.Auch dem Leser der Ilias kann dieser Ort nicht gleichgiiltig sein. Hier war es,wo Juno sich mit Cypris' Giirtel scluniickte: wie schon muBte in diesem Mo-ment die stolze Hera den Gottem und Menschen erscheinen! Nie mag sie wiirdi-ger den Namen der Mutter der Gotter gefiihrt haben:

    "Eilten sie, Lemnos' Stadt und Imbros' beide verlassend,Eingehiillt in Nebel, mitleicht hinschwebenden FiiBen.Ida erreiehten sie nun, den queUigen Nahrer des Wildes,Lekton, wo erst dem Meer sie entschwebten; dann auf der FesteWandelten beid', es erbebten yom Gang die Wipfel des Waldes."

    Plinius versichert, das Vorgebirge Lektos sei der Grenzpunkt der aolisehen und

    lroischen Landschaft gewesen .. Am vierundzwanzigsten September, in der Nacht, gingen wir mit einem giin-

    stlgen Siidwind unter Segel und erreichten mit Tagesanbruch die Bueht, an wel-cher 1mAltertum die Stadt Alexandria Troas stand. Ihrer Gleichgiiltigkeit gegenAltertiimer ungeaehtet haben die Ttirken, tiber den bedeutenden Umfang der a1-

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  • ten Stadt staunend, die Triimmer derselben Eski Stambul oder Alt-Konstantino-pel genannt. Gleich bei unserem Eintritt in diesen dem Historiker und Archaolo-gen merkwiirdigen art fanden wir die Spur des a!ten Hafens, den ein von Stei-nen und Ziegeln aufgefiihrter Damm vor den Wellen schutzte. Dieser Hafen istgegenwiirtig giinzlich versandet, und kaum an einer Stelle in der Mitte stehtnoch etwas Wasser; der Hafendamm sogar ist verschiittet, so daB nur die Ober-flache der Mauer zu sehen ist. Die Kais scheinen ziemlich nachlassig bloB vonZiegeln erbaut gewesen zu sein; doch habe ich hier und da zerstreute Marmor-quadem gesehen, welche auf ein hier ehemals gestandenes betrachtliches Ge-baude deuten, unter anderen sah ich ein Bruchstiick von Marmor, rosenroterFarbe, aus lauter Muscheln bestehend. Die Italiener pflegen diese MarmorartBrocatello zu nennen. Neben dem versandeten Hafen liegen mehrere vierzigFuB lange, funf FuB starke Granitsiiulen aus einem Block gearbeitet.

    Indem wir uns von der Seektiste entfemten, betraten wir den inneren Raumder altertumlichen Stadt, welcher mit einer ganz eigenen fremden Baumart be-wachsen ist. Der Reisebeschreiber Le Chevalier nennt sie Des valoniers (que-reus algilops Linnaei).

    Das altertumliche Alexandria Troas ist in einem Halbkreis an der Seekiisteerbaut; dieser art erinnert gegenwiirtig an einen englischen Garten, in welchemansehnliche Ruinen aus schattigen Hainen hervorscheinen. Das erste bedeutendeGebaude, welches ich hier sah, nennen die Tiirken den Miidchen-Palast (Kizlarsarayi); daher wohl die irrige Meinung, daB es ehemals ein Tempel der Dianagewesen ist. Seiner Bauart und den niedrigen Gewolben nach zu urteilen, inwelche es eingetei!t ist, diirfte es vielmehr ein WarenJager oder ein Gefangnisgewesen sein. Einige hundert Schritte weiter liegt auf dem Abhang eines Hiigelseine ronde der in Assos ahnliche Biihne, deren Stufen oder Sitze aber ziemlichnachlassig aus Ziegeln aufgebaut sind. Auch hier sind die Mauem des Prosce-niums ganzlich zertriimmert. Ostwiirts von diesem Theater sah ich die Ruineneines sehr betriichtlichen Gebiiudes, welches die hiesigen Landesbewohner undSeeleute irrigerweise Palast des Priamos nennen.

    Die beiden englischen Reisebeschreiber Pococke und Chandler glauben, die-ses Gebiiude sei den gymnastischen Ubungen der Jugend des Ortes geweiht ge-wesen. Le Chevalier, der diese Gegend im Jahre 1785 besuchte, ist anderer Mei-nung. Seiner MutmaBung nach ist dieses ein offentliches Bad gewesen, welcheser mit denen des Diocletian und Caracalla in Rom vergleicht. Da ich jene nichtgesehen habe, darf ich iiber diesen Gegenstand nicht urteilen. Die malerischeRuine scheint mir das Eingangstor des Ganzen gewesen zu sein.

    Die Ruinen dieser Stadt entsprachen der hohen Erwartung nicht, mit welcherich sie betrat. Ich fand keine Spur jener GroBheit und Zierlichkeit, die ich in ei-ner von Alexander dem GroBen erbauten Stadt zu finden hoffte, In der Mauersind sogar die Gewolbe nicht gleich, manche sind schmaler, manche hoher undbreiter. Uberdern scheinen sie mir aile zu kleinlich riicksichtlich der auf densel-

    91

  • II

    ben aufgefUhrten Mauer. Das in ein Viereck angelegte Gebaude scheint vier ge-w61bte Gange und einen inneren Hofraum gebildet zu haben, und es sind nochLocher in der Mauer zu sehen, welche die Balken aufnahmen.

    Die Eile und Nachlassigkeit, mit welcher die altertiimliche Stadt erbaut wor-den, ist unverkennbar. Aile Gebaude sind von Ziegeln aufgefuhrt, kaum hierund da findet man ein Stuck Mauer mit Granitplatten bekleidet, und unter sovielen Triirnmem habe ich nur sehr wenige Marmorquadem gesehen. Demnachist nicht zu leugnen, daJl diese altertiimliche Stadt weit glanzender gewesen, alses heute ihre Ruinen anzudeuten schein en, indem seit mehreren Jahrhundertendie Tiirken nicht aufhoren, die Saulen und die mit Bildhauerarbeit verziertenGesimse nach Konstantinopel zu fiihren, und selbige dort an ihren neu aufge-fiihrten Gebauden anbringen. Die Steinmetzer der herumliegenden Stadtchentragen das ihrige dazu bei, die vorziiglichsten Denkrnaler der alten grieehischenBaukunst an diesem Ort zu vemichten. Bekannt ist die Sitte der Tiirken, ihrenToten Grabmaler zu errichten, welche meist aus Stein gearbeitet werden. DieArmeren erhalten wenigstens eine Steinplatte mit einem Turban. Die tiirkischenSteinmetzer halten das Verarbeiten der schon zugerichteten Quader fiir vielleichter als das Brechen neuer in den Steinbriichen, und so zerstoren sie ohneRiicksicht alles, was sie aus den alten Bauten herausbrechen konnen.

    Unbezweifelt sind hier noch die kostbarsten Altertiimer vergraben; und ichglaube, es wiirde fiir einen Reisenden, der die Kosten nicht scheute, eben nichtschwer sein, von den Behorden die Erlaubnis zu erkaufen, hier Nachgrabungenanzustellen. Mein kurzer Aufenthalt in dieser Gegend erlaubte mir nieht, der-gleichen zu untemehmen.

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  • ....E~-"!""~_~ml.,~ ~~ ~'"'~ 01 :*',

    Sechstes Kapitel

    Am sechsundzwanzigsten September, mit Tagesanbruch, schifften wir uns einund steuerten langs der Kiiste von Kleinasien nach dem Sigeischen Vorgebirge,welches jetzt das Vorgebirge Yenisehir genannt wird. Mit der aufgehenden Son-ne erblickten wir die Gipfel des Ida-Gebirges, Immer naher und deutlicher ent-fallete sich vor unseren Blicken das trojanische Gestade:

    "Iuvat ire et Dorica castra,Desertosque videre locos littusque relictum,Hie Dolopum manus, hie saevus tendebat Achilles,Classibus hie locos, hie acies certare solebat."..Aus eilt man, das dorische Lagerund die verlassenen Orte zu schaun und den einsamen Meerstrand.Hier der Doloper Zelt', und hier des grimmen Achilles;hier war die Flotte geweiht; hier kampften sie oft in der Feldschlacht."

    Mit Ungeduld und Sehnsucht betrachteten wir von Ferne diese Landschaft,welche seit dreitausend Jahren, eine ganzliche Umwalzung der politischen Ver-haltnisse, der Sitten und der Religion ungeachtet, nie aufgehort hat, die Auf-merksamkeit aller gebildeten Volker auf sich zu ziehen und die aufgeklartestenManner derselben zu begeistern. Der schwache Nordwind legte sich gegen Mit-tag ganz, ich lieB also nach der Kiiste steuem und begab mich zu Lande nachdem Dorf Yenikoy und von dort weiter nach dem Vorgebirge Yenisehir, aufwelchem ein von Turken und